Still Broken - April Dawson - E-Book
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Still Broken E-Book

April Dawson

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Beschreibung

Eine Liebe, die jede Träne wert ist ...

Als Norah sich am College in den unnahbaren Max verliebt, beginnt die aufregendste Zeit ihres Lebens. Die Gefühle zwischen ihnen sind leidenschaftlich, echt und so völlig anders, als alles, was sie zuvor erlebt hat - auch wenn alle sie vor Max gewarnt haben. Je näher sie sich kommen, desto deutlicher spürt Norah allerdings, dass Max etwas vor ihr verbirgt - aber auch, dass ihre Liebe jeden Kampf wert ist, selbst wenn Max’ Geheimnis ihr Leben für immer auf den Kopf stellen könnte ...

Der neue Roman von Bestseller-Autorin April Dawson

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Seitenzahl: 410

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Inhalt

TitelZu diesem BuchWidmungPlaylist on Spotify12345678910111213141516171819202122232425262728DanksagungLeseprobe Die AutorinImpressum

APRIL DAWSON

Still Broken

Roman

Zu diesem Buch

Als die junge Studentin Norah Jarvis auf einer College-Party dem gut aussehenden Max in die Arme stolpert, warnen sie alle vor ihm: Max sei gefährlich, verschlossen und werde ihr auf jeden Fall das Herz brechen – etwas, was Norah auf keinen Fall noch einmal erleben will. Doch so sehr Norah sich vornimmt, Max zu vergessen und sich ganz auf ihr Journalismus-Studium zu konzentrieren – die Gefühle zwischen ihnen sind leidenschaftlich, echt und so völlig anders als alles, was sie zuvor erlebt hat. Je näher sie sich kommen, desto deutlicher spürt Norah, dass es da noch eine andere Seite an ihm gibt. Einen Max hinter der Fassade, die alle zu kennen glauben – aber auch, dass Max etwas vor ihr verbirgt. Ein schreckliches Geheimnis, das ihr Leben für immer auf den Kopf stellen könnte …

Für all jene, die für ihre Liebe kämpfen

Playlist on Spotify

Seehter feat. Amy Lee – Broken

Beyonce – Broken Hearted Girl

Harry Styles – Sweet Creature

Demi Lovato – Fix a Heart

Nick Jonas – Find you

Taylor Swift – Safe & Sound

James Arthur – Train Wreck

Gnash feat. Olivia O’Brien – I hate you, I love you

Birdy – Skinny Love

Christina Perri – Arms

Julia Michaels – Issues

Alessia Cara – River of Tears

Emelie Sande – Read All About It

Taylor Swift – Don’t Blame Me

Ellie Goulding – How Long Will I Love You

Noah Cyrus feat. Labrinth – Make Me (Cry)

Niall Horan – Too Much To Ask

We the Kings – Sad Song

1

Die erste große Liebe bleibt einem immer im Gedächtnis. Manche erinnern sich mit einem Lächeln, andere mit Wehmut daran.

»Großer Gott! Wie viele Bewerber kommen denn noch?«, rief meine Freundin Brooke aus der Küche, als es erneut an der Haustür klingelte. Sie war dabei, meine Kaffeemaschine zu bändigen, die manchmal ein Eigenleben entwickelte und öfter streikte als mir lieb war. »Verfluchtes Mistding«, knurrte sie und hantierte lauter herum. Ich betete, dass sie die Maschine wieder flottbekam, denn wir brauchten unbedingt eine Stärkung. Brookes Frustration über die Anwärterinnen konnte ich durchaus verstehen, denn wir hatten schon sechs Kandidatinnen getroffen, die Interesse an dem freien Zimmer in meiner Wohnung hatten.

»Wieso musst du es auch unter dem Mietspiegel vermieten?«, schaltete sich Lydia ein, die ihre Notizen sortierte und gierig auf die Kaffeemaschine schielte, die endlich in Gang gekommen war.

»Weil ich niemanden ausnehmen will. Manche Studenten arbeiten schon hart genug, um auf dem College bleiben zu können. Deshalb verlange ich eben wenig Miete.«

»Ich verstehe deine guten Absichten, aber deine Anzeige hat dir in einer Stunde über sieben Anfragen eingebrockt«, sagte Lydia lächelnd.

»Und wenn ich die Anzeige nicht schnell wieder entfernt hätte, wären es doppelt so viele«, erwiderte Brooke und stellte drei Becher mit herrlich duftendem Kaffee auf unserem Tisch ab. Wir hatten ihn so angeordnet, dass wir nebeneinandersaßen, während die Bewerberinnen auf der Couch Platz nahmen. Fast sah es aus, als wäre dies ein Casting und wir die kritische Jury, was in gewisser Weise stimmte. Wir notierten alles, damit uns die Entscheidung später leichter fiel.

»Na gut, Ladies. Ich lasse mal das letzte Mädel rein. Lasst uns hoffen, dass jemand dabei ist, der zu unserer lieben Norah hier passt«, meinte Lydia, zwinkerte mir zu und ging zur Tür.

Ich trank einen Schluck von meinem Kaffee und seufzte wohlig. Genau das brauchte ich jetzt. Den herben Geschmack eines schwarzen Kaffees, der mich wieder zum Leben erweckte.

»Du brauchst unbedingt eine neue Kaffeemaschine«, sagte Brooke und sah mich auffordernd an.

»Quatsch. Sie läuft doch.« Ich hielt meinen Becher zufrieden in die Höhe, was Brooke die Augen verdrehen ließ.

»Ja, sie läuft, weil ich sie windelweich geprügelt habe.« Ich grinste sie breit an, doch ihre Miene blieb ernst, was gar nicht zu ihr passte. »Siehst du das hier?« Brooke hielt ihre Handfläche in die Höhe, damit ich den roten Fleck sehen konnte.

»Du hast sie wirklich verprügelt!« Und ich dachte, sie hätte nur einen Witz gemacht.

»Sag ich doch. Dieses Ding ist gemeingefährlich.«

»Na gut, sobald die neue Mieterin eingezogen ist, werde ich mit ihr die Kaffeefrage besprechen.« Brookes Gesicht hellte sich auf, denn bei ihr ging nichts über einen guten Kaffee.

Ich hörte Lydia mit der neuen Bewerberin sprechen und sah schnell noch mal meine Notizen durch. Die ersten vier Mädels, die das Zimmer wollten, waren Erstsemester wie ich, allerdings mit dem großen Unterschied, dass sie nur an Partys interessiert waren und dreist fragten, ob man Jungs mit aufs Zimmer nehmen könnte. Eine ist gar nicht erst erschienen, und die letzte Bewerberin war ein Mann, obwohl ich ausdrücklich nach einer Frau als Mitbewohnerin gesucht hatte. Mir war die Wahl der richtigen Person wichtig, deshalb nahm ich diese ganze Arbeit überhaupt auf mich. Es war mein erstes Semester auf dem College, und da mein Bruder in demselben Wohnheim wohnte wie seine Freundin, und Brooke und Lydia schon im zweiten Semester waren, wollte ich eine Mitbewohnerin haben, die gut zu mir passte. Bis jetzt kam nur Nummer sechs infrage, ein Bücherwurm, der eher still war, aber einen sympathischen Eindruck bei mir hinterlassen hatte. Ich kreiste ihren Namen mit dem Kugelschreiber ein, als Lydia mit der letzten Kandidatin hereinkam. Ihr Outfit bestand aus einem weiten khakifarbenen Shirt und schwarzen Leggins, dazu dunkle Chucks, doch was mir gefiel, war ihr Lächeln. Es war ansteckend, natürlich, und wirkte ein wenig nervös. Ihr langes, gewelltes Haar hatte denselben Kastanienton wie meines. In der Statur war sie mir ähnlich. Schlank, aber um die Hüften kurvig.

»Hallo, ich bin Rachel«, stellte sie sich mit einer für eine Frau eher untypisch tiefen Stimme vor und winkte in die Runde.

»Hey, ich bin Norah, das sind meine Freundinnen Brooke und Lydia. Sie sind als moralische Unterstützung hier und helfen mir, eine Entscheidung zu treffen.«

»Freut mich.«

»Bitte, setz dich«, sagte Lydia und ließ sich neben mir auf dem Stuhl nieder.

»Also Rachel. Ich will ehrlich zu dir sein, ich habe einige Bewerber für dieses Zimmer, und deshalb würde mich interessieren, wieso du hier wohnen möchtest.«

Die meisten waren überrascht über diese direkte Frage, aber sie antwortete prompt. »Weil meine derzeitige Mitbewohnerin plant, bei einer Realityshow mitzumachen, und ich diesen Trubel nicht möchte. Ich bin generell etwas Social-Media-scheu.«

»Verständlich. Ich würde das auch nicht wollen. Und ich kann mit den ganzen Plattformen auch nichts anfangen«, meinte Lydia und lächelte wie immer herzlich.

»Erzähl doch etwas von dir«, sagte Brooke und rückte ihre Brille zurecht.

Und das tat Rachel in ein paar kurzen Sätzen. Sie hatte einen Bruder, der hier ebenfalls studierte, liebte Sport im Freien, jobbte in der Bibliothek, aß generell alles und kochte gern. Was ein großer Pluspunkt war, denn kochen konnte ich nur vor Wut.

Lydia notierte sich hier und da etwas, wie ich, doch Brooke hörte nur interessiert zu und nickte ab und an. Nachdem sie bei meinen Fragen, durch welche ich etwas mehr von ihrem Charakter erfahren durfte, hervorragend abschloss, verabschiedeten wir uns von Rachel, und ich begleitete sie zur Tür.

Brooke, Lydia und ich gingen nochmals unsere Notizen durch. Die beiden waren der Meinung, dass der Bücherwurm namens Cheryl und Rachel in die engere Wahl kommen sollten. Jeder sagte seine Meinung zur jeweiligen Person, und nach einer halben Stunde fiel die Entscheidung auf Rachel, weil sie eher zu mir passte als Cheryl, die etwas in sich gekehrter war. Ich schrieb dieser eine Absage und rief Rachel an, um es ihr mitzuteilen. Sie freute sich riesig, was mich mehr darin bestätigte, dass ich mit ihr die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Abends machten wir uns zum Ausgehen fertig, doch die Lust auf Party wollte sich bei mir nicht einstellen. »Können wir nicht einfach in eine Bar gehen?«, fragte ich Brooke, die ihr Make-up auftrug und innehielt.

»Du weißt, dass es mir egal ist, wohin wir fahren, aber Lydia will Vincent unbedingt wiedersehen und die Party findet in seinem Wohnheim statt, also bleibt uns keine andere Wahl.«

»Du hast recht.«

»Ich weiß.«

»Wird auch Zeit, dass die beiden in die Gänge kommen«, sagte ich grinsend und schnappte mir mein Smartphone, um die Uhrzeit zu checken. Ich versuchte, mein Unwohlsein zu überspielen, meinen Freundinnen zuliebe. Wir hatten eine halbe Stunde, ehe uns Lydia abholen würde. Brooke wusste, wieso ich nicht auf Campuspartys wollte, weshalb wir in letzter Zeit eher auswärts unterwegs waren, aber diesmal musste ich in den sauren Apfel beißen, obwohl er sicher dort sein würde.

Es war schon eine Weile her, seit ich an Aaron gedacht hatte, der Umzug in die Wohnung und das Einschreiben in die Kurse, die mich interessierten, hatten mir kaum Zeit dafür gelassen. Außerdem feilte ich an meiner Bewerbung für die Studentenzeitung. Der Artikel, den ich über die Weltausstellung geschrieben hatte, war gut, aber ich wollte, dass er perfekt wurde. Deshalb ging ich stundenlang meine Notizen durch, um mit Sicherheit bei der Zeitung aufgenommen zu werden. So war mein angeschlagenes Herz zu abgelenkt gewesen, um an den Mann zu denken, der es gebrochen hatte.

»Alles wird gut, Süße«, flüsterte Brooke, die mich beobachtet hatte und genau wusste, über was oder besser gesagt wen ich nachdachte.

Die kreischende Meute vor dem Harkness House weckte erneut den Wunsch in mir, umzudrehen und nach Hause zu laufen. Ich mochte keine Studentenpartys, dabei war ich erst seit Kurzem auf dem College, aber die letzte Feier, auf der ich gewesen war, hatte sich als Katastrophe entpuppt.

»Mach dir keine Sorgen, diesmal wird die Party anders enden«, versicherte mir Lydia fröhlich. Sie hatte leicht reden, denn ich war diejenige, der ein Typ auf die nagelneuen Chucks gekotzt hatte. Ab diesem Zeitpunkt war die Party für mich gelaufen gewesen, und das Sahnehäubchen war, als ich sah, wie Aaron einer Blondine die Zunge in den Hals gesteckt hatte.

Lydias lange blonde Mähne war locker hochgesteckt und in ihrem Jumpsuit in Jeansoptik sah sie einfach toll aus. Mode war ihr Ding, sie liebte es, online nach Schnäppchen zu suchen und sie hatte alle Secondhandshops in ihrer Kurzwahl gespeichert. Es wunderte uns immer wieder, dass sie, obwohl sie eine Fashionista war, anstatt Mode Jura studierte.

Die Brown University befand sich heute im Ausnahmezustand. Unsere Footballmannschaft, die BrownBears, hatten die YaleBulldogs vernichtend geschlagen, und das mussten alle gebührend feiern. Als Tochter eines ehemaligen Quarterbacks und Trainers des Highschool-Footballteams, war dieser Sport Teil meines Lebens. Zwar hatte ich das heutige Spiel nicht live miterleben können, doch ich nahm mir vor, diesen Sieg gebührend zu feiern.

Zwar würde ich mich als Partymaus nicht bezeichnen, aber vor den ganzen Hausarbeiten und Prüfungen wollte ich Spaß haben und die Sau rauslassen. Wer wusste schon, ob ich während des Semesters die Zeit dafür haben würde. Wir betraten den Gemeinschaftsraum des Wohnhauses und ich staunte nicht schlecht, weil überall Fahnen und Schals unserer Footballmannschaft hingen. Sogar am Ventilator war ein Bär festgebunden worden und schwang im Kreis. Fast jeder Gast trug die traditionellen Farben: Gelb, Weinrot oder Braun. Na ja, zumindest die, die etwas anhatten. Einige knutschten, fummelten und fielen übereinander her wie Kaninchen. Manche sturzbetrunkenen Studenten ließen sich obszöne Dinge mit Edding auf den Körper malen, was mich nur den Kopf schütteln ließ. Es war noch nicht mal Mitternacht, und überhaupt, welcher Mensch, der bei Verstand war, tat so etwas?

»Go, Bears!«, schrie mir ein Kerl, den ich nicht kannte, ins Ohr und reichte mir im selben Moment einen prall gefüllten roten Becher. Zuerst zuckte ich erschrocken zusammen, dann begann es, in meinem Ohr zu klingeln, als würde er mit einer Glocke auf mich einprügeln. Danke für das Loch im Trommelfell!

Dass dieses Getränk hochprozentig war, konnte man schon von Weitem riechen. Der Typ mit dem runden Gesicht, der breiten Nase und den freundlichen blauen Augen sah mich abwartend an und hob erneut seinen Becher in die Höhe, um mich zum Trinken zu animieren. Auch wenn ich nicht geplant hatte, gleich mit den harten Getränken anzufangen, prostete ich ihm zu und leerte das Getränk in einem Zug. Heiliger Strohsack! Was war das denn? Mit verzogener Miene starrte ich in den leeren Becher, dabei hatte ich das Gefühl, meine Kehle würde verätzen, so heftig brannte es in meinem Rachen.

»Yeah!«, brüllte er erneut und riss seine Arme in die Höhe.

Brooke zog mich mit einem Kopfschütteln weiter ins Innere des Raums, wo sich die Party schon auf dem Höhepunkt befand. Im Gegensatz zu meinen beiden Freundinnen, die im zweiten Semester waren, war ich neu auf dem College. Ich kannte nicht viele Studenten und sonst merkte ich mir Gesichter schwer, von Namen ganz zu schweigen. Da ich ausschließlich mit der Organisation meiner Kurse, der Suche nach einer Mitbewohnerin und der nach einem Nebenjob beschäftigt gewesen war, hatte ich kaum die Gelegenheit gehabt, Bekanntschaften zu knüpfen.

Eine halbe Stunde später prickelte mein ganzer Körper von diesem einen Drink, den ich anfangs getrunken hatte. Der Alkohol tat seine Wirkung, und ich fühlte mich lockerer, mutiger. Zur Musik nickend, lehnte ich mich gegen die Wand, die meinen Körper etwas abkühlte, obwohl es heiß und stickig im Raum war. Von hier aus hatte ich einen guten Blick auf die sich im gedämpften Licht windenden Leiber auf der Tanzfläche, die ausgiebig tanzten.

Nachdem sich Lydia und Brooke unters Partyvolk gemischt hatten, war ich im Wohnzimmer geblieben und konnte die Zeit nutzen, um die Leute zu beobachten. Die Musik wurde mit jedem Song besser, sodass ich nicht anders konnte, als mich zu den anderen auf die provisorische Tanzfläche zu begeben und loszulassen. Trotz der Enge fand ich einen Platz für mich, wo ich langsam mit den Hüften kreiste, mich zum Takt der Musik schwang und mich schwerelos fühlte. Ich ließ mich vom Rhythmus verführen, fuhr mir durch mein langes Haar und ließ mich treiben.

Plötzlich wurde ich aus meiner persönlichen Trance herausgerissen und fand mich in der Realität wieder. Ein wild fummelndes Pärchen, das mir schon vorhin aufgefallen war, hatte mich gestoßen. Der Aufprall war nicht hart, doch aufgrund meines erhöhten Alkoholpegels taumelte ich. Ich sah mich beinahe schon auf dem klebrigen Boden liegen und erwartete, niedergetrampelt zu werden, da spürte ich, wie jemand nach meinem Unterarm griff, damit ich nicht stürzte. Dieser jemand zog mich hoch – jedoch mit zu viel Schwung, sodass ich direkt in dessen Armen landete.

Überrumpelt und peinlich berührt, krallte ich mich an einem schwarzen T-Shirt fest, um nicht erneut zu fallen. Ein herber Männerduft stieg mir in die Nase. Während meine Augen an diesem festen Oberkörper hängen blieben, stellte ich fest, dass mir gefiel, was ich sah. Schockiert über meine eigene Reaktion hob ich den Blick, glitt zum kräftigen Hals über das kantige Kinn zu grünen Augen, die mich interessiert musterten.

Der Blick des Fremden war anfangs hart, aber intensiv, und ging mir bis unter die Haut. Ich wollte einen Schritt zurückweichen, weil mir plötzlich heiß wurde und mein Atem schneller ging, doch sein Griff lockerte sich nicht. Ich hätte Angst haben sollen, weil mich ein Fremder festhielt, aber ich fand nichts in seinen Augen, was auf Gefahr hindeutete. Wie lange wir uns schwer atmend ansahen, wusste ich nicht mehr. Nur vage bekam ich mit, wie die Partnerin des Fremden ihm an die Schulter tippte.

Als hätten wir einen elektrischen Schlag bekommen, fuhren wir auseinander und ich taumelte erneut, schaffte es aber, aufrecht stehen zu bleiben. Ein letztes Mal sah ich in diese faszinierenden Augen, nur um zu entdecken, dass jegliche Wärme aus ihnen verschwunden war. Seine Miene war kalt, genau wie der Schauer, der meinen Rücken langsam hinabkroch. Ohne den Blick von mir zu lösen, zog er die üppige Blondine an seine Brust und küsste sie stürmisch.

Mit einem seltsamen Gefühl in der Bauchgegend wandte ich mich von dem Pärchen ab und entfernte mich mit feuerroten Wangen. Das ist nicht wirklich passiert! Oder? Ich drängte mich durch die vollen Zimmer, versuchte Brooke zu finden, die heute Nacht bei mir übernachtete, um endlich nach Hause zu gehen. Mein Herzschlag beruhigte sich kaum, aber ich schüttelte den Kopf und fand meine Freundin in der Küche, die sich mit einem Mann unterhielt, den ich nicht kannte. Ihr Lächeln wurde schwächer, als sie mich erblickte. Sie stellte ihren Becher auf die Arbeitsplatte und kam auf mich zu.

»Süße, ist alles okay?«, fragte die brünette Latina besorgt und strich mir über den Oberarm. Ich nickte, obwohl mein Herz nicht aufhörte, wild zu klopfen. »Und wieso glaube ich dir nicht? Ist etwa Aaron hier?«, wollte sie wissen und bedeutete mir, mich auf eine freie Couch zu setzen.

Erneut bejahte ich die Frage, ignorierte die Andeutungen auf meinen Exfreund. »Danke, es geht mir gut. Hab, glaube ich, nur ein wenig über den Durst getrunken.«

Sie schien mit der Antwort zufrieden zu sein, was mich erleichterte. Ich wollte sicher nicht über einen Fremden sprechen, dem ich nur ein paar Sekunden gegenübergestanden hatte. »Warte kurz, ich hole dir schnell ein Glas Wasser.« Ohne ein weiteres Wort stand sie auf und ging erneut in die Küche, die heute Nacht als Bar fungierte.

Mit einer Handbewegung strich ich mir mein Haar nach hinten und atmete tief durch. Doch ich war ruhelos. Was war das vorhin?

Als Brooke zurückkam und mir ein Glas Wasser reichte, leerte ich es in einem Zug. Mit einem Mal wurde ich müde, wollte ins Bett, wir waren schon seit Stunden auf dieser Party.

»Braves Mädchen. So, ich verabschiede mich noch schnell von ein paar Freunden, und dann können wir nach Hause, okay?«

»Was ist mit Lydia?« Ein breites Grinsen erhellte ihr Gesicht. »Die lässt mit Vincent hoffentlich die Puppen tanzen. Nicht auszuhalten, dass sie schon ein halbes Jahr herumflirten, ohne die Sache zu vertiefen.« Brooke war eher der lockere Typ, sie flirtete wie eine Weltmeisterin.

»Na, dann hoffen wir mal das Beste«, meinte ich und sah ihr zu, wie sie in der Menschenmenge verschwand.

Ich lehnte mich ein wenig zurück, spürte die weichen Kissen in meinem Rücken und sah mich ein wenig um. Erneut hatte ich einen herrlichen Blick auf die Tanzfläche, die sich langsam leerte. Nach einem tiefen Atemzug ließ ich diese Nacht Revue passieren. Erleichtert stellte ich fest, dass der Abend kein totaler Reinfall gewesen war. Niemand entlud seinen Mageninhalt auf mir, ich hatte getanzt, Spaß gehabt, und das auf einer Wohnheimparty. Ich hatte sogar jemanden getroffen, der mir auf Anhieb gefallen hatte, der erste Mann seit der Trennung, der diesen Effekt in mir auslöste. Er wiederum schien nicht im Ansatz so fasziniert von mir gewesen zu sein, denn keine Minute später hatte er seine Zunge im Hals irgendeiner willigen Barbiepuppe versenkt. Trotz allem freute ich mich, denn das hieß, dass ich langsam anfing zu heilen.

Mit einem Lächeln auf den Lippen ließ ich den Blick schweifen und erstarrte augenblicklich, als ich diese grünen Augen erneut erblickte. Der Kerl lehnte lässig an der Wand mir gegenüber, hatte die Hände in den Hosentaschen und musterte mich intensiv. Diesmal konnte ich mehr von ihm sehen als seinen Oberkörper. Er wirkte wie ein Mitglied einer Rockband auf mich: Lederjacke, dunkles Shirt, wilde Augen, das schwarze Haar perfekt in Leck-mich-doch-Manier zerzaust. Seine Miene war ausdruckslos, berechnend, aber sein Blick war reines Feuer. Das mich verbrennen wollte.

Plötzlich spürte ich, wie sich jemand neben mich setzte, also wandte ich mich in die Richtung. »Oh Schätzchen. Ich denke, du hörst es besser von mir. Dieser Kerl da«, sie deutete mit dem Kopf in seine Richtung, hielt aber meinem verwirrten Blick stand, »ist nichts für so ein liebes Mädchen wie dich. Glaub mir.« Heather war ebenfalls ein Erstsemester und saß in meinem Französischkurs. Ihre wilden schwarzen Locken fielen ihr wie immer frech ins Gesicht, weshalb sie ihr Haar mit einer Handbewegung zu bändigen versuchte.

»Woher –«, setzte ich an, wurde aber von ihr unterbrochen. »Ach, komm schon, Norah! Jeder Blinde hier sieht, dass dir Max Hayes die Sprache verschlagen hat.«

Oh Mist, ist es so offensichtlich? Dabei wusste ich selbst nicht, wieso er mir derart gefiel. Sie beugte sich zu mir, sah mir tief in die Augen und ich zweifelte nicht an einem einzigen ihrer Worte. »Dieser Mann ist gefährlich. Er ist wie eine Droge, von der du nicht mehr wegkommst. Glaub mir, ich war ihm verfallen. Max ist gut in dem, was er tut, und das ist Herzen brechen.«

Ich schluckte schwer, traute mich nicht, in seine Richtung zu sehen. Brooke kam auf mich zu, begrüßte Heather kurz, bevor sie mich hinter sich herwinkend in Richtung Ausgang zog. Ich folgte ihr, blieb aber stehen, als meine Kommilitonin erneut nach mir rief: »Ach, Norah! Ein gut gemeinter Rat: Wenn dir dein Herz lieb ist, halt dich von ihm fern. Er bringt nur Ärger.«

Ich nickte ihr zum Abschied zu, ging an der Tanzfläche vorbei und sah ein letztes Mal zu der Stelle, an der Max bis eben gestanden hatte. Ich ging mit meiner Freundin nach Hause, doch selbst als ich in den Schlaf dämmerte, ließen mich diese funkelnden grünen Augen nicht los.

2

Trotz eines Lageplans fühlte ich mich auf dem großen Campusgebäude verloren. Ich bewunderte die Studenten um mich herum, die wussten, wie sie zu ihren Hörsälen gelangten. Da half es nichts, dass ich schon ein paar Wochen vor Unibeginn angereist war, um mich einzugewöhnen. Meine Freundinnen und mein Bruder konnten mir auch nicht wirklich helfen, da sie in andere Gebäude mussten. Leider war ich keine Rory Gilmore, die Lagepläne und Kurszeiten auswendig lernte, deshalb musste ich da durch.

Mir fiel auf, dass nur ich orientierungslos mitten auf dem Quiet Green, der Lernwiese, stand. Die Fläche war leer, doch sobald es wärmer wurde, lagen viele Studenten auf dem Gras und lernten unter freiem Himmel.

Ich versuchte, mich auf den Plan zu konzentrieren und zum wiederholten Mal die John-Carter-Universitätsbibliothek zu finden, denn in der Nähe dieses Gebäudes war mein Ziel.

»Na, hast du dich verlaufen?«, hörte ich eine männliche Stimme sagen und drehte mich um. Vor mir stand ein Student, den ich nie gesehen hatte. Sein honigblondes Haar glänzte in der warmen Herbstsonne und blendete mich kurz.

»Da könntest du recht haben«, erwiderte ich achselzuckend und ließ den Plan sinken. Ich war über jede Hilfe froh, die ich bekam.

»Ich bin Drew.« Er reichte mir seine makellose Hand, die ich schüttelte.

»Norah.«

»Dann erzähl mal, wohin des Weges?« Er lächelte mich an und kratzte sich am Hinterkopf. Er wirkte nervös, was ich irgendwie süß fand.

»Ich muss zur John-Carter-Bibliothek.« Ich faltete den Plan zusammen und schob ihn in meine Umhängetasche, während sich Drew umdrehte und in eine Richtung deutete. »Du gehst diesen Weg entlang, bis du zu einer Weggabelung kommst, dann rechts, bis du raus aus dem Green bist und zu einer schmalen Straße kommst. Die Bibliothek ist ein pompöses, helles Gebäude, das an die Akropolis erinnert wegen der protzigen Säulen.«

»Hier regiert wohl eher der Prunk der alten Zeit.«

»Aber hallo.« Er lachte auf, ehe er sich durchs dichte Haar fuhr und mir wieder in die Augen sah. »Kommst du ab jetzt klar?«

»Nach deiner tollen Wegbeschreibung auf alle Fälle.«

»Nun.« Er räusperte sich und zog sein Handy aus der Hosentasche. »Wenn du möchtest, kannst du mir ja deine Nummer geben, und ich führe dich mal hier auf dem Campus herum.« Drew war attraktiv und sah wie ein typischer College-Student aus, bis hin zu den karierten Bermudashorts und dem hellblauen Poloshirt, passend zu den Chucks, die meinen ähnlich sahen. Er machte einen netten Eindruck, hatte Grübchen, die sich zeigten, wenn er lächelte, und freundliche braune Augen. Ich fühlte mich wohl in seiner Gegenwart und aus diesem Grund gab ich ihm meine Nummer. Ich war dabei, mich auf den Weg zu machen, als er noch mal nach mir rief.

»Ach, und für die Zukunft kannst du ja die Campus-App benutzen.«

»Und das sagst du mir erst jetzt?«, rief ich lachend.

»Na ja, wenn ich dich gleich auf die App verwiesen hätte, wärst du doch sofort abgerauscht, und ich hätte mich nicht mit dir unterhalten können.« Da war was dran.

»Wie dem auch sei«, sagte ich. »Danke trotzdem für die Wegbeschreibung.«

»Gern. Wir sehen uns.« Er winkte mir zu und ging in die entgegengesetzte Richtung. Trotz der anfänglichen Orientierungslosigkeit und des Zeitverlusts kam ich pünktlich in den Hörsaal, mit einem Lächeln auf den Lippen, das ich Drew zu verdanken hatte.

Nach einem vollgepackten ersten Tag am College wusste ich nicht, ob ich ein Bier oder zwei Wochen Schlaf brauchte. Die Zeit, nervös zu sein, hatte ich nicht, aufgrund meines vollen Terminkalenders. In den Kursen wurden die Literaturlisten verteilt, und bei jeder einzelnen wäre ich aufgrund der Länge fast in Tränen ausgebrochen. Als Highschoolschüler freute man sich auf das Leben am College, die Freiheit, seine Entscheidungen selbst zu treffen und seine Kurse ganz nach eigenem Geschmack belegen zu können. Dass das Studentenleben auch einiges an Arbeit bedeutete, wurde einem nicht gesagt.

Deshalb war ich froh darüber, die Tür meiner Wohnung aufzuschließen und tief durchzuatmen. Ich legte die Tasche auf die Kommode neben dem Eingang ab und war überrascht, ein leeres Apartment vorzufinden. Geplant war, dass heute Rachel ihr Zimmer bezog, doch ihr schien etwas dazwischengekommen zu sein. Ich beschloss, ihr später eine Nachricht zu schreiben, ob sie Hilfe beim Umzug benötigte. Nach einer heißen Dusche fühlte ich mich viel besser, zwar ausgehungert und müde, aber glücklich. Ich war an der Brown University, wie schon mein Großvater, Vater und Bruder es waren. Es war mein Traum, auch hier zu studieren, und ein Schritt in die richtige Richtung, wenn ich Journalistin werden wollte.

Ich zog mir ein Tanktop mit Einhornmuster und die dazu passenden Schlafshorts an, schnappte mir mein Handy und legte mich erschöpft auf mein Bett. Kurz las ich meine Mails und die Nachrichten in unserem Gruppenchat, den Lydia, Brooke, mein Bruder und ich hatten. Während ich den ganzen Tag im Stress versunken war, hatten sie sich köstlich amüsiert, und ich hatte hundert Nachrichten zu lesen. Ich wollte unbedingt noch meine Notizen von den einzelnen Kursen durchgehen, doch der Schlaf übermannte mich, und ich schlief erschöpft ein.

Schwer atmend schreckte ich hoch und riss die Augen auf. Mein Herz klopfte wie wild. Ich hatte von einem Mann geträumt, den ich nicht kannte. Ich war in Dunkelheit versunken, und nur seine grünen Augen hatten die Macht, mich auf den richtigen Weg zu bringen. Ein Schauer rieselte über meinen Rücken, wenn ich an die Berührung seiner Hand auf meinem Unterarm dachte. Ich stöhnte genervt auf, legte mich hin und presste mir das Kissen aufs Gesicht. Es war schon ziemlich peinlich, von einem Typen zu träumen, den man nur einmal gesehen hatte.

Ich drehte mich auf die Seite und sah auf den Wecker. Ein Uhr morgens. Mist, verdammter. Meine Kehle fühlte sich mit einem Mal trocken an, deshalb verließ ich mein Zimmer und begab mich in die Wohnküche, wo ich mir aus dem Kühlschrank eine Flasche Wasser holte und einen kräftigen Schluck nahm. Erst jetzt fiel mir auf, dass das Wohnzimmer mit Umzugskartons vollbepackt war. Plötzlich öffnete sich die Tür des Badezimmers, und ein halbnackter Mann kam nur mit einem Handtuch um die Hüften gebunden heraus. Er rubbelte sich das nasse Haar mit einem zweiten trocken. Meine Augen wanderten seinen Körper auf und ab und blieben an seinem festen Bauch hängen, mein Atem stockte. Himmelherrgott, wer ist das?

Mein Blick heftete sich an sein Gesicht, und mir blieb augenblicklich das Herz stehen. Er ist es! Max von der Party, der Mann, von dem ich eben geträumt hatte. Ich verschluckte mich und hustete mir die Seele aus dem Leib. Als ich den Kopf wieder hob, sah ich, wie sein Mundwinkel zuckte. Aber nur fast.

»Hallo«, krächzte ich und räusperte mich. »Wer bist du und was machst du in meiner Wohnung?«, fragte ich mit fester Stimme, obwohl ich aufgeregt war.

Er sagte nichts, sah mich nur an und hielt meinem Blick stand. Diese Augen waren faszinierend, so vertraut, was natürlich völliger Quatsch war.

Dann ließ er das kleine Handtuch in seiner Hand achtlos auf den Boden fallen, senkte den Blick und fuhr sich durch sein dichtes Haar. Es schien, als müsse er sich selbst sammeln. In mir breiteten sich Nervosität und Unruhe zugleich aus. Immerhin stand ein völlig Fremder in meiner Wohnung und noch dazu halbnackt.

Bevor er mir antwortete, öffnete sich die Tür zum Gästezimmer und Rachel betrat die Wohnküche. »Oh entschuldige, haben wir dich geweckt?«

»Nein, ich bin früh eingeschlafen und vorhin aufgewacht.«

»Gut, nicht dass ich Max einen Kopf kürzer machen muss, weil er dich um deinen Schlaf bringt.« Zögernd wanderte mein Blick wieder zu dem halbnackten Mann in meiner Küche. Er stand neben der Küchentheke, klammerte sich an die Arbeitsplatte und schien wegen etwas aufgebracht zu sein. Die Muskeln spannten sich unter seinem festen Griff an, und die Adern traten hervor. »Ach ja, diesen Irren kennst du noch nicht, oder? Norah, das ist Max, mein Bruder.«

Bruder? Er war mit meiner neuen Mitbewohnerin verwandt? Nun löste sich Max von der marmorierten Platte und schritt auf mich zu. Mein Herzschlag verdreifachte sich. Nicht nur weil er auf mich zukam, sondern auch weil er halbnackt war und so unverschämt gut roch. Ich sprach mir innerlich Mut zu, um nicht wie eine Idiotin zu stottern, sollte er dicht vor mir stehen bleiben, doch anders als erwartet, ging er wortlos an mir vorbei, holte eine Tasche, die neben den Umzugskartons stand, und verschwand wieder im Badezimmer. Nur sein Duft blieb zurück, und er roch genau, wie ein Mann riechen sollte. Enttäuschung und Wut machten sich in mir breit, denn selbst wenn er kein Interesse an mir hatte, hätte er sich wenigstens offiziell vorstellen können. Nicht dass ich nicht schon wusste, wer er war. Schließlich war ich so hingerissen von diesem Kerl, dass ich sogar von ihm träumte. Erbärmlich. Ich war wirklich verrückt.

»Nimm’s ihm nicht übel. Er ist sehr … ähm … verschlossen.«

»Das habe ich schon bemerkt«, knurrte ich und trank einen Schluck, um irgendetwas zu tun.

»Ich hoffe, es stört dich nicht, dass er hier geduscht hat. Er hat mir beim Umzug geholfen.«

Ich schüttelte den Kopf, obwohl es mir etwas ausmachte. Ich war regelrecht wütend auf ihn. Es enttäuschte mich, dass er mich aus irgendeinem Grund nicht leiden konnte, und diese Erkenntnis traf mich unvermittelt. Eben blickte er mir tief in die Augen, wirkte überwältigt von mir, und dann ließ er mich stehen. Männer! Man wurde einfach nicht schlau aus ihnen!

Schnell verwarf ich diese Gedanken und wandte mich meiner neuen Mitbewohnerin zu. »Es tut mir leid, dass ich dir nicht geholfen habe.«

Rachel lächelte mich an, schüttelte den Kopf. »Ist schon gut. Max und ich haben den Umzug schnell über die Bühne gebracht. Viel Zeit zum Quatschen wäre da nicht geblieben.«

Ich folgte ihrem Blick zum Chaos im Wohnzimmer. »Kann ich dir irgendwie behilflich sein? Mit Auspacken oder so?«, fragte ich, deutete mit dem Kopf auf die Umzugskartons.

»Das ist sehr nett von dir, aber ich bin fix und fertig und gehe für heute schlafen.«

»Gut, dann eben morgen, wenn wir beide fitter sind.«

»Ist gut. Gute Nacht, und sorry noch mal wegen meinem Bruder, normalerweise ist er charmant im Umgang mit Frauen.«

»Kann ich mir denken.« Ich lächelte, dachte dann jedoch an den Abend, an dem Max und ich uns zum ersten Mal begegnet waren. Als er einer Blondine Mund-zu-Mund-Beatmung für Arme gegeben hatte. »Gute Nacht.« Rachel winkte mir und schnappte sich einen Karton. Ich ging wieder in mein Zimmer und legte mich seufzend aufs Bett. Meine Gedanken waren ein Sturm, und Max bildete den Tornado darin.

Um mich abzulenken, schnappte ich mir das Handy und scrollte ein wenig durch Social Media. Was als tolles Ablenkungsmanöver angefangen hatte, entpuppte sich als Fehler, denn ich entdeckte ein Foto von Aaron, der dabei aufgenommen worden war, wie er eine rothaarige Schönheit küsste. Und auch wenn ich dachte, dass ich über ihn hinweg war, musste ich das Handy weglegen und die Tränen wegblinzeln. Aaron war keine einzige Träne wert, und doch fiel es mir schwer, nicht an den Tag zu denken, an dem ich ihn dabei erwischte, wie er mit einer anderen auf Tuchfühlung ging.

Er hatte mich entdeckt und kam mir mit dem Satz, den ich schon aus Filmen und Serien hasste. »Es ist nicht so, wie es aussieht.« Da waren bei mir alle Sicherungen durchgebrannt, und ich verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Er war überrascht und wollte nach mir greifen, doch ich ging davon und zeigte ihm den Mittelfinger. Seitdem hatten wir kein Wort mehr miteinander gewechselt, wofür ich sehr dankbar war. Ich wusste, dass ich keinen Grund hatte, mich zu verstecken, trotzdem vermied ich die Orte, wo die Chance groß war, ihn anzutreffen, denn auch wenn ich noch immer wütend und enttäuscht war, war ich auch eine Frau, die ihre Tränen meist nicht unter Kontrolle hatte.

An Schlaf war nicht mehr zu denken, weshalb ich mir eine Liste erstellte, was ich für morgen benötigte. Mich erwartete ein Vormittag voller Vorlesungen.

Um fünf Uhr morgens stand ich auf, packte meine Tasche und beschloss, das Frühstück zuzubereiten. Rachel hatte gestern noch bis spät in die Nacht ausgepackt und weil ich nicht geholfen hatte, überlegte ich mir, sie zur Feier des Tages mit einem Frühstück zu überraschen. So leise, wie es mir möglich war, hatte ich Rührei gebraten, Käse und Wurst aufgeschnitten und Joghurt mit Früchten vorbereitet. Nachdem ich alles angerichtet hatte, ging ich ins Bad, um mich für den Tag fertig zu machen.

»Morgen«, erklang es hinter mir, als ich mir gerade das Gesicht mit kaltem Wasser wusch. Ich murmelte ein »Morgen« in mein Handtuch, ehe ich es weglegte und sie anlächelte. »Ich wollte heute etwas später aufstehen, aber der Geruch von Essen war sehr überzeugend.«

Ich wand mich Rachel zu und band mir mein langes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. »Du und Max habt gestern so viel geschafft, dass ich dir was Gutes tun wollte.«

»Das ist lieb von dir. Also, wenn ich etwas liebe, dann ist es Essen.« Ich kicherte über ihre Aussage, und ich machte Platz, damit sie sich ebenfalls frisch machen konnte.

Ich ließ uns zwei Tassen Kaffee ein.

»Das sieht wirklich gut aus«, meinte Rachel fröhlich, als sie sich zu mir setzte.

»Erwarte es bloß nicht jeden Morgen, ich bin eher der Mensch, der ausschläft, wenn er kann.«

»Da bin ich das Gegenteil, aber so ergänzen wir uns, würde ich sagen.«

»Das stimmt.« Ich langte ordentlich zu, denn für mich war das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages.

»Es tut mir leid wegen Max. Er hat sich gestern unmöglich verhalten.«

»Macht doch nichts. Du musst dich wirklich nicht für ihn entschuldigen.«

»Doch, das muss ich, weißt du …« Sie blickte mit nachdenklicher Miene aus dem Fenster und schien ins Leere zu starren, ehe sie sich erneut mir zuwendete. »Wir hatten es nicht leicht im Leben. Ich habe gelernt, damit umzugehen, aber Max hat sich für einen anderen Weg entschieden.«

»Jeder geht anders mit Schicksalsschlägen um.« Ich hatte mich nach der Trennung von Aaron eingeigelt, während andere vielleicht die Sau rausgelassen hätten. Für meine Freunde war es nicht nachvollziehbar, aber für mich war es genau die richtige Vorgehensweise.

»Er lässt gern den großen Bruder raushängen und wird sicher öfter bei mir nach dem Rechten sehen. Es macht dir doch nichts aus, wenn er öfter hier sein wird, oder?«

Am liebsten hätte ich erwidert, dass ich seine unfreundliche Art nicht ausstehen konnte, aber er hatte das Recht, Rachel zu besuchen, wann immer er wollte. »Nein, es macht mir nichts aus.«

Nach dem Frühstück verließen wir gemeinsam die Wohnung. Rachel studierte Literatur, ihre Vorlesungen fanden westlich vom Campus statt, meine südlich, weshalb wir uns nur mittags oder zu Hause sehen konnten. Der Vormittag verging wie im Flug und war bei Weitem nicht so kräftezehrend wie am Tag zuvor. Ich hatte nicht mal einen Fuß in die Cafeteria gesetzt, da kamen auch schon Brooke und Lydia auf mich zu.

»Hier bist du. Wir dachten schon, das College hätte dich in die Knie gezwungen, und du wärst abgegangen«, meinte Brooke lachend und legte den Arm um meine Schultern.

»Quatsch, der gestrige Tag war anstrengend. Dann ist Rachel zu mir gezogen, und als ich die Zeit hatte, eure unzähligen Chatnachrichten zu lesen, bin ich einfach eingeschlafen.«

»Schönen Dank auch«, sagte Lydia mit einem gewissen Sarkasmus in der Stimme.

»Ich musste doch Clark ausquetschen, ob in seinem Schwimmteam jemand für mich dabei ist.« Typisch Brooke, immer auf der Suche nach einem Abenteuer.

»Wie dem auch sei. War es heute erträglicher?«, fragte Lydia und wechselte das Thema. Wir stellten uns in die Schlange bei der Essensausgabe. Der herrliche Duft von Fisch drang mir in die Nase, und ich wusste augenblicklich, was ich essen wollte.

»Viel besser. Ich hatte keine Probleme mit der Orientierung mehr, nachdem ich die App runtergeladen habe. Danke by the way, dass ihr mir nichts davon gesagt habt, und ich fast zu spät bei meiner ersten Vorlesung gelandet wäre. Hätte Drew es mir nicht verraten, wäre ich total verloren gewesen.«

»Sieh es doch positiv«, meinte Brooke gut gelaunt, mein Vorwurf prallte total an ihr ab. »Hätten wir dir davon erzählt, hättest du diesen Hottie nicht kennengelernt.«

»Du weißt doch gar nicht, ob der attraktiv war. Ich habe nur seinen Namen gesagt.«

»Ach, Brooke hat einfach eine lange Durststrecke und braucht mal wieder Zuwendung.«

»Stimmt. Aber dieses Wochenende ist Schluss damit, weil wir ausgehen.«

»Gehen wir nicht jeden Freitag und Samstag aus?«, stellte ich nüchtern fest und schnappte mir Besteck und mein Tablett.

»Ja, aber dieses Wochenende wird anders. Einfach besser.« Nun gut. Ich ließ mich da gern überraschen.

»Wann beginnt dein Job in der Buchhandlung?«, wollte Lydia wissen und schnappte sich einen Cesar Salad.

»Heute Nachmittag. Wobei ich heute nur eine Führung bekomme. Mir werden meine Aufgaben erklärt, und morgen beginnt dann meine erste offizielle Schicht.«

»Bin gespannt, ob du Rabatt –«, plötzlich klopfte Brooke Lydia auf die Schulter, was sie verstummen ließ. »Da ist er.« Meine ahnungslose Freundin und ich blickten in die Richtung, in die meine quirlige Freundin wies, um zu sehen, wen sie da entdeckt hatte. Als ich ihn erkannte, verblasste mein anfängliches Lächeln wieder. Max, wer sonst.

»Max? Ihr steht auf ihn?«, fragte ich die beiden, und selbst die Frage zu stellen schmeckte bitter auf meiner Zunge.

»Jedes Mädchen, das bei Verstand ist, steht auf ihn. Er ist ein richtiger Bad Boy, den ich gern zähmen würde.«

Ich verdrehte die Augen, konnte aber nicht anders, als wieder zu ihm zu blicken. Er kam gerade in die Cafeteria und begrüßte ein paar Typen mit einem Nicken, ging aber schnurstracks an einen Tisch, wo ich auch Rachel entdeckte. Genau in dem Moment sah sie mich und winkte mir zu. Ich erwiderte diesen Gruß, bis mich Max’ grüne Augen ansahen. Wieder war da kein Lächeln, keine Geste der Freundlichkeit. Ich fragte mich ja, ob Rachel vielleicht eine hervorragende Erziehung genossen hatte und Max von Wölfen großgezogen worden war, bei seinem Verhalten würde das perfekt passen.

»Ist das nicht Rachel?«, fragte Lydia, doch ich reagierte nicht darauf, sondern erwiderte den intensiven Blick von Max. Wenn der dachte, ich würde kuschen, hatte er Pech. Er wollte, dass ich das unfreundliche Arschloch raushängen ließ? Das konnte er haben!

»Also wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass du und Max euch mit Blicken tötet«, sagte Brooke nun ernst.

Ich löste den Blickkontakt, um mir eine Portion überbackene Scholle mit Pellkartoffeln zu nehmen. »Könnte leicht sein, immerhin ist er der unfreundlichste Kerl, dem ich je begegnet bin.«

»Ja, das stimmt. Aber er ist heiß, unverschämt heiß. Und wenn er so einen intensiven Blick draufhat, dann muss er doch eine Rakete im Bett sein.«

Ich ging einfach weiter zu einem freien Tisch, denn auch wenn er ein Arsch war, hatte Brooke vollkommen recht. Er sah einfach zu gut aus, doch ich errötete leicht, als ich mich fragte, wie es sich wohl anfühlen würde, mit ihm zu schlafen.

3

Das Schreiben war mein Ding, genau wie die Sucht nach Marzipanschokolade. Seit Jahren schrieb ich an einem Roman, den ich mit sechzehn angefangen hatte. Es ging um ein toughes Mädchen, das an ihrem achtzehnten Geburtstag fast die Schule in die Luft sprengt, weil ein Typ sie aufregt. Dann stellt sich heraus, dass sie eine Phoenix ist, die in Feuer aufgehen oder in Rage explodieren konnte. Dazu hatte ich eine leidenschaftliche Liebesgeschichte eingebaut. Ich liebte es, an meinem Skript zu schreiben, von dem niemand wusste. Nicht einmal Lydia und Brooke. Es war mein kleines Geheimnis, und ich hatte Angst vor der Kritik, die danach folgen würde. Anders als bei Zeitungsartikeln, war dies persönlich und mir wichtig.

Nach einer Woche, in der ich meine Vorlesungen und den Nebenjob etwas einpendeln konnte, kam das nächste Highlight, auf das ich mich gefreut hatte. Heute würde ich endlich Teil des Brown Daily Herald, der Studentenzeitung, werden. Aufregung machte sich in mir breit, denn jetzt konnte ich an Artikeln schreiben, was ich seit der Highschool-Zeitung nicht mehr getan hatte. In der Küche begrüßte mich eine gutgelaunte Rachel und reichte mir mit einem strahlenden Lächeln eine Tasse Kaffee, die ich gierig entgegennahm.

»So früh schon so gutgelaunt?«, fragte sie überrascht. Mittlerweile kannte sie mich und meine Gewohnheiten.

»Ja, heute fange ich bei der Studentenzeitung an«, erwiderte ich und grinste breit.

»Wieder ein neuer Job?«

»Ja, ich bin gern beschäftigt.« Während ich einen Schluck von meinem Kaffee nahm, stellte ich fest, dass wir heute fast dasselbe Outfit trugen. Blauer Sweater, schwarze Jeans und das brünette Haar offen. Würde man uns von Weitem betrachten, könnte man meinen, wir wären Zwillinge.

Während wir gemeinsam frühstückten, unterhielten wir uns ungezwungen. In den vergangenen Tagen hatte ich so einiges über sie erfahren. Rachel kam aus New York, studierte Englische Literatur und war auf ihrer Highschool Beste ihres Jahrgangs gewesen. Meist ging es um Bücher, Musik und unsere Zukunftspläne. Über ihre Familie oder Max verlor sie kein Wort, was mich doch wunderte. Aber ich griff das Thema nicht auf. Nach dem Frühstück machten wir uns zu Fuß auf den Weg zur Uni. Meine Wohnung, die damals mein Großvater meinem Bruder und mir vermacht hatte, lag zwar auf dem Campusgelände, doch zu Fuß brauchte man trotzdem fünfzehn Minuten.

Die Sonne strahlte, schien auf uns herab und tauchte alles um uns in einen zarten Goldton. Mit geschlossenen Augen sog ich die frische Morgenluft in meine Lungen und fühlte mich wunderbar. Gepaart mit dem braunen Laub zu unseren Füßen war es ein perfekter Herbsttag. Unmittelbar vor dem Gebäude fielen mir die vielen Menschen auf dem Green auf. Dort, wo bei Schönwetter die Zeugnisse verteilt und Veranstaltungen abgehalten wurden, waren Kameras aufgebaut, ebenso wie ein Haufen Stühle verteilt.

»Heute sind alle total überdreht, weil Emma Watson eine Rede hält«, sagte Drew, der plötzlich neben mir stand.

»Hermine Granger?«

»Genau die.«

»Was heißt das für uns Studenten?«

»Eine Straßensperre, viele Kameras und einige Fans, die sich um die Veranstaltung scharen werden.«

»Da bin ich aber froh, dass ich heute den ganzen Tag in der Redaktion sein werde«, meinte ich, den Blick noch immer auf das Equipment geheftet.

»Du bist bei der Studentenzeitung?«

»Ja, heute ist mein erster Tag. Ich studiere Journalismus und schreibe privat auch gern.«

»Siehst du, das wusste ich noch nicht. Das schreit nach einer Verbesserung. Was hältst du davon, wenn wir heute Abend ausgehen?«

Wow, dafür, dass er angeblich schüchtern war, ging er nun in die Vollen.

»Grundsätzlich sehr gern, aber ich werde heute nach meiner Schicht in der Buchhandlung ins Bett fallen und augenblicklich einschlafen.«

»Schade, aber ich erwarte noch einen Anruf von dir. Das holen wir nach.« Er zeigte gespielt ernst mit dem Finger auf mich, was mich eher zum Lächeln brachte.

»Bestimmt.«

Er ging rückwärts und grinste mich an. »Brich mir nicht das Herz Norah, ja?«

»Niemals!«, rief ich und hob die Faust in die Luft. Ich mochte Drews lockere Art.

Ich machte einen großen Bogen um den Tumult und ging zur Studentenzeitung. Die Redaktion war schon voll, als ich eintraf. Alle wirkten beschäftigt, telefonierten, tippten oder waren unter Bergen von Papier versunken. In der Ecke sah ich Heather und einige andere aus meinen Vorlesungen, die ich wiedererkannte.

»Hey, Norah«, begrüßte sie mich gutgelaunt.

Ich winkte ihr zu. Sie schlängelte sich durch die Menge und kam auf mich zu. »Wie lange wartest du schon?« Mit einem Nicken begrüßte ich die anderen ebenfalls.

»Eine Weile. Der Chefredakteur will uns später persönlich der ganzen Mannschaft vorstellen. Echt peinlich, wie auf der Highschool«, kicherte Heather. Ich lächelte sie an, während ich mich neugierig umsah. Ich fand das überhaupt nicht peinlich, immerhin würden wir jahrelang miteinander arbeiten müssen, somit war es nur praktisch, wenn man sich gleich am Anfang vorstellte. Das ersparte einiges an Zeit.

Ein Hochgefühl überströmte mich, denn endlich war ich Teil einer richtigen Redaktion und konnte mein Wissen unter Beweis stellen. Langsam drehte ich mich um die eigene Achse und bestaunte meinen neuen Arbeitsplatz. Trotz der modernen Rechner und anderer Technik strahlte er mit seinen hohen Decken, Holzvertäfelungen und dunklen Schreibtischen den Glanz der alten Zeit aus. Diese Zeitung war vor mehr als hundert Jahren gegründet worden, und nun würde ich ein Teil ihrer Geschichte sein.

Mein Hochgefühl bekam einen kleinen Dämpfer, als mein Blick in die Ecke des Raums glitt, wo zu meinem Erstaunen ein Pärchen wild knutschte. Haben die denn kein Zuhause? Sie verschlangen sich förmlich, fummelten, was das Zeug hielt. Es schien sie nicht zu stören, dass sich der Raum füllte und sie sich zu einer Attraktion entwickelten. Der Typ, der an der Wand lehnte und dessen Gesicht ich nicht sehen konnte, begrapschte die Blondine ungeniert.

Ich war nicht prüde, doch in aller Öffentlichkeit so wild herumzumachen, fand ich mehr als unangebracht. Schwer atmend löste sich die junge Frau von dem Kerl und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann erkannte ich das Gesicht des Typen und hob die Brauen. Niemand Geringerer als Max Hayes lehnte an der Wand und grinste seine Eroberung lasziv an. Es war eines dieser Lächeln, das eine Frau erröten ließ, weil es die schmutzige Fantasie entfachte. Auch wenn er ein unfreundlicher Arsch war, konnte ich nicht leugnen, dass er verdammt attraktiv war.

Als hätte ich seinen Namen laut ausgesprochen, hob er den Blick und entdeckte mich. Die grünen Augen bohrten sich in meine, ließen meinen Puls rasen. Etwas hatte er an sich, das mich nervös machte.

»Ich habe es dir ja gesagt. Er wechselt seine Frauen wie Unterwäsche«, flüsterte mir Heather ins Ohr. Wie recht sie hatte! Mein Herz wurde schwer, aber mir war schleierhaft, weshalb. Der Chefredakteur erschien, holte mich aus meinen Gedanken und begab sich zu uns. Er stellte sich vor, erzählte etwas über die Zeitung, und ich hing an seinen Lippen. Jeder Frischling wie er uns nannte, bekam einen Leader, der in den ersten Wochen sein Ansprechpartner sein würde.

»Wer von euch ist Norah Jarvis?«, fragte er und ließ den Blick umherschweifen. Ich hob die Hand, und er bedeutete mir, ihm in sein Büro zu folgen. Mir war schleierhaft, wieso er mich gleich in sein Büro bat. Sollten wir uns nicht einander vorstellen? Und warum wurde ich auf einmal so nervös?

Klaus Littrell war klein, schlaksig, strahlte aber trotz des unscheinbaren Aussehens Autorität aus. Er hatte eine kräftige Stimme und die fast schwarzen Augen waren faszinierend und unheimlich zugleich. Das schulterlange Haar fiel ihm ins Gesicht, als er sich auf den Stuhl setzte, umrahmte seine Gesichtszüge. Er schnappte sich eine Mappe und blätterte darin, während er das Wort an mich richtete. »Du fragst dich sicher, wieso ich dich hierher gebeten habe, deshalb möchte ich dich nicht länger auf die Folter spannen. Deine Artikel, mit denen du dich bei uns beworben hast, sowie deine Empfehlungsschreiben von deinen Lehrern haben mir sehr gut gefallen. Ich sehe Talent in dir, und deshalb möchte ich dir den cleversten Journalisten zuteilen. Er mag vielleicht ein wenig wild sein, ist jedoch der Beste in meiner Truppe. Ich möchte, dass du mit ihm zusammenarbeitest.« Meine Augen strahlten, und ich unterdrückte einen Jubelschrei. Das war eine einmalige Gelegenheit für mich, und es erfüllte mich mit Stolz, dass er mir dieses Angebot machte.

»Vielen Dank Mr Littrell, das ist eine große Ehre für mich, und ich versichere Ihnen, dass ich Sie nicht enttäuschen werde.«

»Nenn mich Klaus, bitte. Gut zu hören, also erwarte ich Großes, Jarvis.« Die Tür öffnete sich hinter mir und ich staunte nicht schlecht, als Max das Zimmer betrat.

»Ah, gut, dass du kommst, Max, das ist dein Frischling, Norah«, stellte er mich vor und ich hätte schwören können, dass Max laut nach Luft schnappte. Seine Kiefer mahlten, die Lippen waren nur ein schmaler Strich, während er mich musterte. Er nickte Klaus zu und ging aus dem Büro.

»Wie du siehst, ist er etwas schwierig. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich ihn mag oder nicht, aber schreiben kann der wie kein Zweiter, also halt dich an ihn, und du wirst einiges lernen können.«

»Das mache ich«, sagte ich und versuchte, dabei nicht mit den Zähnen zu knirschen. Mit Max zusammenzuarbeiten stellte ich mir schwierig vor, doch ich war kein Mensch, der leicht aufgab. Ich verabschiedete mich von Klaus und ging wieder in die Redaktion. Max saß direkt neben dem Fenster und schien zu arbeiten. Ich atmete tief durch, straffte die Schultern und eilte zu ihm. Je schneller ich das hinter mich brachte, desto besser.