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Viel Sylt, eine Tierarzt-Praxis, Liebesverwicklungen und eine süße Tierfreundschaft. Alles, was es braucht für eine Lektüre im Strandkorb
»Eine feine Gänsehaut rieselte mir über den Rücken. Ich lehnte mich zurück und legte den Kopf in den Nacken. Ein blasser Halbmond und Sterne über Sterne am Sylter Nachthimmel. Tausende und abertausende glühender Punkte, so unwirklich wie im Märchen und doch real.«
Jana hat ihren Michael mit einer anderen erwischt. Schlimm genug. Noch schlimmer: Die andere ist ihre beste Freundin. Nie wieder wird Jana mit beiden ein Wort wechseln. Sie zieht sofort aus Michaels tollem Haus aus und findet samt Kater Herbert Unterschlupf bei ihrer Schwester. Darüber reden? Auf keinen Fall. Wer einmal ihr Vertrauen missbraucht hat, bekommt keine zweite Chance. Da kommt ihr die Bitte ihres alten Onkels gerade Recht. Der liegt im Krankenhaus und braucht Hilfe in seiner Tierarztpraxis. Jana reist nach Sylt, um als Tierarzthelferin einzuspringen. Dumm nur, dass Jana eine Hunde-Phobie hat und der (mürrische, gutaussehende) Vertretungstierarzt Timo Jensen anscheinend keinerlei Rücksicht darauf nehmen will. Bald fliegen nicht nur Fellhaare, sondern auch gehörig die Funken.
»Elke Schleich erzählt auch in den ›Sylter Pfoten‹ eine federleichte, romantische Liebesgeschichte mit einigen Irrungen und Wirrungen mitten aus dem Leben. Der Roman besitzt dabei alle Zutaten, die sommerliche Wohlfühl-Urlaubslektüre so braucht: Spannung und Entspannung, Herzschmerz und tiefes Glück, Lebensfreude und Landschaftsidylle.« ((Westdeutsche Allgemeine Zeitung))
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Cover & Impressum
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Epilog
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
»Jana! Warum schellst du wie verrückt, du weißt doch, dass ich nicht immer gleich …«
Meine Schwester Marie stand in der geöffneten Tür, den kleinen Paul auf dem Arm, der nur ein Windelhöschen trug, und schaute mich entgeistert an. Ihr Blick wanderte abwärts zu der Reisetasche und von dort zum abgestellten Katzenkorb rechts von mir.
»Das darf nicht wahr sein«, sagte sie.
»Ist es aber.«
»Komm rein!«
Ich griff nach der Tasche und dem Transportkorb und betrat das Reihenhaus, das meine Schwester und ihr Mann seit einem guten Jahr ihr Eigen nannten. Beides stellte ich im Korridor ab. Marie war mit ihrem Baby die Treppe hinaufgestiegen und im Kinderzimmer verschwunden. Langsam folgte ich ihr. Paul strampelte auf dem Wickeltisch liegend und gab lustige Laute von sich. Normalerweise hätte mich das amüsiert. Heute nicht. Heute war nichts normal. Absolut nicht.
»Geh doch schon ins Wohnzimmer. Ich ziehe Paul schnell was an, und dann können wir über alles reden.«
Maries Worte waren zwar in meinen Ohren gelandet, doch trotzdem nicht richtig bei mir angekommen. Wie versteinert stand ich neben dem Wickeltisch, starrte auf das vergnügte Baby und hatte dabei gänzlich andere Bilder vor Augen.
»So, Pauli, nur noch den Strampler.«
Der Kleine schaute mit seinen Blauaugen zu mir hoch und verzog den Mund zu einem Lächeln. Ich konnte es nicht zurückgeben.
»Tante Jana geht es nicht gut. Du darfst es nicht persönlich nehmen.« Marie nahm ihren Sohn hoch, setzte ihn auf ihren linken Unterarm und nickte mir zu. »Komm, ich mache uns einen Kaffee. Was ist mit Herbert? Der soll doch raus, oder?«
Endlich löste ich mich aus meiner Starre. »Sein Klo, es ist noch im Auto.« Damit wandte ich mich ab, um das wichtige Utensil aus dem Wagen zu holen.
Ein paar Minuten später saßen Marie und ich, jede mit einer großen Tasse Kaffee im gemütlichen Wohnbereich, während Paul auf dem Boden herumkrabbelte und mit Bauklötzchen um sich warf. Mein Kater Herbert hatte es vorgezogen, abwartend im Korridor zu kauern. Er fremdelte noch, obwohl er schon öfter hier zu Gast gewesen war.
»Mannomann!« Marie ließ sich gegen ein dickes Sofakissen fallen und pustete ihre Ponyfransen aus den Augen. Schon wieder war er zu lang, stets fehlte ihr die Zeit für den Friseur. Und schließlich war immer ich es, die Pony und Spitzen der langen blonden Haare schneiden musste, obwohl ich dafür ganz und gar kein Talent besaß. Heute hatte sie sie zu einem hohen Knoten gebunden. »Ich hab’s ja nicht glauben wollen, als du mir von deinem komischen Gefühl erzählt hast. Nicht Michael, der Korrekte, der nie etwas falsch macht.«
»Ich weiß, dass du ihn arrogant findest.«
»Ein bisschen vielleicht. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm jedenfalls nicht.«
Ich nahm einen Schluck Kaffee, hielt die Tasse mit beiden Händen fest und sah durch die bodentiefen Fenster in den Garten hinaus. Es blühte und grünte darin, ein wenig wirr durcheinander zwar, aber wunderschön. Überhaupt war es heute ein wahnsinnig schöner Junitag: sonnig, wolkenloser Himmel, nicht zu warm. Und dazu ein arbeitsfreier Tag für mich. Nahezu perfekt. Wenn nicht …
»Vom Sitzen und Starren wird nix besser«, sagte Marie. »Er betrügt dich also tatsächlich, dieser Doktor, den die Frauen lieben.«
Der letzte Satz klang leicht verächtlich und tat mir weh. Nicht, dass ich Michael in Schutz nehmen wollte, nein, es verletzte mich, dass es sich anhörte, als hätte er alle paar Wochen eine andere gehabt und ich wäre so blöd gewesen und hätte nie etwas gemerkt. Sie selbst hatte doch gerade erst gesagt, sie habe es ihm nicht zugetraut.
Einen Moment blieb es still zwischen uns, bis Marie sanft meinen Arm berührte und sagte: »Tut mir so leid für dich. Wann und wie bist du dahintergekommen?«
Ich atmete tief durch, und dann erzählte ich meiner Schwester alles. Von meinem Anruf gestern Abend bei dem Hotel, in dem Michael während des Ärztekongresses untergebracht war. Wie ich zunächst erleichtert gewesen war, als mir bestätigt wurde, dass er ein Zimmer gebucht hatte, aber leider nicht zu ihm durchgestellt werden könne, da er gerade im Restaurant speise.
»Zunächst?«, fragte Marie, während ich wieder einen Schluck Kaffee trank, gegen den Kloß in meinem Hals, der sich festzusetzen drohte. »Das heißt, du bist trotzdem wieder misstrauisch geworden.«
»Gestern Nacht habe ich mich hin und her gewälzt und genauso hin und her gedacht. Ich hatte keinen Beweis dafür, dass da was lief mit einer anderen. Da waren nur Kleinigkeiten, die mich manchmal stutzig gemacht haben.«
Marie nickte. »Dass er die Anrufe für die Praxis immer auf sein Handy weiterleitete, wenn er dort bis zum späten Abend angeblich Berichte und Gutachten schrieb oder Abrechnungen machte. Davon wusste ich ja schon.«
»Manches war noch viel vager. Etwa sein seltsamer Gesichtsausdruck, wenn er eine Nachricht auf dem Handy las und mir auswich auf mein Nachfragen, ob es wenigstens etwas Erfreuliches sei.«
»Also ich hätte da längst eine günstige Minute genutzt und das rausgekriegt.« Marie steckte eine Strähne in den Haarknoten zurück und stand auf, um Paul wieder ins Wohnzimmer zu befördern. Er hatte sich krabbelnd auf den Weg zu Herbert gemacht.
»Ja, du …« Ein Seufzer landete in meiner Kaffeetasse. »Den letzten Anstoß dafür, dass ich heute Morgen nach Düsseldorf gefahren bin, waren die Blicke von der Saterdag. Die haben mich die ganze Nacht verfolgt.«
»Deine Kollegin?«
Klein Paul saß wieder auf seinem Spielteppich und probierte aus, ob so ein Bauklotz schmeckte. Gut, dass er nicht in seinen Mund passte.
»In letzter Zeit hat sie mich oft komisch angeguckt. Zum Beispiel, wenn ich Feierabend gemacht habe und Michael sagte, es würde später, ich solle bloß nicht mit dem Essen auf ihn warten. Manchmal hat sie eine Bemerkung von sich gegeben, so halb amüsiert, halb ironisch.« Ich schlug mir vor die Stirn. »Warum hab ich sie nicht einfach mal direkt gefragt.«
»Weil du es in Wirklichkeit gar nicht wissen wolltest?«
»Ach ja?« Ich stellte die Tasse ab. Das fehlte mir jetzt noch, dass mein Schwesterchen mir meine Schwächen vorhielt. »Und darum bin ich heute da hingefahren, was?«
»Nun komm mal wieder runter.« Marie lächelte mich an. »Wahrscheinlich hättest du von der Saterdag sowieso nichts erfahren, so loyal wie sie eurem Doktor seit Jahren die Treue hält. Wie ging das nun weiter in Düsseldorf?«
»Erst mal ging gar nichts weiter. Über eine Stunde habe ich im Auto gehockt und aus einer Nebenstraße den Hoteleingang beobachtet. Ich konnte mich nicht dazu überwinden, reinzugehen und nach seiner Zimmernummer zu fragen. Michael womöglich im Bett mit einer Anderen, nein, allein die Vorstellung …« Wieder war da der Kloß in meinem Hals.
Auch wenn im letzten halben Jahr mit unserer Beziehung nicht alles zum Besten gestanden und ich oft den Eindruck gehabt hatte, wir würden nur nebeneinanderher leben und uns nicht mehr so wie in den ersten beiden Jahren richtig für einander interessieren, tat es schrecklich weh, dieses Wissen, dass Michael eine Andere liebte und wahrscheinlich nur aus Bequemlichkeit noch nicht mit mir Schluss gemacht hatte.
Marie nahm unsere geleerten Tassen und ging damit zur Küchenzeile. Als sie mit den gefüllten dampfenden Pötten zurückkam, hatte ich mich gefasst.
»Hätte ich sicher auch nicht gemacht«, sagte sie, und ich schaute sie überrascht an.
»Nein?«
»Ich hätte ihm eine Nachricht geschickt. Ihm geschrieben, dass ich vor der Tür stehe, er möge doch bitte mal rauskommen zu mir. Daraufhin hätte sich bestimmt alles Weitere ergeben, aus seiner Reaktion, seinem Verhalten. Und letztendlich hättet ihr Klartext miteinander gesprochen.«
Klartext sprechen, nein danke. Wenn alles klar ist, brauche ich das nicht. Wozu auch?
»Sag bloß, du bist nach Hause gefahren?«
»Kurz davor war ich. Aber dann sah ich die beiden. Aus Richtung Innenstadt kamen sie. Sie mit einer bunten Einkaufstüte an der Hand.« Ich stockte, riss mich zusammen. »Arm in Arm.«
Wie in dem Moment heute Morgen durchzuckte mich der Schmerz. Ein feiner Stich.
»Sie sind ins Hotel gegangen?«
Ich nickte. »Nachdem sie auf offener Straße stehen geblieben sind und sich geküsst haben.«
»Olàlà, der seriöse Doktor knutscht in der Öffentlichkeit. Und? Kennst du die Frau?«
»Ja«, sagte ich und merkte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. »Es ist Katharina.«
***
Diese drei Worte, immer wieder kurz vor dem Einschlafen. Und schon war ich wieder hellwach. Behutsam drehte ich mich auf den Rücken. Herbert hatte sich an meine Kniekehlen geschmiegt und gab mit einem murrenden Laut zu verstehen, dass er sich gestört fühlte. Ich griff nach meinem Handy auf dem Couchtisch. Nach zwei schon.
Bis um elf hatten Marie, ihr Mann Philipp und ich gestern nach dem Abendessen zusammengesessen, geredet, und natürlich waren dabei Michael und Katharina das zentrale Thema gewesen. Sie war meine Freundin, seit mehr als zwölf Jahren. Gewesen, schoss es mir durch den Kopf. Aus mit der Freundschaft, aus mit der Beziehung. Doppelt betrogen. Richtig realisieren konnte ich es immer noch nicht.
Katharina und ich hatten uns in der Berufsschule während unserer Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten kennengelernt und schnell gemerkt, dass wir auf einer Wellenlänge lagen. Jedes Wochenende zogen wir zusammen los. Zu den Kletterwänden indoor und outdoor im Ruhrgebiet und der Umgebung. Die Begeisterung fürs Bergsteigen und Klettern teilte Katharina mit mir genauso wie ihre Liebe zu Katzen. Auch sie befand sich im Besitz einer Katze, genauer gesagt ihres Katers Leo. Zwei Mal hatten wir sogar gemeinsam Urlaub in Tirol gemacht, inklusive Kletterkursus für Fortgeschrittene. Wir hatten so viel Tolles zusammen erlebt. Und auch wenn wir uns später nicht mehr so oft trafen, weil Katharina ihrer Meinung nach den Mann ihres Lebens gefunden hatte, war ich es, die sie tröstete und ablenkte, als sich herausstellte, dass er es wohl doch nicht war. Aus den Augen verloren hatten wir uns jedenfalls nie.
Als ich in Michaels Praxis anfing und mich in ihn verknallte, war sie es, der ich von meiner unerreichbaren Liebe erzählte. Wir telefonierten stundenlang und trafen uns wieder öfter. Sie litt mit mir, weil es für mich unvorstellbar war, dass aus meinem Chef und mir jemals ein Paar werden konnte, und wir feierten zusammen die halbe Nacht durch, als das Unmögliche doch geschehen war.
Und jetzt? Es war Katharina. Katharina und Michael. Eine Affäre? Oder diesmal wirklich der Mann fürs Leben. Egal. Beide waren für mich gestorben.
An meinen Beinen bewegte sich etwas. Ich fühlte durch die Decke Herberts Pfoten. Langsam und vorsichtig wurden sie aufgesetzt. Auf meinen Beinen, dem Bauch, schließlich ließ er sich auf meinem Brustkorb nieder. Gleichzeitig hörte ich sein Schnurren. Mit zwei Fingern streichelte ich ihn erst an einer Wange, dann unter dem Kinn, worauf sich das Schnurren verstärkte.
»Herbert«, flüsterte ich. »Was wird jetzt aus uns?«
Bald danach musste ich wohl doch eingeschlafen sein. Geräusche weckten mich. Im Küchenbereich hantierte Marie an der Kaffeemaschine. Von der oberen Etage hörte ich Philipp ein Kinderlied singen.
»Morgen!« Ich gähnte und setzte mich auf. »Wie spät ist es denn?«
»Morgen Jana! Halb sieben. Wie war die Nacht?«
»Frag lieber nicht.«
»Schade, dass wir den Spitzboden noch nicht ausgebaut haben. Da soll später ein Gästebett stehen.«
»Ich geh mal nach oben ins Bad.« Auf dem Weg in die Diele drehte ich mich noch einmal um. »Hast du Herbert gesehen?«
»Ist auch oben, auf Entdeckungstour.«
»Hoffentlich sind die Fenster zu.«
»Wir haben überall stabile Fliegengitter im Rahmen«, antwortete Marie.
Tatsächlich empfing mich mein getigerter Kater auf der Treppe zur oberen Etage und warf sich mit einem Buckelchen an meine Beine. Er schien sich wie üblich schnell in der neuen Umgebung einzuleben. So gar nicht nach Katzenart. Aber Herbert war sowieso anders als alle Katzen, die ich kannte. Ich fand ihn als Winzling mit acht Wochen im Mülleimer vor unserer Praxis und gab ihm spontan den Namen meines Lieblingsmusikers. Zu Recht, wie sich bald herausstellte, denn ich entdeckte bei dem kleinen Kerl Eigenschaften, die ich auch beim großen Herbert schätzte: Er ließ sich nicht unterkriegen, war unerschrocken in ungewohnten Situationen und ging offen auf alle Menschen zu, um ihre Herzen im Sturm zu erobern.
Nur nicht das von Michael. Auch dann nicht, nachdem wir beide in sein schickes Haus gezogen waren, das mein Kater auf der Stelle in Besitz nahm. Michael konnte nun mal genau so wenig mit Katzen etwas anfangen wie mit den Liedern des Musikers, nach dem ich Herbert getauft hatte. Wenn ich im großen Wohnzimmer zu Grönemeyers Männer lauthals mitsang und herumzappelte, verzog Michael sein Gesicht. Meistens gab’s auch noch einen blöden Spruch von ihm, bevor er sich die Kopfhörer aufsetzte und eine seiner zahlreichen Klassik-CDs hörte. Ich nahm ihm das nicht besonders übel, Musikgeschmäcker sind eben verschieden. Dass er aber meinen Kater bei jeder gemeinsamen Mahlzeit vor die Tür beförderte, weil er es nicht ertragen konnte, wenn beim Essen ein Tier im Raum anwesend war, brachte mich auf die Palme und uns unzählige Auseinandersetzungen ein. Doch wo gab es die nicht im täglichen Zusammenleben, hatte ich mir gesagt. Irgendwelche Abstriche mussten wohl überall gemacht werden.
***
Während ich duschte, prasselten nicht nur die Wassertropfen auf meinen Körper, auch die schreckliche Wirklichkeit trommelte erneut heftig in meine Gedankenwelt. Wie sollte es jetzt weitergehen? So wenig, wie ich mir die Frage beantworten konnte, so vollkommen sicher war ich mir, wie es nicht weitergehen sollte: auf gar keinen Fall mit Michael. Wer mich mit meiner besten Freundin betrog, bekam keine zweite Chance bei mir. Und vielleicht war es ihm sogar recht.
Es schmerzte in der Herzgegend. Ich bekam dieses grässliche Bild von den beiden einfach nicht gelöscht, wie sie sich eng umschlungen küssten. Da half es auch nichts, wenn ich mir sagte, dass unsere Beziehung eh nicht mehr so gewesen war wie in den ersten Monaten.
Ich drehte den Wasserhahn zu, griff zum Handtuch, frottierte mich vor dem Spiegel ab. Der Wasserdampf hatte ihn beschlagen, und während ich meine halblangen Haare kämmte, kam nach und nach seine blanke Oberfläche wieder zum Vorschein, zeigte meine Stirn und die Augen zuerst. Oje, Ringe und Schatten vom Feinsten. Aber was tat’s? Außer meine Schwester, mein Schwager und Pauli würde mich heute niemand zu Gesicht bekommen. Ich schlüpfte in die Unterwäsche, und beim nächsten Blick in den Spiegel war Jana Stein vom Scheitel bis zum Brustansatz zu sehen. Mir gefiel sie halbwegs gut, abgesehen von den deutlichen Zeichen, die der gestrige Tag hinterlassen hatte. Ich mochte meine kupferroten Haare und die grünbraunen Augen, fand den Mund zwar etwas zu groß und hätte auch auf die Sommersprossen verzichten können, aber wer ist schon perfekt. Im Moment allerdings war mir mein Aussehen ziemlich egal und wirklich kein Problem. Davon gab es genügend andere. Ich musste eine neue Stelle finden und eine Wohnung.
Wenige Minuten später saß ich mit Marie, Philipp und Klein-Paul am Frühstückstisch.
»Dein Telefon hat sich mehrmals gemeldet«, sagte Marie.
Ich winkte ab. »Nicht wichtig. Kann mir denken, wer anruft. Er soll mir gestohlen bleiben.«
Meine Schwester warf mir einen missbilligenden Blick zu. »Irgendwann musst du doch mit ihm reden.«
»Muss ich das?«
Philipp leerte seine Kaffeetasse und stand auf. »Wird Zeit für mich, macht’s gut, ihr drei!« Er gab erst Paul, der auf Maries Schoß saß, danach seiner Frau einen Kuss.
»Auch noch einen Toast?«, fragte Marie, nachdem ihr Mann das Haus verlassen hatte.
Achselzucken meinerseits. Appetit hatte ich nicht.
Wieder traf mich ihr kritischer Blick. »Und …? Was hast du heute vor?«
Nochmals zog ich die Schultern hoch, ließ sie mit einem Seufzen wieder fallen.
»Sehr aufschlussreich.« Marie lächelte. »Kaffee?«
»Ja, gerne.«
»Wenigstens eine klare Antwort«, sagte sie und ging zum Automaten hinüber. »Aber jetzt mal ernsthaft, Jana, du wirst doch irgendeinen Plan haben. Mit Michael reden, ihn sich erklären lassen, ihm eventuell verzeihen, falls es nur eine kleine Affäre war, willst du also nicht, stimmt’s?«
»Auf gar keinen Fall will ich das!«
Jana setzte sich, bestrich schweigend eine Toastscheibe mit Butter, und ich betrachtete den Schaum auf der frischen Tasse Espresso vor mir.
Dann schaute ich auf. »Leihst du mir deinen Laptop?«
»Klar. Willst du ihm eine Mail oder gar einen Brief schreiben?«
»Nein, meine fristlose Kündigung.«
Den ganzen Tag blieb ich im Haus. Das Wetter hatte sich meiner Stimmung angepasst, es regnete ununterbrochen.
»Endlich!«, so Marie. »Der Garten wird sich freuen nach der langen Trockenheit.«
Sie freute sich anscheinend ebenfalls. Ich mich nicht. Über gar nichts. Selbst als Herbert es zuließ, dass Klein-Paulis Hand, von Marie geführt, sein Rückenfell berührte, konnte mir dies nur ein schwaches Lächeln entlocken. Am Nachmittag holte meine Schwester das Waffeleisen heraus und bereitete Teig zu. Sie wusste genau, dass ich ein absoluter Fan ihrer Waffeln war. Diesmal gab es dazu frische Erdbeeren und Sahne. Doch schon nach einer einzigen gegessenen schob ich den Teller ein Stück von mir weg.
»Tut mir leid. Geht nicht.«
»Ach, Jana …« Marie putzte Pauls Mund mit dem Lätzchen ab.
Ich starrte in den Regen.
»Willst du nicht doch mit Michael reden, wenn er morgen zurück ist? Vielleicht war das alles nicht so, wie du denkst.«
»Oh nein, das werde ich sicher nicht tun.« Grimmig stand ich auf, ging zur Sitzecke hinüber und lümmelte mich in die Polster. »Den Brief mit der Kündigung hast du aufgegeben, oder?«
»Selbstverständlich, per Einschreiben. Hatte keinen Schirm mit, bin ziemlich nass geworden, als ich vom Supermarkt zur Post hinübergerannt bin.«
Ich warf ihr eine Kusshand zu. »Danke, Schwesterschatz!«
»Obwohl ich immer noch meine, dass es ein Fehler war.«
Sie gab einfach nicht auf. Warum wollte sie nicht verstehen, sie verstand mich doch sonst immer. Meistens. Oft.
»Statt dich hier einzuigeln, hättest du zum Beispiel heute noch einmal nach Düsseldorf fahren können.«
»Um was dort zu tun? Katharina und Michael beim Liebespiel belauschen?«
»Vielleicht hätte sich herausgestellt, dass alles viel harmloser war, als du es empfunden hast.«
»Ich weiß, was ich gesehen habe.« Aufgebracht rutschte ich auf die Sofakante. »Du musst keine Angst haben, dass ich euch zu lange zur Last fallen werde. Morgen fange ich an.«
»Womit?«
»Mit meinem Leben nach Michael. Heute ist noch Verdauungstag.«
»Aha. Das mit dem zur Last Fallen vergessen wir mal schnell, ja? Das will ich nie wieder hören.« Ernsthaft sah sie zu mir herüber.
In dem Moment patschte Pauli mit seiner kleinen Faust in die Sahneschüssel, dass die Flocken nur so stoben, in Maries Gesicht, auf ihre Haare und ihr T-Shirt.
»Erst der Regen und jetzt auch noch Schnee«, sagte ich.
Und dann lachten wir beide los.
***
Am Abend des nächsten Tages raffte ich mich endlich auf, das Leben nach Michael in Angriff zu nehmen, und durchsuchte das Netz nach Stellenangeboten. Ich fand sogar einige im akzeptablen Umkreis, speicherte sie ab. Gleich Bewerbungsschreiben aufzusetzen, dazu konnte ich mich nicht überwinden. Ich hasste mich selbst dafür. Mir war passiert, was jeden Tag Tausenden von Menschen passierte. Tausenden? Ach was, sicher Millionen! Kein Grund, depressiv und antriebslos zu werden, sagte ich mir. Und hing dennoch lustlos in den Sofapolstern, nahm den schiefen Gesang meiner Schwester wahr, die beim Zubereiten des Abendbrotes zu einem Song aus dem Radio mitträllerte.
»Kannst du den Tisch decken?« Marie hatte ihren Gesang unterbrochen.
Langsam quälte ich mich hoch.
»Lass dich nicht so hängen!« Sie warf mir beim Salatmischen ein aufmunterndes Lächeln zu. Dann meldete sich ihr Telefon. »Ist bestimmt Philipp, wird sicher wieder später bei ihm.« Sie nahm das Smartphone vom Küchentisch und blickte mit hochgezogenen Augenbrauen auf das Display. »Onkel Enno!«, hörte ich ihren überraschten Ausruf, ihre Mundwinkel zogen sich nach oben.
Unser Onkel aus Keitum rief an? Das kam selten vor. Als Kinder waren wir jedes Jahr auf Sylt gewesen und hatten bei ihm im Dorf wunderbare Ferientage verbracht. Meist schloss Onkel Enno in dieser Zeit seine Tierarztpraxis und betreute nur Notfälle. Wenn Marie und ich bei ihm waren, war das auch sein Urlaub, wegfahren wollte er sowieso nicht. Schon im Teeniealter wurden die Besuche seltener. Dann starb vor zwei Jahren unsere Mutter. Unser Vater hatte nichts Besseres zu tun, als bald darauf in seine Heimat nach Hamburg zurückzugehen, mit einer neuen Frau an seiner Seite. Das hatte ich ihm übel genommen und wollte eine Zeit lang nichts mit ihm, seinem Bruder Enno und der Nordseeküste zu tun haben.
Während ich den Tisch mit Tellern und Besteck deckte, tauchten Bilder vor mir auf. Bilder von der Beerdigung, da hatte ich Onkel Enno zum letzten Mal gesehen. Mein Vater, dem Tränen über die Wangen liefen, am Urnengrab stehend, mit einer roten Rose in der Hand. Ich fühlte wie damals die unendliche Trauer und gleichzeitig Wut. Eine rote Rose? Er hatte meine Mutter betrogen, da war ich mir sicher. Schließlich hatte ich ihn mit dieser Cordula mit eigenen Augen gesehen. Sie waren aus dem Kino gekommen an jenem Abend, an dem er angeblich eine späte Sitzung hatte, zwei Wochen vor Mutters Tod.
»Nein, Onkel Enno, Jana geht es gut. Du konntest sie nicht erreichen, weil sie ihr Telefon ausgeschaltet hat.«
Ich tauchte aus meinen Gedanken auf. Mich wollte er sprechen?
»Und wie geht es dir?« Maries Miene verdunkelte sich, während sie zuhörte und ab und zu ein »Ach herrje« oder »Oh nein!« einwarf.
Das hörte sich nicht so toll an. Nun, Enno war auch nicht mehr der Jüngste, zweiundsiebzig musste er wohl sein. Schon vor Jahren hatte er vorgehabt, seine Praxis aufzugeben, es aber nie wahr gemacht. Irgendwie konnte ich ihn verstehen, hatte er doch nie geheiratet. Seine Familie bestand aus den Tieren und ihren Menschen, die zu ihm kamen und denen er half, ob es mitten in der Nacht war oder an Sonn- und Feiertagen.
»Natürlich kannst du sie sprechen«, sagte Marie nach einer Weile. »Gute Besserung wünsche ich dir! Lass dir Zeit beim Auskurieren, hörst du?« Sie reichte mir das Handy mit einer Mischung aus Neugier und Ratlosigkeit im Gesicht. Sicher sah es in meinem ähnlich aus.
»Hallo Onkel Enno!«
»Moin Jana! Warum stellst du dein Telefon ab?«
»Ach, eine längere Geschichte, erzähl ich dir später mal. Aber nun sag, was ist mit dir, bist du krank?«
»Ach was.« Entrüstet klang das. Typisch Enno. Er war sicher in seinem ganzen Leben noch nicht einen Tag wegen Krankheit ausgefallen. »Der Jung vom Seilerhof war mit seinem Felix da, weil dem wieder die Zähne gefeilt werden mussten.« Im Hintergrund hörte ich Geräusche, als wenn eine Tür geöffnet wurde. »Warte mal, Jana!« Nach ein paar Sekunden: »Jana, bist du noch da?«
»Na klar.«
»Ich muss mit dir was besnacken, hast du büschen Zeit?«
»Hab ich.«
Marie stellte die Salatschüssel auf den Esstisch, und ich ließ mich auf einen Stuhl fallen.
»Der Sven vom Seiler hat nämlich beim Rausgehen auf seinen Felix nicht aufgepasst. Der ist ihm entwischt und durch das Wartezimmer gehoppelt. Da war was los, kann ich dir sagen. Die Marta hat lauter geschrien, als die Hunde gebellt haben. Als wenn die noch nie im Leben so einen Stallhasen gesehen hätte.«
Ich verdrehte innerlich die Augen. Konnte mein Onkel mal auf das Wesentliche kommen? Seine Anekdoten aus der Praxis hatte ich früher zwar mit Begeisterung gehört, aber jetzt wollte ich wissen, warum er anrief.
»Aber du konntest ihn wieder einfangen«, half ich ihm auf die Sprünge, um die Schilderung abzukürzen.
»Ja. Und darin liegt der Kasus knacktus. Ich bin raus, und da springt der mir im Flur vor die Füße. Kurz vor der offenen Tür hab ich ihn aber erwischt.«
»Also noch mal Glück gehabt.« Ich seufzte. Obwohl ich bei der Vorstellung des Aufruhrs im Wartezimmer und meines Hasen einfangenden Onkels schmunzeln musste, ließ meine Geduld merklich nach. »Und was möchtest du nun mit mir bereden?«
»Das ist man so eine Sache mit dem Glück …« Nun seufzte zur Abwechslung Onkel Enno, und ich runzelte die Stirn. »Mitsamt dem Karnickel bin ich auf den Boden geknallt. Oberschenkelhalsbruch sagen die hier. Ich liege in der Nordseeklinik und werde morgen operiert.«
»Oh nein! Das tut mir aber arg leid für dich. Können wir denn irgendetwas für dich tun?«
»Ja, Jana. Du kannst etwas für mich tun. Du bist doch Sprechstundenhilfe.«
»Medizinische Fachangestellte«, korrigierte ich automatisch.
»Ist doch egal. Das ist nämlich so: Ich habe da einen Tierarzt, der sollte sowieso zu meiner Entlastung in die Praxis einsteigen. Und der kann auch sofort kommen.«
»Das ist doch super.« Ich begriff absolut nicht, warum er unbedingt mit mir über dieses Thema sprechen musste. Ob er ein wenig senil wurde? Oder war es eine vorübergehende Verwirrtheit nach dem Unfall?
»Ja, ja …« Onkel Enno machte eine kleine Pause. »Nur weiß der Timo Jensen nicht, dass die Birte nicht mehr da ist.«
»Wer ist Timo Jensen und wer ist Birte?«
»Herrje, der Tierarzt, von dem habe ich doch gerade erzählt! Und die Birte ist meine Sprechstundenhilfe. Also die gewesene. Die hat nämlich geheiratet und ist aufs Festland gezogen. Und ich hatte so viel um die Ohren, da war wirklich keine Zeit, um mir was Neues zu suchen. Erst das Dach undicht, dann der neue Heizungskessel und weiß der Düvel was noch alles. Du kannst es dir nicht vorstellen.«
Langsam kroch ein Verdacht in mein Hirn.
Nein, das meint er nicht wirklich, oder …?
»Dem Jensen allein kann ich aber nicht alles aufhalsen, da haut der gleich wieder ab. Ich hab mir gedacht, du könntest doch Urlaub nehmen und herkommen für die Zeit, in der ich ausfalle. Ich bezahle dich natürlich gut. Was meinst du?«
Ich sprang vom Stuhl auf. »Auf gar keinen Fall komme ich dafür infrage, Onkel Enno!«
***
Auch wenn der Anruf meinen Blutdruck in die Höhe getrieben hatte, beim Abendessen konnte ich schon wieder darüber lachen und mit Marie über das Ansinnen unseres Onkels witzeln.
»Ich sehe dich schon, wie du mitten in der Nacht im Kuhstall stehst und bei der Geburt eines Kalbes hilfst.«
»Das wäre nicht einmal das Schlimmste, Marie, aber die Hunde …«
Als Fünfjährige hatte ich eine unschöne Begegnung mit dem Foxterrier unseres Nachbarn gehabt. Er hatte mich in den Po gebissen, nachdem ich im Garten völlig arglos die Frechheit besessen hatte, seinen im Korb neben ihm liegenden Knochen wegzunehmen. Als er mich ansprang, um seine Beute zurückzuerobern, war ich hingefallen. Leider auf den Knochen, und da hatte er zugebissen, der Fipsi. Seitdem machte ich um Hunde lieber einen Bogen, ganz davon zu schweigen, dass ich jemals einen anfassen würde. Mein Verstand sagte mir zwar, dass das damals durch ein Zusammentreffen widriger Umstände passiert war. Man hatte mich mit dem Hund im Garten des Nachbarn allein gelassen. Warum, wusste hinterher niemand mehr, und alle machten sich Vorwürfe. Und hätte Fipsi nicht zuvor einen Knochen bekommen, wäre nichts geschehen.
Marie kannte natürlich meinen wunden Punkt, Onkel Enno hatte ihn anscheinend vergessen oder absichtlich ignoriert.
»Und was hat er gesagt, als du ihn an deine Hunde-Phobie erinnert hast?«, fragte Marie.
»Ich solle mich nicht so anstellen. Kennst ihn ja, wenn was nicht nach seinem Kopf geht, wird er schon mal polterig. Er denkt wahrscheinlich, das wäre nur so eine Marotte von mir.« Ich legte die Gabel weg, mit der ich im Salat nach den Paprikastücken gesucht hatte, und rieb mir das Kinn. »Mhhh, sollte ich mir eine andere zulegen? Was ist denn gerade hip, was meinst du?«
Zum Antworten kam Marie nicht, denn erneut meldete sich ihr Handy. »Katharina«, sagte sie nach einem Blick aufs Display und sah mich fragend an.
»Bin nicht da. Am besten, du gehst gar nicht erst dran. Dass sie überhaupt bei dir anruft …«
»Hallo Katharina!«
Mit den Augen rollend nahm ich die Gabel wieder auf und spießte energisch eine Gurkenscheibe auf. Hatte eine kleine Schwester nicht eigentlich auf die große zu hören? Marie hörte jedenfalls nicht auf mich, sondern der Verräterin am anderen Ende der Leitung zu.
Dann sagte sie: »Verstehe. Aber Jana möchte vorerst nicht mit dir sprechen.«
»Vorerst?«, knurrte ich. »Nie im Leben mehr.«
Leider gab Marie die Information nicht weiter. Am liebsten hätte ich ihr das Handy entrissen und die falsche Schlange weggedrückt.
Dass ich kurz davor war, musste meine Schwester bemerkt haben. »Okay, Katharina, vielleicht besser so«, sagte sie schnell und legte auf.
Ob wir jetzt endlich mal unsere traute geschwisterliche Zweisamkeit beim Essen fortsetzen konnten? Nein, konnten wir nicht. Noch ehe ich mir das Brot mit Käse fertig belegt hatte, dabei leise Flüche und böse Wünsche murmelnd, adressiert an meine ehemals beste Freundin, schellte es an der Haustür. Marie stand auf; gleichzeitig krähte aus dem Kinderzimmer Paulchens Stimme zu uns herunter, und die klang gar nicht fröhlich.
»Na super.« Marie seufzte.
Dunkle Vorahnungen waren nicht so mein Ding, doch in diesem Moment überkam mich eine. Marie in den Korridor folgend, blieb ich am Treppenabsatz stehen.
Ihn im Haustürrahmen sehen, einen spitzen Schrei ausstoßen und die Treppe hinaufrasen, geschah innerhalb von Sekunden. Badezimmertür aufreißen, rein, Tür zu und abschließen. Tief durchatmen, damit sich das wild pochende Herz beruhigte.
War nichts mit beruhigen. Marie klopfte an die Tür. »Jana, mach doch bitte auf. Michael möchte mit dir sprechen.«
»Ich aber nicht mit ihm. Sag ihm das. Er soll verschwinden!«
Sie redete auf mich ein wie auf einen sturen Esel, gab aber schließlich auf, nachdem sie kein anderes Wort mehr als »Nein« von mir gehörte hatte und Paul immer noch aus Leibeskräften schrie.
***
Doch damit war die Belagerung der beiden miesen Typen noch nicht zu Ende. Auch Katharina tauchte am Abend höchstpersönlich auf. Wir saßen gerade zusammen und schauten Tatort, als es wieder klingelte. Zum Glück stand Maries Fahrrad im Garten. Es durchs Fenster sehen, aufspringen und mit ihm vor diesem hinterhältigen Weibsstück davonradeln, war wie ein Reflex. Über eine halbe Stunde fuhr ich ziellos durch die Dämmerung. In der Innenstadt holte ich mir ein Eis im Hörnchen und setzte mich damit auf eine Bank. Und da fing ich an, ernsthaft über Onkel Ennos Bitte nachzudenken.
Am Nachmittag des übernächsten Tages kam es mir vor wie ein Déjà-vu, als ich mit Herbert im Korb wieder vor einer Haustür stand. Nur dass es diesmal kein Reihenhaus im Ruhrgebiet, sondern ein reetgedecktes Friesenhaus war, in das ich Einlass begehrte, und mein Kater und ich eine mehr als siebenstündige Autofahrt in meinem Fiat Punto hinter uns hatten. Auf mein Läuten öffnete eine kleine rundliche Frau, die einen bunten Kittel trug und im grauen Haar ein pinkfarbenes Stirnband.
»Moin«, sagte sie und hielt mir die ausgestreckte Rechte entgegen. »Schön, dass du da bist.«
»Moin Marta«, antwortete ich. Wir schüttelten uns die Hände.
Ich konnte mich noch gut an die Zugehfrau meines Onkels erinnern. Enno hatte mir am Telefon erklärt, dass sie heute seine Wohnräume und die ebenfalls im Erdgeschoss liegende Praxis auf Hochglanz bringen würde, da ja nicht nur ich, sondern auch bald der neue Doktor erwartet würde.
»Komm man rein!« Sie griff nach meinem Koffer. »Und was ist da drin?«, fragte sie, auf den Transportkorb deutend, aus dem in diesem Augenblick ein leises Miauen ertönte. »Aha, ich höre es.« Begeisterung klang anders. Aber ansonsten ließ sie sich nichts anmerken, griff auch zum Korb und schritt mit beidem beladen forsch in den Flur. »Du bekommst das große Gästezimmer im Dachgeschoss; da hast du doch als Kind so gern gewohnt.«
Rasch folgte ich, nahm ihr den Koffer wieder ab und stieg hinter ihr die ausgetretenen Holzstufen hinauf. Mit Betreten des Mansardenzimmers wurden schlagartig Erinnerungen wach. An Sommer, die kein Ende zu nehmen schienen, an Seeluft und Wind und an Sand, den Marie und ich mit den Schuhen ins Haus trugen bis nach hier oben unters Dach.
»Dann lasse ich dich erst mal alleine«, sagte Marta. »Ich hab noch zu tun, und wenn ich fertig bin, mache ich uns einen schönen Tee, und ein Stück Kuchen gibt es auch dazu.« Sie lächelte. »Herzlich willkommen!« Und war schon wieder auf dem Weg nach unten.
Ich schloss die Tür hinter ihr und öffnete die des Katzenkorbs. Herbert war zwar sehr anpassungsfähig, aber mit einem neuen Haus wollte ich ihn nicht sofort überfordern, ein Raum reichte vorerst. Dann setzte ich mich in den gemütlichen Ohrensessel und beobachtete meinen Kater: wie er den Kopf herausstreckte, mich entdeckte, langsam die Reisebehausung verließ und sich mir am Bett entlangstreichend näherte. Mit einem geschmeidigen Satz landete er auf der Sessellehne, um sich gleich darauf tretelnd auf meinem Schoß einzufinden. Während ich ihn unter dem Kinn kraulte, spürte und hörte ich sein Schnurren.
»Ich mute dir ganz schön was zu.« Und mir selbst auch, ergänzte ich gedanklich.
Da saß ich nun in dem Zimmer, wo selbst die blau-weiß gestreiften Bettbezüge noch dieselben zu sein schienen wie vor zwanzig Jahren. Streichelte meinen Kater, froh, ihn bei mir zu haben, als Vertrauten, als Seelentröster. Versuchte, meine aufkommenden Zweifel zurückzudrängen.
Wird schon klappen für ein paar Wochen. Besser als weiterhin diese Belagerung bei Marie und Philipp ertragen.
Noch jetzt wurde mir heiß und kalt. Lieber an etwas anderes denken. Onkel Enno … Er hatte die Operation inzwischen hinter sich. Wenn nur alles gut gegangen war. Ob man mir im Krankenhaus Auskunft darüber geben würde? Vielleicht sollte ich meinen Vater in Hamburg anrufen, um mich zu erkundigen, wie es Onkel Enno ging; er war sicher informiert. Ein unangenehmes Gefühl stellte sich ein. Immer noch vermied ich Telefonate mit meinem Vater, persönliche Treffen erst recht. Sein Verhalten damals hatte mich zu tief getroffen.
Ich riss mich aus den unerfreulich werdenden Gedanken, stand mit Herbert auf dem Arm auf und setzte ihn auf die breite Fensterbank. »Schau ein bisschen! Ich muss auspacken.«
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