Tarzan – Band 1 - Edgar Rice Burroughs - E-Book

Tarzan – Band 1 E-Book

Edgar Rice Burroughs

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Beschreibung

Tarzan und wie weiße Frau ("Tarzan of the Apes", 1912) ist ein Roman des amerikanischen Schriftstellers Edgar Rice Burroughs. Dieser Band ist der erste in einer Reihe über die Titelfigur Tarzan. Es wurde zum ersten Mal im Pulp-Magazin "The All-Story" im Oktober 1912 veröffentlicht, bevor es 1914 als Buch erschien. Die Figur war so beliebt, dass Burroughs die Serie bis in die 1940er Jahre um zwei Dutzend Fortsetzungen erweiterte. Die Geschichte folgt Tarzans Abenteuern, von seiner Kindheit, als er von Affen im Dschungel aufgezogen wird, bis hin zu seinen späteren Begegnungen mit anderen Menschen und der westlichen Gesellschaft. Die Orthografie wurde der heutigen Schreibweise behutsam angeglichen. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 399

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Edgar Rice Burroughs

Tarzan

Band 1 – Tarzan und die weiße Frau

Edgar Rice Burroughs

Tarzan

Band 1 – Tarzan und die weiße Frau

(Tarzan of the Apes)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Tony Kellen, J. Schulze EV: Dieck & Co., Stuttgart, o. J. (273 S.) 2. Auflage, ISBN 978-3-962817-93-0

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Hin­aus auf die See

Das Heim in der Wild­nis

Le­ben und Tod

Die Af­fen

Der wei­ße Affe

Dschun­gel­kämp­fe

Das Licht der Er­kennt­nis

Der Baum­jä­ger

Mensch und Mensch

Ge­heim­nis­vol­le Er­eig­nis­se

Kö­nig der Af­fen

Der mensch­li­che Ver­stand

Von sei­ner Art

Die Schre­cken des Dschun­gels

Der Wald­gott

»Sehr merk­wür­dig«

Be­gräb­nis

Die Ent­füh­rung im Dschun­gel

Die Stim­me der Na­tur

In der Ge­walt des Wald­men­schen

In den Hän­den der Kan­ni­ba­len

Auf der Su­che nach d’Ar­not

Mit­menschen

Der ver­schwun­de­ne Schatz

Der Vor­pos­ten der Kul­tur

Auf der Höhe der Zi­vi­li­sa­ti­on

Wie­der der Rie­se

Zwi­schen drei Frei­ern

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

Tar­zan bei Null Pa­pier

Tar­zan – Band 1 – Tar­zan und die wei­ße Frau

Tar­zan – Band 2 – Tar­zans Rück­kehr

Tar­zan – Band 3 – Tar­zans Tie­re

Tar­zan – Band 4 – Tar­zans Sohn

Tar­zan – Band 5 – Der Schatz von Opar

Tar­zan – Band 6 – Tar­zans Dschun­gel­ge­schich­ten

Hinaus auf die See

Die­se Ge­schich­te habe ich von je­mand, der kei­nen be­son­de­ren Grund hat­te, sie mir oder ei­nem an­de­ren zu er­zäh­len. Ich dach­te an­fäng­lich, der Er­zäh­ler sei in ei­ner an­ge­hei­ter­ten Stim­mung, und ich konn­te auch die fol­gen­den Tage nicht recht an die Ge­schich­te glau­ben.

Als mein freund­li­cher Gast­ge­ber merk­te, dass sei­ne Er­zäh­lung Zwei­fel in mir er­reg­te, leg­te er mir als schrift­li­chen Be­weis da­für ein muf­fi­ges Ma­nu­skript und tro­ckene amt­li­che Be­rich­te des bri­ti­schen Ko­lo­ni­al­am­tes vor, um mir eine Rei­he der her­vor­ste­chends­ten Tat­sa­chen der merk­wür­di­gen Er­zäh­lung zu be­le­gen.

Ich be­haup­te nicht, dass die Ge­schich­te wahr ist, denn ich war nicht Zeu­ge der dar­in ge­schil­der­ten Er­eig­nis­se, aber ich glau­be, be­stimmt, dass sie wahr sein kann, und des­halb habe ich den dar­in be­tei­lig­ten Per­so­nen an­de­re Na­men ge­ge­ben.

Die gel­ben Blät­ter des Ta­ge­buchs ei­nes längst ver­stor­be­nen Man­nes und die Be­rich­te des Ko­lo­ni­al­am­tes stim­men ge­nau über­ein mit der Er­zäh­lung mei­nes Gast­ge­bers, und so un­ter­brei­te ich dem Le­ser die Ge­schich­te, wie ich sie mit­hil­fe der an­ge­ge­be­nen Do­ku­men­te mit großer Mühe aus­ge­ar­bei­tet habe. Soll­te man sie nicht glaub­wür­dig fin­den, so wird man doch je­den­falls mit mir dar­in über­ein­stim­men, dass es ein ganz ein­zig­ar­ti­ger, be­mer­kens­wer­ter und in­ter­essan­ter Fall ist. Aus den Be­rich­ten des Ko­lo­ni­al­am­tes und aus dem Ta­ge­buch des Ver­stor­be­nen er­fah­ren wir, dass ein jun­ger vor­neh­mer Eng­län­der, den wir John Clay­ton, Lord Grey­sto­ke, nen­nen wol­len, be­auf­tragt wur­de, eine be­son­ders vor­sich­ti­ge Un­ter­su­chung über die Ver­hält­nis­se an­zu­stel­len, un­ter de­nen in ei­ner bri­ti­schen Ko­lo­nie der West­küs­te Afri­kas Ein­ge­bo­re­ne von ei­ner an­de­ren eu­ro­päi­schen Macht als Sol­da­ten für ihre Ein­ge­bo­re­nen­ar­mee an­ge­wor­ben wur­den, die le­dig­lich zur zwangs­wei­sen Bei­trei­bung von Gum­mi und El­fen­bein bei den wil­den Stäm­men am Kon­go und Aru­wi­mi1 be­nützt wur­den.

Die Ein­ge­bo­re­nen der bri­ti­schen Ko­lo­nie be­klag­ten sich dar­über, dass man­che ih­rer jün­ge­ren Leu­te durch die schöns­ten Ver­spre­chun­gen weg­ge­lockt wur­den, dass aber nur we­ni­ge zu ih­ren Fa­mi­li­en zu­rück­kehr­ten.

Die Eng­län­der in Afri­ka gin­gen noch wei­ter, in­dem sie be­haup­te­ten, die­se ar­men Schwar­zen wür­den ge­wis­ser­ma­ßen in Skla­ve­rei ge­hal­ten, denn bei Ablauf ih­rer Ver­pflich­tungs­zeit wür­de ihre Dumm­heit von den wei­ßen Of­fi­zie­ren aus­genützt und es wür­de ih­nen ge­sagt, sie müss­ten noch ei­ni­ge Jah­re die­nen. Aus die­sem Grun­de sand­te das Ko­lo­ni­al­amt John Clay­ton auf einen neu­en Pos­ten nach Bri­tisch-West-Afri­ka. Es gab ihm den ver­trau­li­chen Auf­trag, eine gründ­li­che Un­ter­su­chung über die il­loya­le Be­hand­lung schwar­zer bri­ti­scher Un­ter­ta­nen sei­tens der Of­fi­zie­re ei­ner be­freun­de­ten eu­ro­päi­schen Macht an­zu­stel­len. Die Ver­an­las­sung zu sei­ner Mis­si­on ist aber für die­se Er­zäh­lung von ge­rin­ger Be­deu­tung, denn Clay­ton stell­te kei­ne Un­ter­su­chung an und in Wirk­lich­keit er­reich­te er nicht ein­mal sei­nen Be­stim­mungs­ort.

Clay­ton war das Ur­bild ei­nes tap­fe­ren Eng­län­ders, wie wir uns es nach den Hel­den­leis­tun­gen in vie­len sieg­rei­chen Schlach­ten vor­stel­len, ein tüch­ti­ger Mann in geis­ti­ger, mo­ra­li­scher und kör­per­li­cher Hin­sicht.

Er war von et­was mehr als mitt­ler­er Grö­ße. Sei­ne Au­gen wa­ren grau, sei­ne Züge re­gel­mä­ßig und ener­gisch. Sei­ne Hal­tung war die ei­nes star­ken, ge­sun­den Man­nes, den der Mi­li­tär­dienst noch ge­stählt hat­te.

Aus po­li­ti­schem Ehr­geiz hat­te er einen Über­tritt vom Hee­res­dienst zum Ko­lo­ni­al­amt an­ge­strebt, und so fin­den wir ihn in noch ju­gend­li­chem Al­ter mit ei­nem wich­ti­gen Auf­trag im Diens­te der Kö­ni­gin be­traut.

Die­se Be­ru­fung er­füll­te ihn zwar mit Stolz, aber er war doch auch dar­über er­schro­cken. Die Be­för­de­rung er­schi­en ihm als ein wohl­ver­dien­ter Lohn für sei­ne aus­dau­ern­den, um­sich­ti­gen Diens­te und als eine Etap­pe zu ei­nem be­deu­ten­de­ren und ver­ant­wor­tungs­vol­le­ren Pos­ten, aber an­de­rer­seits hat­te er erst vor drei Mo­na­ten Ali­ce Ru­ther­ford ge­hei­ra­tet, und er war ent­setzt bei dem Ge­dan­ken, sei­ne jun­ge Frau den Ge­fah­ren und der Ein­sam­keit des tro­pi­schen Afri­ka aus­zu­set­zen. Ihr zu­lie­be hät­te er den Auf­trag ab­leh­nen mö­gen, aber sie woll­te das nicht. Sie drang so­gar in ihn, dass er ihn an­neh­men möch­te, und er­klär­te sich be­reit, mit ihm zu ge­hen. Da wa­ren zwar die Müt­ter und die Brü­der und die Schwes­tern, die Tan­ten und Vet­tern, die al­ler­lei An­sich­ten dar­über kund­ga­ben, aber die Ge­schich­te be­rich­tet uns die­se ver­schie­de­nen Mei­nun­gen nicht.

Wir wis­sen nur, dass an ei­nem freund­li­chen Mai­mor­gen des Jah­res 1888 Lord Grey­sto­ke und Frau Ali­ce von Do­ver nach Afri­ka ab­se­gel­ten.

Ei­nen Mo­nat spä­ter ka­men sie in Free­town an, wo sie ein klei­nes Se­gel­schiff, die »Fu­wal­da«, mie­te­ten, um nach ih­rem Be­stim­mungs­ort zu ge­lan­gen.

Von je­ner Zeit an war aber Lord John Grey­sto­ke mit sei­ner Frau Ali­ce völ­lig ver­schol­len. Kein Mensch hat sie mehr ge­se­hen, noch et­was von ih­nen ge­hört.

Zwei Mo­na­te, nach­dem sie den Ha­fen von Free­town ver­las­sen hat­ten, durch­such­ten sechs eng­li­sche Kriegs­schif­fe den sü­d­at­lan­ti­schen Ozean, um eine Spur von ih­nen oder ih­rem klei­nen Schiff zu fin­den, und bald dar­auf ent­deck­ten sie die Trüm­mer des Seg­lers an der Fel­sen­küs­te von St. He­le­na. So war die Welt über­zeugt, dass die »Fu­wal­da« mit Mann und Maus un­ter­ge­gan­gen war, und die Nach­for­schung nach den Ver­miss­ten wur­de ein­ge­stellt, nach­dem sie noch kaum be­gon­nen hat­te. In den sehn­süch­ti­gen Her­zen der An­ge­hö­ri­gen leb­te zwar noch man­ches Jahr die Hoff­nung fort, bis sie all­mäh­lich er­losch.

Die »Fu­wal­da«, ein Fahr­zeug von etwa hun­dert Ton­nen, war ein Schiff von der Gat­tung, die man im Küs­ten­han­del des fer­nen sü­d­at­lan­ti­schen Ozeans oft sieht und de­ren Mann­schaft aus dem Ab­schaum der See, un­ge­häng­ten Mör­dern und Räu­bern al­ler Ras­sen und Na­tio­nen, be­steht.

Die Of­fi­zie­re der »Fu­wal­da« wa­ren ge­bräun­te Ei­sen­fres­ser, die die Mann­schaft hass­ten, so wie sie von die­ser ge­hasst wur­den. Der Ka­pi­tän war zwar ein tüch­ti­ger See­mann, aber bru­tal ge­gen sei­ne Leu­te. In sei­nem Ver­kehr mit ih­nen kann­te er nur zwei Ar­gu­men­te, wenn er sie auch erst in letz­ter Li­nie be­nütz­te, den Knüp­pel und den Re­vol­ver, und es ist auch nicht wahr­schein­lich, dass das bun­te Ge­misch, das er an­ge­wor­ben hat­te, ir­gen­det­was an­de­res ver­stan­den hät­te.

So ge­sch­ah es denn, dass schon am zwei­ten Tage nach der Ab­fahrt von Free­town John Clay­ton und sei­ne jun­ge Frau auf dem Deck der »Fu­wal­da« Zeu­gen von Sze­nen wur­den, wie sie nie ge­glaubt hät­ten, dass sie an­ders als auf den bun­ten Ti­tel­bil­dern von See­ge­schich­ten vor­kämen.

Es war am Mor­gen des zwei­ten Ta­ges, wo das ers­te Glied ei­ner Ket­te ent­stand, die das Le­ben ei­nes da­mals noch Un­ge­bo­re­nen so um­stri­cken soll­te, wie es viel­leicht noch nie dem Le­ben ei­nes Men­schen ge­sche­hen ist.

Zwei Ma­tro­sen wa­ren be­schäf­tigt, das Deck der »Fu­wal­da« zu wa­schen. Der ers­te Steu­er­mann war auf sei­nem Pos­ten, und der Ka­pi­tän hat­te sich eben mit John Clay­ton und Frau Ali­ce un­ter­hal­ten.

Die Ma­tro­sen wa­ren hin­ter ih­nen an der Ar­beit. Sie ka­men im­mer nä­her, bis der eine von ih­nen di­rekt hin­ter dem Ka­pi­tän war. In ei­nem an­de­ren Au­gen­blick wäre er ohne Wei­te­res vor­über­ge­gan­gen, und dann wäre die­se gan­ze au­ßer­or­dent­li­che Ge­schich­te nicht pas­siert.

Aber ge­ra­de als der Of­fi­zier sich um­dreh­te, um Lord und Lady Grey­sto­ke zu ver­las­sen, stol­per­te er über den Ma­tro­sen und fiel in sei­ner gan­zen Län­ge auf das Deck, wo­bei er den Ei­mer um­stürz­te, so­dass er von dem schmut­zi­gen In­halt über­gos­sen wur­de.

Im ers­ten Au­gen­blick er­schi­en die Sze­ne zum La­chen, aber auch nur für einen Au­gen­blick. Mit ei­ner Sal­ve schreck­li­cher Flü­che, das Ge­sicht rot vor Wut, stand der Ka­pi­tän wie­der auf, und mit ei­nem fürch­ter­li­chen Hieb schlug er den Ma­tro­sen nie­der.

Es war ein schmäch­ti­ger, schon äl­te­rer Mann, so­dass die Bru­ta­li­tät nur noch mehr her­vor­trat. Der an­de­re See­mann aber war be­deu­tend jün­ger und stär­ker, ein rich­ti­ger Bär, mit stol­zem schwar­zem Schnurr­bart und stier­nackig.

Als er sah, dass sein Ka­me­rad dalag, bück­te er sich, sprang mit ei­nem lei­sen Knur­ren auf den Ka­pi­tän los, und schlug ihn mit ei­nem ein­zi­gen mäch­ti­gen Schlag auf die Knie nie­der.

Das Ge­sicht des Of­fi­ziers, das bis da­hin rot ge­we­sen war, wur­de jetzt weiß, denn das war of­fe­ne Meu­te­rei und Meu­te­rei hat­te er schon frü­her in sei­nem bru­ta­len Ker­ker un­ter­drückt. Ohne zu war­ten, bis er wie­der auf­ste­hen konn­te, zog er sei­nen Re­vol­ver aus der Ta­sche und rich­te­te ihn aus den mus­ku­lö­sen Rie­sen, der vor ihm auf­rag­te, aber im sel­ben Au­gen­blick, da Lord Grey­sto­ke die Waf­fe auf­leuch­ten sah, schlug die­ser sie zu Bo­den, so­dass die Ku­gel, die dem Her­zen des Ma­tro­sen zu­ge­dacht war, ihn nur ins Bein traf.

Es ent­stand ein Wort­wech­sel zwi­schen Clay­ton und dem Ka­pi­tän. Der Lord er­klär­te ihm näm­lich, er sei ent­rüs­tet über die Grau­sam­keit ge­gen die Mann­schaft und er wol­le nicht dul­den, dass sich je wie­der et­was Der­ar­ti­ges er­eig­ne, so­lan­ge er und sei­ne Frau als Pas­sa­gie­re aus dem Schiff sei­en.

Der Ka­pi­tän war auf dem Punk­te, ihm hef­tig zu er­wi­dern, aber er fühl­te, es sei bes­ser, das nicht zu tun, und so wand­te er sich mit fins­te­ren Bli­cken um und ging da­von.

Er hielt es doch für klü­ger, einen eng­li­schen Be­am­ten nicht zu rei­zen, denn die mäch­ti­ge Kö­ni­gin hat­te ein Straf­werk­zeug zur Ver­fü­gung, das er kann­te und fürch­te­te: Eng­lands weit­rei­chen­de Flot­te.

Die bei­den Ma­tro­sen stan­den auf, in­dem der alte Mann dem ver­wun­de­ten Ka­me­ra­den be­hilf­lich war. Der star­ke Kerl, der un­ter der Mann­schaft als der schwar­ze Mi­chel be­kannt war, prüf­te sein Bein be­däch­tig und als er fand, dass es sein Ge­wicht noch tra­gen konn­te, wand­te er sich Clay­ton zu, in­dem er ihm mit kur­z­en Wor­ten dank­te.

War auch der Ton des Man­nes mür­risch, so wa­ren sei­ne, Wor­te doch of­fen­bar gut ge­meint. Kaum hat­te er sei­ne An­spra­che vollen­det, so hat­te er sich schon um­ge­dreht und war im Ma­tro­sen­lo­gis ver­schwun­den, in der of­fen­ba­ren Ab­sicht, jede wei­te­re Un­ter­re­dung zu ver­mei­den.

Der Lord und sei­ne Frau sa­hen ihn ei­ni­ge Tage lang nicht mehr, und auch der Ka­pi­tän wür­dig­te sie nur ei­nes mür­ri­schen Brum­mens, wenn er ge­zwun­gen war, mit ih­nen zu spre­chen. Sie speis­ten ge­mein­sam in sei­ner Ka­jü­te,2 wie sie es vor dem un­glück­li­chen Vor­fall ta­ten, aber der Ka­pi­tän sorg­te da­für, dass sei­ne Pf­lich­ten es ihm nie­mals er­laub­ten, zu glei­cher Zeit mit ih­nen zu es­sen.

Die an­de­ren Of­fi­zie­re wa­ren der­be un­ge­bil­de­te Ker­le und nur zu froh, ge­sell­schaft­li­chen Ver­kehr mit dem fei­nen eng­li­schen Edel­mann und sei­ner Gat­tin zu mei­den, so­dass die Clay­tons sehr viel sich selbst über­las­sen wa­ren.

An und für sich ent­sprach dies ih­ren Wün­schen voll­kom­men, aber da­durch wa­ren sie auch von dem Le­ben und Trei­ben auf dem klei­nen Schiff ab­ge­son­dert und nicht im­stan­de, in Füh­lung mit den täg­li­chen Vor­komm­nis­sen zu blei­ben, die schon so bald in ei­ner blu­ti­gen Tra­gö­die en­di­gen soll­ten.

In der gan­zen At­mo­sphä­re des Schif­fes lag ein un­be­stimm­tes Et­was, das Un­heil ver­kün­de­te.

Äu­ßer­lich ging auf dem klei­nen Fahr­zeug al­les, so­weit die Clay­tons es sa­hen, sei­nen ge­wohn­ten Gang, aber dass sie ei­ner un­be­kann­ten Ge­fahr ent­ge­gen­gin­gen, fühl­ten bei­de, ob­schon sie sich ge­gen­sei­tig nicht dar­über aus­spra­chen.

Am zwei­ten Tag, nach­dem der schwar­ze Mi­chel ver­wun­det wor­den war, kam Clay­ton ge­ra­de recht­zei­tig auf das Deck, um zu se­hen, wie der schlaf­fe Kör­per ei­nes Ma­tro­sen von vier Ka­me­ra­den hin­un­ter­ge­bracht wur­de, wäh­rend der ers­te Steu­er­mann, einen schwe­ren Knüp­pel in der Hand hal­tend, der klei­nen Grup­pe trot­zi­ger Ma­tro­sen nachsah.

Clay­ton stell­te kei­ne Fra­ge — er hat­te es auch nicht nö­tig —, aber als am fol­gen­den Tage der große Um­riss ei­nes eng­li­schen Schlacht­schif­fes am fer­nen Ho­ri­zont auf­tauch­te, war er halb ent­schlos­sen, zu ver­lan­gen, dass er und sei­ne Gat­tin an des­sen Bord über­ge­setzt wür­den, denn sei­ne Be­fürch­tung, dass ih­nen bei ih­rem Ver­blei­ben auf der düs­te­ren »Fu­wal­da« noch et­was Übles zu­sto­ßen könn­te, wuchs stän­dig.

Ge­gen Mit­tag ka­men sie in Sicht­wei­te des bri­ti­schen Schif­fes, aber wenn Clay­ton auch na­he­zu ent­schlos­sen war, den Ka­pi­tän zu bit­ten, sie über­set­zen zu las­sen, so wur­de ihm jetzt das au­gen­schein­lich Lä­cher­li­che ei­nes sol­chen Er­su­chens plötz­lich klar. Wel­chen Grund soll­te er dem be­feh­len­den Of­fi­zier von Ih­rer Ma­je­stät Schiff an­ge­ben, um in der Rich­tung zu­rück­zu­fah­ren, aus der er so­eben ge­kom­men war?

Wahr­haf­tig, wenn er den Of­fi­zie­ren er­zählt hät­te, dass zwei wi­der­spens­ti­ge Ma­tro­sen rau be­han­delt wor­den sei­en, so hät­ten sie nur heim­lich über ihn ge­lacht und ihn der Feig­heit be­zich­tigt, wenn er das klei­ne Schiff nur aus die­sem Grun­de ver­las­sen hät­te.

So ver­zich­te­te Lord Grey­sto­ke dar­auf, an Bord des bri­ti­schen Kriegs­schiffs ge­bracht zu wer­den; aber am spä­ten Nach­mit­tag, noch be­vor die Mast­spit­zen des Kriegs­schif­fes am fer­nen Ho­ri­zont ganz ver­schwun­den wa­ren, fand er sei­ne größ­ten Be­fürch­tun­gen be­stä­tigt, und er ver­wünsch­te nun sei­nen falschen Stolz, der ihn ei­ni­ge Stun­den vor­her da­von ab­ge­hal­ten hat­te, sein jun­ges Weib in Si­cher­heit zu brin­gen, als sich ihm die­se Ret­tung bot — eine Ret­tung, die nun für im­mer vor­bei war.

Es war am Nach­mit­tag, als der klei­ne alte Mann, der vor ei­ni­gen Ta­gen so un­mensch­lich von dem Ka­pi­tän nie­der­ge­schla­gen wor­den war, sich an Clay­ton und sei­ne Frau, die dem ent­schwin­den­den Schlacht­schiff nachsa­hen, her­an­sch­lich. Der Alte po­lier­te Mes­sing­stan­gen, und als er nä­her an Clay­ton her­an­kam, sag­te er in flüs­tern­dem Tone:

Er wird’s be­zah­len, Herr! Das glau­ben Sie mir aufs Wort. Er wird’s be­zah­len!

Was mei­nen Sie, mein Bes­ter? frag­te Clay­ton.

Wie? Ha­ben Sie nicht ge­se­hen, was hier vor­geht? Die­ser Teu­fels-Ka­pi­tän! Ges­tern zwei zer­schla­ge­ne Köp­fe und heu­te drei. Der vom schwar­zen Mi­chel ist wie­der so gut wie neu, und er ist nicht der Kerl, der sich das ge­fal­len lässt, er nicht, mein Wort dar­auf!

Sie mei­nen, lie­ber Mann, dass die Mann­schaft meu­tern will?

Meu­tern? er­wi­der­te der Alte, meu­tern? Tot­schla­gen wird man, Herr, mein Wort dar­auf!

Wann?

Es kommt, Herr, es kommt, aber ich darf nicht sa­gen, wann, und ich habe jetzt schon ver­flucht viel ge­sagt, aber Sie wa­ren neu­lich so gut ge­gen mich, und da dach­te ich, es wäre nicht mehr als recht, sie zu war­nen. Aber hal­ten Sie die Zun­ge fest, und wenn Sie schie­ßen hö­ren, so ge­hen Sie hin­un­ter und blei­ben Sie dort! Das ist al­les, aber schwei­gen Sie, oder man wird Ih­nen eine Pil­le zwi­schen die Rip­pen ja­gen, — ver­las­sen Sie sich dar­auf, Herr!

Und der alte Mann po­lier­te wei­ter und ent­fern­te sich all­mäh­lich von der Stel­le, wo die Clay­tons stan­den.

Das sind ja schö­ne Aus­sich­ten, Ali­ce, sag­te Clay­ton.

Du musst den Ka­pi­tän so­fort war­nen, John! sag­te sie. Die Un­ru­hen kön­nen dann viel­leicht noch ver­hü­tet wer­den.

Ei­gent­lich müss­te ich es tun, aber vom selbst­süch­ti­gen Stand­punkt aus möch­te ich lie­ber »die Zun­ge fest­hal­ten«. Was die Leu­te auch un­ter­neh­men mö­gen, uns wer­den sie scho­nen, aus Dank da­für, dass ich für den schwar­zen Mi­chel Par­tei er­grif­fen habe, aber wenn sie her­aus­fän­den, dass ich sie ver­ra­ten hät­te, so wür­den wir kei­ne Gna­de vor ih­nen fin­den, Ali­ce!

Du hast aber nur eine Pf­licht, John, und die liegt auf der Sei­te der ver­letz­ten Au­to­ri­tät! Wenn du den Ka­pi­tän nicht warnst, so machst du dich der Mit­hil­fe schul­dig, ge­nau so, als ob du an der An­zet­te­lung der Ver­schwö­rung mit be­tei­ligt ge­we­sen wä­rest.

Du fasst die Sa­che falsch auf, mein Lieb­ling, er­wi­der­te Clay­ton. An dich den­ke ich, — dar­in liegt mei­ne ers­te Pf­licht. Der Ka­pi­tän hat sich selbst in die­se Lage ge­bracht. Wa­rum soll ich im wahr­schein­lich nutz­lo­sen Ver­such, ihn vor sei­nem ei­ge­nen bru­ta­len Wahn­sinn zu ret­ten, es ris­kie­ren, mei­ne Frau un­denk­ba­ren Gräu­eln aus­zu­set­zen? Du hast kei­nen Be­griff, mei­ne Lie­be, von dem, was fol­gen wür­de, wenn die­ses Pack von Hals­ab­schnei­dern die »Fu­wal­da« in ihre Ge­walt be­käme.

Pf­licht ist Pf­licht, mein Lie­ber, und kein Schein­grund kann et­was dar­an än­dern. Das müss­te ein arm­se­li­ges Weib für einen eng­li­schen Lord sein, wenn es ihn ver­hin­dern woll­te, ein­fach sei­ne Pf­licht zu tun. Ich ver­ste­he die Ge­fahr, die dar­aus ent­ste­hen kann, aber ich kann ihr mit dir ver­eint ent­ge­gen­tre­ten, und zwar tap­fe­rer als ich es im Be­wusst­sein der Schuld könn­te, dass du eine Tra­gö­die hät­test ver­mei­den kön­nen, wenn du dei­ne Pf­licht nicht ver­nach­läs­sigt hät­test.

So ge­sch­ehe denn dein Wil­le, Ali­ce, ant­wor­te­te er. Vi­el­leicht ma­chen wir uns auch un­nö­ti­ge Sor­gen. Wenn mir auch die Vor­gän­ge an Bord die­ses Schif­fes nicht ge­fal­len, so sind sie doch viel­leicht nicht so tra­gisch, denn es ist mög­lich, dass der alte See­mann mehr die Wün­sche sei­nes bö­sen al­ten Her­zens ge­äu­ßert als von wirk­li­chen Tat­sa­chen ge­spro­chen hat. Meu­te­rei auf ho­her See mag vor hun­dert Jah­ren häu­fig ge­we­sen sein, aber im Jah­re 1883 ist es das un­wahr­schein­lichs­te Vor­komm­nis, das man sich den­ken kann. — Doch da geht der Ka­pi­tän in sei­ne Ka­jü­te! Wenn ich ihn war­nen soll, so möch­te ich die­se un­an­ge­neh­me Sa­che gleich er­le­di­gen, denn ich habe über­haupt we­nig Lust, mit dem bru­ta­len Men­schen zu spre­chen.

In­dem er so sprach, schlen­der­te er mit sorg­lo­ser Mie­ne der Ka­jü­ten­trep­pe zu, die der Ka­pi­tän eben pas­siert hat­te, und klopf­te einen Au­gen­blick spä­ter an des­sen Tür.

He­rein! brumm­te der tie­fe Bass des mür­ri­schen Of­fi­ziers. Und als Clay­ton ein­ge­tre­ten war und die Tür hin­ter sich ge­schlos­sen hat­te, frag­te er:

Nun?

Ich kom­me, um Ih­nen den Haupt­punkt ei­ner Un­ter­re­dung mit­zu­tei­len, die ich heu­te ge­hört habe, denn ich habe die Emp­fin­dung, dass, wenn auch nichts Wah­res dar­an sein soll­te, es auf alle Fäl­le gut sein wird, wenn Sie be­waff­net sein wer­den. Die Mann­schaft be­ab­sich­tigt in Kür­ze Meu­te­rei und Tot­schlag!

Das ist ge­lo­gen! brüll­te der Ka­pi­tän. Und wenn Sie sich noch ein­mal in die Dis­zi­plin die­ses Schif­fes ein­mi­schen oder sich um Din­ge küm­mern, die Sie nichts an­ge­hen, so sol­len Sie die Fol­gen tra­gen und zum Teu­fel ge­hen! Es ist mir gleich, ob Sie eng­li­scher Lord sind oder nicht. Ich bin Ka­pi­tän die­ses Schif­fes, und von jetzt ab ste­cken Sie Ihre Nase nicht mehr in mei­ne An­ge­le­gen­hei­ten!

In­dem er so sprach, re­de­te er sich in eine sol­che Wut hin­ein, dass er pu­ter­rot im Ge­sicht wur­de und die letz­ten Wor­te nur so hin­aus­schrie, in­dem er mit der einen ge­wal­ti­gen Faust auf den Tisch schlug und mit der an­de­ren Clay­ton be­droh­te. Grey­sto­ke ver­zog kei­ne Mie­ne, son­dern sah nur mit Stau­nen auf den er­reg­ten Mann.

Ka­pi­tän Bil­lings, sag­te er mit lang­sa­mer Be­to­nung, wenn Sie mei­ne Of­fen­heit ver­zei­hen wol­len, so möch­te ich Ih­nen sa­gen, dass Sie ein Esel sind. Ver­ste­hen Sie?

Da­rauf dreh­te er sich um und ver­ließ die Ka­jü­te mit der­sel­ben Ge­müts­ru­he, die ihm stets ei­gen war und die den Zorn ei­nes Man­nes wie Bil­lings mehr stei­ger­te, als eine Flut von Schimpf­wor­ten.

Wenn Clay­ton ver­sucht hät­te, ihn zu ver­söh­nen, so hät­te der Ka­pi­tän sei­ne jäh­zor­ni­gen Wor­te viel­leicht be­dau­ert. So aber ver­blieb er in der­sel­ben Wut, wie Clay­ton ihn ver­las­sen hat­te, und so­mit war die letz­te Aus­sicht auf ein Zu­sam­men­ar­bei­ten für ihr ge­mein­sa­mes Wohl und die Er­hal­tung ih­res Le­bens da­hin.

Nun, Ali­ce, sag­te Clay­ton, als er zu sei­ner Frau zu­rück­kehr­te, wenn ich mei­nen Atem ge­spart hät­te, so hät­te ich mir auch ein we­nig Är­ger er­spart. Der Kerl zeig­te sich sehr un­dank­bar. Er fiel mich an wie ein tol­ler Hund. Er mag mit sei­nem al­ten Schiff zum Hen­ker ge­hen! Was liegt mir dar­an. Und bis wir glück­lich hier los­kom­men, wer­de ich nur noch auf un­ser ei­ge­nes Wohl be­dacht sein. Und ich den­ke, dass der ers­te Schritt auf die­sem Wege der sein wird, nach un­se­rer Ka­jü­te zu ge­hen und nach mei­nem Re­vol­ver zu se­hen. Ich be­daue­re jetzt, dass ich die grö­ße­ren Ge­weh­re und die Mu­ni­ti­on ganz un­ten in die Kof­fer ge­packt habe.

Sie fan­den ihre Ka­bi­ne in ei­nem üb­len Zu­stand. Klei­der aus ih­ren of­fe­nen Kof­fern la­gen in dem klei­nen Raum um­her­ge­streut und selbst die Bet­ten wa­ren aus­ein­an­der­ge­ris­sen.

Da hat of­fen­bar ei­ner sich mehr für un­ser Ei­gen­tum in­ter­es­siert als wir selbst, sag­te Clay­ton. Ich möch­te aber wis­sen, was der fre­che Kerl ge­sucht hat. Lass uns doch ein­mal nach­se­hen, Ali­ce, ob et­was fehlt.

Nach gründ­li­chem Su­chen stell­te sich her­aus, dass nichts wei­ter ge­stoh­len wor­den war, als die zwei Re­vol­ver und et­was Mu­ni­ti­on, die da­bei lag.

Das sind ge­ra­de die zwei Din­ge, auf die ich am meis­ten Wert ge­legt hät­te, sag­te Clay­ton. Und die Tat­sa­che, dass sie nur die­se mit fort­ge­nom­men ha­ben, ist das Schlimms­te von al­lem, was wir bis jetzt auf die­sem er­bärm­li­chen Kas­ten er­fah­ren ha­ben.

Was sol­len wir nun tun, John? frag­te sei­ne Frau. Ich wer­de dich nicht mehr drän­gen, noch­mals zum Ka­pi­tän zu ge­hen, denn ich möch­te dich nicht noch ein­mal ei­ner Be­schimp­fung aus­set­zen. Vi­el­leicht liegt un­se­re bes­te Aus­sicht auf Ret­tung in ei­nem neu­tra­len Ver­hal­ten. Wenn die Of­fi­zie­re im­stan­de sind, eine Meu­te­rei zu ver­hin­dern, so ha­ben wir nichts zu be­fürch­ten, wäh­rend, wenn die Meu­te­rer sie­gen, un­se­re ein­zi­ge schwa­che Hoff­nung dar­in liegt, nicht ver­sucht zu ha­ben, ihre Plä­ne zu durch­kreu­zen oder zu be­kämp­fen.

Du hast recht, Ali­ce. Hal­ten wir den gol­de­nen Mit­tel­weg ein.

Als sie sich an­schick­ten, ihre Ka­bi­ne in Ord­nung zu brin­gen, be­merk­ten Clay­ton und sei­ne Frau, dass ein Stück Pa­pier un­ter der Tür her­ein­ge­scho­ben wur­de. Als Clay­ton sich da­nach bück­te, war er ver­wun­dert, dass es sich wei­ter be­weg­te, und er er­kann­te, dass es je­mand von au­ßen her­ein­schob. Schnell und laut­los nä­her­te er sich der Tür, aber als er die­se auf­rei­ßen woll­te, fass­te sei­ne Frau ihn beim Hand­ge­lenk.

Nein, John, flüs­ter­te sie, sie wol­len nicht ge­se­hen wer­den, und des­halb wol­len wir sie auch nicht über­ra­schen. Ver­giss nicht, dass wir den gol­de­nen Mit­tel­weg ge­hen wol­len. Clay­ton zog sei­ne Hand zu­rück. So stan­den sie da und be­ob­ach­te­ten das klei­ne Stück wei­ße Pa­pier, bis es voll­stän­dig dies­seits der Tür war.

Dann hob Clay­ton es auf. Es war ein schmut­zi­ges Blatt, das un­or­dent­lich zu­sam­men­ge­fal­tet war. Beim Öff­nen la­sen sie dar­auf ei­ni­ge Zei­len in ei­ner Schrift, die of­fen­bar von ei­ner des Schrei­bens nicht ge­wohn­ten Hand her­rühr­te.

Dem In­halt nach war es eine War­nung an die Clay­tons, sich bei To­dess­tra­fe ei­ner Mel­dung über das Ab­han­den­kom­men der Re­vol­ver oder ei­ner Mit­tei­lung über das, was der alte Ma­tro­se ge­sagt hat­te, zu ent­hal­ten.

Ich glau­be, es geht gut, sag­te Clay­ton mit trau­ri­gem Lä­cheln. Al­les, was wir tun kön­nen, ist uns ru­hig zu ver­hal­ten und ab­zu­war­ten, was auch kom­men mag.

Fluss in der De­mo­kra­ti­schen Re­pu­blik Kon­go  <<<

Wohn- und Schlaf­raum auf Schif­fen  <<<

Das Heim in der Wildnis

Lord Grey­sto­ke und sei­ne Ge­mah­lin brauch­ten nicht lan­ge war­ten, denn am nächs­ten Mor­gen, als er auf Deck ge­hen woll­te, um sei­nen ge­wohn­ten Spa­zier­gang vor dem Früh­stück zu ma­chen, fiel ein Schuss und dann ein zwei­ter und ein drit­ter.

Der An­blick, der sich ihm bot, be­stä­tig­te sei­ne schlimms­ten Be­fürch­tun­gen. Der klei­nen Grup­pe von Of­fi­zie­ren stand die gan­ze bun­te Schiffs­mann­schaft der »Fu­wal­da« ge­gen­über, der schwar­ze Mi­chel an der Spit­ze.

Nach der ers­ten Sal­ve der Of­fi­zie­re eil­ten die Ma­tro­sen in De­ckung und feu­er­ten hin­ter Mast­bäu­men, Ru­der­haus und Kom­bü­se her­aus auf die fünf Män­ner, die die ver­hass­te Au­to­ri­tät des Schif­fes dar­stell­ten.

Zwei Ma­tro­sen wa­ren schon un­ter den Ku­geln des Ka­pi­täns ge­fal­len. Sie la­gen noch, wie sie ge­fal­len wa­ren, zwi­schen den Kämp­fen­den.

Jetzt stürz­te der ers­te Steu­er­mann vorn­über aufs Ge­sicht, und auf einen Be­fehl des schwar­zen Mi­chels feu­er­ten die wü­ten­den Ge­sel­len auf die vier über­le­ben­den. Die Mann­schaft hat­te nur sechs Feu­er­waf­fen auf­trei­ben kön­nen; des­halb war sie mit Boots­ha­ken, Äx­ten, Bei­len und Brech­ei­sen be­waff­net.

Der Ka­pi­tän hat­te sei­nen Re­vol­ver ab­ge­schos­sen und war im Be­griff, ihn wie­der zu la­den. Des zwei­ten Steu­er­man­nes Ge­wehr hat­te ver­sagt, und so wa­ren nur noch zwei Waf­fen den Meu­te­rern ge­gen­über, als die­se sich rasch den jetzt zu­rück­wei­chen­den Of­fi­zie­ren nä­her­ten. Auf bei­den Sei­ten wur­de fürch­ter­lich ge­flucht; dazu kam das Knal­len der Feu­er­waf­fen und das Schrei­en und Stöh­nen der Ver­wun­de­ten, so­dass es auf dem Ver­deck der »Fu­wal­da« wild ge­nug aus­sah.

Noch ehe die Of­fi­zie­re ein Dut­zend Schrit­te nach rück­wärts ge­macht hat­ten, fie­len die Leu­te über sie her. Ein di­cker Ne­ger spal­te­te dem Ka­pi­tän den Kopf, und einen Au­gen­blick spä­ter wa­ren auch die an­de­ren nie­der­ge­schla­gen, teils tot, teils durch Dut­zen­de von Schlä­gen und Schüs­sen ver­wun­det.

Kurz und grau­sig war das Werk der Meu­te­rer auf der »Fu­wal­da«, und bei all die­sen Vor­gän­gen stand John Clay­ton un­be­küm­mert an die Schiff­strep­pe an­ge­lehnt, rauch­te nach­denk­lich sei­ne Pfei­fe, als ob er ei­ner gleich­gül­ti­gen Kricket­par­tie zu­sä­he.

Als der letz­te Of­fi­zier ge­fal­len war, dach­te er dar­an, dass es Zeit sei, zu sei­ner Frau zu­rück­zu­ge­hen, da sonst ei­ner von der Mann­schaft sie al­lein fin­den könn­te.

Ob­gleich äu­ßer­lich ru­hig und gleich­gül­tig, war Clay­ton doch ängst­lich und er­regt, denn er fürch­te­te für die Si­cher­heit sei­ner Frau in der Nähe die­ser Ent­mensch­ten, in de­ren Hän­de das Schick­sal sie so un­barm­her­zig ge­wor­fen hat­te.

Als er sich um­dreh­te, um die Trep­pe hin­un­ter­zu­stei­gen, sah er zu sei­ner Über­ra­schung sei­ne Frau auf den Stu­fen ste­hen.

Seit wann bist du hier, Ali­ce?

Von An­fang an, ant­wor­te­te sie. Wie schreck­lich, John! O, wie schreck­lich! Das kön­nen wir aus den Hän­den sol­cher Men­schen er­war­ten?

Ein Früh­stück, hof­fe ich, ant­wor­te­te er, tap­fer lä­chelnd, um ihre Furcht zu zer­streu­en.

Ich will sie we­nigs­tens fra­gen, füg­te er hin­zu. Komm mit mir, Ali­ce. Wir dür­fen sie nicht glau­ben las­sen, dass wir et­was an­de­res als eine höf­li­che Be­hand­lung von ih­nen er­war­ten.

Un­ter­des­sen um­ring­ten die Ma­tro­sen die to­ten und ver­wun­de­ten Of­fi­zie­re, und ohne Un­ter­schied und ohne Mit­leid be­gan­nen sie, Tote und Ver­wun­de­te über Bord zu wer­fen. Mit der­sel­ben Herz­lo­sig­keit ver­fuh­ren sie mit ih­ren ei­ge­nen Ver­wun­de­ten und mit den Lei­chen drei­er See­leu­te, de­nen ein gü­ti­ges Ge­schick einen so­for­ti­gen Tod durch die Ku­geln der Of­fi­zie­re be­schie­den hat­te.

Plötz­lich be­merk­te ei­ner von der Mann­schaft die sich nä­hern­den Clay­tons, und mit dem Rufe: Hier sind noch zwei für die Fi­sche! stürz­te er mit er­ho­be­ner Axt auf sie zu.

Aber der schwar­ze Mi­chel war flin­ker, so­dass der Ka­me­rad, ehe er noch ei­ni­ge Schrit­te ge­macht hat­te, durch einen Schuss nie­der­ge­streckt war.

Mit lau­tem Ru­fen zog er die Auf­merk­sam­keit der an­de­ren auf sich, und, auf Lord und Lady Grey­sto­ke zei­gend, rief er: Die­se sind mei­ne Freun­de, und sie sol­len in Ruhe ge­las­sen wer­den. Ver­steht ihr? Ich bin jetzt Ka­pi­tän die­ses Schif­fes, und was ich be­feh­le, ge­schieht, füg­te er, sich zu den Clay­tons wen­dend, hin­zu. Blei­ben Sie für sich al­lein, und kein Mensch wird Ih­nen ein Leid zu­fü­gen! Da­bei sah er dro­hend zu sei­nen Ka­me­ra­den hin­über.

Die Clay­tons be­ach­te­ten denn auch die An­wei­sun­gen des schwar­zen Mi­chels so ge­nau, dass sie nur we­nig von der Mann­schaft sa­hen und nichts von den Plä­nen der Leu­te er­fuh­ren.

Ge­le­gent­lich hör­ten sie einen schwa­chen Wi­der­hall von Zank und Streit zwi­schen den Meu­te­rern, und zwei Mal er­schüt­ter­ten Schüs­se die stil­le Luft. Der schwar­ze Mi­chel eig­ne­te sich aber sehr gut zum Füh­rer die­ses zu­sam­men­ge­wür­fel­ten Vol­kes, denn er ver­stand es, sie in sei­ner Ge­walt zu be­hal­ten.

Am fünf­ten Tage nach der Er­mor­dung der Of­fi­zie­re wur­de vom Aus­guck Land ge­mel­det. Ob es eine In­sel oder Fest­land war, wuss­te der schwar­ze Mi­chel nicht, aber er kün­de­te Clay­ton an, dass, wenn es sich her­aus­stell­te, dass die Ge­gend be­wohn­bar sei, er und Lady Grey­sto­ke mit ih­rem Ge­päck dort an Land ge­setzt wer­den soll­ten.

Für ein paar Mo­na­te wer­den Sie dort gut auf­ge­ho­ben sein, er­klär­te er ih­nen, und un­ter­des­sen wer­den wir wohl an ir­gend­ei­ner un­be­wohn­ten Küs­te lan­den und uns zer­streu­en kön­nen. Dann will ich der bri­ti­schen Re­gie­rung mel­den, wo Sie sind und sie wird bald ein Kriegs­schiff sen­den, um Sie ab­zu­ho­len. Es wäre eine schwie­ri­ge Sa­che, Sie in ei­ner zi­vi­li­sier­ten Ge­gend lan­den zu las­sen, ohne dass eine Men­ge Fra­gen ge­stellt wür­den, die kei­ner von uns glaub­haft be­ant­wor­ten könn­te.

Clay­ton wehr­te sich ge­gen die Un­mensch­lich­keit, sie an ei­ner un­be­kann­ten Küs­te zu lan­den und den wil­den Tie­ren und viel­leicht noch wil­de­ren Men­schen preis­zu­ge­ben.

Sei­ne Wor­te wa­ren aber ver­geb­lich und nur ge­eig­net, den schwar­zen Mi­chel zu er­zür­nen. Schließ­lich ließ er es da­bei be­wen­den, und such­te nur noch sei­ner üb­len Lage die bes­te Sei­te ab­zu­ge­win­nen.

Ge­gen drei Uhr nach­mit­tags ka­men sie in die Nähe ei­ner wun­der­vol­len be­wal­de­ten Küs­te, an der eine Lan­dungs­stel­le zu sein schi­en.

Der schwar­ze Mi­chel sand­te ein klei­nes, mit ei­ni­gem Mann be­setz­tes Boot aus, um zu un­ter­su­chen, ob die »Fu­wal­da« dort ein­fah­ren könn­te.

Nach etwa ei­ner Stun­de kehr­ten sie zu­rück und mel­de­ten, das Was­ser sei tief ge­nug, so­wohl in der Ein­fahrt, als auch im In­nern der Bucht.

Ehe es dun­kel­te, lag das Schiff fried­lich vor An­ker auf der stil­len, spie­gel­glat­ten Flä­che des Bu­sens.

Die Um­ge­bung des Stran­des war von präch­ti­gem, halb­tro­pi­schem Grün be­wach­sen, wäh­rend in der Fer­ne die Ge­gend, die sich als Hü­gel- und Ta­fel­land vom Ozean ab­hob, fast lücken­los mit Ur­wald be­deckt war.

Kein Zei­chen ei­ner mensch­li­chen Woh­nung war sicht­bar, aber dass Men­schen sehr wohl dort le­ben konn­ten, be­wies die Fül­le der Vö­gel und an­de­ren Tie­re, die man vom Deck der »Fu­wal­da« er­blick­te, als auch der Schim­mer ei­nes klei­nen Flus­ses, der in die Bucht mün­de­te und fri­sches Was­ser in Fül­le spen­de­te.

Als sich die Nacht auf die Erde senk­te, stan­den Clay­ton und sei­ne Frau noch an der Re­ling, in stil­les Nach­den­ken über ihr künf­ti­ges Schick­sal ver­sun­ken. Aus dem fins­te­ren Schat­ten des mäch­ti­gen Wal­des ka­men die Lock­ru­fe der wil­den Tie­re.

Das dump­fe Brül­len des Lö­wen und ge­le­gent­lich der schril­le Schrei ei­nes Pan­thers.

Die Frau drück­te sich fes­ter an ih­ren Mann, von ah­nungs­vol­lem Schau­der er­grif­fen über das Grau­si­ge, das im schreck­li­chen Dun­kel der kom­men­den Näch­te vor ih­nen lag, wenn sie bei­de ganz al­lein auf die­ser wil­den ein­sa­men Küs­te sein wür­den.

Spät am Abend kam der schwar­ze Mi­chel zu ih­nen und wies sie an, ihre Vor­be­rei­tun­gen zu ih­rer für den nächs­ten Tag an­ge­setz­ten Lan­dung zu tref­fen. Sie ver­such­ten ihn zu be­we­gen, sie an ei­ner wohn­li­che­ren Küs­te zu lan­den, so­dass sie hof­fen könn­ten, in freund­li­che Hän­de zu fal­len, aber kei­ne Bit­ten, kei­ne Dro­hun­gen und kei­ne Ver­spre­chun­gen konn­ten ihn rüh­ren.

Er ant­wor­te­te ih­nen:

Ich bin der ein­zi­ge Mann an Bord, der Sie bei­de nicht lie­ber tot sähe, und wenn ich auch weiß, dass dies der ein­zig ver­nünf­ti­ge Weg wäre, un­sern ei­ge­nen Kopf zu si­chern, so ist der schwar­ze Mi­chel doch nicht der Mann, der eine Wohl­tat ver­gisst. Sie ha­ben mir ein­mal das Le­ben ge­ret­tet, — ich ret­te das Ih­ri­ge, aber das ist auch al­les, was ich tun kann. Die Leu­te wol­len sich nicht län­ger hier auf­hal­ten, und wenn wir Sie nicht schnells­tens lan­den, so könn­ten sie leicht an­de­ren Sin­nes wer­den. Ich will al­les, was Ih­nen ge­hört, ans Land set­zen, eben­so Kü­chen­ge­rä­te und ei­ni­ge alte Se­gel­tü­cher für Zel­te und ge­nug Es­sen, bis sie Früch­te und Wild fin­den wer­den. Da Sie auch ihre Ge­weh­re zum Schutz ha­ben, kön­nen Sie hier leicht le­ben, bis Hil­fe kommt. Wenn ich glück­lich von hier fort bin, will ich se­hen, dass die bri­ti­sche Re­gie­rung er­fährt, wo Sie sind. Wo ich in Zu­kunft le­ben wer­de, kann ich Ih­nen nicht ge­nau sa­gen, denn ich weiß es selbst noch nicht. Aber man wird Sie schon fin­den.

Als der schwar­ze Mi­chel fort war, ging das jun­ge Paar schwei­gend hin­un­ter; bei­de wa­ren in düs­te­re Ah­nun­gen ver­sun­ken.

Clay­ton glaub­te nicht, dass der schwar­ze Mi­chel auch nur im Ge­rings­ten die Ab­sicht hat­te, die bri­ti­sche Re­gie­rung von ih­rem Auf­ent­halt zu be­nach­rich­ti­gen. Auch war er nicht si­cher, dass nicht ir­gend­ein Ver­rat für den nächs­ten Tag be­ab­sich­tigt war, wenn sie mit den See­leu­ten lan­de­ten, die sie mit ih­rem Ge­päck be­glei­ten soll­ten. So­bald sie aus des schwar­zen Mi­chels Sicht wa­ren, konn­ten ei­ni­ge der Leu­te sie nie­der­schla­gen, so­dass das Ge­wis­sen des schwar­zen Mi­chels rein blieb.

Und selbst wenn sie die­sem Schick­sal ent­gin­gen, sa­hen sie nicht noch schwe­re­ren Ge­fah­ren ent­ge­gen? Wäre er al­lein ge­we­sen, so hät­te er hof­fen kön­nen, noch vie­le Jah­re zu le­ben, denn er war ein kräf­ti­ger, ath­le­tisch ge­bau­ter Mann.

Aber was wür­de aus Ali­ce und dem an­de­ren klei­nen Le­ben wer­den, das schon so früh den Müh­se­lig­kei­ten und schwe­ren Ge­fah­ren ei­ner Wild­nis aus­ge­setzt wür­de?

Der Mann er­schau­er­te, als er über den schreck­li­chen Ernst und die fürch­ter­li­che Hilf­lo­sig­keit ih­rer Lage nach­dach­te. Aber eine gü­ti­ge Vor­se­hung be­wahr­te ihn da­vor, die schreck­li­che Wirk­lich­keit vor­aus­zu­se­hen, die sie in den Tie­fen des düs­te­ren Wal­des er­war­te­te.

Am nächs­ten Mor­gen wur­den in al­ler Frü­he ihre zahl­rei­chen Kof­fer und Kis­ten aufs Deck be­för­dert und in be­reit­lie­gen­de Boo­te her­un­ter­ge­las­sen, die sie an Land brin­gen soll­ten.

Es war eine große Men­ge der ver­schie­den­ar­tigs­ten Sa­chen, denn da die Clay­tons mit der Mög­lich­keit ge­rech­net hat­ten, fünf bis acht Jah­re in ih­rem neu­en Auf­ent­halts­ort zu blei­ben, so hat­ten sie ne­ben dem Not­wen­di­gen auch vie­le Lu­xussa­chen mit­ge­nom­men.

Der schwar­ze Mi­chel sorg­te da­für, dass nichts von Clay­tons Ei­gen­tum an Bord blieb. Ob aus Mit­leid für sie oder in sei­nem ei­ge­nen In­ter­es­se, wäre schwer zu sa­gen. Auf alle Fäl­le wäre das Vor­han­den­sein von Ei­gen­tum ei­nes ver­miss­ten bri­ti­schen Be­am­ten auf ei­nem ver­däch­ti­gen Schiff in je­dem zi­vi­li­sier­ten Ha­fen schwer zu er­klä­ren ge­we­sen. Der schwar­ze Mi­chel war denn auch so eif­rig be­müht, über die Aus­füh­rung sei­ner An­ord­nung zu wa­chen, dass er bei den See­leu­ten so­gar dar­auf drang, Clay­ton sei­ne Re­vol­ver zu­rück­zu­ge­ben.

In die Boo­te wur­den auch ver­la­den: Salz­fleisch und Schiffs­zwie­back, et­was Kar­tof­feln und Boh­nen, Streich­höl­zer und Koch­ge­schirr, ein Werk­zeug­kas­ten und die al­ten Se­gel, die der schwar­ze Mi­chel ih­nen ver­spro­chen hat­te.

Als ob der schwar­ze Mi­chel die­sel­ben Be­fürch­tun­gen ge­hegt hät­te, wie Clay­ton, be­glei­te­te er die bei­den an Land, und ver­liest sie als letz­ter, nach­dem die See­leu­te die mit­ge­nom­me­nen Schiff­ston­nen mit fri­schem Trink­was­ser ge­füllt hat­ten.

Als die Boo­te sich lang­sam über die glat­ten Was­ser der Bucht be­weg­ten, sa­hen Clay­ton und sein Weib schwei­gend de­ren Ab­fahrt zu, mit ei­nem Ge­fühl von dro­hen­dem Un­glück und äu­ßers­ter Hilf­lo­sig­keit.

Und hin­ter ih­nen, über dem Rand ei­nes nied­ri­gen Hü­gels, lau­er­ten auf sie an­de­re böse Au­gen, die un­ter zot­ti­gen Brau­en leuch­te­ten.

Als die »Fu­wal­da« durch die enge Aus­fahrt der Bucht fuhr und ih­nen hin­ter ei­ner Land­spit­ze au­ßer Sicht kam, schlang Lady Ali­ce ihre Arme um Clay­tons Hals und brach in ein fas­sungs­lo­ses Schluch­zen aus.

Tap­fer hat­te sie die Ge­fah­ren der Meu­te­rei über sich er­ge­hen las­sen und mit hel­den­mü­ti­ger Stär­ke der schreck­li­chen Zu­kunft ent­ge­gen­ge­se­hen, aber nun, da die Schre­cken der völ­li­gen Ver­las­sen­heit sie über­fie­len, lie­ßen ihre über­reiz­ten Ner­ven nach und der Rück­schlag trat ein.

Ihr Mann ver­such­te nicht, ihre Trä­nen zu hem­men. Es war bes­ser, der Na­tur ih­ren Lauf zu las­sen, da­mit die lang ver­hal­te­ne Ge­müts­be­we­gung sich aus­lös­te, und es ver­ging man­che Mi­nu­te, ehe das jun­ge Weib, das ei­gent­lich noch ein Kind war, sich wie­der be­herr­schen konn­te.

O John, rief sie schließ­lich, wie ent­setz­lich! Was fan­gen wir an? Was sol­len wir nur tun?

Wir kön­nen nur eins tun, Ali­ce, und er sprach so ru­hig, als ob sie in ih­rem trau­li­chen Heim sä­ßen, und das ist ar­bei­ten! Die Ar­beit muss un­ser Heil sein. Wir dür­fen uns kei­ne Zeit zum Nach­den­ken las­sen, denn sonst wür­den wir ver­rückt wer­den. Wir müs­sen ar­bei­ten und war­ten. Ich bin si­cher, dass Hil­fe kom­men wird und dass sie schnell kommt, so­bald es be­kannt wird, dass die »Fu­wal­da« ver­lo­ren ist, selbst wenn der schwar­ze Mi­chel sein Wort nicht hal­ten soll­te.

Ja, John, wenn es sich nur um uns bei­de han­del­te, sag­te sie seuf­zend, so könn­ten wir es schon aus­hal­ten, das weiß ich, aber —

Lie­bes Weib, ant­wor­te­te er sanft, ich habe dar­an ge­dacht, aber wir müs­sen auch mit die­sem Er­eig­nis rech­nen, wie mit al­lem, was noch kom­men wird, tap­fer und mit Ver­trau­en in un­se­re Ge­schick­lich­keit. Vor hun­dert­tau­send Jah­ren stan­den un­se­re Vor­fah­ren ei­ner ent­le­ge­nen düs­te­ren Ver­gan­gen­heit vor den­sel­ben Schwie­rig­kei­ten wie wir jetzt, viel­leicht so­gar in die­sem sel­ben Ur­wal­de. Dass wir heu­te hier sind, ist ein Be­weis ih­res Sie­ges. Was sie ta­ten, soll­ten wir es nicht auch tun? Und so­gar bes­ser, denn sind wir nicht mit hö­he­rem Wis­sen aus­ge­rüs­tet, und be­sit­zen wir nicht Schuss-, Ver­tei­di­gungs- und Ver­pfle­gungs­mit­tel, die die Wis­sen­schaft uns gab, die je­nen aber noch völ­lig un­be­kannt wa­ren? Was sie mit un­voll­kom­me­nen Werk­zeu­gen und Waf­fen aus Stein und Kno­chen voll­brach­ten, das kön­nen wir si­cher auch.

Ach John, ich wünsch­te ein Mann zu sein mit der Phi­lo­so­phie ei­nes Man­nes, aber ich bin bloß ein Weib, das mehr mit dem Her­zen als mit dem Ver­stand sieht, und al­les, was ich sehe, ist zu schreck­lich, zu un­denk­bar, als dass ich es in Wor­te fas­sen könn­te. Ich hof­fe nur, dass du recht hast, John. Ich will mein Bes­tes tun, um eine wa­cke­re Ur­wald­frau zu sein, der tap­fe­re Ka­me­rad ei­nes Wild­nis­man­nes.

Clay­tons ers­ter Ge­dan­ke war, ein Ob­dach für die Nacht her­zu­stel­len, worin sie vor den um­her­strei­chen­den Raub­tie­ren ge­schützt wä­ren.

Er öff­ne­te den Kof­fer, der sei­ne Ge­weh­re und die Mu­ni­ti­on ent­hielt, da­mit sie we­nigs­tens be­waff­net wä­ren, wenn sie über der Ar­beit an­ge­grif­fen wür­den, und dann such­ten sie einen Ort für ihre ers­te Nachtru­he.

Etwa hun­dert Me­ter vom Ufer war eine ziem­lich lich­te, ebe­ne Stel­le, und sie be­schlos­sen, ge­ge­be­nen­falls hier ein fes­tes Haus zu bau­en. Vor­läu­fig hiel­ten sie es aber für das Bes­te, eine klei­ne Platt­form in den Bäu­men zu er­rich­ten und zwar so hoch, dass sie au­ßer der Reich­wei­te der wil­den Tie­re wä­ren. Zu die­sem Zweck wähl­te Clay­ton vier im Recht­eck ste­hen­de Bäu­me aus, die etwa acht Fuß von­ein­an­der ent­fernt wa­ren. Dann hieb er von an­de­ren Bäu­men lan­ge Äste ab und band die­se mit den Stri­cken, die ihm der schwar­ze Mi­chel über­las­sen hat­te, etwa zehn Fuß über der Erde an den er­wähn­ten vier Bäu­men fest.

So hat­te er ein Gerüst, über das er dann dün­ne­re Äste eng zu­sam­men­leg­te, um einen Fuß­bo­den in der Höhe her­zu­stel­len. Die­sen Bo­den be­leg­te er mit rie­si­gen We­deln von »Ele­fan­te­nohr«, das rings­um mas­sen­haft wuchs, und zu­letzt noch mit ei­nem großen mehr­fach ge­fal­te­ten Se­gel­tu­che.

Sie­ben Fuß hö­her leg­te er in ähn­li­cher Wei­se ein Dach an. Die Wän­de des Ge­ma­ches aber stell­te er ein­fach da­durch her, dass er rings her­um Se­gel­tuch auf­häng­te.

Als die­ses vollen­det war, hat­te er ein ziem­lich ge­müt­li­ches, klei­nes Nest, in das er Bett­de­cken und ei­ni­ges von dem leich­ten Ge­päck trug.

Es war in­zwi­schen Spät­nach­mit­tag ge­wor­den, und die Abend­stun­den wur­den dazu be­nützt, um eine kräf­ti­ge Lei­ter her­zu­stel­len, auf der Lady Ali­ce in ihr neu­es Heim ge­lan­gen konn­te. Den gan­zen Tag über war der Wald voll von leb­haf­ten, präch­tig ge­fie­der­ten Vö­geln und von sprin­gen­den, schwat­zen­den Af­fen ge­we­sen, die die­se neu­en An­kömm­lin­ge und ih­ren wun­der­vol­len Nest­bau mit al­len Zei­chen des In­ter­es­ses be­trach­te­ten.

Ob­wohl Clay­ton und sei­ne Frau scharf auf­pass­ten, sa­hen sie kei­ne grö­ße­ren Tie­re, aber zwei­mal ka­men ihre klei­nen Af­fen­nach­barn her­bei, sa­hen schrei­end und schwat­zend zu und zo­gen of­fen­bar er­schreckt über die ge­heim­nis­vol­len Vor­gän­ge, die sie hier be­ob­ach­te­ten, wie­der ab.

Als die Nacht her­ein­ge­bro­chen war, hat­te Clay­ton die Lei­ter fer­tig, und als er einen großen Be­häl­ter mit Was­ser aus dem na­hen Fluss ge­füllt hat­te, stie­gen die bei­den in ihr ver­hält­nis­mä­ßig si­che­res, luf­ti­ges Ge­mach.

Da es warm war, hat­te Clay­ton die Sei­ten­vor­hän­ge über das Dach zu­rück­ge­schla­gen. Als sie nun sich wie Tür­ken über ihre Bett­de­cken kau­er­ten, schrie Lady Ali­ce, die an­ge­strengt in die dun­keln Schat­ten des Wal­des hin­aus­sah, plötz­lich auf, in­dem sie Clay­tons Arm er­fass­te.

John! flüs­ter­te sie. Sieh doch! Was ist das? Ein Mann! Als Clay­ton zur an­ge­ge­be­nen Rich­tung schau­te, sah er die Schat­ten­ris­se ei­ner großen, auf­recht­ste­hen­den Ge­stalt. Ei­nen Au­gen­blick stand sie hor­chend still, dreh­te sich lang­sam um und ver­schwand im Schat­ten des Dickichts.

Was ist das, John?

Ich weiß es nicht, Ali­ce, ant­wor­te­te er ernst, es ist zu dun­kel, um so weit zu se­hen, und es war viel­leicht nur ein Schat­ten, den der aus­ge­hen­de Mond ge­wor­fen hat.

Nein, John, es war kein Mann, es war eine rie­si­ge, gro­tes­ke Ka­ri­ka­tur ei­nes Men­schen. O, wie ich mich fürch­te!

Er schloss sie in sei­ne Arme, ihr lie­be und er­mu­ti­gen­de Wor­te ins Ohr flüs­ternd, denn für ihn gab es nichts Schmerz­li­che­res, als die Angst sei­nes jun­gen Wei­bes. Er ver­stand die­se Angst sehr wohl, ob­schon er selbst tap­fer und furcht­los war, — eine sel­te­ne Gabe, wenn auch nur eine der vie­len Ei­gen­schaf­ten, die ihn bei al­len, die ihn kann­ten, be­liebt ge­macht hat­te. Bald dar­auf ließ er die Vor­hän­ge her­un­ter, be­fes­tig­te sie an den Bäu­men und ließ nur eine klei­ne Öff­nung zum Ufer hin frei.

Als es nun in ih­rem luf­ti­gen, klei­nen Rau­me stock­dun­kel war, leg­ten sie sich auf die De­cken und ver­such­ten im Schlaf ihre trau­ri­ge Lage zu ver­ges­sen.

Clay­ton leg­te Büch­se und Re­vol­ver ne­ben sich und sah im­mer zur Öff­nung hin.

Kaum hat­ten sie die Au­gen ge­schlos­sen, als der schre­cken­er­re­gen­de Schrei ei­nes Pan­thers hin­ter ih­nen aus dem Dschun­gel er­scholl. Es kam nä­her und na­her, bis sie das große Tier un­mit­tel­bar un­ter sich hör­ten.

Über eine Stun­de lang hör­ten sie es schnup­pernd und an den Bäu­men un­ter ih­nen krat­zend, bis es sich schließ­lich zum Strand ver­zog, wo Clay­ton es deut­lich im hel­len Mond­schein er­kann­te — ein großes, schö­nes Tier, das größ­te, das er je ge­se­hen.

In den lan­gen Nacht­stun­den fan­den sie we­nig Schlaf, denn die Nacht­ge­räusche des von My­ria­den von Tie­ren wim­meln­den Dschun­gels hiel­ten ihre über­reiz­ten Ner­ven wach, so­dass sie hun­dert­mal durch die durch­drin­gen­den Schreie oder die heim­li­chen Be­we­gun­gen von Kör­pern un­ter ih­nen auf­ge­schreckt wur­den.

Leben und Tod

Der Mor­gen fand die bei­den nur we­nig er­frischt, ob­wohl sie dem Ta­ges­grau­en mit ei­nem Ge­fühl der Er­leich­te­rung ent­ge­gensa­hen.

So­bald sie ihr Früh­stück, be­ste­hend aus ge­sal­ze­nem Schwei­ne­fleisch, Kaf­fee und Schiffs­zwie­back, ein­ge­nom­men hat­ten, be­gann Clay­ton mit dem Bau des Hau­ses, denn er sah ein, dass sie auf kei­ne Si­cher­heit und kei­ne Ruhe in der Nacht rech­nen konn­ten, so­lan­ge nicht vier star­ke Wän­de das Le­ben des Dschun­gels von ih­nen ab­schloss.

Die Auf­ga­be war schwie­rig und er­for­der­te den größ­ten Teil ei­nes Mo­nats, ob­schon es sich nur um einen klei­nen Raum han­del­te. Clay­ton bau­te die Hüt­te aus schma­len Baum­stäm­men von etwa sechs Zoll im Durch­mes­ser. Die Rit­zen ver­schmier­te er mit Lehm, den er ei­ni­ge Fuß tief in der Erde fand.

An ei­nem Ende leg­te er eine Feu­er­stel­le aus klei­nen Stei­nen vom Stran­de an. Die­se wur­den eben­falls mit Lehm ver­schmiert. Als das Haus fer­tig war, be­warf er die gan­ze Au­ßen­sei­te mit ei­ner vier Zoll di­cken Lehm­schicht.

In die Fens­ter­öff­nung brach­te er waa­ge­rech­te und senk­rech­te Äste von etwa ei­nem Zoll im Durch­mes­ser an, die so ver­floch­ten wa­ren, dass sie ein fes­tes Git­ter bil­de­ten, das auch ei­nem kräf­ti­gen Tier wi­der­ste­hen konn­te.

So er­hiel­ten sie die nö­ti­ge Luft, ohne be­fürch­ten zu müs­sen, die Si­cher­heit ih­rer Hüt­te zu ver­min­dern.

Das nach zwei Sei­ten steil ab­fal­len­de Dach war aus schma­len, dicht an­ein­an­der­ge­füg­ten Äs­ten ge­bil­det, die mit lan­gem Dschun­gel­gras und Palm­we­deln be­deckt wa­ren, über die noch eine Lehm­schicht kam.

Die Tür fer­tig­te er aus Bret­tern der Kis­ten an; er na­gel­te ein Brett auf das an­de­re und dann an­de­re quer dar­über, bis er eine so so­li­de Tür zu­sam­men­ge­na­gelt hat­te, dass sie bei­de dar­über ver­gnügt wa­ren, als sie das fer­ti­ge Werk be­gut­ach­te­ten.

Jetzt stand Clay­ton aber vor der größ­ten Schwie­rig­keit, denn er hat­te nichts, um die mas­si­ve Tür ein­zu­hän­gen. Nach zwei­tä­gi­ger Ar­beit ge­lang es ihm aber, zwei Schar­nie­re aus Hart­holz an­zu­fer­ti­gen, und mit die­sen häng­te er die Tür ein, so­dass sie sich leicht öff­nen und schlie­ßen ließ.

Das Ver­put­zen und die üb­ri­gen letz­ten Ar­bei­ten nahm er erst vor, als sie schon ein­ge­zo­gen wa­ren. So­bald näm­lich das Dach an­ge­bracht war, hat­ten sie schon ihr Heim be­zo­gen. So­lan­ge die Tür sich nicht ver­schlie­ßen ließ, stell­ten sie ihre Kof­fer da­ge­gen, und so hat­ten sie eine ver­hält­nis­mä­ßig si­che­re und ge­müt­li­che Woh­nung.

Die Her­stel­lung des Bet­tes, der Stüh­le, ei­nes Ti­sches und der Re­ga­le war ver­hält­nis­mä­ßig leicht, so­dass sie am Ende des zwei­ten Mo­nats gut ein­ge­rich­tet und, ab­ge­se­hen von der ste­ten Angst vor den wil­den Tie­ren und der im­mer fühl­ba­rer wer­den­den Ein­sam­keit, nicht ge­ra­de un­glück­lich wa­ren. Nachts knurr­ten und brüll­ten große Tie­re um ihre Hüt­te her­um, aber man ge­wöhnt sich all­mäh­lich an im­mer wie­der­keh­ren­de Geräusche, und so be­ach­te­ten sie sie nur noch we­nig und schlie­fen fast die gan­ze Nacht hin­durch.

Drei­mal hat­ten sie flüch­tig eine manns­große Ge­stalt er­blickt, aber sie hat­ten nie un­ter­schei­den kön­nen, ob es sich um die ei­nes Men­schen oder ei­nes wil­den Tie­res han­del­te.

Die präch­ti­gen Vö­gel und die klei­nen Af­fen hat­ten sich bald an ihre neu­en Be­kann­ten ge­wöhnt, und da sie of­fen­bar nie­mals mensch­li­che We­sen ge­se­hen hat­ten, ka­men sie, so­bald sie die ers­te Furcht ab­ge­legt hat­ten, im­mer nä­her, an­ge­trie­ben durch die ei­gen­ar­ti­ge Neu­gier, die die wil­den Ge­schöp­fe des Wal­des und des Dschun­gels be­herrscht. In­ner­halb ei­nes Mo­nats hat­ten meh­re­re Vö­gel ihre Scheu so­weit ab­ge­legt, dass sie Fut­ter­bis­sen aus den freund­li­chen Hän­den der Clay­tons ent­ge­gen­nah­men.

Ei­nes Nach­mit­tags, als Clay­ton an sei­ner Hüt­te ar­bei­te­te, denn er hat­te die Ab­sicht, meh­re­re Räu­me an­zu­bau­en, kam eine An­zahl der drol­li­gen klei­nen Freun­de schrei­end und kei­fend aus der Rich­tung des na­hen Hü­gels. Auf ih­rer Flucht war­fen sie ängst­li­che Bli­cke nach rück­wärts, um schließ­lich in Clay­tons Nähe auf­ge­regt zu ihm hin­zu­schnat­tern, als ob sie ihn vor ei­ner her­an­na­hen­den Ge­fahr war­nen woll­ten. End­lich er­kann­te er, was die klei­nen Af­fen so fürch­te­ten, es war das manns­große Tier, das er und sei­ne Frau be­reits bei frü­he­ren Ge­le­gen­hei­ten flüch­tig er­blickt hat­ten.

Es nä­her­te sich aus dem Dschun­gel in ei­ner halb auf­ge­rich­te­ten Stel­lung, in­dem es zu­wei­len die ge­schlos­se­nen Fäus­te auf den Bo­den setz­te, — es war ein großer Men­schen­af­fe. Beim Vor­rücken gab er tie­fe Kehl­lau­te und ge­le­gent­lich bel­len­de Töne von sich.

Clay­ton war et­was ent­fernt von der Hüt­te, da er da­bei war, einen schö­nen Baum, der sich ge­ra­de für sei­ne Bau­zwe­cke be­son­ders eig­ne­te, zu fäl­len. Er war sorg­los ge­wor­den, da er und sei­ne Frau mo­na­te­lang in den Ta­ge­s­stun­den kein ge­fähr­li­ches Tier ge­se­hen hat­ten. So hat­te er denn auch sei­ne Büch­sen und Re­vol­ver in der Hüt­te ge­las­sen, und als er nun den großen Af­fen durch das Un­ter­holz di­rekt auf sich zu­kom­men sah, und zwar in ei­ner Rich­tung, die ihm prak­tisch ein Ent­kom­men un­mög­lich mach­te, fühl­te er doch einen Schau­der den Rücken ent­lang rie­seln.

Da er nur mit ei­ner Axt be­waff­net war, wuss­te er, dass sei­ne Aus­sich­ten in ei­nem Kamp­fe mit dem wil­den Tie­re sehr ge­ring wa­ren, — und Ali­ce? O Gott, sag­te er sich, was wird aus Ali­ce wer­den?

Es war kaum dar­an zu den­ken, die Hüt­te zu er­rei­chen. Er wand­te sich aber dort­hin und rann­te dar­auf los, in­dem er sei­nem Wei­be laut zu­rief, hin­ein­zu­ei­len und die Tür zu schlie­ßen, falls der Affe ihm den Weg ab­schnitt.

Lady Grey­sto­ke saß in ei­ni­ger Ent­fer­nung vor der Hüt­te und als sie sein Schrei­en hör­te, schau­te sie auf und sah, wie der Affe mit ei­ner für ein so schwe­res und un­ge­len­kes Tier fast un­glaub­li­chen Schnel­lig­keit vor­wärts sprang, um Clay­ton zu über­ho­len.

Mit ei­nem lau­ten Schrei stürz­te sie zur Hüt­te, und wäh­rend sie hin­ein­eil­te, warf sie nach rück­wärts einen Blick, der ihre See­le mit Schre­cken er­füll­te, denn das Tier hat­te ih­rem Gat­ten den Rück­weg ab­ge­schnit­ten, und er stand nun vor dem Brau­nen, die Axt mit bei­den Hän­den fas­send, be­reit, sie ge­gen das wü­ten­de Tier zu schwin­gen, so­bald es sei­nen En­d­an­griff mach­te.

Schließ die Tür und ver­rie­gle sie, Ali­ce! rief Clay­ton. Ich kann den Kerl mit mei­ner Axt er­le­di­gen.

Er wuss­te aber, dass er von ei­nem schreck­li­chen Tod be­droht war, und auch sie wuss­te es.

Der Affe war ein schwe­res Tier, das Wohl drei Zent­ner wie­gen moch­te. Sei­ne düs­te­ren, nahe bei­ein­an­der­ste­hen­den Au­gen leuch­te­ten vor Hass un­ter den bu­schi­gen Brau­en, und sei­ne großen Fang­zäh­ne wur­den sicht­bar wäh­rend ei­nes furcht­ba­ren Knur­rens, das er aus­stieß, in­des er einen Au­gen­blick vor sei­nem Op­fer still­hielt.

Clay­ton sah den Ein­gang sei­ner Hüt­te nicht zwan­zig Schrit­te ent­fernt, und ein furcht­ba­rer Schre­cken er­fass­te ihn, als er sein Weib dar­in auf­tau­chen sah, be­waff­net mit ei­nem Ge­wehr. Sie hat­te im­mer Angst vor ei­ner Feu­er­waf­fe ge­habt und hat­te nie eine be­rüh­ren wol­len, aber jetzt stürz­te sie auf den Af­fen los mit dem Mut ei­ner Lö­win, die ihr Jun­ges ver­tei­digt.

Zu­rück, Ali­ce! rief Clay­ton, um Him­mels­wil­len, geh‹ zu­rück!

Sie woll­te aber nicht dar­auf hö­ren, und da ge­ra­de im sel­ben Au­gen­blick der Affe zum An­griff über­ging, konn­te Clay­ton wei­ter nichts mehr sa­gen.

Mit ge­wal­ti­ger Kraft schwang Clay­ton sei­ne Axt, aber das mäch­ti­ge Tier er­fass­te sie mit sei­nen schreck­li­chen Hän­den, riss sie ihm aus der Hand und schleu­der­te sie weit zur Sei­te. Knur­rend kam es nä­her an sein schutz­lo­ses Op­fer her­an, aber ehe es ihn noch um­fas­sen konn­te, hat­te Frau Clay­ton einen Schuss ab­ge­feu­ert. Die Ku­gel drang dem Af­fen zwi­schen den Schul­tern in den Rücken.

Wü­tend warf das Un­ge­tüm Clay­ton zu Bo­den und rück­te nun ge­gen sei­nen neu­en Feind los. Vor ihm stand die angst­er­füll­te Frau. Sie ver­such­te dem Tier noch­mals eine Ku­gel in den Leib zu ja­gen, aber sie ver­stand den Mecha­nis­mus der Waf­fe nicht, und der Schutz ver­sag­te.

Schrei­end vor Schmerz stürz­te der Affe auf die Frau los, und vor Schre­cken fiel sie ohn­mäch­tig nie­der.

Im sel­ben Au­gen­blick sprang Clay­ton wie­der auf und eil­te auf den Af­fen zu, ohne zu be­den­ken, dass er mit blo­ßen Hän­den nichts ge­gen ihn aus­rich­ten kön­ne. Aber er woll­te das Letz­te ver­su­chen, um sein ge­lieb­tes Weib zu ret­ten.

Kaum hat­te er die Hand an das mäch­ti­ge Tier ge­legt, als es leb­los vor ihm auf den Ra­sen roll­te. Der Affe war tot! Die Ku­gel hat­te ihn töd­lich ge­trof­fen.

Als Clay­ton sah, dass die Ge­fahr be­sei­tigt war, wand­te er sich so­fort sei­ner Frau zu. Zum Glück war sie nicht ver­letzt, aber sie war noch im­mer be­wusst­los.

Vor­sich­tig hob er sie auf und trug sie in ihre Hüt­te, wo er sie sanft aufs Bett leg­te.