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So, wie es geschrieben steht, sollten wir vor sexueller Unmoral fliehen. Jede andere Sünde, die jemand begeht, geschieht außerhalb des Körpers. Aber der sexuell unmoralische Mensch sündigt gegen seinen eigenen Körper. Sie lehren uns, dass diese Gedanken, diese Handlungen unmoralisch sind. Doch diese dunkle Seite, die in uns allen lebt, die wahre Natur des Menschen, treibt uns dazu: das Bedürfnis zu suchen, das in uns brennt und befreit werden will. Ein angeborenes Verhalten, scheinbar außerhalb unserer Kontrolle. Aero ist der Name, den ich schreie. Die dunklen Teile von mir, die ich vor dieser Welt verbergen möchte, sieht er, wenn er mich unter einer weiteren Maske beobachtet. Er ist der Dämon, der mich in meinen eigenen verborgenen Begierden ertränkt. Er wird vielleicht niemals aufhören. Nicht, bis ich der Wahrheit nachgebe oder unter dem Gewicht seines unnachgiebigen Griffes sterbe.
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Jescie Hall
That Sik Luv
Übersetzt von Lara Gathmann
That Sik Luv
© 2024 VAJONA Verlag GmbH
Übersetzung: Lara Gathmann
Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel
»That Sik Luv«.
Korrektorat: Désirée Kläschen und Susann Chemnitzer
Umschlaggestaltung: Jescie Hall
Satz: VAJONA Verlag GmbH, Oelsnitz
VAJONA Verlag GmbH
Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3
08606 Oelsnitz
Für diejenigen, denen beigebracht wurde, dass sie in die Sünde hineingeboren wurden. Möget ihr euren Glauben innerhalb der Grenzen neuer und unmoralischer Zwänge wiederfinden.
Hinweis:
Dieser Roman behandelt Themen wie Stalking, religiöses Trauma, Entweihung religiöser Artefakte, eine kultähnlichen Gruppierung, einvernehmlichen Nicht-Konsens (CNC), Erniedrigung, Demütigung, Voyeurismus, Exhibitionismus, Somnophilie, besitzergreifendes Verhalten, grafische Darstellungen von Gewalt/Mord, eine Bezugnahme auf sexuelle Übergriffe auf Minderjährige und verschiedene aggressive Formen von Sex und BDSM.
Briony
Sex, Selbstbefriedigung, erotische Gedanken. Sie haben mich gelehrt, dass diese Dinge schändlich sind. Sündhaft. Abscheulich.
Mädchen wie ich sind nicht promiskuitiv. Wir schauen auf die herab, die es sind. Wir sind anständig. Rein. Unschuldig. Aber je mehr ich von dem maskierten Mann sehe, der in den Schatten der Nacht lauert, je mehr Beweise für seine kranke Besessenheit von mir ich finde, desto mehr wird meine lüsterne Fantasie angeregt.
Ich will die Sünde. Und ich will sie mit ihm.
Aero ist mein Stalker.
Er ist wie die Luft um ihn herum. Er verschwindet, wann immer es ihm gefällt. Er taucht auf, um mich zu überraschen, wenn ich es am wenigsten erwarte, um mir auf unvorstellbare Arten Freude zu bereiten.
Er hat nur zwei Regeln für mich: Ich habe mich meinen verborgenen Begierden hinzugeben und darf niemals herausfinden, wer er ist.
Was er nicht weiß, ist, dass er damit ein Monster erschafft.
Eines mit demselben unstillbaren Hunger nach der kranksten Form der toxischen Liebe.
Briony
Sobald ich die Augen öffne, wird mein Blick auf das Blutrot gelenkt, das mich erwartet.
Ich starre auf die frisch abgeschnittene Rose, die in dem alten Drahtmülleimer neben meinem Schreibtisch liegt. Ihre Stacheln drücken durch das Metall, durchbohren die vergitterten Öffnungen. Sie wurde zu früh abgeschnitten. Die dichte, runde, samtene Knospe hatte noch nicht einmal die Chance, sich zu öffnen. Keine Zeit zum Blühen.
Ein Ende.
Eine Nachricht.
Eine Warnung.
Ich weiß, dass er es gewesen ist. Es ist immer er.
Mein Fremder.
Mein Stalker.
Kein zwanzigjähriges Mädchen, das so unschuldig ist wie ich, sollte sich jemals Sorgen über irgendwelche Jungs machen müssen, die frisch geschnittene Blumen in ihrem Mülleimer hinterlassen. Oder über merkwürdige Botschaften, die auf zerknitterte Seiten einer zerrissenen Bibel geschrieben worden sind. Aber in den letzten drei Wochen seit meinem Abschluss habe ich jeden Morgen nichts als kryptische Botschaften und knospende Rosen im Müll vorgefunden. Ich liege auf der Seite und starre auf die karmesinrote Knospe, als ich meine Hände auf meinem Körper wahrnehme. Eine ruht auf der warmen Haut meines Halses, die andere liegt zwischen meinen weichen, milchigen Schenkeln.
Ich spüre, wie das Kribbeln unter meiner Haut zum Leben erwacht. Dieses unangenehme Gefühl, das mir einen Knoten in den Magen treibt und meine Schultern erbeben lässt.
Er ist wieder hier gewesen. Er hat mich beim Schlafen beobachtet. Wie er hierherkommt, ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Mein Bruder achtet darauf, alle Türen und Fenster zu verschließen, bevor er in sein Wohnheim geht, vor allem jetzt, da unsere Eltern gegangen sind.
Ich drehe mich auf den Rücken und denke über den Aufwand und die Gründe nach, nichts davon ergibt für mich einen Sinn. Es ist ein schreckliches kleines Geheimnis, von dem nur Mia, meine beste Freundin, und ich wissen. Ich würde es nicht wagen, es mit Baret zu teilen. Dass mein älterer Bruder nicht mehr zu Hause wohnt, sondern im Studentenwohnheim, ist eine große Erleichterung für mein Studium. Sein unaufhörliches, unzüchtiges Verhalten hat mich viel zu sehr abgelenkt.
Letzte Woche habe ich Mia gefragt, ob sie mich bei diesem offensichtlichen Stalking-Problem unterstützen würde. Dabei habe ich die genauen Einzelheiten ausgelassen, ihr aber erzählt, dass ich ständig Augen auf meinem Rücken spüre. Es ist ihr genauso unheimlich gewesen wie mir, als sie es erfahren hat, und es ist zu ihrem neuen kleinen Projekt geworden. Sie glaubt, dass jemand darauf aus ist, meinen Ruf zu ruinieren. Um die harte Arbeit zu beflecken, die ich während meiner vier Jahre an der Highschool geleistet habe, um als erste weibliche Person die Covenant Academy als Magnus Princeps zu betreten.
Ich mache mir Sorgen, dass sie Saint und seine lächerliche Bande von Freunden hat reden hören. Hat die Zukunft unserer Gemeinde einfach wieder neue und ungewöhnliche Wege gefunden, mich zu quälen? Mich wegen meiner Leistungen zu ärgern? Meine Fähigkeiten zu testen? Meinen Glauben? Das wirkt unwahrscheinlich, denn diese Person hat ein feines Gespür für ihre Arbeit, eine feinfühlige Herangehensweise an das Stalking. Und obwohl er langsam erwachsen wird, ist Saint in der Vergangenheit alles andere als feinfühlig gewesen. Oder freundlich.
Diese Person scheint eine nicht enden wollende Faszination für mich zu haben. Ich bin einfach nur dumm und neugierig genug, um es weiterhin zuzulassen.
Wer auch immer mich verfolgt, ist hinter etwas her und der einzige Weg, es zu bekommen, ist die stille Besessenheit.
Ich greife in die Nachttischschublade und ziehe den zerknitterten Zettel heraus, den ich letzte Woche dort versteckt habe. Allein der Gedanke, dass diese Person rücksichtslos Seiten aus der Bibel reißt, um sie als Briefpapier zu verwenden, lässt mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen und weckt zugleich mein Interesse.
Die Seite ist aus dem Deuteronomium herausgerissen und die eingekreiste Stelle lautet: Denn der HERR, euer Gott, zieht mit euch, um für euch gegen eure Feinde zu kämpfen und euch zu retten.
Über der Passage befindet sich ein handgeschriebener Brief in roter Tinte; die Striche der Buchstaben sind so stark gekritzelt, dass sie das zarte Blatt fast zerrissen haben.
Ich bin jetzt dein GOTT – Aero
Wenn ich mit den Fingern über die tiefen Einkerbungen seines Namens fahre, wird etwas in mir wach und ich frage mich, ob die Neugier meines seltsamen Stalkers genauso groß ist wie meine.
Der Gedanke peitscht mir durch den Kopf und ich will wissen, ob er versucht ist, mich zu berühren, während er mich in meinem Bett beobachtet. Der Gedanke, dass er es vielleicht schon getan hat, blitzt in mir auf und eine Art Lauffeuer breitet sich zwischen meinen Schenkeln aus. Sofort erfasst mich das Gewicht der Schuld schwerer als die Decke, die mich umhüllt.
Unten öffnet sich die Haustür, was mich aus meinen Gedanken reißt, und ich weiß, dass ich spät dran bin. Mein Körper schmerzt vor fehlender Energie. Das Gefühl, das man immer bekommt, bevor man für ein so wichtiges Ereignis aufstehen und sich fertig machen muss.
»Bri-uh-knee!«, höre ich die nervige Stimme meines Bruders aus dem ersten Stock.
Seine klobigen Schritte steigen die Holztreppe unseres zweistöckigen Hauses hinauf, bis er vor meiner Tür steht. Sein muskulöser, fitter Körper, der auch unter dem Hemd und der Hose zu erkennen ist, überrascht mich immer noch. Früher ist er so ein Weichei gewesen. Aber wenn die Pubertät kommt, werden Jungs wirklich zu Männern. Es ist nur einfach eklig, wenn es der eigene Bruder ist. Er trägt seinen genervten Gesichtsausdruck und seine typischen blonden Locken sind heute noch strahlender als sonst. Ein Schlauchboot-Wochenende am Fluss mit seinen College-Mitbewohnern bewirkt so was.
Widerwillig steige ich aus dem Bett, schiebe mich an ihm vorbei und gehe ins Bad. Ich starre mein Spiegelbild an und greife mir in die Haarspitzen, um die Knoten einer weiteren unruhigen Nacht mit meiner Bürste zu entwirren. Es ist nicht fair. Ich habe mir immer gewünscht, blond zu sein wie der Rest meiner Familie. Baret hatte die Gene, die an mich hätten vererbt werden sollen. Meine Mutter und mein Vater sind beide blond, groß und schlank. Mein Bruder ist diesem Beispiel gefolgt und überragt mich jetzt in seiner Körpergröße, auch wenn er etwas dicker als sie ist. Aber trotzdem bin ich wie ein Tintenklecks auf einem weißen Papier, geboren mit Haaren, die so schwarz sind wie die Nacht.
Dunkles Haar, Porzellanhaut. Die Teufelspuppe. Sie haben nie gesagt, dass sie das von mir denken, aber ihre Augen voller subtiler Missbilligung haben diese Bezeichnung verraten.
Mutter hat immer die Befürchtung gehabt, dass dem etwas zugrunde läge. Eine biblische Warnung, die noch mehr Bestätigung brauchte, um ausgemerzt zu werden. Sie sind hart zu mir gewesen. Härter als Baret. Als jüngstes Kind und einziges Mädchen habe ich das verstanden und akzeptiert und ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, meinen Wert in der Familie und in der Kirche zu beweisen.
»Warum bist du noch nicht fertig? Heute ist die Einführung! Wir sollten doch früh da sein«, stöhnt Baret und lehnt seinen Kopf gegen den Türrahmen.
»Ich muss wohl verschlafen haben«, sage ich entschuldigend und denke über meinen Schlaf nach, der vielleicht oder vielleicht auch nicht beobachtet worden ist. »Es wird nicht lange dauern.«
Nachdem ich mein Haar zurückgeflochten habe, gehe ich in mein Zimmer und greife nach meiner Kruzifix-Halskette, die auf dem Nachttisch liegt. Ein Geschenk meines Vaters zu meinem sechzehnten Geburtstag, um meine Enthaltsamkeit zu feiern. Ich ziehe meinen karierten grünen Rock an, darunter meine schwarze Strumpfhose und mein weißes Hemd mit dem Wappen der Covenant Academy auf meiner Brust. Ich schlüpfe in meine schwarzen Mary Janes von Doc Martens und schnappe mir meinen Rucksack.
Ungeduldig wartet Baret unten, die Nase in einem Buch vergraben, als ich endlich die Treppe herunterkomme.
»Hast du heute schon etwas von Mama und Papa gehört?«
»Nein, Bri«, antwortet er mit einem weiteren Stöhnen. »Die Anrufe kommen nicht so oft, wenn man in der Wildnis ist.«
Meine Schultern müssen leicht nachgegeben haben, denn die Verärgerung in seinem Gesicht nimmt ab. Er klappt das Buch zu, tritt vor und legt es auf den Kaminsims zurück, bevor er sich wieder zu mir umdreht.
»Was sie tun, ist viel wichtiger als die Einführungszeremonie. Wir müssen das größere Ziel Gottes sehen. Das Wort des Herrn zu den Menschen bringen, die keinen Zugang zu seiner Herrlichkeit haben.« Er breitet seine Hände dramatisch vor sich aus, als würde er sich die Szene vorstellen. »Missionsarbeit bringt die Welt in Schwung.«
»Wenn Vater dich jetzt nur hören könnte«, sage ich und stupse ihn am Arm an, während er lacht. »Er wäre so stolz.«
»Was?«, fragt er. »Auch ich kann die Menschen zu Gott führen. Jedenfalls schreien sie immer seinen Namen …« Er wirft mir ein verschmitztes Grinsen zu.
»Du bist ekelhaft.« Ich dränge mich an ihm vorbei und gehe auf die Veranda hinaus. »Und abstoßend«, füge ich hinzu.
Baret ist schlauer, als gut für ihn ist. Er spielt das System gut aus. In der Kirche gibt er den guten Christensohn, während er Medizin studiert und immer neue und kreative Wege findet, sein Zölibatsgelübde zu brechen, ohne es tatsächlich zu brechen. Er hat immer am Rande unseres Glaubens gelebt und seinen Verstand genutzt, um die Fassade zu perfektionieren.
»Bitte.« Er spottet und folgt mir nach draußen. »Du bist nur sauer, weil Saint sich immer noch weigert, dir den Hof zu machen. Der dunkle Fleck der Schande? Nennt er dich jetzt nicht so?«
»Wirklich?« Ich drehe mich zu ihm um und er stößt mich fast um. »Jetzt unterstützt du ihn auch noch dabei?«
»Beruhige dich, Briony. Er macht sich nur lustig. Hast du nicht gehört? Kerle, die absichtlich gemein sind, tun das mit einem Hintergedanken. Ich glaube, an der Covenant Academy vergessen sie, einem beizubringen, dass Jungs diese Dinge haben, die man Hormone nennt. Testosteron, um genau zu sein. Das lässt sie seltsame Dinge tun.« Er erzittert dramatisch.
»Werd jetzt bloß nicht wissenschaftlich, Baret«, warne ich in einem neckenden Ton, als er an mir vorbei zum Auto geht. »Das würde Bischof Caldwell nicht gefallen. Christus wirkt durch uns. Christus überwindet die sündige menschliche Natur, die wir schon immer überwinden sollten«, rezitiere ich seine eigenen Worte.
»Überwinde das«, sagt er und macht eine anzügliche Geste, die ich nicht einmal verstehe.
Ich schüttle den Kopf über meinen hoffnungslosen Bruder und steige in sein Auto, während er rückwärts aus der Einfahrt fährt. Langsam verlassen wir unser perfektes kleines Haus und fahren unsere perfekte kleine Straße entlang, auf dem Weg zu meiner allzu wichtigen Einweihungszeremonie.
Meine Eltern sind vielleicht nicht hier, um mich zu unterstützen, weil sie wichtige christliche Verpflichtungen haben, aber ich kann nicht anders, als mich neugierig zu fragen, ob jemand anderes hier ist.
Briony
Ich nähere mich dem Rand des Altars, atme den frischen Duft von schwelendem Weihrauch ein, während ich mein Kinn hochhalte, bereit, meinen Gang zu machen. Das tiefe, harmonische Echo des Chors auf der Empore hallt durch meine Brust und erfüllt die Kirche mit einer eindringlichen Vibration.
Meine Handflächen sind schweißnass und ich wische sie an dem langen schwarzen Gewand ab, während der Bischof das Gelübde des Schülers vor mir beendet.
»In seinem Namen wirst du wiedergeboren, Michael. Gottes Wille geschehe«, sagt er und macht das Zeichen des Kreuzes vor ihm.
Er führt Michael zu dem großen Taufbecken, wo der Diakon auf ihn wartet. Dieser tritt vor, nimmt seine Hand und führt ihn die vier Stufen hinunter in das hüfthohe Wasser. Michael verschränkt die Arme vor der Brust, bevor der Diakon seine Unterarme ergreift und ihn schnell unter die Wasseroberfläche schiebt.
Einige Sekunden vergehen, während er ihn unter Wasser hält. Schließlich beginnt Michael in der Wanne zu strampeln und zu treten und versucht, nach Luft zu schnappen. Die Lippen des Bischofs verziehen sich zu einem eindringlichen Grinsen, als er Zeuge wird, wie der Teufel Michaels irdisches Wesen durch gewaltsame Versuche, sich selbst an die Oberfläche zu bringen, verlässt.
Die Gemeinde schaut in stillem Erstaunen zu, während das Echo des Kampfes durch das Gewölbe hallt, die Augen auf die Szene gerichtet, als ob sie darauf warteten, dass Christus selbst erscheint.
Ich halte den Atem an und drehe ängstlich das Kruzifix an meiner Halskette zwischen Daumen und Zeigefinger, während ich den Kampf beobachte. Gerade als Michaels Körper in seinem Griff erschlafft, zieht der Diakon ihn wieder an die Luft. Michael keucht, schluckt Sauerstoff in seine Lungen, seine Augen sind weit aufgerissen und sein Mund ist offen. Seine Mutter schluchzt in der Menge der Schaulustigen in der dunklen Kathedrale, bevor sie von ihrem Mann neben ihr beruhigt wird, der stolz auf sie schaut.
In unserer kleinen Gemeinschaft können nur die Nachkommen prominenter Kirchenmitglieder als Magnus Princeps aufgenommen werden, die die nächste Generation von Hirten des Evangeliums anführen und den begehrten Bischofstitel anstreben. Nur durch stundenlanges Studium des alten Wortes und das Bekenntnis zu Christus als unserem Herrn und Erlöser kann man diesen begehrten Status wirklich erreichen. In meiner Altersgruppe gibt es drei von uns. Michael Donovan, ich und Saint Westwood.
Letzterer hat beschlossen, heute nicht teilzunehmen. Seine Familie hat es nicht für angemessen gehalten, dass er eine so hoch angesehene Auszeichnung zusammen mit einer Frau entgegennimmt, und darum gebeten, dass er seine eigene Zeremonie erhält.
Nach Ansicht der Westwoods kann eine Frau nicht die Rolle des Anführers übernehmen, sondern nur die des ultimativen Mitläufers. Das beste Schaf in der Herde. Das stille Schaf, das dem Hirten nach dem Wort Christi gehorchen muss.
Glücklicherweise haben mir meine Intelligenz und Entschlossenheit meinen Platz auf der Bühne gesichert. Ein wohlverdienter Platz, wie meine Familie sagt, die seit Jahrhunderten stolze Mitglieder der Covenant Church sind. Solange ich Christus suche und sein Wort an die Massen weitergebe, kann ich niemals in die Irre geführt werden. Die Ehre steht mir zu und meine Familie ist erleichtert, dass es in der Kirche Fortschritte gegeben hat, die es sogar einer Frau erlauben, einen solchen Posten zu bekleiden.
Ich mache meinen ersten Schritt zum Altar, gehe auf Bischof Caldwell zu und erwarte mit Stolz im Herzen mein Gelübde und die feierliche Reinigung.
Als ich hinüberschaue, sehe ich Baret in einer der hinteren Kirchenbänke, der zusammen mit einigen Gleichaltrigen mit einem stolzen Grinsen im Gesicht zuschaut. Mia sitzt ein paar Reihen hinter ihm, zusammen mit ihrer Familie, und sieht mich gespannt an.
Ich atme tief ein und wieder aus, als ich mit meinem Gelübde beginne. Als ich mein Gelübde halb rezitiert habe, huscht ein Schatten durch den hinteren Gang der Kirche und zieht meine Aufmerksamkeit auf sich.
Ich versuche, mich zu konzentrieren, und fahre mit dem Gelübde fort, bevor der Geist in den Schatten in meinem Augenwinkel erneut aufblitzt. Die Neugier übermannt mich und mein Blick wandert zum Ausgangsschild in der Nähe der Hintertür, wobei mir die Worte in der Brust stecken bleiben.
Ich stehe zwischen den Steinsäulen und sehe die Umrisse eines Mannes, der sich im Schatten des Balkons versteckt. Mein ganzer Körper ist in Alarmbereitschaft, die Haare stellen sich in meinem Nacken auf, denn ich frage mich, ob er es ist. Er steht mit dem Rücken zum Altar, aber ich sehe seine kräftige Statur unter einem schwarzen Trenchcoat, der ihm bis zu den Knien reicht. Die Kapuze des Mantels ist über seinen Kopf gezogen, als er sich an die Säule lehnt, mit dem Rücken zum Rest der Versammlung. Er blickt auf die Türen zum Ausgang, als ob das Ereignis, dessen Zeuge er ist, gar nicht hinter ihm läge. Mein Blick fällt wieder auf Bischof Caldwell, während ich mit dem Gelübde fortfahre.
»In seinem Namen wirst du wiedergeboren, Briony Strait. Gottes Wille geschehe.«
Ich wiederhole den letzten Teil des Satzes, während mein Blick auf Baret fällt. Er nickt mir nur einmal zu. Eine freundliche Geste für einen älteren Bruder. Mein Blick gleitet wieder zum hinteren Teil der Kirche, auf der Suche nach dem Kapuzenmann, aber auf den zweiten Blick ist der Schatten ganz verschwunden.
Ich folge dem Diakon zum Taufbecken, die Worte meines Stalkers hallen in meinem Kopf nach und lassen mich an seinen Motiven zweifeln.
Ich bin jetzt dein GOTT.
Ich nehme seine Hand, als er mir in das kalte Wasser hilft. Die Kälte dringt in meine Knochen ein. Mein Gewand wird schwer und schleift hinter mir her, als ich ein paar Schritte tiefer gehe, bis mir das Wasser bis zur Taille reicht. Ich verschränke meine Unterarme vor der Brust und werfe einen kurzen Blick auf Bischof Caldwell am Altar. Er nickt ihm zu, als seine Augen wieder die meinen treffen. Der Blick, den er mir zuwirft, hat etwas Hartes an sich, ohne jede Emotion, aber bevor ich darüber nachdenken kann, stößt mich der Diakon zurück.
Ich atme einmal kurz ein, bevor ich unter seinem Griff durch die Oberfläche falle, wobei mir ein eisiger Schauer über den Rücken läuft. Meine Ohren füllen sich mit dem hohlen Brummen des Nichts und ich spüre, wie meine Lungen bereits anfangen, zu schmerzen, in dem Bedürfnis, sich auszudehnen.
Nur noch ein bisschen länger.
Das Gewicht seines festen Griffs lässt keinen Spielraum für irgendeine Art von Befreiung. Meine Lunge schreit nach Luft, als die Panik einsetzt. Ich muss atmen. Ich drücke mich gegen seine Arme, kralle mich an ihnen fest, um mich zu befreien, aber er hält mich fester, um sicherzustellen, dass ich unter der Oberfläche bleibe, um meine menschliche Form vom Teufel zu befreien.
Es dauert schon zu lange. Michael ist nicht so lange untergetaucht worden.
Meine Augen öffnen sich in dem dunklen Wasser, als ich mir die Mosaikszene über mir vorstelle. Der Diakon guckt mich nicht an. Er starrt in Richtung Altar auf den Bischof. Ich schreie unter der Wasseroberfläche, der letzte Sauerstoff in meiner Lunge sprudelt aus meiner Kehle, während ich mich winde.
Es dauert zu lang!
Meine Hilferufe werden ignoriert und ich verliere jegliche Selbstbeherrschung. Es ist jetzt ein Kampf um mein Leben, während ich mit meinen Schreien Wasser schlucke, sich die Dunkelheit über meine Augen legt und die Szene vor mir zusammenbricht. Ich kämpfe mit allem, was ich habe, der Druck auf meine brennenden Lungen lähmt mich. Mein Körper fühlt sich leichter an, während ich den Kampf gegen das bitterkalte Wasser der zeremoniellen Reinigung verliere.
Durch das Wasser dringt ein explosives Brummen in meinen Kopf, als die Hände des Diakons ihren Griff lockern. Ein großer orangefarbener Streifen wächst am Rande meines Blickfelds, die Farbe verzerrt, verbogen und verdreht unter den Wellen über mir. Mein Übergang in das nächste Leben?
Bevor ich den seltsamen Anblick und die Geräusche, die mich umgeben, einschätzen kann, nimmt die Dunkelheit mich komplett ein und das Nächste, woran ich mich erinnere, ist das Aufblitzen von Gesichtern: Baret, der unglaublich panisch dreinblickt, Bischof Caldwell, der verwirrt aussieht, während er hektisch an uns vorbeigeht und die Gemeinde lenkt, und Mia, die wie versteinert über mir steht.
Sie tragen mich durch die nun helle und leuchtende Kirche. Mein Blick fokussiert sich auf die gewölbte Decke über mir und studiert die engelsgleichen Putten, die unter den Spitzen gemalt sind, während wir uns weiter auf die Holztüren zubewegen. Ein orangefarbenes Flackern erleuchtet sie. Ihre Augen sind alle schwarz gemalt. Ein X über ihren ehemals engelsgleichen Gesichtern. Mein Körper bleibt wie betäubt und nimmt orangefarbene Lichtstrahlen auf, während Baret mich fest an seine Brust drückt. Der dicke Geruch von Rauch erfüllt meine Nase, bevor die dunklen Wolken zurückkehren.
Ein Sturm der Finsternis, der mich ganz verschluckt.
Briony
Mia geht vor mir am Rande meines Bettes auf und ab, während ich mir mit den Fingerknöcheln über die Augen reibe und den Schlaf zurückblinzle. Sie nimmt ihr schulterlanges Haar in goldenen Büscheln zwischen ihre Finger und brennt mit der Reibung vom Hin- und-Herlaufen praktisch den Holzboden durch.
»Er hat eure ganze Zeremonie zerstört! Der Diakon war ganz perplex, als die Explosion passiert ist. Nichts von alledem ist in Ordnung«, erklärt Baret mit Feuer in seinem Ton.
Das muss es gewesen sein. Oder? Der Grund, warum er dem Mädchen, das unter der Wasseroberfläche um ihr Leben gekämpft hat, keine Aufmerksamkeit geschenkt hat. Die Explosion hat ihm die Aufmerksamkeit geraubt.
Als der Mann mich unter Wasser gehalten hat, habe ich in den Tiefen meiner Seele eine gewisse Angst gespürt. Ein unheimliches Gefühl, das mich jetzt verunsichert und mir schwer im Magen liegt. Zum ersten Mal plagen mich Zweifel und ich will es nicht wahrhaben.
»Wir wissen nicht, ob er etwas damit zu tun hat«, korrigiert ihn Mia, die wie immer den Anwalt des Teufels spielt. »Soweit wir wissen, ist er nicht einmal dort gewesen. Stimmt’s?«
Während sie darüber nachdenken, ob Saint das Feuer in der Kirche gelegt und damit die Beendigung meiner Zeremonie gestört hat, kreisen meine Gedanken um eine Person – und eine Person allein. Aero, wer auch immer er ist, hatte alles damit zu tun. Aber es ist das Motiv, das ich nicht verstehen kann.
»Die Westwoods veranstalten heute Abend immer noch die Post-Einführungs-Party«, erklärt Mia.
»Obwohl sie sich geweigert haben, zu kommen?«, fragt Baret und klingt verärgert wie immer. »So ein Blödsinn.«
Ich seufze und höre ihnen zu, wie sie auf und ab gehen, wie sie es immer tun.
»Ihre Familie ist nach wie vor der größte Geldgeber der Kirche. Sie dürfen sozusagen tun, was sie wollen«, füge ich hinzu.
Mia seufzt. »Wie auch immer. Ich helfe dir, dich fertig zu machen.«
Ich verenge meine Augen und runzle die Stirn. »Nein. Ich gehe nicht auf ihre Party.«
»Doch, wirst du«, korrigiert mich Baret. »Wir werden ihn konfrontieren.«
Mia macht ein gequältes Gesicht, sie steht offensichtlich zwischen den Stühlen in dieser seltsamen Situation. Ich stehe vom Bett auf und gehe zum Fenster. Meine Finger fahren über den weißen Lack der Fensterbank, während ich hinausschaue. Ich sehe, wie die Sonne untergeht und der Himmel sich in ein wunderschönes Rosa und Violett verfärbt.
Wenn ich in der Kirche als jemand angesehen werden soll, der etwas wert ist, muss ich auf mich aufmerksam machen. Sie müssen wissen, dass Briony Strait sich nicht wegduckt, sondern sich den Widrigkeiten frontal stellen wird. Wie es eine Führungspersönlichkeit tun würde.
»Weißt du was?« Ich tippe mit den Fingern auf das Fensterbrett und richte mich entschlossen auf. »Du hast recht«, sage ich und ernte einen überraschten Blick von beiden. »Ich muss das ansprechen und es gibt nur einen Weg, das zu tun.«
Sie schauen sich gegenseitig an, bevor ihre Augen auf meine treffen.
»Nun, ich denke, wir fangen damit an, dich in etwas zu stecken, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht.«
Ich verdrehe die Augen, als ihre aufleuchten und sie mit den Augenbrauen wackelnd meinen Bruder anschaut, der besorgt dreinblickt.
Ich schlucke meine inneren Ängste hinunter und hebe meinen Kopf, als wir drei das Foyer des Westwood-Anwesen betreten.
Das Haus ist so eingerichtet, wie man es von einem alten Haus erwarten würde. Hohe Decken, Marmorböden, Gemälde, die mehr kosten als die meisten normalen Einfamilienhäuser. Es ist extravagant, elegant, kultiviert und zeigt nur noch mal, warum die Familie die Kirche so kontrolliert, wie sie es tut. Ihre Beiträge halten den Ort am Laufen. Natürlich bestimmen sie auch die Entscheidungsprozesse.
Geld ist Macht, auch in der Religion.
Ich streiche den unteren Teil des schwarzen, taillierten Kleides, zu dem mich Mia überredet hat, mit meinen Handflächen glatt, während ich mein geglättetes, schwarzes Haar über meine Schulter auf den Rücken werfe. Nachdem ich Mia und Baret davon überzeugt habe, dass ich die Sache ohne Probleme allein händeln kann, mache ich mich auf die Suche nach Saint.
Wie brauchen ein Gespräch. Ein Gespräch unter Erwachsenen, um diese Situation zu klären. Ich hoffte nur, dass er dazu bereit sein würde.
Saint hat mich jahrelang zusammen mit seinen Kumpels, die immer an seiner Seite zu sein scheinen, gequält. Wenn man in einer kleinen, aber wohlhabenden Stadt aufwächst, kennt jeder dich und die Angelegenheiten deiner ganzen Familie. Unsere Familie ist zwar alles andere als skandalbehaftet, aber es gibt immer Leute, die bereit sind, Geheimnisse auszugraben und tote Gerüchte für ihre eigenen Rachefeldzüge wieder aufleben zu lassen. Saint ist ein typischer Grundschultyrann, der mich immer dafür gehänselt hat, dass ich eine Streberin gewesen bin, und der es gehasst hat, dass ich in jeder Klasse und in jedem Fach bessere Noten hatte.
Seine Familie hat Erwartungen an ihn gehabt, die ich tatsächlich verstehen und nachvollziehen konnte, aber er hat es nicht ertragen können, hinter einem Mädchen zurückzustehen. Zu seinem Pech hat er das aber doch getan. Ich habe als Klassenbeste abgeschlossen, und als mir die Ehre zuteilgeworden ist, die erste weibliche Magnus Princeps zu werden, wollte seine Familie das natürlich nicht akzeptieren.
Meinem Vater ist erzählt worden, dass sie sich sogar an den rücksichtslosen Diktator Alastor Abbott, den neuernannten Gouverneur, gewandt hätten. Ein Mann, der, wie ich gehört habe, bei seinen Entscheidungsprozessen regelmäßig mit dem Teufel tanzt, in der Hoffnung, ihn davon zu überzeugen, ein Gesetz vorzuschlagen, das die Zahl der Frauen, die akademisch aufsteigen können, irgendwie begrenzt. Alles, um die Schwachen zu unterdrücken und die Uhr zurückzudrehen, damit die Männer siegreich regieren können.
Zu ihrem Entsetzen ist der Verstand stärker als die Muskeln und ich bin immer noch hier.
Als ich durch das Chaos der Party gehe, sehe ich vor allem Leute in unserem Alter und älter, die sich in der Haupthalle des großen Herrenhauses tummeln.
Einer der gut gekleideten Kellner bietet mir ein Glas Champagner an. Ich lehne es höflich ab und erhasche einen Blick auf Saint auf der anderen Seite des Raumes. Er wendet den Kopf von seinem Gespräch ab, als ich zu ihm hinüberblicke, und unsere Blicke treffen sich. Auf seinem Gesicht bildet sich der Anflug eines Grinsens, bevor er einen Schluck von seinem Getränk nimmt und sich in Richtung der Menge dreht, um den Hauptkorridor entlang zu gehen.
Ich eile ihm hinterher und sehe, wie er nach rechts in einen Raum einbiegt. Als ich mich der Tür nähere, möchte ich anklopfen, entscheide mich dann aber dagegen und drehe den Knauf, um hinter ihm einzutreten.
Als ich sie öffne, ist der Raum leer. Ich schließe die Tür sorgfältig hinter mir und betrachte dann das Zimmer, das auf mich wie sein Schlafzimmer wirkt. Es ist genauso extravagant, wie ich es mir vorgestellt habe. Das dunkle Marineblau der Bettdecke des Himmelbetts passt perfekt zu den langen, dicken Vorhängen, die an den Fenstern hängen. Aus einem Waschbecken im angeschlossenen Bad läuft Wasser und ich nehme auf der gepolsterten Bank vor dem Bett Platz, um auf seine Rückkehr zu warten.
Er kommt mit einem Handtuch aus dem Bad und wischt sich das Gesicht ab, als ob er es gerade gewaschen hätte. Saint lässt das Handtuch fallen und seine Augen weiten sich leicht, als er mich sieht.
»Briony Strait.« Er sagt meinen Namen, als würde es ihn schmerzen, ihn auszusprechen. »Was macht die erste weibliche Magnus Princeps in meinem Schlafzimmer? Unehrenhaft, findest du nicht auch?«
Meine Augen verengen sich, als er sich auf mich zubewegt und an Größe gewinnt, je näher er kommt. Er ist groß und schlank, die scharfen Kanten seines Kiefers werden durch die kurzrasierten Haare, für die er bekannt ist, noch stärker betont, besonders aus diesem Blickwinkel. Ich schlucke und spüre, wie mein Kehlkopf hüpft, woraufhin sein Blick auf meinen Hals fällt.
»Gute Arbeit, den Champagner abzulehnen.« Er lächelt anerkennend, dann seufzt er: »Vater liebt es, die Jugend zu testen.«
Natürlich ist das der Grund gewesen. Alles, um mich bei irgendetwas zu erwischen.
»Ich hatte gehofft, wir könnten reden«, sage ich und finde meinen Mut wieder. »Wie Erwachsene.«
Seine Lippen spitzen sich und mein Herz flattert wild in meiner Brust bei dem Gedanken, was er wohl sagen oder tun wird.
»Erwachsene, was?« Er kommt näher, bis ich gezwungen bin, meinen Hals zu recken, um Augenkontakt zu halten. »Um ehrlich zu sein, bin ich überrascht, dich hier zu sehen. Du musst schon ein ordentliches Paar Eier unter dem Kleid haben, um dieses Haus zu betreten, nach den Gerüchten, die heute Nachmittag über das Feuer im Umlauf gewesen sind.«
Ich schaue ihn weiter an. »Ich weiß, dass du es nicht gewesen bist.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein? Du weißt doch, dass ich alles tun würde, um deinen großen Tag zu ruinieren«, sagt er sarkastisch.
»Würdest du?«, frage ich unverblümt und ziehe die Augenbrauen hoch.
Er starrt mich eine Sekunde lang an, seine Augen ziehen eine Linie zu meinen Lippen und zurück. Der plötzliche Blick ist mir auf eine ganz neue Art unangenehm.
»Nein«, haucht er, der Sarkasmus ist völlig aus seinem Tonfall gewichen, während sein Gesicht einen sanften Ausdruck annimmt. »Nein, das würde ich nicht.«
»Na gut«, sage ich achselzuckend. »Also, können wir diese Sache, die du mit mir hast, hinter uns lassen? Ich gehe nirgendwo hin, Saint, also können wir genauso gut einen Weg finden, miteinander zu arbeiten, da wir die meiste Zeit zusammen verbringen werden.«
Ein Magnus Princeps arbeitet an der Seite der Bischöfe in unserer Gemeinde, konzentriert sich in erster Linie auf das Studium des Wortes und nutzt seine Zeit, um sich der Gemeinschaft zu widmen, indem er ehrenamtliche Tätigkeiten ausübt oder Schulklassen unterrichtet, bis er die Prüfung besteht, die über die endgültige Einstufung als offiziell ernannte Person entscheidet, und einen offiziellen Rang innerhalb der Kirche einnimmt. Das ist eine prestigeträchtige Ehre für jeden, aber besonders für eine Frau. Saint nimmt neben mir auf der Bank Platz und stützt seine Ellbogen lässig auf das Bett hinter uns. Er seufzt und blickt in Richtung Badezimmer, wobei er seine Beine ausstreckt und seine Anzughose zurechtrückt.
»Ich schätze, du hast recht«, sagt er. »Es liegt viel ehrenamtliche Arbeit vor uns. Eine Menge Zeit zusammen.«
Er starrt auf den Boden und kaut in Gedanken auf seiner Unterlippe, bevor er sich zu mir dreht.
»Ich weiß, dass meine Familie das nie sagen wird, also werde ich es in ihrem Namen tun«, beginnt er, als meine Nerven mich zu übermannen drohen. »Herzlichen Glückwunsch. Ich fühle mich geehrt, den Titel zusammen mit dir zu erhalten.«
Ich rolle mit den Augen. »Aber?«
Sein Blick verfinstert sich. »Aber was? Das war’s. Ich gratuliere dir zu deiner sehr beeindruckenden Arbeit. Daran gibt es nichts zu rütteln. Du bist eine Macht. Ich denke, es macht Sinn, eine Allianz zu bilden, richtig?«
»Wo ist der Haken?«, frage ich, immer noch misstrauisch über seine Verhaltensänderung.
Er hebt die Hände. »Kein Haken, ich schwöre.« Er schenkt mir ein echtes Lächeln, das ernst wird, als er nickt. »Es ist Zeit für meine Familie, sich dem Unvermeidlichen zu stellen und mit der Zeit zu gehen. Ich freue mich für dich, Bri.«
Er hat mich noch nie Bri genannt. Immer nur Warze, Plagegeist oder ewiger Fleck der Schande. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er meinen Namen in der Grundschule überhaupt gekannt hat.
Er lehnt sich nach vorne, die Ellbogen auf die Knie gestützt, während er den Kopf zu mir dreht und mich mit glühenden Augen anstarrt. Unsere Körper sind sich jetzt noch näher als zuvor, unsere Schenkel praktisch aneinandergepresst.
Mein Bruder könnte recht mit ihm haben.
»Also, dann danke«, flüstere ich, das Gespräch nun seltsam intim. Seine Lippen verziehen sich wieder zu einem halben Schmunzeln, während seine Augen auf meinem Mund haften. Die Hitze spürend, die sein Blick auf mich ausübt, reibe ich meine Lippen aneinander.
»Gehst du ein Stück mit mir?«, fragt er und mein Blick fällt auf seine ausgestreckte Hand, die darauf wartet, dass ich sie ergreife. »Ich würde dir gerne das Gelände zeigen.«
Meine Zähne pressen sich in meine Unterlippe, auf der Suche nach dem Haken. Aber seine Augen werden weicher, als er aufsteht und immer noch seine Hand nach mir ausstreckt.
Mit einem schnellen Atemzug und dem Selbstbewusstsein einer Anführerin lege ich meine Hand in seine.
Es ist eine Allianz.
Briony
Wir gehen Arm in Arm um das Anwesen, während er mir das Gelände zeigt.
Überall, wo wir hinkommen, sind die Augen auf uns gerichtet, das leise Flüstern von Gesprächen umgibt uns und spinnt sein Netz aus Verdächtigungen und Klatsch.
»Da ich der einzige Sohn in der Familie bin, habe ich die Aufgabe übernommen, den Namen Westwood in die Kirche zu tragen«, erklärt er und deutet auf den Brunnen, um mir zu zeigen, wohin wir gehen.
»Ist das eine Rolle, in die du hineingeraten bist oder die du dir ausgesucht hast?«
Er senkt seinen Kopf und sieht mich mit einem schiefen Grinsen an.
»Klug, Briony. Du bist klug.« Er gluckst, bevor sein Gesicht wieder ernst wird. »Aber ich habe mir das ausgesucht. Ich will es. Es gibt nichts, was ich lieber täte, als einen Bischofstitel in die Familie einzubringen. Aber es ist nicht nur der Titel, der mich reizt, ich möchte das Wort verbreiten. Was ist ehrenvoller als das?«
Ich gehe weiter neben ihm her und nehme seine Worte in mich auf, bis wir uns dem Brunnen nähern. Das Wasser sprudelt über der riesigen Skulptur eines Engels im Mondlicht; die Dunkelheit zieht meinen Blick zu sich nach unten und lässt den schwarzen Abgrund in dem unteren Becken etwas unheimlich erscheinen.
»Ich bin froh, dass du mich heute Abend aufgesucht hast«, sagt er und dreht sich zu mir um, während er meine Hände in seine nimmt. »Ich habe auf eine Gelegenheit gehofft, allein mit dir zu reden. Es ist an der Zeit, dass ich die Kindereien beiseitelege.«
Mein Atem stockt, als seine Daumen sanft die Furchen meiner Fingerknöchel streicheln.
»Es tut mir leid, wie ich dich behandelt habe«, fährt er fort und sieht mich bedauernd an.
Er rückt näher heran, legt unsere Hände zusammen auf die festen Brustmuskeln unter seinem Hemd, während er auf mich herabschaut.
»Du bist in den letzten Jahren wirklich erwachsen geworden.« Er schluckt und richtet seine Wirbelsäule auf, während sein Blick an meinem Körper hinab zu meinen Füßen in den Absatzschuhen und zurückwandert. »Tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, um aufzuholen.«
Baret hatte recht.
Meine Brust fühlt sich eng an, als seine Daumen ihre sanften Streicheleinheiten fortsetzen, sein direkter Augenkontakt lässt die Welt um uns herum verschwimmen. Irgendwo in meiner Magengrube staut sich die Hitze und droht mir die Kontrolle zu entziehen. Ich brauche einen Ausweg.
»Badezimmer?«, frage ich, schließe meine Augen fest, breche so den Blickkontakt und räuspere mich. Seine Braue ist hochgezogen, als ich endlich die Augen wieder öffne. »Tut mir leid. Kannst du mir sagen, wo das Badezimmer ist?«
Ich muss von hier verschwinden.
Ich lasse seine Hände los und schaffe etwas Abstand zwischen uns, während ich ein paar Schritte rückwärts gehe und dabei fast über meine Absätze stolpere.
»Den Korridor entlang, zweite Tür links«, ruft er mir mit einem perplexen Nicken hinterher.
Ich renne praktisch durch das Gedränge der Partygäste zurück ins Haus, weiche Blicken und Gesprächen aus, bis ich das Badezimmer finde. Die Tür, die zweite auf der linken Seite, ist leider besetzt, also gehe ich den Korridor entlang, bis ich den nächsten freien Raum finde.
Ich brauche nur eine Sekunde, um durchzuatmen, weg von dem peinlichen Gespräch und weg von der Hektik der Leute, die sich selbst vermarkten und mit den höheren Personen unserer kleinen Gemeinschaft vernetzen.
Ich finde ein scheinbar leeres Gästezimmer, schließe die Tür hinter mir und lehne mich in dem schwach beleuchteten Raum dagegen.
Hat Baret wirklich recht? Es wäre das erste Mal. Vielleicht hat Saint wirklich unterschwellige Gefühle für mich, die er durch seine Unreife verdrängt hat. Der Blick in seinen Augen heute Abend ist anders als alles, was ich je von ihm gesehen habe. Ernst. Fast bedürftig. Dunkel.
Es hat sich etwas verändert und ich muss aufpassen, dass ich richtig damit umgehe.
Es hat mir Angst gemacht. Dieses Gefühl, als sich unsere Hände getroffen haben. Etwas ist in mir erwacht und der Gedanke an diese Hände auf meinem Körper, die mich unter meinem Kleid berühren, ist mir in den Sinn gekommen. Das Werk des Teufels. Ich muss mich von diesen Versuchungen fernhalten, von der plötzlichen Lust, die meine Kontrolle bedroht, zumal mein Name jetzt im Rampenlicht steht.
Ich drehe mich an der Tür um, lehne meine Stirn dagegen und stütze mich mit den Händen an der kühlen Oberfläche ab, weil ich Zeit brauche, um diese abscheulichen Gedanken und Ablenkungen loszuwerden, bevor ich zur Party zurückkehre.
»Oh, kleine Puppe.« Ich höre die tiefe Stimme eines Mannes hinter mir und meine Wirbelsäule versteift sich. Noch bevor ich mich umdrehen kann, presst sich ein Körper gegen meinen Rücken und drückt mich gegen die Holzoberfläche. »Du denkst so viel, wenn du allein bist«, sagt er und sein dunkler Ton lässt mir die Haare im Nacken zu Berge stehen.
Ich versuche, meinen Kopf zu drehen, um mich demjenigen zuzuwenden, aber der Atem wird mir vor Angst buchstäblich aus der Lunge gepresst, als er mich mit seinem Körper weiter gegen die Tür drückt.
»Schhhh«, flüstert er in meinen Nacken, der Duft von Leder und Schwefel steigt mir in die Nase. »Nicht schreien«, dröhnt seine tiefe Stimme durch seine Brust in meine, während sein Haar mich an meinem Nacken kitzelt. »Ich möchte mein neues Lieblingsspielzeug nicht kaputt machen.«
Hände, die mit verschiedenen Ringen und einer Fülle von Narben geschmückt sind, gleiten an der Tür meine Arme hinauf, bis sie meine finden. Seine Finger schieben sich langsam durch die Lücken zwischen meinen, bis er unsere Finger mit seinen starken, von Adern überzogenen Händen verschränkt. Ein schneller Atemzug entweicht meinen Lippen, während ich die silbernen und schwarzen Ringe betrachte und mich auf einen bestimmten konzentriere, der sich von den anderen abhebt. Er ist silbern mit einem großen schwarzen Stein und sitzt an seinem Zeigefinger. Im Inneren des Steins ist das Bild eines umgedrehten Kruzifixes.
»Wer sind Sie?«, frage ich atemlos.
Er antwortet mir nicht, während ich spüre, wie sein Gesicht meinen Nacken entlangfährt. Wärme breitet sich auf der freigelegten Haut zwischen meinen Schulterblättern aus und ich erschaudere bei dem Gefühl. Er schmiegt sich an mich und vergräbt seine Nase in meinem Haar. Er atmet meinen Duft ein, sein Gesicht streicht über meinen Hinterkopf, als ob er allein aus dem Geruch meiner Haare eine Art krankes Vergnügen schöpft. Seine Lippen wandern zu meinem Ohr und die Angst lähmt meinen zitternden Körper.
Er ist es.
»Sag es«, fordert er an meiner Ohrmuschel und atmet noch einmal tief neben meinem Kopf ein. Meine Gedanken wirbeln vor Panik, als sich seine Worte um meine schwache, kleine Gestalt winden wie eine Schlange, die sich des Untergangs ihrer Beute so sicher ist.
»Sag es!«, sagt er noch einmal und ich erschrecke, schnappe nach Luft, schließe die Augen und halte meinen Schrei zurück.
Er will, dass ich ihm sage, wer er ist? Nein, er will hören, wie ich seinen Namen sage.
»Aero«, flüstere ich zittrig.
Er brummt seine Zustimmung gegen die Haut meines Halses, sein steinerner Körper umschließt meinen, während er sich weiter an mich presst.
»Wenn du hier lebend rauskommen willst«, flüstert er gegen meine Haut, wobei die Wärme seines Atems mich kitzelt, »dann renn um dein Leben«.
Ich schlucke, bevor ein angsterfülltes Wimmern meine Kehle verlässt. Diese großen, mit Ringen bedeckten Hände halten meine fest und drücken sie gegen die Tür, bevor sein ganzes Gewicht von mir abfällt und er den Schalter neben der Tür betätigt, der das restliche Licht im Raum löscht und mich wieder in völliger Dunkelheit zurücklässt.
Ich drehe mich schnell um, mein Puls beschleunigt sich angesichts der Ungewissheit und ich lehne mit dem Rücken an der Tür, während meine ungeschickten Hände auf der hölzernen Oberfläche nach dem Griff suchen. Ich finde ihn und reiße die Tür abrupt auf, sodass der Lichtschimmer, der vom Flur hereinströmt, den Raum erhellt.
Aber wie ich es erwartet habe, ist dort niemand mehr.
Ich mische mich zurück unter die Partygäste und entdecke schließlich Baret in einer Ecke und Mia an der gegenüberliegenden Wand. Ich gehe auf Mia zu und ziehe sie schnell von ihrem Gespräch weg.
»Bist du bereit, zu gehen?«, frage ich und lasse meinen Blick durch den offenen Raum schweifen.
Ihre Augen verengen sich misstrauisch, dann beugt sie sich vor und flüstert: »Was ist los? Was ist passiert?«
Sie tastet mich mit ihrem Blick ab, bevor ihr Fokus auf meinen Hals fällt.
»Was ist das?« Ihre Hand kommt hoch und berührt meinen Nacken, um mit ihren Fingern darüberzuwischen, bevor sie sie mir zeigt. Sie sind schwarz.
Ich berühre die Stelle, an der er sich an mich gedrängt hat, und meine Augen weiten sich, als ich meine Finger sehe, die jetzt mit einer Art schwarzen Farbe bedeckt sind. Meine Verwirrung muss Mia genug beunruhigt haben, denn sie läuft sofort zu Baret hinüber.
Mit Herzklopfen in der Brust mustere ich die Gesichter der Anwesenden und Misstrauen fließt durch meine Adern. Überall sieht man Gesichter des Bösen, mit ihrer eigenen Farbe bedeckt, die den Anschein einer zivilisierten Organisation erwecken.
Mein Herz sinkt, als mein Blick in der Nähe der Terrassentür auf seinen trifft.
Ein halbes Gesicht, das mich von hinter der Säule aus beobachtet. Ein Mann mit Kapuze, nur minimal vom Mondlicht beleuchtet, mit einer unheimlichen Maske aus schwarzer und weißer Gesichtsfarbe, die an ein Skelett erinnert, und schwarzen Locken, die ihm über die Stirn und in die Augen hängen.
Er dreht sich um und verschwindet genau so schnell in der Dunkelheit, wie er in dem Raum hinter mir erschienen ist. Lautlos und mit einem Ziel.
Was ich noch nicht entschlüsselt habe, ist seine komplette Botschaft. Es könnte eines von zwei Dingen sein.
Eine Drohung oder eine Warnung.
Aero
Mein Chef ist in seinem Büro, als ich den Raum betrete. Der Geruch von teuren Zigarren und Bourbon liegt bereits in der Luft des schwach beleuchteten Raums.
»Schon fertig?«, fragt er, ohne von seinem Papierstapel aufzublicken.
Ein trockenes Lachen verlässt meine Kehle, als ich mich dem Schreibtisch nähere, Aufregung steigt in mir auf. Ich lehne mich in dem großen ledernen Ohrensessel vor seinem Schreibtisch zurück, lege meine beiden ledernen Springerstiefel darauf und werfe damit seine Bilder und Papiere durcheinander.
»Das ist eine Kunst, Al, aber ich wette, du hörst diese Worte öfter als andere.«
Er grinst und greift nach einem umgefallenen Bilderrahmen. »Dass es eine Kunst ist, so gestört und respektlos zu sein wie du?«
»Nein.« Ich verschränke beide Hände hinter dem Kopf und werfe ihm ein dämonisches Grinsen zu. »Schon fertig?«
»Aero, ich habe dich nicht eingeteilt, damit du die Zeit verschwendest. Da wartet ein Scheck ...«
»Sehe ich aus wie ein Typ, der auf Geld steht?«, schnauze ich ihn an und stehe abrupt auf.
Er schluckt, lehnt sich in seinem Sitz zurück, kennt mein Temperament gut genug. »Nur weil du deine Moral von Geld beeinflussen lässt, heißt das noch lange nicht, dass es auch meine Moral beeinflusst«, erwidere ich.
»Du magst kein Geld?« Er schnaubt. »Das ist das erste Mal, dass ich das höre. Ich bezahle dir einen Haufen Geld für deine Arbeit.«
»Tu nicht so, als wärst du nicht froh, jemanden zu haben, der deine Drecksarbeit erledigt. Man muss die Hände der Politiker sauber halten, habe ich recht?«
Ich bin hier der Einzige mit schmutzigen Händen.
Alastor Abbott hat das Gefängnissystem nach einem Verbrecher durchsucht, der ihm gefällt. Einem, der nicht nur herzlos, sondern auch intelligent und rücksichtslos ist. Er hat mich gefunden, wissend, dass ich das uneheliche Kind eines der reichsten Männer der Stadt bin. Er hat diesen Umstand genutzt und das System dafür bezahlt, mich für seinen persönlichen Gebrauch freizulassen. Wie seine eigene Geheimwaffe, die er nach Bedarf einsetzen kann. Im Austausch für meine Freiheit von der lebenslangen Haftstrafe, die ich für die Verbrechen, die ich angeblich begangen habe, erhalten habe. Niemand weiß, dass ich freigelassen worden bin, nur wenige wissen, dass ich überhaupt existiere. Dafür hat Cal gesorgt.
»Sie wissen, dass ich Ihnen für Ihren Dienst dankbar bin«, sagt er in aller Ernsthaftigkeit.
Ich rolle mit den Augen.
»Vor allem in Anbetracht des Kunden.«
»Leben zu nehmen, ist so einfach, wie es klingt. Es ist schwierig, mit dem schweren Gewicht des Gewissens umzugehen, das tief in die Knochen der Schwachen sickert.«
»Wir alle haben unsere Talente, unsere Schachzüge, die uns in die Lage versetzen, zu gewinnen.« Er zuckt mit den Schultern. »Deines war immer das Fehlen deiner Seele.«
»Ich freue mich, dass ich helfen kann.« Ich lächle und betrachte meinen Ring. Religion. Ein Witz.»Du hast eine Woche Zeit«, sagt er in einem hitzigen Ton und sammelt die auf seinem Schreibtisch verstreuten Papiere ein. »Dein Vater will, dass das erledigt wird.«
»Dieser Mann ist nicht mein Vater«, sage ich wütend und schlage mit der Faust auf seinen Schreibtisch.
»Erhebe nicht deine Stimme gegen mich, nur weil du als Bastard geboren worden bist«, antwortet Alastor. »Denk, was du willst, aber du hast immer noch seinen Namen und den sehr bekannten Knochenbau. Eine Woche.«
Ich lege beide Hände auf die Tischkante und beuge mich vor, wodurch sich seine Augen weiten und sein Atem stockt. Ich liebe die Angst, die ich in ihm auslöse. Auch wenn er ein mehr als schlechter Mann ist, hat er immer noch Angst vor mir, und das macht mich an. Ich grinse ihn durch die schwarzen Haare an, die mir in die Augen gefallen sind.
»Dann werde ich mir mit ihr ganz, ganz viel Zeit lassen.«
Die Möglichkeiten sind endlos. Sie wird nach ihrem Gott schreien, ihn um Erlösung anflehen, ohne zu wissen, dass ich es bin, der sie erlöst.
»Tu, was du tun musst, Aero. Mach sie einfach fertig. Ich brauche die Spenden vor der nächsten Wahl. Cal Westwood zahlt ein hübsches Sümmchen, damit sie spurlos verschwindet, jetzt, wo die Kirche es fallengelassen hat.«
Ich knirsche bei der Erwähnung mit den Backenzähnen. Ich hatte richtig vermutet.
Alastor neigt bei meinem Gesichtsausdruck den Kopf – er denkt, ich wüsste nicht, was passiert ist.
»Er glaubt, dass sein eigener Sohn das vermasselt hat, indem er versucht hat, die Einführungszeremonie selbst zu ruinieren, ohne zu wissen, dass sein Vater den Diakon bereits bestochen hatte, um sie zu beenden.«
Ich liebe es. Sie schieben die Schuld für das Feuer, das ausgebrochen ist, auf den armen kleinen Saint. Was für ein verdammtes Chaos sie angerichtet haben, nur um diese Tussi loszuwerden. Ein Schlamassel, der zu meiner neuen liebsten Obsession wird und zu meinem neuen Rachefeldzug gegen die Männer, die mich ruiniert haben.
»Was hat diese Schlampe eigentlich angestellt, dass all diese Männer so ausflippen?«, frage ich und weiß es bereits.
»Eine Frau, die in der religiösen Welt aufsteigt?« Alastor zieht die Stirn in Falten. »Was kommt als Nächstes, Aero? Politik? Ich glaube nicht.« Er lacht über die Absurdität. »Töte sie, und zwar sauber. Ich möchte nicht noch einmal die Polizei bestechen, wenn ich es nicht muss.«
»Ich dachte, du wüsstest es?« Ich neige den Kopf, bevor ich ein blutiges Klappmesser aus meiner Tasche ziehe und es auf seinen Schreibtisch werfe. Er weicht abrupt zurück und Abscheu macht sich auf seinem alten, faltigen Gesicht breit. »Ich mache nichts sauber.«
Er blickt von seinem Stuhl zu mir hoch.
Ich stecke meine Hand in die andere Tasche, was ihn zusammenzucken lässt. Glucksend ziehe ich eine Schachtel Streichhölzer hervor, nehme eines heraus und stecke es zwischen meine Zähne. Ich spiele mit der Spitze und zeichne ein Kreuz, während ich rückwärts gehe, bis ich aus der Tür bin.
Eine Woche. In einer Woche kann so viel Spaß passieren.
Sie trägt wieder dieses verdammte Kruzifix.
Wie gerne würde ich das Ding von ihrem zarten kleinen Hals reißen und ihr dabei ins Fleisch schneiden, nur um das leuchtend rote Blut aus ihrer perfekten Porzellanhaut fließen zu sehen.
Meine wunderschöne kleine Puppe.
Ich kann es kaum erwarten, sie unter mir zusammenbrechen zu sehen.
Ich fahre mit meinen Fingern über die Haut ihres weichen Arms und beobachte, wie sich die Haare als Reaktion auf das Gefühl aufstellen. Es gibt nichts Schöneres, als die Tatsache zu genießen, dass ihr Körper auf meinen reagiert, selbst wenn sie bewusstlos ist. Sie ist sich der Signale, die ihr Körper mir sendet, gar nicht bewusst. Sie in die Höhle des Teufels zu führen, indem ich ihre reine und unschuldige Lebensweise zerstöre, wird mein größtes Vergnügen sein.
Ich stelle mich wieder gerade hin, über ihrem schlafenden, zusammengekugelten Körper, der auf einer Seite des Bettes liegt. In den Wochen, in denen ich sie gestalkt und studiert habe, bin ich leicht besessen geworden von ihrer Reinheit. Ich will ihr reines Gesicht mit einer schönen Mischung aus Sperma und Tränen überziehen. Ich will, dass sie sich an ihren Ängsten aufgeilt, bis sie eine dunkle und verdrehte Kreatur wie ich ist. Sie ist nicht wie die anderen. Das kann sie nicht sein. Sie hat ein echtes Potenzial für Rache. Ich muss nur ihren Geist für diese Möglichkeit öffnen.
Ihr Haar liegt auf dem Kopfkissenbezug über ihr, schwarz wie die Farbe meiner Seele. Ich greife nach dem Messer in meiner Gesäßtasche und klappe es mit meinem Daumen auf. Ich nehme etwas von ihrem Haar zwischen meine Finger und schneide mit der Klinge gut drei Zentimeter vom Ende ab, führe sie an meine Nase und fühle mich von ihrem Geruch berauscht. Ihr Duft weckt die Bestie in mir und ich will, dass er mich komplett einhüllt.
Zu gegebener Zeit.
Ich reibe das abgeschnittene Haar über meinen Nacken und meinen Adamsapfel und überlege, ob ich es behalten soll, bevor ich in meiner Tasche krame und eine abgerissene Seite herausziehe. Ich lege sie auf ihre Kommode und platziere das Haar darauf.
Ich betrachte ihre geschmeidigen Brüste, die sich unter ihrem dünnen Tank-Top bei jedem tiefen Atemzug heben und senken, und sehe die Umrisse ihrer perfekten rosafarbenen Brustwarzen, die darunter liegen, unberührt. Mein Kiefer krampft sich zusammen, während sich meine Nasenlöcher vor äußerster Zurückhaltung weiten. Erst, wenn sie darum bittet.
Ich spiele mit dem Ende des Streichholzes, das zwischen meinen Zähnen sitzt, und werfe die frisch abgeschnittene Rosenknospe in ihren Mülleimer. Eine Art Visitenkarte von mir; eine poetische Botschaft des Todes vor dem Erwachen. Ich nehme das Messer und steche es durch das abgeschnittene Haar, durch die Seite und in das Holz ihres Nachttisches. Ihre Lider öffnen sich bei dem Geräusch, aber bevor sie sich orientieren kann, bin ich schon auf dem Weg nach draußen.
Wir sind uns sehr ähnlich, wir beide. Berechnend, intelligent, bewusst. Was ich nicht verstehen kann, ist, warum sie diese Rolle spielt, wenn sie doch tief im Inneren weiß, dass alles eine Lüge ist.
Ihre Neugierde treibt sie zu mir. Ich muss nur warten, bis sie sie auffrisst.
Briony
Ich öffne meine Augen, setze mich sofort auf und suche wild in meinem Zimmer nach ihm.
Ich weiß nicht einmal, wer er ist, aber etwas in mir ist entsetzt und auch fasziniert.
Die Sonne ist gerade dabei, über den Horizont zu lugen. Der Lichtschein in meinem Zimmer beleuchtet das Messer, das in meinem Nachttisch steckt.
Da ist ein Messer in meinem Nachttisch.
Meine Hände ballen sich zu Fäusten und zerknüllen meine Decke. Ich drücke den weichen Stoff an meine Brust. Als ob das jetzt wichtig wäre. Er ist wieder hier gewesen. Er hat mich beobachtet, während ich geschlafen habe.
Ein Schauer läuft mir über den Rücken, eine Gänsehaut überzieht meinen Körper, als wäre er noch da und würde mich berühren.
Ich kneife die Augen zusammen und sehe etwas, das wie Haare aussieht, die auf das Holz gepinnt sind. Meine Haare. Ich greife in mein Haar, fühle die Enden und entdecke die scharfen Kanten des kürzlich erfolgten Schnitts. Die Luft entweicht meinen Lippen, während mein Herz wie eine schlagende Trommel durch mich pocht. Ich lehne mich näher heran und schaue auf die herausgerissene Seite aus der Bibel, diesmal aus Lukas 12,7.
Auch sind die Haare auf eurem Haupt alle gezählt. Fürchtet euch nicht! Ihr seid kostbarer als viele Sperlinge.
Über der eingekreisten Stelle steht seine Botschaft in roter Tinte.
Eine Puppe mit einem Fleck. Ein Spielzeug mit Imperfektionen. Eine Frau mit einer Waffe. – Aero
Mir wird eng in der Brust, als ich die Worte lese, und meine Gedanken rasen. Ich kann mich nicht einmal entscheiden, ob ich Angst oder Aufregung fühle. Ich schaue auf den Mülleimer und sehe die wartende Knospe.
Ich gehe hinüber, ziehe sie am dornigen Stiel heraus, betrachte diese heimtückische Botschaft. Ich setze mich auf die Bank vor meinem großen Schminkspiegel und halte die kühle, samtige Knospe an meine Brust. Meine Augen konzentrieren sich auf das Spiegelbild vor mir, während ich sie langsam von der leichten Vertiefung unterhalb meines Halses an meinen Schlüsselbeinen entlang und zwischen meine Brüste ziehe.
In mir brennt ein Feuer, entzündet sich in meinen Adern und ich schließe die Augen und spüre, wie sich meine Brustwarzen zu festen, spitzen Knospen verhärten. Ich stelle mir wieder seine Hände auf mir vor, erinnere mich an den klaren Geruch von Leder und Schwefel, der eine seltsame Vielfalt von Empfindungen hervorruft. Ich spreize meine Beine leicht und ziehe mit der Rosenknospe eine Linie von meinen Brüsten hinunter zu meinem Unterleib. Als die Knospe meinen Oberschenkel erreicht, lege ich meinen Kopf zurück und fahre mit ihr weiter über die empfindliche Haut, bis sie auf die Stelle trifft, an der sich eine Hitze sammelt, die ich noch nie zuvor gespürt habe.
Mein Telefon klingelt und ich werfe die Knospe sofort in den Mülleimer. Enttäuschung durchflutet mich und ich bin frustriert über die Versuchungen, die sich in meiner Magengrube regen. Er weckt Gefühle, die von einem Ort kommen, wo es dunkel ist und viel zu tief. Empfindungen, die Mädchen wie ich nicht haben.
Es ist Saint, der anruft, also nehme ich den Hörer ab und versuche, wach und aufmerksam zu klingen, nicht verletzlich und kurz vor dem Zusammenbruch.
»Guten Morgen, Bri«, sagt er mit rauer Stimme, als wäre er gerade aufgewacht.
»Es ist ein bisschen früh für dich, oder?«, scherze ich und schaue auf die Uhr.
Es ist kurz nach sechs.
»Ich wollte dich erreichen, bevor es zu spät ist.«
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, weil ich mich frage, was er weiß, was ich nicht weiß.
»Ich dachte, ich könnte dich mitnehmen, da wir beide heute die Katechismusklasse unterrichten.«
Erleichterung macht sich in mir breit.
»Oh«, hauche ich. »Ich wusste nicht, dass du auch diese Klasse zugeteilt bekommen hast?«
»Für die nächsten sechs Wochen«, sagt er seufzend.
Im Hintergrund höre ich, wie eine Dusche angestellt wird.
»Also, was sagst du? Kann ich dich abholen?«
Ich betrachte mich im Spiegel und lecke mir über die Lippen. Ich stelle mir vor, wie er in seinem schicken, aufgemotzten Jeep vorfährt, wie sich seine enge Anzughose an seine große Statur schmiegt, während er sich in den Sitz setzt, wie sich seine gestählten Unterarme anspannen, während er uns zur Schule lenkt ...
»Ist das ein Ja oder ein Nein?« Seine Stimme unterbricht meine hemmungslosen Gedanken und ich räuspere mich, weil mir klar wird, dass ich nicht geantwortet habe.
»Ja. Ja, das wäre toll.« Ich schlucke und betrachte stirnrunzelnd mein Spiegelbild.
Ich verliere mich in mir unbekannten Begierden. Es ist, als ob mein Geist mit jedem nächtlichen Besuch mehr verdorben wird.
»Perfekt«, sagt er und geht näher an das Geräusch der Dusche heran. »Ich bin in etwa dreißig Minuten da. Passt das?«
Ich stelle mir vor, dass er nackt ist, während er mit mir redet, wie er in den heißen Dampf und das Wasser aus dem Duschkopf steigt und es über seinen gebräunten und durchtrainierten Körper laufen lässt, durch den Streifen hellen Haars bis hin zu seiner Männlichkeit.
Versuchungen wirbeln um mich herum und vernebeln meine Sicht. Sie ziehen mich hinab, tiefer zum Teufel selbst. Ein Teufel namens Aero. Mein Blick bleibt an dem Messer hängen, das ich im Spiegel hinter mir sehen kann, wie es aus dem Nachttisch ragt. Und mir kommt ein Gedanke in den Sinn, der vorher nicht da gewesen ist.
»Ähm«, sage ich mit trockener Kehle und räuspere mich. »Ich-ich werde bereit sein.«
Fünfunddreißig Minuten später fährt uns Saint zur Akademie. Als Teil unserer Übergangszeit bis zur offiziellen Mitgliedschaft in der Kirche sind wir verpflichtet, der jüngeren Generation Katechismusunterricht zu geben und sie das Wort Gottes durch gründliche Studien, Erklärungen und Auslegungen von Passagen zu lehren.
Saint hält mir die Tür auf, als wir das Gebäude betreten, und geht mit mir schweigend durch die Gänge der Covenant Academy, bis wir unser Klassenzimmer finden. Ich bin mir seiner großen Präsenz neben mir bewusst, als wir hinter dem Podium stehen und Bücher und Notizen zur Vorbereitung auf den Unterricht auslegen. Er schluckt und sieht aus dem Augenwinkel zu mir hinunter.
»Du siehst wirklich hübsch aus, wenn du dein Haar so trägst«, sagt er leise, bevor er sich mit der Hand über den Nacken fährt, fast so, als hätte er mir kein Kompliment machen wollen, aber es sei ihm trotzdem herausgerutscht.
Ich lache fast über seine Bemerkung, denn ich trage meine Haare nur deshalb zu einem Pferdeschwanz gebunden, um zu verbergen, dass mein Stalker sie gestern Abend drei Zentimeter abgeschnitten hat.
Ich sollte entsetzt sein. Versteinert. Ich suche überall um mich herum nach einem Gesicht, einem Schatten von dem, der er ist. Ich sollte es jemandem sagen. Die Behörden alarmieren, Mia die Details erzählen, meinen Bruder informieren ... irgendjemanden. Aber ich tue es nicht. Ich bringe es nicht über mich, in die Botschaft einzugreifen, die er mir zu übermitteln versucht, weil ich aus irgendeinem seltsamen Grund verzweifelt nach mehr suche. Ich bin jetzt gefangen, neugierig auf den Sinn des Ganzen.
»Danke, Saint.« Ich schenke ihm ein halbes Grinsen. »Du hast mir in den letzten zwei Tagen mehr Komplimente gemacht als in unserer gesamten Kindheit zusammen.«
Er gluckst und schaut verschämt zu Boden. Das ist wirklich liebenswert. Er beißt auf seine volle rosa Lippe, bevor seine funkelnden blauen Augen wieder meine finden. Er flirtet mit mir. Ich spüre es in der Luft und aus irgendeinem seltsamen Grund kämpfe ich nicht dagegen an, wie ich es sollte.