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Du stellst meine Welt auf den Kopf ...
Die mitreißende Dark Romance-Reihe geht verführerisch weiter
Seit ihrer Kindheit kämpft die 20-jährige Madison dafür, ihren zwei jüngeren Geschwistern und sich ein geregeltes Leben zu ermöglichen. Endlich bietet sich ihr eine Chance: Auf einer Messe in Portland kann sie ihre selbstgeknüpften Perücken ausstellen und Kunden gewinnen, statt weiterhin mehrere Jobs gleichzeitig zu jonglieren. Doch nach einer Autopanne gibt es nur eine Person, die sie dorthin fahren kann: Emerson. Der Inhaber des Rum Nights ist genauso leichtsinnig und verrückt wie sein Lieblingsgetränk Tequila. Mit seiner draufgängerischen Art verkörpert der Barbesitzer alles, wovon Madison sich fernhalten möchte. Notgedrungen steigt sie trotzdem in sein Auto und wacht in einem Albtraum auf: Emerson hat die Bar ausgerechnet bei den Seattle Coyotes verschuldet und jetzt wird sie ebenfalls bedroht. Wenn Madison jemals sorgenfrei leben möchte, bleibt ihr nur eines übrig: Sie muss sich mit Emerson zusammentun und lässt sich auf einen Deal mit ihm ein …
Die Bände dieser Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.
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Rum Nights (ISBN: 9783987780585)
Erste Leser:innenstimmen
„Die Herausforderungen, denen sich die Protas stellen müssen, halten die Spannung bis zum Schluss aufrecht. Ein echter Pageturner!“
„Definitiv ein Liebesroman-Highlight in meinem Bücherregal!“
„Die Romantic Suspense hat mich von der ersten Seite an gepackt! Die Geschichte von Madison und Emerson ist so mitreißend und die Stimmung zwischen ihnen ganz schön prickelnd und leidenschaftlich …“
„Perfekte Verbindung von Drama, Romantik und Spannung. Ich liebe es!“
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Seitenzahl: 458
Seit ihrer Kindheit kämpft die 20-jährige Madison dafür, ihren zwei jüngeren Geschwistern und sich ein geregeltes Leben zu ermöglichen. Endlich bietet sich ihr eine Chance: Auf einer Messe in Portland kann sie ihre selbstgeknüpften Perücken ausstellen und Kunden gewinnen, statt weiterhin mehrere Jobs gleichzeitig zu jonglieren. Doch nach einer Autopanne gibt es nur eine Person, die sie dorthin fahren kann: Emerson. Der Inhaber des Rum Nights ist genauso leichtsinnig und verrückt wie sein Lieblingsgetränk Tequila. Mit seiner draufgängerischen Art verkörpert der Barbesitzer alles, wovon Madison sich fernhalten möchte. Notgedrungen steigt sie trotzdem in sein Auto und wacht in einem Albtraum auf: Emerson hat die Bar ausgerechnet bei den Seattle Coyotes verschuldet und jetzt wird sie ebenfalls bedroht. Wenn Madison jemals sorgenfrei leben möchte, bleibt ihr nur eines übrig: Sie muss sich mit Emerson zusammentun und lässt sich auf einen Deal mit ihm ein …
Die Bände dieser Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.
Erstausgabe Dezember 2023
Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98778-573-3 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-577-1
Covergestaltung: Anne Gebhardt unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Viktoriia_P, © intueri, © galacticus, © Aratehortua, © Baimieng stock.adobe.com: © nastia1983 Lektorat: Mareike Westphal
E-Book-Version 24.09.2024, 13:10:36.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Liebe Leser:innen,
um allen das bestmögliche Lesererlebnis zu ermöglichen, informieren wir im Vorfeld über Inhalte des Buches, die womöglich triggern:
toxische Beziehung, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Sucht, Rassismus durch Nebencharaktere, körperliche Gewalt, Androhung sexueller Gewalt, Entführung, explizite Erotik, Suizidversuch, Bandenkriminalität, Verlust von Familienangehörigen, Blut
Samstag! Heute gehen wir Eis essen und dann schwimmen! Aufgeregt schlage ich die Bettdecke zurück und flitze zu meinem Bruder Jason, der im Bett gegenüber liegt. Ich stemme die Hände auf die Matratze und hüpfe vor ihm auf und ab.
»Maddy, lass das!«
»Jason! Jetzt wach auf! Los. Nicht, dass das Eis schmilzt.«
Mein Bruder jault und meckert, reißt erst beim Wort »schmilzt« endlich die Augen auf. »Kann das passieren?«
Die Hände in die Hüften gestemmt nicke ich energisch, obwohl ich keine Ahnung habe.
»Meinst du, Dad lässt mich extra Streusel nehmen?«, überlegt Jason, doch ich höre ihm nicht mehr zu und flitze in die Küche.
In die leere Küche.
Kein Frühstück, keine Kaffeetassen von Mom oder Dad, keine Musik. Nur dreckige Teller neben der Spüle, eine große Flasche Alkohol und eine leere Papiertüte wie aus der Apotheke auf dem Esstisch, wo wir gestern noch zu fünft riesige Sandwiches gegessen haben.
»Dad?«, rufe ich, ohne eine Antwort zu erhalten. Mein Herz schlägt schneller. Dad ist hier bestimmt noch. Vielleicht wartet er draußen? Ich laufe durch das Wohnzimmer und luge durch das Fenster, das die Straße vor unserem Apartment hinabschaut. Er wartet irgendwo auf uns. Bloß wo? Er hat gesagt, dass wir etwas unternehmen! Ich raufe mir durch das kurze Haar und schlurfe mit hängenden Schultern zurück in die Küche. Habe ich etwas übersehen? Nacheinander öffne ich Kühlschrank, Mikrowelle und die obersten Schubladen, ohne unseren Proviant zu finden.
Jason erscheint neben mir. Seine Augen werden groß und panisch, spiegeln meine Gefühle. Er hat die gleiche Befürchtung wie ich.
Aber Dad hat es versprochen!
»Mom?«, kreische ich und laufe in ihr Schlafzimmer, wodurch ich Jason bereits zum zweiten Mal stehen lasse.
Im Schlafzimmer stinkt es. Nach Zigaretten, Alkohol und Kranksein. »Wo ist Dad?«
Ein Zigarettenstummel glimmt auf dem Nachttisch, ein leeres Glas steht daneben, am Boden liegt eine orangefarbene Pillendose.
»Geh weg«, mault Mom, doch ich trete näher. Sie sieht ungesund aus, hat Augenringe, zerzauste Locken und einen giftigen Blick aufgelegt.
»Aber Dad wollte mit uns Eis essen gehen! Hat er gestern noch gesagt.«
Jason läuft ebenfalls ins Zimmer, knallt mit seiner Brust versehentlich gegen meinen Oberarm, weil ich im Weg stehe.
»Er ist weg.«
»Was?«, rufen wir synchron.
Das kann nicht sein! Wieso verspricht er Abenteuer, wenn er zu tun hat? Er meinte, er bleibe. Er meinte, wir seien eine Familie und er müsse nicht mehr arbeiten. Deswegen hat er für den Gemeinschaftsgarten einen aufblasbaren Swimmingpool gekauft und sogar Mom dazu gebracht, einen Badeanzug anzuziehen. Sie haben gelächelt, sind glücklich gewesen!
»Hört ihr schlecht? Euer Dad ist abgehauen. Penner, der er ist. Er hat sich verpisst und will uns nicht. Und jetzt geht.« Sie macht eine abwertende Handbewegung und dreht sich von uns weg.
Jasons Hand berührt meine, und ich greife danach, drücke zu.
Nicht schon wieder. Dieses Mal wollte er bleiben. Dad weiß, was er mit Mom macht. Jedes Mal zerstört er sie. Sie hält das nicht aus und er weiß …
Jason zieht mich aus Moms Schlafzimmer. Unsere jüngeren Geschwister jauchzen in ihrem Zimmer, und ein Blick zwischen Jason und mir genügt. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und droht, mich zu ersticken. Ich bin wieder allein. Jedes Mal diese Versprechen, die sie nicht halten. Erwachsene sind alles Lügner.
»Scheiße.« Ich presse die Handflächen gegen meine Augen, damit ich nicht heule … und tue es trotzdem.
»Madison.« Jason klingt genauso hilflos, wie ich mich fühle. Aber ich bin die Ältere.
Laut schniefend strecke ich den Rücken durch. »Schon okay. Ich ziehe Alex und Faith an. Machst du Frühstück?«
Mein Bruder brennt alles an, so wie ich es einfach nicht hinbekomme, dass unsere Geschwister, ohne zu murren, aufstehen, aber haben wir eine Wahl?
Jason nickt, und wenigstens ein kleiner Hoffnungsschimmer bleibt: Ich bin nicht allein, wir sind es. Jason und ich sind ein Team. Für immer. Wir gegen die Welt. Scheiß auf Eltern.
Madison
Nachlässige Küsse, leises Seufzen, ein sanftes Streicheln über die Kurven.
Ich sauge an seinen Lippen, wandere langsam an seinem Hals hinab, schmecke seine salzige Haut, während Musik aus dem Zimmer nebenan wummert. Sein Mitbewohner ist genauso beschäftigt wie wir. Mein Typ zieht mein Kleid unwirsch über den Kopf, lässt BH und Slip folgen und streckt sein Becken vor, damit ich den Reißverschluss seiner zerfledderten Jeans öffne. Die Geräuschkulisse im anliegenden Zimmer treibt ihn genauso an wie mich. Ich schäle ihn aus seiner engen Hose und beuge mich vor, um Küsse seinen Bauch hinab bis zu der Beule in seinen Boxershorts zu platzieren. Direkt über dem Bund halte ich inne, obwohl mein Unterleib sich bereits sehnsuchtsvoll zusammenzieht. Er wandert mit seinen Händen zwischen meine Beine und reibt über meinen Kitzler, bis ich vergesse, wo wir eigentlich sind, und nur noch die warmen, stärker werdenden Wogen in mir spüre.
»Wo liegen die Kondome?« Ich keuche und zwinge mich, die Augen zu öffnen, um das Ganze nicht zu schnell enden zu lassen.
»Nimmst du nicht die Pille? Ich habe keine.«
Wie bitte? Das kann mir jeder erzählen. Arschloch! Ich greife nach seinen Händen, die eine inzwischen feucht von mir, damit er seine kreisenden Bewegungen unterbricht.
»Darum geht’s nicht.«
»Bist du prüde?« Er lächelt mich schief an, wodurch die Spider Bites an seiner Lippe näher zusammenrutschen. Genauso wie sie auf der Straße dafür gesorgt haben, dass mein Blick an ihm hängen geblieben ist, sorgt es jetzt dafür, dass ich von ihm hinuntergleite. Sein verlockendes Grinsen hat plötzlich etwas Arrogantes angenommen.
»Na, so hat mich noch keiner genannt. Du hast wirklich kein Gummi?« Ich liebe Sex, aber nicht unter Risiko meiner Gesundheit.
Er schüttelt den Kopf.
»Können wir deinen Mitbewohner nach einem fragen?« Es klingt eh gerade nach seinem Höhepunkt.
»Oder wir könnten einfach …« Er zieht mich an den Armen wieder zu sich hinab, sodass ich sie links und rechts von seiner Schulter platziere. Sein warmer Atem streift meine Wange, hält mich für einen Moment gefangen, obwohl mein Entschluss längst gefasst ist. Für einen One-Night-Stand werfe ich meine Prinzipien nicht über Bord. Meine Lust flaut ab, als wäre sie nie dagewesen, und die Nässe zwischen meinen Beinen hat plötzlich etwas Klebriges.
»Nein, Mann. Ich bin weg.«
Etwas ungalant schwinge ich mein Bein von ihm und fische nach meinem Kleid. Auf der Suche nach meinem Slip drehe ich mich herum, finde ihn allerdings genauso wenig wie meinen BH. Wo hat er meine Kleidung hingeworfen? Er schaut mir gelangweilt dabei zu, wie ich lediglich mein Kleid anziehe und meine Sneaker zuschnüre. Seine weiße Haut leuchtet im Mondlicht, ich verschmelze mit der Nacht. Hätte ich ihn doch nicht angesprochen. Aber selbstbewusstes Auftreten zieht bei mir. Kann ich ja nicht wissen, dass sich dahinter ein sorgloses Arschloch verbirgt.
Auch bei einem zweiten Herumdrehen finde ich nichts mehr. Ich zucke mit den Schultern. Dann eben ohne Unterwäsche.
Ohne ein weiteres Wort schnappe ich mir an der Wohnungstür meine Jacke und flitze die Treppe hinab und nach draußen. Frische Nachtluft und lärmende Autos empfangen mich und geben mir sofort das Gefühl, zu Hause zu sein. Seattle ist weder überragend schön noch sonnig, sondern eben normal und passt damit perfekt zu mir. Das Herz sitzt am richtigen Fleck, man muss sich nur trauen, die Stadt kennenzulernen.
Scheiße. Mein Nicht-One-Night-Stand wohnt in Denny-Blaine im Osten Seattles. Eine Fußstunde von South Lake Union, die mit einem Uber hierher kein Ding gewesen ist. Beim Warten vorhin hat er mich angesprochen und wir haben uns auf einen Drink zurück in die Bar gesetzt. Verschwitzt, stöhnend, bereit für Dummheiten hätte der lange Arbeitstag perfekt ausklingen können.
Was hoffen auch so viele Leute, auf ein Kondom zu verzichten! Wie oft ich dieses Verhalten wohl inzwischen unterbunden habe, weil ich selbst immer welche dabei habe? Nur heute nicht, weil ich durch die neuen Möbel in Rubys Friseursalon keine Zeit gehabt habe, meinen Bestand aufzustocken, und nun seit ein paar Tagen keine mehr hatte. Ich hätte ihr nicht beim Montieren oder Einräumen der neuen Regale oder beim Austauschen der Lampen helfen müssen. Aber wer wäre ich, wenn ich es nicht getan hätte, nachdem ich ihr meinen Job verdanke? Ich liebe meinen Beruf als Friseurin. Ohne Ruby hätte es mich niemals in diese Richtung verschlagen. Mir egal, wenn meine Nacht dadurch kürzer wird.
Tagsüber sorgt der Frühling bereits für warme Temperaturen, wenn die Sonne auf der Haut kitzelt, doch während ich mit den Händen in den Taschen meiner Lederjacke nach Hause stapfe, ist davon nichts zu spüren. Kalter Wind peitscht durch meine Beine und erinnert mich bei jedem Schritt daran, dass ich keinen Slip anhabe. Ein echter Walk of Shame, ohne dass überhaupt etwas passiert ist.
***
Obwohl es drei Uhr morgens ist, steuere ich meinen Zweitjob an: ein kleines Diner, in dem ich während der Stoßzeiten aushelfe. Die Chefin ist nett und behandelt uns Mitarbeiter mit einem Verständnis, als hätte sie in ihrer Jugend selbst gern von flexiblem Schichtdienst profitiert. Sobald ich die Tür mit der Hüfte öffne, umhüllt mich der vertraute Geruch nach Fett und Kaffee, der vierundzwanzig Stunden am Tag der gleiche ist. Warme Mahlzeiten und Koffein – egal, wann. Ein genauso simples wie erfolgreiches Konzept.
»Madison, du schon hier?«
Ich grinse meine Chefin Eloise an, die, verborgen in einer der altmodischen Sitzecken, über Dokumenten brütet. Sie ist Nachteule und Frühaufsteherin in einem und regelt ihre Angelegenheiten inmitten des Geschehens – sofern sie niemandem den Platz wegnimmt. Ihr blondes, strähniges Haar steckt in einem strengen Dutt und an ihren fülligeren Armen klimpern mehrere Armbänder, die mich verrückt machen würden.
»Ja, ich konnte nicht schlafen.« Meine Standardantwort. Eigentlich versuche ich, nachts mindestens fünf Stunden Schlaf zu bekommen, aber die harte Realität sieht deprimierender aus.
»Mach dir einen Kaffee, und dann könntest du dich um die Fritteusen kümmern. Bitte nacheinander, falls jemand Pommes haben will.« Wie gesagt, Eloise ist für einen da, auch wenn man seine Arbeitszeiten verschiebt.
»Jaja.« Meine schweren Füße ignorierend laufe ich an ihr vorbei. Ich binde mir eine Schürze um und meine rosa Haare zurück. Die Perücke ist zu schön für diesen Job, aber angenäht ist angenäht und wann sonst sollte ich sie tragen? An freien Tagen? Das wäre nie.
Ich wurschtle mich durch meine verfrühte Schicht, trinke zwei Tassen Kaffee und fege mit mehr Adrenalin als Energiereserven durch das Diner, nehme Bestellungen an und räume sie am Ende wieder ab.
Nach der Schicht packe ich Frühstück ein, das ich mit nach Hause nehme – in eine Nachbarschaft voll müde aussehender Häuser –, wo mich prompt Geschrei erwartet.
»Spinnst du! Das ist mein T-Shirt!«
»Und wieso habe ich es letzte Woche dann getragen?«
»Alex! Faith! Einigt euch oder ich ziehe das Teil an«, geht Jason, mit sechszehn Jahren der Älteste meiner Geschwister, dazwischen. Als ich durch die über den Boden schabende Haustür ins Wohnzimmer trete, schmiert er gerade Erdnussbutterbrote für die Jüngeren zum Mitnehmen. Jason steht tatsächlich ohne T-Shirt da, als wolle er seine Drohung wahr werden lassen.
Das Wohnzimmer ist zu klein für uns vier, aber gemütlich. Die leicht durchgesessene Couch steht für Filmabende, die wir regelmäßig veranstalten, neben dem Fernseher wachsen großblättrige Pflanzen, die mehr Wasser trinken als ich am Tag, und an den Wänden hängen ein Dutzend nicht zusammenpassende Spiegel, die optisch den Raum vergrößern.
»Und kommt her!«, ergänze ich laut, damit sie mich durch den Flur hinter der Küche hören. Ich stopfe mein Trinkgeld unter den Bestecksortierer und stelle das Frühstück auf der Küchentheke ab.
»Ich habe Frühstück dabei.«
Jason dreht sich bei meinen Worten um. »Oh, nice. Auch für mich?«
Hinten in der Wohnung poltern unsere Geschwister, als nähmen sie ihr Zimmer auseinander. Wenn sie ihren Streit nicht alsbald schlichten, hämmert gleich die Nachbarin unter uns mit ihrem Besen gegen die Decke. Ihr Lieblingshobby, neben Zeitunglesen und Anwohner-durchs-Fenster-Ausspionieren.
Ich trete neben ihn, stupse ihn mit meiner Schulter an. »Na, logo.«
Neugierig holt er die Hash Browns, gekochten Eier und English Muffins hervor und teilt sie gerecht auf. Wenn ich ihn nicht hätte. Ich drücke ihn kurz an mich, wobei er sein Kinn gegen meine Stirn lehnt.
»Du warst heute Nacht nicht zu Hause«, tadelt Jason und sieht mich grüblerisch an, während er sich ein Ei pellt.
»Ruby hat mich gebraucht, sonst hätten wir heute nicht rechtzeitig öffnen können.«
»Und Schlaf? Inzwischen eher ein Hobby als ein Grundbedürfnis?«
Ich verdrehe die Augen und schnappe mir einen der English Muffins. »Du machst dir um dich Sorgen und ich …«
»Auch um mich?« In seiner Stimme liegt ein Schmunzeln, aber auch so viel Wahrheit. Seufzend breche ich mir ein Stück vom English Muffin ab und schiebe ihn mir trocken in den Mund. Die Marmelade dürfte eh alle sein.
Jason besteht nicht weiter auf eine Antwort, sondern legt eine Sofaecke mit einem Handtuch aus und bügelt ein Oberteil darauf. Immer wenn ich ihn ansehe, wandern meine Gedanken zu Mom, so ähnlich sehen sie einander. Die Stupsnase, die buschigen Brauen, die gleichen Bewegungen des Kiefers beim Sprechen. Er kann in den Spiegel schauen und unseren Vater ignorieren, ich nicht. Ich habe seinen Kiefer, die Augen und die schmale Statur. Das Einzige, was mich mit unserer Mutter verbindet, ist der Hautton. Sie hat ein warmes Dunkelbraun, ich bin wie meine Geschwister etwas heller. Würde Dad uns eigentlich erkennen?
Ich klatsche laut in die Hände. »Alex, Faith!«
Mit dem letzten Bissen Frühstück stopfe ich die Brote in ihre Schultaschen und stapfe ins Badezimmer, dessen Tür ich aufreiße. »Jetzt macht!«
Beide schauen mich ertappt an, haben wenigstens von dem T-Shirt abgelassen, das nun über dem Badewannenrand neben Faiths Haarmaske zum Schlafen hängt. Alex hält eine Zahnbürste fest, Faith hantiert mit Haargummis, von denen bereits weitere am Boden liegen, als wären sie umhergeschnippt worden. Faith ist dreizehn, Alex vierzehn Jahre alt, und seitdem sie in der Pubertät sind, zanken sie sich nur noch. Meist bestehen sie darauf, wie Erwachsene behandelt zu werden, aber untereinander kabbeln sie sich wie Kleinkinder.
»Brauchst du Hilfe mit deinem Haar?«
Faith nickt und ich deute zur Badewanne.
»Und du, ab in die Küche«, weise ich Alex an, der sich über seinen Buzz Cut reibt und schnell seinen Mund ausspült. Obwohl ich ihm jede Frisur schneiden würde, hat er sich für eine ebenmäßige Rasur unter drei Millimetern entschieden. Effizienz geht bei ihm vor.
»Was möchtest du haben?« Vorsichtig streiche ich über Faiths Afro. Wenn ich die Strähnen lang ziehe, reichen sie bis über ihre Schultern. Etwas, wovon ich mit meinem eigenen Haar nur träumen kann.
»Einen strengen Zopf und dann Volumen.«
»Okay.«
Bevor ich es style, pflege ich Faiths Haar mit verschiedenen Seren und Leave-in-Spülungen. Ich teile es in mehrere Abschnitte, arbeite Gel ein, glätte das Haar und vergrößere Partie für Partie den Zopf, damit er so sleek wie möglich am Kopf anliegt. Kleine Strähnen fixiere ich mithilfe einer Zahnbürste und in den Zopf gebe ich ein pflegendes Öl, das die Locken stärker hervorholt. Eigentlich müsste ihr Haar noch unter einem Seidentuch ruhen, bis das Gel ausgehärtet ist, aber Faith wirbelt herum, bevor ich ihr diesen Vorschlag machen kann.
»Kann ich Alex’ Shirt anziehen?« Sie deutet auf das schwarze Oberteil, das bei ihr oversized wäre.
»Ich kauf dir ein eigenes und schreibe euren Namen ins jeweilige Etikett«, verspreche ich und mache mir eine mentale Notiz, es direkt heute Abend zu holen. Eigentlich spare ich mal wieder für Echthaar, aber wie soll ich ihr einen Wunsch ausschlagen? Faith muss so viel Getragenes annehmen und hat weniges, das nur ihr gehört. Dass Alex nicht mit ihr teilt, obwohl er das Shirt heute nicht einmal braucht, spricht auch für seine Genervtheit.
Sobald ihre Frisur sitzt, flitzt sie aus dem Badezimmer, und ich mache den Fehler, in den Spiegel zu schauen. Augenringe graben sich in meine Wangen und sogar das Rosa meiner Haare hat etwas Farbloses. In der Hoffnung, dass Jason die Kids nicht weglaufen lässt, bevor sie gefrühstückt haben, wasche ich mein Gesicht, trage Concealer und Mascara auf und ziehe den Bogen meiner Augenbrauen nach. Gerade als ich meine Haare ebenfalls durchbürsten will, scheppert etwas in der Küche und ich hetze dorthin.
Jason steht an der Spüle und hebt abwehrend die Arme. »Sag nichts. Es ist nichts zerbrochen, mir ist nur die Tasse aus der Hand gerutscht.«
Mein Blick fällt auf das Geschirr vor ihm. Wäre auch nicht schlimm, dann müsste ich wenigstens nicht spülen. Für jede Aufgabe im Haus haben wir jemanden eingeteilt, bloß das Geschirr treibt uns in den Wahnsinn. Manchmal würde ich es selbst gern an die Wand schmettern, aber wer kauft mir dann Neues?
Alex und Faith verschlingen ihre Kartoffeln und kippen je ein Glas Orangensaft hinterher. Und das so schnell, als hätten sie endlich mal auf die Uhr an der Wand über ihren Zeichnungen geschaut. Sie sind teils zerrissen, teils zerknickt, weil sich beide für ihre kindlichen Kunstwerke schämen, aber ich habe sie genüsslich aus dem Müll geholt und erfreue mich täglich an ihnen.
Ich lehne mich mit der Schulter gegen die Wand und betrachte meine Geschwister. Jason ist inzwischen angezogen, etwas schicker als sonst, und ich erinnere mich vage an ein Event bei ihm an der Highschool. Die Kids sind ebenfalls startklar und haben Snacks eingepackt. Irgendein Ausflug oder eine Unterschrift, die ich vergessen habe zu fälschen? Ich denke nicht. Wortlos sehe ich zu, wie sie in ihre Outdoorkleidung schlüpfen und Jason den Jüngeren die Tür aufhält. Mit einem Winken flitzen sie unter seinem Arm in das Treppenhaus und sind weg.
»Wie geht’s Mom?«, hake ich noch schnell nach, woraufhin Jason sich noch einmal umdreht.
Er zuckt mit den Schultern, deutet zu der einzigen verschlossenen Tür des Hauses. »Sie lebt.«
Ich nicke müde und winke zum Abschied. Mit der Kaffeemaschine im Visier setze ich mich an die Küchentheke und strecke den Arm nach der Kanne aus. Eine Tasse dürfte noch im Gefäß schwimmen. Mein Blick gleitet zur Uhr. Bloß noch ein bisschen Zeit, bis ich in Ruby’s Salon muss. Aber wenn ich mich jetzt hinlege … Die Augenlider drücken auf meine Sicht und seit meiner Arbeit im Diner kündigt sich ein Gähnen an, das ich vehement unterdrücke. Noch nicht. Wenn ich mich für ein Nickerchen hinlege, komme ich danach nicht mehr hoch, und meine liebste Stammkundin will ich auf keinen Fall verärgern.
Ich gieße mir den restlichen Kaffee in Jasons Tasse und genieße zumindest für eine halbe Stunde Ruhe.
Em
Stroboskoplicht flackert über meinen Kopf hinweg, während tiefe Bässe in mein Herz eindringen. Bumm, bumm, bumm. Ich lehne mich über das Geländer des ersten Stocks in Seattles angesagtestem Club, dem D-A-R-K, und lasse den Blick über die Menge gleiten. Rappelvoll.
Die Acid-Pille, die ich vor Betreten des Clubs eingeschmissen habe, entfaltet ihre Wirkung und ich genieße für einen Moment die intensiveren Farben, das Vibrieren der Musik auf meiner Haut und – den Moment. Verschwitzte Körper, deren Pheromone ich plötzlich wahrnehme, kleine Tanzgesten, die nun Sinn ergeben. Eine Frau bewegt sich neben mir am Geländer, wandert mit einer Hand zu dem tiefen Wasserfallausschnitt ihres weißen Tops und zieht am Stoff, sodass ich das Nichts darunter sehe. Kein BH, keine komischen Klebeteile, einfach nur perfekte Brüste. Denn perfekt sind sie alle. Der Stoff gleitet wieder darüber, das Pulsieren in meiner Hose bleibt.
Erneut beobachte ich die Masse. Unten an der Bar steht bereits einer der Brüder, denen das D-A-R-K gehört. Er hat sein langes Haar zu einem Zopf gebunden, zeigt Geheimratsecken. Jeden Scheißcocktail gibt es hier, nur nicht gemixt mit dem Rum des Labels Liquor Lovers, das ich mit meinen besten Freunden Rush und Sulli gegründet habe. Die Brüder weigern sich. Ein Verbrechen bei der Masse an Gästen. Kurz fixiere ich den Clubbesitzer, dann lache ich. Er kann warten. Das Meeting läuft mir nicht weg.
In einer geschmeidigen Bewegung rutsche ich am Geländer entlang und blicke der Frau tief in die Augen. Pures Verlangen spiegelt sich darin, sodass ich nicht zögere, sondern meine Lippen auf ihre senke. Es ist egal, wer sie ist oder wer ich bin. Was zählt, ist die Energie zwischen uns. Mein Schwanz wird hart, als sie darüberstreicht und zupackt.
Sie streicht mit ihrer Zunge über meine Zähne, sieht mich dabei an. Meine Finger gleiten unter ihr Oberteil, fahren entlang der Konturen ihrer Brüste. Die Unbekannte stöhnt in meinen Mund und, fuck, wenn wir uns nicht jetzt sofort eine Ecke suchen, werden über hundert Menschen zuschauen, wie ich sie über das Geländer biege. Mit diesen schönen Brüsten darüber hängend.
Ich greife nach ihrer Hand und ziehe sie durch den Laden. Hier und da steht Wachpersonal, Kellner räumen Geschirr wieder ein, ohne hinterherzukommen. In einer Ecke hinter einer Plastikpflanze setze ich mich. Hier fährt das Stroboskoplicht nicht über uns hinweg, weil eine Lampe genau aus dieser Ecke kommt. Wir sind die Dunkelheit, der Zustand, in dem wir unsere Emotionen realisieren und … o nein. Nicht solche Gedanken. Scheißacid.
Meine Freundin der Nacht nestelt an meiner Hose und holt meinen Schwanz hervor, streicht über die hervorstehenden Adern, derweil ich den Kopf in den Nacken lege. Und dann sitzt sie auf mir. Ihr Tempo ist schnell, hart, und hätte ich mir irgendetwas anderes außer einer schnellen Nummer erhofft, wäre ich enttäuscht von ihrer Effizienz. Sie weiß, was sie will, und genau das liebe ich. Sowie die Schweißperlen, die sich auf ihrem Dekolleté abzeichnen, die Bisse an meinem Ohr. Unser Stöhnen ist zwischen der Musik, den Gesprächen und Lachern nicht zu hören, und ich vermisse das Geräusch ein wenig. Sie rollt ihre Hüften auf mir, wieder und wieder, und die Ekstase schwillt in mir an. Zu einer bunten, kraftvollen Explosion, die Sekunden später über mich hereinbricht. Die Unbekannte kreischt direkt an meinem Ohr, verstärkt den Orgasmus und krallt sich derweil in mein Hemd. Ich schließe die Augen, lasse diese Woge über mich waschen, und öffne sie erst wieder, als ihr Gewicht von meinem Körper verschwindet. Sie richtet ihren Rock, wischt mit einem Taschentuch zwischen ihren Beinen entlang, plumpst neben mir auf den Sessel und wedelt mit einem Tütchen.
Für den Bruchteil einer Sekunde erwäge ich, nach ihrem Namen zu fragen. Aber Namen bedeuten Geschichten und Enttäuschung. Alles, was beginnt, muss enden. Was gar nicht erst anfängt, kann einen nicht im Stich lassen. Was … Scheiße, nein, nicht diese Gedanken.
Ich beäuge die türkisfarbenen Pillen neugierig und schließe währenddessen meine Hose.
Wir schlucken die Pillen trocken, dann ist sie weg. Unsere Begegnung hat keine halbe Stunde gedauert.
Über mein Hemd streichend, das nun zerknittert ist, durchquere ich den Club, schlängle mich an den Gästen vorbei und fliege die Treppe hinab. Meine Beine gehorchen mir nicht ganz, sodass ich es beinahe wahrhaftig tue, aber so lande ich lediglich schwungvoll an der Bar und grinse dort einen Barkeeper an.
»Ich bin Emerson Hyde und habe mit deinem Boss da hinten ein Meeting.« Der Angestellte nickt zum Rand der Bar, was ich als Einladung verstehe. Ohne ein weiteres Wort umrunde ich den Bartresen und trete zwischen die ausgeleuchteten Reihen an Spirituosen, dekorativen Gläsern und die Thekenfläche. Hinter jedem Meter steht ein Mitarbeiter, putzt, mixt oder schneidet. Schweiß glänzt an ihren Schläfen, und ich rieche scheiternde Deos durch ihre dunkelroten Shirts hindurch. Ich schnappe mir eine Zitronenspalte von einer Angestellten, die gerade Obst schneidet, und laufe zum Besitzer. Wie heißt er noch mal? Während ich noch überlege, dreht er sich herum, fährt sich durch das schwarze, lockige Haar.
»Hi, Jorge«, grüße ich und strecke die Hand aus.
Er nimmt sie entgegen, mustert meine Aufmachung. Dabei habe ich mein bestes Hemd an und mir polierte Schuhe von Rush ausgeliehen. Auch wenn da inzwischen so einige draufgetrampelt sind. »Marcos. Jorge ist mein Bruder. Du bist Emerson?« Ups, ich hätte ihn beim Nachnamen ansprechen sollen.
»Genau, ich wollte mit dir über den Liquor Lovers Rum reden. Mein Kumpel Rush hat mit dir den Termin ausgemacht.« Quasi um mich zu zwingen, endlich in die Gänge zu kommen. Dabei nimmt Rush das Business einfach zu ernst. Er sieht nicht, was wir uns bereits aufgebaut haben, sondern starrt auf die zig Punkte auf seiner To-do-Liste. Nicht dass ich mit unserem Status quo zufrieden bin, aber so verbissen wie er muss man erst mal sein.
»Cool. Dann lass uns kurz einen Drink holen und dann nehme ich dich mit in mein Büro. Was nimmst du?«
»New Orleans Minute – falls ihr den mixt.« Der Drink ist salzig-süß, leicht rauchig und wird mit zwei, drei Kaffeebohnen dekoriert. Unfassbar lecker und genauso unbekannt.
Marcos hebt eine Braue, wendet sich dann an einen Barkeeper. »Machst du uns eine New Orleans Minute und ein Sprudelwasser?«
Ich gluckse. Sein Ernst? Er bleibt während der Arbeit nüchtern?
Er hält den Blickkontakt, durchbohrt mich geradezu, dann weiten sich seine Augen. »Alter, dein Ohr. Du blutest.« Oh, vielleicht von den Bissen der Unbekannten?
Marcos greift hinter sich nach einem Taschentuch, hält es mir hin – und zieht es direkt wieder zurück. »Deine Pupillen sind riesig. Du bist high.«
Ich zucke mit den Schultern und grinse. »Geht bei deiner geilen Location auch kaum anders. Hast du dir den ersten Stock mal angesehen?«
»Was immer noch? Um das Problem haben wir uns doch gekümmert!« Unsicher deutet er nach oben, als wüsste er von nichts. Ein, zwei Leute lehnen sich gefährlich weit über das Geländer, legen den Kopf dabei in den Nacken. Einer gestikuliert so stark, dass das Getränk, das er festhält, dabei auf die unten tanzende Masse spritzt.
»Sicher. Das ist die Koksecke schlechthin.«
Seine Augen werden groß, als wäre er dagegen, statt seit einem Jahr bewusst davon zu profitieren. Sein Barkeeper stellt die bestellten Getränke neben uns ab, doch er beachtet sein Wasser nicht.
»Wir arbeiten mit einer renommierten Security-Firma zusammen, die genau so etwas unterbinden soll.« Er dreht sich um, prescht durch eine Tür und ruft irgendwem etwas zu, bevor er zurückkommt. »Mein Bruder kümmert sich um das Sicherheitsproblem.«
»Das da oben ist deine beste Kundschaft.« Ich runzle die Stirn, spüre jede einzelne Falte, die sich dabei in meine Haut bohrt, und streiche darüber, was ebenfalls kitzelt. Ugh. Die letzte Pille kribbelt widerlich. Was ist das? Ich starre auf meine Finger, die sich anfühlen, als gehörten sie nicht zu meinem Körper. Was geht hier ab?
»Emerson, geht es dir gut?« Marcos packt mit seiner großen Hand an meine Schulter und schüttelt mich. Er hebt mein Kinn, runzelt selbst die Stirn, jedoch ohne sich darüber zu wundern.
»Klar, Mann. Reden wir jetzt? Ich habe eine Flasche zum Verkosten dabei.« Ich taste danach in meiner Hosentasche, über mein Hemd. Hm.
»Du hast vor allem ein Problem mit Drogen. Und das tolerieren wir hier nicht. Danke fürs Bescheidgeben, dass dort oben fragwürdige Dinge geschehen. Wir werden die Security erneuern, und du, du gehst jetzt besser nach Hause.«
»Hä? Wieso denn? Wir trinken noch einen.«
Ich drehe mich zu einer Barkeeperin und lächle ihr zu. »Machst du uns drei Shots mit Liquor Lovers Rum?«
Marcos’ Hand verschwindet von meiner Schulter, hinterlässt ein klebriges Gefühl. Sein Blick wandert zu zwei Getränken auf dem Tresen. Er klatscht in die Hände und deutet auf mich. »Bringt ihr ihn raus? Er hat Hausverbot.«
»Was? Nein. Wir gehen doch einen Deal ein und …« Niemand hört meine Worte, stattdessen greifen starke Arme unter meine Achseln. Vielleicht spreche ich nicht laut genug? Kalter Schweiß bricht auf meiner Haut aus, durchnässt mich, sodass sich draußen an der frischen Luft Gänsehaut über mich legt. Dabei ist es Mai und nicht sonderlich kalt.
Der Sicherheitsheini bugsiert mich einige Meter vom Eingang entfernt und verschwindet dann. Alter. Ich wollte denen unseren Rum andrehen. Na ja, von Wollen kann keine Rede sein. Ich sollte. Rush hat gemeint, es sei wichtig, dass wir genug Abnehmer des Fünfjährigen finden. Die erste Charge ist ihm irgendwie wichtig. Weil … Was hat er damit vor? Ach ja, mit dem Vertrieb finanziert er die länger lagernden Fässer. Rush will das Zeug bis zu zehn Jahre darin ruhen lassen. Ein weiterer, großer Abnehmer wäre wichtig.
Ich schaue zurück auf das D-A-R-K, vor dem sich eine lange Schlange befindet, obwohl der Laden in anderthalb Stunden schließt. Wenn die alle ins Rum Nights kommen würden. Aber da ist nichts los. Hinter den Leuten bewegen sich Schatten, doch als ich blinzle, sind sie weg.
Meine Hosentasche vibriert und ich taste darauf herum. Mein Handy. Ich ziehe es hervor und starre auf das Display: Rush. Wahrscheinlich will er wissen, wie das Meeting gelaufen ist. Er hat mich vorhin gebrieft und unsere Alleinstellungsmerkmale noch mal heruntergerattert. Wenn ich jetzt annehme, droht mir was. Also klicke ich auf den roten Hörer.
Ups.
Em
Mein Schädel hämmert, als hätte ich ihn in den Mixer gesteckt. Wer hat sich Aufstehen vor der Mittagszeit ausgedacht? Wenn es nach mir ginge, reichten Öffnungszeiten nach vierzehn Uhr. Als ob mittags der große Ansturm auf das Rum Nights hereinbrechen würde. Warum muss ich hier überhaupt in der Langeweile sitzen? Hera, unsere Mitarbeiterin, würde die ruhigen Momente lieben und könnte nebenher pauken. Sie hat sich in einem Community College eingeschrieben und wiederholt beim Zubereiten von Drinks irgendwelche Definitionen.
Mit einem Grummeln betätige ich die Lungo-Taste der Kaffeemaschine und stecke mir die Finger ins Ohr. Doch vergebens. Das Mahlen der Kaffeebohnen drängt bis in die tiefsten Gehirnwindungen, als drohte es, diese als Nächstes zu zermahlen. Scheißhangover. Ohne die wäre das Leben um einiges leichter.
Ich gieße eine große Portion Sirup in meinen Kaffee, damit das Koffein schneller kickt, und schlürfe diesen leer, während ich unsere Accounts in den sozialen Medien checke. Ein Reel von Sulli, dem er nur widerwillig zugestimmt hat, weil er das Anzünden von Alkohol für eine dämliche Inszenierung hält, kommt gut bei den Leuten an und wird doppelt so häufig geteilt wie die anderen. Ob dahinter ein Mechanismus steckt? Viralität ist random, das habe ich in Ökonomieratgebern gelesen, aber den Begeisterungswahnsinn der Leute kann man immer ein wenig ausspielen. Wenn Rush mir mehr freie Hand lassen würde mit unserem Liquor-Lovers-Label … aber nein, das soll sich klassisch renommieren und lockt ungefähr niemanden. Nicht einmal unsere Zielgruppe. Ganz toll ausgetüftelt, Rush.
Ich verdränge die Gedanken an seine Standpauke, die er mir vor ein paar Tagen dank der geplatzten Kooperation mit dem D-A-R-K gehalten hat. Als wäre ich ein kleines Kind, statt jemand, der einfach nicht an Investoren glaubt. Soll er doch losziehen und betteln. Er mischt sich sonst doch auch so gern in meinen Aufgabenbereich ein.
Als ich den Rest meines ersten Kaffees des Tages leere, wird unsere Tür aufgerissen. Yay, Kundschaft. Resigniert schüttle ich den Kopf, bevor die Stammgäste sich nach mir umdrehen. Wenn sogar ich ein Mittagsbier übertrieben finde …
»Hey, Emerson, machst du uns das Übliche?«
»Na klar, kommt sofort.« Ich zwinkere dem Mittvierziger zu und mache mich ans Zapfen. Seine Kumpel und er arbeiten in der Nähe im Bau, aber ich habe mich nie bemüht, mehr herauszufinden. Das ist Sullis Job.
Gerade als ich den Typen ihre Biere und salzige Snacks bringe, rauscht Rush durch die Tür. Er trägt ein eng anliegendes Hemd, das seine Brustmuskeln zur Schau stellt, und hält sich sein Handy ans Ohr. Seine Brieftasche in der anderen Hand nickt er mir kurz zu. Bevor er weiterdüsen kann, deute ich zur Kaffeemaschine, dann zu einem Barhocker. Er schüttelt den Kopf, verzieht dann den Mund und setzt sich doch. Seitdem er sich um die Finanzierung der Bar sorgt, blockt er total ab. Selbst ich bekomme ihn kaum noch zu Gesicht und noch weniger Einblicke in seine Gedankenwelt. Ich kenne ihn lange genug, um zu wissen, dass er sein Zen verloren hat.
Ich mustere ihn, was er sofort bemerkt, wodurch wir einander einige Herzschläge lang anstarren und schweigend kommunizieren, dass wir uns um den anderen Sorgen machen.
»Du versuchst es zu verbergen, aber irgendetwas macht dich nervös«, spreche ich meine Gedanken aus. Rush ist immer der Entspannte von uns dreien. Sulli ist hitzig, ich bin unberechenbar und Rush ist kalkulierend – augenscheinlich. Er bremst uns beide ab, sorgt dafür, dass wir unsere Bar und Destillerie nicht gegen die Wand fahren, doch auch in ihm brodelt es.
»Ein paar Zahlen stimmen im System nicht. Wir kommen finanziell nicht hin, obwohl ich genug Marge für die Reifung unseres Rums berechnet habe.«
Kopfschüttelnd betätige ich die Kaffeemaschine und stelle eine Tasse unter den Auslauf. Das ist keine neue Sorge, sondern die, mit der er mich abspeist. Dass er über sein Nacken-Tattoo reibt, verrät ihn.
»Ist das deine finale Antwort?«
Einen Augenblick lang wird sein Blick weicher. »Bevorzugt, ja.«
Wie kann ich ihm helfen? Braucht er einen neuen Sponsoren, bevor er genug Luft hat, sich um die wahren Probleme, die ihn sorgen, zu kümmern? Exceltabellen, Rechnungen und Co beruhigen Rush, aber sie lenken ihn auch ab.
Ja, wir brauchen jemanden, der bei uns einsteigt. Vorher komme ich nicht an ihn heran.
Das Röhren verstummt, was ich erst feststelle, als selbst keine verschlafenen Nachtropfen in die Tasse hopsen. Kurz klammere ich mich an die Keramik, dann drücke ich sie Rush in die Hand.
Und dann ist er weg. Ohne Umarmung, obwohl er die ernsthaft gebraucht hätte. Es wird Zeit für einen meiner legendären Grillabende. Spätestens in der Ekstase meiner Burgersoßen kommt Rush ein wenig ins Reden. Solange Ava keine Salate mitbringt …
Eine weitere Gruppe Männer trudelt ein, dieses Mal in Anzügen. Ihnen widme ich mich nur kurz, weil direkt im Anschluss meine Lieblingsgäste vorbeikommen: der Yogaverein. Ich klatsche in die Hände und begrüße sie mit einem Luftkuss. Alle glänzen leicht und versprühen diese gewisse Wärme, die man nach dem Sport an sich hat.
»Was bringe ich euch?«
»Einen Proteinshake? Vielleicht mit Mango?« Eine der Frauen, die sich auch vor Bartoiletten nicht scheut, hält mir eine große Plastikdose Proteinpulver entgegen.
»Proteinshake wie letztes Mal? Hat der euch geschmeckt?« Meine Cocktail-Skills interessieren mich nicht, aber wenn eine Kundin so verrückte Getränke liebt wie ich, verdient sie ein Mindestmaß an Bemühungen. Auch wenn Proteinpulver und Alkohol eine Kombination sind, die selbst ich unsinnig finde; die Zutaten hebeln einander aus.
»Der letzte Woche war herausragend«, meint der Mann und grinst mich an.
»Okay, alles klar.«
Ich mixe nach Gefühl. Mangostücke, Kokosmilch, Tequila und das Proteinpulver. Das Ganze kommt in ein hohes Glas mit zerstoßenem Eis und einem Stück Mango obenauf. Sulli würde sich schämen, aber er ist mit Ava unterwegs. Sie würde erst probieren und mich dann rügen.
Die kurze Unterhaltung mit den Yogagästen endet schneller als erhofft, und ich gönne mir einen ersten Shot. So ein lahmer Nachmittag. Vor zwanzig Uhr wird hier unter der Woche nichts los sein, und ich muss selbst den Hampelmann spielen.
Ich male Kreise mit dem Kondenswasser eines leeren Glases und ignoriere geflissentlich die Liste an Aufgaben, die Sulli neben die Kasse gehängt hat – Schränke ausputzen, neue Lampe im Eingangsbereich anbringen, neue Mitarbeitertafel auf den Stand der jetzigen updaten. Ich will eher ein paar Kumpeln schreiben, wann es wieder Wetten auf Autorennen gibt oder ob sie Bock auf eine Runde Bungeejumping haben. Gern auch beides gleichzeitig.
Meine Stimmung bessert sich erst, als die schönste Frau der Welt den Laden betritt. Diese Woche mit smaragdgrünem Bob, der ihre schmale Kinnpartie betont, ohne aufgemalte Sommersprossen und mit weiß blinkenden Sneakern, die aus irgendeinem Grund nie bei ihrer Arbeit einsauen. Sie hält eine Plastiktüte in der einen Hand, einen To-go-Becher in der anderen.
»Madison! Mein Sonnenschein, was bringt dich …«
»Lass es, Em. Sind Sulli oder Ava hier irgendwo?« Sie sieht sich um auf der Suche nach Barkeepern, die ihr zusagen. Da muss ich sie enttäuschen. Mein Schwanz macht einen kleinen Hüpfer, als sie näher tritt. Madison trägt nie ausgefallene Kleidung, Jeans und T-Shirt sind ihr Ding, als wolle sie nicht von ihren coolen Perücken ablenken, aber genau das wirkt bei mir. Jede zarte Kurve zeichnet sich unter den Stoffen ab, die enge Jeans wölbt sich entlang ihrer schlanken Beine und dem schmalen Po und alles weckt Erinnerungen, die ich ihrer Meinung nach nicht haben sollte.
»Nope. Wir sind allein.« Ich reiße die Hände in die Luft und strecke sie anschließend über den Tresen, woraufhin sie sofort zurückweicht, statt mir den Becher zu geben. Fürchtet sie so sehr, sie könnte mir verfallen? Ich bin auch nur menschlich. »Was möchtest du?«
Ich lecke mir über die Lippen, was sie mit einem genervten Stirnrunzeln quittiert.
»Emerson …«
»Ich liebe es, wenn du meinen Namen …«
»Fick dich.«
»Oder dich.«
Ihre Wangen färben sich dunkler und ich frohlocke innerlich. Jedes abgefuckte Schnalzen mit der Zunge, Augenrollen oder Wippen mit dem Fuß sendet einen kleinen Funkenstoß bis zu meinem Schwanz.
»Was möchtest du? Einen Kaffee? Tee? Mich? Ich kann auch selbst bloß auf die Knie gehen und …«
»Ich will meine Ruhe. Rush lässt mich meinen Kaffee selbst zubereiten.« Sie macht einen Schritt zur Öffnung des Tresens, überlegt es sich anders, als sie sieht, dass sie an mir vorbeimüsste, um zur Kaffeemaschine zu gelangen.
»Er ist aber nicht da. Dafür ich: zu allem bereit, was du brauchst.« Ich fasse mir ritterlich an die Brust, gleite dann lasziv meinen Körper hinab. Nicht weil diese Bewegung irgendwen überzeugt, sondern weil Madison die Lippen so stark aufeinanderpresst, dass sie aufhellen.
»Lass mich einfach hinter die Theke, ich hab’s eilig. Ich vertraue dir nicht.«
»Falsch. Du vertraust dir selbst nicht. Ich würde dir niemals etwas unterjubeln. Du trinkst Cappuccinos ohne Zucker, oder?«
Ich warte nicht auf eine Erklärung, sondern schnappe nach ihrem To-go-Becher und stelle ihn unter die Kaffeemaschine, nachdem ich mit einem Tuch einmal über das feuchte Gitter gewischt habe. Per Knopfdruck ertönt erneut die Höllenmühle, und ich sacke einen Schritt rückwärts gegen die Theke, rapple mich dann hoch, um Milch aufzuschäumen. Falls Madison meine zerstörerischen Kopfschmerzen bemerkt, sagt sie nichts dazu und genießt es höchstens.
Ich drehe mein Gesicht zu ihr. Wie hypnotisiert starrt sie der Maschine beim Brühen ihres Kaffees zu, obwohl außer ein wenig Dampf nichts zu sehen ist. Der Zug um ihren Kiefer ist verhärtet.
»Weißt du, je stärker du versucht, mir deine Ablehnung zu beweisen, desto weniger glaube ich dir. Du willst mich, meinen Körper und alles, was du verpasst hast. Jedes Mal, wenn du mich siehst, flackert die Erinnerung hoch, und wetten, du bist inzwischen durch die bloße Erinnerung feucht?«
Sie presst die Lippen aufeinander, doch ihr Schweigen ist Genugtuung genug. Wir wissen beide, was sie will.
»Was ist eigentlich in der Tüte?«, tue ich ihr den Gefallen und wechsle das Thema.
Ertappt presst sie das Ding enger an ihre schmale Brust. Also ist ihr der Inhalt wichtig.
»Sind es Perücken?«
Solche feinen Fingerarbeiten bewunderte ich insgeheim. Wie lange man dafür still sitzen und sich konzentrieren muss! Ich wüsste zu gern, wie sie die zu Hause aufbewahrt. Alles außer sie auf Puppenköpfe auszustellen, wäre wahrscheinlich unpraktisch, aber genau das wäre auch creepy. Und Madison ist das Gegenteil davon. Verheißungsvoll.
»Erinnerst du dich an unseren …«
»Ständig. Du bist Teil meiner Albträume und alles, was aus deinem Mund kommt, verstärkt diesen Eindruck. Selbst wenn du dich jetzt ändern und entscheiden würdest, den Welthunger zu beenden, würde sich daran nichts ändern«, entgegnet sie scharf.
Der Kaffee ist durchgelaufen und ich füge den Milchschaum hinzu, bevor ich den Deckel draufschraube und den Becher schwenke. Kurz klammere ich mich noch an dem Metall fest und blicke sie an. An ihrem Ausdruck hat sich nichts geändert und doch ist da dieser kleine Stich in meinem Brustkorb. Unser Kontakt besteht aus Nichtigkeiten, kleinen Streitereien, die den Puls in die Höhe treiben und den Alltag auflockern. Aus barschen Worten, die wir uns gegenüber angewöhnt haben. Und die unausgesprochene Regel, dass wir ihr Versehen verschweigen, hat sie gerade gebrochen, obwohl das normalerweise mein Job ist. Es könnte daran liegen, dass etwas sie nervös macht. Dass ich ausnahmsweise nicht der Grund dafür bin, reicht bereits, um meinen Magen säuerlich aufstoßen zu lassen. Wer bin ich dann noch? Ihr die Stimmung zu versauen, ist das, was sie von mir erwartet. Wenn jemand anderes dies bereits vor mir getan hat, bin ich nichtig. Was habe ich heute getan, was niemand anderes könnte?
Ich schüttle meinen Kopf, und damit die Gedanken von meinen Schultern ab, und reiche Madison ihr Getränk. Wohl darauf bedacht, meine Finger nicht zu berühren, nimmt sie es entgegen und dreht sich ohne ein weiteres Wort um. Ist ihr bewusst, wie besonders sie ist? Dass sich gerade alle Köpfe nach ihr umdrehen, obwohl sie nichts macht? Ich weiß nichts über sie, aber sogar ich schnalle, dass sie ihren Platz in der Gesellschaft gefunden hat. Diese Gelassenheit kommt nicht von sonst wo her.
»Viel Glück, bei was auch immer du mit deinem Tüteninhalt vorhast«, rufe ich ihr hinterher und ernte damit zum ersten Mal leider keinen erhobenen Mittelfinger, als sie die Tür verlässt. Ihre rechte Hand zuckt, die Geste bleibt aus.
Madison ist also auf zu großen Dingen. Und ich?
Ich schenke mir einen Tequila ein.
Scheißtag.
Madison
Sein Kaffee schmeckt besser, als er sollte. Ohne Nachgeschmack, weder zu süß noch zu bitter, wohingegen er beides ist. Flirtend, bis es absurd wird, und jeder Kontakt killt ein paar meiner Gehirnzellen. Ist es überhaupt möglich, ein normales Gespräch mit ihm zu führen? Emerson ist eine Verlockung, das Highlight einer Party und Momente mit ihm bringen die Zeit jedes Mal zum Stillstehen. Schlechte Tage sind nur halb so gravierend mit seinem Lächeln und wenn ich nicht aufpasse, ertrinke ich irgendwann in seinen grünbraunen Augen, weil ich genauso süchtig nach seinem Einfluss auf mich bin wie er nach allen Substanzen der Welt. Und das kann ich nicht erneut zulassen. Meine Lektion habe ich gelernt. Weil er mich vergessen lässt. Weil ich keine Zeit für Schabernack habe. Weil ich weiß, dass ich irgendwann in der Zukunft Zeit dafür haben werde.
Auf dem Weg zu Ruby’s Salon wechsle ich ein paar Mal die Straßenseite, nehme jedes Mal einen Schluck Kaffee, um mich von meinem Hausverbot abzulenken. Die Änderungsschneiderei hat letztens die Polizei gerufen, nur weil ich durch das Schaufenster geschaut habe.
Als ich den Friseursalon betrete, ist dieser von lautem Gelächter erfüllt.
»Mensch, Madison! Wie lange warst du in Mittagspause?«, trällert Ruby und wippt mit den Hüften, während sie Wachs in das Haar ihres Kunden einarbeitet. Neunziger Jahre R&B dröhnt durch die Boxen, die immer eine Spur zu laut gestellt sind. Aber was soll’s? Den ganzen Tag zu stehen, geht in die Beine, ein bisschen mitzutanzen, ist das Ergonomischste, um diesen Beruf auszugleichen.
»Ich habe mich mit Jason verquatscht«, weiche ich Ruby aus. Genau genommen habe ich meiner Mutter eine Standpauke gehalten und Jason an der Straßenecke erwischt und ihm davon vorgejammert. »Ist meine Kundin noch nicht da?«
»Nope«, meint Amanda und legt ausgespülte Lockenwickler auf ein Handtuch zum Trocknen. Sie nickt zu meiner Plastiktüte, wegen der ich überhaupt mitten am Tag nach Hause gedüst bin, und ich halte sie ihr hin.
»Vorsichtig. Da steckt so viel Arbeit drin, dass ich sie am liebsten in einem Tresor hertransportiert hätte.« Es ist absolut dumm, sie zu Hause aufzubewahren. Wenn Mom sie je entdeckt, sind sie innerhalb von Minuten verscherbelt.
»Ich würde dich nicht auf ein Event für deine Perücken schicken, wenn ich die Kunst dahinter nicht wertschätzen würde.«
»Sorry, das weiß ich natürlich«, entschuldige ich mich und beiße mir auf die Unterlippe. Mein Herz legt trotzdem an Tempo zu, als Amanda die erste Perücke aus der Tüte zieht, sie aus Seidentuch und Haarnetz befreit und nach außen stülpt. Vorsichtig streicht sie durch das Haar. Es ist eine dunkelbraune, schulterlange Perücke mit Pony, alles rund geföhnt, ideal, um eine lange Stirn zu kaschieren oder das Gesicht etwas runder wirken zu lassen.
»Hm …«
Amanda legt die erste Perücke vorsichtig zur Seite und widmet sich der nächsten. Wieder mit Pony, langem, glattem Haar, das bis über die Brüste geht, dieses Mal in einem Karamell-Ombré. Sie hält sich die Perücke über den Kopf und rümpft dabei die Nase, obwohl ich finde, dass ihr das Lange ebenfalls steht. Amanda trägt seit Kurzem aus Zeitgründen einen Pixie Cut. Für ihre langen Afrolocken hat sie zum Waschen, Trocknen und Pflegen immer eine Stunde gebraucht, der Pixie hingegen sitzt nach einer Viertelstunde und das einzig Aufwendige daran ist die chemische Glättung ab und an.
»Hm …«, macht sie erneut, und ich setze vorsichtig meinen Kaffeebecher ab, der inzwischen leer ist. Im Schnelldurchlauf zeige ich ihr die letzten beiden Perücken, wobei Ruby hinzutritt, sobald sie ihren Kunden abkassiert und ihre Hände gewaschen hat. Ich habe noch einen schwarzen Pixie Cut, nicht unähnlich dem von Amanda, und eine Perücke mit feinen spiralförmigen Locken, die gepflegter aussieht, als mein Typ-4-Haar es je könnte. Es würde niemals, ohne zu brechen, auf meine Wunschlänge wachsen, und so sind Perücken für mich und viele andere eine Alternative.
Meine Kundin tritt pünktlich durch die Tür und meine beiden Kolleginnen werfen sich einen Blick zu, woraufhin Amanda sie zu sich winkt, damit sich ihr Termin nicht verzögert.
Ruby beugt sich näher zu mir, kitzelt mich dabei mit ihrem voluminösen Afro. Elegante graue Strähnen ziehen sich durch ihr Haar, die ihren Look vervollständigen. »Sind das alle Perücken, die du zur Expo mitnehmen möchtest?«
Mein Herz setzt einmal aus. Sind die etwa nicht gut? Ich habe meine Finger blutig gestochen beim Erstellen, und die sind alle klassisch hübsch und versatil. Perücken sind teuer und da … Selbst meine Gedanken stolpern unter Rubys kritischem Blick. Eine tiefe Falte bohrt sich in ihre sonst so glatte Stirn und unter ihren zusammengekniffenen dunkelbraunen Augen mache ich mich sofort kleiner. Scheiße. Ruby ist größer und um einiges breiter als ich, und in Kombination mit ihrer ausdrucksstarken Haltung vergesse ich jegliche angelernte Kompetenzen. Ich bin wieder ein Lehrling mit Träumen, der selbst mit ihrem liebevollen Feedback nicht umzugehen weiß.
»Ich beende gerade noch zwei weitere.«
»Lass mich raten: braun oder schwarz, hübsche Wasserwellen oder glatt und lang?«
Mein Blick fällt auf meine Arbeiten, die ich mitgebracht habe und genau diese Nuancen wiedergeben.
»Madison, Schatz. Da musst du nicht hinschauen.« Sanft legt sie zwei Finger an mein Kinn und hebt es an, bis ich in den Spiegel schaue. »Die Leute werden dich und deine coole Frisur sehen und genau das erwarten. Und dann bekommen sie fünfzig Nuancen Langeweile. Warum erstellst du nichts, was du selbst tragen würdest?«
»Ich würde die tragen«, widerspreche ich, obwohl es nicht stimmt. Seitdem ich Perücken knüpfen kann, habe ich keine Naturhaarfarbe mehr auf dem Kopf gehabt. Erst aus Ignoranz, weil ich mich nicht damit abgefunden habe, dass mein eigenes Haar nie lang werden würde, und jetzt mag ich das Wilde. Die verrückten Perücken kommen auf meinen Kopf, während die alltagstauglicheren die Nachfrage bedienen.
»Selbst wenn ich dir das glauben würde, bedeutet es noch immer, dass du mit diesen Perücken nicht auffallen wirst. Sie sind schön, und ich sehe, dass du die Strähnen natürlicher ins Netz einarbeitest als zu Beginn, aber niemand wird an deinem Stand stehen bleiben, wenn du genau das anbietest, was zig andere auch haben. Du willst auffallen. Nutze die Chance.«
Ruby blickt mich durch den Spiegel so eindringlich an, dass ich kurz davor bin, aus dem Salon zu laufen. Hinter uns wäscht Amanda das Haar meiner Kundin, um die ich mich längst kümmern sollte.
»Meinst du? Ist das nicht zu extra, zu massenuntauglich, zu …«
»Du schmeißt das allein. Du willst gar nicht massentauglich sein. Dein Alleinstellungsmerkmal sind deine Ideen, nicht, dass du produzieren kannst, was andere en masse an Hunderte Frauen gleichzeitig verkaufen. Nutz die Expo.«
Dieses Mal nicke ich. Die Portland HBN Expo ist wirklich eine einmalige Chance. Nicht nur für mich, für alle Spezialisten rund um Haar, Schönheit und Nägel in Washington, Oregon und Idaho. Die Einladung hat Ruby gegolten, weil sie durch ihren Salon, den sie seit zwanzig Jahren führt, Connections gesammelt hat. Sie interessieren solche Events nicht mehr, aber ich habe sie so stürmisch umarmt, dass sie beinahe hintenüber gekippt wäre.
Meist vertraue ich Rubys Expertise, bloß mit Perücken kennt sie sich weniger aus als ich. Meine Instagram- und Tiktok-Feeds sind voll mit der Nachfrage nach qualitativen Perücken, die einem den Alltag erleichtern, immer schick aussehen und nicht den Eindruck erwecken, man hätte eine auf. Wir Schwarze Frauen wissen das auch so. Wir sehen uns. Mit einer anderen Farbe oder einem verrückten Schnitt würde man jedoch mit dem Finger darauf zeigen. Der Alltag macht neunzig Prozent des Lebens aus, also will ich dafür etwas zur Verfügung stellen.
Ruby geht mit mir die Perücken durch, prüft, ob ich am Schnitt kleine Fehler gemacht habe, weil ich ohne einen Menschen darunter nie ganz einschätzen kann, wie es aussehen wird. Amanda schneidet die komplette Frisur meiner Kundin, und ich drücke sie nach dem Abkassieren an mich. Sie trägt ihren Signature-Duft, ein florales, leichtes Parfum, das ihr schwarzes Kleid mit den bunten Blumen perfekt ergänzt. Wie ich ist sie eher schmaler gebaut.
»Danke dir.«
»Kein Ding. Wir unterstützen uns doch. Holst du den Wagen Freitagabend bereits ab? Dann muss ich Samstag nicht so früh aufstehen.«
Sie nickt zu ihrem Auto, das vor der Tür steht. Ein leicht verbeulter Honda, mit dem sie seit der Highschool-Zeit umherdüst. Die Messe ist die Gelegenheit, um endlich Follower und damit Käufer zu finden. Bisher bin ich darauf angewiesen gewesen, dass Kunden meine Perücken im Salon entdeckt haben oder mich via Bekannte kennen. Eine Messe kann alles verändern und in meinem Fall konkret: Wenn alles gut läuft, kann ich endlich meinen Job im Diner an den Nagel hängen.
»Klar, mache ich. Soll ich ihn dir abends dann direkt zurückbringen? Ich weiß nicht, wie spät das wird.«
Amanda lacht und streicht sich die Haare hinter das Ohr. »Komm du erst mal zurück und dann besprechen wird das.«
»Du willst mich auf dem Weg zur Arbeit ausquetschen, damit ich dir alles brühwarm erzähle. Noch vor Ruby«, rate ich und stemme empört die Hände in die Hüfte.
Ertappt rollt Amanda die Lippen und wendet sich mit einem vielsagenden Blick von uns ab, bevor sie sich wieder herumdreht. »Vielleicht.«
»Mir egal. Ich erzähle auch alles zehnmal, wenn ich Erfolg habe.«
»Wirst du!«, versichert mir Ruby und stupst mich beim Vorbeigehen an. Neue Kundinnen betreten den Laden. »Und nachher gehst du mit uns einen trinken.«
»Was? Nein. Ich muss die anderen Perücken fertig machen.« Mit ihrem Feedback bin ich plötzlich nervöser als vorher. Eigentlich habe ich für heute Abend geplant, vorzukochen, damit wir für ein paar Tage etwas im Kühlschrank haben und die Kinder nicht auf mich angewiesen sind, aber jetzt? Vielleicht lasse ich Jason kochen. Falls er Zeit hat. Eigentlich geht sein Schwimmtraining vor.
»Wirklich? Nur ein Drink, Madison. Du warst schon so lange nicht mehr dabei.« Amanda schiebt die Unterlippe vor, womit sie immer alle rumzukriegen versucht. Bei ihrem Mann klappt das, beim Rest der Welt nicht.
»Nach der Messe«, verspreche ich, obwohl wir beide wissen, dass ich vermutlich wieder aus Zeitmangel absagen werde.
Madison
Perücken? Check! Frisch gedruckte Plakate und Flyer? Check! Friseurbedarf, um die Perücken an Ort und Stelle aufzufrischen? Check! Ein professionelles und zugleich ansprechbares Outfit? Check!
Ich habe alles – außer diese Nacht geschlafen.
Voll bepackt stapfe ich zum Auto und ordne meine Sachen so im Kofferraum an, dass den Perücken unterwegs nichts passiert. Oder zumindest weniger, als ich wieder herrichten kann. Mit einem lauten Rums schließe ich die Luke und laufe um den Wagen herum zur Fahrertür.
»Madison! Hier, warte.«
Ich hebe den Kopf. Jason läuft auf mich zu, ein Kabel in der Hand.
»Habe ich was vergessen?«
»Wie man es nimmt. Willst du dein Handy unterwegs aufladen?«
Meine Augen werden groß und ich strecke die Hand aus. »Definitiv! Wieso habe ich daran nicht gedacht?«
»Ich bin einfach der Beste. Lass dich nicht unterkriegen und schicke ab und an ein paar Updates, okay? Sonst mache ich mir Sorgen.« Seine Augen glänzen leicht, als wäre er den Tränen nahe, was auch mich zum Schlucken bringt. Wir sind es nicht gewohnt, voneinander getrennt zu sein.
»Komm her«, maule ich und ziehe ihn in eine Umarmung. Noch vor Kurzem ist er kleiner als ich gewesen, jetzt komme ich mir wie die jüngere Schwester vor. Oder wie jemand, der ihm nichts mehr beibringen kann. Und ich weiß nicht, ob ich Stolz oder Wehmut empfinde. Beides vielleicht.
»Du packst das, Schwesterchen.« Er drückt mir einen Kuss auf den Scheitel und läuft in seinem Oversize-Shirt wieder davon.
Ich schwinge mich auf den Fahrersitz und starrte den Wagen – oder versuche es zumindest. Die Kiste röhrt, doch der Motor heult nicht auf. Erneut. Was? Ich probiere es ein drittes Mal, obwohl ich weiß, was passieren wird. Nämlich nichts. Nichts!
Geschockt starre ich auf das Lenkrad, das keine Antworten für mich parat hält. Das kann nicht sein! Ich habe das Auto gestern Abend noch hierhergefahren. Der Tank war voll, oder? Oder? Ja, war er. Habe ich die Lichter nachts brennen lassen? Nein, Mann! Das würde mir nie passieren, und selbst wenn, wäre es spätestens meinen Geschwistern aufgefallen. Oder der nervigen Nachbarin.
Erneut klicke ich auf den Startknopf. Nope. Der Honda springt nicht an.
Ausgerechnet heute!
Ich schiebe die Hände in meinen Haaransatz, um ihn zu massieren, spüre die Perücken-Braids unter meinen Fingern und lasse sie langsam wieder sinken. Verdammte Scheiße! Das ist nicht wahr. Nicht heute. Nicht an diesem einzigen Tag an … Soll das ein Wink des Schicksals sein? Soll das …
Tränen drücken gegen meine Augen und ich kneife sie zusammen. Heute Morgen habe ich mir Mühe gegeben, weil ich weiß, wie aufwendig alle geschminkt sein werden. Ich habe sogar einen random Tiktok-Hack für langanhaltend matte Haut ausprobiert, um so professionell wie möglich auszusehen.
Bitte, bitte, spring an, flehe ich das Auto an und halte erneut den Startknopf gedrückt.
Mit dem gleichen Ergebnis.
Fuck, ey. Bye, bye, Zukunft.