3,99 €
Sein Name ist Yves Latour, sein Beruf Strafverteidiger. Die Pariser Richter und Staatsanwälte nennen ihn »Avocat Pitbull«. Doch sosehr er sich in seinen Gegnern festbeißt, so wenig tut er es bei Frauen. Deren Anhänglichkeit ist ihm ein Gräuel, daher hält er sich an die Escorts der Agence O. Jedes Mal eine andere. Als Stammkunde kann er ohnehin jede haben. Bis auf eine. Seraphine, die ihn zappeln lässt wie einen Fisch an der Angel … Miranda Rosen ist die Muse der bedeutendsten französischen Couturiers. Die entwerfen traumhafte Kreationen für sie, die sie auf mondänen Events trägt – und die Paparazzi stehen Schlange. Mit ihren dunklen Augen, den sinnlichen Kurven und der schwarzen Mähne ist sie der Inbegriff der Femme fatale. Und unnahbar, wie all die Männer wissen, die sich an ihr die Zähne ausbeißen und nichts von ihrem Geheimnis ahnen. Als Seraphine führt sie ein Doppelleben. Und ausgerechnet dieser Yves Latour kommt dahinter. Er will sie. Nur für eine Nacht. Und er ist bereit, eine horrende Summe dafür zu bezahlen. Aber Mirandas Radar schlägt Alarm, und sie tut alles, um ihm aus dem Weg zu gehen. Was nur nicht so einfach ist, da sein bester Freund ihre beste Freundin heiratet … Abgeschlossener Liebesroman mit prickelnden Szenen und Suspense bis zum Happy End.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Sein Name ist Yves Latour, sein Beruf Strafverteidiger. Die Pariser Richter und Staatsanwälte nennen ihn »Avocat Pitbull«. Doch sosehr er sich in seinen Gegnern festbeißt, so wenig tut er es bei Frauen. Deren Anhänglichkeit ist ihm ein Gräuel, daher hält er sich an die Escorts der Agence O. Jedes Mal eine andere. Als Stammkunde kann er ohnehin jede haben. Bis auf eine. Seraphine, die ihn zappeln lässt wie einen Fisch an der Angel …
Miranda Rosen ist die Muse der bedeutendsten französischen Couturiers. Die entwerfen traumhafte Kreationen für sie, die sie auf mondänen Events trägt – und die Paparazzi stehen Schlange. Mit ihren dunklen Augen, den sinnlichen Kurven und der schwarzen Mähne ist sie der Inbegriff der Femme fatale. Und unnahbar, wie all die Männer wissen, die sich an ihr die Zähne ausbeißen und nichts von ihrem Geheimnis ahnen.
Als Seraphine führt sie ein Doppelleben. Und ausgerechnet dieser Yves Latour kommt dahinter.
Er will sie. Nur für eine Nacht. Und er ist bereit, eine horrende Summe dafür zu bezahlen. Aber Mirandas Radar schlägt Alarm, und sie tut alles, um ihm aus dem Weg zu gehen.
Was nur nicht so einfach ist, da sein bester Freund ihre beste Freundin heiratet …
Inhaltsverzeichnis
THE CHOICE: Mut zur Liebe
Flash
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
The Cavaliers
Wild Rose
Die Autorin
Impressum
Dieser Roman ist allen gewidmet, die an die wahre Liebe glauben.
Denn sie kann die allerhöchsten Mauern überwinden –
selbst wenn alle Vorzeichen gegen ein Happy End sprechen …
Lisa Torberg (aka Monica Bellini)
Flash
Die Dachterrasse des exklusiven Restaurants füllt sich an diesem Spätsommerabend nach und nach mit Menschen. Plaudernd und Champagner schlürfend stehen sie an der dem Meer zugewandten gläsernen Brüstung, um einen Blick auf die beeindruckenden Jachten im Hafenbecken von Monte Carlo zu werfen, bevor sie sich der Auswahl der Speisen widmen. Zwei ältere Damen haben jedoch den ruhigeren Winkel gewählt, fernab vom Gedränge und den immer noch glühenden Strahlen der sinkenden Sonne. Die beiden Amerikanerinnen besuchen Monaco nicht zum ersten Mal. Im Gegenteil. Jedes Jahr verbringen sie den Todestag der Fürstin Gracia Patricia am gleichen Ort. Genau hier und in stummer Eintracht. Am Vortag waren sie bereits am Ortseingang von Cap D’Ail an der Kurve der Route de la Turbie, dem Unfallort. Am 13. September 1982 stürzte die von ihnen bewunderte frühere Schauspielerin Grace Kelly mit ihrem Wagen von dort vierzig Meter in die Tiefe und starb am Tag darauf. Jetzt gleiten die Blicke der beiden Freundinnen über die weniger strahlende Seite des Fürstentums der Grimaldi, die steil zum Meer abfallenden Felsen, dorthin, wo sie sich am Nachmittag ein Appartement angesehen haben. Sie werden nicht jünger und das milde Mittelmeerklima ist ihnen zuträglicher als die feuchte Hitze Floridas.
Die eine deutet mit ausgestrecktem Zeigefinger auf einen Punkt etwas oberhalb der Moyenne Corniche. »Dort, siehst du das rote Dach zwischen den anderen grauschwarzen? Das ist es. Ein Juwel in traumhafter Lage und zu einem durchaus akzeptablen Preis, findest du nicht?«
Ihre Freundin kneift die Augen hinter den Brillengläsern zusammen und reckt ihr spitzes Kinn noch ein wenig vor, als ob die paar Zentimeter ihre Sicht verbessern könnten. Offenbar nicht. Denn sie reißt Kopf und Schultern nach hinten, öffnet den Mund und stößt einen schrillen Schrei aus.
Die Anwesenden auf der Dachterrasse wenden ihre Aufmerksamkeit den beiden eleganten Damen zu und folgen der ausgestreckten Hand der einen. Eine dunkle Rauchsäule steigt von der Panoramastraße Richtung Himmel. Eine laute Explosion durchdringt den frühen Abend und ein riesiger Feuerball weiter unten am Hang zieht alle Blicke auf sich. Es besteht kein Zweifel, dass dort soeben ein Fahrzeug explodiert ist und ein zweites brennend in einer Haarnadelkurve steht. Nur wenige Meter vom todbringenden Abgrund entfernt.
»Dieser Tag scheint verdammt zu sein.« Mit diesem Satz durchbricht ein hochgewachsener, distinguierter Franzose mit schlohweißem Haar das entsetzte Schweigen aller Anwesenden. Er ist nicht der Einzige, der sich bekreuzigt – bevor er sich wieder seinem Cocktail widmet.
1
Ficken, vögeln, bumsen. Ich hasse das. Aber nein, verstehen Sie mich nicht falsch. Nicht der Sex ist mir zuwider! Es sind diese derben Wörter, die mir eine Gänsehaut über den Rücken jagen. Wobei ich nicht Schauer der Erregung, sondern solche des Unbehagens meine.
Wie kann man denn eine der angenehmsten, erbaulichsten, reizvollsten Tätigkeiten mit derlei indelikaten, unfeinen Ausdrücken beschreiben? Einfach so, ohne der expressiven Kraft des sexuellen Aktes zu huldigen?
Ich will begehrt, umworben, verwöhnt und befriedigt werden und mich dem ergreifenden Augenblick des Höhepunkts hingeben.
Wobei mir die Tageszeit egal ist. Es gibt keinen idealen Moment, um sich dem erotischen Spiel zu widmen. Das Morgengrauen oder die ersten Sonnenstrahlen eines neuen Tages sind dafür ebenso geeignet wie ein wolkenverhangener, regnerischer Nachmittag oder der späte Abend. Wenn die Geräusche von draußen nur noch gedämpft zu hören sind und die Taxifahrer auf den Gebrauch der Hupe verzichten. Wenn sich die Dunkelheit wie Watte über die Stadt legt, sie einhüllt und die vorrückenden Zeiger der Uhren unwichtig werden. Das ist der Moment, den ich für die sinnliche Annäherung vorziehe.
Nach einem genussvoll zelebrierten Dinner bei leiser Hintergrundmusik sanfte Finger auf meinem Handrücken oder einen hingehauchten Kuss am Hals zu spüren und entscheiden zu können, ob ich mehr will oder mich zurückziehe – das ist es, wofür es sich zu leben lohnt! Wobei ich auf das Spiel mit dem Feuer nicht verzichten kann, es anregender finde als den sexuellen Akt an sich – und es deshalb zumeist dabei belasse. Das Knistern der lustvollen Begierde zu spüren, das sich wie die Vorboten eines Gewitters ausbreitet, ist es, was mich befriedigt. Jeder Schritt darüber hinaus ist für mich verzichtbar, und wenn ich ihn tue, dann nur, weil ich dem Auserwählten des Moments etwas mehr als nur oberflächliche Sympathie entgegenbringe. Und das geschieht äußerst selten. Nur wenige Männer können von sich behaupten, mich wirklich besessen zu haben. Rein körperlich. Denn mein Herz gehörte keinem von ihnen.
Erst jetzt, während ich diese Zeilen niederschreibe, wird mir klar, wie recht derjenige hatte, der Olive bat, mir die beiden Päckchen zu überbringen. Dieser Vince Vidal, dessen Aspekt ich nicht kenne und der selbst mit meiner Freundin, die der Öffentlichkeit als Madame O bekannt ist, seit ihrem ersten zufälligen Treffen nicht mehr persönlich verkehrt. Der Mann, der mit seinem raschen Eingreifen wahrscheinlich mein Leben gerettet hat, wie Olive sagte. Dem ich dankbar sein sollte – es aber nicht bin. Der ausschließlich mittels Nachrichten, die mir Olive weiterleitet, und gelegentlichen Telefonaten, bei denen er einen Sprachverzerrer verwendet, mit mir Kontakt hält. Derjenige, den ich nicht in meinem Leben will, dem ich darin keinen Platz zugestehe. Ihm ebenso wenig wie jedem anderen. Er ist einfach nur die Person, die genau in diesem einen und absolut falschen Moment auftauchte, in der ich schwer verletzt und verzweifelt war und mich nicht unter Kontrolle hatte. Er hat sich in meine private Sphäre gedrängt, ohne um Erlaubnis zu fragen, und setzt sich kontinuierlich und mit Überheblichkeit über meine abwehrenden Argumente hinweg. Nicht mit physischer Präsenz, doch so anmaßend, dass er mich einschüchtert und ich ihn wehrlos ertrage. Er ist derjenige, der meine Vorbehalte belächelt, wie ich selbst aus seiner elektronisch veränderten Stimme heraushöre. Der meinen Widerspruch stets mit einer lässigen Handbewegung abweist, denn diese kann ich spüren, jedes einzelne Mal, auch wenn ich sie nicht sehe. Nur diese beiläufige Geste ist ihm mein Bitten, sind ihm mein Flehen und meine Worte wert: ein Zeichen mit der Hand, als ob er eine Fliege davonjagen wollte.
Was gäbe ich dafür, wäre ich tatsächlich ein lästiges Insekt und er ließe von mir ab. Er würde mitsamt seiner überbordenden Persönlichkeit verschwinden und mich meinem bis zu seinem Erscheinen geregelten und bestens funktionierenden Leben überlassen. Dass sein Auftauchen ausgerechnet mit dem Bruchteil der Sekunde zusammenfällt, in dem der Fahrer des entgegenkommenden Wagens ...
Eine Träne stiehlt sich aus meinem Augenwinkel und fällt auf die geöffnete Seite, bildet einen runden, dunklen Fleck auf dem cremeweißen Papier. Behutsam schließe ich den schwarz-goldenen Füllfederhalter und lege ihn beiseite. Dann greife ich nach dem in Leder gebundenen Buch, hebe es mit beiden Händen hoch und blase über die feuchte Stelle.
»Handgeschöpftes Büttenpapier« hat Olive meinen fragenden Blick beantwortet, als ich den blutroten ledernen Einband aufschlug und die unbeschriebenen Seiten mit den unregelmäßigen Rändern entdeckte. Sie sagte nichts weiter, doch ich wusste, dass sie von ihm instruiert wurde, wie sie sich mir gegenüber verhalten und was sie mir sagen sollte. Vince Vidal ist nicht nur ein Mann der Worte, sondern auch der Tat. Das hat er an dem Tag bewiesen, als er den Unfall von der Terrasse sah und sofort die Polizei informierte. Olive hat es mir erzählt. Daher wartete ich auch vergeblich auf eine Erklärung meiner Freundin, nahm hingegen ein zweites Päckchen entgegen, das sie hinter ihrem Rücken hervorzauberte. Unter dem schlichten Seidenpapier kam eine flache Schatulle aus glänzendem Palisanderholz zum Vorschein. Oben war kunstvoll ein geschwungenes mit Rosen umwundenes S intarsiert, die Initiale meines Namens. Wunderschön, dachte ich, als ich sanft über die glatte Oberfläche strich, bevor ich den Deckel zurückschlug – und erstarrte. Auf dunkelrotem Samt lagen sieben wundervolle, einzigartige und künstlerisch gestaltete Füllfederhalter.
»Du solltest es niederschreiben«, meint er. Miranda weicht meinem Blick aus und sieht zu dem lodernden Feuer im Kamin. »In diesem Buch, tagtäglich. Und jeden Tag der Woche mit einem anderen Füller.«
»Natürlich definierte er das ES nicht weiter, wozu auch?« Lakonisch spreche ich mehr zu mir denn zu meiner Freundin. Vince Vidal sprach von meinem Leben, das mit nur einem Wimpernschlag eine Wendung genommen hat, die mein Dasein in ein Davor und ein Danach teilte. Blitzartig und grausam hat das Schicksal zugeschlagen. Oder auch vorhersehbar, dich bestrafend, wie die Stimme meines Unterbewusstseins mir während der schlaflosen Nächte seither zuflüstert. So gut ich es jahrelang nicht nur vor anderen, sondern auch vor mir selbst verborgen habe, mittlerweile findet dieses kritische Ich immer öfter den Weg aus dem entlegenen Winkel heraus und meldet sich zu Wort.
Ich hebe den Arm und fahre mit dem Ärmel meiner leichten Wolljacke über die Augen. Dann greife ich nach dem Füller aus der Writers Edition, der Virginia Woolf gewidmet ist. Er scheint mir die einzig richtige Wahl für die ersten Zeilen. Ein Schreibgerät, das den Namen einer bisexuellen Autorin trägt, die ihrem Mann gegenüber frigide war, um den Beginn meiner Geschichte zu Papier zu bringen. Um die ersten Seiten meines Lebensbuches zu füllen. Denn so habe ich beschlossen, es zu nennen. Nicht Tagebuch, da mein Denken nicht auf eine Zukunft gerichtet ist, die zwar im Ungewissen liegt, jedoch mit absoluter Sicherheit eintönig und farblos verlaufen wird. Meine Gedanken gelten der Vergangenheit, die in allen Farben des Regenbogens schillerte, in der von tiefster Traurigkeit bis hin zu glückseligem Jauchzen einfach alles vorhanden war. Und der Zukunft, die nichts mehr zu bieten hat, abgesehen von grauen Schattierungen im tristen Einerlei. Nicht mir und schon gar nicht den Männern, die um meine Gunst warben und es immer noch tun. Heute allerdings ohne die geringste Chance auf einen positiven Bescheid meinerseits, weil ich nicht mehr die bin, die ich bis vor wenigen Monaten war. Doch sie wissen es nicht, was mir die Möglichkeit gibt, mich der Illusion hinzugeben, dass alles weiterhin ist wie zuvor.
Vorsichtig streiche ich über das schwere Papier des Buches. Meine Träne hat einen dunklen Fleck hinterlassen. Genau dort, wo ich jetzt den Füller ansetze und weiterschreibe.
Ich bezaubere, betöre, bezirze und umgarne Männer, gebe ihnen das Gefühl, einzigartig und um ihrer selbst willen begehrenswert zu sein. Wenn sie sich in meiner Begleitung befinden, wachsen sie förmlich über sich hinaus, wirken einflussreicher, brillanter und attraktiver, als sie ohnehin schon sind – zumindest Letzteres. Sobald ich in ihrer Nähe bin, sonnen sie sich im Neid ihrer Artgenossen und vergessen dabei, dass sie für meine Gesellschaft bezahlen. Teuer bezahlen.
Ich bin das abendländische Gegenstück einer japanischen Geisha. Die heute im weitesten Sinne weltweit verwendete Bezeichnung für das, was meiner Tätigkeit am nächsten kommt, ist Escort-Lady. Wobei es innerhalb der Kategorie der Gefährtinnen auf Zeit enorme Unterschiede gibt. Doch selbst eine unerfahrene Begleiterin hat mit einer Prostituierten ungefähr so viel gemeinsam wie Champagner mit lauwarmem Leitungswasser. Warum?
Nun, die klassischen Liebesdienerinnen machen die Beine breit, und sie verwenden ihren Mund – falls überhaupt – selten zum Sprechen.
Von einer Escort-Lady erwartet Mann sich hingegen sehr wohl, dass sie redet. Und nicht nur, um kleine dampfende Wölkchen in die kühle Abendluft zu blasen. Die Attraktivität einer Begleiterin anspruchsvoller Männer basiert auf einer überdurchschnittlichen Allgemeinbildung, die man sich nicht nur mit den klassischen Studien aneignet. Nein, um wirklich Erfolg zu haben, muss man mit dem Finger am Puls der Zeit leben und über das laufende politische, wirtschaftliche und kulturelle Geschehen informiert sein. Nur Frauen, die mit beiden Beinen im Leben stehen, lebensfroh, rundum interessiert, kontaktfreudig und intellektuell sind, können ihre anspruchsvollen Begleiter zufriedenstellen. Wobei all diese Punkte erst zu tragen kommen, wenn die Grundvoraussetzungen wie gutes Aussehen, gepflegtes Äußeres, Eleganz, Auftreten, Stil, Benehmen, Charme, eine angenehme Stimme und Savoir-faire in allen Lebenslagen erfüllt sind.
All das ahnte ich noch nicht, damals, als ein schicksalhafter Abend mein Leben veränderte und ich nach und nach zu der Frau wurde, die ich heute bin.
Nachdem ich mit achtzehn der Normalität beraubt wurde, mich selbst fast verlor und schmerzvoll neu erfinden musste, ist der Inhalt meines Lebens nur einer: Vergnügen zu bereiten. Wobei dieses absolut nicht einseitig sein muss. Auch ich will genießen – was nicht gleichbedeutend mit Sex ist. Einen anderen Menschen zu berühren, warme Haut unter meinen Fingerkuppen zu fühlen, das Pochen seines Herzschlags zu spüren und zu wissen, dass keine Gefahr von ihm ausgeht ... das ist es, wonach ich mich sehne. Doch jede Art von körperlicher Nähe, und sei es nur ein um die Taille gelegter Arm während einer Vernissage oder ein sanfter Kuss auf die Wange nach einem Abendessen, birgt ein Risiko.
Das ist der Grund, weshalb ein neuer Klient erst einen Termin mit mir erhält, nachdem er von Madame O und ihrem Team von allen Seiten durchleuchtet wird. In jeder Hinsicht. Finanzielle Lage, Reputation, Körperhygiene, intime Beziehungen, sexuelle Vorlieben und Gesundheitszustand. Ein Arzt, der für uns arbeitet und absolut unbestechlich ist, erstellt nach einer akkuraten Untersuchung das entsprechende Zeugnis. Ob der mögliche Klient in den Emiraten, in den Vereinigten Staaten oder in Sibirien lebt, ist nicht von Bedeutung. Sobald alle vorhergehenden Punkte der Checklist ohne Vorbehalt von Madame O abgehakt werden, fliegt der Medikus zu ihm. Die Kosten dafür trägt der Mann, der zu diesem Zeitpunkt Bewerber genannt wird.
Das ist der erste Schritt, um mir näherzukommen.
Fällt auch der Gesundheitscheck positiv aus, treffe ich mich mit dem Interessenten.
Unverbindlich.
Auf einen Drink.
Erst wenn ich ihm nahe bin, so sehr, dass ich ihn riechen kann, sein Geruch durch meine Nase bis in den entlegensten Winkel meines Bewusstseins dringt, entscheide ich mich.
Für oder gegen ihn.
Mein Urteil erfährt er nicht sofort, sondern schriftlich. Ich erhebe mich, sobald ich das Gespräch beenden will, ohne den Kandidaten zu berühren. Ich reiche ihm weder die Hand noch erlaube ich ihm, die meine zu nehmen, um einen Kuss darüber zu hauchen. Kontakt fremder Haut auf meiner könnte meine Sinne täuschen, eine bereits von der Vernunft diktierte Entscheidung revidieren. Daher wende ich mich in solchen Momenten ab und lasse den Bewerber zurück.
Er erhält einen Brief. Handschriftlich verfasst, mit blutroten Lettern auf schwarzem Grund. Und meiner Signatur, wobei der erste Buchstabe meines Namens, gefolgt von einem Punkt, genügt. Denn das geschwungene S ist in den Kreisen, die meine Gesellschaft wünschen, unter den Gentlemen, die das nötige Kleingeld haben, um sich meine Begleitung erlauben zu können, weit über die Grenzen der sogenannten Alten Welt hinaus bekannt.
Madame O bezeichnet mich nicht als Escort-Lady, sondern als abendländische Geisha. Ich bin die teuerste Kurtisane Europas, Olive behauptet, der ganzen Welt. Mein Name ist Seraphine.
Ich bemerke erst, dass ich nicht mehr allein bin, als die Tür an meinem Rücken aufgestoßen wird. Der Füller fällt mir aus der Hand, als ich mich schwungvoll umdrehe.
»Madame Rosen, pardonnez-moi. Die Marquise lässt sich nicht abweisen.« Adèle, die seit dem Unfall nicht nur dreimal pro Woche, sondern jeden Tag kommt, steht mit hochrotem Gesicht vor mir und stützt die Hände in die Hüften. Als ob eine solch resolute Geste meine beste Freundin von irgendetwas abhalten könnte.
Mit einem müden Lächeln winke ich ab, als Sarah meine treue Seele zur Seite schiebt und auf mich zukommt. Sie trägt hautenge Jeans, karamellfarbene Sneakers und einen dunkelblauen Blazer über einem Rollkragenpulli in der Farbe ihrer Schuhe. Sie wirft die Schultertasche auf den Schreibtischstuhl, den ich seit Monaten nicht mehr benutze, und geht vor mir in die Knie.
»Jetzt ist Schluss mit deinem Selbstmitleid, Miranda. Du kommst mit zu uns, und ich werde persönlich dafür sorgen, dass du aus diesem Ding hier aufstehst.«
Sie erhebt sich und versetzt dabei meinem Rollstuhl einen Stoß. Die Lehne kracht gegen den Schreibtisch. Ich spanne jeden Muskel in meinem Oberkörper an und umklammere die Armlehnen. Wenn ich könnte, würde ich aufspringen, aber so ...
»Du kannst nicht einfach hierherkommen und über mein Leben bestimmen!« Meiner Stimme fehlt seit dem Unfall ebenso die Kraft wie meinen Beinen, aber den scharfen Unterton bekomme ich trotzdem hin.
»Ich kann nicht?« Sarah zieht die Augenbrauen zusammen und wendet sich Adèle zu.
»Packen Sie bitte für Madame Rosen die Koffer für einen langen Urlaub auf dem Land.«
Ich schnaube auf. »Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Denkst du? Glaubst du, ich habe meine Kinder in Sancerre gelassen und bin an einem kalten Wintermorgen die zwei Stunden hierhergefahren, weil ich deine tiefliegenden Augen und die Ringe darunter aus der Nähe betrachten wollte?«
Merde. Ich habe mich wie jeden Morgen gewaschen und angezogen, aber wie immer auf Make-up verzichtet. Als Behinderte im Rollstuhl, die nicht vor die Tür geht – oder gerollt wird –, betreibe ich keinen unnötigen Aufwand. Auch nicht für meine Freundinnen, die einzigen Menschen, die mich außer der Physiotherapeutin und meiner Gouvernante zu Gesicht bekommen. Olive, die mich, seitdem ich zu Hause bin, nahezu täglich besucht, und Sarah, mit der ich Videotelefonate führe, kennen mich in weit schlechterer Verfassung. Aber dass sie mich jetzt darauf anspricht, wie beschissen ich aussehe, versetzt mir einen Stich. Sonst behandelt sie mich seit dem Unfall immer wie ein rohes Ei, im Moment schaut es jedoch danach aus, dass sie aus mir Rührei machen will. Gut verquirlt und in einer heißen Pfanne, um den kläglichen Rest meines Selbstbewusstseins abzutöten.
»Adèle hätte dich nicht hereinlassen dürfen.« Wütend funkle ich Sarah an, schaue dann über ihre Schulter hinweg, um meinem Hausgeist meine Meinung zu sagen. Doch Adèle ist nicht zu sehen. Sie hat den Raum verlassen, offenbar um der Anordnung meiner Freundin nachzukommen.
»Das musste sie nicht. Ich habe hier gewohnt und kenne den Zugangscode, schon vergessen?« Sarah erwidert meinen Blick. Meiner schweift ab.
Vergessen? O nein, ich habe nichts vergessen.
Nicht den warmen Maiabend, an dem Judith, Sarah und ich nach dem langweiligen Vortrag über erneuerbare Energien an den Strand von Even Yehuda gingen, weil Judith die frische Meeresbrise schnuppern wollte. Wo wir von sechs brutalen Männern überrascht und vergewaltigt wurden.
Nicht den Tag, an dem wir die Reifeprüfung beendeten und Judith sich vom Dach des Internats in den Tod stürzte. Ihr Begräbnis und die darauffolgende siebentägige Trauerwoche im Haus des gebrochenen Vaters unserer Freundin, deren Mutter Jahre zuvor gestorben war. Die Soldaten, die bis zu den Zähnen bewaffnet auf dem Grundstück Wache schoben.
Nicht Sarahs und meine entsetzliche Angst, dass diese Bestien uns suchen, finden und noch Schlimmeres antun könnten.
Nicht die Flucht nur eine Woche nach Judiths Beerdigung, weil uns Ephraim Shifrin, Sarahs Vater und einer der leitenden Offiziere des Mossad, aus Israel weghaben wollte.
Von Tel Aviv nach New York. Weiter nach Wien, Berlin, Prag.
Alles hat sich in meinem Gedächtnis eingeprägt.
Die erfolglose Suche nach den Vergewaltigern in unserem Heimatland. Die unzähligen Übergriffe dieser brutalen Männer auf viele andere Frauen, die noch viel Schlimmeres erlebten als wir. Gebrandmarkt, für ihr ganzes Leben nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich gezeichnet. Zwei von ihnen ermordet.
Die Soldaten des israelischen Geheimdienstes, die besten des Mossad, die unsere Bodyguards waren und uns bei Nacht und Nebel nach Freiburg im Breisgau brachten.
Die Zeit dort in der heißen Dachwohnung und der Geruch von geselchtem Schweinefleisch, Kraut und Würsten. Der Quickie mit einem Freiburger im hintersten Winkel eines Biergartens, dem in jeder Stadt, in der wir auf unserer Flucht Wochen oder Monate verbrachten, andere vorausgegangen waren. Und die Überraschung, als ich danach heimkam – mit meinem Bodyguard im Schlepptau, der so tat, als ob er nichts gesehen oder gehört hätte.
»Sie haben sie.« Sarahs Lächeln, das Gefühl der Erlösung, die Freiheit vor Augen.
Und endlich Paris. Dieses Appartement, das Sarahs Vater von seinen Eltern geerbt hatte und auf sie überschrieb und in dem ich immer noch wohne. Die Komplettrenovierung nach unserem Geschmack. Unsere stundenlangen Shoppingtouren durch Einrichtungshäuser – und der Moment, in dem plötzlich alles anders war, als die Handwerker fort waren und das Appartement fertig war.
Die Angst war weg, die Bodyguards auch. Ich liebte Paris vom ersten Augenblick an, den Charme der Stadt, den Chic der Pariserinnen, die Mode. Die Videositzungen mit unserer Psychotherapeutin in Tel Aviv hatte ich schon längst beendet. Das Trauma der Vergewaltigung arbeitete ich seit New York mit gelegentlichem raschem Sex mit Unbekannten auf. Quickies, die kaum länger als fünf Minuten dauerten.
Auch der erste, und zugleich letzte, in Paris. Mit einem Türsteher, damit er mich in das Nobellokal auf den Champs-Élysées ließ, in dem der Pariser Jetset die neueste Kollektion von Chanel feierte. Der Typ kam in mir, aber ich nicht in den Club. Dafür lief ich Olive Bernard in die Arme, als ich aus dem Hinterhof auf die Avenue trat. Mit zerknittertem Rock und verschmiertem Lippenstift, weil der Idiot seinen Mund auf meinen gepresst und mich geküsst hatte. Als ob das Geknutsche zu einem Quickie dazugehören würde.
»Ma petite, was ist denn mit dir passiert?«
Jedem hätte ich die Anrede »Kleine« übel genommen, immerhin hatte ich mit zwanzig bereits mehr erlebt als die meisten in ihrem ganzen Leben. Jedoch nicht dieser Frau. Sie war bildschön, elegant, teuer gekleidet und verströmte eine sinnliche Ausstrahlung, die selbst die hellsten Sterne erblassen ließ. Dass sie Madame O, die Besitzerin der Agence O, der teuersten Escort-Agentur Frankreichs, war, erfuhr ich wenig später bei Champagner und Tartes mit Foie gras in ihrem Büro. Bei der zweiten Flasche machte sie mir ein Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte. Nicht des Geldes wegen, das sie mir in Aussicht stellte, sondern da sie mir versprach, dass ich dadurch Zugang zur Pariser Modewelt bekam. Mein Doppelleben als Seraphine begann zu der Zeit, in der Sarah Marcel Sancerre kennenlernte.
Ausgerechnet den Marquis de Sancerre, der sich seit Jahren der Dienste der exklusiven und diskreten Agence O bediente wie viele Damen und Herren der gehobenen Gesellschaft von Paris. Sie buchten Callboys und Callgirls für die verschiedensten Gelegenheiten. Von der Begleitung zu Opernpremieren, Modeschauen oder Wochenenden unter Vorstandsvorsitzenden bedeutender Firmen, bis hin zu sexuellen Leistungen nach Wahl, in der gesamten Bandbreite von Vanilla bis kinky, Doms und Dominas eingeschlossen. Marcel Sancerre buchte hingegen eine junge Frau, um sich eine andere aus dem Kopf zu schlagen. Mich! Olive erzählte mir, dass der Klient verliebt sei, mit der Betreffenden jedoch eine rein platonische Beziehung führte, da sie nach einer Vergewaltigung ein schweres Trauma hatte. Natürlich nannte sie mir seinen Namen nicht. Umso größer war der Schock, als mir Sarah Wochen später ihren zukünftigen Mann vorstellte. War ich an dem Abend, an dem er mich mit meinem halb vollen Cocktailglas hatte sitzen lassen, um spurlos zu verschwinden, wütend gewesen, so änderte sich das bei der Gelegenheit unseres offiziellen Kennenlernens schlagartig.
Wir sprachen nie darüber. Nicht allein und schon gar nicht vor Sarah. Auch nicht, nachdem die beiden heirateten. Und schon gar nicht in Gegenwart von Marcels Trauzeugen Yves Latour, der so wie ich im Festsaal von Schloss Sancerre neben dem Hochzeitspaar stand.
Ausgerechnet der Yves Latour, den Presse, Kollegen und Richter Avocat Pitbull nennen, weil er sich in seinen Fällen und an seinen Gegnern – vor Gericht – festbeißt. Er ist einer der renommiertesten Strafverteidiger des Landes und seine Erfolgsquote liegt bei neunundneunzig Prozent. Sagt Olive, denn er ist seit bald fünfzehn Jahren ihr Anwalt und Freund. Er vertritt die Agence O und ihre Besitzerin gegenüber Kunden, die die Grenze zwischen Lustschmerz und Gewalt überschreiten. Desgleichen gilt auch für dominante Mitarbeiter Madame Os, die im Eifer des Gefechts über das Ziel hinausschießen. Yves Latour kann auf Lebenszeit kostenlos die Dienste der Callgirls der Agentur in Anspruch nehmen. Nur eine ist in diesem speziellen Abkommen nicht inkludiert – und ausgerechnet die will er. Mich. Er hat sich in den Kopf gesetzt hat, Seraphine zu buchen. Und das, obwohl mein Honorar exorbitant ist.
Verdammt! Dass ausgerechnet er und Marcel meine zweite Identität kennen, von der Sarah nichts ahnt, hat mir das Leben in den vergangenen Jahren verkompliziert.
Dabei wollte ich es ihr so oft sagen. Natürlich nicht, dass ich ihren Mann ... dass er mich gebucht hatte und beinah ... Ach, egal.
Ich wollte es ihr vor ihrer Hochzeit sagen und ein Jahr später, als Emilie geboren wurde. Ich hielt Sarahs Tochter unmittelbar nach der Hausgeburt auf Schloss Sancerre in den Armen. Sie war winzig, rot angelaufen, glitschig und schrie aus Leibeskräften –- und sie bescherte mir den intensivsten Glücksmoment meines Lebens. Dann kam Marcel herein, trennte die Nabelschnur, und ich fühlte mich, als ob er die Verbindung zwischen mir und Sarah getrennt hätte. Plötzlich war da dieses kleine Wesen, das all ihre Aufmerksamkeit verlangte, und nur zwölf Monate später brachte sie Bastien zur Welt, und wieder verpuffte das bisschen Mut, das ich gesammelt hatte, um ihr irgendwann von meiner zweiten Identität zu erzählen.
Seither sind zwei Jahre vergangen, und bis zum Unfall gab es keinen Tag, an dem ich nicht daran dachte, zu ihr zu fahren und sie in mein Geheimnis einzuweihen. Ich musste nur in meine Corvette steigen und konnte in zwei Stunden auf Schloss Sancerre sein. Das tue ich auch hin und wieder, und Sarah kommt mir freudestrahlend entgegen, sobald ich auf den Schlosshof fahre. Die Kinder werfen sich jubelnd in meine Arme und zwischen Marcel und mir hat sich in all den Jahren eine wahre Freundschaft entwickelt.
Obwohl wir nie darüber sprechen, dass er mein Doppelleben kennt, so habe ich das Gefühl, dass ich ihm gerade deshalb vertrauen kann. Mehr als jedem anderen Menschen – ausgenommen Olive. Ich könnte mit Marcel über alles reden, allerdings nur, wenn sein Freund und ehemaliger Partner nicht dabei ist –- was bei den klassischen Gelegenheiten, zu denen ich nach Sancerre fahre, jedoch immer der Fall ist. Yves ist Marcels Trauzeuge, wie ich Sarahs Trauzeugin bin. Bester Freund, wie ich beste Freundin bin. Und fast liegt es auf der Hand, dass der kleine Bastien einen besonderen Draht zu ihm hat, so wie Emilie zu mir – aber auch umgekehrt. Yves Latour und ich sind bei jedem Geburtstag, zu Ostern, Weihnachten, dem Nationalfeiertag, sogar der Mittsommernachtswende und natürlich zur Weinlese und zum Erntedankfest auf Schloss Sancerre. Zumindest war es bis zum Unfall so. Seither war ich nicht mehr dort.
Die Sancerres sind meine Familie. Mein Vater ist seit vielen Jahren tot, meine Mutter nach wie vor in tiefster Trauer um ihn erstarrt. Sie hat sich in einen Kibbuz zurückgezogen, jeder Technologie entsagt und somit auch den den Kontakt zu mir unterbrochen. Nicht einmal die Grußkarten, die ich ihr zu den klassischen Gedenktagen schicke, beantwortet sie.
Die Tage mit Sarah und ihrer Familie sind die einzigen, die für mich den Hauch von einem normalen Leben andeuten. Sie wären sogar uneingeschränkt fantastisch, wäre da nicht immer auch Yves Latour, der mich ständig mit spitzen oder anzüglichen Bemerkungen bedenkt. Letztere, wenn Sarah außer Hörweite ist. Da verbeißt sich Avocat Pitbull nämlich in meinem Anblick, starrt auf meine Brüste, leckt sich über die Lippen oder lässt seine Hand unter die Gürtellinie seiner Hose wandern. Nicht obszön, sondern so, als ob er rein zufällig seinen Schwanz berühren würde. Kein Wunder, dass ich Sarah bis heute nichts von meinem zweiten Ich erzählt habe.
Was sollte ich ihr auch sagen? Dass der beste Freund ihres Mannes seit mehr als vier Jahren versucht, sich Seraphines Gunst zu erkaufen? Sprich, dass er nicht mit der Wimper zuckt, fünfzigtausend Euro – plus Spesen – für eine einzige Nacht mit der teuersten Kurtisane Europas hinzulegen und den Betrag nach meiner letzten Abweisung um zwanzig Prozent erhöht hat? Das Angebot, es war sein viertes, hat er nur wenige Tage vor meinem Unfall abgegeben und meine Antwort stand aus. Ihm in meinem seitherigen Zustand eine weitere Ablehnung zukommen zu lassen, hat sich erledigt, da er von Olive, Sarah und Marcel wusste, was geschehen ist. So wie es nicht mehr notwendig ist, dass ich Sarah von meiner zweiten Persönlichkeit und dem Teil meines Lebens erzähle, der ohnehin der Vergangenheit angehört.
Ich kann nicht mehr laufen. Wie sollte ich einen Mann mit meinem Hüftschwung bezirzen oder gar mit meinen Beinen sein Becken umschlingen, um seine Erektion in meine feuchte, pochende Mitte zu dirigieren? Selbst wenn ich nachts, wenn alles schläft, heiße Schauer verspüre, die genau dort zwischen meinen Schenkeln wie Blitze einschlagen, so weiß ich, dass sie nur Einbildung sind.
Rien ne va plus. Nichts geht mehr. Mit nicht einmal fünfundzwanzig Jahren bin ich als Frau am Ende angelangt. Beziehungstechnisch war ich schon seit der Vergewaltigung verkrüppelt, nun bin ich es auch physisch. Das Einzige, was in meinem Körper noch funktioniert, ist mein Geist – der seinen unbändigen Lebenswillen nicht verloren hat. Mein ungebrochener Geist, der allein entscheiden will und sich gegen jede Art von Bevormundung wehrt.
»Ich komme nicht mit.«
Trotzig schiebe ich die Unterlippe vor und hebe den Blick. In Sarahs Augen bahnt sich ein Unwetter an. Die goldenen Sprenkel blitzen in ihren blaugrünen Iriden auf, als ob sie mich verbrennen wollten. Sie macht einen Schritt auf mich zu, dann noch einen. Ich lege die Hände auf die Reifen des Rollstuhls, um nach hinten auszuweichen. Seit einem halben Jahr sitze ich in dem verdammten Ding, wenn ich nicht im Bett oder auf dem Sofa liege. Ich bewege mich damit genauso sicher wie früher auf High Heels. Nur habe ich die Rechnung nicht mit dem Schreibtisch gemacht, gegen den mich Sarah vorhin gestoßen hat. Ich bin zwischen ihm und Sarah eingeklemmt.
Langsam beugt sie sich vor und stützt sich auf die Armlehnen. Ihr Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt.
»Du wirst tun, was ich dir sage, Miranda.« Sie betont jede Silbe. Ihre Wangen sind gerötet und ihr Atem ist flach.
»Nein!« Ich hebe die Arme von den Reifen des Rollis, packe Sarahs Oberarme und will sie wegstoßen. Sie bewegt sich keinen Millimeter.
»Doch«, faucht sie mich an. »Du kommst zu uns und ich werde persönlich deine Rehabilitation überwachen. Deine Physiotherapeutin wird dich auf Schloss Sancerre betreuen.«
Ich lache auf. »Das wird sie sicher nicht tun. Sie ist in der Klinik angestellt und kümmert sich um eine Vielzahl von Patienten.«
»Ab morgen nicht mehr. Professor Dupont hat sie freigestellt – und zwar auf unbestimmte Zeit. Um es mit klaren Worten zu definieren: für den gesamten Zeitraum, den wir sie brauchen.« Sie presst mit der Spitze ihres Zeigefingers gegen mein Brustbein. »Besser gesagt, den du brauchst, um endlich deine Beine zu bewegen, von diesem verdammten Stuhl aufzustehen und erste Schritte zu tun. Die OP ist erfolgreich verlaufen, das wissen wir alle. Welcher Grund auch immer dich also davon abhält, aktiv an der Rehabilitation mitzuarbeiten, wir werden ihn finden.« Sarah lächelt verbissen. Im Moment schaut sie gar nicht nach meiner Freundin aus, sondern ähnelt dem Typ Böse-Stiefmutter.
Ich erbleiche. »Sag, dass das nicht wahr ist.«
Ich will das nicht! »Verschwinde und lass mich in Ruhe«, will ich schreien, stattdessen sitze ich stumm da und kämpfe gegen die Tränen an. Ich werde nie wieder normal gehen können, und wenn, dann nur hinkend, mit einem nachgeschleppten Bein, auf Krücken. Das haben die beiden Krankenschwestern gesagt, die in der Nacht nach der Operation in mein Zimmer kamen. Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, leise zu sprechen, weil sie sicher waren, dass ich aufgrund der Nachwirkungen der Narkose schlief. Ich weiß, dass ihre Worte nicht für mich bestimmt waren, denn niemand, nicht einmal Professor Dupont, hat meine Fragen vor der Entlassung vor vier Wochen ehrlich beantwortet. Er meinte nur, dass ich bald wieder laufen würde, wenn ich nur all meine Energie in die Therapien investierte, die ich nach der Operation in der Klinik begonnen habe. Über das Wie hat er kein Wort verloren.
»Sag, dass das nicht wahr ist«, wiederhole ich entsetzt.
»Warum sollte ich dich anlügen, Miranda? Es ist dir ja nicht neu, dass Marcel den Klinikchef sehr gut kennt, immerhin haben wir dich zu ihm gebracht und er hat dich persönlich operiert. Zudem spendet Marcel jedes Jahr nicht unbeträchtliche Summen an verschiedenste Einrichtungen. Duponts Klinik braucht dringend einen Zuschuss für die Kinderklinik, in der Heimkinder kostenlos behandelt werden. Du weißt doch, wie sehr meinem Mann das Schicksal von Waisenkindern am Herzen liegt. Wenn er nicht vom Marquis de Sancerre und seiner Frau adoptiert worden wäre ...«
Sie spricht nicht weiter, sondern lässt den Rollstuhl los und macht einen Schritt zurück. Herablassend grinst sie mich an und fragt: »Sonst noch irgendein Einwand?«
Hunderte, will ich schreien, aber nur einer fällt mir ein. »Ich habe ein Leben hier in Paris, Sarah, da kann ich nicht so einfach verschwinden.«
Ihr Gesichtsausdruck wird ernst und sie verschränkt die Arme vor der Brust.
»Welches Leben meinst du? Das der Muse der Modeschöpfer, die dir, also Miranda Rosen, ihre Modelle auf den Leib schneidern und dich umschwärmen? Deren Bekanntheitsgrad sofort steigt, sobald du ihren Traum aus Seide, Spitze oder Chiffon auf einem Event trägst und an ihrem Arm fotografiert wirst? Wohlgemerkt stehend, gehend und in High Heels, nicht in dem da.« Sie deutet auf den Rollstuhl. Meine Hände klammern sich an den Armlehnen fest, bis die Knöchel weiß hervortreten. Aber wenn ich glaube, dass meine Freundin fertig ist, habe ich mich getäuscht.
»Oder meinst du dein anderes Leben? Wobei ...« Sie hebt nur eine Hand und legt den Zeigefinger an die Lippen. »Sex geht wohl auch nicht mit dem Ding. Was meinst du, Seraphine?«
Ich zucke zusammen, reiße die Augen auf und starre sie fassungslos an.
»Tja, meine liebe Miranda-Seraphine. So wie es aussieht, wirst du mit mir kommen müssen. Denn wenn du auch nur eines deiner beiden Leben wiederaufnehmen willst, so ist die Grundvoraussetzung dafür, dass du aufstehst und wieder gehen lernst.«
In meinem Kopf wechseln sich gähnende Leere und wie Raketen herumrasende Gedanken ab. Ich bin zugleich erschüttert und erleichtert, dass sie mein Geheimnis kennt – und jetzt erst recht davon überzeugt, hierzubleiben.
»Wenn ich nicht will, bekommst du mich niemals in dein Auto«, flüstere ich.
»Allein nicht, deshalb bin ich gar nicht erst ohne Hilfe hergekommen.« Sie löst ihre verschränkten Arme und greift nach ihrer Tasche, die auf dem Schreibtischstuhl liegt. Sie wirft mir einen langen Blick zu, bevor sie sich umdreht und zur angelehnten Tür schaut. »Du kannst jetzt kommen, Miranda ist so weit«, ruft sie laut.
Ich weiß nicht, wen ich erwartet habe. Marcel, der seine Frau begleitet hat und sich im Hintergrund hält, oder einen der Mitarbeiter der Weinkellerei oder des Gestüts, von denen es auf Schloss Sancerre unzählige gibt. Aber sicher nicht den Mann, der ein paar Sekunden später die Tür aufstößt. Ein unergründliches Lächeln liegt um seinen Mund, als er mit seinem raubtierhaften Gang auf mich zukommt. Ich halte die Luft an, und jede Faser meines Körpers beginnt zu vibrieren. Selbst die in meinen unbeweglichen Beinen. Bis in die Zehenspitzen kann ich das Prickeln spüren, das er in mir auslöst.
Der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der mich niemals in diesem Zustand sehen sollte, bleibt unmittelbar vor mir stehen. Er senkt den Blick und sucht den meinen – und ein heißer Feuerball rast direkt auf meine Mitte zu, aktiviert mein Lustzentrum und raubt mir den Atem.
Yves Latour.
Mein ganz persönlicher Albtraum.
Merde.
2
Sarah hat mich vorbereitet. Darauf, dass Miranda nicht mehr die ist, die sie bis zum 14. September war.
Nicht mehr die strahlende Frau, die unzählige Couturiers zu einzigartigen Kreationen anregt. Die mit ihren rassigen Kurven, dem verhangenen Blick ihrer dunklen Augen und den in weichen Wellen fallenden langen Locken nicht nur Männerherzen aus dem Takt kommen lässt. Frauen hassen oder bewundern sie – und manche verlieben sich in diejenige, die in nur vier Jahren die Stadt der Liebe erobert hat. Für deren Fotos die Chefredakteure der führenden Zeitungen des Landes gekrönte Häupter auf die rückwärtigen Seiten des Feuilletonteils verbannen. Die Heiratsanträge vom aktuellen Formel-1-Weltmeister, einem der beliebtesten Schauspieler Hollywoods und einem texanischen Multimilliardär erhalten – und alle abgelehnt hat. Dabei hat sie mit keinem von ihnen auch nur eine einzige Nacht verbracht. Sie hat alle drei nur rein zufällig auf einem der vielen Events getroffen, die sie an der Seite der Couturiers besucht, die sie als ihre Freunde bezeichnet. Wobei die meisten unter ihnen geoutete Schwule sind.
Nur eine Handvoll Menschen weiß, wer sie wirklich ist. Vor allem aber, wie sie ist. Miranda Rosen, die mit achtzehn brutal vergewaltigt wurde, gemeinsam mit ihren beiden Herzensfreundinnen. Die nach Judiths Selbstmord ihre Heimat Israel verließ und mit Sarah auf der Flucht war. Bis man zwei Jahre später die Täter endlich verhaftete – nachdem diese viele andere Frauen geschändet, gebrandmarkt und zwei getötet hatten. Miranda, die diese Gewalttat mit seiner Ursache bekämpft: mit Sex. Gefühllose Quickies in den Städten, die ihre Aufenthaltsorte waren, bevor sie nach Paris kam – und Olive über den Weg lief.
Olive Bernard, deren Agence O die exklusivste Anlaufstelle für Männer und Frauen ist, die Paris zu bieten hat und die Kunden aus der ganzen Welt anlockt. Eine Begleitung für einen Abend in der Oper? Ein romantisches Dinner mit prickelndem Dessert in stimulierender Verpackung? Ein romantisch-prickelnder Urlaub auf einer Südseeinsel? Madame O bietet niveauvolle Escorts überdurchschnittlich guten Aussehens, mit denen sich die Zugehörigen der besten Gesellschaft nicht genieren müssen, selbst wenn sie eine oder einen von ihnen auf die Hochzeit der Cousine zweiten Grades mitnahmen. Die den Mund nicht nur öffnen, um ein dummes Kichern oder ein hysterisches Quieken von sich zu geben. Escorts, von denen die meisten ihren Kunden auch sexuelle Wunsch erfüllen.
Das zufällige Aufeinandertreffen der ungleichen Frauen, die einander ähnlicher waren, als es auf den ersten Blick schien, bedeutete den Beginn einer neuen Ära – für beide. Miranda wurde Seraphine, das beste Pferdchen in Olives Stall, wie mir diese anfangs mit einem Augenzwinkern anvertraute. Denn ich bin nicht nur Olives Vertrauter und Anwalt. Ich kenne alle, die für sie arbeiten, setze die Verträge auf, die meiner langjährigen Freundin einen nicht unbeträchtlichen Anteil an den Einnahmen der Escorts sicherten. Im Gegenzug überprüfte sie die Klienten auf Herz und Nieren, egal, ob diese nur eine professionelle Begleitung oder mehr wünschten. Das tut sie bei Seraphine bis heute – nur sind die beiden Freundinnen und Geschäftspartnerinnen, nicht Arbeitgeberin und Angestellte. Das änderte sich nur wenige Monate, nachdem ihre Zusammenarbeit begann, und außer uns dreien kennt niemand die Details des Vertrags, der dieser außergewöhnlichen Geschäftsbeziehung zugrunde liegt. So wie kaum jemand Seraphines Gesicht und noch weniger Menschen ihren wahren Namen kennen. Und nur wir wissen, dass sie nicht ihren Körper, sondern ihre Gegenwart verkauft. Ob und mit wem sie jemals die klar festgelegte Grenze überschritten hat, ist auch mir nicht bekannt. Darüber spricht sie nicht. Und gerade das ist der Grund, weshalb ich sie buchen wollte. Um jeden Preis – und für vierundzwanzig Stunden. Doch sie hat mich abgelehnt. Dreimal in drei Jahren. Trotz ihrer nicht verhandelbaren Honorarforderung von fünfzigtausend Euro, die ich akzeptiert habe. Und selbstverständlich gehen die Spesen für ihre An- und Abreise, egal, in welchen entlegenen Winkel der Welt, ebenfalls zu Lasten des Kunden. Das alles steht in ihrem Dossier, zu dem jeder bei der Agence O registrierte und verifizierte User Zugang hat – wie zu ihren Fotos ...
Künstlerische Akte ihres Körpers in Grauschattierungen. Anstelle des Gesichts ein verschwommener Schatten. Die beiden Grübchen oberhalb ihrer Pospalte. Ihre festen, runden Brüste, die perfekt in meine Hände passen würden. Ihre dunklen, harten Nippel, die aus der feinen Spitze des Ouvert-BHs herausragen. Die geschwungene Linie ihres Halses. Ihre runden Hüften und der sanft gewölbte Bauch, bei dessen Anblick meine Hose eng wird. Jedes Mal, wenn ich schwach werde und auf die gesicherte Datei in meiner Cloud zugreife. Und das geschieht seit dem Tag, an dem Sarah sie mir als ihre beste Freundin vorstellte, immer öfter. Zuvor war sie für mich nur eines von Madame Os Callgirls.