Tarnschieber - Harald Axmann - E-Book

Tarnschieber E-Book

Harald Axmann

4,8

Beschreibung

Das alte Polizeirevier der Stadt Marbach am Neckar thront mitten in der von Touristen gerne besuchten Altstadt, in unmittelbarer Nähe von Dichter Schillers Geburtshaus. Es handelt sich um ein erhaltenswertes historisches Fachwerkhaus, das sich zu Beginn meiner Zeit beim Revier, Mitte der Siebzigerjahre, bereits bergabwärts, zur nördlichen Stadtmauer hin, neigte. Das Gebäude hatte durch die vielen kuriosen Vorfälle, die sich in ihm ereigneten, bestimmt allen Grund dazu.

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Inhalt

Die 1970er-JahreAltes Polizeirevier MarbachSprengstoffdrohungFlucht aus dem RevierObjektschutz SpäthBrandunfall HöpfigheimObjektschutz SchleyerDie 1980er-JahreTrunkenheitsfahrt ErdmannhausenTodesfall AffalterbachHammermörderDie 1990er-JahreNeues PolizeirevierTaxiunternehmerDienstunfallFahren ohne FahrerlaubnisFlucht aus der ZelleStadtstreicherDie 2000er-JahreJahreswechsel 2000Besuch vom RedakteurDreister EinbruchVermisster bei SteinheimVermisster bei GroßbottwarVier TresorräuberTödlicher VerkehrsunfallAMOK WinnendenAlkoholikerDer AutorProminenter Besuch bei der Dienstgruppe Berta

Die 1970er-Jahre

Altes Polizeirevier Marbach

Das alte Polizeirevier der Stadt Marbach am Neckar thront mitten in der von Touristen gerne besuchten Altstadt, in unmittelbarer Nähe von Dichter Schillers Geburtshaus.

Es handelt sich um ein erhaltenswertes historisches Fachwerkhaus, das sich zu Beginn meiner Zeit beim Revier, Mitte der Siebzigerjahre, bereits bergabwärts, zur nördlichen Stadtmauer hin, neigte. Das Gebäude hatte durch die vielen kuriosen Vorfälle, die sich in ihm ereigneten, bestimmt allen Grund dazu.

Die Wache, der Streifendienst, befand sich im ersten Stockwerk. Im Erdgeschoss waren die Arrestzellen und sanitäre Einrichtungen. Im Obergeschoss waren der Tagesdienst, Geschäftszimmer und der Revierführer untergebracht. Um zu den oberen Stockwerken zu gelangen, musste man in einem dunklen Gang eine steile Steintreppe überwinden.

Direkt unterhalb des Reviergebäudes, gegenüber dem Schillerhaus, befand sich die Bäckerei Krumrey. Dort wohnte ich mit herzlichem Anschluss an die Familie sieben Jahre lang.

In der verwahrlosten kleinen Hausruine direkt oberhalb wohnte das Marbacher Urgestein Elfriede Gundel. Sie sprach mich öfter, meist leicht alkoholisiert, an und erzählte mir, nur mit einem Zahn im Mund, im breitesten Schwäbisch, von ihren Nöten.

Nach dem Abendessen bei Familie Krumrey war ich auf dem Weg zum Nachtdienst. Auf dem schmalen Weg, umrahmt von den uralten Häusern, den Wilder-Mann-Brunnen im Blick, kam mir der Nikitscher Franz mit seinem Zweitakt-Agria-Gespann entgegen. Ein kurzer freundlicher Gruß. Er kam von der Weinlese.

Gerade zeigte sich ein herrlicher Sonnenuntergang über der verlegen geröteten Altstadt.

Elfriede stand in der Kittelschürze grinsend an ihrem Treppenaufgang und rief mir zu: »Des isch a Obendröte, gell!«

Das konnte ich nur bestätigen. Ich lief aber gleich weiter. Mein Dienst begann!

Marbacher Polizeirevier

Franz vor Elfriedes Haus

Sprengstoffdrohung

Obermeister Günter Stey waren seine texanischen Wurzeln schon anhand seiner Erscheinung und Verhaltensweisen her anzusehen. Er trug einen schmalen ausrasierten Oberlippenbart und verhielt sich ständig auffallend unaufgeregt, lässig wie ein Texas Ranger. Wenn er mit den damals noch zahlreich vorhandenen US-Soldaten, Militärpolizisten oder amerikanischen Unfallbeteiligten sprach, konnte ich wegen seiner singenden Aussprache nur wenig verstehen.

Er war in meiner Dienstgruppe, dreiundzwanzig Jahre älter als ich. Die meisten Kollegen nannten ihn »Sergeant Ellis« .

»Wenn ihr iber mein Hof laufet, schieß i euch ab und spreng danach des Haus en’ d Luft!«

Nach ein paar Wochen im Streifendienst saß ich nachmittags am Funktisch und nahm diese Mitteilung am Notruftelefon entgegen. Der männliche Anrufer mittleren Alters klang verzweifelt und entschlossen. Er nannte seine Adresse in Marbach und seinen Namen, Frank L.

Eine Streife von unserem Revier hatte bereits einen anderen dringenden Auftrag. Der Sergeant meinte, dass wir ja mal hinfahren könnten.

Jetzt meldete sich der Rettungsdienst Marbach. Dort hatte Frank L. Ähnliches mitgeteilt. Sie schickten auch ein Fahrzeug. Der Bombendroher sei ein dort bekannter Sanitäter.

Als Günter und ich am Zweifamilienhaus eintrafen, hatten sich die drei Marbacher Sanitäter-Legenden, K. Fund, E. Graf und Beckbissinger, bereits mit dem Sanka in ausreichender Entfernung in Deckung gebracht. Ich stellte den Streifenwagen in einer Nebenstraße ab.

Zunächst lauschten wir, ob sich im Haus etwas tut. Absolut nichts zu hören!

K. Fund, ein schon damals erfahrener DRK-Rettungsdienstler, meinte, dass man die im Obergeschoss wohnenden Leute herausholen müsse, bevor der Mann sich zu einer Sprengung entschließen sollte.

Auf dem Weg zum Hauseingang hatte man kaum Deckung. Es gab nur einen niederen Holzscherenzaun. Wir liefen gebückt rasch am Zaun entlang und die Treppe zum Hauseingang hoch. Dort war die Tür zum Treppenhaus angelehnt.

Stille!

Ich stieß die Tür vorsichtig auf. So konnten wir zur oberen Wohnung gelangen und das dort wohnende junge Pärchen unauffällig aus dem Haus bringen. Sie konnten den dortigen Garten über einen zweiten Ausgang verlassen.

Jetzt stand ich als Erster neben der Wohnungstür im Erdgeschoss, eine bei Altbauten übliche Holztür mit einer Milchglas-Fensterscheibe, an der Klingel der richtige Name. Hinter mir warteten die drei Sanitäter. Sergeant Ellis bildete die Nachhut des kleinen Trosses, sicherte uns nach hinten ab!

Ich entschloss mich spontan, die Glasscheibe mit dem Fuß komplett auszutreten, und hatte dabei schon die Walther-P5-Polizeipistole in der Hand. Kurz zuvor kam mir noch der Gedanke, dass eine Unterstützungsstreife nötig gewesen wäre.

Jetzt war es dafür schon zu spät. Mein Herz schlug mir bis zum Hals.

Immer noch Stille, als das Glas ausgetreten war!

Schutzwesten, ballistische Helme und dergleichen waren damals noch nicht vorgesehen.

In der Wohnung war es sehr düster. Man konnte jedoch erkennen, dass mehrere medizinische Spritzen, Verbandsmaterial und andere Utensilien auf dem Boden verstreut lagen. Eine Blutspur zog sich durch den Flur und bog weiter vorne nach rechts ab, wo auch ein großer Arztkoffer stand, fast ausgeräumt. Am Koffer angelangt blickte ich in das rechts befindliche Badezimmer. Die Tür war offen. In der Wanne lag der leblose nackte Frank L. im blutrot gefärbten Wasser! Ein in eine Steckdose eingestecktes Kabel führte in die halb gefüllte Wanne.

Ich steckte die Pistole weg und zog erst mal das Kabel raus. Der Mann hatte sich zudem die Pulsadern geritzt. Die Sanitäter konnten ihn erfolgreich reanimieren!

Wir verständigten über die Einsatzzentrale die Kollegen der Kriminalpolizei. Sprengstoff und Waffen wurden nach einer Durchsuchung der Räumlichkeiten nicht aufgefunden.

Wie ich erfuhr, hatte Frank L. schwere Depressionen nach der Trennung von seiner Frau.

Nach dem Vorfall wurde er in den Bodenseeraum versetzt. Dort hat er während seiner Dienstzeit bestimmt Menschen aus ähnlichen Situationen gerettet.

Heute wäre das polizeiliche Vorgehen bei einem solchen Fall anders abgelaufen. Nur eine Streife vor Ort bei einer Bombendrohung, kaum vorstellbar!

Flucht aus dem Revier

Am Dorfplatz Murr fiel dem Sergeanten und mir am frühen Morgen, drei Uhr, ein desolater Ford Taunus 15 m auf. Es war kalt und regnete leicht. Am ausparkenden Fahrzeug heulte der Motor laut auf. Der Auspuff hing herunter, Rost fraß das Blech auf.

Ich klopfte gegen die Fahrertür.

Richard O., ein korpulenter älterer Mann in Arbeitskleidung, kurbelte die Seitenscheibe einen Spalt nach unten. Das reichte schon, um von einer Alkoholfahne umgeben zu sein. Jetzt wusste ich, warum er Schwierigkeiten beim Ausparken hatte.

Ich sagte: »Polizei Marbach, Guten Morgen, Fahrzeugkontrolle, bitte machen Sie den Motor aus!« Mit der Taschenlampe leuchtete ich ins Auto. Plötzlich unterbrach ich meine Bewegung.

Ich erkannte eine Schusswaffe, die neben der Handbremse abgelegt war, und sprach den Mann an: »Lassen Sie die Hände am Lenkrad!«

Günter öffnete die Beifahrertür und nahm die Waffe an sich. Es handelte sich um eine aufgebohrte Kleinkaliberpistole, jetzt mit Kaliber-7,65-mm-Munition bestückt. Das Ding wurde sichergestellt.

Dann stieg er nach Aufforderung widerwillig und behäbig aus dem Fahrzeug, murmelte etwas in sich hinein. Er wurde nach eventuellen weiteren Waffen durchsucht. Ich verschloss sein Auto und steckte die Schlüssel ein. Wir ließen ihn in den dunkelgrünen VW Variant einsteigen, fuhren zur Dienststelle.

Ein Atemalkoholtest mit dem damaligen Prüfröhrchen verlief positiv. Es verfärbte sich vollständig von Gelb auf Grün.

Günter wollte den Fall bearbeiten, in einem seltenen Anflug von Arbeitseifer.

Auf der Wache verhielt sich Richard O. einigermaßen einsichtig. Sein Sohn habe ihn eigentlich von der Kneipe abholen wollen. Der sei aber verhindert gewesen. Die Fahrstrecke nach Hause wäre ja eigentlich nicht weit gewesen, meinte er. Die Waffe hätte angeblich ein Freund von ihm aus dem Schützenverein, dessen Namen er nicht angeben wolle, verändert.

Ich saß im Funkraum nebenan am Fernschreiber, wickelte die Lochstreifen der Tagesmeldungen von den Polizeiposten mit zwei gespreizten Fingern auf.

Sergeant Stey rief: »Wo sind jetzt die Venülen?« Er hatte beim betrunkenen Fahrer eine Blutentnahme angeordnet und wollte diese bei einem Arzt im Krankenhaus durchführen lassen.

Gerade als ich antworten wollte, hörte ich im Erdgeschoss die Eingangstür ins Schloss fallen. Jetzt bemerkte ich, dass Richard O. nicht mehr auf seinem Stuhl im Wachraum saß. Günter war im Nebenraum. Die Verbindungstür war geöffnet. Dass sein Delinquent weg war, bemerkte er noch gar nicht.

Ich rief: »Der ist abgehauen!« , und rannte die steile Steintreppe zum Ausgang hinunter. Sobald ich die schwere Tür geöffnet hatte, empfing mich Dunkelheit und starker Nebel hüllte mich ein. Ich rannte alleine an Schillers Geburtshaus vorbei, die Niklastorstraße bergabwärts, danach durch die mittlere und obere Holdergasse.

Der korpulente Mann war vom Nebel verschluckt!

Richard O. wurde wegen der Trunkenheitsfahrt und wegen des Vergehens nach dem Waffengesetz vom Amtsgericht verurteilt. Die von uns detailliert geschilderten »Beobachtungen zur Trunkenheitsbestimmung« wurden anerkannt, reichten auch ohne Blutprobe aus.

Über vier Jahre später, am 11. Juli 1982, befand ich mich beim Personen-und Objektschutz beim ehemaligen Ministerpräsidenten Lothar Späth in der Nähe von dessen Wohnhaus auf einem Fußweg. Gerade fand das Fußballweltmeisterschaftsendspiel Deutschland gegen Italien statt. Mein begleitender Kollege vom Polizeirevier Bietigheim hatte ein Transistorradio dabei, um das Spiel zu verfolgen.

In der Halbzeit lehnte er an einem großen Mülleimer und meinte: »Zu eurem Revier fällt mir auch noch was ein!«

Ein Mitglied von seinem Schützenverein, der Richard O., habe ihm mal erzählt, wie er vor einer bei ihm durchzuführenden Blutentnahme aus dem Revier geflüchtet sei. Die Beamten habe er ausgetrickst, weil er sich in dem vor dem Haupteingang stehenden großen Kunststoffmülleimer versteckt habe. Erst als alles wieder ruhig war, sei er ausgestiegen und nach Hause gelaufen!

Nach dieser Zeit fand ich das Ganze eigentlich nur noch lustig.

Geärgert hat mich nur, dass Deutschland das Endspiel verlor …

Objektschutz Späth

Am Heiligabend 1982 stand ich mit einem Kollegen vom Polizeirevier Kornwestheim wieder mal am Wohnhaus des Landesvaters Lothar Späth in der Kälte. Wir waren zuvor schon einige Zeit in der Nähe auf Fußstreife unterwegs gewesen. Mein Kollege nahm am »Kamel-Hocker« (orientalische Sitzgelegenheit mit zwei Höckern) am Haupteingang Platz.

Mir taten so langsam auch die Füße weh. Zur Ablö