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Mae Headrick trifft bei einem Supercross-Event auf Eric Guyette, den heimlichen Favoriten der Meisterschaft. Dieser will sie zuerst nur ins Bett bekommen, um eine Wette gegen seinen Kontrahenten Domenic Ramos zu gewinnen. Doch bald merkt Eric, dass er sich mit Mae mehr vorstellen kann als nur eine Nacht. Auch in Mae wachsen die Gefühle für ihn – bis sie von dem Deal zwischen den beiden Gegnern erfährt. Dabei ist Erics Grund dafür äußerst ehrenwert … Wird Eric es schaffen, Maes Vertrauen zurückzugewinnen, oder hat er auf einen Schlag alles verloren? Eine Geschichte über schnelle Bikes, übereilte Entscheidungen, zweite Chancen und die wahre Liebe. – Ivy Andrews, Autorin der L.O.V.E.-Reihe
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Seitenzahl: 653
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Sarah Saxx
Speedmy heart
Sarah Saxx
Speedmy heart
LAGO
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen
Originalausgabe
1. Auflage 2021
© 2021 by LAGO Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89
80799 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Redaktion: Jil-Aimée Bayer
Umschlaggestaltung: Manuela Amode
Umschlagabbildung: Shutterstock.com/My Portfolio, Dinara May
Layout und Satz: inpunkt[w]o, Haiger | www.inpunktwo.de
Druck: CPI books GmbH, Leck
eBook by tool-e-byte
ISBN Print 978-3-95761-199-4
ISBN E-Book (PDF) 978-3-95762-278-5
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-279-2
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.lago-verlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de
In Bloom – Neck Deep
Jamie All Over – Mayday Parade
Last Young Renegade – All Time Low
Bad Behavior – The Maine
Night People – You Me at Six
She’s Out of Her Mind – blink-182
Can’t Help It – Anarbor
Voldemort – With Confidence
Tell Me I’m a Wreck – Every Avenue
Don’t Take the Money – Bleachers
Kali Ma – Neck Deep
Bloom – Troye Sivan
Dear Maria, Count Me In – All Time Low
Coffee Talk – Broadside
Ocean Avenue – Yellowcard
Motion Sickness – Neck Deep
Playing Fiction – ROAM
Dial Tones – LS IT IS
Weightless – All Time Low
Sugar, We’re Going Down – Fall Out Boy
In Too Deep – Sum 41
If It Means a Lot to You – A Day to Remember
Empire (feat. Bingx) – Asking Alexandria, Bingx
Auch zu finden auf Spotify unter speed my heart – Sarah Saxx
Für alle, die ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren, egal, welche Steine ihnen das Leben in den Weg legt.
Triggerwarnung: In diesem Buch wird eine Vergewaltigung erwähnt. Die entsprechenden Szenen könnten einige als beunruhigend empfinden. Wer diese Stellen umgehen will, kann die die Seiten 11, 68, 158 und 159 meiden.
INHALT
MAE – DIESEM ANFANG WOHNT KEIN ZAUBER INNE
ERIC – REINES GLÜCKSSPIEL
MAE – IT STARTED WITH A KISS
ERIC – WENN DIE REUE ZU SPÄT KOMMT …
MAE – NICHT SEIN TYP
ERIC – PUNKTEJAGD
MAE – MAN SIEHT SICH IMMER ZWEIMAL
ERIC – DER GLÜCKSBRINGER UND DER PECHVOGEL
MAE – VON ERSTEN DATES UND SONNENUNTERGÄNGEN
ERIC – VERBOCKT
MAE – HITZEWELLEN
ERIC – GELIEFERT
MAE – IN SEINEM BETT
ERIC – SO FÜHLT SICH VERZWEIFLUNG AN
MAE – FLIEGENDE HERZEN FALLEN TIEF
ERIC – KANN MIR MAL JEMAND EINEN DOLCH INS HERZ RAMMEN?
MAE – (K)EIN GLÜCKSKUSS
ERIC – DIE MACHT DER WORTE
MAE – DIE SCHERBEN MEINES HERZENS
ERIC – AUS UND VORBEI
MAE – FREUNDSCHAFTEN UND FAMILIENANGELEGENHEITEN
ERIC – SUSHI UND DIE ZWEITE CHANCE
MAE – WER HÄTTE JE GEDACHT, DASS ES SO ENDEN WIRD?
ERIC – CHAOS IM KOPF UND SCHMERZEN IN DER BRUST
MAE – GESTÄNDNISSE
ERIC – UPS AND DOWNS
MAE – ERKENNTNISSE
ERIC – RAMOS
MAE – VON NEUANFÄNGEN UND GROSSEN TRÄUMEN
ERIC – SO SEHEN SIEGER AUS
Danksagung
Es hätte mich wirklich schlimmer treffen können. Das sagte ich mir, als Aaron, der beste Freund meines Bruders Kiran, am Steuer seines Hondas neben mir saß, und wir gerade das Schild »Willkommen in Anaheim« passierten.
Es war nur ein Tag. Eine überschaubare Menge an Stunden, die ich in einem Stadion verbringen musste, in dem es nach Abgasen stank und in dem sich ein paar Kerle den Dreck um die Ohren schossen, während sie auf ihren Motorrädern über Erdhaufen sprangen. Allein die Vorstellung dessen brachte mich dazu, die Augen zu verdrehen. Doch das war ich Aaron schuldig. Und zu unserem Glück spielte auch das Wetter mit: Die noch tief stehende kalifornische Sonne wärmte an diesem Januarmorgen zwar nur sanft meine Haut, als sie durch die Scheibe auf meinen Unterarm fiel, aber das war egal. Ich war einfach nur froh, dass es nicht wie aus Eimern goss.
»Ich kann immer noch nicht fassen, dass ich mich auf diesen Deal eingelassen habe«, sagte ich kopfschüttelnd und schaute Aaron von der Seite an.
Ein breites Grinsen schob sich auf seine vollen Lippen. »Ich auch nicht. Aber ich finde das echt grandios von dir.«
Seufzend lehnte ich mich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Zum Glück muss ich dich nur dieses eine Mal zu dem Supercross-Event begleiten, dann ist meine Schuld beglichen.« Ich legte meine blasse Hand auf Aarons dunklen Unterarm und hoffte, dass ihn das zusätzlich davon überzeugen würde, mich nicht öfter zu quälen als wirklich notwendig.
»Ähm … nett, dass du das glaubst, Mae Headrick, aber nur mit heute bist du nicht raus aus der Sache.«
Mein Kopf schnellte herum. »Was soll das heißen?«
Aus Aarons Richtung drang ein tadelndes Geräusch zu mir. »Denk mal darüber nach, wie oft ich dich mitten in der Nacht von irgendwelchen Partys abgeholt und nach Hause gefahren habe. Wie oft ich Kiran – meinen besten Freund – belogen habe, um dich zu decken. Und da die Supercross-Saison erst beginnt, hast du noch genug Gelegenheiten, dich dankbar zu zeigen und mich zu begleiten.«
Ich stöhnte verhalten auf. Aaron hatte ich wirklich viel zu verdanken, das stimmte schon. Er hatte mich ab dem Moment gedeckt, als ich mit fast siebzehn das erste Mal auf einer Party war, von der meine Mom nicht wollte, dass ich hinging, weil Alkohol ausgeschenkt wurde. Ich bin ihm dort zufällig über den Weg gelaufen und danke Gott noch heute dafür, dass Kiran nicht ebenfalls auf der Feier gewesen war. Er war damals zwar auch erst zwanzig gewesen, aber ich war mir sicher, er hätte mich bei Mom verpfiffen. Doch Aaron, der nur zwei Monate älter war als mein Bruder, hatte nicht nur dichtgehalten, sondern mit mir gefeiert, auf mich aufgepasst und mich im Anschluss sicher nach Hause gebracht.
Er hatte im Gegensatz zu seinem besten Freund verstanden, dass ich genau wie alle anderen Jugendlichen in meinem Alter hin und wieder das Recht dazu hatte, zu feiern und das Leben zu genießen.
Mir war schon klar, warum Mom sich riesige Sorgen machte. Sie hatte als junge Frau schlechte Erfahrungen mit Partys jener Art gemacht, als man ihr was ins Getränk gemischt und sie anschließend vergewaltigt hatte. Diese Erfahrung prägte noch immer ihr und somit auch mein Leben, und wenn ich könnte, würde ich dieses schreckliche Erlebnis für sie ungeschehen machen. Dennoch hieß es nicht, dass ich mich für immer von solchen Feiern fernhalten musste – weshalb ich Aaron dankbar über unseren Deal war.
»Okay, was bedeutet das? Was willst du von mir?«, hakte ich nach und wusste nicht, worauf ich mich gefasst machen musste.
»Sechs der Rennen finden in und um Kalifornien statt. Wir können mit dem Auto oder mit dem Wohnmobil meiner Eltern hinfahren, und du wirst mich zu allen begleiten und für die Zeit so tun, als würde dich Supercross interessieren und als würdest du Spaß haben.«
Mein Mund klappte auf. »Davon war bisher nie die Rede gewesen.«
Er grinste schief. »Ups. Dann weißt du ja jetzt Bescheid.«
»Dreimal! Ich fahre zu drei Rennen mit. Jedes zweite von mir aus.« Mehr hielt ich bei Gott nicht aus. Supercross war nun wirklich kein Sport, der mich auch nur in irgendeiner Weise interessierte.
»Darüber wird nicht verhandelt, Butterpie«, sagte er bestimmt. »Ich meine das ernst. Das ist wirklich eine Kleinigkeit, die du für mich tun sollst, wenn man bedenkt, dass ich seit fünf Jahren zu oft und zu lange auf viel zu schlechten Partys abhängen musste, nur um ein Auge auf dich zu haben und dich im Anschluss sicher nach Hause zu bringen. Eigentlich wäre das die Aufgabe deines Bruders, wenn du mich fragst …«
Ich verschränkte meine Arme vor der Brust, nicht nur, weil er mir jetzt wieder mit meinem Kosenamen seit Kindestagen kam.
Ich kann auch gut auf mich selbst aufpassen, lag mir auf der Zunge, aber ich wollte nicht undankbar erscheinen. Abgesehen davon war ich wirklich immer froh gewesen, Aaron in der Nähe zu wissen, wenn ich unter vielen Unbekannten feierte. Es gab mir Sicherheit. Er gab mir dieses Gefühl.
Verbissen presste ich meine Lippen aufeinander und schaute zum Fenster hinaus. Es ergab keinen Sinn, mit Aaron zu diskutieren. Nicht in dem Fall, denn er hatte absolut recht. Ich würde die Tage schon irgendwie überstehen …
»Aber ich muss mich nicht die ganze Zeit in deiner Nähe aufhalten, sondern darf mich auf dem Gelände frei bewegen, oder?«, fragte ich mit spitzem Unterton, und doch überkam mich die Sorge, er könnte es ernst meinen. Vielleicht dachte er ja wirklich, er müsse mir auf jedem Schritt als Wachhund folgen.
Dass andere Volljährige nicht so bevormundet wurden, wusste ich. Bei meiner Mom war das auch was anderes – bei ihr duldete ich es, weil ich wusste, wie groß ihre Angst war, mir könnte etwas zustoßen. Und solange ich noch bei ihr wohnte und sie viel mehr von meinem Leben mitbekam, als wenn ich eine eigene Wohnung hatte, war es so vermutlich auch für unser beider Seelenfrieden besser.
Aber hier waren nur Aaron und ich.
»Auf keinen Fall, du bleibst bei …«
»Komm schon, Aaron! Ich bin kein kleines Kind. Und du kannst nicht von mir verlangen, dass ich den ganzen Tag diese Rennen verfolge. Durchgehend. Ich … kann das nicht! Ich werde versuchen, dir eine gute Begleitung zu sein und so viel Interesse wie möglich zu zeigen, aber das wäre gleichzusetzen mit … hm … als würde man dich zwingen, sechs Tage stundenlang klassisches Ballett anschauen zu müssen.«
Aaron stieß ein schockiertes Geräusch aus. »Echt jetzt? Eher würde ich sterben!«
»Siehst du?«, stürzte ich mich auf diesen Funken Hoffnung. »Lass mich bitte an die lange Leine. Ich laufe schon nicht davon, und ich verspreche dir, dass ich nicht mit Fremden sprechen oder mich von ihnen mit Bonbons in Autos locken lassen werde.« Mit den Wimpern klimpernd setzte ich ein – wie ich hoffte – völlig mitleiderregendes Gesicht auf.
Aaron umfasste das Lenkrad fester. »Wenn dir was passiert, wenn ich dich nicht wieder sicher nach Hause bringe …«
»Ist es denn so gefährlich dort? Gefährlicher als bei uns in Ventura?« Meine Heimatstadt war nun wirklich kein gefährliches Pflaster, aber ich war mir sicher, dass hier im Stadion viele Sicherheitsleute unterwegs waren und mir somit nichts passieren konnte.
Statt mir zu antworten, schwieg er, was mich wahnsinnig machte.
»Wir sind doch auf einem abgeriegelten Gelände, oder?«, versuchte ich es weiter. »Komm schon! Lass mir wenigstens meine Freiheiten, solange es hell ist.« Ich war wahnsinnig genervt davon, von allen Seiten so überbehütet zu werden, dass es mich gerade heute ziemlich an meine Grenzen brachte. Ich meine, ich war inzwischen zweiundzwanzig und stand kurz davor, das College abzuschließen. Ich kannte keine einzige Frau in meinem Alter, die dermaßen behütet wurde, und es war an der Zeit, das endlich zu ändern und für meine Freiheit zu kämpfen. Zumindest, wenn meine Mom nicht in der Nähe war.
Er knirschte mit den Zähnen. An seinem Kiefer konnte ich erkennen, wie die Muskeln arbeiteten. »Du hast dein Handy mit. Und ich darf die Ortungsfunktion darauf aktivieren, damit ich weiß, wo du dich aufhältst.«
Ein Widerspruch lag mir auf der Zunge. Es war so lächerlich, aber ich wusste auch, dass er es sich nicht verzeihen würde, wenn man mir auch nur ein Haar krümmen würde. Kiran würde ihn verachten oder verprügeln oder beides, und meine Mom würde ihm die Schuld dafür geben. Und er selbst würde es sich bis an sein Lebensende vorhalten. Deshalb gab ich schließlich nach. Es war immerhin nur das GPS-Signal meines Handys und keine Leine, die er mir anlegte. »Na gut. Aber nur immer für den Tag, an dem wir bei den Rennen sind. Ich lasse mich garantiert nicht dauerhaft von dir überwachen, du Freak!« Er lachte auf. »Deal!«
Als wir wenig später das Angel Stadium of Anaheim erreichten und auf einem der gekennzeichneten Parkplätze hielten, gab Aaron mir sofort ein Zeichen, ihm mein Smartphone zu geben, auf dem ich mich gerade durch die Playlist scrollte und Motion Sickness von Neck Deep gestartet hatte. Seufzend hielt ich es ihm hin und schaute zu, wie er die Überwachungsfunktion aktivierte.
Ich kam mir einerseits vor wie ein kleines Kind und war andererseits, wenn ich den Blick über das gigantische Stadion streifen ließ, auch froh, dass Aaron ein Auge auf mich hatte. Ich wollte hier auf keinen Fall verloren gehen oder gar in einen dunklen Winkel gezerrt werden …
Ja, vielleicht war ich aufgrund der negativen Vergangenheit meiner Mutter überbehütet aufgewachsen. Ich nahm es ihr nicht übel, wahrscheinlich würde ich an ihrer Stelle nicht anders reagieren. Sie hatte mit den Männern in ihrem Leben nur schlechte Erfahrungen gemacht und dementsprechend ihren Sohn zu einem kleinen Prince Charming herangezogen. Mich hingegen hatte sie, seit ich mich erinnern konnte, vor den Gefahren der großen, weiten Welt gewarnt. Zwar war ich nicht zu einem Schisser herangewachsen, aber ich hatte verstanden, dass nicht alle Menschen nett waren und dass man Fremden erst mal reserviert begegnete. Vertrauen musste man sich erarbeiten – und mit dieser Einstellung war ich bisher auch immer gut gefahren.
Ich stieg aus, streckte und dehnte mich. Die eineinhalb Stunden Fahrtzeit wären nicht schlimm gewesen, wenn Aarons Wagen nicht so unbequem wäre. Oder vielleicht war ich einfach die Prinzessin auf der Erbse, aber ich fand, dass sein Auto nicht für Langstrecken geeignet war.
»Bist du bereit?« Aaron grinste und zog sich seine cremefarbene Jacke an.
»Nicht wirklich.« Ich verzog das Gesicht.
»Falsche Einstellung, Süße. Denk daran, dass wir erst in gut …« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »… neun bis zehn Stunden wieder hier wegkommen.«
Ich stöhnte auf und sank gespielt kraftlos gegen die Seite seines Wagens. »Gott, ich sterbe! Kann mich jemand abholen und von hier wegbringen?«
Aaron wackelte belustigt mit den Augenbrauen. »Sechsmal, Mae. Fang besser an, es zu lieben!«
Er betätigte die Zentralverriegelung und streckte mir seine Hand entgegen als Aufforderung, ihm zu folgen.
Grummelnd verschränkte ich abermals die Arme vor der Brust und lief ihm nach. »Ich trinke nie wieder auch nur einen einzigen Tropfen Alkohol. Und ich gehe auf keine Party mehr, es sei denn, es sind Kindergeburtstage.«
Aarons Antwort war ein lautes Lachen.
Motorenlärm drang zu uns hoch, als wir unsere Sitzplätze erreicht hatten. Das Stadion war noch nicht einmal zur Hälfte gefüllt, doch es strömten fortwährend Menschen in die einzelnen Ränge und wuselten die Treppen rauf und runter. An den Toiletten standen schon jetzt Schlangen an, genau wie an den unzähligen Imbissbuden.
Und unten fuhren bereits vereinzelte Fahrer die Strecke ab. Der Lärm ihrer Maschinen war laut und irgendwie glich es einem kleinen Chaos.
»Jetzt können sie sich noch einfahren. Sie sind nach Alter und Kubikklassen unterteilt, und je später der Abend wird, desto interessanter werden die Rennen.«
Aaron gab sich Mühe und erklärte mir alles, was sich vor uns ereignete, erzählte über die Fahrer, was er wusste, und schaffte es doch tatsächlich, dass der Nachmittag nicht durch und durch langweilig war.
Ich versuchte wirklich, mich dafür zu interessieren, ihm zuzuhören und Fragen zu stellen, aber meine Begeisterung für den Sport hielt sich leider trotzdem in Grenzen. Wenn ich mich umschaute und erkannte, wie sich die anderen Leute hier von dem Geschehen vor uns mitreißen ließen, wusste ich, dass ich weit davon entfernt war, ein Supercross-Fan zu werden.
»Ich hol uns mal was zu essen. Worauf hast du Lust?« Abwartend schaute ich Aaron an. Gerade wurde die Strecke für das nächste Rennen oder so gewartet, und da mein Hintern inzwischen eingeschlafen war, hielt ich es für einen guten Grund, etwas Abstand zu dem Spektakel zu bekommen.
»Kein Problem, ich hol uns was«, sagte Aaron und stand schon auf.
»Ich muss sowieso auf die Pipibox, also bleib doch hier, es dauert bestimmt nicht lange, bis die nächsten Irren über die Erdhaufen jagen. Nicht dass du wegen mir was verpasst. Mich stört das ja nicht«, ergänzte ich zwinkernd.
Der Kerl vor uns drehte sich bei meiner Bemerkung zu mir um und schenkte mir einen bösen Blick, den ich jedoch ignorierte.
»Nimm einfach mit, was immer du ergattern kannst. Du weißt, ich bin nicht wählerisch«, sagte er und wollte mir schon etwas Geld zustecken, aber ich winkte ab.
»Nicht. Das geht auf mich.«
»Wenn du denkst, dass du dich freikaufen kannst und mich doch keine sechsmal begleiten musst, liegst du falsch!«, rief er mir grinsend hinterher, während ich mich bereits an den Sitzplätzen vorbeischlängelte. Ich schaute ihn über meine Schulter hinweg grimmig an, aber er hatte seine Aufmerksamkeit schon wieder auf die Rennstrecke gerichtet.
Ich stapfte die Treppen hinauf und vergewisserte mich, mir gemerkt zu haben, wo unsere Sitzplätze waren. Zwar hatte ich das Ticket in der Hosentasche stecken, auf dem mein Platz stand, aber ich hatte nicht den besten Orientierungssinn. Noch ein Grund, weshalb ich froh war, dass mich Aaron von den Partys nach Hause gebracht hatte – und dass er die Ortungs-App aktiviert hatte.
An den Toiletten stand ich eine halbe Ewigkeit an, und nachdem ich dort endlich fertig war, ging ich zu den Imbissständen.
Ich war froh, abseits des Lärms zu sein, auch wenn es hier alles andere als leise zuging. Abgesehen davon, tat es gut, mir die Füße zu vertreten. Diese Hartschalensitze im Stadion waren wahnsinnig unbequem. Ich fragte mich, ob die Menschen, die sie entworfen hatten, stundenlang Probe gesessen hatten. Oder diejenigen, die beschlossen hatten, sie einzukaufen und einzubauen.
Vermutlich nicht.
Mit zwei großen Hotdogs machte ich mich auf den Weg zurück zum Platz, wobei ich von meinem Brötchen immer wieder abbiss. Getränke konnten wir auch dort kaufen, immerhin gingen ständig Verkäufer mit Bauchläden vorbei. Abgesehen davon war meine Cola noch halb voll gewesen, als ich gegangen bin.
»Hey, fast hätte ich eine Vermisstenmeldung aufgegeben«, begrüßte mich Aaron und nahm mir dankend einen Hotdog aus der Hand.
»Ich dachte, du könntest mich über die App stalken und wüsstest genau, wo ich bin.« Herzhaft biss ich ab und kaute, während ich den Blick auf die Mitte des Stadions gerichtet hielt, wo gerade die letzten Fahrer die Strecke verließen.
»Ich sehe nur den ungefähren Aufenthalt. Aber ich vertraue dir. Hier sind so viele Leute, und du bist alt genug, um nicht mit einem Wildfremden mitzugehen.« Er grinste und zwinkerte, dann biss er genüsslich in den Hotdog.
»Was passiert da gerade?«, fragte ich und deutete auf das Geschehen vor uns. Zwar könnte ich auch im Programmheft nachschauen oder zuhören, was der Stadionsprecher sagte, aber ich hatte schnell rausgefunden, dass es Aaron unglaublich viel Spaß machte, mich mit seinem Wissen zu beeindrucken.
»Die Fahrer nehmen Aufstellung für das Qualifying. Die vierzig besten, die nach diesen Rennen pro Klasse übrig bleiben, treten später in der Vorrunde, dem sognenanten Heat Race, gegeneinander an. Und aus denen plus wiederum den besten vier Fahrern eines Last Chance Qualifier setzen sich schließlich diejenigen zusammen, die im MainEvent um die Punkte fürs Gesamtranking fahren.«
Puh, das klang reichlich kompliziert.
Bestimmt hätte es genügt, wenn wir rechtzeitig zu den Qualifikationsrennen hergekommen wären, aber ich vermutete, dass Aaron es genoss, mich so lange wie möglich auf die Folter zu spannen und zu quälen. Für ihn waren viele der Partys wahrscheinlich auch stinklangweilig gewesen. Trotzdem hatte er dort ausgeharrt. Und jetzt bekam ich die Retourkutsche.
Dass es beim Supercross zwei verschiedene Klassen, nämlich die 250SX und die 450SX gab, hatte Aaron mir gleich zu Beginn erklärt. Die Zahlen standen für den Hubraum der Maschinen, was bedeutete, dass die 250er leichtere Bikes waren, während die 450er nur von den Jungs mit reichlich Erfahrung gefahren wurden. Aaron fand die große Klasse wohl am spannendsten, wohingegen ich die 250SX interessierter verfolgt hatte, falls man das so nennen konnte, weil ich mitbekommen hatte, dass da auch eine Frau dabei war. Aaron hatte mir erklärt, dass sie schon in der letzten Saison alle überrascht hatte, weil sie sich als einzige Frau für die Weltmeisterschaften qualifiziert und sich auf diesem Niveau gegen ihre männlichen Mitstreiter richtig gut behauptet hatte.
Gleichzeitig mit dem fallenden Startgatter jagten die Maschinen röhrend über den erdigen Untergrund. Eine Weile schaute ich noch zu und stellte fest, dass die Dynamik, verglichen zu den Trainings zuvor, eine ganz andere war. Aber so leid es mir tat, das Geschehen konnte mich dennoch nicht fesseln.
Nachdem ich den Hotdog aufgegessen und meine Cola getrunken hatte, sagte ich Aaron, dass ich noch einmal etwas umherstreifen würde.
»Doch nicht jetzt, wo es gerade spannend wird!« Überrascht und ein wenig entsetzt zugleich schaute er mich an und konnte wohl nicht glauben, dass ich das eben ernst gemeint hatte.
Ich zuckte mit den Schultern. »Sorry. Aber mein Hintern schläft schon wieder ein, diese Sitze sind eine Qual für mich.«
Aaron zog eine Augenbraue hoch, und ich war mir sicher, er witterte, dass das nur der halben Wahrheit entsprach. Ich brachte es trotzdem nicht über mich, ihm zu sagen, dass mich das Ganze leider gar nicht packen konnte. Ich hatte ja schon genug damit zu tun, nicht daran zu denken, dass mir noch einige Tage wie dieser bevorstanden. Meine Wochenendplanung für die nächste Zeit war im Eimer. Damit hatte ich also jeden Grund, angepisst zu sein. Und diese Laune wollte ich nicht an ihm auslassen. Das hatte er nicht verdient.
Er schien zu merken, worum es mir ging, und nickte schließlich. »Wenn was ist, ruf mich an, okay? Und bleib auf dem Gelände. Um sieben Uhr abends fängt das Abendprogramm mit der offiziellen Eröffnungszeremonie an. Vielleicht bist du bis dahin zurück, dann wird es nämlich richtig voll hier. Und wirklich spannend.«
Süß, wie er versuchte, mich nach wie vor für den Sport zu begeistern.
»Klar, um sieben bin ich wieder da.« Erstens waren es noch fast zwei Stunden bis dahin, und zweitens wusste ich sowieso nicht, was ich so lange tun sollte. Ich würde einfach herumschlendern und darauf hoffen, dass die Zeit schnell verging, bis wir endlich im Auto und zurück auf dem Weg nach Hause waren.
Er nickte mir noch einmal zu, dann schob ich mich, mehrere Entschuldigungen murmelnd, zwischen den Leuten hindurch zu den Treppen.
Als ich mich etwas von dem Motorenlärm entfernt hatte, beschloss ich, mir eine ruhige Ecke zu suchen und meine beste Freundin Jen anzurufen.
»Hey, Schatz?! Alles okay? Ich dachte, du bist heute mit Aaron bei diesem Sportding?« Ihre Überraschung war in jedem Wort zu hören.
»Bin ich auch, aber ich sterbe hier vor Langeweile.« Ich erzählte ihr von meinem bisherigen Tag und von meiner Vermutung, dass Aaron mich absichtlich quälte.
Sie lachte auf. »O Mann, ich weiß gerade echt nicht, was ich dazu sagen soll. Ich meine, ich würde alles dafür tun, um mit dir tauschen zu können!«
Ich stutzte. »Seit wann interessierst du dich für Supercross?«
»Der Sport ist mir egal, aber hey, du kannst den ganzen Tag mit Aaron verbringen!«
»Ja … und?«
»Hallo?«, rief sie mir ins Ohr. »Er ist wohl mehr als heiß! Ich dachte, du hättest dem allen zugestimmt, um ungestört Zeit mit ihm genießen zu können. Wenn nicht sogar, dass du das selbst extra eingefädelt hast.«
»Ähm … du weißt schon, dass Aaron wie ein Bruder für mich ist?«
Einen Augenblick lauschte ich ihrem Schweigen. »Echt jetzt?« Sie klang wirklich überrascht.
»Ja!«
»Und … er sieht das auch so?«, wollte sie zögernd wissen.
Für einen Moment dachte ich über ihre Worte nach, rief mir Situationen mit ihm in Erinnerung und überlegte, ob ich etwas übersehen hatte. »Ganz sicher«, erwiderte ich im Anschluss. Abgesehen davon, dass Kiran erst mich und anschließend Aaron umbringen würde, wenn da was zwischen uns laufen würde.
»Wow … Das ist …« Sie holte tief Luft. »Also so wirklich überzeugt bin ich noch immer nicht von deiner Aussage, immerhin verbringt ihr so viel Zeit miteinander. Seit Jahren! Und hey, er sieht einfach unfassbar gut aus, ist witzig, charmant, gebildet. Ich meine, er hat Physik studiert! Ich weiß gerade mal, dass der Strom aus der Steckdose kommt. Da imponiert mir das doppelt!« Sie lachte über ihren eigenen Scherz, mit dem sie vermutlich gar nicht mal so danebenlag. »Also … uff. Dass da nichts zwischen euch laufen wird, ist eine Neuigkeit, die ich erst mal verdauen und mit der ich klarkommen muss. Das eröffnet mir ganz neue Möglichkeiten. Ich meine, bisher hab ich mich immer von Aaron ferngehalten, weil ich davon ausgegangen bin, dass ich euch beiden in die Quere kommen würde.«
»O Gott, du stehst auf ihn? Echt jetzt?« Ich konnte gar nicht fassen, was sie mir da eben gebeichtet hatte. »Wieso hast du mir das nie gesagt?«
»Na … weil ich doch dachte, dass du und er …« Sie schnaubte. »Okay, mein Leben hat sich durch dieses Gespräch gerade um hundertachtzig Grad gewendet«, lachte sie ins Telefon und wirkte mit einem Mal unglaublich erleichtert. »Ach du heilige … Denkst du, er könnte auf mich stehen? Ich meine … bin ich sein Typ?«
Ich überlegte, mit welchen Frauen ich ihn bisher gesehen hatte, jedoch konnte ich mich nicht erinnern, ihn schon einmal in einer Beziehung erlebt zu haben. Vielleicht war er eher freiheitsliebend. Ich hatte ihn nie danach gefragt. Doch das würde ich nachholen, sobald ich wieder bei ihm war. »Ich finde es für dich heraus«, versprach ich. »Aber mach dir nicht allzu große Hoffnungen, Süße. Ich hätte ihn jetzt nicht als den klassischen Beziehungstyp eingeschätzt.«
»Schon gut. Und falls dir doch klar wird, dass du mehr für ihn empfindest … lasse ich dir natürlich den Vortritt.«
Ihre Rücksichtnahme trieb mir beinahe die Tränen in die Augen. »Ich hab dich lieb, Jen. Ich melde mich morgen bei dir, wenn ich aus dieser Supercross-Hölle raus bin.« Letzteres hatte ich so leise gesagt, dass nur sie mich verstand. Inzwischen hatte ich gelernt, dass man hier manche Sachen besser für sich behielt, besonders wenn es mit der mangelnden Begeisterung für den Sport zu tun hatte.
»Halte durch, Mae!«
Nachdem ich aufgelegt hatte, beschloss ich, einmal ganz hinaufzugehen, um vom obersten Rang hinabzusehen. Dort angekommen hielt ich inne. Es war ein überwältigendes Gefühl, so hoch oben zu stehen, und irgendwie auch beängstigend. Für einen Moment musste ich daran denken, was wäre, wenn hier ein Feuer oder eine Massenpanik ausbrechen würde, verschob den Gedanken aber schnell wieder in die hintersten Winkel meines Kopfes.
Danach beschloss ich, tatsächlich nach unten und hinaus an die frische Luft zu gehen, abermals weg von dem ganzen Lärm. Mein Schädel dröhnte vom ständig hohen Geräuschpegel sowie dem Geruch nach fettigem Essen, der mir von jeder neuen Ecke entgegenwehte. Außerdem musste ich über Jens Worte nachdenken. Hatte mich Aaron deshalb mitgenommen, weil er sich mehr von mir erhoffte? War da etwas direkt vor meiner Nase passiert, was ich nicht wahrgenommen hatte? Ich meine, es war schließlich nicht alltäglich, dass der beste Freund des Bruders so viel Zeit mit einem verbrachte – seit Neuestem sogar mehr mit mir als mit ihm. Oder etwa doch?
Meine Argumentation hatte sich immer darauf gestützt, dass Aaron ein Einzelkind war und bei Kiran und mir Anschluss gesucht hatte, weil ihm zu Hause regelmäßig langweilig gewesen war. Immerhin kannten sich Kiran und er seit der Junior High, und seitdem ging Aaron auch bei uns ein und aus, als wäre unser Zuhause sein Zweitwohnsitz. Er war eines Tages aufgetaucht und war von da an nicht mehr wegzudenken gewesen. Trotzdem versuchte ich nun, alles Erlebte mit anderen Augen zu sehen.
Gott, war mir übel.
Hatte mich Aaron deshalb auf die Partys begleitet, um dafür zu sorgen, dass mich nicht irgendwelche Typen anquatschten? Hatte er wie ein Platzhirsch sein Revier verteidigt, das nur ihm allein gehören durfte? Nein. Er war nie dazwischengegangen, wenn er mich mit einem Kerl knutschend gesehen hatte. Gut, die meisten hatte er auch gekannt und sie wohl alle für gut befunden. Aber er hatte sich mir gegenüber danach kein einziges Mal seltsam verhalten. Er hatte sich, wenn überhaupt, dann nur immer in jenen Momenten eingemischt, in denen mir einer zu aufdringlich geworden war. Und das war mir nur recht gewesen. Mal abgesehen davon, dass ich mich nicht im betrunkenen Zustand auf einer Party von einem Namenlosen flachlegen ließ.
In meinen Grübeleien versunken, fand ich mich irgendwann in Gängen wieder, in denen es völlig ruhig war. Nur leise drang von draußen das Schnurren der Motoren zu mir. Ein beklemmendes Gefühl überkam mich, noch mehr, als ich bei einer Gruppe Menschen vorbeikam, die heftig miteinander diskutierte. Einer der Männer trug einen Anzug und war vermutlich von der Security, und ich befürchtete, dass ich mich hier nicht aufhalten sollte. Mit eingezogenem Kopf lief ich weiter, weil ich vor mir eine Treppe entdeckte und hoffte, dass mich diese an die frische Luft bringen würde. Unten angekommen, fand ich mich tatsächlich vor einem Ausgang wieder, der nach draußen führte.
Endlich. Und da die Tür mit einem Keil offen gehalten wurde, bestand auch nicht die Gefahr, dass ich nicht mehr zurück nach drinnen kam. Also trat ich hinaus und sog gierig Sauerstoff in meine Lungen.
Nur langsam legte sich das flaue Gefühl in meinem Magen, als ich mich an der Außenmauer anlehnte und tief ein- und ausatmete. Ich blinzelte gegen die nun wieder tiefstehende Sonne an und konnte eine beachtliche Menge an Wohnwagen und Bussen vor mir entdecken. O Gott, war das hier das Fahrerlager?
Wäre ich ein Fan, hätte ich vermutlich gerade den Himmel auf Erden entdeckt. So aber war ich ziemlich unbeeindruckt. Trotzdem war meine Neugier geweckt und ich drückte mich von der Wand weg, um ein wenig umherzuschlendern.
Aaron würde ausflippen, wenn ich ihm davon erzählte, dass ich einen Fahrer getroffen hatte.
Ha! Was für ein Spaß!
Gerade begann mir der Aufenthalt hier um ein Vielfaches besser zu gefallen. Aaron wäre von Neid zerfressen, und allein diese Vorstellung trieb meine Laune in die Höhe.
Nein, ich hegte keine Gefühle für Aaron. Er war einfach nur ein guter Freund. Warum sonst würde es mir so viel Spaß machen, ihn mit dieser Sache aufzuziehen?
Dann fiel mir ein, dass ich das Ganze womöglich sogar zu meinem Vorteil nutzen konnte. Wenn ich mich nämlich tatsächlich auf die Suche nach einem Fahrer machte und ihn um ein Autogramm bat, hätte ich unter Umständen ein Druckmittel, um Aaron davon abzubringen, mich wirklich zu allen fünf weiteren Rennen mitzunehmen. Vermutlich wäre das ein gutes Argument, ihn auf vier runterzuhandeln. Oder vielleicht sogar auf drei. Mal schauen, wie viel ihm ein Originalautogramm wert sein würde …
»Bleib stehen, Guyette!« Domenic Ramos’ Stimme dröhnte hinter mir. Mit einem lauten Klatschen schlug seine Hand gegen meinen Rücken, und am liebsten hätte ich diesem Vollhonk eine übergezogen. »Verdammt, ich rede mit dir!«
Normalerweise brachte man mich nicht so schnell zur Weißglut, aber er hatte etwas an sich, das meine Aggressionsbereitschaft steigen ließ. Langsam drehte ich mich zu ihm um, die freie Hand zu einer Faust geballt. In der anderen trug ich meinen Helm, den ich fast noch lieber gegen ihn verwenden würde, sowie mein Handy und meine Pfefferminzdose.
Er grunzte wie ein Wildschwein und baute sich vor mir auf. »Glaub nicht, dass du alles gewonnen hast, nur weil du dieses Mal vor mir ins Ziel bist. Das war das Qualifikationsrennen, nicht mehr. Das bedeutet gar nichts!« Er zog Rotz hoch und spuckte ihn dann neben mir auf den Boden. »Erst am Ende wird sich rausstellen, wer von uns beiden wirklich der bessere Fahrer ist. Nämlich ich!«
Am liebsten hätte ich ihm sein widerlich selbstgefälliges Grinsen aus der Visage massiert. Was bildete sich dieser dahergelaufene Idiot eigentlich ein? Klar, er war mit seinen zweiundzwanzig Jahren das neue Supercross-Wunder, war wie aus dem Nichts aufgetaucht und hatte in den letzten Monaten schon bei mehreren Rennen bewiesen, dass er ein ernst zu nehmender Gegner war. Nicht umsonst hatte er sich wie kein anderer für diese Weltmeisterschaft qualifiziert. Trotzdem trat er hier mit einer Arroganz auf, als hätten wir alle jetzt das Feld zu räumen und als würde die Siegestrophäe einzig auf ihn warten.
»Diese Saison hat gerade erst begonnen, Ramos. Und es ist nun mal so, dass ich der Favorit bin. Was daran liegt, dass ich besser fahre als du, wie du eben gemerkt hast.« Durch meinen abfälligen Tonfall ließ ich ihn wissen, wie viel ich von ihm hielt, und drehte mich auf dem Absatz um, um so weit wie möglich von diesem Arschloch wegzukommen.
Doch er packte mich am Oberarm. »Ich werde gewinnen, Guyette. Das ist so sicher wie das Amen im Gebet. Genauso, wie ich aus unserer Wette als Sieger hervorgehen werde.« Sein Blick sagte mir, dass er fest davon überzeugt war und dass es seiner Meinung nach kein Rütteln daran gab. Als sei schon jetzt alles in Stein gemeißelt.
Ich lachte laut auf. »Du hast wirklich keine Ahnung, gegen wen du antrittst.« Damit drehte ich mich abermals um und ließ den Idioten einfach stehen, ehe ich etwas getan hätte, das mich gleich am ersten Tag disqualifizierte.
Ich konnte mich nicht allzu weit vom Stadion entfernen, aber ich brauchte Frischluft, musste weg von hier, bevor ich … keine Ahnung. Wütend nahm ich ein Pfefferminz aus der Dose, die ich schon seit meiner Kindheit hatte, und warf es mir in den Mund. Sofort strömte frische Kühle und leichte Süße in meinen Mund, aber ich war immer noch auf hundertachtzig. Ich versuchte, mich abzulenken und rieb mit dem Daumen über den rotblauen Aufdruck auf dem silbernen Deckel. Er war abgegriffen, und an einer Stelle war die Farbe ganz ab, weil mir das Ding mal auf den Asphalt gefallen war. Aber sie war eines der wenigen Andenken an meinen Grandpa, weshalb ich mich nie von ihr hatte trennen können. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie er sie mir auf dem Jahrmarkt gekauft hatte. Ich musste sieben oder acht Jahre alt gewesen sein und hielt sie seitdem in Ehren.
»Ah, Eric, hier bist du!«, hörte ich die Stimme meines Trainers Billy Payne. Seufzend hielt ich an und drehte mich zu ihm um. »Wo willst du hin?«
»Raus!«, antwortete ich zwischen zusammengebissenen Zähnen und stand kurz vorm Durchdrehen.
Er blieb vor mir stehen und musterte mich einen Augenblick. Dann nickte er und streckte mir seine Hand entgegen. »Gib mir den Helm. Und sei pünktlich zurück, hörst du? Ich muss mich auf dich verlassen können.«
Meine Antwort bestand nur aus einem ausweichenden Blick und einem Nicken. Zwar arbeiteten Billy und ich erst seit ein paar Monaten zusammen, aber wir verstanden uns ohne viele Worte. Oder zumindest konnte er mich lesen wie ein offenes Buch, denn er begriff, wann ich für mich sein wollte, an die frische Luft musste oder auf dieses oder jenes wirklich keinen Bock hatte. Er wusste jedoch auch, wann ich einfach nur einen Arschtritt brauchte, um mich aufzuraffen und zu tun, was mein Job war: zu fahren wie der Teufel.
»Danke«, murmelte ich dann doch, weil mir klar war, dass er Wert auf diese Höflichkeitsfloskeln legte wie kein anderer. Vielleicht machte er mich zu einem besseren Menschen. Wobei … neee, das war nicht möglich.
Ich reichte ihm Helm und Pfefferminzdose, nickte ihm zum Abschied noch einmal zu und lief zur Tür, die nach draußen führte. Tief atmete ich die frische Luft ein und ließ das leise Summen der Motoren hinter mir.
Eine Weile ging ich über den Platz, vorbei an ein paar Eingängen zum Stadion, ehe ich unser Motorhome erreichte. Zwar hätten wir locker mit dem Auto hierherfahren können, mein Bike auf einem Anhänger, aber ich brauchte die Möglichkeit, mich völlig zurückzuziehen und mich von diesem Wahnsinn abzuschotten. Da ich während des Renntages nicht einfach zurück in ein Hotel konnte, war das die beste Art, um abzuschalten.
Ich öffnete die Tür per Fingerscan und setzte mich, ohne einzutreten, auf die unterste Stufe. Tief atmete ich ein und spürte die Frische des Pfefferminzbonbons bis in den Rachen. Aber wirklich entspannter wurde ich dadurch trotzdem nicht.
Seufzend entsperrte ich mein Smartphone und scrollte wahllos durch meine Social Media Apps.
Dieser Ramos regte mich derart auf, und wenn ich daran dachte, ihn bis zum Ende der Saison ertragen zu müssen, wurde mir übel. Die Vorstellung, dass er ab sofort sogar die nächsten Jahre dabei sein könnte, schüttelte ich ab. Damit wollte ich mich noch gar nicht befassen. War ja schon schlimm genug, dass ich jetzt immer seine dreckige Visage sehen musste.
Ich navigierte mich zu den Fotos, wo das letzte Bild ein Selfie von meiner besten Freundin Brooke war. Sie zeigte mir ihre Zunge und das Victory-Zeichen. Im Hintergrund konnte ich die Einrichtung einer Umkleide erkennen, die genauso aussah wie die Herrenumkleide hier, und sie trug bereits ihre Rennkleidung. Sie hatte mir das Foto geschickt, kurz bevor es losging, verbunden mit den Worten: »Viel Glück, wir sehen uns auf dem Siegertreppchen!«
Ich hatte schmunzeln müssen, als ich diese Nachricht vor Beginn des ersten Qualifyings gelesen hatte. Brooke war ohne Frage die beste Fahrerin, die ich je erlebt hatte. Trotzdem war es unmöglich, dass sie so weit oben platziert sein würde. Nicht hier. Nicht, wo die Besten der Besten gegeneinander antraten. Allein die Tatsache, dass sie sich bereits im zweiten Jahr in Folge für die Weltmeisterschaft qualifiziert hatte, war der absolute Hammer.
Seit der letzten Saison war sie mit dabei, und schon damals hatte sie mir imponiert mit ihren Sprüchen, die so voller Selbstbewusstsein waren. Natürlich hatte sie nicht den Hauch einer Chance, ganz oben mitzumischen, aber sie hatte im Vorjahr alle mit ihrer Leistung überrascht und befand sich nach wie vor auf einem Höhenflug. Die Firmen rissen sich darum, ihr Sponsorings anzubieten, sie wurde zu unzähligen Interviews geladen, und jeder berichtete über sie. Ihr Instagram-Account war dermaßen explodiert, dass andere neidisch auf ihre Followerzahl wären. Doch mir hatte sie verraten, wie unheimlich das alles für sie war. Was sie nur noch sympathischer machte. Sie war nicht erfolgsgeil, sie fuhr aus Liebe zum Sport. Das zeichnete sie auf jeden Fall aus. Ich kannte zu viele, die nur einem Sieg nach dem anderen hinterherjagten – des Gewinnens wegen. Weil sie süchtig waren nach der Anerkennung, der Aufmerksamkeit und dem Ruhm.
Und verdammt, ich hatte eine Menge von Brooke gelernt, fast noch mehr, als mir mein Trainer beigebracht hatte. Weniger über Supercross, dafür umso mehr, was den Umgang mit Frauen betraf.
Schlechtes Gewissen überkam mich, als ich ein paar Fotos weiterblätterte und die der Mädels fand, die ohne ihr Wissen Teil eines weiteren Wettkampfs geworden waren.
Auf dem einen war Sandra zu sehen. Sie lag nackt und schlafend an mich gekuschelt, mit von unserem Sex zerzausten Haaren. Meine Finger zeigten eine Vier an, was bedeutete, dass sie die vierte Frau war, die ich seit knapp einer Woche flachgelegt hatte, weil ich Idiot mich auf nicht nur einen, sondern zwei Konkurrenzkämpfe mit Domenic Ramos eingelassen hatte.
Ich wischte nach links, wo ich Krystal und mich sah, wie ich die Drei symbolisierte. Postkoitale Frisur, viel Haut. Einige Fotos später Alice, zwei Finger. Noch ein paar Bilder weiter stieß ich auf das mit Justine, die Erste in dieser Wette. Ihre blonden Haare waren zu kurz, um zu beweisen, wie wild wir es getrieben hatten, doch man konnte die Rundung ihres nackten üppigen Busens erkennen.
Ich schloss die Augen und verfluchte mich dafür.
Keine Ahnung, welcher Teufel mich geritten hatte, mich auf diesen Wettkampf mit Ramos einzulassen.
Doch, ich wusste es schon. Und trotzdem war es auch ein bescheuertes Kräftemessen, wer die meisten Frauen während dieser Saison flachlegen würde. Aber als ich die Chance gehabt hatte, Nein zu sagen, hatte sich alles in mir gesträubt. Denn diese Wette kam gerade zum rechten Moment. Zudem wollte ich vor Ramos keine Schwäche zeigen, ihm nicht das Gefühl geben, er hätte mich kleingekriegt. Ich hätte einfach drüberstehen müssen. Ich wollte nicht, dass er sich mir überlegen fühlte. Der Hauptgrund jedoch war noch einmal ein anderer: Ich konnte meinen kleinen Bruder nicht im Stich lassen …
Brooke würde mich vermutlich schlagen, wenn sie von dieser Abmachung erfuhr. Sie war total gegen diesen frauenverachtenden Kram. Wenn ich bei klarem Verstand war, verabscheute ich mich, weil ich mich auf diese pubertäre Vereinbarung eingelassen hatte. Aber jetzt gab es für mich kein Zurück mehr. Ich würde mein Gesicht verlieren, würde Ramos zu viel Macht zugestehen. Macht, die er eindeutig nicht verdient hatte. Und ich würde ewig mit dem Wissen leben müssen, Zac im Stich gelassen zu haben. Und genau deswegen habe ich eben nicht drüberstehen können.
Weiterzumachen, war die einzige Option, diesen kleinen Pisser in seine Schranken zu weisen und ihm klarzumachen, dass er nicht immer alles bekam, was er sich in den Kopf setzte. Auch wenn er es dank seiner stinkreichen Eltern wohl nicht anders kannte.
Die Regeln waren einfach: Bis zum letzten Rennen in Las Vegas Anfang Mai so viele Frauen wie möglich flachlegen. Direkt im Anschluss an den Sex ein Beweisfoto senden, das einen mit der Frau in eindeutiger Pose zeigte. Mit den Fingern sollten wir symbolisieren, die Wievielte es war – nach der Zahl Fünf ging es wieder von vorne los. Es war vereinbart, uns gegenseitig diese Bilder zu schicken, um sicherzugehen, dass der andere nicht schummelte. Dass ich schon bei der ersten Aufnahme, die ich ihm hatte zukommen lassen, so geistesgegenwärtig reagiert und das Gesicht von Justine und später auch der anderen Frauen für Ramos unkenntlich gemacht hatte, half nicht darüber hinweg, dass ich ihre Privatsphäre verletzt hatte. Dieses Wissen trug zusätzlich dazu bei, dass ich mich so schäbig fühlte.
Wenn ich bedachte, dass ich in den wenigen Tagen auf vier Frauen kam, Ramos sogar auf sechs, wurde mir übel. Noch mehr störte mich die Art des Aufnahmewinkels von Ramos, bei dem ich von den Frauen immer den blanken Hintern und Rücken zu sehen bekam, wie er sich – voll in Action – an ihnen bediente. Und falls sie im Moment der Aufnahme über die Schulter geschaut hatten, hatte er sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihr Gesicht zu übermalen oder wegzuschneiden.
Erst jetzt realisierte ich, worauf ich mich eingelassen hatte, und wünschte mich an den Tag der Entscheidung zurück, um klipp und klar Nein zu sagen. Aber das ging nicht. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel, weil ich Idiot zugesagt hatte, um die Hälfte des Preisgeldes zu wetten.
Das Problem war nur: Noch nie zuvor war ich so sehr darauf angewiesen gewesen wie jetzt. Ich musste alles daransetzen, am Ende zu gewinnen, weil ich jeden einzelnen Cent davon brauchte.
Aus dem Augenwinkel beobachtete ich eine Frau, die zwischen den kleinen Wohnwagen, großen Motorhomes und geparkten Autos herumschlich, und mich aus meinen Gedanken riss. Keine Ahnung, wie ich darauf kam, dass sie nicht hierhergehören konnte, aber ich sperrte mein Handy, stand auf und schloss die Tür. Dann schaute ich mich um, ob ihr noch jemand folgte, ehe ich mich an ihre Fersen heftete. Ich vermutete, dass sie ein Fangirl auf der Jagd nach einem Autogramm oder mehr war. Und sollte Letzteres zutreffen, war sie bei mir verdammt richtig. Selbst wenn ich mit meiner Vermutung falschlag, würde ich die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen, sondern versuchen, bei ihr zu landen. Immerhin stand eine ganze Menge auf dem Spiel. Zu viel …
Sie hatte kinnlange braune Haare und zumindest von hinten sah sie gut aus. Ein knallpinkes T-Shirt schmiegte sich an ihren schlanken Oberkörper, ihre Beine steckten in einer engen Jeans und trotz der Absätze ihrer wadenhohen Stiefel war sie kleiner als ich.
Ein kurzes Stück weiter wurde sie langsamer und schob sich halb hinter einen Trailer.
Interessiert näherte ich mich ihr, ehe ich sah, was sie beobachtete: Dieser Wichser von Ramos nutzte seine Pause doch tatsächlich, um eine Frau klarzumachen.
Wut stieg in mir auf, ehe mir bewusst wurde, dass ich das ja auch gerade vorhatte. Und diese Frau vor mir würde mich zumindest nicht noch weiter in der Wette zurückwerfen, weshalb ich es nicht versauen durfte. Ich hatte nicht viel Zeit, bis das nächste Rennen startete, und ich musste jede Chance nutzen, die sich mir so offensichtlich bot.
Ramos zog seine rothaarige Eroberung – eine Frau, die eindeutig ein Fan von ihm war, wenn man bedachte, dass sie seine Startnummer auf ihrem T-Shirt trug – gerade hinter sich in seinen Trailer. Meine Gelegenheit, die Aufmerksamkeit der hübschen Brünetten zu erlangen.
»Unter zehn Minuten«, sagte ich mit etwas Abstand zu ihr und konnte mir ein Schmunzeln nur schwer verkneifen, da sie sich so erschrocken zu mir umdrehte, als hätte ich sie beim Klauen ertappt.
»Wie bitte?«, fragte sie außer Atem und schaute sich vielleicht eine Spur zu verunsichert um.
Mit dem Kopf deutete ich auf Ramos’ Trailer. »Ich wette mit dir, dass die beiden unter zehn Minuten wieder rauskommen.«
»Was … Wieso sollte mich das kümmern? Ich kenne weder sie noch ihn.«
»Da hast du vermutlich auch nichts verpasst. Er ist niemand, den es sich zu merken oder zu kennen lohnt«, sagte ich, weil ich mich nicht zurückhalten konnte.
Misstrauisch musterte sie mich von oben bis unten. »Er ist einer deiner Konkurrenten.« Das war keine Aussage, sondern klang eher wie eine Schlussfolgerung.
Ich lachte auf. »Das denkt er ebenfalls, doch ich weiß, dass ich besser bin als er.«
Sie hob eine Augenbraue. »Bist du immer so von dir selbst überzeugt?«
Natürlich, wollte ich sagen, entschied mich aber für: »Nur dann, wenn ich mir sicher bin.«
Ein Lächeln huschte über ihre Lippen.
»Also … was denkst du?«
»Worüber?«, fragte sie sichtlich irritiert.
Ich wies erneut mit dem Kopf in Richtung Ramos. »Über oder unter zehn Minuten«
Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich weiß ja nicht, was die dort drinnen tun.« Im selben Augenblick konnte ich die Erkenntnis in ihren Augen aufblitzen sehen.
»Also das liegt ganz klar auf der Hand«, erwiderte ich in dem Moment, als durch eines der gekippten Fenster das Stöhnen der Rothaarigen zu hören war.
»Oh!« Röte stieg ihr ins Gesicht, als sie den akustischen Beweis bekam.
Dass sie so unschuldig, ja fast naiv wirkte, war süß. Heiß. Aber es erschwerte vermutlich auch mein Vorhaben, sie noch heute in mein Bett zu bekommen. Ich wäre jedoch nicht Eric Guyette, wenn ich vor Herausforderungen zurückschrecken würde.
»Also?«, bohrte ich nach, weil sie sich zierte.
Sie reckte ihr Kinn in die Höhe. »Ich glaube, dass sie länger als zehn Minuten da drin sind.«
Ich holte mein Handy aus der Hosentasche und drehte es ihr zu, sodass sie die Uhr sehen konnte. »Okay, weil ich nicht so bin und dir auch eine Chance geben will … Die beiden sind seit vielleicht drei Minuten beschäftigt, was bedeutet, dass sie in frühestens sieben wieder rauskommen dürfen, damit du gewinnst.«
Sie nickte. »Alles klar, ich bin dabei. Worum möchtest du wetten?«
Ich schmunzelte. Sie war tough. Das gefiel mir.
»Wenn du gewinnst, bekommst du ein Autogramm von mir. Wohin du willst.« Ich wackelte mit den Augenbrauen, woraufhin sich ihr Blick verfinsterte.
Shit, das war wohl die falsche Richtung!
»Wenn ich gewinne, bekomme ich ein Autogramm von dir und von ihm.« Sie zeigte über ihre Schulter zu dem Trailer, aus dem inzwischen vergnügtes Stöhnen und andere brunftige Sexlaute drangen.
Gänsehaut kroch mir bei der Vorstellung, was da drinnen abging, über den Rücken. Trotzdem konnte ich mir ein lautes Lachen nicht verkneifen und hoffte nur, dass Ramos es nicht hören würde – doch nichts deutete darauf hin, dass er sich von seinen Absichten abhalten ließ. »Bist du ein Fan?«
»Ich?« Sie sah mich schockiert und mit großen Augen an. »Nein. Ich bin nur hier, weil ich Aaron, dem Freund meines Bruders, einen Gefallen tue. Er brauchte eine Begleitung und … ich stand noch in seiner Schuld.« Sie zuckte mit den Schultern. »Supercross ist aber nicht so meins, habe ich feststellen müssen. Sorry, nichts für ungut«, fügte sie hinzu, da sie meinen überraschten Blick sah.
»Okay, das ist … ungewöhnlich«, murmelte ich. »Und trotzdem willst du gleich zwei Autogramme?«
Sie nickte. »Klar, für Aaron. Vielleicht muss ich ihn dann zu keinen weiteren Rennen mehr begleiten.«
»Was wahnsinnig schade wäre«, entfuhr mir unbewusst.
Sie lächelte und wich verlegen meinem Blick aus.
»Na gut. Mein und sein Autogramm, wenn du als Siegerin aus dieser Wette hervorgehst. Sollte jedoch ich gewinnen, bekomme ich von dir einen Kuss.«
Sofort hatte ich wieder ihre volle Aufmerksamkeit. »Das wird nicht passieren.«
»Hey, das ist der Einsatz. Glaub mir, mich zu küssen, wird für dich nicht einmal ansatzweise so schlimm, wie es für mich eine Überwindung sein wird, Domenic Ramos um ein Autogramm zu bitten.«
Belustigt musterte sie mich. »Du kannst diesen Kerl wirklich nicht leiden«, stellte sie fest.
»Nicht ein bisschen.«
Entschlossen streckte sie mir eine Hand entgegen. »Okay, die Wette gilt.«
Sie war sich so sicher, gegen mich gewinnen zu können!
Und ich hatte ein verdammt mulmiges Gefühl. Die zehn Minuten waren tatsächlich schon sehr knapp bemessen, und ich Idiot hatte ihr die ersten drei auch noch schenken müssen.
»Alles klar.« Verbissen schlug ich ein. »Ich heiße übrigens Eric Guyette«, sagte ich.
Ihr Blick klärte sich mit der Erkenntnis. »Du bist der, der vorhin bei der Qualifikation Erster war.«
Ich grinste mein bestes Siegerlächeln. »Der bin ich. Verrätst du mir auch deinen Namen? Schließlich muss ich wissen, wie die schöne Frau heißt, die ich gleich küssen werde.«
Sie schnaubte auf und schüttelte lächelnd den Kopf. »Diese Wette gewinne ich. Aber ich will mal nicht so sein. Ich bin Mae Headrick.«
»Freut mich, dich kennenzulernen.«
»Mich auch, Eric.«
Mir fiel auf, wie schön ihre blaugrauen Augen waren. In ihnen spiegelte sich ihre Unschuld, während gleichzeitig ein Sturm darin tobte, der mich völlig aus dem Konzept brachte. Dazu ihre Mundwinkel, die nach oben zuckten, als sie mein Gesicht musterte.
Ich lenkte all meine Aufmerksamkeit auf ihre Lippen, die ich auf jeden Fall heute noch küssen wollte – egal, ob als Einlösung des Wetteinsatzes oder später, wenn ich sie in mein Motorhome mitnahm.
Wenn Ramos, dieser Idiot, tatsächlich vor den zehn Minuten aus seinem Trailer stolpern würde, würde ich Mae sagen, dass ich sogar das besser konnte als er und dass bei mir auch die Frau auf ihre Kosten kam. Dass bei mir nicht nach so kurzer Zeit alles vorbei war …
Und hey, bisher war noch jede meinem Charme erlegen. Das hieß … fast jede. Brooke Ferguson war dagegen irgendwie immun. Aber da meine beste Freundin inzwischen wie die Schwester für mich war, die ich nie hatte, wäre es reichlich seltsam, wenn ich scharf auf sie wäre. Was bei diesem Exemplar vor mir jedoch ein ganz anderes Thema war.
Ich musste nur ein paar wenige Minuten abwarten, ehe ich mich voll ins Zeug legen und sämtliche Register ziehen würde, um sie endgültig von mir zu überzeugen. Mae war an mir interessiert, das erkannte ich an ihren Augen. Sie musterte mich so, wie mich Frauen immer ansahen. Mit dieser – bei ihr verhaltenen – Lust im Blick, unterstrichen durch die Zungenspitze, die über ihre Lippen glitt, um sie zu befeuchten. Als Vorbereitung für den Kuss, der unweigerlich folgen würde. Oh, wie ich mich darauf freute …
Doch da war noch etwas, was mich an Mae faszinierte. Ich konnte es nicht in Worte fassen, was sie von den anderen unterschied. Vielleicht war es die Tatsache, dass sie behauptet hatte, kein Supercross-Fan zu sein, ja überhaupt den Sport nicht zu mögen.
Vermutlich war es kindisch, aber ich bezog das auch auf mich, was mich nur zusätzlich anspornte, sie vom Gegenteil zu überzeugen.
Ihr Blick senkte sich auf meine Hand, in der ich das Smartphone hielt. Ich tippte auf den Bildschirm, bis die Uhrzeit wieder angezeigt wurde. »Er hat noch eine Minute«, sagte ich mit rauer Stimme und fragte mich, wie ich es anstellen könnte, ein Autogramm von Ramos zu bekommen, ohne dass ich ihn persönlich darum bitten müsste. Doch mir fiel gerade keine Lösung ein, weil sich in meinem Kopf alles um diesen Kuss drehte, den ich so sehr wollte, von dem ich aber nicht wusste, ob ich ihn bekam.
Das laute Krachen einer Tür, die gegen die Wand eines Trailers gedonnert wurde, riss mich wie Mae aus den Gedanken und zwang uns beide dazu, den Blick voneinander zu lösen und in Ramos’ Richtung zu lenken.
Der Kerl stolzierte tatsächlich heraus wie ein aufgeblasener Gockel nach dem Beglücken der armen Henne, die leicht derangiert hinter ihm hinausstolperte. Er richtete noch seine Rennkleidung, ehe sie sich zu ihm beugte, um ihn zu küssen. Sie griff nach seinem Unterarm, schob sein Shirt hinauf und kritzelte mit einem Stift was darauf – vermutlich ihre Nummer. Dann ging sie – direkt auf uns zu.
Schnell packte ich Mae an der Hand, zog sie ein paar Schritte mit mir und wirbelte sie herum, bis sie mit dem Rücken zum Wohnmobil stand, hinter dem wir uns versteckt hatten, um das Geschehen zu beobachten. Mit meinen Armen keilte ich sie ein und schirmte sie gleichzeitig mit meinem Körper gegen fremde Blicke ab.
Sie kämpfte gegen ein Kichern an, und auch ich konnte mir das breite Grinsen nicht verkneifen.
»Haben sie uns gesehen?«, fragte sie leise und war mir dabei so nah, dass ich ihren blumigen Duft einatmen konnte.
»Ich denke nicht«, raunte ich, den Blick auf ihr hübsches Gesicht gerichtet, vor das ihr ein paar Haarsträhnen gefallen waren. Langsam strich ich ihr diese hinter das Ohr, während ich ununterbrochen in ihre unglaublichen Augen schauen musste. Der Sturm des Ozeans darin nahm mich gefangen, zog mich an sich wie ein Sog, aus dem es kein Entkommen gab.
Ich merkte, wie sie heftig atmete, spürte ihre Hände an meinen Oberarmen. Ich fühlte diese Verbindung, die mich zu ihr hinzog, die mich fesselte und alles andere um uns herum ausblendete.
Keine Ahnung, wie lange wir so dastanden und ich in ihrem Blaugrau versank.
Erneut befeuchtete sie ihre Lippen und lenkte meine Aufmerksamkeit auf diese. Sie waren ungeschminkt, genau wie ihr restliches Gesicht, was ihr unglaublich gut stand.
»Ich habe gewonnen«, sagte ich mit rauer Stimme.
»Ich weiß«, flüsterte sie.
»Das bedeutet, dass ich dich jetzt küssen darf.«
Sie nickte.
Fuck, sie nickte, und ihre Mundwinkel hoben sich, als würde sie sich freuen, dass es so gekommen war.
Als sie ihre Augen schloss, bemerkte ich ihre langen dichten Wimpern und das kleine Muttermal, das sie auf ihrem linken Lid hatte, ehe sie sie wieder öffnete und ich schließlich abermals auf ihre Lippen sah.
Ich schluckte, atmete noch einmal tief ihren Duft ein. Löste meine Hände von dem inzwischen durch meinen Druck aufgewärmten Blech des Wohnmobils, legte eine an ihre Hüfte, die andere an ihre Wange und zog sie noch näher an mich.
Ihre Finger rutschten über meine Oberarme nach oben bis zu meinen Schultern, und es war, als spürte ich sie durch den Stoff hindurch brennend heiß auf meiner Haut.
Dann beugte ich mich zu ihr hinab, um meinen Gewinn einzufordern.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, und ich bemerkte einen leichten Anflug von Schwindel. Aber im positiven Sinn.
Ich interessierte mich wirklich so überhaupt nicht für Supercross, aber dieser Mann vor mir mit seinen warmen braunen Augen, aus denen der Schalk lachte, mit dem kantigen Kinn und der schwarzblauen Rennkleidung, die die kraftvollen Schultern und die schmale Taille betonte, hatte es mir auf jeden Fall angetan. Mehr noch, er brachte mich dazu, all meine Prinzipien zu vergessen. Denn normalerweise küsste ich keine Männer, die ich gerade mal seit knapp zehn Minuten kannte. Bisher hatte ich nicht die beste Meinung über Frauen gehabt, die sich Hals über Kopf in solche Abenteuer gestürzt hatten. Dass ich nun selbst eine von ihnen sein sollte – sein wollte –, war verrückt. Denn normalerweise hatte ich den Typ vorher immer kennenlernen und mich mit ihm unterhalten wollen. Wenigstens eine Stunde oder zwei, um zumindest ein paar Details zu erfahren, was derjenige studierte oder arbeitete, ob er Geschwister hatte, welche Ziele er in seinem Leben noch verfolgte … Von ihm wusste ich quasi nichts, außer dass er Eric hieß, Supercross fuhr und unter eindeutig zu hohem Selbstbewusstsein litt. Doch gleich würde ich ihn küssen, und Gott, verrückterweise sehnte ich mich danach.
Er war mir so nahe, hüllte mich ein mit seinem Duft. Er roch nach Draufgänger – wenn das überhaupt ging –, Pfefferminz, ein bisschen nach Erde und dieser herben männlichen Note, die ich am liebsten nie wieder vergessen wollte. Und jetzt hatte ich vor, herauszufinden, ob er auch so aufregend schmeckte.
Ich spürte seine Muskeln unter meinen Fingern, als er mich näher an sich zog und sich zu mir beugte. Sah dieses freche Funkeln in seinen Augen, während er kurz vor meinen Lippen ein letztes Mal stockte, um mir vielleicht doch noch die Möglichkeit zu geben, die Flucht zu ergreifen.
Ich würde fliehen, aber nur nach vorne, hinein in dieses Abenteuer, das mich so unerwartet packte, mich mit sich riss in einen Strudel aus prickelndem Funkenflug und unerwartetem Verlangen. Mein Herzschlag beschleunigte sich noch einmal, dann schloss ich die Augen und reckte ihm mein Kinn entgegen.
Ganz zart berührten seine Lippen die meinen, fast wie Schmetterlingsflügel, und strichen sanft darüber, bis sich ein sehnendes Seufzen aus meiner Brust löste.
Als hätte Eric diese Bestätigung gebraucht, wurde sein Griff an meiner Hüfte fester und sein Mund entschlossener. Er öffnete ihn, leckte neckend mit der Zunge über meine Unterlippe und sorgte dafür, dass ein kleines Feuerwerk in mir explodierte. Ich sehnte mich so sehr nach mehr, dass ich nicht länger zu warten imstande war, und doch hielt ich mich zurück, weil ich jeden einzelnen Moment genießen wollte.
Seine Zunge drang weiter vor. Ich kam ihm mit meiner entgegen, und als die beiden sich berührten, grollte ein leises, tiefes Stöhnen in Erics Kehle, das dafür sorgte, dass sich alles in meinem Schoß kribbelnd zusammenzog.
Ich wurde mutiger, fuhr mit den Fingern in seine am Hinterkopf kurzen Haare und presste meinen Oberkörper an seinen. Ich legte all mein Sehnen in diesen Kuss, der mich in völlig andere Sphären katapultierte.
Eric schmeckte noch viel aufregender, als ich erwartet hatte. Wie eine verbotene Frucht, etwas süßlich, aber mit einer leichten Schärfe von Minze und einer ganz eigenen Note, die mich süchtig nach mehr machte.
Der irrwitzige Wunsch kam in mir auf, er möge nie aufhören … bis er sich schwer atmend von mir löste.
Meine Lippen prickelten, in meinem Körper kribbelte es, meine Knie waren weich wie Butter und mein Herz schlug so heftig, als wäre ich gerade um mein Leben gerannt.
Immer noch hielt Eric mich fest an sich gepresst und sah mir dabei tief in die Augen. Es war, als läge Verwunderung in seinem Blick, aber so richtig konnte ich diesen Ausdruck nicht zuordnen.
Er schloss die Lider und schüttelte kurz den Kopf, ein Lächeln auf den Lippen. »Wow!«
Ich nickte nur, unfähig, einen klaren, zusammenhängenden Satz zu formulieren. Denn Wow beschrieb den Kuss nicht einmal ansatzweise. In den letzten Jahren hatte ich schon einige Männer geküsst. Aber nichts kam auch nur annähernd an die Gefühle heran, die Eric gerade in mir ausgelöst hatte.
Er strich mir sanft über die Wange, während seine andere Hand meinen Rücken streichelte. Ich wollte mich an ihn schmiegen, mich nie wieder von ihm lösen. Was verrückt war. Wir waren hier mitten auf dem Stellplatz vor dem Angel Stadium of Anaheim, und in Kürze würde er zurück zu den Rennen müssen.
»Ab sofort will ich jede Wette so gewinnen – mit einem Kuss von dir«, raunte er mir ins Ohr und schmiegte in unerwartet vertrauter Weise seine Wange an meine Schläfe.
Ich ließ die Arme sinken, führte sie hinter seinen Rücken und krallte mich nun doch in seinem Shirt fest, in der Hoffnung, ihn nicht loslassen zu müssen. Und dennoch wusste ich, dass das alles nur Wunschdenken war. Dass es für mich hier und heute wieder enden würde. Ich meine, das war Eric Guyette, einer der erfolgreichsten Supercross-Fahrer. Vermutlich hatte er jedes Wochenende ein anderes Mädchen an seiner Seite. Oder schlimmer: in seinem Bett.
»Na klar!« Den Sarkasmus in meiner Stimme versuchte ich nicht einmal zu vertuschen.
Eric schaute mich überrascht an, eine Augenbraue nach oben gezogen. »Natürlich! Wäre es anders, hätte ich das nicht gesagt. Meine Freunde werden dir bestätigen, dass ich immer alles so meine, wie ich es sage …« Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. »… was mir regelmäßig zum Verhängnis wird.« Er runzelte gedankenverloren die Stirn, als würde er sich an eine oder mehrere Situationen erinnern, in denen ihm seine gerade Art schon mal Kopf und Kragen gekostet hatte, bevor er mir wieder tief in die Augen sah. »Wirklich, Mae, das kannst du mir glauben. Ich bin vielleicht vieles, aber kein Lügner …«
Unschlüssig sah ich ihn an. Ich kannte ihn nicht, er konnte mir das Blaue vom Himmel erzählen.