Sprung über den Abgrund - Harald Lesch - E-Book

Sprung über den Abgrund E-Book

Harald Lesch

0,0

Beschreibung

Zwei streitbare Denker haben gemeinsam ein leidenschaftliches Plädoyer gegen Zukunftsangst und Fatalismus, einen Aufruf zu aktivem Eingreifen geschrieben. Die Erwärmung der Welt ist ein globaler Notfall. Wir haben die Welt in einem Ausmaß verändert, dass dies nicht nur uns und unsere Gesundheit, sondern die gesamte Erde gefährdet. Das Einzige, was helfen kann, ist eine umfassende Transformation unserer Lebens- und Wirtschaftsweise. Dennoch gehen die meisten besorgten Menschen davon aus, dass sie selbst im Angesicht der Größe der Bedrohung nichts verändern können. Das trifft auch auf Wissenschaftler*innen und Entscheider*innen in Wirtschaft und Politik zu. Zu Unrecht – wie dieses engagierte Buch uns vor Augen führt. Der Physiker Harald Lesch und der Mediziner Martin Herrmann richten in "Sprung über den Abgrund" einen gemeinsamen Appell an alle, ihre Lähmungen zu überwinden und sich für die "Große Transformation" einzusetzen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 124

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Martin Herrmann, Harald Lesch

Der Sprungüber den Abgrund

Warum die Klimakriseuns zum Handeln zwingt

Aus der Reihe »UNRUHE BEWAHREN«

Unruhe bewahren – Frühlingsvorlesung & Herbstvorlesung

Eine Veranstaltung der Akademie Graz in Kooperation

mit dem Literaturhaus Graz und DIE PRESSE

Die Frühlingsvorlesung zum Thema »Der Sprung über den Abgrund.

Warum die Klimakrise uns zum Handeln zwingt« fand am 6. und 7. April 2022 im Literaturhaus Graz statt.

Die Autoren danken Petra Thorbrietz und Gudrun Mebsfür die redaktionelle Mitarbeit.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

www.residenzverlag.at

© 2022 Residenz Verlag GmbH

Wien – Salzburg

Alle Rechte, insbesondere das des auszugsweisen Abdrucksund das der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.

Herausgegeben von Astrid Kury, Thomas Macho, Peter Strasser

Beratung: Harald Klauhs

Umschlaggestaltung: Kurt Dornig

Lektorat: Jessica Beer

ISBN eBook 978 3 7017 4675 0

ISBN Print 978 3 7017 3553 2

Inhalt

Wie kommen Sie zu diesem Thema?

Harald Lesch: Wie kommt ein Astrophysiker zu diesem Thema?

Martin Herrmann: Und wie kam der Mediziner zum Thema?

Gespräch 1: Die Ernsthaftigkeit des Mahnens

Hintergrundwissen: Die Klimakrise als medizinischer Notfall

Gespräch 2: Der Countdown erreicht uns

Hintergrundwissen: Was bedeutet »planetare Gesundheit«?

Gespräch 3: Wie steht es um die Vitalparameter des Planeten?

Hintergrundwissen: Der Anstieg der Meere

Gespräch 4: Mal ganz grundsätzlich: Unser Planet und wir

Hintergrundwissen: Die zerstörerische Anthroposphäre

Gespräch 5: Braucht die Erde eine Diät?

Hintergrundwissen: Alarmierende Zukunftsszenarien

Gespräch 6: Was machen wir jetzt? Die große Transformation

Hintergrundwissen: Soziale Kipppunkte

Gespräch 7: Neue Regeln – neues Spiel

Gespräch 8: Im Handeln verändern

Gespräch 9: Der Sprung ins Offene

Gespräch 10: Von positiver Ansteckung

Gespräch 11: Von Menschen und ihrer Macht

Fazit

Wenn Menschen sich begegnen, dann passiert in der Regel etwas – für den Bruchteil einer Sekunde scheint die Welt dann aus ihren Fugen gerückt, oder vielleicht ist es auch umgekehrt: Sie findet wieder zurück in ihre richtige Umlaufbahn. Dieses Buch ist entstanden, weil zwei Menschen einander begegnet sind, die um den Planeten besorgt sind und die seither ihre Anstrengungen verdoppeln: der Astrophysiker Harald Lesch und der Mediziner und Veränderungsberater Martin Herrmann. Die Gespräche, die sie miteinander geführt haben, sollen andere Menschen anregen, Dialoge dieser Art mit jenen Menschen zu führen, die ihnen wichtig sind oder die sie für wichtig halten, denn nur im Miteinander, davon sind die beiden Autoren überzeugt, lässt sich die Welt zum Guten verändern.

Das ist deshalb notwendig, weil wir Menschen dabei sind, die planetaren Grenzen zu überschreiten. Das könnte nicht nur die Welt zerstören, wie wir sie bisher kannten. Es bedroht ganz konkret auch uns selbst, unsere Gesundheit. Warum das so ist, das lesen Sie in den zu den Gesprächen gestellten Infotexten, die zeigen, in welch brisanter Situation wir uns bereits heute durch die Klimakrise befinden. Wenn Sie sich aber weniger mit den wissenschaftlichen Hintergründen befassen wollen, sondern stattdessen lieber gleich motiviert sind, aktiv zu werden – dann sind Sie eingeladen, einfach nur den Gesprächen zu folgen und sich davon hoffentlich anregen zu lassen!

In beiden Fällen geht es darum, Energien zu sammeln und mit anderen zu bündeln, um den Sprung über jenen Abgrund zu tun, der sich, was das Überleben auf diesem Planeten angeht, längst vor uns geöffnet hat. Mit einer großen Portion Mut und dem richtigen Anlauf könnten wir es schaffen.

Wie kommen Sie zu diesem Thema?

HARALD LESCH: Klimawandel und Gesundheit! Wie komme ich als Astrophysiker zu so einem Thema? Es war jedenfalls nicht geplant. Klimawandel ja, aber Gesundheitsthemen sind nicht so mein Ding. Am liebsten bin ich einfach gesund und muss mich nicht darum kümmern. Und dankenswerterweise war ich auch noch nie ernsthaft krank und habe außer regelmäßigen Kontrollbesuchen wenig mit Mediziner:innen zu tun. Obwohl einer meiner besten Freunde Nephrologe ist.

Aber an einem Sonntagnachmittag vor ein paar Jahren traf ich Martin Herrmann, präziser gesagt: Dr. med. Martin Herrmann. Die Umstände sind unwichtig, auf jeden Fall begannen wir und andere an einem Tisch über alles Mögliche zu diskutieren, bis Martin die Metapher vom Notfall ins Gespräch brachte. Müsste man nicht, so sein Argument, den Klimawandel und alle seine Auswirkungen als medizinischen Notfall bezeichnen? Und welche Folgen hätte eine konsequente Nutzung dieses Bildes und Begriffes für die Wahrnehmung des Klimawandels in der Öffentlichkeit?

Und dann legte Martin los. Was passiert bei einem Notfall? Werfen wir nicht sofort den Alltag über Bord? Terminkalender, Verabredungen, Verpflichtungen spielen keine Rolle mehr. Denn jetzt muss sofort etwas getan werden, es geht darum, Leben zu retten. Und wenn das gelungen ist, dann muss darüber gesprochen werden, wie es nun weitergehen soll. Das Leben nach einem Notfall, nach Infarkt, Schlaganfall oder Kollaps, kann nicht so weitergehen wie zuvor. Business as usual funktioniert nicht mehr. Oft ändert sich der Alltag nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für deren Angehörige. Ein Notfall ändert alles. Und deshalb sei für ihn, so Martin, diese Metapher ganz wichtig bei der Darstellung der Risiken des Klimawandels. Denn die gesundheitlichen Konsequenzen der globalen Erwärmung für jeden Einzelnen sind enorm. Wir alle erleben gerade, so Martin, einen Klimanotfall.

Ich war wie vom Blitz getroffen. Genau! Der Mann hat recht. Notfall, das ist die Metapher, die unsere Lage, den Klimawandel, die Klimakrise, präzise trifft! Klimawandel und Gesundheit, diese beiden Themen sind eine Kombination mit Sprengkraft. Das müsste man mal im Vortrag ausprobieren, war meine erste Idee. Aber Martin ging da noch viel weiter. Als Vorsitzender von KLUG, der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit, hatte er schon viel tiefer darüber nachgedacht. Vor allem waren seine Ideen gespickt mit vielen eigenen Erfahrungen aus gelungenen Transformationen, die er als Coach und Berater begleitet hatte. Und dann kam noch so ein Hammer: der Gesundheitssektor als »Booster« für die Kommunikation des Themas Klimawandel. Martin erzählte vom Vertrauen in die »Weißkittel«, von den Milliarden Kontakten mit der Bevölkerung, aber auch vom viel zu hohen ökologischen Fußabdruck des Gesundheitssektors. Wenn also medizinisches Personal, egal, in welcher Funktion, wenn sich Kliniken, Arztpraxen, überhaupt alle medizinischen Einrichtungen zu Klimaneutralität bekennen und auch entsprechend informieren und agieren würden, dann würde das sicher einen deutlichen Eindruck auf die Patient:innen und damit auf die öffentliche Diskussion machen. Die sei nämlich immer noch von bleierner Schwere und Trägheit geprägt. Die Öffentlichkeit verhalte sich wie ein Patient, der glaube, mit ein paar Globuli lasse sich auch ein Tumor behandeln. Hauptsache, man müsse nichts an seinem Leben ändern!

Ich verstand sofort: Wenn unsere persönliche Gesundheit betroffen ist, dann sind es auch wir. Deshalb kommt den Menschen, die sich um uns kümmern, wenn wir krank sind, eine ganz besondere Bedeutung zu. Wir bringen ihnen und ihren Institutionen Vertrauen entgegen. Wenn sich also der Gesundheitssektor klar und verständlich beim Thema Klimawandel und Nachhaltigkeit positioniert, und zwar aus einer ethischen Haltung und aus Verantwortung für die Gesundheit derer, die sich an das medizinische Personal wenden, dann könnte das der entscheidende Impuls sein, um die Gesellschaft für die unbedingt notwendige große Transformation zu gewinnen. Als Metapher für die notwendige Veränderung einer industriellen in eine nachhaltig handelnde Gesellschaft kann uns das Bild von der planetaren Gesundheit enorm helfen.

MARTIN HERRMANN: Mich hat es schon früher erwischt, vor ein paar Jahren zu Weihnachten. Eine gute Freundin hatte mir ein Buch geschenkt: »This Changes Everything« von Naomi Klein. Auf Deutsch heißt es »Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima«. Schon nach ein paar Seiten war mir klar, dass ich die Klimakrise bis dahin nicht verstanden hatte. Ich war zwar immer auch umweltbewegt gewesen und hatte mich bereits in den Neunzigern für die Einführung von Ökosteuern engagiert. Das Buch »Faktor 4. Doppelter Wohlstand – halbierter Naturverbrauch« von Ernst Ulrich von Weizsäcker hatte ich viele Male gekauft und in meinem Netzwerk verschenkt. Und ich hatte eine kleine Firma in der Schweiz dabei unterstützt, erste ökologische Geldanlagen zu entwickeln und zu vertreiben.

Privat hatten wir zwar vieles umgestellt, aber im Grunde hatte ich mich in der grünen Rhetorik doch relativ sicher aufgehoben geglaubt. Wir kriegen das schon hin! Deutschland ist Vorreiter. Mit dem grünen Wachstum wird das schon. Vielleicht dauert es ein paar Jahre länger als geplant, aber das nimmt man in Kauf. Natürlich hatte jeder von uns ein Auto, und beruflich wie auch privat bin ich viel geflogen. Auch bei meinen Beratungskunden war ich nicht so wählerisch, neben den kleinen NGOs gehörten eben auch BMW und Airbus dazu und davor auch BP. Und jetzt las ich bei Naomi Klein: »Diese verschiedenen (Klima-)Projektionen sind so, als würden in Ihrem Haus sämtliche Alarmglocken gleichzeitig losgehen. Und dann in Ihrer Straße. Denn der Klimawandel ist zu einer existenziellen Krise für die Menschheit geworden.«

Schon diese Einleitung hat mich voll erwischt. Plötzlich wusste ich, dass ich das Ausmaß der Bedrohung unterschätzt hatte – und mehr noch: Ich war Teil der kollektiven Leugnung. Ich persönlich hatte es verbockt wie die meisten meiner Generation, obwohl ich Verantwortung trage gegenüber meinen Kindern, meinen Enkeln, den zukünftigen Generationen. Wir kannten das Buch »Die Grenzen des Wachstums«. Wir waren beteiligt an der Ökologisierung von Politik und Rhetorik in der Öffentlichkeit. Aber die Emissionswerte, die stiegen weiter ungebremst an. Wir verhandelten zwar, aber wir handelten nicht. Jetzt steht alles auf dem Spiel, und ich spürte, dass die Bewältigung der Krise die nächsten Jahrzehnte meines Lebens bestimmen würde.

Ich habe dann natürlich das ganze Buch gelesen, kann aber nicht mehr sagen, was da genau stand. Vielleicht war es auch gar nicht das Buch selbst, sondern der spezielle Moment in meinem Leben, in dem es mich erwischt hat. 2011 hatte ich entschieden, mich aus der Beratung großer Wirtschaftsunternehmen zurückzuziehen und stattdessen Wege zu finden, meine Erfahrungen aus der Begleitung von Veränderungsprozessen zurück in mein angestammtes Feld – die Medizin – zu bringen. Ein amerikanischer Kollege hatte mich eingeladen, mich bei einem Transformationsprojekt der globalen Impfallianz GAVI einzubringen. GAVI wuchs zu der Zeit sehr schnell, und der neue CEO musste die Allianz auf die enormen neuen Herausforderungen vorbereiten. Ich habe GAVI vier Jahre bei den sehr tiefgreifenden Veränderungen begleitet. Unter anderem entstanden dann eine Reihe von Workshops mit den verantwortlichen Impfmanagern der ostafrikanischen Union, aber auch mit jenen der WHO. Diese international ausgerichtete Arbeit veränderte meine Perspektive auf die weltweiten Verknüpfungen und Wirkzusammenhänge radikal.

2015 kam dann die Einladung der deutschen Entwicklungsbank KfW, ein Stipendienprogramm in Kenia für Sekundarschüler aus den ärmsten Bevölkerungsschichten zu begleiten. Da begriff ich, wie viele großartige Talente sich hier nicht entfalten können und wie sehr die dortigen Probleme mit unserer Lebens- und Wirtschaftsweise im globalen Norden verknüpft sind.

Es hatte mich also erwischt! Aber was tun? Mir war klar, dass ich Wege finden musste, meinen eigenen Erfahrungshintergrund einzubringen. Mir war auch klar, dass ich mich erst mal orientieren musste. Alle verfügbare Literatur sichten, mit Menschen in meinem Netzwerk sprechen, die in diese Richtung arbeiteten. Im eigenen Verhalten vieles umstellen. Ich wurde zum Klimavegetarier, deinvestierte konsequent, fuhr wann immer möglich Fahrrad, blieb auf der Autobahn unter 120 Stundenkilometern und flog seit 2017 gar nicht mehr. Ich sprach mit allen in meinem Umfeld, die nicht vor dem unangenehmen Thema flüchteten, besuchte Transformationskonferenzen, wurde Aktivmitglied beim Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft. Dann ergab sich die Möglichkeit, in Kenia einige Aktivisten zu unterstützen, das schon genehmigte erste Kohlekraftwerk auf der Insel Lamu – einem der wunderbarsten Plätze an der Küste und UNESCO-Weltkulturerbe – zu verhindern. Mit chinesischen Investoren und der kenianischen Regierung als Gegenspieler schien das ein unmögliches Unterfangen, noch dazu war es gefährlich. Doch von den Aktivisten habe ich das gelernt, was heute ein Mantra unserer Arbeit ist: sich intelligent, umsichtig und wach in die schwierigsten Felder hineinzustellen und für das Notwendige – eine Not-Wende – einzustehen. Das Kraftwerk in Lamu wird wohl nicht gebaut werden, das Netzwerk von Aktivisten wurde immer größer. In dieser Zeit war ich auch bei den Klima-Demonstrationen dabei: in München vor der geplanten Klimakonferenz und 2015 in Paris bei der Konferenz selber – eine Demonstration, die wegen der vorangegangenen Terroranschläge nur geduldet, aber nicht wirklich genehmigt wurden.

In den kommenden Jahren habe ich viel versucht, aber es genügte noch nicht. Und mir wurde immer klarer: Umstellungen im eigenen Leben sind wichtig, aber das reicht bei Weitem nicht aus.

Im September 2017 ergaben sich dann erste Kontakte zu einem kleinen Netzwerk von Menschen im Gesundheitssektor, die dort etwas starten wollten. Erste Mails, ein erstes Telefonat, die Frage, ob ich ein Strategietreffen moderieren könnte, ich hätte da ja wohl Erfahrung. Dann, am 13. Oktober 2017, das Treffen. Am Abend vorher eine Vorbesprechung mit den Schlüsselleuten. Sie erzählten von den bisherigen Aktivitäten. Davon, wie tief der Gesundheitssektor schlafe, und von ihren Zielen. Ich fragte: »Habt ihr euch schon überlegt, ob es nicht Zeit ist, jetzt etwas zu gründen?« Ja, aber wie? Und was? »Na ja – wenn der Gesundheitssektor schläft, könnten wir doch morgen einen Verein oder was auch immer gründen, der ihn wachküsst und zum Schlüsselspieler macht.«

Am nächsten Tag schon trafen sich 15 Personen: fünf Studierende, fünf Personen im Rentenalter, fünf, die mitten im Leben standen. Darunter auch Sabine Gabrysch, heute Professorin für Klimawandel und Gesundheit, und Christian Witt, Seniorprofessor für Pneumologie, beide an der Berliner Charité. Witt war 2006 einer der Ersten, die konsequent zu gesundheitlichen Klimafolgen forschten. Ich selbst erinnerte mich plötzlich wieder an das Gefühl, warum ich vor Jahrzehnten Medizin studiert hatte und Arzt geworden war. Wir wollten etwas verändern, besser machen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, endlich meinen Platz gefunden zu haben: Wir wollten den Gesundheitssektor zum Gamechanger machen. Daraus ist dann KLUG geworden.

Erstes Gespräch:Die Ernsthaftigkeit des Mahnens

LESCH: Jetzt haben wir beide von unseren Erweckungserlebnissen erzählt, wobei deines ja viel früher war als meines, das ja auch noch mit deinem zusammenhängt. Ich bin ja praktisch als dein Fan mit eingetaucht in das Thema Klimawandel und Gesundheit. Ich bin richtig animiert worden, habe Feuer gefangen. Aber erzähl mal … Nachdem du festgestellt hast: »Ich muss da was machen.« Wie war das? Wie kommt man vom Erkennen eines Problems dahin, auch tatsächlich etwas zu tun?

HERRMANN: Als wir KLUG gegründet haben, haben wir natürlich überlegt: Wo fangen wir an? Die Diskussionen gingen wild hin und her. Manche meinten, wir sollten alle Fachgesellschaften, Ärztekammern und Verbände anschreiben. Christian Witt, der ja auch beim Gründungstreffen dabei war, hat dann gesagt: »Oh, diese Fachgesellschaften … und diese Kammern, die sind sehr langsam …« Also haben wir entschieden: »Damit fangen wir lieber nicht an.« Wir haben uns dann zuerst mit der Klimabewegung vernetzt und sind der Klima-Allianz Deutschland beigetreten. Aber wir haben rasch festgestellt, dass die Klimabewegung sehr viele verschiedene Arbeitsgruppen und Settings hat, die teilweise schon seit Jahrzehnten tätig sind. Das Gesundheitsthema spielte dort keine große Rolle und die Beteiligung an den vielen Arbeitsgruppen hielt uns eher davon ab, unsere eigentliche Arbeit im Gesundheitssektor zu machen.