Tagebuch einer Berliner Busfahrerin - Antje Boesler - E-Book

Tagebuch einer Berliner Busfahrerin E-Book

Antje Boesler

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Beschreibung

"Solche Geschichten kannst du dir nicht ausdenken". Seit über drei Jahrzehnten fährt Antje Boesler mit einem Omnibus durch Berlin und besitzt gleich drei Berliner Lizenzen, die Benutzer des ÖPNV ganz legal um die Ecke zu bringen. 180 Seiten gute Gründe aus dem Arbeitsalltag, warum der Bus schon wieder zu spät kommt, trotzdem kein Speisewagen ist und die Busfahrerin Feierabend hat, wenn der Fahrgast seinen Döner an die Frontscheibe wirft. Mit einem unerschütterlichen Humor und einer bewundernswert positiven Lebenseinstellung meistert Antje Boesler die Herausforderungen des Berliner Nahverkehrs. Wenn man einmal angefangen hat zu lesen, kommt man nicht mehr aus dem Lachen raus. Man fühlt sich mitten im Geschehen "BVG Berlins" verrückte Gesellschaft. Da macht Busfahren richtig Spaß

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Die Autorin

Antje Boesler, Jahrgang 1966, beendete 1987 ihre Lehre als Köchin und im Mai 1989 ihre Karriere in diesem Metier. Auf dem zweiten Bildungsweg erlernte sie im Juni 1989 den Beruf der Busfahrerin bei der BVB. 1992 wurde sie von der BVG übernommen und arbeitet seit 2000 für das Tochterunternehmen BT Berlin Transport. Dort wurde sie im selben Jahr noch zur U-Bahn-Fahrerin Großprofil ausgebildet.

Sie besitzt eine Lizenz, die Benutzer des ÖPNV legal um die Ecke zu bringen.

INHALT

Danksagung

Einleitung

Warum fehlt vom Bus jede Spur?

Meine ersten Handschellen

Besoffen Bus gefahren

Es ist zum Mäusemelken

Roy-Sven

Feuer

Zivilpolizei

Warum kommt der Bus zu spät?

Abschnitt 45

Sie weiß nicht, wo sie fährt

A45 aller guten Dinge sind drei

Oma Hildegard und ihr Rolli

Das Gebüsch!

Halloween

Fahrerflucht

Der Flieger startet ohne sie

Bombenstimmung

Bunte Pöbeleien

Und weg war sie. Die S-Bahn.

Der Fahrgast und sein Fahrschein

Der Strafzettel

Der Dienstmützenfall

Der Übelkübel

Eine haben wir noch

DANKSAGUNG

Nicht einfach zu schreiben. Ich war hin- und hergerissen, wem ich nun als ›ERSTES‹ danken möchte, müsste, sollte oder werde. Ich entschied mich für das Auslosen. So schrieb ich all die »Verursachernamen« auf kleine Zettel und stopfte diese in einen Wäschebeutel. Nach der ersten Ziehung stellte ich fest, dass die Reihenfolge überhaupt nicht meiner Vorstellung entsprach. Insgesamt wiederholte ich diese Prozedur sechs Mal, bis ich mit dem Ergebnis leben konnte.

Ich danke all den Fahrgästen, die sich nach dem Verbleib und Verschwinden eines Busses, oftmals mehrerer, »Ich stehe hier schon mindestens 40 Minuten«, erkundigten. Ohne Sie/Euch hätte ich kein Motiv für meine, anfänglich als Entschuldigungsschreiben gedachten und über den Kassentisch gereichten, Geschichten gehabt.

Den facettenreichen Passagieren, ohne die diese Geschichten nie hätten geschrieben werden können, gilt mein besonderer Dank. Genauso wichtig ist die dritte Gruppe der Reisegäste, die immer erneut nachfragten, ob ich weitere dieser humoristischen Auskünfte hätte, was mir schmeichelte, also schrieb ich weiter. In den zurückliegenden drei Jahren entstand so eine beachtliche Anzahl an wahren Kurzgeschichten, die wiederum nie ohne Martina Stegmann an die Öffentlichkeit gelangt wären. Martina, du gute Seele der Grammatik, des Ausdrucks und der Rechtschreibung. du gabst allen drei ihre Sinnhaftigkeit zurück und bügeltest Wort für Wort meine Fehler aus. Von Anfang an warst du meine treue Begleitung und hast an mich geglaubt. Ich danke dir.

Von unschätzbarem Wert war die Hilfe von dir, lieber Karsten Retzlik, meinem PC Genie. Dank deiner bemerkenswerten Ausdauer, meine im PC für mich für immer verlorenen Daten wiederzufinden, hast du einigen Geschichten das Dasein gerettet. Danke auch für deine Duldsamkeit wegen meiner Tobsuchtsanfälle während des gesamten Schaffensprozesses.

Durch das Online -Portal netnovela.de konnte ich meine handverlesenen Erzählungen einer immer größer werdenden Leserschaft zur Verfügung stellen und so unglaublich wichtige Erfahrungen sammeln.

Ein ganz besonders herzliches Dankeschön geht nach Pankow in die Florastraße. Dort, im Zimmer 16, einer Kleinkunstbühne, die montags immer eine offene Bühne anbietet, werden alle die, die einmal Künstlerluft schnuppern wollen von einer liebenswert, herzlichen und führsorglichen Crew empfangen und begleitet. Das Publikum dort ist ehrlich, fair und fängt einen auf, wenn die ersten Schritte noch holprig sind.

Ich möchte auch »BoD« mit in die Danksagung aufnehmen. Ohne ihre Arbeit würden Sie, liebe Leser, morgen noch im Trüben fischen, wenn ein Bus mal wieder auf sich warten lässt. Dank des »Self Publishing« haben Sie nun ein Nachschlagewerk in den Händen.

Von ganzem Herzen möchte ich mich bei Mike Klar bedanken. Mein Traum war immer ein illustriertes Buch. Als ich mit der künstlerischen Gestaltung vom Buchcover baden ging, nahm er sich, obwohl er ausgebucht war, dieses Themas an. Und! Der Traum vom illustrierten Buch? Lassen Sie sich überraschen.

Bei der Sprechwissenschaftlerin Frau Cäcilie Skorupinski von K+S Kommunikation möchte ich mich für ihren spektakulären Einsatz bedanken. Sie half mir, meine Panik vor Lesungen zu überwinden.

Und last but not least Michael Beautemps für den Satz, die Gestaltung und die Unterstüzung.

Ich widme dieses Buch

Meinen himmlischen Helfern für Ihre Eingebungen.

All meinen Fahrgästen, die mich kennen, und all denen, die mich noch kennenlernen werden.

97 Prozent der Mitarbeiter der Leitstelle Omnibus, kurz BLO, genannt.

Ihr macht aus meinen Katastrophen

immer ein Happy End. Also die 97 Prozent.

Allen Polizisten für ihre unermüdlichen Einsätze.

EINLEITUNG

»Könnten Sie mir den Fahrplan zitieren und dabei erklären, warum Sie zu spät sind?«

»Warum und weshalb ist der Bus vor Ihnen ausgefallen?« Diese und viele andere Fragen stellen mir Fahrgäste seit siebenundzwanzig Jahren tagaus, tagein. Meine authentischen Geschichten geben die Antwort auf fast alle Fragen. Ist es der Verkehr? Sind es die Fahrgäste? Oder trifft die Schuld das Fahrpersonal? Es berichtet von seltsamen Erlebnissen mit noch seltsameren Fahrgästen. Auch die Polizei mit ihren Einsätzen kommt zum Zuge. Was ein Fahrgast schon immer wissen wollte, wird er hier erfahren.

Ich hielt es nicht für zwingend erforderlich, die Geschichten nach Jahreszahlen zu ordnen.

WARUM FEHLT VOM BUS JEDE SPUR?

MEINE ERSTEN HANDSCHELLEN

Sie waren nicht mit gelbem oder pinkfarbenem Plüsch bestückt. Im Oktober 2003 hatte ich Spätschicht und versah meinen Dienst auf der Linie M48. Beim Übernehmen des Doppeldeckers verfluchte mein Kollege den Bus und nannte ihn eine Scheißkarre. Die Liste seiner persönlichen Bemängelungen, den Bus betreffend, war lang, aber ohne Gewicht. Ganze zwei Fahrten hatte ich schon hinter mich gebracht. Der Bus lief fehlerfrei und ich kam mit ihm klar. Nach zweiundzwanzig Uhr startete ich mit zwei Fahrgästen in die dritte, und wie sich herausstellen sollte zugleich letzte Runde. Ich war gerade vier Haltestellen weit gekommen, als der Omnibus Bocksprünge vollführte. Meine weibliche Schnelldiagnose: Getriebeschaden. Sekunden später ging der Motor eigenmächtig aus. Auch meine nächste Überlegung, ob der Tank leer sein könnte, erwies sich als falsch. Laut Instrumentenanzeige war der halb voll. Wenigstens das Funkgerät funktionierte, also konnte ich die Zentrale über mein Problem informieren. Diese nun wies mich an, den Bus von außen mittels Hauptschalter, der die Batterien vom Bordnetz trennt, strom los zu schalten. Ich war an einer stockdunklen Stelle liegen geblieben. Einsatz für meine nigelnagelneue LED Taschenlampe. Ich stieg aus, ließ die Schlüssel im Zündschloss stecken und die erste Tür offen. Meine beiden Fahrgäste prophezeiten mir, dass es bestimmt länger dauern würde, weshalb sie die zwei Haltestellen bis zu ihrem Ziel laufen wollten.

Ich schaltete den Bus aus, alle Instrumente wurden heruntergefahren und die Innenbeleuchtung erlosch. Ungeduldig, weil ich die verlorene Zeit nie wieder aufholen könnte, wartete ich die obligatorischen fünf Minuten ab, dann schaltete ich den Bus wieder ein. Sämtlicher technischer Krimskrams fuhr wieder hoch, die Instrumente erwachten zum Leben, die Beleuchtung schaltete sich ein und die Türen schlossen sich. »Fein«, dachte ich und wollte nun wieder in den Bus, aber, nichts da, die Türen blieben verschlossen. Diese muss man nämlich mit dem Schlüssel separat öffnen.

»Apropos Schlüssel! Wo war der eigentlich?« Nachdem ich, wie damals bei Mutti, all meine Taschen geleert hatte und er nicht zum Vorschein kam, ahnte ich Schlimmes. »Bitte nicht. Habe ich ihn etwa im Zündschloss stecken lassen?« Ich presste mein Gesicht an die Einstiegstür und – Bingo –, der Schlüssel steckte. Dieser Zündschlüssel hätte überall sein dürfen, aber nicht im Zündschloss. Der Versuch, meinen Arm durch die Türgummis zu drücken, um an den Nothebel zu gelangen, scheiterte an der Unnachgiebigkeit des Gummis. Die Türen blieben angepresst, es gelang mir nicht, sie allein aufzuhebeln. Telefonieren ging auch nicht, da mein persönliches Hab und Gut im Bus lag. Mir wurde bewusst, dass innerhalb der nächsten zwanzig Minuten kein Bus mehr vorbeikommen würde, dessen Fahrer mir hätte helfen können. Ich umrundete meinen Bus in der Hoffnung auf eine Idee zu kommen, wie ich doch noch hineingelangen könnte. Ein übermütiger Gedanke beschlich mich. Das absenkbare Fahrerseitenfenster. Das hatte ich ein Stück offengelassen. Mein Plan sah vor, mich an jene Scheibe zu hängen, in der Hoffnung, dass diese meinen sechsundsechzig Kilo nachgab. Das Wunder geschah und ich freute mich wie Bolle über meinen Teilerfolg. Die nächste Hürde hatte es in sich. Von der Straße aus musste ich meinen Körper, ohne Hilfe, mit der Kraft meiner Arme, einhundertvierzig Zentimeter hoch auf die Unterkante des Fensters drücken.

Ohne tatkräftige Unterstützung schaffe ich nicht einmal einen Liegestütz. Ich bin nicht unsportlich, ich eigne mich eben nur nicht für Kraftsport. Dafür kann ich sehr schnell rennen.

Nach drei schmerzhaften Fehlschlägen machte ich bei der Eroberung meines Omnibusses Fortschritte.

Jetzt kam die heiße Phase. Meine Hüfte auf die Fensterkante legen und den Oberkörper nach vorne, durch das für solche Aktionen viel zu kleine Busfenster, beugen. Die linke Hand, auf der mein Körper noch lag, unter diesem hervorziehen, um dann das Lenkrad zu umklammern. Dieselbe Prozedur mit der rechten Hand, um nach dem Sitz zu greifen. So zog ich mich Stück für Stück in den Bus. Ausgesprochen schmerzhaft. Ganz unerwartet quietschten hinter mir Reifen. Aus dem linken Augenwinkel sah ich den Kotflügel eines silberfarbenen Autos, das schräg zum Bus stehen blieb. Dann wurde die Beifahrertür aufgestoßen und ich hörte das Wort »Polizei« laut und deutlich. Der Rufer seinerseits hörte meine Worte: »Einen Moment bitte«, nicht. Ich hing wie ein Mehlsack im Fenster meines Busses, was sollte ich da tun? Vielleicht die Hände heben? Ich versuchte mein Ziel, deutlich schneller als geplant, umzusetzen.

Meine Bemühungen zwangen den Zivilbeamten zum Handeln. Er packte mich am Hosenboden und zog mich wieder aus dem Fenster. Freundlicherweise griff er mir noch, wie bei einem Kaninchen, ins Genick, damit mein Gesicht nicht auch noch über die Unterkante des Fensters geschleift wurde.

Mit »So Freundchen, dich haben wir«, stellte er mich auf dem Asphalt ab, das Gesicht zum Bus gewandt. In der Zwischenzeit hatten schon vier Funkwagen, die allesamt mit Sirene und Blaulicht angefahren kamen, sowie zwei weitere Zivilfahrzeuge, meinen Bus umstellt. Es sollten nicht die letzten sein. Blaulicht soweit das Auge reichte. Ich hasse diese Technopartybeleuchtung, denn das flackernde Licht macht einen blind und irgendwie Gaga. Vermutlich ging es dem einen oder anderen Polizisten ebenso, denn dem Beamten fiel nicht auf, dass der Ertappte eine Frau war. Trotz des Lärms hatte ich seine Aufforderung, meine Beine auseinander zu machen, verstanden. Verflixt und zugenäht, er hörte einfach nicht, als ich ihm sagte, dass ich die Busfahrerin bin. Dem etwas Ehrgeizigen ging es nicht schnell genug und so half er, meine Beine betreffend, nach. Wenn ich an diesem Abend meine Gucci-Schühchen getra gen hätte, wäre mir spätestens jetzt ein: »Eh, bist du jetzt völlig bescheuert?« rausgerutscht.

Er hatte aber wirklich Glück, ich trug Deichmann. Unverzüglich ging er zum Abtasten über. Ich versuchte, mir seinen Gesichtsausdruck vorzustellen, wenn er endlich begriff, dass er eine Frau zwischen seinen Fingern hatte. Er tastete sich von den Händen abwärts, über und unter den Armen und von diesen dann…!! Er hielt inne und schrie so laut: »Scheiße«, dass alle ihn anstarrten. Dann riss er seine Hände nach hinten und hielt sie hoch. Das Ertasten einer Frau hatte ihn härter getroffen, als ich befürchtete. Sein Partner, der bis dahin recht unbeteiligt gewesen war, erschrak und war nun hellwach. Er hatte die Geste seines Kollegen wohl missverstanden und schien zu denken, ich hätte ein ganzes Waffenarsenal unter dem Pullover versteckt. Was auch immer er dachte, er sprang auf mich zu, drehte mir den rechten Arm auf den Rücken und drückte mich zu Boden. Krönender Abschluss, die Handschellen. Ich spürte, dass ich einen Müsliverächter erwischt hatte, denn der Herr verfügte über sehr viele Kilos, die er ungleichmäßig auf meinem Rücken verteilte. Dann wandte er sich an seinen Partner: »Was ist los?«

Der stotterte: »Ich..ich…daaas ist eine Frau. Ich habe eine Frau abgetastet.«

Ich habe vergessen, wie oft er das Wort Scheiße sagte.

Der zweite Beamte verlagerte endlich sein Gewicht, hockte sich neben mich und fragte doch wirklich: »Sind sie eine Frau?«

Liebe Polizisten, wenn ihr einen erst einmal in die Waagerechte auf den Asphalt gelegt habt, ist es schwer mit euch ein gepflegtes Gespräch zu führen. Der Geist des Liegenden schwebt noch in der Senkrechten und versucht zu verstehen, was geschehen ist. Ich antwortete bissig: »Wollen sie auch noch mal anfassen?«

Mit Frauen scheint man zärtlicher umzugehen, denn ich durfte mich anschließend hinsetzen. Oh wie schön, während ich zum Paket geschnürt am Boden hockte, fuhr mein Kollege, mit dessen Busschlüssel ich meinen Bus hätte öffnen können, an uns vorbei. Im Laufe dieses Hick-Hacks hatte die Besatzung eines Funkwagens die Buszentrale darüber informiert, dass ein Passant die Polizei gerufen hätte, weil jemand versuchte, gewaltsam in einen Bus einzudringen. Es war also auch nicht weiter verwunderlich, dass sich plötzlich die BVG Betriebsaufsicht einfand. Diesen Kollegen kannte ich gut. Er erblickte und erkannte mich auch und bekam einen Lachanfall. Es dauerte, bevor er sich wieder fasste, und die völlig perplexen Beamten darüber aufklären konnte, dass sie die Busfahrerin gefangen genommen hatten.

Ich glaube, irgendwie lachten alle, selbst ich, nur nicht der geschockte Beamte. Für ihn war es ein völlig verkorkster Einsatz. Er nahm mir die Handschellen ab und wiederholte ständig, wie peinlich es ihm wäre, mich angefasst zu haben. Ich hatte Mitleid mit ihm, aber keine Zeit für tröstende Worte. Ich musste mich um meinen Bus kümmern, der noch immer mit verschlossenen Türen dastand. Ich hoffte, dass die Betriebsaufsicht einen passenden Busschlüssel dabeihätte. Natürlich nicht. Es wäre auch zu schön gewesen. Ich bat ihn, mich ins Busfenster zu heben, damit diese blöde Angelegenheit endlich ein Ende hätte. Es ging nicht, weil er einen Lachanfall nach dem anderen bekam. Während mein Kollege versuchte sich zu beruhigen, beobachtete ich zwei Polizeibeamte, die an der ersten Tür standen. Keine Ahnung, von welcher Allmacht der eine Polizist ausging, aber er rief: »Aufmachen, hier ist die Polizei!« Dann drückte er gegen einen Türflügel und dieser gab ohne Widerstand nach.

Darauf der Beamte: »Ich sach’s doch Frauen und Technik!«

Lächelnd sagte ich: »Hallo, das habe ich gehört.«

Der Beamte ging scherzend darauf ein und fragte: «Was haben sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?«

»Ich bin sprachlos, und sie ein Mann der Tat.«

Der Luftdruck in den Vorratsbehältern war inzwischen soweit abgesunken, dass sich die Türen problemlos öffnen ließen. Nachdem feststand, dass niemand den Bus hatte stehlen wollen und er wieder einsatzbereit war, rückte die Betriebsaufsicht ab und auch die Funkwagen entfernten sich, einer nach dem anderen. Nur der sich quälende Beamte und sein Kollege blieben. Beide verfolgten mich bis in den Bus. Jetzt aber husch, husch, Bus anschmeißen, Luft in die Vorratsbehälter pumpen für den nötigen Betriebsdruck und ab zum Hof. Feierabend! Der unglückliche Polizist fragte, ob ich mich beschweren wollte. Ich war mit meinen Gedanken woanders, daher erwiderte ich: »Äh, was soll ich machen?«

»Nicht sollen, sondern wollen.«

»Was will ich?«

»Meine Dienstnummer?«

»Nee, nee, ihre Telefonnummer reicht mir schon. Wir müssen ja nicht gleich am ersten Abend alle Geheimnisse austauschen.«

Diese Bemerkung brachte ihn noch mehr in Verlegenheit und sein Gesicht nahm die Farbe einer reifen holländischen Tomate an. Misstrauisch und unbeholfen fragte er nochmals, ob ich mich beschweren würde.

»Quatsch, was soll der Schwachsinn?«

Wieso sind Polizisten immer so voller Bedenken? Irgendwie wollte er mir nicht glauben, dass ich nichts gegen ihn unternehmen würde. Also ging das Fragespiel weiter: »Wieso nicht?«

»Wieso, was nicht?«

»Na, sich beschweren.«

Menschenskind! Ich wollte den Bus gerade mit Luft versorgen, musste ihn zusätzlich neu programmieren und packte nebenher noch meine Arbeitstasche zusammen. Und nun sollte ich mich gleichzeitig noch mit den Sorgen eines Polizisten beschäftigen. Ich bin zwar flexibel, aber das überforderte mich. Daher beschloss ich, den Beamten in meine Arbeit einzubeziehen. Er musste auf meinem Fahrersitz Platz nehmen und den Bus aufpumpen. Widerstandslos ließ er sich rumkommandieren.

Liebe Chefs, wenn Sie jetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und entsetzt rufen: »Wie bitte! Was hat sie getan? Einen Wildfremden auf ihren Fahrersitz gelassen, der dann auch noch den Bus aufgepumpt hat??«

Als Polizist wird er doch wohl nicht auf die Idee kommen, einen Bus zu klauen.

Sonst darf das natürlich niemand. Als ich ihn so für mich arbeiten ließ, hatten wir Zeit für ein kleines Gespräch. Ich versicherte ihm, dass der Einsatz für mich völlig in Ordnung gewesen war.

Etwas gewöhnungsbedürftig, das gab ich zu, aber in Ordnung. Sie könnten getrost zum Alltag übergehen. Der Eine lächelte mich an, aber der Ehrgeizige sah immer noch ein bisschen deprimiert aus. Darum versuchte ich die Situation zu entkrampfen: »Ich verspreche Ihnen hoch und heilig, ich werde mit niemandem über diesen Einsatz sprechen (Da wusste ich noch nicht, dass ich dieses Buch schreibe). Ich werde mich nicht über sie beschweren, weder schriftlich noch mündlich. Ich denke, und das ist für sie bestimmt das Wichtigste, ich werde auch nicht«, dabei zeigte ich auf seinen Ehering, »ihrer Frau mitteilen, wo ihre Hände zum Liegen kamen. Ehrenwort.«

Daraufhin entspannten sich seine Gesichtszüge schon etwas, aber ich wollte ein Lächeln sehen. Ich zog meinen letzten Joker: »Stimmt’s, deine Mutti hat auch immer zu dir gesagt, wer nicht hören will, muss fühlen?«

Da musste sogar er herzhaft lachen.

Und der Bus?

Dem fehlte gar nichts. Ein elektronisches Kuddelmuddel auf einer seiner Festplatten hatte die Fehlfunktion ausgelöst. Das ist ähnlich wie bei einem PC. Als ich die Stromzufuhr unterbrach, löste sich das Problem von selbst. Das klappt immer. Eins habe ich für mich verbucht, nie wieder werde ich einen Bus ohne Schlüssel verlassen!

BESOFFEN BUS GEFAHREN

2011.

M29 Richtung Roseneck. Um 20:45 erreichte ich die Haltestelle Potsdamer Brücke Ecke Lützowstraße. Dort stand eine Frau, die sah, während ich die Haltestelle anfuhr, ständig auf die Uhr und dann zu mir. Schuldbewusst schaute ich sofort auf mein Durchfahrtszeitendisplay. Da ich weder zu früh, noch zu spät war, konnte ich mit ihrer Geste nichts anfangen. Ich hielt akkurat vor ihren Füßen an und als ich die Tür öffnete, begrüßte sie mich mit: »Ihre Unpünktlichkeit ist der Gipfel der Frechheit. Eine Schande für diese Stadt.«

Ich war nicht unpünktlich, darum reagierte ich mit: »Hä, wie bitte?«

»Wäre es zu viel verlangt, wenn die BVG einmal pünktlich wäre? Das Einzige, was solche Leute wie Sie können, ist Streiken und die Fahrpreise erhöhen.«

Für ein weiteres: »Hä«, von mir, reichte es noch.

»Drücken sie sich gefälligst gepflegter aus, als nur dieses »Hä!?« Ich warte hier seit fünfundzwanzig Minuten auf einen Bus. Ich möchte wissen, warum die Busse immer zu spät kommen!«

Wann immer ich Luft holte, um ihr eine Antwort zu geben, fuhr sie mich an, so dass ich sprachlos blieb.

»Ich werde mich über sie und ihre Dummheit beschweren«, zeterte sie.

Es war sinnlos, sich weiter mit ihr zu beschäftigen, daher fragte ich nur kurz und knapp: »Dürfte ich weiterfahren?«

Sie blieb angriffslustig und haute mir die nächsten ungehörigen Worte um die Ohren. Erst sei ich unpünktlich, was nicht stimmte, dann dumm wie Bohnenstroh. Ich konnte auch nicht losfahren, weil die »gnädige« Frau keine Anstalten machte, sich einen Platz zu suchen. Nicht, dass sie sich beim Anfahren des Busses noch rein zufällig verletzt.

Kurz dachte ich darüber nach, die Polizei anzufordern, damit diese der Frau beim Verlassen des Busses behilflich sein könnte. Entschied mich dann dagegen, weil es zu lange gedauert hätte.

»Ich will eine Antwort. Warum sind sie zu spät?«, giftete sie.

Egal, wie meine Antwort ausgefallen wäre, diese hätte sie nie akzeptiert. Ich kannte mich mit dieser Art »Fahrgast« aus. Nichts destotrotz war ich nicht mehr gewillt, mir ihr Benehmen gefallen zu lassen. Ich brauchte schleunigst etwas, mit dem ich mich abreagieren konnte. Nur was? Und dann hatte ich so einen typischen Antje Boesler Einfall. Ich sagte ihr, sie könne mir mal den Buckel runterrutschen und ihre scheiß Rolex sei auch bloß ein Hinterstübchen-China-Imitat. Alles auf Russisch.

Nun war sie es, die mit »Hä« fragte: »Was für eine dumme Sprache sprechen sie denn?«

Als ich die minus 4 Minuten auf dem Display sah, fuhr ich dann doch, ohne ihre Frage zu beantworten, gefrustet ab. Dieses, mit Gold behangene Botox Opfer, ließ nicht locker. Den anderen Fahrgästen zugewandt fragte sie noch einmal übertrieben laut: »Aus welchem Urwaldland kommen sie eigentlich?« Spitz fügte sie hinzu: »Können die sich bei der BVG nicht mal mehr deutschsprachiges Personal leisten? Eine Schande ist das.«

Jetzt auf Englisch, weil sie ja kein Russisch verstand: »I come from Russia.«

»Wir armen Deutschen, was haben wir nur verbrochen, dass wir die auch noch durchfüttern müssen?«

Endlich! Kopfschüttelnd setzte sie sich hin. Leider wählte sie Platz eins, rechts neben dem Fahrer. Sie fauchte mich erneut an: »Dich behalte ich im Auge Fräulein.«

Wir erreichten den Wittenbergplatz und ich hatte sie schon wieder vergessen. Die Ampelanlage dort zeigte rot für den Individualverkehr an. Bin ich Individualverkehr? Mitnichten, ich bin phänomenal, darum fuhr ich, bei Rot für Individualisten, über die Kreuzung. Ich erschrecke selten, doch dieser spitze Schrei von rechts ließ mich zusammenzucken.

»Sind sie völlig irre? Es war Rot.«

»Da da.«

»Sind Sie farbenblind? Bescheuert?«

Auch an der nächsten Ampelanlage, Kurfürstendamm Ecke Uhlandstraße, durfte ich mit Sondersignal geschmeidig bei Rot über die Kreuzung fahren. Ab da verlor sie völlig die Beherrschung: »Ihr dusseligen Russen könnt nur saufen. Nicht mal Rot von Grün könnt ihr unterscheiden.«