Sword Art Online – Aincrad – Light Novel 02 - Reki Kawahara - E-Book

Sword Art Online – Aincrad – Light Novel 02 E-Book

Reki Kawahara

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Beschreibung

Im Jahr 2022 startet das virtuelle Rollenspiel "Sword Art Online", bei dem die Spieler vollends in die Fantasywelt Aincrad eintauchen können. Über ein technisches Hilfsmittel namens NerveGear, das die Sinneswahrnehmungen beeinflussen kann, empfinden die Gamer das Spiel als Realität. Einer der 10.000 auserwählten Spieler ist Kirigaya. Nachdem er die ersten Kämpfe erfolgreich bestanden hat, kann er sich plötzlich nicht mehr aus dem Spiel ausloggen! Kurz darauf verkünden die Entwickler des Systems, dass die Spieler die Welt erst dann verlassen können, wenn sie alle Endgegner der 100 Ebenen des Spiels besiegt haben. Damit beginnt die actiongeladene Reise …

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Ein riesiges Schloss aus Stein und Eisen schwebt am unendlichen Firmament.

Das ist die Gänze dieser Welt.

Nach einem Monat Vermessungsarbeiten fand eine Gruppe exzentrischer Handwerker heraus, dass der Durchmesser des untersten Stockwerks ungefähr zehn Kilometer beträgt, sodass Tokyos Bezirk Setagaya* komplett hineinpassen würde. Weil darüber nicht weniger als einhundert weitere Ebenen liegen, ist die Größe der Welt in ihrer Gänze unvorstellbar. Es war unmöglich, die dafür benötigte Datenmenge auch nur zu erahnen.

Im Inneren des Schlosses existieren mehrere Großstädte, kleinere Städte und Dörfer, Wälder und Wiesen, Seen und so weiter. Auf jeder Ebene gibt es nur eine einzige Treppe, die das Stockwerk mit dem darüber verbindet, und da all diese Treppen in gefährlichen Dungeons liegen, in denen Monster herumlungern, ist das Auffinden und Benutzen schwierig. Aber wenn einmal jemand durchgekommen ist und eine Großstadt auf der nächsthöheren Ebene erreicht hat, dann wird diese über ein »Teleportgate« mit allen Großstädten auf den Ebenen darunter verbunden und jeder kann sich danach frei zwischen ihnen bewegen.

Auf diese Weise wurde das riesige Schloss über den langen Zeitraum von zwei Jahren langsam erobert. Die derzeitige Front ist die 74. Ebene.

Der Name des Schlosses ist »Aincrad«. Eine Welt der Schwerter und Kämpfe, in der sich ungefähr 6.000 Menschen aufhalten. Sie heißt auch ...

»Sword Art Online«.

*Bezirk in Tokyo, 58 km2 groß

»Bitte ... Lass mich nicht allein ... Pina ...«

Über Silicas Wangen liefen die Tränen, tropften hinunter, zerplatzten auf den großen Federn am Boden und verliefen darin.

Diese blassblauen Federn waren alles, was noch von Silicas Gefährtin »Pina« übrig war, die lange Zeit ihr einziger Freund und Partner gewesen war. Vor wenigen Minuten war Pina gestorben, um Silica zu schützen. Die Waffe eines Monsters hatte sie tödlich verletzt, und mit einem traurigen Schrei war sie wie Eis zersplittert. Ihre Schwanzfeder war noch da, mit der sie immer freudig gewedelt hatte, wenn Silica sie gerufen hatte ...

1

Silica war ein auf Aincrad seltener »Beast Tamer«. Oder sie war es gewesen. Denn ihre Gefährtin, die sie gezähmt hatte, gab es nicht mehr.

Beast Tamer war kein vom System bestimmter Name einer Klasse oder eines Skills, sondern eine landläufige Bezeichnung.

Es kam nur extrem selten vor, dass ein Monster, gegen das man normalerweise kämpfte, freundschaftliches Interesse an einem Spieler zeigte. Wenn man eine solche Chance ergriff und den Skill »Taming« einsetzte, zum Beispiel durch die Gabe von Futter, wurde das Monster im Erfolgsfall zu einem wertvollen und hilfreichen Gefährten des Spielers. Die Spieler, die solches Glück hatten, nannte man voller Lob und Neid »Beast Tamer«.

Natürlich konnte nicht jedes Monster zu einem Gefährten werden. Diese Möglichkeit beschränkte sich auf einen Teil von ihnen, nämlich die kleintierartigen Monster. Man hatte noch nicht vollständig ermitteln können, welche Bedingungen genau zu einer Situation führten, in der der Beast-Taming-Skill eingesetzt werden konnte, aber eines war sicher: Man durfte nicht zu viele Monster derselben Art töten.

Wenn man darüber nachdachte, war das eine ziemlich harte Bedingung. Denn auch wenn man nur die Monster ins Auge fasste, die zu Gefährten werden konnten, und immer wieder mit vielen von ihnen zusammentraf, konnte man es nicht vermeiden, dass einen diese Monster angriffen und es zum Kampf kam. Wenn man also ernstlich vorhatte, ein Beast Tamer zu werden, und viele Begegnungen mit den entsprechenden Monstern hatte, musste man in dem Fall, dass sich die entsprechende Situation nicht ergeben hatte, immer fliehen. Es war also mühsame Arbeit.

Man konnte sagen, dass Silica in diesem Punkt unglaubliches Glück gehabt hatte.

Denn in dem Wald, den sie ohne speziellen Grund betreten hatte, auf der Ebene, zu der sie ganz ohne Vorwissen aus einer Laune heraus hinabgestiegen war, griff das erste Monster, das sie jemals getroffen hatte, nicht an und kam näher, und als sie es mit den Nüssen beschoss, von denen sie am Vortag zufällig eine Tüte voll gekauft hatte, waren diese auch noch die Lieblingsspeise dieses Monsters gewesen.

Dieser kleine Drache von der Gattung »Feather LiDra«, der am ganzen Körper in flaumige hellblaue Daunen gehüllt war und statt eines Schwanzes zwei große Federn hatte, war eigentlich ein seltenes Monster, das kaum auftauchte. Silica hatte also Erfolg beim Taming, und als sie mit diesem Drachen auf der Schulter in ihre Heimatstadt Fleabane, die Hauptstadt der achten Ebene, zurückkehrte, erzeugte das sofort viel Gesprächsstoff. Schon am nächsten Tag versuchte eine große Menge Spieler mithilfe von Silicas Informationen ebenfalls, einen Feather LiDra zu zähmen, aber man hörte niemals eine Geschichte darüber, dass sie Erfolg gehabt hätten.

Silica taufte ihren kleinen Drachen »Pina«. Es war der Name der Katze, die sie in der realen Welt gehabt hatte.

Gefährtenmonster hatten normalerweise keine besonders hohe Kampfkraft, und Pina bildete da keine Ausnahme, aber im Gegenzug besaß sie mehrere spezielle Fähigkeiten. Sowohl die Aufspür-Fähigkeit, die auf sich nähernde Monster aufmerksam machte, als auch die Heal-Fähigkeit, die die HP des Halters zumindest in Teilen heilte, waren wertvoll, und die tägliche Jagd wurde plötzlich deutlich komfortabler. Aber worüber Silica sich mehr als alles andere freute, das waren die Ruhe und die Wärme, die Pinas Existenz mit sich brachte.

Die AI-Programme von Gefährten waren nicht sehr ausgefeilt. Sie konnten natürlich nicht sprechen und verstanden gerade mal etwa zehn Arten von Befehlen. Aber für Silica, die mit zwölf Jahren in diesem Game, in dieser Welt von SAO gefangen genommen worden war und fast vergangen wäre vor Sorge und Einsamkeit, war Pinas Freundschaft eine unbeschreibliche Rettung. Man konnte wohl sagen, dass Silicas eigentliches »Abenteuer« in dieser Welt damit erst begonnen hatte.

In dem einen Jahr, das seitdem vergangen war, hatten Silica und Pina ohne Probleme Erfahrung angesammelt, auch Silicas Fähigkeiten mit dem Dolch waren gestiegen, und mittlerweile galt sie unter den Mittelklasse-Spielern sozusagen als High-Level-Spielerin.

Natürlich reichte sie levelmäßig nicht an die Top-Schwertkämpfer heran, die an der Front kämpften, aber da die Mitglieder in der »Eroberungsgruppe«, der unter den 7.000 Spielern gerade einmal mehrere Hundert angehörten, in gewissem Sinne noch seltener waren als die Beast Tamer und es kaum Gelegenheiten gab, sie irgendwo mal zu treffen, kam die Tatsache, dass der eigene Name unter den Mittelklasse-Spielern, die das größte Segment bildeten, wohlbekannt war, einer Aufnahme in die Gruppe der Star-Spieler gleich.

Da Silica eine von nur wenigen weiblichen Spielern war – und auch wegen ihres Alters –, dauerte es nicht lange, bis die »Drachenmeisterin Silica« zu einer beliebten Person wurde, die viele Fans hatte. Ununterbrochen erreichten sie Einladungen von Gruppen und Gilden, die einen Star wollten, und in dieser Situation war es vielleicht nur natürlich, dass die inzwischen 13-jährige Silica davon völlig begeistert war und übermütig wurde. Aber letzten Endes war dieser Hochmut etwas, das sie einen äußerst bedauerlichen und nicht wiedergutzumachenden Fehler begehen ließ.

Der Anlass war ein unbedeutender Streit.

Vor zwei Wochen hatte eine Gruppe Silica eingeladen, sich ihr anzuschließen, und Silica war mit ihr zu einem Abenteuer in einem weiten Waldgebiet aufgebrochen, das sich im Norden der 35. Ebene ausbreitete. Man nannte es den »Irrwald«. Natürlich war die Front weit entfernt, oben auf der 55. Ebene, und diese Ebene hier war bereits erobert worden. Aber da die Top-Schwertkämpfer grundsätzlich nur Interesse an der Durchquerung des Dungeons zeigten, waren Sub-Dungeons wie der »Irrwald« unberührt zurückgelassen worden und oft das Ziel der Mittelklasse-Spieler.

Die Mitglieder der sechsköpfigen Gruppe, der sich Silica angeschlossen hatte, waren alle sehr geschickte Personen, die von Herzen gerne von früh bis spät kämpften, Schätze suchten und dementsprechend viele Cor und Items sammelten. Als der Abend nahte und die Heiltränke fast vollständig aufgebraucht waren, beschlossen sie, in die Hauptstadt zurückzukehren. Eine Spielerin, die mit einem schmalen Langspeer ausgerüstet war, sagte zu Silica: »Was die Aufteilung der Items nach unserer Rückkehr angeht ... Dich heilt ja deine komische Eidechse, du brauchst also keine Heilungskristalle.«

Silica erwiderte aufgebracht: »Und was ist mit dir? Wenn du nie bis nach vorne kommst und dich immer nur hinten rumdrückst, wo es ungefährlich ist, dann brauchst du auch keine Kristalle.«

Danach führte ein Wort zum anderen, die Vermittlung des Leiters, eines Kämpfers mit Schwert und Schild, war auch umsonst und Silica, die in die Luft ging, erklärte schließlich entschieden: »Auf Items kann ich verzichten! Mit euch tue ich mich auf gar keinen Fall mehr zusammen! Es gibt bergeweise andere Gruppen, die mich haben wollen!«

Silica schenkte den Worten des Leiters, der sie bat, wenigstens gemeinsam mit ihnen bis zur Stadt zurückzugehen, kein Gehör, trennte sich an einer Abzweigung von der Gruppe und ging mit griesgrämigem Gesicht und Riesenschritten weiter.

Auch wenn sie allein unterwegs war, waren die Monster der 35. Ebene für Silica, die den Dolch-Skill zu fast 70 % gemeistert hatte und Pina dabeihatte, keine übermäßig starken Feinde. Ohne Mühe würde sie sie vernichten und sich bis zur Hauptstadt durchschlagen können – eigentlich. Solange sie sich nicht verlief.

Der Name dieses Wald-Dungeons, »Irrwald«, war nicht nur für den Effekt gewählt.

Der Wald aus dicht stehenden riesigen Bäumen war schachbrettartig in mehrere Hundert Bereiche aufgeteilt, und er war so konfiguriert, dass, nachdem man einen Bereich betreten hatte und eine Minute vergangen war, die Verbindungen zu den benachbarten Bereichen in allen vier Himmelsrichtungen zufällig den Platz wechselten. Um den Wald zu durchqueren, musste man entweder innerhalb einer Minute die Bereiche einen nach dem anderen passieren oder man musste schnell laufen, während man mit einem hochpreisigen Karten-Item, das man in Ausrüstungsshops in der Hauptstadt bekam, den Überblick behielt.

Der Leiter der Gruppe hatte eine Karte gehabt, aber jetzt war Silica allein. Hinzu kam, dass wenn man im Irrwald einen Teleport-Kristall verwendete, man nicht zur Stadt transportiert wurde, sondern irgendwo in den Wald, also musste Silica notgedrungen versuchen, den Wald im Sprint zu überwinden. Aber es war viel schwieriger als gedacht, über die gewundenen kleinen Wege zu rennen und dabei den Wurzeln der riesigen Bäume auszuweichen.

Sie hätte sich direkt geradeaus nach Norden bewegen müssen, aber als sie zum wiederholten Male länger brauchte als eine Minute, um einen Bereich zu durchqueren, und deswegen an irgendeinen Ort geschickt wurde, von dem sie gar nicht wusste, wo er war, verließen Silica allmählich die Kräfte. Die Abendsonne färbte sich zusehends röter, und je tiefer die Dämmerung wurde, desto schlechter gelang ihr das Durchqueren der Bereiche.

Schließlich gab Silica das Rennen auf. Sie lief langsamer, weil sie die Hoffnung hatte, zufällig zum Rand des Waldes geschickt zu werden. Aber ihr Glück ließ sie im Stich, und während sie sich müde weiterschleppte, wurde sie immer wieder von Monstern angegriffen. Levelmäßig war sie ihnen durchaus gewachsen, aber je dunkler ihre Umgebung wurde, desto unsicherer wurden ihre Bewegungen. Obwohl sie Pinas Unterstützung hatte, hinterließen die Kämpfe ihre Spuren, und irgendwann hatte sie all ihre Heiltränke und Notfall-Kristalle aufgebraucht.

Als spüre sie Silicas Sorge, rieb Pina, die auf ihrer Schulter saß, sich unter »Kurururu«-Rufen an ihrer Wange. Während Silica Pinas langen Hals streichelte, um diese zu beruhigen, bereute sie, dass ihre eigene Reizbarkeit und ihr zunehmender Hochmut sie in eine solche Notsituation gebracht hatten.

Während sie weiterlief, fing sie still an zu beten.

Es tut mir so leid. Ich werde mich nie wieder für etwas Besonderes halten. Bitte schick mich beim nächsten Warp-Punkt aus dem Wald.

Während sie so betete, betrat sie eine Weiterleitungszone, die wie flimmernde Luft flackerte. Nach einem Gefühl, das einem kurzen Schwindel ähnelte, war das, was sich vor ihren Augen ausbreitete ... wie selbstverständlich wieder nur der unveränderte tiefe Wald, der in der abendlichen Dunkelheit versank. Von den Wiesen, die den Wald hätten umgeben sollen, war nichts zu sehen.

Silica hatte jetzt wirklich genug, aber als sie wieder loslaufen wollte, hob Pina auf ihrer Schulter plötzlich den Kopf und schrie einmal schrill auf. »Kjuru!« Es war eine Warnung. Silica zog kampfbereit ihren Lieblingsdolch von der Hüfte und wandte sich in die Richtung, in die Pina starrte.

Nach einigen Sekunden erklang aus dem Schatten eines mit Moos bewachsenen riesigen Baumes ein tiefes Knurren. Als sie ihren Blick fokussierte, wurde ein gelber Cursor angezeigt. Mehrere. Zwei ... nein, drei Stück. Der Name des Monsters war »Drunk Ape«, ein Affenmensch, der zur stärksten Monsterklasse im Irrwald gehörte. Silica biss sich auf die Lippe.

Trotzdem ...

Levelmäßig war sie in keiner großen Gefahr.

In der Regel nahmen Mittelklasse-Spieler wie Silica im Feld einen mehr als ausreichenden Sicherheitsabstand zu auftauchenden Monstern ein. Der war üblicherweise so groß, dass man, auch wenn man allein war und von fünf Monstern gleichzeitig umzingelt wurde, als Sieger hervorgehen konnte, ohne Heilungs-Items benutzen zu müssen.

Denn anders als die Top-Schwertkämpfer, denen es darum ging, das Game durchzuspielen, waren die Gründe, aus denen die Mittelklasse-Spieler in Abenteuer stürzten, erstens, um die Cor zu verdienen, die für das tägliche Leben nötig waren, zweitens, um die minimalen Erfahrungspunkte zu verdienen, um in der Mittelklasse zu bleiben, und drittens, um ehrlich zu sein, die Langeweile. Nichts davon war ein Ziel, für das man den realen Tod riskierte. Tatsächlich hielten sich in der Stadt der Anfänge mehr als 1.000 Spieler auf, die dem Tod beharrlich aus dem Weg gingen, indem sie einfach blieben, wo sie waren.

Jedoch war ein regelmäßiges Einkommen nötig, um einigermaßen zu essen und in einem Bett in einer Herberge zu schlafen, und da es eine chronische Krankheit von MMO-Spielern war, unruhig zu werden, sobald man nicht mehr zu den Spielern mit durchschnittlichem Level gehörte, gingen derzeit, eineinhalb Jahre nach Beginn des Games, die meisten Spieler mit einem mehr als ausreichenden Sicherheitsspielraum ins Feld und vergnügten sich auf ihre Weise mit Abenteuern.

Auch wenn es also drei Drunk Apes der stärksten Klasse der 35. Ebene waren, sollten sie für die Drachenmeisterin Silica eigentlich kein Problem darstellen.

Silica zwang ihren erschöpften Geist zur Konzentration und hob ihren Dolch. Pina erhob sich sachte von ihrer Schulter und nahm ebenfalls ihre Kampfposition ein.

Was aus dem tiefen Gehölz aufgetaucht war, waren hochgewachsene Affenmenschen, deren ganzer Körper von dunkelrotem Fell bedeckt war. In der rechten Hand hielten sie einen schlichten Holzknüppel und in der linken Hand einen Krug, der aussah wie ein Flaschenkürbis mit einer daran befestigten Schnur.

Während die Affenmenschen die Holzknüppel schwangen, ihre Fangzähne bleckten und Kampfschreie ausstießen, warf Silica sich nach vorne, weil sie sicher war, dass derjenige einen sicheren Sieg davontragen würde, der den ersten Zug machte. Sie ließ die Mittelklasse-Combo des Dolch-Skills, »Rapid Bite«, treffen, nahm dem vordersten Affen viele HP weg und ging in eine Hochgeschwindigkeitsangriffskombination über, die eine Stärke des Dolchs war.

Die Drunk Apes verwendeten Streitkolben-Skills auf einem niedrigen Level, und obwohl einige Kraft in den Schlägen lag, waren sowohl die Angriffsgeschwindigkeit als auch die Stufenzahl der Angriffscombos keine große Sache. Silica benutzte eine Überraschungstaktik, bei der sie die Affen mit exakten Schlägen überhäufte, dann schnell zurücksprang, den Gegenangriff des Feindes abwehrte und dann wieder vortrat, und reduzierte im Handumdrehen die HP des ersten Affen. Auch Pina spuckte von Zeit zu Zeit etwas aus, das wie Seifenblasen aussah, und verhexte damit die Augen der Affen.

Beim vierten Angriff ließ Silica die Combo »Fad Edge« los, unmittelbar bevor sie dem ersten den Gnadenstoß geben wollte.

In diesem Moment switchte von rechts hinten ein neuer Feind mit ihrem Gegner und kam nach vorne. Silica änderte notgedrungen ihr Ziel und verringerte die HP des zweiten Affen. Der erste zog sich nach hinten zurück und schien aus dem Krug in seiner linken Hand einen großen Schluck zu trinken ...

Silica, die am Rand ihres Gesichtsfeldes den HP Bar des ersten Drunk Ape gecheckt hatte, erschrak. Der Balken füllte sich mit erschreckender Geschwindigkeit wieder auf. Es schien, als sei in dem Krug irgendeine Heilmedizin.

Mit Drunk Apes hatte sie auch vorher schon auf dieser Ebene gekämpft, und bei diesen Gelegenheiten hatte sie zwei von ihnen mühelos abgewehrt. Da sie ihnen damals nicht einmal den Spielraum gelassen hatte, einen Switch auszuführen, hatte sie nicht bemerkt, dass sie offensichtlich eine besondere Fähigkeit besaßen. Silica biss die Zähne zusammen und machte sich mit aller Kraft daran, den zweiten Affen zu töten.

Als sie schließlich nach einem heftigen Schlagabtausch die HP des zweiten in den roten Bereich gebracht hatte, ging sie ein wenig auf Abstand, um ihm mit einem zweiten starken Angriff den Gnadenstoß zu verpassen. Doch in dem Moment drängte sich erneut eine Gestalt seitlich herein. Es war der dritte Drunk Ape. Und nun sah sie, dass die HP des ersten Affen schon wieder so gut wie voll wiederhergestellt waren.

So würde es kein gutes Ende nehmen. Silica wurde unruhig.

Sie hatte im Grunde genommen kaum Erfahrung damit, allein gegen Monster zu kämpfen. Der levelmäßige Sicherheitsspielraum war einfach eine Sache von Zahlenwerten, die über die Skills eines Spielers herzlich wenig aussagten. Angesichts der unvorhergesehenen Situation wurde Silicas Unruhe langsam zu Panik. Immer mehr ihrer Angriffe gingen daneben und gleichzeitig verstärkten sich die Gegenangriffe der Feinde.

Nun hatte sie den HP Bar des dritten Drunk Ape um etwa die Hälfte gesenkt. Doch sie hatte einen Folgeangriff zu viel geführt und bekam daher vom System eine kurze Zeit der Erstarrung auferlegt, und diesen Moment nutzte einer der Affenmenschen, um ihr einen kritischen Treffer beizubringen.

Der Holzknüppel war ein einfaches geschnitztes Ding, aber durch den Basisschaden aufgrund seines Gewichts und durch die Kraftkorrektur des Drunk Ape sanken Silicas HP um fast 30 %. Es lief ihr kalt den Rücken hinunter.

Die Tatsache, dass ihr Vorrat an Heiltränken aufgebraucht war, steigerte Silicas Unruhe noch weiter. Pinas Heilungsatem ließ nur etwa 10 % der HP heilen und noch dazu konnte man ihn nicht so häufig einsetzen. Bezog man das in die Rechnung mit ein, hieß das, wenn sie noch dreimal den gleichen Schaden erleiden würde ... würde sie sterben.

Der Tod. Kaum dass dieser Gedanke sie gestreift hatte, war Silica wie gelähmt. Ihr Arm hob sich nicht mehr. Ihre Beine schienen erstarrt.

Bisher war der Kampf für sie zwar ein Nervenkitzel, aber von einer realen Gefahr weit entfernt gewesen. Konsequenterweise hatte sie bis jetzt keinen Gedanken an den wirklichen Tod verschwendet.

Während sie steif und mit weit aufgerissenen Augen vor dem Drunk Ape stand, der einen Kampfschrei ausstieß und wieder mit dem Holzknüppel ausholte, wurde sich Silica zum ersten Mal bewusst, was der Kampf gegen Monster in SAO wirklich war. Auch wenn es ein Game war, war es kein Spiel. Das war die widersprüchliche Wahrheit.

Mit einem schrillen Schrei sauste der Holzknüppel herab. Silica konnte dem heftigen Aufprall nicht standhalten und ging zu Boden. Ihr HP Bar sank mit einem Ruck in den gelben Warnbereich.

Sie konnte nicht mehr denken. Rennen und fliehen. Einen Teleport-Kristall verwenden. Obwohl es noch Wahlmöglichkeiten gab, konnte Silica lediglich geistesabwesend den Holzknüppel betrachten, der drei weitere Male auf sie einschlug.

Um die grobe Waffe explodierte plötzlich ein roter Lichteffekt. Bevor sie die Augen schließen konnte, sah sie in der Luft einen kleinen Schatten, der vor den Holzknüppel geflogen war. Es gab einen dumpfen Aufprall. Mit einem weiteren Lichteffekt wirbelte plötzlich hellblaues Gefieder umher, und ein kleiner HP Bar schrumpfte bis ganz an den Rand.

Auf dem Boden hob Pina den Kopf und sah Silica mit ihren schönen runden blauen Augen an. Leise schrie sie einmal »Kjuru« ... und direkt darauf zerbrach sie in tausend leuchtende Polygonscherben. Eine lange Schwanzfeder tanzte noch in der Luft und fiel dann zu Boden.

In Silica zerriss etwas. Das unsichtbare Seil, das ihren Körper gefesselt hatte, verschwand. Noch vor der Traurigkeit fühlte sie Zorn. Zorn auf sich selbst, weil sie nach gerade einmal einem Schlag in Panik verfallen war und sich nicht mehr hatte bewegen können. Und noch davor Zorn auf ihr törichtes Selbst, weil sie wegen eines unbedeutenden Streits geschmollt und sich eingebildet hatte, den Wald alleine durchqueren zu können.

Silica sprang auf, wich den Angriffen der Monster aus und griff sie mit wütendem Gebrüll an. Wieder und wieder blitzte der Dolch in ihrer Hand auf, als sie erbarmungslos auf den Körper eines der Affenmenschen einstach.

Ohne auszuweichen, fing Silica mit der linken Hand den Holzknüppel des ersten Drunk Ape auf, der wieder versucht hatte, sich dazwischenzuquetschen, nachdem die Kraft seines Kameraden abgenommen hatte. Ihre Trefferpunkte sanken, wenn auch nicht so sehr wie nach einem direkten Treffer. Sie konzentrierte sich allein auf den dritten Menschenaffen, denjenigen, der Pina getötet hatte.

Sie nutzte ihre geringe Körpergröße und durchdrang die Verteidigung des Monsters, und mit aller Kraft rammte sie ihren Dolch in die Brust des Affenmenschen. Ein visueller Effekt signalisierte einen kritischen Treffer, und der HP Bar des Monsters verschwand. Es schrie, dann zerbrach es.

Inmitten der explodierenden Objektscherben drehte sich Silica um und stürmte wortlos gegen ihr nächstes Ziel an. Ihre Anzeige war bereits in den kritischen roten Bereich eingetreten, aber auch das war ihr schon nicht mehr bewusst. In ihrem verengten Gesichtsfeld nahm sie nur die Gestalt des Feindes wahr, den sie töten musste.

Waghalsig schoss sie unter einem herabsausenden Holzknüppel hindurch, um einen Sturmangriff zu führen, hatte sogar ihre Angst vor dem Tod völlig vergessen ... da wurden die zwei nebeneinanderstehenden Drunk Apes von hinten durch ein horizontal gleißendes, schneeweißes Licht niedergestreckt.

Die beiden Menschenaffenkörper waren in der Mitte durchgeschnitten worden. Nacheinander schrien sie auf und zerbrachen mit einem Klirren.

Silica stand verblüfft da. Dann erkannte sie hinter den sich verflüchtigenden Objektscherben einen männlichen Spieler. Schwarzer Mantel, schwarzes Haar. Er war nicht besonders groß, und doch strahlte dieser junge Mann etwas aus, das Respekt verlangte. In instinktiver Furcht tat Silica einen Schritt rückwärts. Ihre Blicke trafen sich.

Die Augen des jungen Mannes waren ruhig und tief wie die nächtliche Finsternis. Er steckte das Einhandschwert, das er in der Rechten hielt, mit einem hellen metallischen Ton in die Scheide auf seinem Rücken.

»Tut mir leid. Deinen Freund konnte ich nicht retten ...«

Kaum dass sie seine Stimme gehört hatte, verließen Silica alle Kräfte. Sie versuchte nicht einmal, die Tränen zu unterdrücken, die ihr plötzlich über die Wangen liefen. Ihr Dolch glitt ihr aus der Hand, ohne dass sie es bemerkte, und sie ging vor der hellblauen Feder auf dem Erdboden hilflos in die Knie.

Ihr heißer Zorn verebbte, und gleichzeitig erfassten abgrundtiefe Trauer und das Gefühl des Verlusts ihr Herz. Silica weinte bitterlich.

In der AI von Gefährten hätte es eigentlich kein Verhaltensmuster geben sollen, das ihnen erlaubte, von selbst Monster anzugreifen. Also war es wohl Pinas eigener freier Wille gewesen, den Holzknüppel abzufangen, ein Beweis ihrer Freundschaft zu Silica, mit der sie ein ganzes Jahr gemeinsam verbracht hatte.

Schluchzend stützte Silica sich mit beiden Händen auf dem Waldboden ab und brachte einige Worte hervor.

»Bitte ... Lass mich nicht allein ... Pina ...«

Doch die hellblaue Feder gab keine Antwort.

2

»Tut mir leid ...«

Wieder erklang die Stimme des schwarz gekleideten Manns. Silica unterdrückte verzweifelt ihr Schluchzen und schüttelte den Kopf.

»Nein ... Ich ... war ein Idiot ... Danke ... dass du mich gerettet hast ...«

Der Mann kam langsam näher, kniete sich vor Silica hin und sagte zurückhaltend: »Diese Feder ... Gibt es dafür einen Item-Namen?«

Verwirrt ob der unerwarteten Worte des Mannes hob Silica den Kopf. Sie wischte sich ihre Tränen weg und ließ ihren Blick von Neuem auf die hellblaue Feder fallen.

Es war mysteriös, dass eine Feder übrig war. Wenn Spieler oder Monster starben und sich als Polygone in alle Himmelsrichtungen verteilten, dann verschwand normalerweise alles von ihnen, inklusive der Ausrüstung. Silica streckte vorsichtig ihre Hand aus und tippte mit dem Zeigefinger die Oberfläche der Feder einmal sachte an. In dem auftauchenden halb transparenten Fenster wurden das Gewicht und der Item-Name angezeigt. »Pinas Seele«.

Als Silica das sah und wieder in Tränen auszubrechen drohte, schaltete sich schnell der junge Mann ein.

»Warte, warte. Wenn das Seelen-Item zurückgeblieben ist, gibt es noch die Möglichkeit zur Wiederbelebung.«

»Was?!« Silicas Kopf ruckte hoch. Verblüfft und mit halb geöffnetem Mund sah sie den jungen Mann an.

»Das hat man erst vor Kurzem herausgefunden, deswegen ist es noch nicht allgemein bekannt. Im Süden der 47. Ebene gibt es einen Feld-Dungeon namens ›Hügel der Erinnerung‹. Die Schwierigkeit ist recht hoch ... Die Blume, die auf seinem Gipfel blüht, scheint ein Item zur Wiederbelebung von Gefährten zu sein.«

»I... Ist das wirklich wahr?!«

Die Worte des Mannes hatten kaum geendet, da stand Silica schon auf. Auf das Meer von Traurigkeit in ihrem Herzen schien plötzlich ein Lichtstrahl der Hoffnung. Aber ...

»Die 47. Ebene ...«, murmelte sie und ließ die Schultern wieder hängen. Das war zwölf Stockwerke weiter oben, das war ganz bestimmt keine sichere Zone mehr. Niedergeschlagen blickte sie zu Boden.

»Hmmm«, machte der junge Mann verlegen und kratzte sich am Kopf. »Für Spesen und ein wenig Belohnung würde ich mit dir hingehen. Wenn nicht der Beast Tamer selbst geht, der seinen Gefährten verloren hat, dann blüht angeblich die entscheidende Blume nicht ...«

Auf die unerwartet gutmütigen Worte des Schwertkämpfers hin lächelte Silica ein wenig. »Nein ... Allein für die Information bin ich sehr dankbar. Wenn ich mich anstrenge und meinen Level steigere, werde ich irgendwann ...«

»Das funktioniert so nicht. Einen Gefährten kann man nach seinem Tod wohl nur drei Tage lang wiederbeleben. Danach ändert sich der Name des Items von ›Seele‹ zu ›Andenken‹ ...«

»Was ...!« Silica schrie unwillkürlich auf.

Ihr derzeitiger Level war 44. Wäre SAO ein normales RPG gewesen, dann hätte man wohl meinen können, dass der benötigte Level immer identisch wäre mit der Nummer der Ebene, auf der man kämpfen wollte. Aber nun, da dies hier zu einem Todesspiel geworden war, musste man etwa zehn Level dazurechnen, wenn man sichergehen wollte.

Mit anderen Worten, wenn man zur 47. Ebene gehen wollte, musste man mindestens Level 55 erreicht haben, aber das in nur drei Tagen ... nein. Seinen eigenen Level in so kurzer Zeit um mehr als zehn zu steigern, war völlig unmöglich. Silica war eine sehr fleißige Abenteurerin, und trotzdem hatte sie ein Jahr gebraucht, um ihren jetzigen Level zu erreichen.

Sie wurde wieder von Verzweiflung übermannt und ließ den Kopf hängen. Sie hob Pinas Feder vom Boden auf und nahm sie mit beiden Händen sanft an ihre Brust. Ihre eigene Dummheit, Kraftlosigkeit, alles war frustrierend, und schon wieder kamen ihr die Tränen.

Sie spürte, wie der Mann aufstand. Sie dachte, er wolle weggehen und dass sie sich noch einmal bei ihm bedanken müsse, aber sie hatte keine Kraft mehr, den Mund zu öffnen ...

Da wurde plötzlich vor ihr ein halb transparent leuchtendes Systemfenster angezeigt. Es war ein Handelsfenster. Als sie aufsah, bediente der Mann mit seiner Hand ein identisches Fenster. In der Handelsspalte wurden hintereinander Item-Namen angezeigt. »Silberfaser-Rüstung«, »Ebon-Dolch« ... Keines von ihnen hatte sie jemals gesehen.

»Ähm ...«, sagte sie verwirrt, doch der Mann unterbrach sie.

»Mit dieser Ausrüstung kannst du deinen Level um etwa fünf, sechs anheben. Wenn ich zusätzlich mit dir komme, könnte das wirklich was werden.«

»Was ...« Mit leicht geöffnetem Mund stand auch Silica auf. Sie konnte die Beweggründe des Mannes nicht ausloten und starrte ihn an. Das System bemerkte, dass ihr Blick fokussiert war, und rechts oben über dem Gesicht des Mannes tauchte ein grüner Cursor auf, aber den Spezifikationen von SAO folgend wurde dort nur ein anonymer HP Bar angezeigt und sie erfuhr weder den Namen noch den Level.

Das Alter des Mannes war schwer schätzbar. Seiner Ausstrahlung und seinem ruhigen Auftreten nach zu urteilen, schien er ziemlich alt zu sein, aber die Augen, die unter dem langen Pony hervorblitzten, wirkten naiv, und seine weichen, runden Gesichtszüge gaben ihm ein jungenhaftes Aussehen.

Schüchtern fragte sie: »Warum ... tust du das alles für mich ...?« Vorsicht ging eben vor.

Es war schon mehrmals vorgekommen, dass sich männliche Spieler, die viel älter als sie gewesen waren, an sie herangemacht hatten, und einmal war ihr sogar ein Heiratsantrag gemacht worden. Für die 13-jährige Silica waren diese Erfahrungen nur Furcht einflößend gewesen. Denn in der realen Welt hatte sie noch nicht einmal von einem Klassenkameraden einen Liebesbrief bekommen.

Zwangsläufig hatte Silica begonnen, männliche Spieler, die geheime Absichten zu haben schienen, zu meiden, und auf Aincrad war es im Grunde genommen eine bekannte Tatsache, dass Dinge, die zu schön schienen, um wahr zu sein, es gemeinhin auch nicht waren.

Der Mann kratzte sich als Antwort wieder verlegen am Kopf. Er öffnete seinen Mund, als wolle er irgendetwas sagen, schloss ihn aber sofort wieder. Er wandte seinen Blick ab und murmelte mit leiser Stimme: »Das hier ist ja kein Manga ... Wenn du versprichst, dass du nicht lachst, sag ich’s dir.«

»Ich lache nicht.«

»Weil du ... meiner kleinen Schwester ähnelst.«

Diese Antwort war so offenherzig und so unerwartet, dass Silica unwillkürlich in Lachen ausbrach. Schnell legte sie die Hand auf ihren Mund, aber das half ihr kaum, das Lachen zu unterdrücken, das aus ihr hinausperlte.

»D... Du hast doch gesagt, du lachst nicht ...«

Der Mann ließ mit verletztem Gesichtsausdruck die Schultern hängen und blickte wie eingeschüchtert zu Boden. Diese Haltung rief noch mehr Lachen bei Silica hervor.

Er ist kein schlechter Mensch ...

Während sie verzweifelt ihr Lachen hinunterschluckte, beschloss Silica, ihm zu glauben. Sie hatte sich ja schon auf den Tod gefasst gemacht. Sie hatte nichts mehr zu verlieren, und dies war ihre einzige Chance, Pina zurückzubekommen.

Silica neigte den Kopf und sagte: »Ich nehme dein Angebot an. Erst rettest du mich, und dann willst du auch noch so ein Risiko eingehen ... Danke schön.«

Sie blickte auf das Handelsfenster und gab in ihre eigene Handelsspalte den vollständigen Betrag an Cor ein, den sie besaß. Der Mann hatte ihr über zehn Ausrüstung-Items angeboten, und alle schienen höchst seltene Items zu sein, die man sonst wohl nirgendwo kaufen konnte.

»Ähm ... Ich glaube, das hier reicht überhaupt nicht, aber ...«

»Nein, lass das mal mit dem Geld. Das sind sowieso Sachen, die ich übrig habe, und es ist nicht ausgeschlossen, dass es sich mit dem Ziel, für das ich hierhergekommen bin, überschneidet ...«

Während er solch mysteriöse Dinge sagte, drückte der Mann den Okay-Knopf, ohne das Geld anzunehmen.

»Danke für alles, und ... Ähm, ich heiße Silica.«

Als sie sich vorstellte, erwartete sie irgendwie, dass der Mann überrascht wäre, ihren Namen zu hören, aber er schien ihn nicht zu kennen. Einen Moment lang spürte sie Bedauern, besann sich aber sofort der Tatsache, dass genau diese Überheblichkeit sie überhaupt erst in ihre jetzige Situation gebracht hatte.

Der Mann nickte leicht und streckte seine rechte Hand aus. »Ich bin Kirito. Auf gute Zusammenarbeit in der wenn auch nur kurzen Zeit.«

Sie schüttelten sich fest die Hände.

Der Spieler mit Namen Kirito nahm aus der Tasche, die an seinem Gürtel hing, das Karten-Item des Irrwaldes und lief zügig los, nachdem er sich der Bereiche versichert hatte, die zum Ausgang führten. Während sie ihm folgte, legte Silica Pinas Feder, die sie in der rechten Hand hielt, an ihren Mund.

Warte nur, Pina. Ich werde dich zurückholen ...

Die Hauptstadt der 35. Ebene hatte das Aussehen eines idyllischen Bauerndorfes, in dem Gebäude mit weißen Mauern und roten Dächern nebeneinanderstanden. Es war keine sonderlich große Stadt, aber da diese Ebene derzeit der Hauptkampfplatz der Mittelklasse-Spieler war, waren ziemlich viele Menschen hier unterwegs.

Silicas Heimatstadt war zwar die Stadt Fleabane auf der achten Ebene, aber da sie natürlich kein eigenes Zimmer hatte kaufen können, machte es für sie im Grunde genommen keinen großen Unterschied, in welcher Stadt das Gasthaus stand, in dem sie schlief. Der wichtigste Punkt war der Geschmack des bereitgestellten Abendessens, und da Silica den Käsekuchen, den der Koch der hiesigen Nicht-Spieler-Charakter-Herberge herstellte, ziemlich mochte, hatte sie sich in den zwei Wochen, seit sie mit der Eroberung des Irrwaldes angefangen hatte, hier aufgehalten.

Mit Kirito im Schlepptau, der sich neugierig umsah, betrat sie von dem Boulevard aus den Teleportgate-Platz, und sofort sprachen sie Spieler an, mit denen sie vom Sehen her bekannt war. Sie hatten bereits die Geschichte vernommen, dass Silica plötzlich solo war, und wollten sie in ihre Gruppen einladen.

»Ähm ... Danke für eure Einladungen, aber ...«, sagte Silica und verbeugte sich dabei tief, um niemandes Gefühle zu verletzen. Dann blickte sie zu Kirito, der neben ihr stand, und fügte hinzu: »... ich werde eine Zeit lang mit ihm eine Gruppe bilden ...«

Ein Durcheinander aus unzufriedenen Stimmen erhob sich, und die Spieler umringten Kirito und warfen ihm misstrauische Blicke zu.

Silica hatte bereits einen Teil von Kiritos Fähigkeiten gesehen, aber der schwarz gekleidete Schwertkämpfer, der scheinbar gelangweilt dastand, wirkte auf den ersten Blick sicherlich nicht stark.

Er schien auch nicht mit hochklassigem Schutz ausgerüstet zu sein – er hatte überhaupt keine Rüstung, und über dem T-Shirt trug er nur einen alt aussehenden, langen schwarzen Ledermantel –, und was er auf dem Rücken trug, war nur ein einziges simples Einhandschwert. Nicht einmal einen Schild hatte er.

»Hey, du da ...« Der große Zweihänder-Nutzer, der sie am eindringlichsten eingeladen hatte, trat vor Kirito und blickte ihn abschätzend an. »Ich hab dich zwar noch nie gesehen, aber ich will, dass du aufhörst, uns auszustechen. Wir haben dieses Mädchen schon lange vor dir angesprochen.«

»Das mag wohl sein ... aber es hat sich so ergeben ...« Mit verlegenem Gesicht kratzte sich Kirito am Kopf.

Silica dachte: Ein wenig mehr hätte er schon sagen können, und erklärte dem Zweihänder-Nutzer: »Ähm, ich habe ihn darum gebeten. Verzeihung.«

Sie neigte zum Schluss noch einmal ihren Kopf sehr tief und ging los. Sie zog Kirito am Ärmel seines Mantels mit sich. Silica lief schnell, weil sie sich möglichst zügig von den Männern entfernen wollte, die ihr hinterherzutrauern schienen. Sie überquerte den Platz mit dem Teleportgate und betrat die nach Norden führende Hauptstraße.

Als die Spieler endlich nicht mehr zu sehen waren, atmete Silica erleichtert auf, sah zu Kirito hoch und sagte: »Entschuldigung ... dass ich dir Unannehmlichkeiten bereitet habe.«

»Nein, nein.« Kirito schien sich wirklich nichts daraus zu machen und schenkte ihr ein leichtes Lächeln. »Wow. Du bist eine populäre Person, Fräulein Silica.«

»Silica reicht. Und das stimmt nicht. Die wollen mich doch nur als Maskottchen, ganz bestimmt. Trotzdem ... war ich überheblich ... bin allein durch den Wald gelaufen ... und das war ...« Als sie an Pina dachte, kamen ihr wieder die Tränen.

»Es ist okay«, sagte Kirito völlig gelassen. »Du wirst sie garantiert wiederbeleben können. Keine Sorge.«

Silica wischte ihre Tränen weg und lächelte Kirito an. Seltsamerweise hatte sie das Gefühl, es einfach glauben zu können, wenn er es sagte.

Endlich kam auf der rechten Seite der Straße ein besonders großes zweistöckiges Gebäude in Sicht. Es war Silicas Stammquartier, der »Wetterhahn-Pavillon«. Dort fiel ihr auf, dass sie Kirito hierher mitgebracht hatte, ohne ihn überhaupt gefragt zu haben.

»Oh, Kirito. Wo wohnst du überhaupt ...?«

»Ach, normalerweise zwar auf der 50. Ebene ... Aber es ist umständlich, dorthin zu kommen, deswegen übernachte ich wohl auch hier.«

»Wirklich!« Silica freute sich und klatschte in die Hände. »Der Käsekuchen hier ist wirklich hervorragend.«

Wieder zog sie an Kiritos Ärmel und wollte mit ihm die Herberge betreten, als aus dem benachbarten Ausrüstungsshop nacheinander vier oder fünf Personen traten. Es waren die Mitglieder der Gruppe, der Silica während der letzten zwei Wochen angehört hatte. Die vorne laufenden Männer verschwanden in Richtung des Platzes, ohne Silica zu bemerken, aber als sich die am Schluss befindliche Spielerin flüchtig umdrehte, sah Silica ihr reflexartig direkt in die Augen.

Es war das Gesicht, das sie jetzt am allerwenigsten sehen wollte. Es war die Speer-Nutzerin, deretwegen sie sich im Streit im Irrwald von der Gruppe getrennt hatte. Silica senkte ihren Kopf und wollte wortlos die Herberge betreten, aber da hörte sie schon ihre Stimme.

»Nanu, bist du das, Silica?«

Widerwillig blieb Silica stehen. »Hallo ...«

»Waaaas, du konntest aus dem Wald entkommen? Ein Glück, was?« Die Spielerin mit Namen Rosalia, die tiefrote, lockige Haare hatte, lachte. »Aber auch wenn du jetzt zurück bist, kommst du zu spät. Wir haben die Items soeben alle verteilt.«

»Ich hab doch gesagt, ich brauch sie nicht! Ich bin in Eile.«

Silica versuchte, das Gespräch abzubrechen, aber Rosalia schien sie nicht so einfach gehen lassen zu wollen. Scharfäugig bemerkte sie, dass Silicas Schulter leer war, und setzte ein hässliches Lachen auf. »Nanu? Was hast du denn mit deiner Eidechse gemacht?«

Silica biss sich auf die Lippen. Einen Gefährten konnte man weder im Inventar lagern noch irgendwo in Obhut geben. Wenn er also nicht mehr zu sehen war, dann konnte es dafür nur einen einzigen Grund geben. Obwohl auch Rosalia das natürlich hätte wissen müssen, fuhr sie mit einem falschen Lächeln fort, als sei sie völlig ahnungslos. »Nanu, doch nicht etwa ...?«

»Sie ist gestorben ... Aber!« Silica starrte die Speer-Nutzerin an. »Ich lasse Pina wiederauferstehen!«

Rosalia riss die Augen auf und pfiff leise. »Du hast also vor, zum Hügel der Erinnerung zu gehen. Aber kannst du den denn mit deinem Level erobern?«

»Kann sie.« Bevor Silica antworten konnte, war Kirito vorgetreten. Wie um sie zu beschützen, versteckte er Silica im Schatten seines Mantels. »Es ist kein Dungeon mit einem besonders hohen Schwierigkeitsgrad.«

Rosalia sah Kirito mit einem unverhohlen abschätzigen Blick an und setzte wieder ein spöttisches Lächeln auf. »Bist du auch so einer, der von diesem Kind beschwatzt wurde? Vom Aussehen her scheinst du aber nicht so stark zu sein.«

Silica fühlte, wie ihr Körper vor lauter Ärger zitterte. Sie blickte zu Boden und unterdrückte verzweifelt ihre Tränen.

»Gehen wir.« Eine Hand wurde auf ihre Schulter gelegt, und Kirito drehte sie sanft in Richtung der Herberge.

»Na ja, dann man viel Glück.« Rosalia lachte ihr hinterher, aber Silica drehte sich nicht mehr um.

Das Erdgeschoss des Wetterhahn-Pavillons war ein großes Restaurant. Kirito besorgte Silica einen abgelegenen Platz und ging an den Empfang, wo ein Nicht-Spieler-Charakter stand. Nachdem er den Check-in erledigt und im Menü auf dem Tresen flink auf ein paar Dinge geklickt hatte, kam er zurück und setzte sich Silica gegenüber.

Silica öffnete den Mund, um sich bei Kirito für die unangenehme Erfahrung zu entschuldigen, aber Kirito hielt sie zurück, indem er eine Hand hob, und lachte leicht. »Lass uns erst mal was essen.«

Genau in diesem Moment brachte der Ober zwei dampfende Becher. Als er sie auf dem Tisch abstellte, sah Silica, dass sie mit einer roten Flüssigkeit gefüllt waren, die einen mysteriösen Geruch verströmte.

Kirito sagte: »Zur Feier des Tages, an dem wir zu zweit eine Gruppe bilden!«, und stieß mit ihr an.

Silica nahm vorsichtig einen Schluck von der heißen Flüssigkeit. »Lecker ...«

Das Gewürzaroma und der süßsaure Geschmack ähnelten dem Glühwein, den ihr Vater sie vor langer Zeit einmal hatte probieren lassen. Allerdings hatte Silica während ihres zweiwöchigen Aufenthaltes hier alle Getränke auf der Speisekarte dieses Restaurants probiert, und an diesen Geschmack konnte sie sich nicht erinnern. »Ähm, das ist ...?«

Kirito grinste. »In Nicht-Spieler-Charakter-Restaurants kann man auch Flaschen mitbringen. Das ist das Item ›Ruby Equal‹, das ich hatte. Nach einer Tasse davon steigt der Maximalwert der Geschicklichkeit um eins.«

»S... So was Wertvolles ...«

»Auch wenn man Alkohol in der Item-Spalte unbegrenzt aufbewahren kann, wird der Geschmack mit der Zeit nicht besser. Da ich wenige Bekannte habe, habe ich auch kaum Gelegenheiten, bei denen ich es öffnen könnte ...«

Er zuckte lächelnd mit den Schultern. Silica trank lachend noch einen Schluck. Es war, als würde dieser irgendwie nostalgische Geschmack langsam ihr Herz entspannen, das sich im Laufe der vielen traurigen Ereignisse des Tages fest zusammengezogen hatte.

Auch als der Becher schließlich leer war, trug Silica diese Wärme kurze Zeit in ihrem Herzen, als ob sie ihr nachtrauerte. Sie senkte ihren Blick und murmelte: »Warum ... hat sie solche Gemeinheiten gesagt ...?«

Kirito wurde ernst und stellte seinen Becher ab. »Hast du vor SAO schon mal ein anderes MMO gespielt?«

»Nein, dies ist das erste Mal.«

»Verstehe. Nun, in jedem Online Game gibt es viele Spieler, deren Persönlichkeit sich verändert, wenn sie sich als ihr Charakter verkleiden. Leute, die zu guten Menschen werden, Leute, die zu schlechten Menschen werden ... Bisher nannte man das wohl Rollenspiel. Aber ich glaube, im Fall von SAO ist das anders.«

Einen Moment lang wurde Kiritos Blick sehr ernst. »Trotz unserer abnormen Situation ... verstehe ich, dass es unmöglich ist, dass alle Spieler friedlich zusammenarbeiten und sich das Durchspielen zum Ziel setzen. Aber es gibt zu viele Leute, die sich über das Unglück anderer freuen, Leute, die Items stehlen – Leute, die sogar töten.«

Kirito sah Silica jetzt direkt in die Augen. In seinem Blick konnte man Zorn und tief darunter eine seltsame Traurigkeit entdecken. »Ich denke, dass Spieler, die hier den falschen Zielen hinterherjagen, auch in der realen Welt im Grunde ihres Herzens verdorben sind.«

Er sagte das verächtlich, doch sofort bemerkte er Silicas bestürzten Gesichtsausdruck und lachte leise. »Bitte entschuldige ... Ich habe gar kein Recht, über andere zu reden. Ich habe selbst noch nichts Ordentliches vollbracht. Meine Kameraden – habe ich im Stich gelassen ...«

»Kirito ...« Silica verstand vage, dass der schwarz gekleidete Schwertkämpfer vor ihr irgendeinen tiefen Seelenschmerz mit sich herumtrug. Sie wollte ihm Worte des Trostes sagen, aber ihr fielen keine ein. Stattdessen griff sie nach Kiritos Hand, die er auf den Tisch gepresst hielt. »Kirito, du bist ein guter Mensch. Du hast mich doch gerettet.«

Kirito wollte einen Augenblick lang seine Hand zurückziehen, als sei er überrascht, ließ sie dann aber doch liegen. Um seine Mundwinkel spielte ein ruhiges Lächeln. »Und jetzt bin ich der, der getröstet werden muss. Danke, Silica.«

Kaum dass er das gesagt hatte, spürte Silica in der Tiefe ihres Herzens einen heftigen Stich. Ohne Grund beschleunigte sich ihr Puls. Ihr Gesicht wurde heiß.