Sternentänzer, Band 2 - Das geheimnisvolle Mädchen - Lisa Capelli - E-Book

Sternentänzer, Band 2 - Das geheimnisvolle Mädchen E-Book

Lisa Capelli

4,7

Beschreibung

Ein neues Mädchen kommt auf Caros Reiterhof - und was für ein ungewöhnliches! Lina sieht nicht nur anders aus als alle anderen. Sie kann auch viele geheimnisvolle Dinge. Zum Beispiel Menschen mit seltsamen Kräutern heilen oder Wundsalben zusammenmixen. Caro und ihr Pferd Sternentänzer freunden sich mit ihr an. Bis plötzlich eines Tages ein schrecklicher Verdacht aufkommt. Hat Lina die anderen Mädchen im Reitstall bestohlen? Nur mit Hilfe von Sternentänzer kann Caro die Wahrheit über ihre Freundin herausfinden.

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In der Buchreihe „Sternentänzer“ sind bisher erschienen:

Band 1:   Das Rätsel um den weißen Hengst

Band 2:   Das geheimnisvolle Mädchen

Band 3:   Weißer Hengst in Gefahr

Band 4:   Caro unter Verdacht

Band 5:   Rettung für Lindenhain

Band 6:   Bedrohung für den weißen Hengst

Band 7:   Letzter Auftritt des weißen Hengstes?

Band 8:   Der unheimliche Pferdehof

Band 9:   Zeit der Entscheidung

Band 10: Hoffen und Bangen in Lilienthal

Band 11: Silbersterns Geheimnis

Band 12: Abschied mit Folgen

Band 13: Caro und das Mädchen im Moor

Band 14: Ponys in Not

Band 15: Eine rätselhafte Vision

Band 16: Das Geheimnis der Schlossruine

Band 17: Caro und die weiße Stute

Band 18: Die Botschaft des weißen Hengstes

Band 19: Achterbahn der Gefühle

Band 20: Die geheimnisvollen Briefe

Band 21: Eine unglaubliche Entdeckung

Band 22: Ein verhängnisvolles Erbe

Band 23: Geister aus der Vergangenheit

Band 24: Die Magie des weißen Hengstes

Band 25: Voller Einsatz für Lina

Band 26: Verwirrung des Herzens

Band 27: Caro und das Geheimnis der alten Frau

Band 28: Aufregung um Stute Aziza

Band 29: Eine Reise voller Überraschungen

Band 30: Caro und der rätselhafte Dieb

Band 31: Der Eisprinz und die große Liebe

Band 32: Ein unglaublicher Verdacht

Band 33: Die verschwundenen Ponys

Band 34: Caro gibt nicht auf

Band 35: Gefährliche Zeiten auf Lindenhain

Band 36: Feuerprobe für die Liebe

Band 37: Wo ist Sternentänzer?

Sternentänzer

Das geheimnisvolle Mädchen

Lisa Capelli

Band 2

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sternentänzer, Band 2 – Das geheimnisvolle Mädchen7. überarbeitete Auflage© 2010 by Panini Verlags GmbH,Rotebühlstraße 87, 70178 StuttgartAlle Rechte vorbehalten

Chefredaktion: Claudia WeberRedaktion: Sonja Wittlinger, Nicole Hoffart (verantw.)Redaktionelle Mitarbeit: Heike BertholdLektorat: Waltraud RiesUmschlag: tab indivisuell, StuttgartFotos: © Juniors, mauritius imagesSatz: Vanessa BuffyISBN: 978-3-8332-1170-6eISBN: 978-3-8332-3083-7

www.panini.de

Das geheimnisvolle Mädchen

In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche ein, und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel. Im gleichen Moment wird ein wunderschöner Schimmel mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn geboren.

Die Neue

Ungeduldig lief Carolin noch einmal zu ihrer Mutter in die Küche zurück. „Ich komm doch zu spät zur Schule, Mam!“

„So viel Zeit wird noch sein“, sagte Ines mit einer Ruhe, als ob sie alle Zeit der Welt hätte. Dabei war Carolins Mutter ebenfalls aufbruchsbereit. Sie trug schon ihr dunkles Kostüm für die Arbeit und hellrosa Lidschatten auf den Augen.

„Was ist denn noch?“, ächzte Carolin. Sie fuhr sich mit beiden Händen durch ihr kurzes kastanienbraunes Haar. Eine doofe Angewohnheit, wenn sie nervös war. Aber es half auch, um den Klecks Gel, den sie im Bad noch schnell draufgeklatscht hatte, möglichst gleichmäßig zu verteilen.

„Ich will nur deinen Mund sauber machen, da hängt noch das halbe Schokocroissant dran.“

Carolin stöhnte. Jetzt kam sie bestimmt zu spät. Und das am ersten Schultag nach den Ferien. Der erste Schultag war immer etwas Besonderes. Alles war neu. Die Lehrer, die Hefte, der Stundenplan, die Bleistifte und die Nummer an der Klassenzimmertür. Am ersten Schultag wurden die Karten neu gemischt.

„So.“ Ines wischte ihr mit einem Geschirrtuchzipfel den Mund sauber.

„Tschüüüss!“ Carolin wollte endlich losflitzen.

„Momentchen noch!“ Ihre Mutter bekam sie gerade noch am T-Shirt zu fassen.

Carolin verdrehte die Augen. „Mam, du nervst! Was gibt’s denn jetzt noch?“

„Ich glaube, du hast was vergessen“, behauptete Ines in aller Ruhe und blinzelte.

Carolin war viel zu aufgeregt, um das geheimnisvolle Glitzern in Ines’ Blick zu sehen. Sie drehte die Augen zum Himmel. „Rucksack, Pausenbrot, Füller, Bücher, meine Haare sind gekämmt, meine Jeans riecht nicht nach Pferd, und ich hab kein Stroh in den Haaren. Mama, ich hab echt alles!“

„Hast du nicht!“ Ines hielt ihr eine kleine rosa Schmuckschachtel mit einem Glitzerstein hin. Sie war etwa so groß wie eine Streichholzschachtel. „Hier!“

„Was ist das?“, wunderte sich Carolin.

„Guck doch rein!“

Carolin riss hektisch die Schachtel auf und zog ein kleines, herzförmiges Medaillon an einer Silberkette heraus.

„Mach es auf!“, befahl Ines mit erwartungsvollem Lächeln.

Vorsichtig öffnete Carolin den silbernen Verschluss des Medaillons. In dem kunstvoll gravierten Schmuckstück war ein kleines, ovales Foto von einem Pferd. Von einem wunderschönen weißen Araber mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn. „Das ist ja Sternentänzer!“, hauchte Carolin. „Toll, Mam, das ist…“ Sie fiel ihrer Mutter um den Hals. „Danke! Danke!“

„Gefällt’s dir?“

„Und ob! Aber wann hast du das Foto gemacht?“, wunderte sich Carolin.

„Das ist mein Geheimnis. So kannst du jetzt dein Lieblingspferd immer mit dir rumtragen“, lächelte Ines. „Und sogar mit in die Schule nehmen!“

Carolin fingerte an dem Verschluss der Kette herum und hängte sie sich gleich um den Hals. „Danke, Mam. Du bist echt die Beste!“

Ines lächelte. „Los, ab jetzt, sonst kommst du wirklich noch zu spät in die Schule!“

Carolin hatte sich immer schon ein eigenes Pferd gewünscht. Und seit letztem Winter gehörte ihr das schönste und schnellste von allen. Es hieß Sternentänzer, und sie hatte es aus den Fängen eines finsteren Vorbesitzers befreien müssen. Aber Sternentänzer war nicht nur schön und stark, sondern hatte auch eine ganz besondere Gabe: In Vollmondnächten konnte er seinen Reiter in die Zukunft blicken lassen. Wenn Carolin auf Sternentänzers Rücken saß, war sie ein anderer Mensch. Dann hatte sie das Gefühl, sie könnte alles vollbringen.

Natürlich kam sie zu spät zur Schule, denn wie immer, wenn es schnell gehen musste, schloss sich genau vor ihrer Nase die Bahnschranke hinter der Kleingartenanlage. Die Schranke teilte Lilienthal, den Ort, in dem Carolin mit ihrer Mutter lebte, in zwei Teile.

Ihre Klassenlehrerin, Frau Habermehl, war schon da. Als Carolin ins Klassenzimmer schlüpfte, rückte sie gerade ihre Zweistärkenbrille zurecht, verschränkte die Arme und wartete, bis alle still waren. Neben ihr stand ein Mädchen, das noch nie jemand hier gesehen hatte.

„Guten Morgen, alle zusammen“, sagte Frau Habermehl mit energischer Stimme. „Setzt euch bitte!“

Die pummelige Tina nutzte die allgemeine Unruhe und schob noch schnell zwei Tische zusammen, sodass sie zu dritt nebeneinander sitzen konnten. Frau Meitenbeet hatte das im letzten Jahr erlaubt. Sie waren einunddreißig in der Klasse, und so musste keiner allein sitzen. „Können wir zu dritt?“, stammelte Tina hastig, eigentlich nur der Form halber.

Frau Habermehl sah sie an, sagte aber nichts. Dann nahm sie die Liste und rief nacheinander alle Namen auf. „Jetzt könnt ihr mal so bleiben“, bestimmte sie. „Aber nach der Pause bekommt ihr eure festen Plätze“, fügte sie dann so energisch hinzu, dass ihr Doppelkinn wackelte wie eine Portion Götterspeise. Sie deutete auf das Mädchen an ihrer Seite. „Wir begrüßen heute eine neue Mitschülerin: Lina Schniggenfittich.“ Frau Habermehl sprach immer in der Wir-Form, wohl weil sie klein und ausgesprochen rundlich und irgendwie mehr als eine einzige Person war. „Und nun fangen wir mit dem Unterricht an.“

Die Stunde verging im Nu. Als es klingelte, rannten alle aus dem Klassenzimmer. Aufgeregt tuschelten sie über die neuen Plätze. Jeder hoffte, dass er neben der besten Freundin sitzen bleiben konnte.

Nach der Pause mussten alle vorne im Klassenzimmer stehen bleiben.

Die Tische, die Tina zusammengeschoben hatte, standen wieder auf ihren Plätzen. Frau Habermehl hielt ein Papier in der Hand, auf dem alle Namen aufgeschrieben waren. Tina hockte neben Heike, Carolin neben Luisa … Am Ende waren alle Namen aufgerufen bis auf zwei.

„Und dann haben wir da noch Julia und Lina.“

Alle schauten erst Julia an, dann Lina. Oder besser, sie starrten Lina an wie einen Affen im Zoo. Und alle fanden es schlimm für Julia, denn Lina war irgendwie anders. Es waren ihre Haare, die lang und dunkelrot in ungezähmten Locken über ihre Schultern fielen und wirkten, als sei der Wind durchgefahren. Ihre leuchtend grünen Augen, die etwas Wildes hatten und aussahen, als könnten sie durch einen hindurchblicken. Und es war ihre Kleidung: Sie trug zwei oder vielleicht auch drei lange, weite, geblümte Röcke übereinander, dicke Schnürstiefel und eine Bluse mit vielen langen Schnüren. Carolin schaute dieses fremde Mädchen an wie alle anderen. Und vom ersten Moment an wusste sie, dass Lina ihr etwas bedeuten würde. Dass es ihr nicht gleichgültig sein würde, was mit diesem Mädchen passierte.

Julia fand es schauderhaft. Das Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen starrte sie Frau Habermehl an. „Oh no, Frau Habermehl, bitte, das können Sie doch nicht machen. Das geht gar nicht! Ich will das nicht! Ich will nicht neben der sitzen!“

Frau Habermehl blieb unerbittlich. „Was geht und wo du sitzt, entscheide immer noch ich. Also setz dich bitte neben Lina, damit wir mit dem Unterricht beginnen können.“

„So ein Mist!“, zischte Julia und knallte wütend ihre Bücher auf den Tisch.

Etwas verschreckt ließ sich die Neue neben ihr nieder.

Julia musterte sie von der Seite „Schniggenfittich“, stieß sie dann verächtlich zwischen den Zähnen hervor. „Wie kann man nur so heißen!?“ Dann grinste sie fies. „Wahrscheinlich dann, wenn man seine Klamotten aus der Altkleidersammlung zieht.“

Carolin, die zwei Bänke entfernt saß, fuhr herum und blitzte sie an. In diesem Moment fand sie Julia einfach nur blöd. Strohdoof und zimperlich. „Du kennst Lina doch gar nicht. Du hast ihr ja noch nicht mal eine Chance gegeben. Du bist eine verwöhnte Pute, weiter nichts, genau das bist du! Und außerdem: Schlupf ist auch nicht gerade der obercoolste Name!“ Julia hieß nämlich Schlupf mit Nachnamen. Ihrem Vater gehörte eine Strumpffabrik, und ihre Familie schwamm im Geld.

Frau Habermehl griff ein. „Ruhe da hinten!“

„Selber Pute“, äffte Julia Carolin nach und schlug ihr Buch auf.

Überraschung auf Lindenhain

„Na, Schatz, was gibt’s Neues in der Schule?“, wollte Ines beim Mittagessen wissen. Sie arbeitete im Moment meist nur halbtags bei einem Rechtsanwalt und war mittags schon wieder da. Das Kostüm hatte sie schon ausgezogen, aber der rosa Lidschatten lag noch über ihren Augen.

Das Mittagessen bestand aus einer großen Portion Spaghetti und einem gemischten Salat ohne Gurken. Carolin hasste nämlich Gurken. „Nichts“, antwortete sie mit vollem Mund. Sie wollte essen und nicht über die Schule sprechen. Außerdem war es ein strahlend schöner Tag, und Carolin wollte so schnell wie möglich nach Lindenhain zu Sternentänzer.

Ines aber war offenbar unbedingt nach Reden. Wenn sie nur halbtags arbeitete und viel Zeit zu Hause verbrachte, fühlte sie sich manchmal einsam und brauchte Ansprache. Am Anfang hatte es Carolin gehasst, dass ihre Mutter wieder arbeiten wollte. Damals noch den ganzen Tag. Jetzt wurde sie oft nur noch halbtags gebraucht und das auch nicht immer. Inzwischen war es Carolin viel lieber, wenn Ines den ganzen Tag arbeitete und gut gelaunt am Abend zurückkam. An ihren Nicht-Arbeitstagen hing sie nur herum, machte ein trauriges Gesicht und nervte mit unendlich vielen Fragen. Wie heute.

„Carolin, ich bitte dich! Irgendetwas muss es doch gegeben haben“, beharrte sie. Carolin wusste, dass Ines nicht eher locker lassen würde, bis sie etwas erfahren hatte. Und das, obwohl sie wusste, dass Carolin an einem so herrlichen Tag unbedingt in den Reitstall wollte.

„Lina“, sagte sie also und schaufelte sich ihre Gabel voll mit Nudeln.

„Und wer ist Lina?“, fragte Ines ganz erfreut über ihren Befragungserfolg.

„Eine Neue.“ Carolin stopfte die Nudeln in den Mund.

„Ja und? Erzähl, wie ist sie denn so?“

„Weiß nicht, ich kenn sie ja noch nicht.“

„Du musst doch wissen, ob sie sympathisch ist, langweilig, nett …?“

Carolin zuckte mit den Schultern. Inzwischen war sie beim Salat ohne Gurken angelangt. „Sie ist irgendwie komisch.“

„Wie komisch?“

Na klar, das musste ja kommen! „Sie sieht ein bisschen komisch aus und hat komische Sachen an“, erklärte Carolin.

„Carolin.“ Ines sah sie streng an. „Du weißt doch ganz genau, dass man Menschen nie nach ihrem Äußeren beurteilen sollte!“

„Ja, ja, tu ich ja nicht, Mam“, sagte Carolin, die überhaupt keine Lust mehr auf das Verhör hatte. „Und jetzt muss ich gehen. Sternentänzer wartet auf mich!“

Ines seufzte und begann, den Tisch abzuräumen. „Aber bitte sei pünktlich zum Abendessen wieder zurück!“, rief sie ihr noch nach.

„Ja, ja.“ Bloß gut, dass sie morgen wieder den ganzen Tag arbeitet, dachte Carolin. Sie rannte hoch in ihr Zimmer und kramte eine alte Jeans aus der hintersten Ecke ihres Schrankes hervor. Ines mochte es nicht, wenn die Sachen, die sie auch in der Schule trug, vom Pferdeschweiß fleckig wurden. Unten zog sie dann demonstrativ schon mal ihre Reitstiefel an. Aber sie war nicht schnell genug.

„Ach, Carolin!“ Ines schaute aus der Küche.

Nein, was denn noch? „Ja, Mam?“

„Wir haben keine Eier mehr. Bringst du auf dem Rückweg bitte welche mit? Ich wollte nämlich am Abend mal wieder ein neues Rezept ausprobieren. Aber das funktioniert nur mit Eiern!“

Carolin seufzte. „Na gut!“

„Hier!“ Ines hielt ihr einen Fünf-Euro-Schein hin. „Müsste reichen, und ein Eis ist da bestimmt auch noch drin!“

„Danke, Mam!“ Im Rausgehen stopfte Carolin den Geldschein in die Tasche. Dabei kam ihr ein zerknüllter Zettel in die Hand. Sie lehnte sich an ihr Bike und faltete ihn auf.

In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche ein, und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel. Im gleichen Moment wird ein wunderschöner Schimmel mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn geboren … Er verfügt über außergewöhnliche Kräfte, er kann in die Zukunft blicken … Denn seine magischen Kräfte erfährt nur, wer sein Vertrauen besitzt.

Es war der Zettel aus der Bücherei, durch den sie von Sternentänzers magischen Fähigkeiten erfahren hatte. Carolin grinste vor sich hin. Die Jeans war wohl schon ziemlich lange nicht mehr gewaschen worden.

Jedes Mal, wenn Carolin nach Lindenhain fuhr, und das tat sie fast täglich, hatte sie das Gefühl, als würde ein Schwarm Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzen. Und dies umso leidenschaftlicher, je näher sie kam. Wenn sie dann endlich ihr Ziel erreicht hatte, klopfte ihr Herz wie wild. Ein riesengroßes Strahlen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, und sie war bester Laune. Schlechte Noten und Ärger zu Hause lösten sich in Luft auf. Das war schon so, als sie noch als Pferdemädchen auf dem Hof gearbeitet und all die anderen Mädchen mit ihren eigenen Pferden beneidet hatte. Doch seit sie die stolze Besitzerin von Sternentänzer war, war ihre Freude doppelt groß. Und wenn sie auf Sternentänzer ausritt, war sie so glücklich, dass sie sich jedes Mal wieder in den Arm zwicken musste, um festzustellen, ob sie nicht träumte.

Als Carolin an diesem Nachmittag nach Lindenhain kam, erlebte sie eine dicke Überraschung. Nick, Lindenhains Mann für alles – helle, struppige Haare und nette samtbraune Augen –, marschierte zusammen mit einem Mädchen über den Hof. Hofhund Herr Maier hüpfte freudig schwanzwedelnd hinter den beiden her. Das Mädchen war Lina. Die mit den wilden Haaren und den seltsamen Klamotten. Was geht denn hier ab?

„Hallo, Lina, was machst du denn in Lindenhain?“, fragte Carolin verwundert.

„Und was geht dich das an?“, gab Lina zurück. Ihre Stimme klang hart, und ihre grünen Augen blitzten. Komisch, wunderte sich Carolin. Warum macht die mich denn so an? Ich hab der doch gar nichts getan? Vielleicht hat Julia doch recht, und Lina ist tatsächlich eine doofe Pute. Egal!

Sie zuckte mit den Schultern und wollte zu Sternentänzer in den Stall laufen. Er erwartete sie bestimmt schon sehnsüchtig.

„He, Caro, nicht so schnell. Warte mal kurz!“, rief ihr Nick nach.

„Was denn?“, fragte Carolin, ohne sich umzudrehen.

„Ich möchte dir jemanden vorstellen. Das hier ist Lina …“

Carolin blieb stehen. „Ich weiß.“

„Und Lina, das ist Carolin.“

Lina blickte düster vor sich hin, ohne ein Wort zu sagen.

„Lina fängt als Aushilfe bei uns an“, erklärte Nick.

Carolin blieb wie angewurzelt stehen. „Wie bitte?! Sag das noch mal!“

„Lina fängt bei uns auf Lindenhain als Aushilfe an“, wiederholte Nick.

„Wie bitte …?“

Nick war von ihrem Erstaunen unbeeindruckt. „Könntest du sie bitte ein bisschen rumführen und ihr alles zeigen?“

„Ich weiß nicht …“ Carolin hatte nichts gegen Lina, doch sie war immer noch sauer über die feindliche Begrüßung. Außerdem gehörte Lindenhain irgendwie ihr. Der wunderschöne Reiterhof hoch oben auf dem Hügel zwischen großen alten Linden, mit dem lang gestreckten, hellgelben Stall mit blauen Türen und der weißen Reithalle. Und Nick mit dem Lausbubengrinsen gehörte doch auch ihr. Irgendwie. Als Kumpel, als Freund, als eine Art älterer Bruder. Obwohl, manchmal kribbelte es schon ein ganz kleines bisschen, wenn er so neben ihr saß. Aber nur manchmal. Manchmal fand sie ihn auch einfach nur total doof. Jedenfalls war es ihr Nick. Was hatten sie nicht schon alles zusammen erlebt? Und jetzt wollte sich ausgerechnet diese komische Lina dazwischendrängen?

„Los, komm schon, Caro! Tu mir den Gefallen. Ich hab keine Zeit. Ich muss mich um ein neues Pferd kümmern“, drängelte Nick.

„Na gut“, gab Carolin schließlich nach. „Weil du’s bist! Komm mit, Lina.“ Sie wollte auch nicht unfair sein. Lina hatte schließlich eine Chance verdient. Wortlos trabten die beiden Mädchen nebeneinander her zum Stall.

„Kannst du eigentlich reiten?“, fragte Carolin dann in die Stille, um überhaupt etwas zu sagen.

Lina brummte ihr ein recht feindseliges „Natürlich!“ entgegen.

Carolin zuckte mit den Achseln. Dann eben nicht. „Da vorne, das lang gestreckte, hellgelbe Ding mit den blauen Türen ist der Stall. Davor ist der Auslauf, und in dem weißen Gebäude ist die Reithalle. Der große Paddock mit dem blauen Holzzaun gehört auch dazu. In dem Gebäude da hinten hat Gunnar, der Big Boss, sein Büro. Da ist auch der Gemeinschaftsraum.“

„Das ist alles?“, fragte Lina, ohne sie anzusehen.

„Soll ich dir zeigen, wie man den Stall putzt und die Pferde pflegt?“, fragte Carolin freundlich.

Lina schüttelte den Kopf. Ihr Blick war immer noch hart und feindselig. „Weiß ich alles.“

„Tja dann … die Pferde stehen im Stall …“

„Sehr witzig!“, keifte Lina.

Carolin blieb stehen. „Sag mal, bist du heute mit dem falschen Fuß aufgestanden, oder warum reagierst du so zickig?“

Lina funkelte sie an, und ihre grünen Augen blitzten. „Wenn ich gewusst hätte, dass du hier auf dem Reiterhof bist, hätte ich mir einen anderen ausgesucht!“

Carolin platzte langsam auch der Kragen. „Wär vielleicht besser gewesen!“

„Du und deine doofen Freundinnen, ihr könnt mir echt gestohlen bleiben!“, fauchte Lina und zog ab.

Lina hockte auf dem Koppelzaun. Sie knabberte an einem Grashalm und blickte hinüber zu Marhaba und Rocco, die im Schatten der zwei großen Linden Schutz vor der Mittagssonne suchten. Beide Pferde dösten mit geschlossenen Augen vor sich hin. Ab und zu wehrten sie sich mit peitschendem Schweif gegen die lästigen Fliegen, die sie umschwirrten. Aber noch nicht einmal dann öffneten sie die Augen.

Carolin trat neben Lina. Sternentänzer war nicht mehr im Stall. Nick hatte ihn schon auf die Weide gebracht. Sie stöhnte und fuhr sich mit allen Fingern durch die kurzen Haare. „Ganz schön heiß heute.“ Nicht der leiseste Windhauch raschelte in den Bäumen, auch kein Vogelgezwitscher war zu hören. Es war, als schliefe alles. Auf dem Hof rührte sich nichts. Herr Maier schnarchte in seiner Hundehütte, und Eulalia, die dicke Katze, hielt ihren Pelz in die Sonne und lag da wie tot. Nur ab und zu bewegte sich ihre Schwanzspitze. Lina gab keine Antwort.

Auf einmal jagte Sternentänzer in gestrecktem Galopp und mit fliegender Mähne vorbei.

„Was für ein Pferd!“, murmelte Lina, ohne den Grashalm aus dem Mund zu nehmen. „Diese Muskeln, diese herrliche Farbe! Diese Haltung! So was Edles sieht man sonst nur im Fernsehen!“

„Stimmt“, nickte Carolin und platzte fast vor Stolz bei dem Gedanken, dass dieses Prachtexemplar ihr gehörte.

„Kann man den mal reiten?“, fragte Lina und hatte für einen Moment ganz vergessen, dass sie eigentlich abweisend sein wollte.

„Schätze, da musst du den Besitzer fragen“, entgegnete Carolin mit dem Anflug eines Lächelns.

„Und wer ist das?“

„Ich“, erklärte Carolin und fühlte sich so toll, als hätte sie sich als Besitzerin der Kronjuwelen geoutet.

Lina ließ vor Überraschung den Mund offen stehen, und der Grashalm purzelte heraus. „Du?“

„Ich!“

„Glaub ich nicht.“

Carolin steckte zwei Finger in den Mund und pfiff. Sternentänzer hielt einen Moment inne, dann jagte er in ihre Richtung los. Lauthals wiehernd blieb er vor ihr stehen, stupste sie liebevoll am Arm und beschnupperte ihre Hand, die sie ihm hinhielt.

Carolin liebkoste seine weichen Nüstern. „Hallo, mein Süßer! Wir beide gehören zusammen, stimmt’s?“

Als hätte er ihre Worte verstanden, hob er sein edles Haupt, nickte und rieb seinen Kopf hingebungsvoll an ihrer Schulter.

„Puh!“ Lina schien schwer beeindruckt. Sie hüpfte vom Koppelgatter und stellte sich neben Carolin.

„Du kannst ihn ruhig streicheln“, sagte Carolin großzügig.

„Wie heißt er denn?“

Carolin deutete eine Verbeugung an. „Darf ich vorstellen: Sternentänzer, das ist Lina. Lina, das ist Sternentänzer!“

„Hallo, du schöner Sohn der Wüste“, flüsterte Lina. Ihre Stimme war plötzlich ganz weich.

Carolin beobachtete die beiden gespannt. Neugierig spitzte Sternentänzer die Ohren, dann schnaubte er zufrieden. Offenbar hatte er nichts gegen Lina. Er sah sie kurz an, dann ließ er sich von ihr streicheln.

„Wieso nennst du ihn Sohn der Wüste?“, erkundigte sich Carolin.

„Ursprünglich züchteten die Beduinen Arabiens diese Pferde und nannten sie Söhne der Wüste‘“, erzählte Lina, ohne die Augen von Sternentänzer zu lassen. „Und in alten Sagen wird erzählt, dass Allah sie aus den schnellen Winden der Wüste schuf. Die erste Stute machte er aus dem Südwind. Sie sollte ein Segen für den Guten sein, und Glück sollte auf ihrem Rücken wohnen. Allerdings nur für denjenigen, der seine Stute lieb und gut behandelte. Wer schlecht mir ihr umging, dem drohte Unheil. Die Beduinen liebten ihre Pferde so sehr, dass sie alles mit ihnen teilten: das Zelt, den Schlafplatz, teilweise sogar ihr Essen. Ganz besonders liebten sie die weißen Pferde. Sie bringen Glück, heißt es auch heute noch …“

„Ja?“

„Früher ließ man schon mal einen Schimmel und einen Rappen gegeneinander Rennen laufen. Wenn der Schimmel gewann, bedeutete das Gutes. Wenn der Rappe gewann … tja“, sie zuckte mit den Achseln, „… dann sah es nicht so gut aus.“

Carolin staunte.

„Es ist schon mal ein Riesenglück, wenn ein Pferd überhaupt weiß wird. Die kommen nämlich alle als Füchse, Braune oder Rappen auf die Welt. Im Lauf der Zeit wird dann das Fell immer heller. Mit acht bis zehn Jahren sind die Schimmel dann richtig weiß. Nur das hier ist merkwürdig.“ Sie strich über Sternentänzers schwarzen Stern auf der Stirn.

„Warum?“

„Es ist sehr selten, dass weiße Pferde ein schwarzes Abzeichen haben. Dein Sternentänzer muss ja ein ganz besonderes Pferd sein!“

Wenn du wüsstest