Studien zum Alten Testament im Neuen Testament - Thomas Hieke - E-Book

Studien zum Alten Testament im Neuen Testament E-Book

Thomas Hieke

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Beschreibung

Die Heilige Schrift Israels - in christlicher Leseweise das Alte Testament - ist der Horizont der neutestamentlichen Christusverkündigung. Vierzig Studien aus den Jahren 2000 bis 2015 erarbeiten das an vielen Beispielen, v.a. an den synoptischen Evangelien und der Offenbarung des Johannes. Das Buch bietet neue Horizonte für die Untersuchung, wie das Alte Testament den Wahrheitsraum des Neuen Testaments bildet.

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Stuttgarter Biblische Aufsatzbände 67

Herausgegeben vonThomas Hieke und Thomas Schmeller

Thomas HiekeStudien zum Alten Testament im Neuen Testament

© Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart 2018Alle Rechte vorbehaltenwww.bibelwerk.de

Druck: Sowa Sp. z.o.o., WarschauPrinted in Poland

ISBN978-3-460-06671-7eISBN978-3-460-51048-7

Inhalt

Vorwort

BIBLOS GENESEOS:Mt1,1 vom Buch Genesis her gelesenIn:Jean-MarieAuwers–Henk Jan deJonge(eds.),The Biblical Canons(Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium163), Leuven: Peeters, 2003,635–649.

„Wie es geschrieben steht“.Weihnachtliche Motive aus dem Alten TestamentIn:Welt und Umwelt der Bibel 46 (2007) 32–36. KatholischesBibelwerk e.V.

Literatur setzt Literatur voraus. Das Alte Testament im MarkusevangeliumIn:Bibel heute150 (2002) 51–53.KatholischesBibelwerk e.V.

Ein Psalm, der von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugt: Das Magnificat (Lk 1,46–55) als Brückentext zwischen zwei Geschichten Gottes mit seinem VolkIn:Trierer Theologische Zeitschrift 116 (2007) 1–26.

Schriftgelehrsamkeit in der Logienquelle. Die alttestamentlichen Zitate in der Versuchungsgeschichte Q 4,1–13In:Jon Ma. Asgeirsson–Kristin de Troyer–Marvin W. Meyer (eds.),From Questto Q.Festschrift James M. Robinson (BibliothecaEphemeridum TheologicarumLovaniensium146), Leuven: Peeters, 2000, 43–71.

Q 7,22–A Compendium of Isaian EschatologyIn:Ephemerides Theologicae Lovanienses 82 (2006) 175–188.

Psalmen und Passion JesuIn:Bibel heute 168 (2006)12–13.KatholischesBibelwerk e.V.

„Er verschlingt den Tod für immer“ (Jes 25,8a).Eine unerfüllte Verheißung im Alten und Neuen TestamentIn:Biblische Zeitschrift 50 (2006) 31–50.

The Reception of Daniel 7 in the Revelation of JohnIn:Richard B.Hays–StefanAlkier (eds.),Revelation and the Politics of ApocalypticInterpretation, Waco (TX): Baylor University Press, 2012, 47–67.185–190 (notes).203–214 (works cited).

„Biblische Texte als Texte der Bibel auslegen“–Dargestellt am Beispiel von Offb 22,6–21 und anderen kanonrelevantenTextenIn:EgbertBallhorn–Georg Steins (Hg.), Der Bibelkanon in der Bibelauslegung.Methodenreflexionen und Beispielexegesen, Stuttgart: Kohlhammer, 2007, 331–345.

Der Seher Johannes als neuer Ezechiel. Die Offenbarung des Johannes vom Ezechielbuch her gelesenIn:Dieter Sänger (Hg.), Das Ezechielbuch in der Johannesoffenbarung(Biblischtheologische Studien 76), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 2006, 1–30.

Die literarische und theologische Funktion des Alten Testaments in der JohannesoffenbarungIn:StefanAlkier–ThomasHieke–Tobias Nicklas (Hg.), Poetik und Intertextualitätder Johannesapokalypse (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament346), Tübingen: Mohr Siebeck, 2015, 271–290.

Das Petrusevangelium vom Alten Testament her gelesen. Gewinnbringende Lektüre eines nicht-kanonischen Textes vom christlichen Kanon herIn:Thomas J.Kraus–Tobias Nicklas, (Hg.), Das Evangelium nach Petrus. Text,Kontexte, Intertexte (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichenLiteratur158), Berlin/New York: de Gruyter, 2007, 91–115.

Neue Horizonte. Biblische Auslegung als Weg zu ungewöhnlichen PerspektivenIn:Zeitschrift für Neues Testament 12 (2003) 65–76.

English Abstracts

Vorwort

Wer die christliche Bibel als synoptisches Zusammenspiel von Literaturen liest, die aufeinander bezugnehmen, entdeckt eine Fülle von Sinndimensionen. Sie zeugen von beachtlicher literarischer Qualität und theologischem Tiefgang. Martin Bubers Wort von der „gewaltigen Synoptik der Bibel“, mit dem er die Bezüge zwischen Propheten und Pentateuch, zwischen Psalmen und Pentateuch und zwischen Psalmen und Propheten in der Hebräischen Bibel auf einen griffigen Nenner brachte (s. in diesem Band S. 169), gilt umso mehr für die beiden Teile der zwei-einen christlichen Bibel. Dazu muss man die vielen sprachlichen und motivlichen Signale – oder, heute einfacher, die vielen Querverweise in den gedruckten Bibelausgaben – als Einladung zum intertextuellen Lesen annehmen.

Dazu möchten die in diesem Band gesammelten Studien aus den Jahren 2000 bis 2015 einige bescheidene Beispiele bieten. Die synoptischen Evangelien und die Johannesoffenbarung stehen dabei im Vordergrund. Viel gelernt habe ich von Paul Hoffmann und Hubert Irsigler, von Georg Steins und Christoph Dohmen. Die meisten Aufsätze sind in intensivem Gespräch und Austausch mit den beiden Letztgenannten und vor allem auch mit Tobias Nicklas entstanden. Alle verbleibenden Unzulänglichkeiten gehen allein auf mein Konto.

Für den Wiederabdruck wurden an den Beiträgen kleinere Korrekturen und Vereinheitlichungen vorgenommen. Gelegentlich wurden Literaturnachträge in Auswahl und ohne Anspruch auf Vollständigkeit angefügt. Die Synopse der Sterbeworte Jesu auf S. 113 mit der Einheitsübersetzung von 2016 stammt aus den Materialien meiner Lehre an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Für die präzise Zusammenführung und Aufbereitung des Materials, die ansprechende Gestaltung und akribische Korrektur danke ich ganz herzlich meiner Mitarbeiterin Dr. Andrea Klug. Sehr zuverlässig hat auch meine langjährige studentische Hilfskraft Sonja Haub wertvolle Korrekturhinweise geliefert. Christopher T. Begg (Washington, D.C.) danke ich für die langjährige Zusammenarbeit bei Old Testament Abstracts und insbesondere für die Korrektur der englischen Zusammenfassungen (S. 270ff.). Dem Katholischen Bibelwerk danke ich für die Möglichkeit, diese Aufsatzsammlung in der Reihe „Stuttgarter Biblische Aufsatzbände“ zu publizieren.

Mainz, im Dezember 2017

Thomas Hieke

BIBLOS GENESEOSMt 1,1 vom Buch Genesis her gelesen

635Der zweite Kanonteil der zwei-einen christlichen Bibel beginnt mitΒίβλοςγενέσεως᾽ΙησοῦΧριστοῦυἱοῦΔαυὶδ υἱοῦ᾽Αβραάμ.1Es besteht weitgehenderKonsens darüber, dass der erste Vers des Matthäusevangeliums eineÜberschrift und einMetatext ist. Metatext deshalb, weil darin nicht nur auf eineaußersprachliche Wirklichkeit (die Person Jesus), sondern auch auf etwasSprachliches, einen Text, referiert wird:Βίβλος.2

1Biblos Geneseos–Überschrift wozu?

Der Konsens endet aber rasch bei der Frage, wozu Mt 1,1 genau die „Überschrift“ ist bzw. wie weit sich der Text erstreckt, aufdenβίβλος γενέσεωςsichbezieht.3Mindestens zwei Alternativen stehen zur Wahl: Βίβλος γενέσεωςkönnte sich nur auf die folgende Genealogie Jesu und allenfalls noch auf dieKindheitsgeschichte Jesu, also seine „Abstammung“ beziehen. Βίβλος γενέσεωςkönnteaber auch Überschrift und Titel des ganzen Matthäusevangeliums sein,und geht man im Blick auf den Kanon einen Schritt weiter, Titel des gesamtenzweiten Kanonteils, also des Neuen Testaments.

In der bisherigen Forschungsdiskussion scheint dies die Hauptfrage zu Mt1,1 zu sein, und entsprechend gibt es Argumente und Vertreter für beide Möglichkeiten. Diejenigen, die in Mt 1,1 eineÜberschrift über die Genealogie (bis1,17), das erste Kapitel oder höchstens bis zum Ende der Kindheitsgeschichten(etwa 2,23) sehen,4führen im Wesentlichen636folgende Argumente an: Das Wortβίβλοςkönne neben einem ganzen Buch auch ein einzelnes Blatt oderSchriftstück sowie einen Teil eines Gesamtwerkes bezeichnen. Der Ausdruck γένεσιςkönne trotzseines weiten Bedeutungsspektrums mit „Ursprung, Abstammung, Geburt, Zeugung, Familienlinie, Generation“ eingegrenzt werden.Damit ist man auf die folgende Genealogie verwiesen und kommt zu der Übersetzung „Stammbaum“ für βίβλος γενέσεως(so die Einheitsübersetzung19805).Unter der Annahme, dass Mt 1,1 in der Gestaltung vonMk 1,1 beeinflusst ist,fällt das Fehlen des Titels „Sohn Gottes“ auf. Die Nennung von David und Abraham zeige, dass Mt 1,1 „streng auf die folgende Genealogiebezogen ist“.6Dies könne auch daran abgelesen werden, dass Mt 1,18 neu anhebe mit „DieGeburt (γένεσις) Jesu Christi aber geschah so“ und damit das Wort γένεσιςwiederhole.7

Für die gegenteilige Anschauung, dass mit Mt 1,1 das ganze Evangeliumüberschrieben ist,8kann ebenfalls bei den Einzelbegriffen der Wendung βίβλοςγενέσεωςangesetzt werden. Bei βίβλοςist zunächst an637die einfachere Bedeutung „Buch“ zu denken, zumal, wenn der Begriff am Anfang eines solchensteht.9Es gibt eine Reihe von Analogiendafür, dass Werke mit βίβλοςoder βιβλίονbeginnen und sich dieser Begriff auf das Buch bezieht (vgl. Nah 1,1;Tob 1,1; Bar 1,1; vgl. Neh 1,1: λόγοι Νεεμια υἱοῦΑχαλια).10Ferner sei es nichtnachvollziehbar, weshalb Matthäus, der ausMk 1,1 eineÜberschrift kenne,ohneeine Überschrift mit einem „Stammbaum-Dokument“ wie mit der Tür insHaus falle. Schließlich sei aufGen 11,27 und25,19 zu verweisen, wo mit demBegriff γενέσειςsowohl die Stammbäume als auch die Erzählungen über dieTerach-Söhne Abram, Nahor und Haran sowie über den Abrahamssohn Isaakeröffnet werden.11Die Bedeutung von γένεσιςist damit nicht auf „Ursprung,Geburt etc.“ festgelegt, sondern das Spektrum kann bis „Dasein, Geschichte,Leben“ reichen.12

2Änderung der Fragerichtung:vom Autor zum Leser

Die Einzelbetrachtung der Begriffe βίβλοςund γένεσιςbleibt unbefriedigendund führt letztlich nicht weiter. Die Frage nach der „Reichweite“ derÜberschrift Mt 1,1 kann so nicht beantwortet werden–und schließlich ist das auch(trotz der intensiven Diskussion) nicht das Kernproblem. Eine derartige Untersuchungsrichtung zeigt die Zentriertheit vieler bisheriger Ansätze auf die Erhebung der Intention des (historischen) Autors. Doch selbst wenn man sicher herausfinden könnte, was genau Matthäus mit βίβλος γενέσεωςmeinte, hätte mandamit die Wendung und dieÜberschrift noch nicht verstanden.

Weiterführend erscheint es daher, die Fragerichtung zu ändern und eine andere Perspektive einzunehmen: die des Lesers. Statt unmittelbar nach der Intention desAutors„Matthäus“ zu suchen (und die mitdemSinn des Textesschlechthin gleichzusetzen), soll nun nach dem Potential gefragt werden, dasderTextseinenLeserinnen und Lesernan Verstehensmöglichkeiteneröffnet.Schon der metasprachliche Hinweis in Mt 1,1 auf ein Buch (βίβλος) als einSchriftstück setzt einen Leser voraus undrichtet sich an einen Leser. Dabei geht Mt 1,1 davon aus, dass dieser638Leser einige Voraussetzungen erfüllt. Dasbeginnt schon bei den Namen „David“ und „Abraham“, die nicht erklärt werden–vielmehr wird das Wissen des Lesers über diese Personen abgerufen undzur Qualifikation der vorgestellten Hauptperson „Jesus Christus“ verwendet.Es dürfte ein weiterer Konsenspunkt sein, dass Mt 1,1 (und auch die folgendeGenealogie) einen hohen Verweischarakter auf den ersten Teil des christlichenKanons, das AlteTestament, hat–und damit ist vorausgesetzt, dass der Leserseinen Bibelkanon intensiv kennt, Bezüge herstellen kann und Texte im Lichtvon anderen Texten lesen kann.13Für einen solchen Leser, der durch den Textselbst konstruiert ist, passiert bei der Lektüre von Mt 1,1 vor dem Hintergrunddes Buches Genesis viel.Dasgilt es wissenschaftlich zu reflektieren. Dabeigeht es um einen „hermeneutischen Paradigmenwechsel“.14

3Der intertextuelle Rückverweis auf Genesis 2,4und 5,1

Die Genitivverbindung βίβλος γενέσεωςkann zu ihrer Bedeutungsfindung nichtin ihre etymologischen Bestandteile getrennt werden. Im Rezeptionsvorgangwerden immer größere syntaktische Einheiten erfasst. Damit kommt man nichtmehr hinter die vonMAYORDOMO-MARÍNformulierte Erkenntnis zurück, dass„βίβλος γενέσεωςals Einheit ein deutlicher intertextueller Rückverweis auf dieSeptuagintafassungvonGen 2,4 und5,1 ist und von dorther verstanden werdensollte.“15Nun639wurden die Bezüge zu den beiden Genesis-Stellen immer schon gesehen, ebenso die Tatsache, dass γένεσιςdas festgefügte Übersetzungsäquivalent zum hebräischenתולדותist.16Jedoch wurden aus diesen Beobachtungen nur sehr vorsichtige Schlussfolgerungen gezogen17, wenn man sichnicht nur auf die Nennung der Stellen beschränkte. Der Befund muss dahernochmals deutlicher aufgezeigt werden.

Die Wendung βίβλος γενέσεωςbegegnet in der SeptuagintainGen 2,4 und5,1. Dabei übersetzt βίβλος γενέσεωςden hebräischen Text (HT) von 5,1:סֵפֶר תּוֹלְדֹת. In Gen 2,4 hingegen fehlt ein dem βίβλοςentsprechendes Elementim HT. Es ist davon auszugehen, dass bei der Übersetzung der Terminus βίβλοςaus5,1LXX in 2,4LXX eingetragen worden ist.18Βίβλοςtaucht im Buch Genesis nicht weiter auf, wohl aber γένεσις: Die Septuaginta wählt diesen Begriff alsden für das Buch typischen Titel: ΓΕΝΕΣΙΣ.19AbGen 6,9 ist die pluralischeWendungαὗται αἱγενέσειςdiegeprägte Übersetzungswendung für den Fachbegriff20.אֵלֶה תּוֹלְדֹתDiese Wendung, dieToledot-Formel, strukturiert systematisch das Buch Genesis. Die Septuaginta übernimmt mit der stereotypenÜbersetzung diesesToledot-System.

Die Annahme vonNOLLAND, dass der hebräische Begriffתולדותnach vorne in Richtung derkommendenGenerationen, der griechische Terminusγένεσιςhingegen zurück inRichtungder Ursprünge weise,21ist nicht nachvollziehbar. Mag dies noch beiGen 2,4 einleuchten, sokann schon 5,1aLXX nicht als Rückbezug auf einen Bericht über die Ursprünge der Menschen gedeutet werden, denn unmittelbar geht eineganze Reihe anderer Texte voraus (dieGeburt von Set und Enosch, die Genealogie der Kainiten, Kain und Abel, dieSündenfallgeschichte [besser: dieGeschichte von der Entdeckung der sittlichen Autonomie des Menschenin Gen 3]…). Auch an den folgenden Belegstellen vonαὗται αἱγενέσειςwirken die Versuche640NOLLANDs, einen primären Rückbezug auf die vorausgehenden Texte („antecedent reference“) zu zeigen, sehr gezwungen. Gerade das Demonstrativpronomen (αὕτη, αὗται) markiert deutlich die Verbindung zumunmittelbar Folgenden.22DasToledot-System des Buches Genesis bleibt durch die stereotype Übersetzung in der Septuaginta erhalten.

4Die Besonderheit der Septuagintafassungvon Gen 5,1

Dennoch gibt es eine Besonderheit in derSeptuagintafassungvon Gen 5,1 zunotieren: Das Wortאָדָםin 5,1aHT wird mit dem Plural ἀνθρώπωνübersetzt:

Gen 5,1

LXX

Gen 5,1

HT

a

α

τη

β

βλος γεν

σεως

ἀνθρώπων

זֶה סֵפֶר תּוֹלְדֹת אָדָם

b

μ

ρ

πο

ησεν

θε

ς

τὸν Αδαμ

בְיוֹם בְראֹ אֱלֹהִים אָדָם

c

ϰατ

ε

ϰ

να

θεο

πο

ησεν α

τ

ν

:בִדְמוּת אֱלֹהִים עָשָה אֹתוֹ

Gen 5,2

LXX

Gen 5,2

HT

ρσεν ϰα

θ

λυ

πο

ησεν α

το

ς

זָכָר וּנְקֵבָה בְרָאָם

ϰα

ε

λ

γησεν α

το

ς

וַיְבָרֶךְ אֹתָם

ϰα

πων

μασεν τ

νομα α

τ

ν Αδαμ

וַיִקְרָא אֶת־שְמָם אָדָם

μ

ρ

πο

ησεν α

το

ς

:בְיוֹם הִבָרְאָם

Übersetzung nach LXX:

Vulgata:

5,1

Dies (ist) das Buch des Ursprungs

der Menschen/

Menschheit.

hic est liber generationis Adam

Am Tag, da Gott den Adam (den Menschen) machte,

machte er ihn wie ein Bild Gottes,

in die qua creavit Deus hominem

ad similitudinem Dei fecit illum

5,2

männlich und weiblich machte er sie

und er segnete sie,

masculum

et feminam creavit eos

et benedixit illis

und er benannte sie mit ihrem Namen: Adam,

am Tag, da er sie machte.

et vocavit nomen eorum Adam

in die qua creati sunt.

Von derToledot-Formel her istאָדָםin 5,1aHT eindeutig als Eigenname aufzufassen. Vom Rückbezug aufGen 1,27 istאָדָםin 5,1bHT als generische Bezeichnung („der Mensch“) zu interpretieren. Warum scheint die Septuagintabeides zu vertauschen? Bei genauerer Betrachtung des Kontextes wird deutlich,dass auch in der Septuaginta Αδαμin 5,1–2 weniger als Eigenname einer Person erscheint:EinePerson kann nicht zugleich männlich und weiblich sein undkann nicht mit plura-641lischen Personalpronomen (αὐτούς) angesprochenwerden, ferner erhalten das männliche und das weibliche Exemplar als „ihrenNamen“ Αδαμ. Dieser Name Αδαμist damit in5,1–2LXX ein Kollektivbegriff,ebenso wie ὁΑδαμinGen 2–3 (also mit bestimmtem Artikel wie in 5,1bLXX:τὸν Αδαμ) „den Menschen“ meint. Erst in 5,3 ist Adam klar eine männlichePerson.

Mit der Änderung in den Genitiv Plural in 5,1aLXX betont die Septuaginta,dass alle Menschen, die gesamte Menschheit,23vondem Adam abstammt, denmännlichen und weiblichen Wesen, die gesegnet und gemäß dem Bild Gottes(LXX!24) gemacht sind. Ein ursächlicher Einfluss könnte auch vonGen 2,4 herkommen, da in der Übersetzung eine Parallelität erreicht wird:

Ferner ist zu bemerken, dass an diesen beiden Stellen der Singular γένεσιςfürתולדותverwendet wird, währendbeiden anderen Belegen derToledot-Formelder Plural steht (αὗται αἱγενέσεις). Der Singular könnte aufgrund der Allgemeinbegriffe „Himmel und Erde“ sowie „Menschheit“ gewählt worden sein,während an den anderen Stellen die Nachfahren (Plural) von Einzelpersonenund ihr Geschick Inhalt der γενέσειςsind. Der Singular in 5,1LXX könnte auchdie Besonderheit und das Gewicht dieses Anfangs (der Menschheit) unterstreichen (und dann auf 2,4LXX übertragen worden sein).25

Mit dieser Besonderheit der Septuagintafassung von Gen 5,1 ist aber nichtdasToledot-System als solches in Frage gestellt.

5Das Toledot-System des Buches Genesis

Der Begriffתולדות, der in der Septuaginta in 2,4 und 5,1 mit (βίβλος) γενέσεως,ab6,9 mit αἱγενέσειςwiedergegeben wird, fungiert im Buch Genesis als Gliederungsmerkmal, so dass von einemToledot-System gesprochen werdenkann.26Am Anfang eines Abschnittes steht die642Toledot-Formel„Xאֵלֶה תּוֹלְדֹת“(wobei X für einen Eigennamen steht, Ausnahme:Gen 2,4).Dieser Abschnitt enthält Genealogien und Erzählungen über die Nachkommendes X und erstreckt sich bis zur Notizüber den Tod des X bzw. bis zu einerneuenToledot-Formel.

Die UnterscheidungKOCHs27in eine Epochen-und eine Generationen-Toledot ist dabeinicht unproblematisch. Als Epochen-Toledot werden diejenigen Formeln bezeichnet, auf dieErzählungen folgen (6,9: Noach; 11,27: Terach; 25,19: Isaak; 37,2: Jakob; auch 2,4: Himmelund Erde). Bei den Generationen-Toledot folgt auf die Formel eine „listenartige Aufzählung“ (5,1: Adam; 11,10: Sem; 25,12: Ismael; 36,1.9: Esau; auch 10,1: Noachs Söhne). Entsprechend werden daraus fünf Themen oder Epochen abgeleitet, die das Buch Genesis gliedern sollen. Was zunächst einleuchtend klingt, wirft bei näherer Betrachtung Schwierigkeiten auf: Kann ein und dieselbe Formel zwei verschiedene Gliederungsebenen bezeichnen?Bestimmt tatsächlich der folgende Kontext (Genealogie oder Erzählung) den Rang des Einschnitts?KOCHs Versuch, die beiden Typen als Ein-und Ausleitung einer Epoche zu fassen,wirkt etwas gezwungen. Ein weiteres gravierendes Problem istdie Israel-Zentriertheit inKOCHs Epochengliederung: Die Völkertafel, die Ismael-und die Esau-Toledot gehen in demFünf-Epochen-Schema völlig unter. Zwar ist klar, dass dasToledot-System des Buches Genesis auf die zwölfSöhne Jakobs als Konstituenten Israels zuläuft, doch immerhin werdendie Völker, Ismael und Esau nicht nur erwähnt, sondern in ihrer „geschichtlichen“ Dimension ausgefaltet, wenn auch in der gerafften Form einer Genealogie. Sie haben das Gewichteines eigenen (wenn auch vielleicht kurzen) Abschnittes. Dies ist jedenfalls plausibler alsbeispielsweise die Annahme, die Genealogie der „Seitenlinie Ismaels“ (Gen 25,12–18)schließe die „Terachzeit“ (Gen11,27–25,18) ab. Die „Seitenlinien“ werden im Erzählverlaufnicht unter-, sondern eingeordnet. Das betontKOCHauch in seinem Schlussresümee: Es gehtnicht um eine Antithese Israels zu den Völkern, um eine Religion als „ganz andere“ gegendie Religionen der Völker, sondern um bleibende,643abgestufte Beziehungen. Gerade dieseSicht macht es beispielsweise notwendig, Esau und seinen Nachkommen den Rang eineseigenen Abschnittes zuzuerkennen und ihn nicht unter die „Isaakzeit“ zu subsumieren. Damit istKOCHsSchlussfolgerung auf eine Strukturierung des Buches Genesis in fünf thematische Epochen nicht angebracht. Zu unterstreichen ist jedoch seine Beobachtung, dass dieToledot-Formeln das Strukturprinzip des Buches Genesis sind. Die Unterscheidung in Epochen-und Generationen-Toledot ist als formkritische Beschreibung gerechtfertigt. Die Typen können aber nicht für unterschiedliche Strukturebenen herangezogen werden. Vielmehrmarkieren die Toledot-Formeln jeweils eigenständige Abschnitte.

Toledot

-

Formel

Name

Nachkommen

Genealogie

Todesnotiz

Gen 2,4

Himmel und Erde

Gen 5,1

Adam

Set bis Noach

5,3

32

Gen 6,9

Noach

Sem, Ham, Jafet

9,29

Gen 10,1

Söhne Noachs

Völkertafel

10,1

32

Gen 11,10

Sem

Arpachschad bis

Terach

11,10

26

Gen 11,27

Terach

Abram, Haran, Nahor

11,27

11,32/25,7

11

(Abraham)

Gen 25,12

Ismael

12 Söhne

25,12

16

25,17

Gen 25,19

Isaak

Esau und Jakob

26

35,22

26

35,28

29

Gen 36,1.9

Esau

„Edom“

36,1

14

(36,43)

Gen 37,2

Jakob

12

Söhne, 1 Tochter

46,8

27

49,33/50,26

(Josef)

Num 3,1

Mose und Aaron

Nadab, Abihu,

Eleasar, Itamar

Num 3,2

Num 33,39

Rut 4,18

Perez

Hezron bis David

Rut 4,18

22

Aus diesem System wird klar, dassתודלות/γενέσειςnicht nur Ursprung, Genealogie oder Geschlechterfolge meint (s.o.). Als Gliederungsmerkmal impliziert„Toledot X“ die Geschichte des X und seiner Nachkommen. In manchen Fällenwird diese Geschichte mit einer Genealogie eröffnet. In diesem Sinne kann βίβλοςγενέσεωςauch der Titel für das gesamte Matthäusevangelium sein:„Buch der Geschichte Jesu Christi …“.28

Die genealogischen Konzepte der Septuagintaund des hebräischen Textesdes Buches Genesis werden bei der kanonischen Lektüre von Mt 1,1 impliziert.29Dies gilt es zu reflektieren. In folgender synoptischer644Übersicht sinddie Bezüge dargestellt. Zu beachten ist dabei, dass es hier um intertextuelleBezüge geht, nicht um entstehungsgeschichtliche Aussagen.

6Biblos geneseos im Buch Genesis und in Mt 1,1

Auch der Evangelienanfang von Markus könnte eine Andeutung auf den Beginn des BuchesGenesis (LXX) darstellen. Deutlicher ausgeprägt ist das im Johannesevangelium, das denberühmten Buchanfangἐνἀρχῇ(בְרֵא שית) ausdrücklich zitiert. Der Anfang desMatthäus-Evangeliums mit dem Rückbezug auf das Buch Genesis ist also nicht ohne Analogie.30Ebenso sei nur kurz angedeutet, dass es für einen erzählenden Text durchaus angemessenist, mit einer Genealogie einzusteigen.31645

7Sohn Davids, Sohn Abrahams

Die beiden Epitheta Jesu Christi in Mt 1,1, die Davids-und Abrahamssohnschaft, haben eine ganze Reihechristologischer Implikationen, die hier nichtdargelegt werden müssen.32Der Blick auf das genealogische System des Buches Genesisfügt diesem Sinnpotentialweitere Aspekte hinzu. Dass Jesus als„Sohn Davids“ vorgestellt wird, hat neben den königlichen und messianischenAssoziationen, die geweckt werden, auch den Effekt, dass damit an die letzteGenealogie nach demToledot-System nahtlos angeschlossen wird. Die vonAdam andurchgehendeLinie im genealogischen System der Genesis führt vonJakob über Juda zu dessen Sohn Perez (Gen 38,29;46,12)–und an diesen Sohnwird inRut 4,12 bzw.4,18 mit der Toledot Perez angeknüpft, die wiederum bisDavid führt (Rut 4,22). Jesus wird damit in das System Israels der genealogischen Abkunft integriert.

Als „Sohn Abrahams“ hat Jesus (wie jeder Israelit/Jude) teil an Bund undVerheißung. Textlich steht Jesus damit auf der Ebene von Isaak und Ismael, diebeideals „Sohn Abrahams“ bezeichnet werden (Gen 25,12.19). Mt 1,2 machtdann aber klar, dass es um die Isaak-Linie geht, indem Gen 25,19 nahezu wörtlich übernommen wird:

Gen 25,19

ϰαὶ αὗται αἱ γενέσεις Ισααϰ τοῦ υἱοῦ Αβρααμ

Mt 1,1

Βίβλος γενέσεως ᾽Ιησοῦ Χριστοῦ υἱοῦ Δαυὶδ υἱοῦ ᾽Αβραάμ.

Αβρααμ ἐγέννησεν τὸν Ισααϰ

Mt 1,2a

᾽Αβραὰμ ἐγέννησεν τὸν ᾽Ισαάϰ, …

Diese Parallelität ermöglicht auch eine Assoziation an eine Isaak-Typologie:Wie Isaak ist der Messias Jesus ein Sohn der Verheißung (vgl. Paulus inGal3,16 in Verbindung mitGen 22,17; fernerGal 4,23.29).33Im Vordergrund stehtjedoch die Integration Jesu in das genealogische System, die natürlich auch eineTeilhabe an Bund und Verheißung impliziert.

Eine andere (weitere) Lesemöglichkeit besteht darin, in der BezeichnungJesu als „Sohn Davids“ die Erfüllungder Geschichte Israels und der messianischen Verheißungen zu sehen, in dem Epitheton „Sohn Abrahams“ aber denüber Israel weit hinausgehenden Blick auf die Völker, da Abraham im Frühjudentum als erster Proselyt oder Konvertit galt und nachGen 12,3 Segen für alleGeschlechter des Erdbodens bringt.646Mt 1,1 weckt so die Spannung zwischen Partikularismus („Heil für Israel“) und Universalismus („Heil für alleVölker“).34Sieht man in der Prädikation „Sohn Abrahams“ einen Hinweis aufeinen Israel übersteigenden Heilswillen Gottes, „spannt sich ein Bogen von V1zu28,19f, wo am Ende des Evangeliums im Missionsbefehl die Universalitätdes christlichen Heils nachdrücklich zugesagt wird.“35

8Was geschieht bei der kanonischintertextuellen Lektürevon Mt 1,1?

Es wird deutlich, dass der knappe Vers Mt 1,1 zentrale Aspekte und Konzeptedes Buches Genesis wachruft. Wenn dies alles bei einer idealtypischen, kanonkundigen intertextuellen Lektüre36realisiert wird, aktiviert dies eine ganzeReihe von Sinnpotentialen.

Die Hauptfigur Jesus Christus wird vorgestellt–dies ist auch im profanenBereich zu allen Zeiten eine Hauptaufgabe eines aussagekräftigen Titels. Zugleich geschieht diese Vorstellung mit einer deutlich „biblisch“ geprägtenSprache, deren Assoziationsreichtum zum einen eine „ehrwürdig-sakrale Atmosphäre“ bewirkt, zum anderen das „Alte Testament“ als primären intertextuellen Bezugsrahmen auf den Plan ruft.37

Dieser Hauptfigur Jesus wird auf subtile Weise ein ungeheures Gewicht beigemessen, indem durch den intertextuellen Bezug aufGen 2,4;5,1 in derSeptuagintafassungmit der Wendung βίβλος γενέσεωςder Genitiv ᾽Ιησοῦ Χριστουvon Mt 1,1 mit οὐρανοῦ ϰαὶ γῆςvon Gen 2,4 und ἀνθρώπωνvon 5,1 auf eineEbene gestellt wird. Es geht vielleicht647zu weit, damit Jesus als eineeschatologische neueSchöpfung angedeutet zu sehen.38Aber immerhin wird damitdem Jesusgeschehen eine Bedeutung beigemessen, die den Ereignissen derWelt-und Menschenschöpfung gleichkommt.39

Ein bisher kaum wahrgenommener Effekt von Mt 1,1 ist die EinbindungJesu in das genealogische System und dasToledot-System des Buches Genesis.Diese Einbindung geschieht einerseits durch die von der Wendung βίβλος γενέσεωςhergestellten Bezüge, andererseits durch die Epitheta „Sohn Davids“,womit an die Rut-Genealogie angeknüpft wird, die wiederum über Perez undJuda an den Genesis-Genealogien hängt, und „Sohn Abrahams“, womit an dieKonzepte von Bund und Verheißung angeschlossen wird. Diese genealogischen Feinheiten haben auch die Leserinnen und Leser des Matthäus-Evangeliums nicht unmittelbar parat, so dass es völlig angemessen ist, das genealogische System explizit zu wiederholen. Daher folgt die GenealogieMt 1,2–17,durch die zahlreiche weitere Bezüge zum Buch Genesis geschaffen werden. Ingewisser Weise weicht der Matthäus-Text damit vom Schema ab: Anders alsetwa bei der GenealogieGen 5,1–32, die dieNachfahrenAdams listet, werdennicht die Nachfahren, sondern dieVorfahrenJesu angeführt. Diese„Mischform“ und „Umformung der Gattung“40sind erzähltechnisch undchristologischbedingt. Der Matthäus-Text muss eine gewisse „Nachhilfe“ im Alten Testament geben, damit die Bezüge nicht nur angedeutet, sondern ausgedrückt werden. Das Toledot-System als solches bzw. die Bezugnahme darauf bleibt erkennbar.

Damit ist Jesus Teilhaber amToledot-System und an der Verheißungslinie,die mit dem Segen für die Menschen (Gen 5,2!) und dann vor allem mit Abraham beginnt.Zugleichaber ist Jesus ein neuer Meilenstein in diesem System,ein neuer Abschnitt vom Range eines Abraham, Isaak, Jakob. Mt 1,1 hebt Jesusauf diese Ebene. Das Ergebnis der Lektüre von Mt 1,1 vor dem HintergrunddesBuches Genesis ist damit eine Spannung ausKontinuitätundDiskontinuität: An den Ursprung,648die Traditionen und die Verheißungen Israels wirdvoll und ganz angeknüpft, aber zugleich wird der Anfang einer neuen geschichtlichen Epoche mit Jesus Christusmarkiert.41Diese Lektüreweise erinnert an das Wort im Munde Jesu inMt 13,52: „Jeder Schriftgelehrte also, derein Jünger des Himmelreichs geworden ist, gleicht einem Hausherrn, der ausseinem reichen Vorrat Neues und Altes hervorholt.“

In der Perspektive des Kanons hat Mt 1,1 als Portal zum Matthäusevangelium wie zum gesamten Neuen Testament erhebliche Bedeutung: Dieses Portalverweist ganz massiv auf einenanderenTextzusammenhang, auf den erstenTeil der christlichen Bibel, näherhin auf dessen Anfang, das Buch Genesis. Aufeinen Leser, der mit „David“ und „Abraham“ (und den abMt 1,2 folgendenNamen) nichts anfangen kann, wirkt dieses Portal abweisend und verweisendauf die erforderliche Lektüre des „erstenBandes“. Gerade ein zuerst separatauftretendes Matthäusevangelium (vor der Festigung des Kanons aus AT undNT) braucht so einen Wächter, der den notwendigen Verstehenshintergrundanmahnt und aufzeigt. Sind die „kanonisch“ Lesenden mit dem „ersten Band“vertraut, so ist das Portal Mt 1,1 eine Einladung: Sie können anhand von Mt1,1–17, dem „Inhaltsverzeichnis des AT“,42Tradition und Verheißung Israelsrekapitulieren–und erst auf dieser Basis ist „das Buch der Geschichte JesuChristi“ zu verstehen, das jetzt nicht nur das Matthäusevangelium, sondern dasgesamte Neue Testament ist.

9Hat Matthäus das alles so intendiert?

Damit stellt sich am Schluss der Betrachtung die Frage, ob der Autor des Evangeliums dies alles so beabsichtigt hat. Diese Frage ist interessant und berechtigt, kann und muss im Rahmen dieses Ansatzes aber nicht beantwortet werden.Sie ist nur dann entscheidend, wenn in der Erhebung der Autorintention dieeinzige Aufgabe der Exegese gesehen wird und diese Intention der alleinigeMaßstab fürdie „Richtigkeit“ einer Interpretation wäre. Das kann sie aus mehreren Gründen aber nicht sein.43Bei antiken und biblischen Autoren ist derenIntention wenn649überhaupt nur über den auszulegenden Text (und andereTexte) greifbar, damit also höchstens indirekt zugänglich. Bei modernen Auto-rinnen und Autoren lässt es sich problemlos nachweisen, dass eine bestimmteInterpretation oder Sichtweise nach Auskunft der Verfasser nicht direkt intendiert war, deswegen aber durchaus als „richtig“ angesehen werden kann.Ebenso lehrt die Erfahrung, dass Texte immer „multidimensional“ sind unddurchaus Potential für mehrere „Sinne“ bzw. Interpretationsmöglichkeiten bieten. Das liegt unter anderem daran, dass die Leserinnen und Leser eines Textesdurch ihren Verstehenshintergrund, ihr Wissen und ihre Emotionen, zur Sinnkonstitution des Textes wesentlich mit beitragen.

Wo liegen dann die „Grenzen der Interpretation“ (UMBERTOECO)?44Willman einen Text nicht nur für das selbstkonstruierte Sinngefüge und Weltbildbenutzen, dann muss man sich die Mühe machen, die verschiedenen Elementeeines Textes in einen einzigen Sinnzusammenhang zu bringen. Man kann diesdieintentio operisnennen, anhand der man erkennen kann, dass bestimmte Interpretationen dem Text näher oder ferner stehen. Der Text selbst legt die Grenzen der Interpretation fest, und jede Auslegung muss sich an dem messen lassen, was der Text sagt. Aufgabe der Exegese ist damit nicht das ErhebeneinesSinnes, von dem behauptet wird, es wäre die Intention des Autors, sondern dasAufzeigen des breiteren Sinnpotentialsdurch mehrfache intensive und intertextuelle Lektüre sowie der Heranziehung aller Ergebnisse historisch-kritischerMethoden, um die Grenzen der Interpretation auszuloten.

In diesem Sinne wäre zu fragen, ob es in den eben besprochenen Texten undKontexten, v.a. Mt 1,1, Hinweise gäbe, die gegen die vorgeführte „Lektüre“sprechen. Wennnicht, dann halte ich die vorgelegte Interpretation in Formeinerwissenschaftlich reflektierten (intersubjektiv nachvollziehbaren) Lektürefür verantwortbar.45

Literaturnachtrag (2017)

ALLISON, Dale C., Matthew’s First Two Words (Matt. 1:1), in:DERS., Studies in Matthew.Interpretation Past and Present, Grand Rapids, MI: Baker Academic, 2005, 157–162.

CRIMELLA, Matteo,Βίβλος γενέσεως: la cornice letteraria di Matteo e Gen 1–11, in: RicercheStorico-Bibliche 24 (2012) 255–278.

CUVILLIER, Elian,Références, allusions et citations. Réflexions sur l’utilisation de l’AncienTestament en Matthieu 1–2, in:ClaireCLIVAZu.a.(Hg.),Écritures et réécritures. La reprise interprétative des traditions fondatrices par la littérature biblique et extra-biblique(BETL248), Leuven: Peeters, 2012, 229–242.

HUIZENGA, Leroy Andrew,Matt 1:1:“Son ofAbraham”as Christological Category, in: Horizons in Biblical Theology 30,2 (2008) 103–113.

KONRADT, Matthias, Das Evangelium nach Matthäus (NTD 1), Göttingen: Vandenhoeck &Ruprecht, 2015.

Notas al pie

1O.EIßFELDTsArtikel „Biblos geneseos“ (in: G.DELLING[Hg.],Gott und die Götter. FSE.Fascher, Berlin: Evangelische Verlagsanstalt, 1958, 31–40; Nachdruck in:R.SELLHEIM/F.MAASS[Hg.],OttoEißfeldt:Kleine Schriften III, Tübingen: Mohr Siebeck,1966, 458–470) hat zwar den gleichen Einstieg, legt dann aber das Schwergewicht ganzauf den alttestamentlichen Befund.

2Vgl. dazuM.MAYORDOMO-MARÍN,Den Anfang hören. Leserorientierte Evangelienexegese am Beispiel von Matthäus 1–2(FRLANT 180), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1998, 207.

3Vgl.H.FRANKEMÖLLE,Jahwe-Bund und Kirche Christi.Studien zur Form-und Traditionsgeschichte des „Evangeliums“ nach Matthäus(NTA 10), Münster: Aschendorff,²1984 (11974), 360 (mit weiteren Literaturangaben).

4Genannt seien hier unter anderem:G.SCHRENK,Art.βίβλος, βιβλίον, in:TWNT1 (1933)613–620.615;M.LAMBERTZ,Die Toledoth in Mt 1,1–17 und Lc 3,23bff., in:H.KUSCH(Hg.),Festschrift Franz Dornseiff, Leipzig, Bibliographisches Institut, 1953, 201–225;W.B.TATUM,„The Origin of Jesus Messiah“ (Matt 1:1, 18a): Matthew’s Use of the InfancyTraditions, in:JBL96 (1977) 523–535; U.LUZ,Das Evangelium nach Matthäus,Teilband 1, Mt 1–7(EKK-NT 1), Zürich/Einsiedeln/Köln: Benziger; Neukirchen-Vluyn:Neukirchener, 1985, 88;J.GNILKA,Das Matthäusevangelium. 1. Teil, Freiburg: Herder,1986, 7 (dort weitere Literaturangaben);G.N.STANTON,Matthew:βίβλος,εὐαγγέλιον,orβίος,in:F.VANSEGBROECKu.a.(Hg.),The Four Gospels 1992. FSFrans Neirynck(BETL 100), Leuven: Peeters, 1992, 1187–1201;R.E.BROWN,The Birth of the Messiah,New York u.a.:Doubleday, 1993, 58–59.583–586;J.NOLLAND,What kind of Genesisdo we have in Matt 1.1?,in:NTS42 (1996) 463–471.471 (Lit.).–Eine SonderpositionvertrittE.KRENTZ, der Mt 1,1 in Analogie zuGen 5,1–6,8 alsAbschnittsüberschrift fürMt 1,1–4,16 auffasst (The Extent of Matthew’s Prologue. Toward the Structure of theFirst Gospel, in:JBL83 [1964] 409–414).

5Das Problem dieser Übersetzung ist, dass für „Stammbaum“gewöhnlichγενεαλογία(1Tim1,4;Tit 3,9; vgl. auch Hebr 7,3.6; 1 Chr 5,1) verwendet wird. Ferner ist zu fragen,warum Matthäus für sein erstes Kapitel (oder wie weit man immer die Reichweitevonβίβλος γενέσεωςansetzen will) eineÜberschrift setzt, dann aber keine weiteren Überschriften bringt. Vgl.T.ZAHN,Das Evangelium des Matthäus, Leipzig: Deichert, ³1910,39–40. [Nachbemerkung: Die revidierte Einheitsübersetzung 2016 übersetzt wie folgt:„Buch des Ursprungs Jesu Christi …“.]

6GNILKA,Matthäusevangelium(Anm.4), 7.

7Vgl.EIßFELDT,Biblos geneseos(Anm.1), 36 bzw. 465.

8Vgl. unter anderem:ZAHN,Matthäus(Anm.5), 39–40;H.C.WAETJEN,The Genealogyas the Key to the Gospel According to Matthew, in:JBL95 (1976) 205–230.215;W.D.DAVIES/D.C.ALLISON,A Critical and Exegetical Commentary on the Gospel Accordingto Saint Matthew. Vol. 1, Introduction and Commentary on Matthew I–VII(ICC), Edinburgh: T&T Clark, 1988, 149–160;B.VANELDEREN,The Significance of the Structureof Matthew 1, in:J.VARDAMAN/E.M.YAMAUCHI(Hg.), Chronos, Kairos, Christos,Winona Lake, IN: Eisenbrauns, 1989, 3–14, bes. 7;D.DORMEYER,Mt 1,1 als Überschriftzur Gattung und Christologie des Matthäus-Evangeliums, in:F.VANSEGBROECKu.a.(Hg.),The Four Gospels(Anm. 4), 1361–1381;H.FRANKEMÖLLE,Matthäus. Kommentar 1, Düsseldorf: Patmos, 1994, 128–130;MAYORDOMO-MARÍN,Anfang(Anm.2), 206–217.

9Vgl.FRANKEMÖLLE,Jahwe-Bund(Anm.3), 362–364.

10Siehe dazuDAVIES/ALLISON,Matthew(Anm.8), 152.

11Vgl.DORMEYER,Mt 1,1(Anm.8), 1363.–Mit eben dieser Beobachtung, dassβίβλοςγενέσεωςin der Septuagintasowohl eine Genealogie als auch die Geschichte eines Ahnenbezeichnen kann, wird gelegentlich argumentiert, dass Mt 1,1 sowohlÜberschrift überdas ganze Evangelium als auch über die unmittelbar folgende Genealogie sei (vgl. z.B.J.L.LEUBA,Note exégétique sur Matthieu1,1a, in:RHPR22 [1942] 56–61).

12Als Beispiele dafür führtFRANKEMÖLLE,Jahwe-Bund(Anm.3), 363, u.a. Gen 6,9; 37,2;aber auch Weish 7,5; Jdt 12,18; Jak 1,23an.

13Der hier vorausgesetzte Leserbegriff geht–ohne literaturwissenschaftliche Theorienüberstrapazieren zu wollen–in die Richtung dessen, wasUMBERTOECOunter „Modell-Leser“ versteht (vgl.U.ECO,Im Wald der Fiktionen. Sechs Streifzüge durch die Literatur, München: dtv,21999, 18–19).

14Vgl. dazu programmatisch die methodischen Grundlagen inG.STEINS,Die„BindungIsaaks“im Kanon (Gen 22). Grundlagen und Programm einer kanonisch-intertextuellenLektüre(HBS 20), Freiburg i.Br. u.a.: Herder, 1999, 84–102.86; undC.DOHMEN,DieBibel und ihre Auslegung, München: Beck, 1998, 99–102; vgl.DERS.,Vom vielfachenSchriftsinn. Möglichkeiten und Grenzen neuerer Zugänge zu biblischen Texten, in:T.STERNBERG(Hg.), Neue Formen derSchriftauslegung? (QD 140), Freiburg i.Br.: Herder,1992, 13–74.36; fernerFRANKEMÖLLE,Matthäus(Anm.8), 40.

15MAYORDOMO-MARÍN,Anfang(Anm.2), 210. Er betont in Anm. 43, dass eine Suche inder CD-ROM-Fassung des Thesaurus Linguae Graecae keine weiteren Belege für diesyntaktische Einheitβίβλος γενέσεωςaußerhalb der von Gen 2,4 und 5,1 beeinflusstenLiteratur ergeben hat.–Die Versuche,βίβλος γενέσεωςals Übersetzung des rabbinischenTerminusספר יוחסיןaufzufassen, schildert und widerlegtM.D.JOHNSON,The Purpose ofthe Biblical Genealogies, Cambridge: University Press,1969,147–149,und schließt,dass die Wendungβίβλος γενέσεωςam besten als „reflection of thetoledothformula inGenesis, in either the Hebrew or Greek form, or both“ anzusehen seien.–Insofernβίβλοςγενέσεωςals syntaktische Einheit zu werten ist, liegen die beiden Belege fürγένεσιςinMt 1,1 vom Buch Genesis her gelesen Mt 1,1 und 1,18 auf verschiedenen Ebenen und können, ja sollten unterschiedlich über-setzt werden (mitDAVIES/ALLISON,Matthew[Anm.8], 155; gegenLAMBERTZ,Tole-doth[Anm.4], 203, u.a.).

16Vgl.NOLLAND,Genesis in Matt 1.1(Anm.4), 468, Anm. 24.

17Vgl. die Reaktion vonNOLLAND,Genesis in Matt 1.1(Anm.4), 470, auf den „link“ zwi-schen Mt 1,1 und Gen 2,4; 5,1: „What are we left with? Actually not very much.“

18Vgl.NOLLAND,Genesis in Matt 1.1(Anm.4), 467, Anm. 21;M.RÖSEL,Übersetzung alsVollendung der Auslegung. Studien zur Genesis-Septuaginta(BZAW 223), Berlin/NewYork: de Gruyter, 1994, 57.

19Dass in Mt 1,1 das aus Gen 2,4 und 5,1LXX bekannte Demonstrativpronomen und derArtikel (αὕτηἡ) fehlen, hebe denÜberschriftcharakter von Mt 1,1 hervor und assoziiereneben Gen 2,4 und 5,1 auch den Titel des BuchesGenesis in der Septuaginta. Vgl.MAYORDOMO-MARÍN,Anfang(Anm.2), 211.–DAVIES/ALLISON,Matthew(Anm.8), 151,zeigen, dassΓένεσιςbereits zur Zeit des Evangelisten als Titel des ersten Buches derSeptuaginta bestanden hat. Als Belege führen sie u.a. Justin (Dial. 20,1), Origenes (Orat.23,3;vgl. Eusebius, Hist. eccl. 6,25), Melito von Sardes (Eusebius, Hist. eccl. 4,26) so-wie drei Belege bei Philo (Poster.C. §127; Abr. §1, Aet. mundi §19) an. In letzterer Stellebemerkt Philo, dass Mose das erste der fünf Bücher mitΓένεσιςüberschrieben habe.

20Zu den Stellenangaben siehe das Folgende. Ausnahmen sindGen 31,13;32,10 (das Landder Verwandtschaft) und40,20 (der Geburtstag).

21Vgl.NOLLAND,Genesis in Matt 1.1(Anm.4), 467–469.

22Vgl.MAYORDOMO-MARÍN,Anfang(Anm.2), 211.

23Vgl.FRANKEMÖLLE,Matthäus(Anm.8), 130;RÖSEL,Übersetzung(Anm.18), 122.

24Nach dem HT ist bei Gen 1,26f. an eine Gottesstatue zur Repräsentation der Gottheit zudenken, während die LXX die griechische Urbild-Abbild-Spekulation impliziert. Zuצלם/דמות+ Präposition vs.ϰατ᾽εἰϰόναvgl.W.GROß,Gen 1,26.27; 9,6: Statue oder Ebenbild Gottes? Aufgabe und Würde des Menschen nach dem hebräischen und dem griechischen Wortlaut, in:Jahrbuch für Biblische Theologie15 (2000) 11–38, speziell 35–37.

25Vgl.J.W.WEVERS,Notes on the Greek Text of Genesis (SBLSCS 35), Atlanta: ScholarsPress, 1993, 22.68.

26Vgl. dazu grundlegend, wenn auch in einigen Konsequenzen problematisch:S.TENGSTRÖM,Die Toledotformel und die literarische Struktur der priesterlichen Erweiterungsschicht im Pentateuch(CB.OT 17), Uppsala: CWK Gleerup, 1981; siehe auchEIßFELDT,Biblos geneseos(Anm.1), passim; weitere Literaturhinweise beiT.NAUERTH,Untersuchungen zur Komposition der Jakoberzählungen(BEATAJ 27), Frankfurt/M.:Lang, 1997, 15 Anm. 31. In einer synchronen Lektüre erkenntauchD.CARR„patterns“,also ein Toledot-System (Βίβλος γενέσεωςRevisited: A Synchronic Analysis of Patternsin Genesis as Part of the Torah, in:ZAW110 [1998] 159–172.327–347. Dass das BuchGenesis in der Endkomposition durch dieToledot-Formeln strukturiert ist, hatK.KOCHherausgearbeitet:Die Toledot-Formeln als Strukturprinzip des Buches Genesis, in:S.BEYERLE(Hg.),Recht und Ethos im Alten Testament–Gestalt und Wirkung. FSH.Seebass, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1999, 183–191.–Das Toledot-System ist Teildes umfassenderen genealogischen Systems; vgl. dazu jüngstF.CRÜSEMANN,Menschheit und Volk. Israels Selbstdefinition im genealogischen System der Genesis, in:EvTh58 (1998) 180–195, deutsche Fassung vonDERS.,Human Solidarity and Ethnic Identity.Israel’s Self-Definition in the Genealogical System of Genesis, in:M.G.BRETT(Hg.),Ethnicity and the Bible, Leiden: Brill, 1996, 57–76.–Das Toledot-System stelle ich inmeinem Habilitationsprojekt „Die Genealogien der Genesis“ ausführlicher vor und zeigedort die Folgen für die Interpretation des Buches Genesis auf [s. T.HIEKE, Die Genealogien der Genesis (HBS 39), Freiburg i.Br.: Herder, 2003].

27Vgl.KOCH,Toledot-Formeln(Anm.26), 186.

28So die Übersetzung vonFRANKEMÖLLE,Matthäus(Anm.8), 128.

29Zumindest ist dieseruniversale Horizont möglich. Was im einzelnen aktuellen Lesevorgang realisiert wird, ist eine andere Frage. Aber die Bibel ist–das zeigen auch dieseBeobachtungen–nicht zur Einmal-Lektüre gedacht. „[M]anche Geschichten verlangeneine nie zu beendende Lektüre.“ (ECO,Im Wald[Anm.13], 41).

30Vgl.FRANKEMÖLLE,Jahwe-Bund(Anm.3), 361–362.

31Nähere Hinweise und Quellen dazu beiNOLLAND,Genesis in Matt 1.1(Anm.4), 470.

32Vgl. dazu einschlägig u.a.DORMEYER,Mt 1,1(Anm.8), passim;MAYORDOMO-MARÍN,Anfang(Anm.2), 214f.–Belege in der rabbinischen Literatur, die ebenfalls Abrahamund David als Angelpunkte in der Geschichte ansehen, führtJOHNSON,Purpose(Anm.15), 149–151, an.

33Vgl. dazu Näheres beiR.PESCH,„Er wirdNazoräerheißen“. Messianische Exegese inMt 1–2, in:F.VANSEGBROECKu.a.(Hg.),The Four Gospels 1992. Festschrift FransNeirynck(BETL 100), Leuven: Peeters, 1992, 1385–1401.1395.

34Vgl. dazuFRANKEMÖLLE,Matthäus(Anm.8), 132–134.

35GNILKA,Matthäusevangelium(Anm.4), 7.GNILKAwill Mt 1,1 zwar nicht alsÜberschrift über das Evangelium ansehen, meint aber doch, dass der Vers „als eine Art Resümee dermatthäischenTheologie gelesen werden soll“ (ebd. 8).–Vgl. auchVANELDE-REN,Significance(Anm.8), 7.

36Zu Begriff, Methodik und Programm der „kanonisch-intertextuellen Lektüre“ vgl.STEINS,Bindung Isaaks(Anm.14). Hier können einige Thesen daraus nur angedeutetwerden: Der „Kanon“ ist in erster Linie ein literaturwissenschaftlicher (kein dogmatischer) Begriff („Kanon als Text in literarischer Hinsicht“, S. 17) und bezeichnet den„letzten Kontext“ in zeitlicher und sachlicher Hinsicht (S. 19), der als letzte Kontextualisierung ein besonderes Gewicht erhält und für die Auslegung der primäre Kontext desEinzeltextes ist (S. 21). Der Bibelkanon ist daher der privilegierte Intertext (S. 99). Damitetabliert der Kanon eine spezifische Rezeptionsvorgabe (S. 25): „Der Kanon stellt einenSpielraum von Kontextualisierungsmöglichkeiten bereit. Er leitet an zu einer kreativenLektüre und erfordert diese, um das Potential auszuschöpfen“ (S. 26). Zudem istin derzwei-einen christlichen Bibel für das Verhältnis von AT und NT die „doppelte Lese-weise“ nach dem „Konzept der doppelten Hermeneutik“ (Jüdische Bibel/Altes Testament) zu beachten, vgl.C.DOHMEN/G.STEMBERGER, Hermeneutik der Jüdischen Bibelunddes Alten Testaments, Stuttgart u.a.: Kohlhammer, 1996, 211–213. [s. weiterführendauch: www.biblischeauslegung.de]

37MAYORDOMO-MARÍN,Anfang(Anm.2), 216.

38Vgl.DAVIES/ALLISON,Matthew(Anm.8), 150–151.NOLLAND,Genesis in Matt 1.1(Anm.4), 463.466, undSTANTON,Matthew(Anm.4), 1189, wenden sich zu Recht gegendiese Auffassung.

39NOLLAND,Genesis in Matt 1.1(Anm.4), 470, sieht ebenfalls die biblische Sprache unddie Unterstreichung der Bedeutung Jesu als wesentliche Implikationen des Bezugs vonMt 1,1 auf Gen 2,4; 5,1. Gegen sein skeptisches Urteil, dass dies „not very much“ sei,meine ich, dass dies schon sehr viel ist.B.T.VIVIANO(The Genres of Matthew 1–2: Lightfrom 1 Timothy 1:4, in:RB97 [1990] 31–53.52) formuliert es so: Man kannvermuten,dass der Evangelist ein Signal geben wollte, dass er eine „neue Genesis“ schreiben will,eine neue Epoche in der Heilsgeschichte. Ähnlich sagt das auchFRANKEMÖLLE,Jahwe-Bund(Anm.3), 365.

40Vgl.MAYORDOMO-MARÍN,Anfang(Anm.2), 223.

41ÄhnlichFRANKEMÖLLE,Matthäus(Anm.8), 135:Christologisch ergibt sich die These,„dass die darzustellende ‚Geschichte Jesu Christi‘ die in der Bibel erzählte Geschichteerfüllt und konsequent weiterführt“. OderGNILKA,Matthäusevangelium(Anm.4), 8: „E[= der Evangelist Matthäus] knüpft an das Alte an, im gewissen Sinn schreibt er eineFortsetzung des AT, weiß aber um den Umbruch der Zeit, der mit Jesus Christus erfolgtist.“

42Diese Formulierung hat der Student Florian Kreuzer im Seminar „Der Kanon des AT“an der Universität Regensburg im Wintersemester 2000/2001 angeregt, und ich greife siedankend auf.

43Vgl. dazu auch die Problemanzeigen beiMAYORDOMO-MARÍN,Anfang(Anm.2), 170–187.

44Vgl. zum FolgendenDOHMEN,Die Bibel(Anm.14), 40–42.

45Für kritische und anregende Hinweise danke ich Georg Steins, Christoph Dohmen,Tobias Nicklas, Christian Wagner und Martin Mark.

„Wie es geschrieben steht“Weihnachtliche Motiveaus dem Alten Testament

32Von einer Jungfrau in Betlehem geboren, nach Ägypten geflohen und von dort zurückgerufen–Matthäus und Lukas kleiden wichtige Aussagen über Jesus, den Christus, in fantasiereiche Erzählungen von der Kindheit Jesu. Es geht nichtdarum,waswirklichwar, sondernwerJesusist: die Erfüllung der Hoffnungen der Heiligen Schrift. Diese Heilige Schrift,die den Evangelisten vorlag, wurde dann zum ersten Teil der christlichen Bibel, zum AltenTestament.

Ein Plakat kündigt den Auftritteines großen Opernstars, ein Orgelkonzert odereine wichtige Kundgebung an –viele schauen es an, es findet große Beachtung. Doch nach dem Ereignis ist seine Zeit abgelaufen, das Plakat wird abgerissen und entsorgt. Bisweilen scheint es mit dem Alten Testament ähnlich zu sein: Es kündigt das Kommen des Messias an. Das ist nach Auffassung der Christen mit Jesus von Nazaret erfolgt –und so könnte man meinen, das Alte Testament sei erledigt wie ein altes Plakat. Ist das wirklich gemeint, wenn das Matthäusevangelium von der „Erfüllung der Schrift“ spricht? Oder soll das heißen, Gott habe geheime Botschaften im Alten Testament versteckt, die erst die Christen herausgefunden haben, sodass nur sie den Text „richtig“ verstehen?

1Das „Alte“ bleibt gültig

Beide Gedanken sind absurd, der Größe Gottes unwürdig und haben antijüdische Konsequenzen. Christinnen und Christen lesen ihr Altes und Neues Testament dann „richtig“, wenn sie dabei den Jüdinnen und Juden ihre Bibel nicht wegnehmen. In den biblischen Texten steckt mehr, als es auf den ersten Blick scheint, und das literarische und theologische Verhältnis der Testamente ist weitaus tiefer und vielfältiger als bei einem Plakat und dem Ereignis, das es ankündigt. Diesem Geheimnis kann man an drei sogenannten „Erfüllungszitaten“ (Mt 1,22f; 2,5–6; 2,15) auf die Spur kommen.

Die Evangelisten hatten keine leichte Aufgabe: Wie sollte man es in Worte fassen, dass der lebendige Gott seinen Sohn als Retter in die Welt schickt und dieser Retter ein Mensch wird? (Die Worte fehlten vor allem, weil noch nicht mehrere Jahrhunderte Dogmengeschichte eine angemessene Begrifflichkeit entwickelt hatten.) Wie war diese unerhörte Botschaft zu vermitteln? Woran konnte man anknüpfen, wenn man etwas nie Dagewesenes zu beschreiben suchte?

2Erfüllungszitat I:Jungfrauengeburt und Immanuel

Manchmal kommt man zu einer schwierigen Aufgabe wie die Jungfrau zum Kinde –bis in die Redensarten unseres Alltags ist die Formulierung der außergewöhnlichen Menschwerdung Gottes vorgedrungen. Für das Matthäusevangelium ist klar, dass Jesus der Sohn Gottes ist –doch der kann nur von einer Jungfrau geboren werden, das weiß man aus der Religionsgeschichte. Hätte der Verfasser einen Computer gehabt, so hätte er „Jungfrau“ und „Kind“ in die Suchmaske eingegeben, und dann wäre er auf Jes 7,14 gestoßen.Der Verfasser brauchte keinen Computer, weil er die Texte besser im Gedächtnis hatte als wir. Jes 7,14 ist die einzige Stelle im Alten Testament, wo von einem Kind einer Jungfrau die Rede ist –und das auch nur in der griechischen Version (der sogenanntenSeptuagintaoderLXX).

Jes 7,14 (hebräischer Text):„Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, diejunge Frauwirdein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den NamenImmanuel(Gott mit uns) geben.“

Jes 7,14(griechischer Text der Septuaginta):„DieJungfrauwird schwanger werden und einen Sohn gebären und du wirst ihm denNamenEmmanuelgeben.“

Mt 1,22f.:„Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagthat: Seht, dieJungfrauwird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und manwird ihm den NamenImmanuelgeben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns.“

Liest man die Jesaja-Stelle unvoreingenommen in der hebräischen Fassung, die von einer „jungen Frau“ (hebr.ʿalmā) spricht, so tritt einem ein hoffnungsvolles prophetisches Zeichen entgegen: Der außenpolitisch schwer angeschlagene König Ahas von Juda soll sich keine Sorgen machen; eine junge Frau in seiner Umgebung wird ein Kind bekommen; noch bevor es so weit herangewachsen ist, dass es Gut und Böse unterscheiden kann, wird die außenpolitische Bedrängnis vorbei sein, weil Gott helfend eingreifen wird (Immanuel–„Gott mit uns“). So weit reicht die einfache, vordergründige Deutung der Ereignisse von 734 v.Chr.

Aber das Faszinierende an den prophetischen Texten ist, dass sie so offen formulieren, dass sie auch über ihre ursprüngliche Entstehungssituation hinaus Bedeutungen für neue Situationen erlangen können. Möglicherweise sah man in Jes 7 schon drei Jahrzehnte später, im Jahr 701 v.Chr., als die Assyrer Jerusalem belagerten, einen Trost für die Stadt und ihren König. Als nach dem Exil das irdische Königtum Davids in Jerusalem ausgelöscht war, deutete man dieseStelle entweder auf die aus dem Exil heimkehrende jüdische Gemeinde (als lebendigen Beweis für das „Gott mit uns“) oder auf34den kommenden Heilsbringer Gottes, den Messias. Wahrscheinlich war es dieser Gedanke, der auch die Wortwahl der griechischen Übersetzer so lenkte, dass sie das Paradoxon formulierten, dass die Jungfrau (parthénos) ein Kind bekommen werde: Die Geburt des Messias wird von einem Wunder begleitet.

Hier findet die christliche Verkündigungvon Jesus einen idealen Ansatzpunkt, aber mehr auch nicht. Weder handelt es sich um einen biologischen Beweis, noch behauptet Matthäus, in Jes 7,14 sei von Maria und Jesus die Rede. Die theologische Leistung des Evangeliums besteht vielmehr darin, die offenen Prophetenworte auf das Christusgeschehen hin zu deuten und soeine(nicht die einzig mögliche) Leseweise von Jes 7,14 vorzuschlagen. Von da ab hat Jes 7,14 für Christen eine andere Bedeutung als für Juden. Dass ein Text auf zwei verschiedene Weisen gelesen werden kann, die beide ihre Berechtigung haben, ist literaturwissenschaftlich kein Problem, theologisch sogar ein großer Reichtum.

Auch wenn manche Leserinnen und Leser auf den Aspekt der Jungfrauengeburt fixiert sind, so ist dies doch nicht die zentrale Aussage der Verknüpfung von Altem und Neuem Testament. Matthäus vermittelt mit Jes 7,14 eine entscheidende Aussage darüber,wer Jesus Christus ist: der Immanuel, „Gott mit uns“. Das ganze Evangelium über bleibt es aber ein Rätsel, warum das Kind dann nicht Immanuel, sondern „Jesus“ heißt. Im letzten Satz, den der Auferstandene als Trost an seine Jünger richtet, löst sich das Rätsel:

„Ich bin bei euchalle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20).

Christus ist allezeit mit seiner Gemeinde („Gott mit uns“) und verwirklicht so die Immanuel-Verheißung. Daran zeigt sich erneut, dass „erfüllt“ nicht „erledigt, abgehakt“ heißt, sondern „vollendet“ und „bleibend gültig“: Die Zusage Gottes, mit seinem Volk zu sein, realisiert sich im Glauben der Christen in der bleibenden Gegenwart des Auferstandenen. Von diesem Aspekt her berühren sich Weihnachten und Ostern.

3Erfüllungszitat II:Betlehem und der Hirt seines Volkes

Die Frage der Sterndeuter und des Herodes in Mt 2 ist eine echte Frage: Wosoll der Messias geboren werden? Die Antwort der Heiligen Schrift ist eindeutig: Aufgrund entsprechender prophetischer Verheißungen ist Betlehem der Geburtsort des erwarteten Messias. Matthäus lässt dazu die Hoftheologen desHerodes zwei Bibeltexte verbinden: Micha 5,1.3 und 2 Sam 5,2.

Micha 5,1.3:„Aber du,Betlehem-Efrata,so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll. Sein Ursprung liegt in ferner Vorzeit, in längstvergangenen Tagen. Er wird auftreten und ihrHirtsein in der Kraft desHERRN, im hohenNamendesHERRN,seines Gottes. Sie werden in Sicherheit leben; denn nun reicht seineMacht bis an die Grenzen der Erde.“

2 Sam 5,2:„Schon früher, als noch Saul unser König war,bist du es gewesen, der Israel in denKampf und wieder nach Hause geführt hat. DerHERRhat zu dir gesagt: Du sollst derHirtmeines Volkes Israel sein, du sollst IsraelsFürstwerden.“

Mt 2,5–6:„[Herodes] ließ alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommenund erkundigte sich bei ihnen, wo der Messias geboren werden solle. Sie antwortetenihm: In Betlehem in Judäa; denn so steht es bei dem Propheten: Du,Betlehemim Gebietvon Juda, bist keineswegs die unbedeutendste unter den führenden Städten von Juda;denn aus dir wird einFürsthervorgehen, derHirtmeines Volkes Israel.“35

Die Micha-Stelle verheißt im Original einen künftigen Herrscher, der aus Betlehem hervorgeht und dem Volk Sicherheit und Frieden bringt: „Aber du, Betlehem-Efrata, so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird einer hervorgehen,der über Israel herrschen soll.“ Und: „Er wird auftreten und ihr Hirt sein.“Betlehem ist die Heimatstadt Davids, des idealen Königs Israels (als Gesamtheit)–von daher und vom Stichwort „Hirt sein“ ergibt sich eine Verbindung zwischen Micha 5,3 und dem zweitenZitat aus2 Sam 5,2: Diese Stelle erzählt, wieDavid–Saul war soeben untergegangen–durch eine Delegation des Nordreiches Israel die Königswürde angetragenbekommt. Eine Verheißung wird angefügt, die die Erwählung Davids zusammenfasst: „Der Herr hat zu dir gesagt:Du sollst der Hirt meines Volkes Israel sein, du sollst Israels Fürst werden“ (vgl. auch 1 Sam 13,14; 18,13.16; 25,30; auch 2 Sam 6,21; 7,8).

Auchbei diesem Anknüpfungspunkt zum Stichwort „Betlehem“ gilt: Es ist weder ein zwingender Beweis, dass Jesus der Messias ist, noch wird unterstellt, die Micha-Prophetie denke bei ihrer Entstehung schon an Jesus. Matthäus setzt vielmehr den Glauben an die Botschaft voraus, dass Jesus der verheißene Messias ist, und sucht dazu nach möglichen Interpretationen in den alten Schriften. Und wieder ist die zentrale Aussage nicht die historische (der Geburtsort). Die moderne Fragestellung, wo der historische Jesus geboren ist,geht an der Intention dieser Texte vorbei. Für sie ist nämlich wiederum eine Aussage über die Bedeutung Jesu entscheidend: Er ist der Hirt des Gottesvolkes. Damit leistet das Matthäusevangelium etwas Ungeheures. Alle positiven Bilder und Metaphern, die von Gott als dem Guten Hirten sprechen (vgl. Gen 48,15; Ps 23; Jes 40,11; Jer 31,10; Ez 34,11–22) und die der wesentlichsten und sehnsuchtsvollen Hoffnung auf Orientierung, Geborgenheit, Schutz und gute VersorgungAusdruck verleihen, werden gebündelt auf Jesus übertragen. Das Johannesevangelium geht diesen Weg konsequent weiter, wenn es in den „Ich-bin-Worten“ Jesus über sich sagen lässt:

„Ich bin der gute Hirt“ (Joh 10,11).

Wiederum wird dabei keineswegs eine alttestamentliche Verheißung abgehakt. Vielmehr schafft der Evangelist eine Verbindung zwischen der alten Tradition und Hoffnung Israels und dem Glauben derer, die sie in Jesus Christus erfüllt sehen. Insofern sind die bildhaften Aussagen der Vorgeschichte des Matthäusevangeliumsbleibende Aussagen über Jesus Christus, der im Glauben der Christen als Hirt, Herr und König seines Volkes verehrt wird.

4Erfüllungszitat III:Aus Ägypten–Gottes Sohn

Vor allem die koptische Kirche Ägyptens hatdie Flucht der Heiligen Familie mit einer breiten Verehrungstradition bedacht –entlang der gesamten, im Laufe der Kirchengeschichte „rekonstruierten“ Fluchtroute gibt es Wallfahrtsorte. Doch was steckt hinter der Erzählung über Kindermord und Auslandsaufenthalt? Auch was zunächst wie eine Flucht vor willkürlicher Gewalt der Mächtigen, wie sie bis heute millionenfach vorkommt, aussieht, wird im Matthäusevangelium in einen großen theologischen Zusammenhang gestellt.

Hos 11,1(hebräischer Text):„Als Israel jung war, hatte ich ihn lieb undrief ihn, meinen Sohn, aus Ägypten.“

Mt 2,14–15:„Da stand Josef in der Nacht auf und floh mit dem Kind und dessen Mutter nach Ägypten.Dort blieb er bis zum Tod des Herodes. Denn es sollte sich erfüllen, was der Herr durchden Propheten gesagt hat:‚Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.‘“

Die Flucht nach und die Rückkehr aus Ägypten deutet Matthäus mit einem gewichtigen Wort aus der Schrift des Propheten Hosea. Vielleicht wird die Flucht sogar deshalb erzählt, um eine theologische Botschaft unterzubringen. Das Matthäusevangelium bezieht sich hier nicht auf die Septuaginta, denn die griechische Version verwendet nicht das vieldeutige Wort „Sohn“, sondern „Kinder“ und meint damit eindeutig das Volk Israel. „Sohn“ steht in derhebräischenFassung von Hos 11,1 –esist dort ebenfalls eine Metapher für das Volk Israel, aber die Einzahl vertieft die besonders innige Beziehung zwischen Gott und seinem Volk: Sie wird dargestellt als die Liebe einer Mutter und eines Vaters