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Nicht viele Dichter verfügen über die visionäre Bravour und Tiefgründigkeit, den Farb- und Formenreichtum, wie sie die kubanische Lyrikerin María Elena Blanco in Sobresalto al vacío entfaltet. Abseits der vielfältigen Tendenzen und Schulen von Lezamas Barock bis zu Nicanor Parras Antipoesie, die während der letzten Jahrzehnte die spanischsprachige Dichtung geprägt haben – Richtungen und Schulen, die María Elena Blanco ironisch als "Jenseitskanon" bezeichnet –, erfi ndet sie diese gleichzeitig neu in Textanordnungen, wo die Echos, inneren Resonanzen, Kontrapunkte eine Virtuosität erreichen, die ans Meisterliche grenzt, ohne je in die Falle der Abstraktion zu tappen. Im Gegenteil, es handelt sich um eine Poesie, die randvoll ist mit den Fakten der Wirklichkeit, dem Blut der Dinge und Geschehnisse. Die Lyrik María Elena Blancos bewegt sich auf verschiedenen physischen und geistigen Schauplätzen, wo sich die Sehnsucht, die Geschichte, die Kultur, die Sprachen verfl echten und ihre Grenzen verwischen. Das in sieben Teile gegliederte Werk ist eine bewegende Elegie an verlorene Orte und Menschen, Begegnungen mit Personen und Regionen, die der Geschichte oder dem Vergessen anheimfielen: Städte, Grabstätten, Havanna, Österreich, die erotischen Tempel von Khajuraho in Indien, die Brände Valparaísos. Sie alle erscheinen kraft der Sprache, als würden sie von Neuem geboren, strahlend und den Worten verbunden, die sie beschwören … Sobresalto al vacío ist das essenzielle Buch einer essenziellen Autorin, eine Lektion in Dichtung und Menschlichkeit. - Raúl Zurita
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Seitenzahl: 108
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BLANCO • SPRUNG INS BLAUE / SOBRESALTO AL VACÍO
MARÍA ELENA BLANCO
Lyrik
Übersetzung aus dem Spanischen von Wolfgang Ratz Mit einem Nachwort von Marie-Thérèse Kerschbaumer
Die Herausgabe dieses Buches erfolgte
mit freundlicher Unterstützung
der Stadt Wien.
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Tel. + 43(0)463 370 36. Fax. + 43(0)463 376 35
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Copyright © dieser Ausgabe 2016 bei Wieser Verlag GmbH,
Klagenfurt/Celovec
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-99047-064-0
La Dame à la licorne
Museo de Cluny, París
el posesivo yerra
hoy lo mío es dictamen
el granate adolece
la media edad se aleja
mimar el paladar
oír el canto ausente
oler fruto prohibido
verme yo en el espejo
doblegarte tu cuerno
librarme del collar
parto de islas azules
nadando entre la nada
a través de la nada
llevada por la nada
a mi único deseo
retomar voz y vida
estrellando la nada
La Dame à la licorne
Musée de Cluny, Paris
Es irrt das Attribut
heut ist mein Wunsch Befehl
es kränkelt der Granat
das Mittelalter schwindet
den Gaumen verwöhnen
das stumme Lied hören
die verbotene Frucht riechen
mich selbst im Spiegel sehen
dein Horn überwinden
mich von der Kette befreien
ich fahre von blauen Inseln
verschwimmend im Nichts
durch das Nichts
in der Strömung des Nichts
zu meinem einzigen Begehr
Stimme und Leben zurückzuholen
das Nichts in Sterne zu schlagen
des déesses en exil …
Yannick Haenel, La Dame à la licorne
A Nivaria Tejera
I
(no pudieron con ella
ni podrán
los ángeles exterminadores
los escribas)
voy sesgando el espacio
superpongo a la figura rumbosa
que traza Alechinsky de este barrio
la que fue mía, la excéntrica,
la deseante
los de aquí conjeturan
¿de dónde será?
atlántida o fenicia
distante
ignora los altares que enciende
conjura una inteligencia andrógina
sigo por esta calle como en trance,
cada paso una dilatada victoria contra el tiempo
o un destiempo feliz
(tal vez entonces ella
hubiese rehuido a la que yo era, tal vez
la que yo era no la hubiera adorado)
des déesses en exil …
Yannick Haenel, La Dame à la licorne
Für Nivaria Tejera
I
(sie kriegten sie nicht klein
und werden sie nicht kriegen
die Würgeengel
die Schreiberlinge)
ich neige den Raum
lege über die prächtige Gestalt
die Alechinsky zeichnet von diesem Bezirk
jene, die meine war, die exzentrische,
sehnsuchtsvolle
woher sie wohl kommt?
spekuliert man hier
Atlantin oder Phönizierin?
unnahbar
übersieht sie die an ihr entzündeten Altäre
beschwört eine androgyne Intelligenz
ich schreite die Straße wie in Trance entlang,
jeder Schritt ein verzögerter Sieg wider die Zeit
oder eine glückliche Unzeit
(vielleicht hätte sie damals
jene, die ich war, gemieden, vielleicht
hätte damals jene, die ich war, sie nicht verehrt)
cuando llamo a su templo de papiro,
atravieso el jardín en que se libran
mil batallas de plumas y arden rosas
ya transidas de invierno
responde
su voz hueca de cales y humedades
(polos de un magnetismo astral, alientos
del mismo aire ciclónico en claves
de reserva y desgaste)
desde su terciopelo
gris, su raso rojo, entre lienzos
cuarteados o sedosos, la diosa desafiante
ríe a medias, acepta
contemporizar con la ciudad, sorda ya
para siempre al crujir de algodones
en las azoteas azules
yo vuelvo al cubo albo, me esfumo
ella se recoge en su silencio fértil
(secretamente a veces, muy entrada la noche,
quemo aromas de inciensos
y me rindo a sus pies)
II
otra diosa la sueña en duermevela
y arranca sus propias glosas a la nada
klopfe ich an ihren Tempel aus Papier
quere ich den Garten, wo Federn
tausend Schlachten schlagen und Rosen
brennen, schon vom Frost erstarrt
antwortet
ihre Stimme, hohl von Kalk und Feuchtigkeiten
(Pole eines astralen Magnetismus, Atem
derselben Wirbelstürme, verschlüsselt
in Vorbehalt und Verschleiß)
von ihrem grauen
Samt, ihrem roten Satin, zwischen rissigen
oder seidigen Leinwänden, lacht die herausfordernde
Göttin ein halbes Lachen, ist bereit
sich der Stadt einzugemeinden, schon ertaubt
auf immer für das Rauschen der Wäsche
auf blauen Terrassen
ich kehre zum schneeweißen Würfel zurück,
löse mich auf, sie hüllt sich in ihr fruchtbares Schweigen
(insgeheim manches Mal, schon tief in der Nacht
entzünde ich Räucherwerk
und ergebe mich ihr zu Füßen)
II
eine andere Göttin träumt von ihr im Halbschlaf
und entwindet dem Nichts ihre eigenen Glossen
Das Glück beruht oft nur
auf dem Entschluss glücklich zu sein.*
(Proverbio alemán)
La felicidad (una buena taza de chocolate
luego del cumplido amor)
me ronda como un perro, me olfatea
y se hace polvo ante mis ojos.
Antonio Cisneros,
“Monólogo del falso J.W. Goethe, IV”
Templo de Atenea Niké
En el umbral del propileo abierta a nuestros
pies la mariposa negra un guiño
a la belleza frágil frente a tanta piedra,
naranja y negra mariposa indemne
como anunciándonos que la piedra también
hasta el mármol pentélico caerá
Templo de Poseidón
Al fin así las velas blancas se alzan sobre el mar
duras y flacas entre el viento y el azote
* A veces la felicidad consiste simplemente en proponerse ser feliz.
Das Glück beruht oft nur
auf dem Entschluss glücklich zu sein.
(deutsches Sprichwort)
Das Glück (eine gute Tasse Kakao nach
dem Liebesakt) streicht mir wie ein Hund
um die Beine, beschnuppert mich und
zerfällt vor meinen Augen zu Staub.
Antonio Cisneros,
»Monologe des falschen J. W. Goethe, IV«
Tempel der Athena Niké
Auf der Schwelle des Portals zu unseren Füßen
geöffnet der schwarze Schmetterling ein Memento
zerbrechlicher Schönheit angesichts all des Steins,
orange und schwarz schadloser Schmetterling
als künde er uns, auch der Stein
selbst pentelischer Marmor wird fallen
Tempel des Poseidon
Endlich steigen so die weißen Segel aus dem Meer
hart und schlank zwischen dem Wind und der Brandung
der Sonne, die filigranes Blut zur amethystenen
Kette schmiedet, und der gespiegelte Saphir
del sol forjando el preciosismo de la sangre
en amatista línea, y el díptico zafiro
encierra la cristalizada estela de Egeo
en su gran salto de ópalo
Templo de Afea
Dórica desapareció en la colina peinada de pinares
extintos, y una redecilla pistacho tierno
suple en levedad la carga de columnas reacias
un lecho de virgen ninfa a desvelar
todas allí de Atenas eternizando envidia y Afea
más y más bella en su invisibilidad
Pórtico de las Cariátides
La fácil fórmula de la dicha sobre una
taza roja en la terraza recoleta
de una taberna en que se ofrece chocolate
vienés mantel a cuadros flores verdes
claro de bosque, oscuro peso del ocio
en la falda del Partenón (con él)
birgt den gefrorenen Schaum
von Ägeus’ großem Sprung im Opal
Tempel der Aphaia
Dorisch verschwand sie im gerodeten Pinienkamm
des Hügels, ein feines Pistaziengeweb
wiegt an Leichtigkeit die Last der unbeugsamen Säulen auf
ein jungfräuliches Lager der Nymphe, die allen
Frauen Athens den Schlaf nahm, verewigter Neid, und
Aphaia schöner noch in ihrer Unsichtbarkeit
IV
Das simple Glücksrezept einer
roten Schale auf der beschaulichen Terrasse
einer Taverne wo man Wiener Kakao serviert
kariertes Tischtuch, grüne Blumen
Waldlichtung, dunkle Schwere der Muße
am Hang des Parthenon (mit ihm)
A David Huerta
1
¿Quién soy tú? ¿Quién
eres yo? Tú yo tú yo tú …
Exceso y majestad, dices.
¿No será indigencia
de nuestra condición
pequeña,
desnuda en su
deriva ciega? Lenguaje
es comodín supletorio y
sus doncellas Gramática
y Sintaxis tapones que
detienen la sangría
del ser. Y eso si es que
alcanzamos a brillar
unos instantes de luz
negra. La segunda
persona no es menos
quimera que la primera,
tropos aleatorios inter-
cambiables. Lo arcaico
sí es la voz, aquel primer
vahído humano o el
segundo, el proferir
poético, el que se dice
balbuceo, onomatopeya
Für David Huerta
1
Wer bin du? Wer bist
ich? Du ich du ich du …
Übermaß und Majestät,
sagst du. Nicht etwa
Bedürftigkeit unseres
kleinen Daseins
nackt in seinem
blinden Treiben? Sprache
Lückenbüßer und Joker
und ihre Zofen Grammatik
und Syntax stoppen die
Ausblutung des Seins. Und dies
auch nur, wenn wir für wenige
Momente leuchten in schwarzem
Licht. Die zweite Person
ist keine geringere
Täuschung als die erste,
austauschbare Zufalls-
tropen. Archaisch allerdings
ist die Stimme, jener erste
(oder zweite) menschliche Hauch,
poetische Rede, auch
Stammeln genannt, Lautmalerei
oder Atem, der nicht
in den Büchern bleibt, der
o soplo que no queda
en los libros, que nos
cae del cielo en forma
blanca, líquida o dura:
granizo, agua lustral.
2
El otro, el otro. Yo es
otro, dijo el joven poeta
que desertó al desierto.
El otro el mismo, dijo
el poeta ciego que soñó
haber muerto coronel
peleando en la pampa.
Lo Otro, el Otro, dijo el
analista del lenguaje,
príncipe de la alteridad.
Tú empero dices ese tú
que recibe tu abrazo y oye
tu palabra en su piel, tú
vulnerable como yo, tú
blanco de tu amor y de
tu ira, ése que se mira
y te toca, irreductible
a teoría o teorema: la
segunda persona así
apropiada o apropiable,
predadora, posesiva o
posesa, domadora y