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Ein längerer Aufenthalt in New York ist bei Bertie Wooster und seinem treuen Diener Jeeves nicht spurlos vorübergegangen. Gerade noch rechtzeitig kann Bertie zwar seine überstürzte Verlobung mit Pauline Stoker lösen. Nach London zurückgekehrt, gibt er sich einer neuen Liebe, dem Banjo-Spiel, hin. Sehr zum Leidwesen von Jeeves, der mit Kündigung droht und Bertie dazu zwingt, den Sommer im Cottage seines Freundes Lord »Chuffy« zu verbringen, wo er seiner Leidenschaft nach Lust und Laune frönen kann. Aber Chuffy ist ein bisschen klamm und gedenkt, sein Anwesen ausgerechnet an den steinreichen Amerikaner J. Washburn Stoker zu verkaufen. Der hat zur Besichtigung seine Tochter Pauline mitgebracht, in die sich Chuffy Knall auf Fall verliebt. Aber wie kann er ihr, mittellos, wie er ist, einen Antrag machen? Bertie will nachhelfen, und macht alles nur noch schlimmer.
Die nächste Liebes- und Gesellschaftskomödie aus der Welt des degenerierten Adels.
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Seitenzahl: 318
P. G. Wodehouse
Tausend Dank, Jeeves!
Roman
Aus dem Englischen von Thomas Schlachter
Insel Verlag
Ich verspürte einen Anflug von Sorge. Nichts Ernstliches, aber doch einen Hauch von Beunruhigung. Als ich in meinem guten alten Domizil so dasaß und müßig über die Saiten meiner Banjolele strich – eines Instruments, dem ich in jüngster Zeit ganz verfallen war –, hätte man meine Stirn zwar nicht direkt als gefurcht, aber auch nicht kategorisch als ungefurcht bezeichnen können. Das Wort »versonnen« bringt die Sache wohl auf den Punkt. Mir war, als sei eine Situation eingetreten, die von potentiellen Peinlichkeiten nur so strotzte.
»Jeeves«, sagte ich, »wissen Sie, was?«
»Nein, Sir.«
»Wissen Sie, wen ich gestern Abend gesehen habe?«
»Nein, Sir.«
»J. Washburn Stoker samt Tochter Pauline.«
»Tatsächlich, Sir?«
»Sie müssen im Lande sein.«
»Es macht ganz den Anschein, Sir.«
»Ziemlich genierlich, wie?«
»Nach allem, was in New York vorgefallen ist, Sir, dürfte Ihnen eine Begegnung mit Miss Stoker schwer zusetzen. Doch eine solche Eventualität braucht nach meinem Dafürhalten nicht zwingend einzutreten.«
Ich erwog seine Worte.
»Wenn Sie über nicht zwingend einzutreten brauchende Eventualitäten reden, Jeeves, umnebelt sich mein Geist, und der springende Punkt entgeht mir. Meinen Sie etwa, dass es mir möglich sein sollte, ihr aus dem Weg zu gehen?«
»Jawohl, Sir.«
»Ich soll mich ihr entziehen?«
»Jawohl, Sir.«
Beinahe ausgelassen klimperte ich fünf Takte von Ol’ Man River. Jeeves’ Feststellung hatte meine Sorgen zerstreut. Ich begriff, worauf er hinauswollte: London ist schließlich recht weitläufig, und so kann man um Leute, die man nicht zu sehen wünscht, mühelos einen Bogen machen.
»Ihr Anblick hat mich mächtig aufgewühlt.«
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen, Sir.«
»Zumal Sir Roderick Glossop mit von der Partie war.«
»Tatsächlich, Sir?«
»O ja. Sie saßen an einem Fenstertisch im Savoy Grill und schnallten sich gerade den Futterbeutel um. Und nun kommt der Clou, Jeeves: Die Vierte im Bunde war Lord Chuffnells Tante Myrtle. Was hat die denn mit der Bagage zu tun?«
»Womöglich ist ihre Ladyschaft mit Mr. Stoker, Miss Stoker oder Sir Roderick bekannt, Sir.«
»Stimmt, das ist denkbar. Jawohl, das wäre eine Erklärung. Und doch war ich, wie ich zugeben muss, erstaunt.«
»Haben Sie ein Gespräch angeknüpft, Sir?«
»Wer, ich? O nein, Jeeves. Wie der geölte Blitz bin ich ins Freie geschossen. Mal abgesehen davon, dass ich mich vor den Stokers drücken wollte – sehen Sie mich etwa mit dem alten Glossop aus freien Stücken konversieren?«
»Bis dato hat er sich nicht als Ihr konziliantestes Gegenüber erwiesen, Sir.«
»Wenn ich mit einem Menschen im Leben garantiert nicht mehr Zwiesprache halten will, dann mit diesem alten Grindskopf.«
»Ich habe ganz zu erwähnen versäumt, Sir, dass Sir Roderick Ihnen heute Morgen seine Aufwartung machen wollte.«
»Was!?«
»Jawohl, Sir.«
»Er wollte mir seine Aufwartung machen?«
»Jawohl, Sir.«
»Nach allem, was zwischen uns vorgefallen ist?«
»Jawohl, Sir.«
»Mir bleibt die Spucke weg!«
»Jawohl, Sir. Ich habe ihm mitgeteilt, Sie seien noch nicht auf den Beinen, und er hat gemeint, er komme später wieder.«
»Ach, hat er das?« Ich lachte, und zwar auf meine höhnische Art. »Wenn er das tut, hetzen Sie ihm den Hund auf den Hals.«
»Wir haben aber keinen Hund, Sir.«
»Dann leihen Sie sich im unteren Stock den Spitz von Mrs. Tinkler-Moulke. Ein starkes Stück, dass dieser Kerl auf Stippvisite kommt, nachdem er sich in New York so aufgeführt hat! Etwas derart Unglaubliches habe ich noch nie gehört. Haben Sie schon mal etwas derart Unglaubliches gehört, Jeeves?«
»Um ganz offen zu sein, hat mich sein Erscheinen in Anbetracht der Umstände höchlichst erstaunt, Sir.«
»Das kann ich mir denken. Großer Gott! Gütiger Himmel! Heiliges Kanonenrohr! Der Mann ist so frech wie Rotz und Oskar zusammen.«
Und wenn ich den Leser nun mit den Hintergründen vertraut mache, wird er meine Gefühlsaufwallung gewiss verstehen. Deshalb frischweg die Fakten.
Etwa drei Monate zuvor hatte ich an meiner Tante Agatha eine gewisse Erhitzung wahrgenommen und war vorsichtshalber nach New York abgerauscht, auf dass sie sich in aller Ruhe abkühlen möge. Und schon nach Ablauf der ersten halben Woche machte ich auf einer Art Sause im Hotel Sherry-Netherland Pauline Stokers Bekanntschaft.
Sie verdrehte mir den Kopf. Ihre Schönheit machte mich förmlich trunken.
»Jeeves«, hatte ich damals bei meiner Heimkehr gesagt, »wer war noch gleich der Knilch, der sich beim Anblick einer bestimmten Sache vorkam wie ein Knilch beim Anblick einer bestimmten Sache? Ich habe die Stelle als Schüler auswendig gelernt, aber sie ist mir entfallen.«
»Bei dem Ihnen vorschwebenden Individuum handelt es sich wohl um den Dichter Keats, Sir, der seinen Gemütszustand bei der Erstlektüre von Chapmans Homer-Übertragung mit demjenigen des wackeren Cortez verglich, der den Pazifik mit Adlerblick betrachtete.«
»Den Pazifik, soso?«
»Jawohl, Sir: Und wild starrten die Seinen / Auf einem Bergesgipfel Dariens, schweigend.«
»Volltreffer! Jetzt fällt mir alles wieder ein. Und genauso war mir heute Nachmittag zumute, als ich Miss Pauline Stoker vorgestellt wurde. Bügeln Sie meine Hose besonders sorgfältig auf, Jeeves, ich führe die Werteste zum Dinner aus.«
Nach meiner Erfahrung werden die Liebespfeile in New York besonders zackig verschossen. Muss an der dortigen Luft liegen. Schon nach zwei Wochen machte ich Pauline meinen Antrag. Sie nahm ihn an. So weit, so gut. Doch das dicke Ende kommt erst: Keine 48 Stunden später wurde mir ein dicker Strich durch die Rechnung gemacht, und die ganze Chose war abgeblasen.
Die Hand aber, die den Strich so beherzt zog, gehörte keinem anderen als Sir Roderick Glossop.
In meinen Aufzeichnungen habe ich, wie sich der Leser erinnern mag, schon des Öfteren Gelegenheit gehabt, besagtes Gewitteraas zu erwähnen. Dieser glatzköpfige Giftmischer mit den buschigen Brauen mag sich ja als Nervenarzt ausgeben, doch alle Welt weiß, dass er kaum mehr ist als ein überteuerter Seelenklempner. Seit Jahren wächst er ständig vor mir aus dem Boden – und jedes Mal mit den stupendesten Folgen. Und das Schicksal hatte es so gefügt, dass er gerade in New York weilte, als meine Verlobung in den Zeitungen bekanntgemacht wurde.
In die Stadt gebracht hatte ihn eine seiner regelmäßigen Visiten bei George Stoker, J. Washburns Cousin zweiten Grades. Jener George hatte sein Leben lang die Witwen und Waisen drangsaliert, den damit einhergehenden Strapazen am Ende aber doch Tribut zollen müssen. Sein Gesprächsstil war kraus, und er neigte dazu, im Handstand zu gehen. Seit einigen Jahren war er deshalb in Behandlung bei Sir Roderick, der es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, sporadisch nach New York zu flitzen und George einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Im vorliegenden Falle kam er gerade rechtzeitig, um sich mit dem Frühstückskaffee samt Drei-Minuten-Ei die Nachricht zuzuführen, dass Bertram Wooster und Pauline Stoker in den Hafen der Ehe einzulaufen gedachten. Und wahrscheinlich hechtete er ans Telefon, um den Vater der angehenden Braut anzurufen, ohne sich auch nur den Mund abzuwischen.
Was er J. Washburn genau über mich erzählte, kann ich natürlich nicht sagen, doch über den Daumen gepeilt wird er ihm wohl mitgeteilt haben, ich sei einst mit seiner Tochter Honoria verlobt gewesen und er habe der Sache ein Ende setzen müssen, da er zum Schluss gekommen sei, dass ich eine Meise im Grossformat hätte. Bestimmt sprach er dabei auch die Sache mit den Katzen und dem Fisch in meinem Schlafzimmer an – und zudem wohl den Vorfall mit dem gestohlenen Hut, und gewiss auch meine Marotte, Regenrohre hinabzuklettern, wobei er als Schlussbouquet vermutlich die unselige Geschichte mit der durchlöcherten Wärmflasche in Lady Wickhams Landhaus präsentierte.
Er war ein enger Freund von J. Washburn, und da dieser viel auf sein Urteil gab, konnte er ihn wohl leicht davon überzeugen, wie wenig ich zum Schwiegersohn taugte. Jedenfalls teilte man mir wie gesagt keine 48 Stunden nach dem heiligen Gelübde mit, dass ich weder Hochzeitsfrack noch Gardenie bestellen solle, da man mich von der Kandidatenliste gestrichen habe.
Und nun hatte der Mann tatsächlich die Stirn, ja Impertinenz, dem Wooster’schen Heim einen Besuch abzustatten! Da hört sich doch alles auf, oder?
Ich beschloss, ihn hart anzufassen.
Bei seinem Eintreffen spielte ich noch immer Banjolele. Wer Bertram Wooster kennt, weiß, dass er ebenso jäh wie lodernd Feuer zu fangen pflegt und sich im Banne entsprechender Leidenschaften zur erbarmungslosen Maschine mausert – hochkonzentriert und mit einem einzigen Ziel vor Augen. Genauso verhielt es sich mit meinem Banjolelespiel. Seit jenem Abend im Alhambra Theatre, wo mich die schiere Virtuosität von Ben Bloom und seinen Sixteen Baltimore Buddies dazu getrieben hatte, das besagte Instrument zu erlernen, war kein Tag vergangen, an dem ich nicht zwei, drei Stunden fanatisch geübt hatte. Und auch jetzt zupfte ich wie ein Besessener die Saiten, als die Tür aufging und Jeeves mir jenen elendiglichen Zwangsjackenspezialisten in die gute Stube kippte, von dem ich eben gesprochen habe.
In der Zeit, die verstrichen war, seit ich erfahren hatte, dass der Mann mich zu sprechen wünsche, war ich die Sache im Geiste nochmals durchgegangen und zum einzig möglichen Schluss gekommen, dass er eine Art Sinneswandel durchlebt und eingesehen hatte, dass wegen seines früheren Verhaltens mir gegenüber Bußfertigkeit am Platze war. Aus diesem Grund erhob sich nun zur Begrüßung ein schon etwas milder gestimmter Bertram.
»Ach, Sir Roderick«, sagte ich. »Guten Morgen.«
Meine Stimme hätte zuvorkommender nicht sein können. Umso größer war mein Erstaunen, als er als einzige Antwort ein Grunzen absonderte – und zwar eins der unleidlicheren Sorte. Ich spürte, dass ich mit meiner Diagnose weit am Ziel vorbeigeschossen hatte. Vor mir stand kein bußfertiger Ehrenmann. Er hätte mich selbst dann nicht angewiderter anfunkeln können, wenn ich ein Bazillus des Typus Dementia praecox gewesen wäre.
Falls dies die Haltung war, die er einzunehmen trachtete – tja dann. Meine Herzlichkeit schwand dahin. Kühl richtete ich mich zur vollen Größe auf und zog gleichzeitig eine steife Braue hoch. Und ich wollte auch schon den altbewährten »Was verleiht mir die Ehre?«-Gag vom Stapel lassen, als er mir in die Parade fuhr.
»Wegsperren sollte man Sie!«
»Wie bitte?«
»Sie sind ja gemeingefährlich! Seit Wochen töten Sie sämtlichen Nachbarn den letzten Nerv mit Ihrem grauslichen Instrument. Wie ich sehe, halten Sie es auch jetzt wieder in der Hand. Wie können Sie es wagen, in einem respektablen Wohnhaus darauf zu spielen? So ein Mordskrach!«
Ich bemühte mich um Contenance.
»Haben Sie gerade ›Mordskrach‹ gesagt?«
»Allerdings.«
»So? Dann will ich Ihnen mal was verraten: Der Mann, der nicht Musik hat in ihm selbst …« Ich begab mich zur Tür. »Jeeves«, rief ich in den Korridor, »wozu taugt laut Shakespeare der Mann, der nicht Musik hat in ihm selbst?«
»Zu Verrat, zu Räuberei und Tücken, Sir.«
»Besten Dank, Jeeves. Solch ein Mann taugt zu Verrat, zu Räuberei und Tücken«, sagte ich bei meiner Rückkehr.
Der alte Glossop vollführte ein Tänzchen.
»Ist Ihnen klar, dass Mrs. Tinkler-Moulke im unteren Stock wegen ihres schweren Nervenleidens bei mir in Behandlung ist? Ich musste ihr ein Sedativum verabreichen.«
Ich hob die Hand.
»Verschonen Sie mich bitte mit Ihrem Tratsch aus dem Tollhaus«, versetzte ich kühl. »Dürfte ich meinerseits erfahren, ob Ihnen klar ist, dass Mrs. Tinkler-Moulke einen Spitz hält?«
»Hören Sie auf zu faseln!«
»Ich fasele mitnichten. Dieser Köter kläfft den lieben langen Tag und gar nicht so selten bis tief in die Nacht hinein. Mrs. Tinkler-Moulke erfrecht sich also, sich über meine Banjolele zu beschweren? Ha! Die soll sich zuerst um den Spitz in ihrem eigenen Auge kümmern«, sagte ich geradezu schriftgelehrt.
Dies wurmte ihn sichtlich.
»Ich bin nicht hier, um über Hunde zu reden. Sie sollen mir vielmehr versprechen, dass Sie die Belästigung dieser leidgeprüften Frau augenblicklich einstellen.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Es tut mir leid, dass die Dame sich nicht für meine Kunst erwärmen kann, aber diese geht vor.«
»Das ist Ihr letztes Wort?«
»Genau.«
»Also schön. Sie hören wieder von mir.«
»Und Mrs. Tinkler-Moulke hört wieder von uns beiden«, antwortete ich und schwang die Banjolele.
Ich drückte auf die Klingel.
»Jeeves«, sagte ich, »geleiten Sie doch bitte Sir R. Glossop hinaus!«
Dass ich mich bei diesem Zusammenstoß zweier willensstarker Männer so wacker geschlagen hatte, erfüllte mich, ich sag’s ganz offen, mit Befriedigung, denn es war noch nicht lange her, da hätte mich das Hereinplatzen des alten Glossop in meinen Salon wie ein Wiesel abzischen und Deckung suchen lassen. Seither war ich jedoch durch die Hölle gegangen, sodass mich sein Anblick nicht länger mit namenloser Furcht erfüllte. Mit stillem Behagen spielte ich deshalb nun hintereinander The Wedding of the Painted Doll, Singin’ in the Rain, Three Little Words, Goodnight, Sweetheart, My Love Parade, Spring Is Here, Whose Baby Are You? sowie einen Ausschnitt aus I Want an Automobile With a Horn That Goes Toot-Toot. Und als ich gerade das Ende des letzten Songs erreichte, klingelte das Telefon.
Ich ging an den Apparat und blieb lauschend stehen. Und je länger ich lauschte, desto steinerner wurde meine Miene.
»Also schön, Mr. Manglehoffer«, sagte ich kühl. »Richten Sie Mrs. Tinkler-Moulke und Konsorten doch bitte aus, dass ich mich für die zweite Option entscheide.«
Ich betätigte die Klingel.
»Jeeves«, sagte ich, »es gibt Ärger.«
»Tatsächlich, Sir?«
»Allerlei Unbilden erheben in Berkeley Mansions, W1, ihr hässliches Haupt. Außerdem konstatiere ich einen Mangel an Kompromissbereitschaft und die Zerrüttung gutnachbarschaftlicher Beziehungen. Ich habe mich am Telefon gerade mit unserem Hausmeister unterhalten, und dieser hat ein Ultimatum gestellt: Entweder hänge ich die Banjolele an den Nagel, oder ich muss meine Sachen packen.«
»Tatsächlich, Sir?«
»Beschwert haben sich angeblich Mrs. Tinkler-Moulke aus C6, Oberstleutnant J. J. Bustard, DSO, aus B5 sowie Sir Everard und Lady Blennerhassett aus B7. Tja, sei’s drum. Mir doch egal. Auf diese Tinkler-Moulkes, Bustards und Blennerhassetts ist gepfiffen. Der Abschied versetzt mir nicht den leisesten Stich.«
»Sie gedenken umzuziehen, Sir?«
Ich zog die Augenbrauen hoch.
»Jeeves, Sie glauben doch nicht im Ernst, dass mir ein anderer Weg offensteht?«
»Ich fürchte, Ihnen werden andernorts ähnliche Animositäten entgegenschlagen, Sir.«
»Nicht dort, wohin ich mich nun begeben werde. Es ist meine Absicht, mich aufs tiefste Land zurückzuziehen. Ich werde dort, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen, ein Häuschen mieten und meine Musikstudien fortsetzen.«
»Ein Häuschen, Sir?«
»Ein Häuschen, Jeeves. Nach Möglichkeit von Geißblatt überwachsen.«
Schon im nächsten Moment wäre ich fast aus den Pantinen gekippt, denn nach einer kurzen Pause stieß Jeeves, den ich seit unvordenklichen Zeiten gleichsam an meinem Busen genährt habe, eine Art Hüsteln aus, woraufhin folgende unfasslichen Worte über seine Lippen kamen:
»Wenn das so ist, Sir, werde ich leider meine Kündigung einreichen müssen.«
Dem folgte eisiges Schweigen. Ich starrte den Mann an.
»Jeeves«, sagte ich in einem Ton, den man ohne Übertreibung entgeistert nennen könnte, »habe ich Sie richtig verstanden?«
»Jawohl, Sir.«
»Sie denken ernsthaft daran, meine Entourage zu verlassen?«
»Schwersten Herzens, Sir. Falls es jedoch Ihre Absicht ist, das fragliche Instrument in den beengten Verhältnissen eines Landhäuschens …«
Ich richtete mich auf.
»Sie sagen ›das fragliche Instrument‹, Jeeves, und zwar mit garstig-blasiertem Unterton. Soll das heißen, Ihnen missfällt diese Banjolele?«
»Jawohl, Sir.«
»Bisher haben Sie sie aber klaglos erduldet.«
»Nur mit allergrößter Mühe, Sir.«
»Dann lassen Sie sich gesagt sein, dass gestandenere Männer als Sie schon Schlimmeres als diese Banjolele erduldet haben. Ist Ihnen bewusst, dass ein Bulgare namens Elia Gospodinoff einst 24 Stunden am Stück Dudelsack gespielt hat? Robert Ripley bezeugt dies in seinem Werk Unglaublich, aber wahr.«
»Tatsächlich, Sir?«
»Glauben Sie etwa, Gospodinoffs Leibdiener habe aufgemuckt? Was für eine lachhafte Idee! Diese Bulgaren sind aus härterem Holz geschnitzt. Ich bin überzeugt, er hat seinen jungen Herrn bis zum bitteren Ende bei dessen Versuch unterstützt, den mitteleuropäischen Rekord zu brechen, und ist ihm bestimmt auch mit Eisbeuteln und anderen Aufbaumitteln beigesprungen. Seien Sie doch etwas bulgarischer, Jeeves!«
»Nein, Sir, leider muss ich auf meiner Position beharren.«
»Aber just Ihre Position wollten Sie doch aufgeben, verdammt!«
»Ich hätte wohl besser sagen sollen: Ich muss auf dem von mir eingenommenen Standpunkt beharren.«
»Ach.«
Ich sann ein Weilchen nach.
»Ihnen ist es ernst, Jeeves?«
»Jawohl, Sir.«
»Sie haben sich alles reiflich überlegt, die Sache auf den Prüfstand gestellt und Pro und Contra gründlich abgewogen?«
»Jawohl, Sir.«
»Und Sie bleiben dabei?«
»Jawohl, Sir. Falls es denn tatsächlich Ihre Absicht sein sollte, das fragliche Instrument weiterzuspielen, bleibt mir keine andere Wahl, als zu gehen.«
Das Wooster’sche Blut geriet in Wallung. Zwar hat die Entwicklung der letzten Jahre diesem Kerl eine Machtstellung verschafft, die man als diejenige eines Mussolinis im Kleinformat bezeichnen könnte, doch bei Licht betrachtet muss man sich doch fragen: Wer ist dieser Jeeves überhaupt? Ein Diener, ja ein schlichter Lohnsklave. Und man kann vor seinem Diener doch nicht auf Dauer servil – heißt es servil? Das Wort fängt jedenfalls mit einem S an – zu Kreuze kriechen. Es kommt der Moment, da hat man seiner Ahnen zu gedenken, die sich einst in der Schlacht von Crecy mit Ruhm bekleckert haben, und muss mit der Faust auf den Tisch schlagen. Besagter Moment war nun gekommen.
»Dann gehen Sie halt, verdammt!«
»Sehr wohl, Sir.«
Ich gestehe, dass ich eine halbe Stunde später recht missgelaunt nach Hut, Stock und zitronengelben Lederhandschuhen griff und auf Londons Straßen hinaustrat. Doch obschon ich mir lieber gar nicht erst vorstellte, wie sich ein Leben ohne Jeeves anlassen könnte, war an Einlenken nicht zu denken. Als ich nach Piccadilly abbog, verwandelte ich mich in einen Mann aus Panzerstahl und Feuer und hätte wohl im nächsten Moment sogar geschnaubt, ja den Schlachtruf des Stammes Wooster in die Welt gebrüllt, wenn ich am Horizont nicht eine vertraute Gestalt gesehen hätte.
Bei dieser vertrauten Gestalt handelte es sich um keinen anderen als meinen alten Jugendfreund, den fünften Baron Chuffnell – jenen Burschen also, dessen Tante Myrtle ich am Vorabend mit dem Höllenhund Glossop hatte parlieren sehen.
Sein Anblick rief mir in Erinnerung, dass ich Bedarf an einem Landhäuschen hatte und genau er diesen zu decken vermochte.
Ich weiß nicht, ob ich schon früher von Chuffy erzählt habe. Falls nicht, sollte ich vielleicht erklären, dass ich Chuffy praktisch von Kindesbeinen an gekannt habe, da er und ich zusammen auf der Vorbereitungsschule und dann in Eton und Oxford waren. Dieser Tage sehen wir uns nur noch selten, da er meistens in Chuffnell Regis an der Küste der Grafschaft Somersetshire weilt, wo er ein gigantisches Herrenhaus mit etwa hundertfünfzig Zimmern und einem sich über Meilen erstreckenden Park besitzt.
Der Leser darf nun aber nicht glauben, Chuffy sei einer meiner betuchteren Kumpel. Wie die meisten dieser Landbesitzer ist der Ärmste ständig klamm und wohnt nur deshalb in Chuffnell Hall, weil er den Klotz nun mal am Bein hat und es sich nicht leisten kann, anderswo zu leben. Käme jemand des Wegs und kaufte ihm das Unding ab, würde er ihn auf beide Wangen küssen. Doch wer will heutzutage schon ein Haus dieser Größe kaufen? Nicht mal vermieten kann es Chuffy. Und so versauert er den Großteil des Jahres dort und hat als Gesprächspartner nur den Dorfarzt, den Pfarrer sowie seine Tante Myrtle samt ihrem zwölfjährigen Sohn Seabury, welche beide nebenan im Witwenhaus leben: eine sterbensöde Existenz für einen Mann, der als Student allen Anlass zur Hoffnung gab, dereinst die Puppen so richtig tanzen zu lassen.
In Chuffys Besitz befindet sich außerdem das Dörfchen Chuffnell Regis, doch auch davon kann er sich nichts kaufen. Die Grundstückssteuer und all die Auslagen für Reparaturen und Ähnliches fressen die Mieteinnahmen fast zur Gänze auf – kurzum, ein Fass ohne Boden.
Und doch verfügte er als Gutsherr bestimmt über Dutzende von Häuschen und würde einem achtbaren Mieter wie mir liebend gern eines davon abtreten.
»Genau dich wollte ich sehen, Chuffy«, sagte ich darum nach Abschluss des großen Hallihallos. »Komm, wir gehen im Drones Club was futtern. Ich habe dir ein lukratives Geschäft anzubieten.«
Er schüttelte den Kopf – wehmütig, wie mir scheinen wollte.
»Nichts wäre mir lieber, Bertie, aber ich bin in fünf Minuten im Carlton mit einem Mann zum Lunch verabredet.«
»Lass ihn doch sitzen.«
»Unmöglich.«
»Dann bring ihn mit, und wir essen zu dritt.«
Chuffy lächelte matt.
»Das wäre kaum nach deinem Geschmack, Bertie. Es handelt sich um Sir Roderick Glossop.«
Ich glotzte. Es ist immer leicht verstörend, wenn man gerade A verlassen hat, um B zu treffen, und plötzlich hört, wie B diesen A ins Gespräch einflicht.
»Sir Roderick Glossop?«
»Ja.«
»Ich wusste gar nicht, dass du ihn kennst.«
»Nur flüchtig. Ich bin ihm erst zwei- oder dreimal begegnet. Er ist mit Tante Myrtle dick befreundet.«
»Das erklärt natürlich alles! Ich habe sie gestern mit ihm beim Dinner gesehen.«
»Und heute könntest du mich im Carlton mit ihm beim Lunch sehen.«
»Aber Chuffy, altes Haus, ist das auch klug? Ist es weise? Ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage, dass es eine furchtbare Tortur ist, mit dem Kerl das Brot zu brechen.«
»Kann ich mir denken, aber da muss ich durch. Gestern hat er mich in einem dringenden Telegramm aufgefordert, ihn umgehend in der Stadt zu treffen, und nun hege ich die Hoffnung, dass er Chuffnell Hall über den Sommer mieten will oder jemanden kennt, der das tut. Er würde kaum in diesem Ton kabeln, wenn nicht etwas im Busch wäre. Nein, ich muss das durchstehen, Bertie. Aber machen wir’s so: Morgen treffen wir uns zum Dinner.«
Unter anderen Umständen wäre ich natürlich Feuer und Flamme gewesen, doch hier musste ich passen. Ich hatte meinen Plan geschmiedet und meine Vorkehrungen getroffen – es stand nicht mehr zu ändern.
»Tut mir leid, Chuffy. Ich reise morgen aus London ab.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Die Verwaltung des Hauses, in dem ich wohne, hat mich vor die Wahl gestellt, entweder sofort auszuziehen oder meine Banjolele aufzugeben. Ich habe mich für Ersteres entschieden. Nun werde ich irgendwo auf dem Land ein Häuschen mieten, und genau das habe ich vorhin gemeint, als ich von einem lukrativen Geschäft sprach. Hättest du ein Häuschen für mich?«
»Du kannst zwischen einem halben Dutzend wählen.«
»Es muss ruhig und abgeschieden sein. Ich werde dort nämlich fleißig Banjolele üben.«
»Da habe ich die perfekte Bude für dich! Sie liegt am Rande des Hafens, und der einzige Nachbar im Umkreis einer Meile ist Polizeisergeant Voules, und der spielt Harmonium. Ihr könntet ja ein Duo gründen.«
»Prima!«
»Außerdem tourt dieses Jahr eine Minstrel-Truppe durch die Gegend. Von diesen Leuten könntest du dir bestimmt manchen Kniff abschauen.«
»Das klingt ja himmlisch, Chuffy! Und wir beide bekommen uns endlich wieder mal zu Gesicht.«
»Aber deine verdammte Banjolele kommt mir nicht ins Haus!«
»Nein, alter Knabe. Dafür schaue ich an den meisten Tagen zum Lunch vorbei.«
»Danke.«
»Keine Ursache.«
»Und was hat Jeeves dazu zu sagen? Ich hätte nicht gedacht, dass es ihm Spaß macht, London den Rücken zu kehren.«
Ich versteifte mich leicht.
»Jeeves hat weder dazu noch zu irgendwas anderem das Geringste zu sagen. Wir sind geschiedene Leute.«
»Was!?«
Ich hatte mir schon gedacht, dass ihn die Neuigkeit verblüffen würde.
»Ja«, sagte ich, »fortan wird stolz zu Ross’ er reiten, ich indes zu Fusse schreiten. Der Kerl hatte die bodenlose Chuzpe, mir zu eröffnen, dass er kündigen werde, falls ich meine Banjolele nicht aufgäbe. Ich habe seine Demission angenommen.«
»Du hast ihn tatsächlich ziehen lassen?«
»Allerdings.«
»Schau an, schau an!«
Lässig winkte ich ab.
»So was kommt vor«, sagte ich. »Ich will gar nicht so tun, als freue es mich, aber ich weiß, wie man in einen sauren Apfel beißt. Meine Selbstachtung lässt es nicht zu, dass ich Jeeves’ Bedingungen akzeptiere. Man kann es mit einem Wooster auch zu bunt treiben. ›Also schön, Jeeves‹, habe ich gesagt. ›Sei’s drum. Ich werde Ihre weitere Laufbahn mit regem Interesse verfolgen.‹ Und das war’s.«
Schweigend spazierten wir ein Stück weiter.
»Dann hast du dich also von Jeeves getrennt, wie?«, sagte Chuffy in nachdenklichem Ton. »Schau an, schau an! Stört es dich, wenn ich kurz bei ihm vorbeischaue, um mich zu verabschieden?«
»Aber nein.«
»Das wäre doch nur anständig.«
»Allerdings.«
»Ich war schon immer ein großer Bewunderer seiner Geisteskräfte.«
»Und ich erst – einen größeren gibt’s gar nicht.«
»Dann gehe ich nach dem Lunch bei ihm vorbei.«
»Immer hübsch der Nase nach!«, sagte ich in ungezwungenem, ja sorglosem Ton. Das Zerwürfnis mit Jeeves hatte mir das ungute Gefühl gegeben, auf eine Mine getreten zu sein, und nun musste ich meine Einzelteile in einer freudlosen Welt wieder zusammensetzen, doch uns Woosters bringt nichts so schnell aus der Fassung.
Ich aß im Drones Club zu Mittag und verbrachte, mit Stoff zum Nachdenken reichlich versorgt, auch den Nachmittag dort. Chuffys Bemerkung, dass an den Gestaden von Chuffnell Regis eine Minstrel-Truppe gastiere, hatte das Pendel in die Richtung jenes Ortes ausschlagen lassen. Dass ich mit solchen Fachleuten Umgang pflegen und mir vom Banjospieler vielleicht sogar die eine oder andere Scheibe in Sachen Technik oder Fingersatz abschneiden könnte, versöhnte mich halbwegs mit der Aussicht, bald an einem Ort zu weilen, wo ich der Witfrau Chuffnell und ihrem Sohn Seabury in einer Tour über den Weg laufen würde. Schon oft hatte ich nämlich gedacht, wie hart es den guten alten Chuffy ankommen musste, besagtes Pestbeulengespann permanent bei sich ein und aus gehen zu sehen. Und mit dieser Bemerkung ziele ich ganz spezifisch auf Klein Seabury, einen Knaben, den man gleich bei der Geburt hätte erdrosseln sollen. Auch wenn ich dies nicht schlüssig beweisen kann, bin ich felsenfest davon überzeugt, dass er es war, der mir bei meinem letzten Aufenthalt in Chuffnell Hall die Eidechse ins Bett gelegt hatte.
Doch wie gesagt: Ich war bereit, dieses Duo in Kauf zu nehmen, solange ich nur in unmittelbaren Kontakt mit einem Banjovirtuosen treten konnte, denn die meisten dieser Minstrel-Burschen zupfen die Saiten, dass es eine Art hat. Es war also nicht der Gedanke an jene beiden, der mich so eigenartig verdrossen stimmte, als ich in die Wohnung zurückkehrte, um mich fürs Dinner umzuziehen.
Nein. Wir Woosters lügen uns nicht in die Tasche. An die Nieren ging mir vielmehr, dass Jeeves im Begriff stand, aus meinem Leben zu scheiden. Einen wie Jeeves hatte es davor nicht gegeben und würde es danach nie mehr geben, dachte ich, als ich trübsinnig in meine Abendgarderobe stieg. Starke und nicht unmännliche Gefühle bemächtigten sich meiner. Ich verspürte einen Stich. Und als ich nach Beendigung meiner Toilette vor den Spiegel trat und den perfekt geplätteten Frack und die Hose mit ihren makellosen Bügelfalten betrachtete, fällte ich einen jähen Entschluss.
Pfeilschnell sauste ich in den Salon und drückte auf die Klingel.
»Jeeves«, sagte ich, »auf ein Wort.«
»Ja, Sir?«
»Jeeves, um auf unser Gespräch von heute Morgen zurückzukommen …«
»Ja, Sir?«
»Jeeves«, sagte ich, »ich habe mir die Sache nochmals durch den Kopf gehen lassen und bin zum Schluss gelangt, dass wir beide überstürzt gehandelt haben. Lassen wir die Vergangenheit ruhen: Sie können bleiben.«
»Sehr zuvorkommend, Sir, aber … gedenken Sie weiterhin, mit der Erlernung des fraglichen Instrumentes fortzufahren?«
Ich erstarrte.
»Jawohl, Jeeves, das gedenke ich.«
»Dann fürchte ich, Sir …«
Es reichte. Ich nickte hochmütig.
»Also schön, Jeeves. Das wäre alles. Selbstverständlich werde ich Ihnen ein tadelloses Zeugnis ausstellen.«
»Vielen Dank, Sir, aber das wird nicht nötig sein. Heute Nachmittag bin ich in die Dienste von Lord Chuffnell getreten.«
Ich zuckte zusammen.
»Hat Chuffy heute Nachmittag vorbeigeschaut, um Sie hinterrücks wegzuschnappen?«
»Jawohl, Sir. Ich werde ihn in einer Woche nach Chuffnell Regis begleiten.«
»Was Sie nicht sagen! Dann interessiert es Sie bestimmt zu hören, dass ich mich bereits morgen nach Chuffnell Regis begeben werde.«
»Tatsächlich, Sir?«
»Jawohl. Ich miete dort ein Häuschen. Bei Philippi sehen wir uns wieder, Jeeves.«
»Jawohl, Sir.«
»Oder verwechsle ich da was?«
»Nein, Sir. Philippi ist korrekt.«
»Wohlan, Jeeves.«
»Wohlan, Sir.«
Dies also war der Ablauf der Ereignisse, die dazu führten, dass Bertram Wooster am Morgen des 15. Juli vor der Tür seines Seaview Cottage in Chuffnell Regis stand und durch den würzigen Qualm einer Zigarette den Blick verträumt schweifen ließ.
Je älter ich werde, desto stärker glaube ich, dass der entscheidende Dreh im Leben darin besteht, genau zu wissen, was man will, und sich auch dann nicht ins Bockshorn jagen zu lassen, wenn Freunde glauben, sie wüssten alles besser. Als ich im Drones Club an meinem letzten Tag in der großen Stadt verkündete, ich würde mich auf unabsehbare Zeit in das erwähnte Kaff zurückziehen, flehten mich alle praktisch mit Tränen in den Augen an, doch um Himmels willen nicht so etwas Bescheuertes ins Auge zu fassen. Man sagte, ich würde mich dort zu Tode langweilen.
Doch ich hatte meinen Plan unbeirrt weiterverfolgt, und so stand ich nun am fünften Morgen meines Aufenthalts quietschfidel und frei von Reue hier. Die Sonne strahlte. Der Himmel war blau. Und London schien in meilenweiter Ferne zu liegen – und lag es ja tatsächlich. Ohne Übertreibung kann ich sagen, dass in meiner Seele tiefer Frieden Einzug hielt.
Wenn ich eine Geschichte erzähle, weiß ich nie, wie stark ich die Szene ausschmücken soll. Ich habe zwei Schreiberlinge meines Bekanntenkreises danach gefragt, und ihre Ansichten divergieren. Ein Bursche, den ich auf einer Cocktailparty in Bloomsbury traf, bekundete eine Schwäche für die Schilderung von Spülbecken, stickigen Schlafzimmern und allem Dreck und Unrat der Welt, meinte jedoch, er pfeife auf die Schönheiten der Natur. Andererseits hat mir Freddie Oaker, der für die Wochenblätter unter dem Pseudonym Alicia Seymour schwüle Schmonzetten verfasst, einst im Drones Club verraten, dass er nur schon mit der Beschreibung von Blumenwiesen im Frühjahr gut einhundert Pfund pro Jahr auf sein Konto schaufelt.
Ich selbst habe noch nie viel übriggehabt für langatmige Landschaftsschilderungen und mache es deshalb kurz. Als ich an jenem Morgen so dastand, bot sich meinem Auge folgender Anblick: Es gab ein hübsches Gärtchen mit einem Strauch, einem Baum, zwei, drei Blumenbeeten, einem Seerosenteich mit der Statue eines nackten Bübchens samt Bauchansatz sowie rechterseits eine Hecke. Jenseits der Hecke hielt mein neuer Diener Brinkley gerade einen nachbarschaftlichen Schwatz mit Sergeant Voules, der offensichtlich vorbeigeschaut hatte, um uns Eier anzudrehen.
Geradeaus gab es eine zweite Hecke mit dem Gartentor darin, und über diesem war das ruhige Wasser des Hafens zu sehen, der sich allein darin von irgendeinem anderen Hafen unterschied, als in der vergangenen Nacht ein Trumm von einer Jacht eingetrudelt und vor Anker gegangen war. Und unter allen von mir im Moment betrachteten Objekten erfreute jene Jacht mein Auge am allermeisten. Weiß gestrichen und so groß wie ein halbwüchsiger Ozeandampfer, verlieh sie dem Vorland von Chuffnell Regis eine gewisse Klasse.
So also breitete sich die Szenerie vor mir aus. Und denkt sich der Leser noch eine Katze hinzu, die eine Schnecke auf dem Gartenweg beschnuppert, sowie meine Wenigkeit, die vor der Tür ein Zigarettchen schmaucht, dann hat er das Bild komplett vor sich.
Nein, stimmt nicht, zur Komplettierung fehlt nämlich noch eines: Ich hatte den guten alten Zweisitzer auf der Straße stehen lassen und konnte dessen oberen Teil knapp sehen. In diesem Moment wurde die sommerliche Stille vom Klang der Hupe zerrissen, und ich wetzte haste, was kannste zum Tor, da ich fürchtete, irgendein Teufel in Menschengestalt mache mir einen Kratzer in den Lack. Als ich jedoch am Ziel anlangte, erblickte ich bloß einen kleinen Jungen, der auf dem Vordersitz versonnen den Gummiball der Hupe drückte. Ich holte bereits zu einer Maulschelle aus, als ich in ihm Chuffys Cousin Seabury erkannte und mir Zurückhaltung auferlegte.
»Hallo«, sagte er.
»Servus«, antwortete ich.
Ich gab mich reserviert. Die Erinnerung an die erwähnte Eidechse in meinem Bett war noch nicht verklungen. Ich weiß nicht, ob der Leser schon mal schlaftrunken unter die Laken gekrochen ist und sich jäh mit einer Eidechse im rechten Pyjamabein konfrontiert gesehen hat. Eine solche Erfahrung zeichnet einen fürs Leben. Und obschon ich wie gesagt nicht juristisch nachweisen konnte, dass dieser Galgenstrick der Missetäter gewesen war, hegte ich gegen ihn einen an Gewissheit grenzenden Verdacht. Und so sprach ich nun nicht nur mit markanter Unterkühltheit, sondern musterte ihn auch ausgesprochen frostig.
Dies schien ihn jedoch nicht die Bohne zu jucken. Er musterte mich weiterhin mit jenem herablassenden Blick, der ihm unter rechtschaffenen Menschen schon so viele Feinde gemacht hat. Er war ein sommersprossiger Knirps mit Segelohren und hatte die Angewohnheit, sein Gegenüber anzuschauen, als hätte er es gnädigerweise aus der Gosse gezogen. In meiner Halunkengalerie jugendlicher Rotzlöffel rangiert er auf Platz drei – nicht ganz so übel wie Klein Thos, der Sohnemann meiner Tante Agatha, oder der Filius von Mr. Blumenfeld, doch weit vor dem kleinen Sebastian Moon, Tante Dahlias Sohn Bonzo und dem Rest des Feldes.
Nachdem er mich ein Weilchen angestiert hatte, als finde er, mit mir sei es seit unserer letzten Begegnung nochmals kräftig bergab gegangen, hob er zu sprechen an:
»Du wirst zum Lunch erwartet.«
»Ist Chuffy denn schon zurück?«
»Ja.«
Da Chuffy heimgekehrt war, konnte er selbstverständlich frei über mich verfügen. Ich rief Brinkley über die Hecke hinweg zu, dass ich mein Mittagsmahl andernorts einnehmen würde, und stieg in den Wagen, worauf wir losfuhren.
»Wann ist Chuffy denn zurückgekommen?«
»Gestern Abend.«
»Sind wir allein zum Lunch?«
»Nein.«
»Wer ist denn noch da?«
»Mama und ich und noch ein paar Leutchen.«
»Ach, eine richtige Tischgesellschaft? Dann kehre ich wohl besser um und ziehe mir was Feineres an.«
»Nein.«
»Findest du, ich sehe in diesem Aufzug gut genug aus?«
»Nein, finde ich nicht. Hundsmiserabel siehst du aus, aber wir haben keine Zeit.«
Nachdem diese Frage geklärt war, verfiel er in Schweigen. Ein grüblerisches Bürschchen. Schließlich beendete er es, um mich mit dem neuesten Ortsklatsch zu versorgen.
»Mama und ich wohnen wieder in Chuffnell Hall.«
»Was!?«
»Ja. Im Witwenhaus muffelt es so komisch.«
»Obwohl du ausgezogen bist?«, versetzte ich auf meine schlagfertige Art.
Er zeigte sich mäßig amüsiert.
»Spar dir deine Späßchen. Wenn du’s wirklich wissen willst: Ich glaube, es sind meine Mäuse.«
»Deine was?«
»Ich ziehe neuerdings Mäuse und Welpen groß. Und die riechen halt ziemlich streng«, ergänzte er leidenschaftslos. »Mama glaubt dagegen, es liege an den Sickerrohren. Gibst du mir fünf Shilling?«
Ich konnte dem Gedankengang schlicht nicht folgen. Die Sprunghaftigkeit seines Konversationsstils gab mir jenes schwummrige Gefühl, das einen auch in Träumen gern befällt.
»Fünf Shilling?«
»Fünf Shilling.«
»Was meinst du denn mit ›fünf Shilling‹?«
»Ich meine fünf Shilling.«
»Schon klar. Ich wüsste nur gern, was uns so unvermittelt auf dieses Thema gebracht hat. Gerade war noch von Mäusen die Rede, da bringst du plötzlich dieses Fünf-Shilling-Motiv ins Spiel.«
»Ich möchte fünf Shilling.«
»Auch wenn ich einräume, dass du die besagte Summe gern hättest – warum zum Teufel sollte ich sie dir geben?«
»Zu deinem Schutz.«
»Was!?«
»Zu deinem Schutz.«
»Schutz wovor?«
»Einfach Schutz.«
»Von mir kriegst du ganz sicher keine fünf Shilling.«
»Tja dann.«
Schweigend saß er ein Weilchen da.
»Schon manch einem, der sein Schutzgeld nicht hinblättern wollte, ist etwas Schlimmes passiert«, sagte er verträumt.
Und auf diesem rätselhaften Ton endete unser Gespräch, denn wir tuckerten inzwischen die Auffahrt zu Chuffnell Hall hoch, und ich sah auf der Treppe auch schon Chuffy stehen. Ich bremste und stieg aus.
»Grüß dich, Bertie«, sagte Chuffy.
»Willkommen in Chuffnell Hall«, gab ich zurück. Ich schaute mich um. Der Kleine war verschwunden. »Hör mal, Chuffy«, sagte ich. »Klein Seabury – was ist denn mit dem los?«
»Was soll mit ihm los sein?«
»Wenn du mich fragst, hat er sie nicht mehr alle. Vorhin hat er mich tatsächlich um fünf Shilling angegangen und irgendwas von Schutz gefaselt.«
Chuffy, der braungebrannt und topfit aussah, lachte schallend.
»Ach so, das ist seine neueste Masche.«
»Und das heißt?«
»Er guckt im Kino am liebsten Gangsterfilme.«
Wie Schuppen fiel es mir von den Augen.
»Ach so, er macht einen auf Mafioso?«
»Genau. Köstlich, wie? Er streicht überall Schutzgeld ein, den finanziellen Möglichkeiten seiner Opfer entsprechend. Und das Geschäft scheint zu florieren. Ein unternehmungslustiges Bürschchen. Ich an deiner Stelle würde blechen. Ich hab’s auch getan.«
Ich war schockiert, und zwar weniger darüber, dass dieser Satansbraten einen weiteren Beweis für seine Verworfenheit abgeliefert hatte, als vielmehr über Chuffy, dem das Ganze nur ein nachsichtiges Lächeln zu entlocken schien. Ich nahm ihn scharf ins Visier. Von Anfang an hatte mich sein Gebaren seltsam berührt. Bekommt man ihn sonst zu sehen, brütet er über seine finanzielle Lage und neigt dazu, einen mit trübem Auge und sorgenvoll gefurchter Stirn zu begrüßen. Noch vor fünf Tagen hatte er dies in London getan. Was mochte ihn nur dazu gebracht haben, nicht nur wie ein Honigkuchenpferd zu strahlen, sondern sich über Klein Seabury in einem Ton zu äußern, der liebevollem Verständnis gefährlich nahe kam? Ich witterte ein Geheimnis und beschloss, die Lackmusprobe zu machen.
»Wie geht es deiner Tante Myrtle?«
»Bestens.«
»Dem Vernehmen nach ist sie in Chuffnell Hall eingezogen.«
»Ja.«
»Auf Dauer?«
»O ja.«
Ich hatte genug gehört.
Was den guten alten Chuffy so schwer an seinem Kreuz tragen lässt, ist nicht zuletzt die Haltung, die seine Tante ihm gegenüber einnimmt. Sie hat diese ganze Erbfolgegeschichte nie restlos verwunden. Seabury ist nämlich nicht der Sohn von Chuffys verstorbenem Onkel, dem vierten Baron, sondern bloß etwas, was Lady Chuffnell im Laufe einer früheren Ehe en route aufgelesen hat, weshalb er als »Leibeserbe« – um den in Adelskreisen geläufigen Terminus zu bemühen – nicht in Betracht gekommen ist. Und wer kein Leibeserbe ist, der schreibt die Erbfolge besser gleich in den Kamin. Und so riss sich Chuffy, als der vierte Baron ins Gras biss, Titel und Familiengut unter den Nagel, was natürlich nur recht und billig war. Doch man versuche mal, so etwas einer Frau begreiflich zu machen. Jedenfalls hat mir Chuffy oft erzählt, das Gebaren der Witwe sei von konsequentester Gehässigkeit. Sie hatte eine Art, Seabury in die Arme zu schließen und Chuffy dabei so vorwurfsvoll anzuschauen, als hätte er Mutter und Kind über den Löffel balbiert. Wohl sagte sie kein Wort, vermittelte aber mit ihrer ganzen Haltung, dass sie sich als Opfer übelster Machenschaften betrachtete.
Und dies hatte zur Folge, dass Lady Chuffnell nicht zu Chuffys größten Spezis gehörte. Die Beziehung der beiden war von jeher stark angespannt gewesen. Worauf ich hinauswill: Hört Chuffy ihren Namen, tritt in aller Regel ein schmerzvoller Ausdruck in seine scharf geschnittenen Züge, und er winselt leicht, als hätte man in einer alten Wunde gestochert.
Nun aber lächelte er. Selbst meine Bemerkung über ihren Umzug nach Chuffnell Hall hatte ihn nicht aufgestachelt. Hier gab es Geheimnisse, in die Bertram nicht eingeweiht werden sollte.
Ich ging ihn frontal an.
»Chuffy«, sagte ich, »was hat das zu bedeuten?«
»Was hat was zu bedeuten?«
»Dein vermaledeiter Frohsinn. Mir kannst du nichts vormachen – nicht dem alten Adlerauge Wooster. Raus mit der Sprache, mein Lieber, hier ist was faul. Woher diese verfluchte Heiterkeit?«
Er zögerte. Einen Moment lang musterte er mich argwöhnisch.
»Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«
»Nein.«
»Na schön, was soll’s, morgen oder übermorgen steht es sowieso in der Morning Post.