Starker Tobak - Biggi Ahlers - E-Book

Starker Tobak E-Book

Biggi Ahlers

4,7

Beschreibung

Geschichten, die polarisieren. Die einen traurig oder wütend machen. Die an den Nerven zerren und manchmal zum Lachen bringen. Wenn Sie schwache Nerven haben, fragen Sie vor der Lektüre Ihren Arzt oder Apotheker :-)

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Seitenzahl: 156

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Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist.

Kafka

Inhaltsverzeichnis

Wolf im Schafspelz oder Mein Mann, der Serienmörder

Disziplin

Eisblauer Dezember

Lila Sommer

Alles nur Show

Klebrige Hohlraumversiegelung

Miris schwarze Herbstsonate

Sturm über der Hallig

Eine wei(s)se Entscheidung

Der Tote im Leuchtturm

Schwarzer Frühling

Heikos Angst oder Der Kapuzenmann

***

Gedichte:

Der innere Feind

Mein Gewissen

Wolf im Schafspelz oder Mein Mann, der Serienmörder

»Stefan, wenn du noch lange so herumtrödelst, schaffen wir es nie. Wir werden erwartet. Mareike hat mich so dringend darum gebeten, dass wir anwesend sind, um sie bei der Brautkleid-Auswahl zu beraten. Willst du sie wirklich enttäuschen?« Evelyn Hellbach schlang sich missmutig einen großen Schal um ihre Schultern, warf einen letzten Blick in den Spiegel, leckte sich mit der Zunge noch schnell etwas Lippenstift von den Zähnen und ging dann nach nebenan ins Arbeitszimmer ihres Mannes. Dort stand auch sein PC, den sie aber beide benutzten. Nach fast 25 Jahren Ehe hatte man keine Geheimnisse mehr voreinander. Und soweit sie es sich einbildete, hatte es auch nie welche gegeben. Gerade schloss ihr Mann das Display des Laptops und lächelte sie entschuldigend und zärtlich, wie um Abbitte zu leisten, an.

»Du hast wie immer recht, mein Goldlöckchen.«, säuselte er. »Aber schau, ich hatte heute einen wunderbaren Glückstag. Mir ist es gelungen, auf einer Auktion eine Serie der besonderen Kookaburramünzen zu ersteigern. Zu einem Schnäppchenpreis!«

Seine Augen leuchteten dabei, wie die eines kleinen Jungen, der eine riesige Eistüte bekommen hatte. Evelyn seufzte. Sie hatte ja durchaus Verständnis für ihren fleißigen Ehemann, aber manchmal hatten andere Dinge eben Priorität.

»Nun mach aber mal, Liebling. Viel Zeit haben wir nämlich wirklich nicht mehr. In zwanzig Minuten müssen wir in dem Laden sein.«

»Ach, das ist kein Problem. Ich halte direkt davor. So schaffen wir es locker.«

Bei diesen Worten war er auf sie zugegangen und umarmte sie liebevoll. Als er sie küssen wollte, schob sie ihn sanft aber bestimmt von sich weg.

»Jetzt reicht`s aber, Stefan. Husch, husch ins Schlafzimmer mit dir. Heb´ dir deine Endorphine für später auf. Wir müssen ...!« Dabei klopfte sie mit ihrem Zeigefinger auf ihre goldene Armbanduhr, die er ihr vor fünf Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte. Für einen winzigen Moment verdunkelten sich seine Augen, aber wie es schien, war ihre Beharrlichkeit endlich bei ihm angekommen. Er lief im Eiltempo zum Schlafzimmer und zog sich rasch um. Da Evelyn eine ordentliche Hausfrau war, brauchte er nicht lange zu suchen. Alles war an seinem Platz, wie es sich gehörte.

Und nach Farben sortiert, wie er es gernhatte. Ja, seine Frau war eine richtige Perle. Nicht eine von diesen Schlampen, die es noch nicht mal in die Reihe bekamen, ein Mittagessen zu kochen. Von waschen, bügeln und putzen mal ganz abgesehen.

Während er sich sein Sakko überzog, fiel sein Blick auf das Hochzeitsfoto von ihnen. Ja, sie sah immer noch genauso schön und perfekt aus, wie früher. Auch, wenn ihre blonden Locken jetzt bereits von einigen grauen Strähnen durchzogen waren.

Evelyn stand in der Zimmertüre und beobachtete ihn schmunzelnd. Sie liebte ihren Mann. Er sah nicht nur blendend aus, mit seiner schlanken Figur und seinen welligen, rotblonden Haaren. Ihr war es auch immer gut bei ihm gegangen. Sie hatten zwei wunderbare Kinder zusammen, die kurz nacheinander gekommen waren. Erst Karsten, der heute trotz seiner jungen Jahre, erfolgreich eine große Investmentfirma leitete und zwei Jahre später wurde Mareike geboren, die letzte Woche ihren fünfundzwanzigsten gefeiert hatte.

Schließlich schafften sie es trotz allem pünktlich zu ihrer Verabredung mit Mareike, die sichtlich aufatmete, als sie ihre Eltern durch die Schaufensterscheiben des Brautladens erspähte. Jetzt konnte das Anprobieren endlich losgehen!

Beim Frühstück am nächsten Tag, bat Evelyn ihren Mann um ein Aspirin. Sie hatten nach der anstrengenden Begutachtung aller möglicher Brautkleider und Accessoires noch zusammen gegessen und zuhause den Abend dann bei einem Glas Rotwein ausklingen lassen. Es waren wohl doch einige mehr gewesen, als sie vertrug. Jetzt hatte sie furchtbare Kopfschmerzen. Außerdem war sie heute erst sehr spät wach geworden. Stefan war schon unterwegs gewesen. Wieder auf der Jagd, wie er es nannte. Ein bekannter Münzhändler hatte ihn wohl angerufen und er war gleich zu ihm gefahren, um sich die Chance, ein Schnäppchen machen zu können, nicht entgehen zu lassen.

Er brachte ihr das Aspirin und legte noch eine kleine silberne Schachtel auf den Tisch.

Neugierig nahm sie statt des Aspirins zunächst sein kleines Geschenk in die Hand. Sie öffnete sie und zwei kleine goldene Ohrringe in Form eines Fisches, mit winzigen Diamanten glitzerten ihr im Licht der Morgensonne entgegen.

»Oh, Stefan... » Ihre Augen leuchteten, als sie die kleinen Schmuckstücke sah. Mehr aber alles andere rührte sie die Geste. Ihr Mann hatte sie immer schon mit kleinen Überraschungen erfreut. Sie wusste gar nicht, was sie sagen sollte und schaute ihn nur liebevoll an.

»Komm, leg sie an, Goldlöckchen«, schmunzelte Stefan. Er seinerseits war gerührt von ihrer Bescheidenheit und das sie auch nach all den Jahren, es immer noch zu schätzen wusste, wenn er ihr eine kleine Aufmerksamkeit schenkte.

Während sie die Ohrringe durch ihre Ohrlöcher zog, goss er ihr Wasser aus der Karaffe, die auf dem Tisch stand in ihr Glas und ließ die Tablette dort hineinfallen. Sie löste sich rasch auf, so dass Evelyn, nachdem sie sich ausgiebig mit vielen Küsschen bei Stefan bedankt hatte, die erlösende Flüssigkeit sofort trinken konnte.

»Ich muss gleich nochmal weg, meine Liebste. Es kann dauern, bis ich wieder zurück bin. Vielleicht komme ich auch erst morgen früh zurück. Schlimm?« Stefan fand es zwar bedauerlich, dass er Evelyn allein lassen musste, aber mitnehmen konnte er sie auf gar keinen Fall.

Außerdem war sie es gewohnt, dass er bei langen Fahrten auch schon mal in einem Motel übernachtete.

»Nein, gar nicht. Lass nur die Finger von den jungen Damen, die dir dauernd wie kleine Hunde hinterherlaufen.«

Evelyn grinste dabei spitzbübisch. Sie wusste genau, dass sie ihrem Mann blind vertrauen konnte. Diese kleinen Frotzeleien waren das Salz in der Suppe ihrer Ehe.

Und wie fast jedes Mal lächelte Stefan und sang den Anfang eines alten Songs von Hildegard Knef: »Der alte Wolf wird langsam grau...«

Bevor er fuhr, nahm er sie noch einmal zärtlich und behutsam in die Arme, aus Rücksicht auf ihre Kopfschmerzen.

»Ich werde sehen, dass ich ganz schnell wieder bei dir bin, meine Liebste. Ruh dich einfach aus und leg dich gleich wieder hin.«

Seufzend nickte sie leicht mit ihrem Kopf und strich ihm über die Haare.

»Lass dir ruhig Zeit. Mit mir ist heute eh nichts anzufangen. Du hast recht, ich werde mich nachher wieder hinlegen, mein Schatz. Fahr vorsichtig, hörst du? Und jetzt ab mit dir...« Sie lächelte zu ihm hinauf und drückte ihn gleichzeitig leicht von sich weg. Das war das Signal für Stefan. Jetzt konnte er beruhigt fahren. Evelyn fühlte sich nach zu viel Alkoholgenuss immer sehr schlecht am nächsten Tag. Meist verbrachte sie danach fast den ganzen Tag im Bett. Dass er immer wieder ihr Glas nachgefüllt hatte, ohne dass es ihr aufgefallen wäre, dass er beim Anstoßen immer nur winzige Schlucke zu sich nahm, hatte er genau geplant.

Während er den Wagen anließ, war Evelyn schon auf dem Weg ins Schlafzimmer...

Noch hatte er keine Ahnung, wer sein nächstes Opfer sein würde. Es war meist der Zufall, der ihm dabei zur Hilfe gekommen war. Er fuhr heute zu einem befreundeten Münzhändler nach Hamburg. Zumindest in der Beziehung hatte er nicht gelogen. Geschäfte gingen immer vor. Aber dann - und darauf freute er sich schon sehr - kam das Vergnügen. Nachdem er seine Geschäfte erledigt hatte, die für ihn hervorragend gelaufen waren, beschloss er, ein gutes Restaurant aufzusuchen und erst einmal etwas zu essen. Dann fuhr er in ein etwas abgelegenes Viertel und suchte nach einem Hotel. Es musste erst dunkel werden, bevor er die Welt wieder einmal von einem verkommenen Subjekt befreien konnte. Und nicht zum ersten Mal bedauerte er es, dass man in diesem und fast jedem anderen Land an Gesetze gebunden war. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte die Selbstjustiz schon lange Einzug gehalten. So musste er seine Aufgabe im Verborgenen ausführen.

Als er fast zwei Stunden fest geschlafen hatte, wachte er durch das summen des Weckers auf, den er auf 18 Uhr gestellt hatte.

Endlich... endlich war es soweit! Tiefe Dämmerung war bereits hereingebrochen. Wie schön, dass die Uhren gerade erst auf Winterzeit umgestellt worden sind, stellte er vergnügt fest. Das Schicksal spielte ihm geradezu in die Hände.

Hellbach brauchte nicht lange, um alle Spuren im Hotelzimmer zu beseitigen. Viel gab es da nicht. Er hatte sich wie immer, auf seine eigene Decke gelegt, die er immer mit sich führte. Ansonsten hatte er nichts angerührt. Durch die Handschuhe, die er beim Eintreten und Hinausgehen getragen hatte, war er sich sicher, keine Fingerabdrücke hinterlassen zu haben. Er wechselte noch rasch seine Nummernschilder gegen andere Kennzeichen aus und fuhr in Richtung Bahnhof. Irgendwo standen immer abgewrackte junge Dinger herum, die ihren Drogenkonsum irgendwie bezahlen mussten. Auf die hatte er es abgesehen. Die Reeperbahn wäre ihm viel zu riskant gewesen. Da passte jeder auf jeden auf.

Er musste nicht lange suchen. Unter einer alten Laterne, die kein Licht mehr abgab, stand sie. Ein minderwertiges Subjekt, die genau wie alle anderen, die er schon vorher beseitigt hatte, mit einem süffisanten Lächeln und frivolem Hüftschwung zu ihm ans Auto gestöckelt kam.

»Na Süßer, was kann ich für dich tun? Willst du einen Quickie oder soll ich dir...?« Bevor sie Weiterreden konnte, unterbrach er ihre Do-it-yourself-Werbesprüche und hielt ihr einen Hunderter vor die Nase. Das reichte. Bereitwillig stieg sie zu ihm ins Auto. Sie schnappte nach dem Geld, aber Hellbach hatte seine Hand schon wieder zurückgezogen und den Schein in seine Jackentasche gesteckt. »Den bekommst du, wenn wir fertig sind.«

Misstrauisch sah sie ihn an. Sie hatte schon viele Kunden gehabt, die erst mit großen Scheinen gelockt und sie nach ihrer Dienstleistung einfach aus dem Auto geworfen hatten. Er spürte, dass sie darüber nachdachte, wieder auszusteigen und ließ schnell den Wagen an. Dabei grinste er sie charmant an - was ihm sehr zuwider war, aber eine notwendige Maßnahme, damit sie ihm weiter vertraute. Es funktionierte. Sie lehnte sich einigermaßen entspannt in die Sitzpolster zurück und überließ ihm alles weitere. So war sie es gewohnt.

Sie hatte ihm nur noch eine kurze Wegbeschreibung zu einem ruhigen Örtchen gegeben, wo sie es dann »treiben« konnten, ohne beobachtet zu werden.

Hellbach wollte es sich ansehen und dann entscheiden, ob dieser Platz geeignet wäre. Und das war er. Beinahe zu perfekt. Eine alte, nicht mehr betriebene Tankstelle vor einem kleinen Waldstück. Ziemlich dunkel. Das Beste daran - sie waren ganz allein. Kein anderes Auto parkte dort und auch keine Junkies waren weit und breit zu sehen. „Na, dann wollen wir mal“, meinte sie und fing an, seine Hose zu öffnen. Bevor sie aber loslegen konnte, mit ihrer besonderen Art ihn zu verwöhnen, wie sie sich ausgedrückt hatte, und er es kaum für möglich gehalten hatte, dass bei diesem Abschaum solche Sätze möglich waren, hatte er ihr schon eine Schlinge um den Hals gelegt und zog sie erbarmungslos zu. Er wollte es diesmal schnell hinter sich bringen. Manchmal gefiel es ihm, die Schlinge zwischendurch zu lockern, damit sie wieder Luft bekamen und sich der trügerischen Hoffnung hingaben, es vielleicht doch zu überleben. Dass das alles nur zu einer Art Spiel eines perversen Kunden gehörte. Bis er ihnen unmissverständlich klargemacht hatte, dass er es todernst meinte! Auch sein jetziges Opfer wehrte sich mit aller Macht gegen das, was er mit ihr tat. Versuchte verzweifelt mit den Händen, die Schlinge zu lockern. Dann ihn mit ihren Fingernägeln zu kratzen. Beides misslang ihr natürlich. Er hatte kein Problem damit, sie abzuwehren. Und nach kurzer Zeit - er zählte in Gedanken die Sekunden - ließen ihre Bemühungen auch schon nach. Nach 43 Sekunden war alles vorbei. Er schloss den Reißverschluss seiner Hose wieder und stieg aus, um sie auf der anderen Seite aus dem Auto zu ziehen. Hinter der Tankstelle legte er sie ab. Da er sich nicht durch seine DNA, die er hinterlassen würde, wenn er sie bespuckte, verraten würde, unterließ er es.

Aber ein grollendes, brummiges Miststück konnte er sich nicht verkneifen. Sehr zufrieden mit sich, stieg er wieder in seinen Wagen und fuhr los. Als er den Platz verlassen hatte, kam ihm bereits ein anderes Auto entgegen, welches auch zu der Tankstelle wollte. Denn er sah im Rückspiegel, dass sie links abgebogen waren.

Vielleicht würden sie das Mädchen sofort finden. Vielleicht auch nicht. Ihm war es egal. Falls jemand seine Autonummer aufgeschrieben hätte, würde sie demjenigen nichts nützen. Ein paar Meter weiter gab es einen Garagenhof. Das hatte er sich beim Vorbeifahren gemerkt. Er fuhr hinauf, konnte keine Menschenseele entdecken, Häuser mit Fenstern gab es auch nicht und somit waren die Kennzeichen schnell wieder gewechselt. Jetzt freute er sich auf zuhause und begann ein Lied aus der Operette »Der Vogelhändler« zu pfeifen.

Indes war es Evelyn langweilig im Bett geworden. Ihr ging es schon viel besser als am Morgen und sie stand auf, um sich ein paar Spiegeleier zu braten. Als sie dann am Tisch saß, um sie mit viel Appetit zu verspeisen, piepte ihr Handy. Bei SMSen war nur ein Piep Ton zu hören, während bei einem Anruf das Lied »Es rappelt im Karton...« zu hören war. Es war ihre Tochter, wie sie mit einem Blick auf das Display sehen konnte. »Hi Mom, könntest du mir aus der Garage etwas holen, was ich mal dort deponiert habe, als ich noch ... ähem ... etwas jünger war? Es ist der rosa Prinzessinnenkarton. Ja, nenn` mich ruhig sentimental. Aber zur Hochzeit gehört etwas Blaues und ich habe doch von euch mal einen schönen Anhänger für meine silberne Kette zum Abschlussball bekommen. Dieses blaue Herz. Du erinnerst dich? Aus dem Film Titanic. Ihr habt mir damals eine große Freude damit gemacht. Ich fand es irgendwann kitschig und unmodern. Aber bei diesem wichtigen Anlass, meiner eigenen Hochzeit, möchte ich es gerne tragen. Tust du mir den Gefallen? Ich habe hier so viel zu tun, dass ich die nächsten Tage nicht zu euch kommen kann. Bringst du es mir? Kisses, deine Mareike. PS: Komm mir nicht mit Strumpfband oder so einem Quatsch.“

Evelyn musste schmunzeln und schob sich eine Gabel von dem Spiegelei in den Mund. Das war typisch für Mareike. Sie lud sich prinzipiell zu viel auf.

Aber gut, sie wollte ihr den Gefallen tun. Das Herz passte hervorragend zu Mareikes blauen Augen und ein Herz war ja DAS Symbol für die Liebe. Sie würde sich gleich auf die Suche machen. Aber erstmal aufessen. Sie hatte die Angewohnheit, während des Essens manchmal die Nachrichten zu schauen. In der Küche hing ein kleiner LCD-Fernseher, der für diesen Zweck ausreichte. Plötzlich ließ sie ihr Besteck fallen und verschluckte sich beinahe an ihrem Ei, als sie ein Foto von einer jungen Frau auf dem Bildschirm sah. Aber nicht die Frau selbst hatte sie geschockt, sondern was sie an ihren Ohren trug. Es waren die gleichen Ohrringe, die Stefan ihr geschenkt hatte. Evelyn hätte nie gedacht, dass ihre Ohrringe vielleicht Allerweltsware war, ja ganz normaler Modeschmuck, wie ihn sich jede Frau nebenbei für ein paar Euro in einem dieser Billig-Modeschmuckläden kaufen konnte. Der Nachrichtensprecher war gerade dabei, die Bevölkerung aufzurufen, mitzuhelfen, diese Frau zu identifizieren. Sie war erdrosselt in einem See gefunden worden und über ihre Person war absolut nichts bekannt. Man sollte sich, wie in solchen Fällen üblich an jede Polizeidienststelle wenden oder eine bestimmte Nummer anrufen, die gerade eingeblendet wurde. Evelyn schauderte. Sie griff sich automatisch an ihre Ohren. Aber die Ohrringe hatte sie natürlich abgelegt, als sie sich schlafen gelegt hatte. Das wollte sie jetzt aber genau wissen! Sie ließ ihre Eier stehen und lief hastig die Treppen hinauf ins Schlafzimmer. Ihre Aufregung übertrug sich auf den Handlauf des Treppengeländers. Es zitterte leicht, wenn sie es berührte. Auf dem Nachttisch lagen ihre neuen Ohrringe. Genauso, wie sie sie dort hingelegt hatte. Evelyn nahm sie in ihre Hände, hielt einen von ihnen hoch und versuchte zu entziffern, ob sie den Stempel eines Goldschmiedes entdecken konnte. Trotz des schon etwas schwächeren Tageslichts im Raum, hatte sie kein Problem damit, die Ziffern 585 zu erkennen. Sie atmete auf. Also war sie ihm immer noch genauso viel wert, wie früher. Es hätte sie auch sehr gewundert, wenn es anderes gewesen wäre. Von dieser Tatsache beruhigt, legte sie die Ohrringe wieder an. Sie trat vor den Spiegel und bewunderte sich damit. Ja, sie standen ihr ausgezeichnet. Stefan hatte einen guten Geschmack. Dabei fiel ihr die junge Frau wieder ein, deren Foto sie im Fernsehen gesehen hatten. Und sofort tat sie ihr leid. Welcher Mann tat so etwas? Der Sprecher hatte noch gemeint, dass aufgrund der Merkmale, die man an der Leiche gefunden hätte, die Polizei es jetzt nicht mehr ausschließen könne, dass man es vermutlich mit einem Serienmörder zu tun habe. Drei andere Frauen, deren Leichen man gefunden hatte, wiesen die gleichen Spuren auf. Frauen sollten es nach Möglichkeit vermeiden, abends alleine durch Parks zu laufen oder zu joggen. Die Gefahr bestand bei ihr nicht. Sie joggte nicht. Und spazieren ging sie nur mit Stefan oder mit ihren Kindern, wenn sie mal Lust hatten. Aber trotzdem machte sich ein mulmiges Gefühl in ihr breit. Sie verschlang beim weiteren Nachdenken darüber, wie und aus welch niederen Motiven manche Menschen sterben mussten, ihre Finger immer wieder ineinander. Der Ehering störte dabei ein wenig. Er hatte einen kleinen Diamanten, der erhöht in einer Fassung auf dem Goldreif saß. Es tat ihr weh. Sie scheuchte ihre Gedanken schnell in eine andere Richtung. Was wollte sie vorhin noch? Ach ja, Mareikes Karton... Aber jetzt musste sie den Schlüssel für die Garage erst einmal suchen. Da sie selten dort zu tun hatte, eigentlich nie, wusste sie nicht genau, welcher es war. Sie ging in Stefans Arbeitszimmer, wo in einer kleinen Schachtel alle Zweitschlüssel aufbewahrt wurden. Ihre Augen wanderten ratlos von einem zum anderen Schlüssel. Schließlich zuckte sie mit den Schultern und nahm die ganze Schachtel mit. An der Garage, die man nur von außen betreten konnte, blieb sie stehen und probierte einen nach dem anderen aus. Der vierte Schlüssel passte schließlich. Evelyn schaltete das Licht ein und begab sich zu den Regalen am hinteren Ende. Auf Anhieb konnte sie den rosa Karton nicht sehen. Sie verschob ein paar Kartons, die vorne im Regal standen, um dahinter nachsehen zu können. Nichts. Dann bückte sie sich, um in der schmalen Kommode nachzusehen, die sie nur mit Mühe dort hatten hineinstellen können, denn das Auto musste ja auch noch hineinpassen.