Tessa - Mathias Grüner - E-Book

Tessa E-Book

Mathias Grüner

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Beschreibung

Als Tessa einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen hält, droht ihr Traum vom Kunststudium zu platzen. Plötzlich steht sie vor einer Hürde, die den Stress der Uni Bewerbungen und die Zweifel ihrer Eltern, weit in den Schatten stellt. Unsicher wie ihre Zukunft aussehen soll, begibt sie sich mit ihrer besten Freundin auf die Suche nach einer Lösung. Und landet auf einem Roadtrip mit ungewissem Ausgang. Eine Geschichte voller kurioser Begegnungen und moralischer Fragen, über eine junge Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch als einzige Möglichkeit sieht, um an ihrem Traum festzuhalten.

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Mathias Grüner, geboren 1992 in Berlin, ist Indie-Autor aus Hamburg. Nach seinem Studium der Kulturwissenschaften in Lüneburg, hat er 2022 seinen ersten Roman „Die rote Libelle“ veröffentlicht. Seine Geschichten sind besonders von Antihelden und moralischen Fragen geprägt. Neben dem Schreiben arbeitet er als Datenanalyst und betreibt Triathlon.

Inhaltsverzeichnis

Montagmorgen

Dienstag

Mittwoch

Beim Arzt

Zwei Stunden später

Immer noch Mittwoch

Freitag

Freitag 12:10

13:00

14:35

16:25 - Belfast

16:35 – Immer noch in Belfast

16:50 – Am Kai

18:10 – Belfast

20:30 – Schottland

Auf dem Weg nach Glasgow

22:50 – Glasgow

Zwei Stunden vor Liverpool

08:10 – In Liverpool

09:25

Endlich zuhause

Montagmorgen

Der Schwangerschaftstest lauerte auf dem Waschbecken, unberechenbar und bedrohlich, wie eine fette Spinne, die sich jeden Moment bewegen könnte. Tessa saß auf der anderen Seite des Bads, die Arme fest verschränkt, und lehnte an der Wand. Im Sekundentakt klopfte sie mit dem Kopf gegen die kalten Fliesen. Hätte sie nicht um jeden Preis verhindern müssen, dass ihre Eltern etwas mitbekamen, wäre sie schreiend durch das Haus gerannt. Stattdessen saß sie auf einer himmelblauen Badematte, zwischen Kloschüssel und Wäschekorb, wo es nach Citrus-Reiniger stank. Was beim Unterdrücken der aufkommenden Übelkeit wirklich keine Hilfe war.

Tessas Blick wanderte von dem vollgepinkelten Plastikstreifen, der drohte die Kontrolle über ihr Leben an sich zu reißen, zu dem Timer auf ihrem Handy. Zwei Minuten.

Sechs Monate war es erst her, dass sie die Pille abgesetzt hatte. Weshalb es zuerst gar nicht so verdächtig gewesen war, dass sie ein paar Monate ihre Tage nicht hatte. Nach zwei Jahren musste der Körper sich schließlich umgewöhnen. Und das gelegentliche Kotzen in den letzten Wochen konnte genauso gut am Stress der Unibewerbungen gelegen haben. Nächtelang hatte sie, angetrieben von einer Diät aus Kaffee, Fertigpizza und Aspirin, eine neue Reihe Bilder gemalt. Da konnte sich der Magen schon einmal beschweren. Nur die eine Nacht, in der ihre Mutter sie um zwei Uhr nachts am Kühlschrank mit Gewürzgurken und Erdnussbutter erwischt hatte, war wirklich etwas seltsam gewesen.

Als heute Morgen dann aber ein Ziehen im Becken sie wie eine Abrissbirne aus dem Schlaf gerissen hatte, war das ein Zufall zu viel gewesen. Noch während der Schmerz in Wellen durch ihren Körper strahlte, hatte Tessa auf ihrem Handy mit zittrigen Fingern herumgetippt.

Die Internetdiagnose war beunruhigend. Krebs, Aneurysmen, Leistenbruch. Aber unter den ganzen Todesurteilen stand auch Schwangerschaft ganz oben in der Liste. Also hatte Tessa sich vor dem Frühstück freiwillig den Hund gegriffen und einen Umweg in die Drogerie gemacht. Zurück zu Hause hatte sie einen Liter Wasser geleert und sich im Bad eingeschlossen, während ihre Mutter in der Küche Eier und Bacon anbrennen ließ.

Das Handy blinkte. Eine Minute.

Natürlich hatte sie die Nebenwirkungen der Pille loswerden wollen. Die schlechte Stimmung und das extra Gewicht hatten die letzten zwei Jahre der Schule ruiniert. Damit durfte es im Studium auf keinen Fall weitergehen. Und es blieben ja immer noch andere Verhütungsmittel. Kondome boten bei korrekter Anwendung immerhin einen Schutz von neunundachtzig Prozent.

Tessa kaute auf ihrer Unterlippe herum. Korrekte Anwendung. Rückblickend betrachtet war es wohl gar nicht so überraschend, dass Jamie es fertigbrächte, ein Kondom falsch aufzuziehen. Er schaffte es ja auch, beim Rugby mit dem Kopf in eine menschliche Wand zu rennen, frei von Angst vor brechenden Knochen oder der stimulierenden Wirkung einer Gehirnerschütterung. In Gedanken pinnte sich Tessa eine Notiz an, nie mehr mit Menschen unterhalb eines gewissen Reflexionsvermögens zu schlafen, egal wie groß und muskelbepackt sie waren. Falls sie überhaupt jemals wieder mit irgendwem Sex haben wollte.

Ihr Handy vibrierte. Die vom Beipackzettel verlangte Wartezeit war rum. Tessa drückte sich an der Wand hoch. Mit ausgestreckter Hand schob sie sich vorwärts auf das Waschbecken zu, griff den weißen Plastikstreifen und hielt ihn ins Licht. Sie quiekte. Zwei blaue Striche. Der Test flog gegen den Spiegel, prallte ab und rutschte ins Waschbecken. Tessa schaute sich an. Anders als sonst sah sie nicht aus. Ihr Gesicht war immer noch schmal. Blasse glatte Haut und eine rosa Nasenspitze, umrahmt von buschigen Augenbrauen und einem blonden Mittelscheitel bis zu den Schultern. Nichts daran schrie schwanger. Nur die dunklen Streifen unter ihren eisblauen Augen waren etwas ungewöhnlich. Der Impuls, nach Make-up und Föhn zu greifen, flackerte in ihr auf und verebbte genauso schnell wieder. Das würde jetzt auch nichts retten.

Tessa biss sich in die Hand. Sie atmete gegen den Drang zu schreien an und kniff die Augen zu, um die Tränen zurückzuhalten. Die Panik füllte ihren Brustkorb, wie einen zerbeulten Heizkessel, der jeden Moment an irgendeiner Schweißnaht platzen könnte, weil er dem Druck nicht gewachsen war. Mit der freien Hand tastete sie nach dem Wasserhahn, stellte ihn so kalt es ging und drehte auf. Dann hielt sie den Kopf hinein.

Die Kälte stach in der Haut. Tessa konzentrierte sich nur noch darauf, kein Wasser einzuatmen. Jedes andere Gefühl wurde weggespült.

Es klopfte an der Badezimmertür.

»Lebst du noch? Du bist schon eine Ewigkeit da drin«, rief ihre Mutter, aus dem Flur.

Tessa schüttelte das Wasser aus dem Gesicht.

»Ja. Alles gut.« Sie erschrak vor ihrer schiefen Stimme und räusperte sich. »Bin gleich da.«

»Beeil dich. Deine Eier werden kalt. Und ich muss auch mal ins Bad.«

»Ist gut.«

Tessa trocknete sich das Gesicht und versteckte den Schwangerschaftstest in der Tasche ihrer Jogginghose. Bloß keinen Verdacht wecken. Niemand durfte etwas erfahren. Sie musste nur schnell das Frühstück hinter sich bringen. Anschließend konnte sie sich in ihrem Zimmer in aller Ruhe in eine Panikattacke stürzen. Drei tiefe Atemzüge, dann band sie die feuchten Haare in einen Zopf und öffnete die Tür. Draußen stand ihre Mutter, noch in ihrem Kaschmirmorgenmantel aber dafür bereits mit Lidschatten und Perlensteckern in den Ohren. Man weiß ja nie, ob nicht überraschend die Nachbarn klingeln.

Mit den Armen in die Hüften gestemmt, versperrte sie den Weg und zog eine Augenbraue hoch.

»Was ist denn mit dir schon wieder los?«

»Nichts«, murmelte Tessa. »Bin nur müde.«

»Und deswegen blockierst du das Bad den halben Morgen?«

»Sorry.«

Tessa zwang sich ein Lächeln auf, umklammerte fest das Stück Plastik in der Hosentasche und schob sich vorbei. Als das Schloss hinter ihr klackte, rannte sie auf Zehenspitzen die Treppe hinauf in ihr Zimmer, direkt unter dem Dach. Sie öffnete die Tür einen Spalt und schleuderte den Test in einem Bogen auf den Klamottenberg neben der Staffelei. Dann schloss sie ab und ging mit vorsichtigen Schritten runter ins Esszimmer. Der Tisch war gedeckt. Der Bacon und die Eier glänzten im Sonnenlicht, an den Pancakes tropfte dicker Ahornsirup herunter und Dampf stieg aus Kaffeebechern. Von dem Geruch wurde Tessa schlecht. Keinen Bissen würde sie runterkriegen.

»Guten Morgen.«

Ihr Vater schaute vom langen Ende des Tisches auf. Er rückte sich die Lesebrille zurecht und blätterte weiter in der neuen Ausgabe des Derry Telegraph. Auf der anderen Seite nickte Linus, ohne aufzusehen. Ihr Bruder schaufelte mit einer Hand großzügig Bacon und Eier auf seinen Teller, vermutlich um vorzusorgen, bevor das nächste Semester los ging und er sich im Wohnheim wieder wochenlang von zerkochten Nudeln mit Pesto ernähren würde. Nicht, dass er nicht ausreichend Geld bekam. Er war einfach zu faul, um etwas Richtiges zu kochen.

Tessa murmelte eine Begrüßung und setzte sich mit gesenktem Kopf zwischen die beiden. Sie musste nur ein paar Minuten durchhalten, lange genug, um keinen Verdacht zu wecken. Wahllos stocherte sie auf dem Teller herum. Da kam Atlas unter dem Tisch angerannt. Die französische Bulldogge stolperte beinahe über seine eigenen Pfoten und rutschte das letzte Stück, bis er zwischen Tessas Füßen sitzen blieb. Mit großen Augen und heraushängender Zunge schaute der schwarze Frenchie zu ihr hinauf, während ihm so viel Sabber aus der Schnauze tropfte, als würde er ein halbes Brathähnchen erwarten. Er wusste genau, dass er bei Tessa die besten Chancen hatte, etwas zu bekommen. Sie streichelte ihm den Kopf und ließ ein Stück Bacon fallen.

»Ich hab es euch doch gesagt.« Tessas Vater schnippte gegen die Zeitung. »Andrew Coyle sagt seinen angekündigten Ruhestand ab und kandidiert mit siebenundsechzig nochmal für den Bürgermeister.«

»Und?«, fragte Linus mit vollem Mund.

»Ein Vorbild, der Mann. In der Partei haben sie keinen Ersatz für ihn gefunden, also macht er eine Ehrenrunde.«

»Wenn er Spaß dran hat.«

»Das ist keine Frage von Spaß, sondern von Verantwortung.«

Er machte eine Pause und schaute zu Tessa, als würde er ihre Meinung erwarten, aber sie rührte sich nicht.

»Was ist los, Tessi? Hast du keinen Hunger?«

Sie zuckte zusammen, als hätte er ihr einen nassen Waschlappen ins Gesicht geworfen.

»Nein, gerade nicht. Ich fühle mich nicht so gut.«

»Was hast du?«

»Schlecht geschlafen.«

Ihr Vater kniff die Augen zusammen. Die Falten auf seiner Stirn wurden tiefer und die runde Brille hob sich auf der breiten Nase ein Stück.

»Ja, du bist ein wenig blass. Sicher, dass es nur der Schlaf ist? Hast du noch andere Symptome?«

Er studierte ihr Gesicht nach Auffälligkeiten. Beim Versuch möglichst normal zu wirken, griff Tessa nach dem Kaffee vor ihr und stoppte mitten in der Luft. Durfte sie den jetzt noch trinken? Koffein war doch tabu, wenn man schwanger ist. Ihre Hand zitterte. Es waren keine fünfzehn Minuten seit dem Test vergangen und schon konnte sie in ihrem Leben nicht mehr machen, was sie wollte. War das jetzt der Anfang vom Ende?

Ihre Hand schwebte an der Tasse vorbei und griff das Glas Orangensaft.

»Du siehst wirklich ein bisschen fertig aus«, schnaufte Linus zwischen zwei Bacon Streifen. »Wehe, du steckst mich mit irgendeiner Krankheit an.«

»Es ist nichts«, zischte Tessa. »Außerdem würde das für dich keinen Unterschied machen. Du verbringst die Semesterferien eh nur beim Zocken.«

Tessa funkelte ihn an. Wahrscheinlich würde sie genauso jeden Tag bis zehn schlafen und nur in Jogginghose und Sweater rumlaufen, wenn sie Semesterferien hätte. Aber jetzt gerade nervte sie diese Art, wie er sorglos sein Frühstück in sich reinschaufelte. Für ihn war nicht gerade seine Welt zusammengebrochen.

Linus lachte. »Wenn man etwas Anspruchsvolles studiert, bleibt halt sonst nicht so viel Zeit für Spaß. Da muss man die Ferien richtig nutzen.«

»Blödsinn, als würdest du im Studium die ganze Zeit lernen. Ihr rennt doch auch nur auf Partys.«

»Schön wär’s. So ein Jurastudium ist nicht so eine Spaßveranstaltung, wie bestimmte andere Fächer.«

Sie rollte mit den Augen. »Du bist nur eifersüchtig, weil ich mich traue, etwas zu machen, worauf ich wirklich Lust habe.«

»Hey, wer sagt denn, dass ich keine Lust drauf habe?«

»Klar, du brennst förmlich für dicke Gesetzbücher und endloslange Sätze, die man drei Mal lesen muss, bis man sie verstanden hat. Dein ganzes Leben hast du von nichts anderem geträumt.«

Er winkte ab und erstach mit der Gabel drei Pancakes.

»Mach, was du willst. Hauptsache du kommst am Ende nicht angerannt und musst bei mir auf dem Sofa unterkommen, weil du deine Stelle als Taxifahrerin verloren hast.«

Ihr Vater warf die Zeitung auf den Tisch.

»Müsst ihr mir mit diesem Thema das Frühstück verderben? Wir haben das doch geklärt. Tessa darf sich für das Studium eine Kunst-Uni aussuchen.«

»London«, ging sie dazwischen. Die Zusage an der Uni war ein Lottogewinn für Tessa. Endlich konnte sie in einer großen Stadt leben, in der es an allen Ecken an Kultur überquoll.

Ihr Vater schnaufte. »Das werden wir sehen. Und nur solange deine Noten ausgezeichnet sind, du zwischen den Semestern Praktika machst und an einem vernünftigen Plan für danach arbeitest.«

Tessa schluckte. Da war es wieder. Der Plan für danach hatte sich vor ein paar Minuten aufgelöst. Momentan konnte sie nicht weiter als bis zu ihrem Zimmer denken. Und wenn das Frühstück tatsächlich so weiter ging, würde sie nicht einmal das ohne durchzudrehen überstehen.

»Ich finde es unfair, dass ich keine Wahl hatte«, sagte Linus.

»Wenn du die gleichen Regeln willst, können wir gerne einen Blick auf deinen Notenspiegel werfen. Und dann überlege ich mir, ob ich die Kosten für dein nächstes Semester nicht gewinnbringender anlegen kann.«

»Ist ja gut, musst doch nicht gleich hysterisch werden. Ich hab schließlich das gemacht, was ihr vorgeschlagen habt.«

»Was ist hier denn für eine Stimmung aufgezogen?«

Tessas Mutter kam durch die Esszimmertür. Der Bademantel war einer Strickjacke gewichen und die Haare frisch geföhnt.

»Wir reden über Tessas Studienwahl«, sagte Linus.

»O Schätzchen, darüber wollte ich noch mal mit dir reden. Ich hab mir ein paar Gedanken dazu gemacht.«

Wieder schnaufte Tessas Vater. »Muss das jetzt sein?«

Tessa leerte das Glas Orangensaft in einem Zug und stand auf.

»Wisst ihr, ich würde wirklich gerne länger über meine furchtbaren Zukunftsaussichten diskutieren, aber ich muss mich fertig machen.«

»Klar, schon mal beim Jobcenter einen Termin holen. Sehr vernünftig«, sagte Linus.

»Im Gegensatz zu dir habe ich ein Sozialleben, dass außerhalb dieses Hauses stattfindet.«

»Wo willst du denn hin?«, fragte ihre Mutter.

»Ich … Ich treff mich nachher mit Ellie«, sagte Tessa.

Wenigstens hatte die Wut über ihren Bruder den Schock und die Übelkeit in den Hintergrund gedrängt. Tessa griff den letzten Pancake, stopfte ihn in den Mund und verschwand durch die Küchentür. Dann sprintete sie nach oben.

Ihr Zimmer sah schlimm aus. Nicht ganz so schlimm, wie Tessa sich fühlte, aber das wäre auch kaum möglich gewesen. Die geblümte Bettdecke und das ausgeleierte Guns ‘n Roses Shirt lagen mitten im Raum, wo sie gelandet waren, als Tessa hektisch aus dem Bett gesprungen war. Die zwei Pflanzen auf der Fensterbank hingen verloren herum, genau wie die getragenen BHs auf der Kommode.

In der linken Ecke stand, seit Wochen unberührt, die Staffelei. Neben dem Bewerbungsstress hatte Tessa es nicht geschafft, weiter an dem kubistischen Porträt von Frida Kahlo zu arbeiten. Jetzt starrte sie von dort ein enttäuschtes halbes Gesicht an, während ein Pinsel auf der Mischpallette festtrocknete. Der Schreibtisch daneben war bedeckt mit einer Schicht Unizusagen, und obendrauf lag der Brief der University of the Arts in London. Das Stück Papier, auf das sie am meisten gehofft hatte. Gestern war ihr Leben nahezu perfekt gewesen. Der Widerstand ihrer Eltern bröckelte, sie hatte die Zusage und konnte sich im Herbst ihrem Traum widmen. Und jetzt lag mitten im Zimmer ein positiver Schwangerschaftstest. Sie starrte auf die zwei blauen Streifen. Jetzt wo ihr Leben endlich Gestalt annehmen konnte, drohte alles zu kentern.

Tessa ging am Schreibtisch vorbei, zog ihr Shirt aus und stellte sich vor die Spiegeltür am Kleiderschrank. Sie drehte sich immer wieder. Von vorne, von der Seite. Luftanhalten. Bauch einziehen. Bauch rausstrecken. Tessa seufzte. Im falschen Winkel sah es ein wenig aus, als hätte sie gerade eine komplette Packung Eis vernichtet.

Dienstag

Ellie drehte den Schwangerschaftstest unter der Schreibtischlampe hin und her. Ihre welligen schwarzen Haare glänzten von dem Licht, während sie die silberne Brille zurechtrückte und sich eine Falte zwischen ihren dünnen Augenbrauen bildete. Am Anfang hatte es sie noch geekelt, dass ihre beste Freundin darauf gepinkelt hatte, aber mittlerweile hatte die Faszination gewonnen.

»Na sicher«, fauchte Tessa hinter ihr ins Handy. »Ich bring das Kind einfach in einem Pappkarton hinter dem Bahnhof zur Welt«.

Sie hämmerte mehrmals mit dem Daumen auf den roten Hörer und warf das Handy aufs Bett. Tessa nahm ein Blatt Papier vom Schreibtisch und strich auf der Liste mit den potenziellen Gynäkologie Praxen die nächste Nummer durch.

»Vielleicht solltest du einfach wieder zu deiner normalen Ärztin. Bevor du nichts findest und am Ende eh zu ihr musst«, sagte Ellie.

Sie kaute an ihrem Fingernagel. Als sie realisierte, was sie gerade in der Hand hatte, zuckte sie zusammen.

»Auf gar keinen Fall.« Tessa warf ihrer besten Freundin einen besorgten Blick zu. »Wenn sie meine Mutter das nächste Mal untersucht, fehlt nur ein kleiner Versprecher und alle wissen Bescheid. Sie schöpft wahrscheinlich eh schon Verdacht, dass irgendwas nicht stimmt.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass es illegal ist, Patientengeheimnisse weiter zu erzählen.«

»Da kann ich mir ja richtig was von kaufen. Mein Leben ist zerstört, aber zumindest kriegt die Ärztin auch Probleme. Nein, danke.« Dann suchte sie die nächste Zeile auf ihrer Liste. »So, Dr. Miller. Zeit für gute Neuigkeiten.«

Es piepte drei Mal. Eine automatische Stimme setzte ein, die versicherte, dass gleich jemand da sein würde, gefolgt von einer Warteschlange, in der man das Beste genießen konnte, was die Welt der Fahrstuhlmusik zu bieten hatte.

»Hättest du dir auch damals schon überlegen können.« Ellie setzte sich im Schneidersitz aufs Bett. »Dass es vielleicht nicht so clever ist, zu einer Frauenärztin zu gehen, zu der auch deine Mutter geht.«

Tessa seufzte. »Wer weiß denn mit vierzehn, dass das mal ein Problem sein kann? Würde mich aber nicht wundern, wenn meine Mutter sowas schon im Kopf hatte. Bloß nicht die Kontrolle über irgendwas verlieren.«

»Mit etwas mehr Kontrolle müsstest du vielleicht nicht mit einem Kind an die Uni gehen.«

»Hey, hey. Ganz ruhig. Noch wissen wir nicht sicher, ob ich schwanger bin.«

»Ach bitte.«

Ellie zeigte auf die drei ebenfalls positiven Schwangerschaftstests, die auf dem Schreibtisch lagen. Tessa knurrte.

»Falls ich schwanger sein sollte, lassen meine Eltern mich damit sicher nicht an eine Kunst-Uni. Und London erst recht nicht.«

»Ich wette die Professoren, würden dich mit Einsen überhäufen vor Mitleid. Während du irgendwelche Skizzen zeichnest, sitzt im Kinderwagen neben dir das Baby. «

»Von Einsen kann ich leider die Studiengebühren nicht bezahlen. Und meine Eltern würden mir gar kein Studium mehr zutrauen. Die haben jetzt schon panische Angst, dass ich verwahrlose, weil ich Kunst machen will.«

»Eine gute Werbung für deine Zuverlässigkeit ist das wirklich nicht«, sagte Ellie und wedelte mit dem positiven Schwangerschaftstest.

»Das kann jedem passieren.«

Plötzlich knackte es im Handy. Die Musik verschwand.

»Gynäkologische Praxis Dr. Miller. Was kann ich für Sie tun?«, fragte die weibliche Stimme in rasendem Tempo.