The Harder I Fight (Loving For Real 2) - Mela Wagner - E-Book

The Harder I Fight (Loving For Real 2) E-Book

Mela Wagner

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Beschreibung

**Leidenschaftliche Anwältin trifft auf selbstverliebten TV-Rockmusiker** Für Gini ist Gerechtigkeit nicht nur Beruf, sondern ihre Berufung. Doch als ihr in der Kanzlei plötzlich Alex Hill gegenübersitzt, stürzt die junge Anwältin in ein Gefühlschaos. Denn der Star ihrer Lieblings-Realityshow und einstiger Schwarm ist jetzt Angeklagter und möchte einen Deal mit Gini aushandeln. Alex' gewohntes Mittel, Probleme mit Geld aus der Welt zu schaffen, prallt auf Ginis feste Überzeugungen. Als es zum Prozess kommt, verurteilt sie ihn kurzerhand zu Sozialstunden – und löst damit ein Auf und Ab der Emotionen aus, bis die beiden sich ihrer wachsenden Leidenschaft nicht mehr entziehen können. »The Harder I Fight« ist eine Opposites Attract Romance, in der sich zwei starke Charaktere in einem Duell zwischen Abneigung und Anziehung immer wieder herausfordern. Dies ist der zweite Band der knisternden Romance-Serie »Loving for Real«und ein Stand-Alone. //Alle Bände der Dilogie: -- The Deeper I Fall (Loving for Real 1) -- The Harder I Fight (Loving for Real 2) Dies ist eine Neuauflage der beliebten »Celebrity Love«-Reihe.//

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Mela Wagner

The Harder I Fight (Loving For Real 2)

**Leidenschaftliche Anwältin trifft auf selbstverliebten TV-Rockmusiker**

Für Gini ist Gerechtigkeit nicht nur Beruf, sondern ihre Berufung. Doch als die junge Anwältin im Gerichtssaal auf Alex Hill trifft, stürzt sie sofort in ein Gefühlschaos. Denn der Star ihrer Lieblings-Realityshow und einstiger Schwarm sitzt jetzt als Angeklagter vor ihr. Alex‘ gewohntes Mittel, Probleme mit Geld aus der Welt zu schaffen, prallt auf Ginis feste Überzeugungen. Sie verurteilt ihn kurzerhand zu Sozialstunden – und löst damit ein Auf und Ab der Emotionen aus, bis die beiden sich ihrer wachsenden Leidenschaft nicht mehr entziehen können.

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Vita

© privat

Mela Wagner, geboren 1985, lebt mit ihrer Familie in einem Vorort von Wien. Schon seit ihrer Kindheit ist die Autorin verzaubert von der Welt der Wörter. Eigene Geschichten auf Papier zu bringen, empfindet sie als etwas Magisches. Ihre Figuren zum Leben zu erwecken, mit ihnen zu lachen, zu lieben und zu weinen, erfüllt ihr Herz jedes Mal auf eine ganz besondere Weise. Mela Wagner liebt Bücher, die vom echten Leben erzählen, die zum Nachdenken anregen und den Leser auf eine Reise mitnehmen, die mit einem heftigen Herzklopfen endet.

Vorbemerkung

Liebe Leserin, lieber Leser,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freunde oder suche dir professionelle Hilfe.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Mela Wagner und das Impress-Team

1 – Alex

Aus den Verstärkern hallte der Vorspann der Titelmusik des Realityformats von Nashcon. Gierig trank ich aus der Wasserflasche, die mir der Assistent gereicht hatte. Meine Fingerspitzen brannten, so intensiv, wie ich den letzten Solopart auf meiner E-Gitarre performt hatte. Das Publikum brüllte abwechselnd den Namen der Serie und den Titel meines bekanntesten Songs, auf den sie seit Beginn des Konzerts gewartet hatten. In den letzten fünf Jahren hatte ich die Melodie des Formats, für das wir unzählige Preise abgeräumt hatten, so oft gehört, dass ich sie selbst im Tiefschlaf singen konnte. Ein Jingle, der simpel, wohlklingend und einprägsam war.

Die Erfinder von Nashcon hatten den Nerv der Zeit und mitten in Millionen von Herzen getroffen, als sie sozial benachteiligte, mittelklassige Influencer vor fünf Jahren in ein Haus gesteckt hatten und all den Blödsinn, den sie ausheckten, gefilmt hatten. Jeder von uns dreien unterhielt seine Fans auf seine eigene Weise. Zusammen vereinten wir im Brutkasten Nashcon unsere Reichweiten und pushten uns auf ein nie da gewesenes Level. Allen Zweiflern, Kritikern und Neidern zum Trotz hatten wir alle Streamingrekorde gebrochen. Die Skandale der letzten Monate hatten uns noch mehr Follower verschafft. Unsere Anhänger gierten förmlich nach Trash – je dreckiger und authentischer er daherkam, desto eher wurde er ein Garant für wachsende Streamingzahlen. Seit der Sache mit Jona und seiner großen Liebe Willow suchte unser Manager Luke buchstäblich nach Skandalen, um die Einschaltquote nochmals zu toppen.

»Alex!«

Ich hörte meinen Namen, doch ich achtete nur auf die kreischende Menge. Das Introlied schwappte wie eine ekstatische Welle durch die gefüllte Halle. Die Leute reckten die Hände in die Höhe, sangen, umarmten sich und weinten. In der Arena des Madison Square Gardens warteten zwanzigtausend Fans auf meine Zugabe und die angekündigte Überraschung. Der Jingle verriet, wer gleich mit auf die Bühne kommen würde. Das Intro stoppte für einen Moment. Automatisch schlug ich die Saiten meiner E-Gitarre an und die ersten Akkorde von Storm erklangen. Mein bisher erfolgreichster Hit, der mir vor ein paar Wochen einige American Music Awards und nun eine Grammy-Nominierung eingebracht hatte.

Sie starteten den Titelsong erneut und spielten einen kleinen Film ab. Weitere fünf Minuten blieben mir, um mich zu erholen. Erschöpft wischte ich den Schweiß mit meinem Ellenbogen vom Gesicht. Dutzende Armbänder an meiner Hand kratzten über die verschwitzte Haut. In meinen Schläfen pochte es unangenehm. Knapp vor Ende der Tournee fühlte ich die Übermüdung in jeder Faser meines Körpers. Seit einigen Wochen quälte mich ein unangenehmes Geräusch in den Ohren, das immer dann auftauchte, wenn ich es am wenigsten gebrauchen konnte. Mit den Musikpreisen, die ich in den letzten Monaten abgeräumt hatte, war der Druck gewachsen. Je erfolgreicher ich geworden war, desto häufiger hatte ich auch den lästigen Ton im Ohr wahrgenommen.

»Alex! Brauchst du noch eine Wasserflasche?«

Der Bass wummerte in meiner Brust und verpasste mir einen Schlag wie der eines Defibrillators. Orientierungslos blinzelte ich auf. Mein Assistent stand neben mir und reichte mir die Flasche. Durch die InEars nahm ich die Umgebungsgeräusche gedämpfter wahr. Bei der letzten Untersuchung hatte der Arzt gemeint, ich sollte meine Gehörgänge schonen und mir Ruhe gönnen. Ein Idiot, dem ich fünfhundert Dollar zugesteckt hatte, damit er wirksame Tabletten aufschrieb, die mir über die nächsten stressigen Wochen hinweghelfen würden. Fünf Sinne hatte ich und auf einen davon war ich komplett angewiesen. Genau diesen sollte ich nicht strapazieren? Als würde er einem Raumfahrer den Tipp geben, den Sauerstoffschlauch im schwerelosen Zustand abzuziehen. Ohne meinen Gehörsinn war es unmöglich, die Töne perfekt zu treffen.

»Hier trink! Sie spielen noch das Best-of der letzten Wochen.«

Meine Hände zitterten, als ich die Ohrstöpsel entfernte. Für einen Moment vernahm ich das dröhnende Grölen der Fans, die meinen Namen riefen. Gänsehaut prickelte über meinen schweißbedeckten Oberkörper, an dem mein weißes Shirt klebte.

Auf der anderen Seite der Bühne entdeckte ich Jona und Sky. Wir galten als die drei Musketiere. Einer für alle und alle für einen – einstige Nobodys, die bereit gewesen waren, ihr Leben, ihre Seele und ihre Privatsphäre für Ruhm, Geld und Anerkennung zu verkaufen.

»Fünf Minuten!«, deutete mein Assistent und legte seine Hand auf meine Schulter.

Die letzte Dosis Adrenalin pushte meinen Körper auf ein Neues. Als Zugabe spielte ich maximal zwei Lieder. Ermattet stützte ich die Hände auf einer der schwarzen Technikkisten ab. Es roch süßlich und nach aufgeheizter Elektronik. Man konnte förmlich die angestaute Energie in der Luft knistern spüren. Als ich wieder aufsah, drehte ich den Kopf zu Jona und sah die hübsche Rothaarige an seiner Seite. Vor ein paar Monaten hatte mein bester Freund öffentlich bekannt gegeben, dass seine Beziehung zu unserer Serienpartnerin Skylar die ganze Zeit nur vorgetäuscht gewesen war und er sich auf einer einsamen Insel in Willow verliebt habe. Der rothaarige Wirbelwind lächelte in dem Moment zu Jona hinauf und berührte seine Brust. Sie sah in ihren engen Jeans, den weißen Sneakers und einem anliegenden Nashcon-Shirt wie ein stinknormales Fangirl aus. Der Umstand, dass sie keine Schichten Make-up auftrug und auch das Volumen ihrer Lippen nicht vergrößern ließ, machte sie attraktiver als die meisten Frauen hier.

»Alles in Ordnung?«, formte Jona tonlos mit den Lippen.

Ich nickte ihm zu. Der Geräuschpegel brachte mein Trommelfell unangenehm zum Vibrieren. Jona bemerkte, wie ich mir immer wieder an die Ohren fasste und runzelte die Stirn. Ich senkte den Blick und kniff die Augen zusammen. Plötzlich schrillte dieser verdammt hohe Ton in meinem Kopf, als wäre ein Feueralarm ausgebrochen.

Dann war es still.

Hektisch öffnete und schloss ich den Mund, wie ich es von einem Druckausgleich kannte, doch ich war taub.

Mein Assistent kniete vor mir. Wie war ich auf den Boden gekommen? Seine Lippen bewegten sich, doch ich hörte nicht, was er sagte. Hatte ich die Ohrstöpsel wieder hineingesteckt? Hektisch versuchte ich, etwas zu entfernen, was nicht da war. Es war erschreckend ruhig. Panisch fasste ich mir an den Kopf. Orientierungslos hievte ich mich hoch und wankte zur Treppe, die auf die Bühne führte. Der Handlauf gab mir Halt und ich schloss die Lider. Als ich sie wieder öffnete, stand Jona vor mir, und mit ihm kehrten die Hintergrundgeräusche zurück. Zwischen seinen Brauen bildete sich eine tiefe Falte. Er sah besorgt aus. Ich war auf dem besten Weg, verrückt zu werden. So wie mein Alter, der in der Klapse gelandet war, weil er ständig Stimmen und seltsame Töne gehört hatte.

Jona legte ein kühles Tuch in meinen Nacken. »Du siehst scheiße aus!«, erklärte er.

»Du strahlst dafür, als hättest du dein Happy End bereits genossen!«, scherzte ich und klopfte auf seine Schulter. In letzter Zeit hatten wir einander weniger gesehen. Selbst mein bester Freund wusste nichts von den Problemen mit meinen Ohren, die mich seit Wochen quälten. Ich war Meister darin, all die belastenden Themen wegzuschieben und meine Gefühle zu überspielen. Ganz besonders, wenn sie mich an meine Scheißkindheit erinnerten.

Entschlossen dehnte ich den Kopf von einer Seite zur anderen. »Geh zurück zu deinem Mädchen. Bei all den Männern hier solltest du sie nicht allein lassen.« Ich nickte zu Willow und Sky, die ebenso besorgt zu uns herüberstarrten. »Wie es aussieht, lieben die Fans uns – selbst, wenn du dich kaum noch vor der Kamera zeigst«, murrte ich. Nach Jonas erstem öffentlichen Statement zu der Sache hatten ihn viele Fans abgelehnt, doch es hatte nicht lange gedauert, bis sie ihm verziehen hatten. Die Prognosen des Untergangs von Nashcon waren nicht eingetroffen. Ganz im Gegenteil. Sie hatten Jonas Aufrichtigkeit und seine Liebe zu einem Mädchen gefeiert, das nicht prominent oder in der Branche bekannt war.

»Ein ausverkaufter Madison Square Garden. Verdammt, Bro, du hast es wirklich geschafft!«, gratulierte er mir und packte mich an den Schultern, um mich direkt mit dem Blick einzufangen. Wir starrten uns an. Seine feuchten Augen irritierten mich. Seit wann war er so verdammt sentimental? Wie oft hatten wir in dem winzigen Zimmer im Kinderheim gesessen und uns eine Zukunft wie diese ausgemalt? Damals hatte uns der jugendliche Leichtsinn angetrieben. Denn wir hatten nichts zu verlieren – nur etwas zu gewinnen. Beste Voraussetzungen. Zwar beteuerte Jona ständig, dass ihm Willow wichtiger wäre als das, was wir aufgebaut hatten, doch der Erfolg machte süchtiger, als er zugeben wollte.

»Du siehst erschöpft aus«, meinte er jetzt.

Genervt verzog ich den Mund und drückte seine Hände fort. War er mein Scheißarzt? »Lange Nacht …«, überspielte ich meine schwindende Power und deutete mit dem Kopf zu Olivia, der Leadsängerin unserer Vorband, die am Bühnenrand auf meine Zugabe wartete und mir kess zuzwinkerte. Ihr knappes Top brachte ihre vom Beautydoc gepushten Rundungen perfekt zur Geltung.

Jona rollte die Augen und schnaufte. Seit der letzten Kostümparty und meinem Zusammenbruch sah er die Verbindung kritisch. Olivia kämpfte gegen ihre eigenen Dämonen an und betäubte sie mit illegalen Substanzen. Ich konnte nachvollziehen, dass Jona sich Sorgen machte, doch davon wollte ich gerade nichts wissen.

»Gönn dir ein paar Tage Ruhe, Mann«, sagte er bestimmt.

»Bro«, sagte ich lachend und klopfte auf seine Schulter, »jemand muss sich um das Filmmaterial kümmern, seitdem du dir ständig drehfrei nimmst und jede mögliche Minute auf einer einsamen Insel abhängst, um dir dort dein privates Liebesnest zu bauen!« Sein plötzlicher Sinneswandel nervte, denn vor ein paar Monaten war Jona ebenso kein Kostverächter gewesen. Eine Pause konnte ich mir nicht erlauben. Alle warteten auf einen neuen Hit, seitdem ich für die Grammys nominiert worden war. »Wir sind hier, um die Bude zu rocken, nicht um Stretchübungen zu veranstalten, verstanden?« Immer wieder hatte ich in den vergangenen Wochen beobachtet, wie Jona mit Willow unseren Fitnessbereich umfunktioniert und dort seltsame Dehnungen aufgeführt hatte, die alles andere als erotisch waren.

»Rockstar, bist du bereit?« Sky stellte sich neben uns, legte die Hand um meine Hüften und wuschelte durch mein Haar. »Krass, was da draußen abgeht. Der Grammy ist dein, so viel ist sicher.«

»Warten wir’s ab!« Ich zwinkerte ihr zu, bevor sie sich löste und ich mir die InEars zurück in die Ohren steckte. Mein Musikassistent reichte mir ein Plektron und positionierte sich vor uns. Der Moderator kündigte uns an. Mit den Fingern zählte Cody die Sekunden hinunter. Vor der Bühne hörte man, wie die Fans lauter wurden.

Ich sah zu Sky und Jona. »Gebt ihr mir Rückendeckung?« Sie nickten mir zu, und gemeinsam schritten wir die Stufen hinauf.

Es war der einzige Ort, an dem ich mich wahrhaftig wohl und angekommen fühlte. Endorphine peitschten durch meine Venen, die jegliche Sorge, Zweifel oder das Summen in meinem Kopf verdrängen konnten. Hier war ich nicht Alexander Hillot, der verwahrloste Junge aus Richmond, der tagelang in eine dreckige Scheune gesperrt worden war. Hier war ich Alex Hill, der gefeierte Popstar, der auf dem besten Weg war, einen Grammy abzustauben, und sich bestimmt nirgendwo mehr einbuchten ließ. Schon gar nicht in die Klapse.

Der Klang meines Powerchords, auf den die Fans mit einem ohrenbetäubenden Kreischen antworteten, hallte durch die Arena. Euphorisiert lachte ich Jo und Sky zu. Bevor ich die Bühne betrat, legte ich den Kopf in den Nacken und die Hand auf mein Herz, um diese Wahnsinnsenergie aufzusaugen. Ich war weder abergläubisch noch spirituell, doch seit Anfang meiner Karriere brachte mir diese Geste Glück. Die Band wartete auf meinen erneuten Einsatz.

Jona begrüßte als Erster das Publikum, während ich die Saiten mit meinen bekanntesten Hits anspielte. Die Menge rastete aus. Sie alle feierten mit mir diese geile Party. Jonas und Skys Anwesenheit pushte mich noch mehr. Wir waren ein eingeschworenes Team. Selbst unser kahlköpfiger Manager rockte am Rand der Bühne. Seit meinem Ausfall vor ein paar Wochen und Jo-Skys offizieller Trennung war es umso wichtiger, als Einheit aufzutreten. Dabei liebten wir die gemeinsame Zeit, und es fiel uns nicht schwer, wie junge Hunde auf der Bühne herumzublödeln. Jona schoss Selfies mit einigen weiblichen Fans, während Skylar ihren sexy Hüftschwung auspackte und mit einem Fan auf der Bühne tanzte. Wenn ich ehrlich war, hatte ich die beiden bei meinen Auftritten vermisst. Auch wenn mit der Zeit jeder immer mehr seine eigene Karriere verfolgte, gehörten wir zusammen. Wir waren Nashcon. Keine Frau und kein Mann würde das jemals ändern.

»New York, was meint ihr, wollen wir noch eine Zugabe von Mr Hill?«, grölte Jona durchs Mikrofon, das er dem Moderator abgenommen hatte.

Die Antwort folgte. Die Menschen grölten und jubelten. Traditionell spielte ich als letzten Song Careless, eine heiße Up-Tempo-Nummer meines ersten Albums. Die Band setzte im Hintergrund ein. Das Lied begleitete mich, seitdem ich ein kleiner Junge war. Es war vor langer Zeit an einem dunklen Ort entstanden und der krönende Abschluss dieses und all meiner anderen Konzerte. Kurz bevor ich den ersten Ton ins Mikrofon krächzte, übertönten mich bereits die hysterisch kreischenden Fans. Lachend sah ich zu Sky. Die Bühne war mein Zuhause. Der Bass wummerte direkt in mein Herz. Sie alle tanzten auf der Party, die ich mein Leben nannte.

***

»Du warst großartig!« Sky fiel mir um den Hals, verpasste mir einen Kuss auf die Wange und eilte von der Bühne.

Mein Herz sprang aus der Brust, so, wie ich mich beim letzten Lied verausgabt hatte. Der Vorhang fiel und mit ihm das Adrenalin, das mich zur Hochleistung gepusht hatte. Im Backstagebereich feierte das Team die Reunion von allen Nashcon-Mitgliedern. Durch die vielen Probleme der letzten Monate waren wir nicht mehr als Einheit aufgetreten. Umso schöner war es, nun das Leben, den Erfolg und unsere Freundschaft zu feiern.

So lange, bis meine Dämonen mit voller Wucht zurückkehrten. Ein schmerzhaft hoher Ton durchfuhr meinen Kopf, dann war es still. Hektisch riss ich die Gitarre von mir und drückte sie dem Nächstbesten in die Hand. Olivia schlang meine Hand um ihre Schulter. Energisch zog ich sie näher, stützte mich bei ihr ab und zog scharf die Luft ein. Erfreut kicherte sie und deutete meine Annäherung komplett falsch. Einige gratulierten uns. Olivia genoss die Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwurde. Es war mir egal. Hauptsache, ich erreichte den Partyraum. Mein Gleichgewichtssinn spielte verrückt und ich fühlte mich wie ein Besoffener, der schwankend den Weg zur Bar suchte.

Im dekorierten Backstagebereich sackte ich erschöpft auf eine Couch und atmete auf, als das monotone Hintergrundgeräusch der Feiernden zurückkehrte. Erleichtert lehnte ich mich gegen die Couch und kniff die Augen zusammen.

»Bier?« Olivia schmiegte sich an meine Seite und strich mir durchs Haar.

Neben den ansehnlichen Brüsten entdeckte ich, in ihren BH geklemmt, ein kleines Päckchen mit weißem Pulver.

»Oder etwas anderes, Babe?«

»Ich brauche das Zeug nicht! Wann checkst du das endlich?«

Genervt rollte sie mit den Augen.

Auf dem Bildschirm vor mir flimmerten einige Szenen des Konzerts. Der 75-ZollHD-Bildschirm zeigte jede einzelne Schweißperle, die tiefen Augenringe – selbst meinen schnellen Puls, der am Hals deutlich pochte.

Jona sorgte sich zu Recht. Olivia war kein guter Einfluss und auf den Videoaufnahmen sah ich wie ein Junkie aus. Dabei hatte ich dem Stoff abgeschworen, nachdem ich vor ein paar Jahren mitten in einem Trip meinen Vater in meinem Spiegelbild erkannte. Sein Anblick hatte sich wie Säure in mein Gehirn gebrannt und ich hatte beschlossen, die Finger davon zu lassen.

Auch wenn mein Umfeld davon überzeugt gewesen war, dass ich vor ein paar Wochen bei meinem Zusammenbruch im Badezimmer wieder konsumiert hatte, rührte ich das Zeug nicht an. Doch je intensiver und häufiger die Ohrenprobleme auftauchten und je weniger ich schlief, desto größer wurde die Versuchung. Aus Verzweiflung schluckte ich ein paar Tabletten mehr, die mir der Arzt wegen meines Tinnitus’ und der Schlaflosigkeit verschrieben hatte. Während sich Olivia an mich schmiegte, reichte sie mir ein kühles Bier, das ich in einem Zug leerte.

Olivia begann, mir meinen Hals abzulecken. Es erinnerte mich an die kleinen Hunde, die Willow und Jona in die Villa geschleppt hatten. Angewidert drückte ich sie beiseite. Mein Assistent reichte mir ein Handtuch.

»Babe, was ist los? Die Show war genial. Warum also so schlechte Laune?« So, wie sie lallte, hatte sie bereits etwas eingeworfen.

Mein Assistent deutete zu den Pressefuzzis, die sich vor der Garderobe tummelten. »Kommst du?«, fragte er mich.

Als ich aufstehen wollte, hielt mich Olivia zurück und spitzte den Mund. »Ist es, weil heute dein geliebter Jona hier ist und er mich nicht leiden kann?« Das abfällige Schnauben verstärkte sie mit einem genervten Ächzen. »Er hat sowieso nur Augen für den rothaarigen Lockenkopf. Vergiss deinen Brooo!« Sie dehnte das Wort in die Länge und bleckte die Zähne. Dabei blitzte ihr Lippenband-Piercing hervor, welches uns jedes Mal beim Knutschen in die Quere kam. Im Augenwinkel bemerkte ich, wie Willow eine Blondine mit enger Highwaist-Jeans mit Schlag begrüßte. Sie trug eine Lederjacke und einen schwarzen Hut, der in völligem Kontrast zu ihren blonden Strähnen stand. Quer über ihre Schulter hing eine abgefuckte Aktentasche. Willow unterhielt sich mit der Schönheit und Jona stand neben ihr, lachte und schien überhaupt kein Problem damit zu haben. Seitdem sie ein Paar waren, mied er die Medien und versteckte Willow vor den neugierigen Blicken der Paparazzi.

Ohne mich bei Olivia zu verabschieden, steuerte ich direkt auf die heiße Reporterin zu, deren Hut tief ins Gesicht gezogen war. Sie würde sich perfekt neben mir auf den weißen Bettlaken machen. Die enge Jeans spannte an den richtigen Stellen. Während meine Augen über ihren Arsch und hinauf zur schmalen Taille glitten, knurrte ich begeistert. Wohlwollend betrachtete ich ihre Brüste, die sie mir in dem Moment entgegenstreckte. Mein Blick haftete sich zu lange auf den obersten geöffneten Knopf und die darunterliegenden Rundungen. Erst jetzt bemerkte ich, wie Jona sich räusperte und mir mahnend gegen die Schulter boxte. Lachend fasste sie sich an die Bluse und beendete den erotischen Einblick. Entzückt hob ich den Kopf und entdeckte … Gini! Nervensäge, Besserwisserin und Willows beste Freundin, die ich vor Monaten das letzte Mal gesehen hatte.

»Hallo, Alex!« Ihr perfektes Zahnpastalächeln strahlte mir entgegen. Ginis rote Lippen regten noch mal mehr meine Fantasie an, doch sie schien sich nicht für meinen Schwanz zu interessieren. Jedenfalls behauptete das Jona. Statt meiner Musik begehrte sie verstaubte Akten und Rechtstexte. Was für eine Vergeudung! »Du auch hier?«, fragte ich genervt, da ich meine heißen Fantasien schleunigst begraben musste.

»Bin gerade erst gekommen«, sagte sie grinsend und fischte sich den Hut vom Kopf. Regentropfen spritzten auf meinen erhitzten Körper. Mit ein paar Handgriffen wuschelte sie sich durch ihre hellblonden, kinnlangen und leicht gelockten Haare. Sie drückte mir freundschaftlich zur Begrüßung ein Küsschen auf die Wange. War sie Europäerin oder was sollte der Mist? Ihre kühlen Lippen rochen nach frischer Luft. Welcher normale Mensch ließ sich mein Konzert entgehen und kam zu spät? Was hatte sie Besseres zu tun? Unbewusst kratzten ihre Worte an meinem Ego.

»Keine Sorge, du bist pünktlich zur Aftershow-Party«, raunte ich. Es stieß mir sauer auf.

»Du sagst es. Außerdem stehe ich mehr auf Oldies.«

Entsetzt starrte ich weiter auf ihre Lippen, die sich kräuselten und erklärend hinzufügten: »The Temptations! The Trogs! Etta James!«

»Schon klar, du bist das Sunshine-Mädchen an einem wolkigen Tag«, zitierte ich einen alten Song einer der Bands. Verarschte sie mich? Welche junge Frau hörte lieber Granny-Songs? Ihr Musikgeschmack passte nicht zu ihrem Outfit. Sie glich einem heißen Vamp mit kirschroten Lippen, trug unter der alten Lederjacke und der Satinbluse nicht mal einen BH und gab vor, lieber zu R&B und Soul zu grooven, als zu meiner Musik abzutanzen?

Willow zog mich in ihre Umarmung. Sie roch zimtig, genau wie die Jelly Beans, die Jona ständig in seinem Zimmer hortete. »Mir hat die Show gefallen. Du warst super. Ich habe alles aufgenommen. Gini hat also nichts verpasst.« Sofort huschte sie an Jonas Seite zurück und schmiegte sich an ihn. Wohlwollend senkte er seinen Kopf und küsste ihre Stirn. Viel zu anständig. Viel zu seriös. Überhaupt nicht Jona!

Genervt verdrehte ich die Augen und stieß einen angewiderten Ton aus. Was war nur aus meinem besten Freund geworden, der normalerweise von Beziehungsscheiß denselben Ausschlag bekam wie ich?

Seine rothaarige Sansa, wie er sie liebevoll nach der Königin des Nordens benannt hatte, verzauberte ihn, so viel stand fest. Als sie uns zum ersten Mal in der Villa besucht hatte, hatte ich noch gescherzt, dass er sie bald wieder austauschen würde. Damals hätte ich nie gedacht, dass die Sache zwischen den beiden länger als eine Woche halten würde. Willow erzeugte bei Jona ein Glitzern, ein Lächeln, einen schmachtenden Ausdruck, von dem mir fast schlecht wurde.

»Neidisch?«, fragte Gini, die jeder meiner Gesten mit ihren krassen hellblauen Augen folgte.

»Wenn du das echte Wild Thing suchst, solltest du dich von den Zweien fernhalten und zu mir kommen«, flüsterte ich in Ginis Ohr, zwinkerte Willow und Jona zu und verschwand zu den Presseleuten. Womöglich würde sie doch noch in meinem Bett landen.

Als ich das nächste Mal auf das Siebzigtausend-Dollar-Schmuckstück an meinem Handgelenk sah, steuerte der Zeiger auf zwei Uhr morgens zu. Jona, Willow, Gini und Skylar saßen mir auf der Couch gegenüber. Olivias Bein lag über meinem Oberschenkel. Sie verteilte ihre Küsse auf meinem klebrigen Nacken.

»Babe, willst du tanzen?«, quietschte Olivia in mein Ohr.

»Verdammt!«, erschrocken wich ich zurück und drückte sie von mir. Mein Kopf schmerzte und ich fürchtete einen erneuten Ausfall meines Gehörs. Entschuldigend hob sie sofort die Hände. »Sorry, aber kannst du nicht leiser sein?«

»Leiser?« Sie legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend los. »Von allen Anwesenden dachte ich nicht, dass gerade du auf leise stehst!«, erklärte sie, stand auf und drehte sich vergnügt um die eigene Achse, bevor sie einem Typen ihrer Band um den Hals fiel.

Unweigerlich sah ich zu Gini und ihren saphirblauen Augen, die mich wissbegierig musterten. Ich erwischte sie dabei, wie sie die Tätowierungen auf meinem Arm studierte. Bei meinen Fingerknöcheln, auf denen HATE und LOVE stand, verweilte sie länger.

»Welchen Körperteil soll ich dir widmen, Babe?«, fragte ich sie direkt, da sie ungeniert jede meiner Bemalungen inspizierte.

Ertappt sah sie auf. Ihre Wangen färbten sich ähnlich rot wie ihr Lippenstift. Sofort zog sie ihre Schultern nach hinten. »Ich bezweifle, dass es eine Stelle an deinem Körper gibt, die jungfräulich ist.«

Ich grinste frech. »Babe, für dich finde ich sie, das verspreche ich dir.«

Willow räusperte sich neben ihr und Jona warf mir einen mahnenden Blick zu. Die Leute tanzten ausgelassen. Ein Ende der Aftershow-Party schien nicht in Sicht. Wo man hinsah, Filmteams und Fotografen, die alles dokumentierten. Der DJ heizte die Menge an. Unbemerkt schob ich mir eine weitere Tablette zwischen die Zähne. Bis jetzt schien ich vor dem lästigen Ton verschont zu bleiben und ich wollte nichts riskieren. Keiner ahnte etwas von meinen Sorgen und so sollte es auch bleiben.

Unser Team hatte gute Arbeit bei der Produktplatzierung geleistet. Leuchtelemente mit dem Nashcon-Logo erhellten den verdunkelten Backstagebereich. Jo, Sky und mein Gesicht grinsten von den Energy-Drink-Dosen, die die Leute literweise hinunterspülten. Obwohl meine Freunde hier waren, um gemeinsam den Erfolg der Tour zu feiern, konnte ich es nicht vollständig genießen. Die Angst vor dem nächsten Ausfall machte mich verrückt und je länger der Abend wurde, desto intensiver spürte ich den Schmerz an den Schläfen. Den ganzen Abend hatte ich bloß zwei Bier getrunken. Der Arzt hatte mich gewarnt, das Medikament nicht in Kombination mit Alkohol einzunehmen.

»Alex, alles okay?« Jona legte seine Hand an meinen Nacken und sah mir in die Augen. Er wirkte besorgt.

Irritiert blickte ich mich um. Wie war ich auf die Tanzfläche gekommen?

»Was ist los?«, nervte Jona weiter.

»Kopfschmerzen!«, brummte ich und verpasste ihm einen kleinen Stoß, um mir Platz zum Atmen zu verschaffen.

Er fasste an mein Shirt. »Lass uns nach Hause fahren! Etwas Ruhe täte dir gut.«

Auf keinen Fall. Sobald es still um mich herum wurde, verschlimmerte sich der Zustand. »Du bist nicht mein Babysitter. Kümmere dich um Willow.« Sie tanzte gerade noch ausgelassen mit Gini ein paar Meter weiter. Oder etwa nicht?

»Warst du beim Arzt?«, wollte mein Kumpel wissen.

»Lass mich in Ruhe!«

Jona verhielt sich wie der Oberaufpasser, seitdem er mich bei der letzten Kostümparty bewusstlos im Bad gefunden hatte. Er kontrollierte ständig, mit wem ich abhing, und kritisierte meinen Lebensstil. Mischte ich mich etwa in seine Happy-Family-Geschichte ein? Genervt drückte ich mich an Jona vorbei, der meinen Ellenbogen schnappte.

»Was hast du vor?«

»Ich tanze mit Gini und zeige ihr, welche Stellen bei mir noch jungfräulich sind.« Ungeniert grinste ich ihn an und wackelte mit den Augenbrauen. »Sind zwar nicht mehr viele übrig, aber ich werde eine finden.«

Jonas Wangenknochen traten hervor, so fest, wie er die Zähne zusammenbiss. »Lass den Mist! Sie ist Willows Freundin und ich habe keine Lust, dass dein kurzweiliges Interesse Stress in meiner Beziehung erzeugt.«

»Beziehung! Pah!«, raunte ich sarkastisch und begann zu lachen. »Hörst du dich reden? Vor ein paar Wochen hättest du mich niemals zurückgehalten, wenn ich ein paar nette Stunden mit einer Tussi verbracht hätte. Ganz im Gegenteil.«

»Hier laufen Dutzende andere Frauen herum, warum genau Gini?«

»Weil sie mich reizt und denkt, sie könnte mir widerstehen.«

Diesmal packte er fester zu. »Das hier ist kein Spiel, Bro.«

Energisch riss ich mich los und kniff erbost die Augen zusammen. »Nur weil du beschlossen hast, bei dem Spiel auszusetzen, bedeutet das nicht, dass ich nachziehen muss.«

Zum ersten Mal fühlte ich, wie die Wirkung der Tabletten überdurchschnittlich stark einsetzte. Jonas Gesicht schwankte von links nach rechts. Sein Mund öffnete und schloss sich wieder, doch die Worte kamen nicht bei mir an. Energisch drückte ich mich von ihm weg und arbeitete mich zwischen den tanzenden Leuten zu Gini vor. Ich mochte, wie sie ihre Hüften bewegte, die Hände durch die Haare schob und vergnügt lachte. Immer wieder tanzten mich irgendwelche Frauen an, doch ich sah nur sie. Wie ein Leopard auf der Jagd schlich ich mich an. Meine Sinne waren geschärft wie nie zuvor. Der Fokus lag ausschließlich auf ihr. Ich konzentrierte mich nur noch auf Gini – ich konnte sie förmlich riechen. Adrenalin peitschte mich voran. Alles in mir gierte danach, ihre roten Lippen auf meine zu pressen, ihr meine Zunge in ihren frechen Mund zu stecken und andere versaute Dinge mit ihr anzustellen. An ihr war ebenso wenig herumgeschnipselt worden wie an Willow. Jona erzählte mir irgendwann, dass Willow und sie ziemlich viel Sport und Yoga praktizierten. Sofort dachte ich an die Verrenkungen, die sie im Bett zustande bringen musste.

Gerade als ich die Hand heben wollte, um sie gegen meine Lenden zu ziehen, quetschte sich jemand dazwischen.

»Alex, lass uns tanzen!« Olivia schob sich in die Zwanzig-Zentimeter-Lücke und hinderte meine kitzelnden Fingerspitzen daran, sich an Ginis Hintern zu legen.

Ich fühlte mich plötzlich wie Gollum, der nach seinem Ring gierte. Wurde ich verrückt?

»Hast du dich aufgerafft, um mit mir zu tanzen?«

Ich war der Einzige, der sich nicht im Takt bewegte. Olivia wippte von links nach rechts und war das Hindernis, das zwischen mir und meiner platinblonden Schönheit stand.

Erneut reckte sie sich an mein Ohr und schrie hinein: »Aber warum stehst du dann so bewegungslos inmitten all der tanzenden Leute?«

»Wollte gerade pissen gehen.«

Erfreut biss sie sich auf die Unterlippe. »Soll ich dich begleiten?«

Ein nettes Angebot, das ich vermutlich angenommen hätte, wenn mir Gini nicht in dem Moment über die Schulter gesehen und uns interessiert studiert hätte. Olivia fiel auf, wie ich Gini fixierte. Genervt rauschte sie ab. Wir waren einander nicht verpflichtet und ihre eifersüchtigen Stimmungen nervten. Entschlossen trat ich vor Gini, die mitten im Tanz stoppte und mich mit ihren Augen förmlich hypnotisierte. Langsam strich meine Hand in ihren Nacken. Mit der anderen glitt ich an ihren Rücken und zog sie etwas näher zu mir. Sie atmete überrascht auf. Schützend legte sie ihre Hände an meine Brust, als müsse sie mir beweisen, dass sie nicht interessiert war. Ihre roten Lippen öffneten sich einladend. Schmunzelnd kam ich ihrem Mund näher.

Kein Interesse?

Natürlich nicht!

An der Feuchtigkeit ihres Rückens bemerkte ich, dass sie ebenso schwitzte – was mich anturnte, denn ich fühlte mich animalisch von ihr angezogen.

Kurz bevor ich sie küssen konnte, dröhnte der Ton heftiger denn je durch meine Ohren. Außer dem Pfeifen eines kochenden Wasserkessels hörte ich nichts mehr. Panisch löste ich mich von Gini, stolperte zurück und hetzte in Richtung Toiletten. Verdammte Scheiße!

Keuchend lehnte ich mich an die kalten Fliesen. Das grelle Licht am Pissoir verschlimmerte das Summen in meinem Kopf. Ich wollte nur noch, dass es aufhörte. Mit dem Hinterkopf knallte ich ein paar Mal gegen die kalten Fliesen und rutschte daran zu Boden. Plötzlich war es vorbei.

»Alles okay?«, fragte mich ein Kerl, den ich nicht kannte.

Ich murmelte irgendein Zeug und schloss die Augen wieder. Als ich sie erneut öffnete, kniete eine der leicht bekleideten Hostessen vor mir.

»Er reagiert nicht wirklich!«, meinte der Kerl zu ihr.

»Danke, ich kümmere mich um ihn«, erwiderte die Frau. Sie reichte mir eine Wasserflasche. Ohne viel nachzudenken, zog ich den Streifen Tabletten aus der Jeans, quetschte mir zwei weiße Pastillen aus dem Blister und schob sie mir in den Mund. Mit einem schnellen Kopfnicken spülte ich sie hinunter. Die Augen der hübschen Hostess weiteten sich.

»Danke!«, keuchte ich. Automatisch starrte ich auf ihre riesigen Ballone.

»Mr Hill!«, japste sie aufgeregt. »Ihr Konzert war großartig. Ich liebe ihre Musik.« Während sie die Worte säuselte, verzogen sich ihre ebenfalls voluminösen Lippen zu einem erotischen Lächeln. »Ich bin Lindsay. Brauchen Sie noch etwas? Kann ich Ihnen zur Hand gehen?«

Wie platt diese Sprüche mit der Zeit klangen. Die Anmache war nicht mal kreativ. Mein Blick schärfte sich und der Ton blieb verschwunden. »Ich bin müde und muss ins Bett«, erklärte ich und rappelte mich auf.

»Brauchen Sie dabei Gesellschaft?«

»Nein danke!«, stöhnte ich und lächelte kurz angebunden. Das kalte Wasser klärte nicht nur meine Handgelenke, sondern auch meine Sinne.

Enttäuscht presste sie die Lippen zusammen. Hintereinander verließen wir die Toiletten. Während ich ihr folgte, griff ich nach meinem Handy in der Hosentasche. Genau in dem Moment stieß die Hostess vor mir mit jemandem zusammen.

»Pass doch auf!«, motzte sie angepisst.

»Tut mir leid, aber ich habe es eilig. Ich suche …«

Die Stimme kannte ich. Mein Kopf schnellte hinauf und unsere Blicke begegneten sich. Gini weitete die blauen Augen, als sie die Hostess mit mir aus der Toilette kommen sah. Offenbar reimte sie sich ihre eigene Geschichte zusammen.

»Oh … natürlich!«, zischte sie und wandte sich sofort ab.

Durch die schnelle Drehung wehte eine sanfte Brise Frühling in meine Nase – wie der Spaziergang durch eine frische Blumenwiese. Lindsay fiepte auf, als ich mich an ihr vorbeidrückte, Gini nacheilte und sie am Ellenbogen packte. Sie wirbelte um die eigene Achse und landete an meiner Brust.

»Du h…hast mich gesucht?« Langsam hob sie den Kopf. Meine Augen wanderten über ihre Kinnlinie zu ihrem Hals, hinunter zum Schlüsselbein und hafteten sich an ihrem Ausschnitt fest. »Ich mag, wie du tanzt«, lallte ich und merkte, wie schwer sich meine Zunge plötzlich anfühlte.

Gini ging nicht weiter auf meine Worte ein, drückte mich von sich, packte mein Kinn und betrachtete mich argwöhnisch. »Alex?«

Zum ersten Mal erkannte ich eine winzige Falte in ihrem makellosen Gesicht, als sie ihre Brauen zusammenpresste.

»Bist du high?«

Ich wollte nicht daran erinnert werden, dass etwas falsch mit mir war. Gestresst fing ich an zu lachen, schob meine Hand in ihren Nacken und wollte sie endlich küssen.

»Du brauchst dringend Hilfe!«

Kurz bevor sich unsere Lippen berührten, stoppte ich, denn ihre Worte bohrten sich wie eine Kugel in mein Innerstes. Arrogant strich ich mit der Zunge über meine Zähne und drückte sie angewidert von mir. »Selbst schuld! Du hast gerade deine One-in-a-million-Chance verpasst, Babe!«

***

Keine Ahnung, wie ich nach Hause gekommen war. Der Schlüssel meines Porsche 911 lag auf dem Nachtkästchen, also musste er den Weg ins Zündschloss gefunden haben. Wie viel Uhr war es? Mit den flachen Händen rieb ich über mein Gesicht und versuchte mich zu erinnern. Ich hatte nichts weiter als zwei Bier getrunken, doch mein Kopf fühlte sich an, als hätte ich die ganze Nacht durchgefeiert. Eine halb verbrauchte Packung der Tabletten, die mir der Doc für die Ohrengeräusche verschrieben hatte, lag neben dem Schlüssel. Hatte ich sie alle gestern eingeworfen?

Mit einem Seufzen vernahm ich Olivia, die sich neben mir zu räkeln begann. Langsam entwirrte ich meine tätowierten Körperteile von ihrer Haut und rollte mich ächzend zur Seite. Für ein paar Minuten saß ich am Bettrand, den Kopf in die Hände gelegt und die Ellenbogen auf den Knien abgestützt. Wie nur sollte ich einen Hit schreiben, wenn mich meine Ohren im Stich ließen? Hatte es bei Dad ähnlich begonnen, als er anfing, Stimmen zu hören? Jeder Muskel schmerzte wie nach einem harten Workout.

Wie gerädert schlenderte ich ins Bad.

»Soll ich dich begleiten?«, krächzte Oliva hinter mir.

Ich wusste weder, wie ich nach Hause gekommen war, noch, warum ich mich erneut auf Olivia eingelassen hatte.

»Keine Lust«, antwortete ich.

»Hattest du gestern auch nicht!«, beschwerte sie sich. Wenigstens eine Sache, die ich richtig gemacht hatte.

Das kalte Wasser lief zwischen meinen Schulterblättern hinunter, als ich die Hände an der gefliesten Wand abstützte. Meine Sinne fühlten sich wie in Watte gepackt an. Immer wieder gingen die Lider zu und das nervtötende Summen kehrte zurück. Die Glasscheibe vibrierte, als ich sie als Boxsack für meinen Kopf benutzte. Außer einer schmerzenden Stirn veränderte sich nichts.

Jemand klopfte an die Badezimmertür.

»Ich sagte doch, ich habe keinen Bock!«, brüllte ich, doch sie ließ nicht locker. Wütend sprang ich unter der Dusche hervor. »Verdammt, wann hat man hier endlich mal seine Ruhe?« Ich zog ein Handtuch aus dem Stapel und riss die Tür auf.

Wider Erwarten stand Jona im Türrahmen und musterte mich kritisch.

»Was?«, schnauzte ich ihn an.

»Die Polizei steht in der Einfahrt.«

Verarschte er mich? »Für Scherze bin ich gerade nicht in der Stimmung.«

»Zieh dich an!«, erwiderte er in einem Tonfall, der den Ernst der Lage aufzeigte.

Mein Puls raste in die Höhe. »Was wollen die Cops?«

»Sie suchen den Fahrer deines Porsches. Bist du gestern damit noch nach Hause gerast?«

Sofort drehten wir uns zu Olivia, die in meinem Bett lag und sich eine Zigarette anzündete.

Sie lehnte sich an die Rückwand des Bettes und drehte den Schlüssel um ihren Zeigefinger. »Sucht ihr den hier?«

»Scheiße!«, erklärten Jona und ich zeitgleich.

Jonas Blick verfinsterte sich. »Zieh dir etwas über und komm runter.«

Jona fischte den Schlüssel aus Olivias Händen und steckte ihn sich in die Hosentasche. Dann verließ er das Zimmer.

Genervt sah ich zu Olivia, die im Bett saß, mit den Schultern zuckte und an der Zigarette zog. »Baby, ich habe dir gesagt, dass du nicht mehr fahren sollst …« Sie krabbelte zur Bettkante, auf die ich sackte.

Was sollte ich den Cops sagen, wenn sie mich befragten? Mir fehlte jegliche Erinnerung, wie ich zurück in die Villa gekommen war. »Ich kann mich nicht mehr an … Was ist passiert?«

Sie ließ sich wieder rücklings auf die Matratze fallen. »Du hast einen Gartenzaun mitgenommen, nachdem du erklärt hast, dass er dir nicht gefalle«, kicherte sie amüsiert und blies den Rauch der Zigarette über ihren Kopf hinweg. »Im Bett war nicht mehr viel mit dir anzufangen.« Sie deutete mit dem Zeigefinger abwärts und grinste dämlich.

Wenigstens eine Sache weniger, um die ich mich sorgen musste. Schnell streifte ich mir Shirt und Jeans über, schlüpfte in ein paar Dunks und lief die Stufen hinunter. Einige Male strich ich mir durch das nasse Haar. Im Vorbeigehen sah ich im Spiegel, wie rot meine Stirn von der Aktion in der Dusche leuchtete. Unter meinen Augen lagen tiefe Schatten. Ich sah schrecklich aus. Verflucht! Keine gute Ausgangsposition.

»Mr Hillot?«

Auf dem Weg nach Canossa straften mich Luke und Jona mit ihren Blicken. Ein Polizist schüttelte mir die Hand. Mein Manager stand neben dem Kollegen und reichte ihm ein paar Dokumente.

»Gehört Ihnen der Porsche 911 in der Einfahrt?«, wollte der Uniformierte mit der fremden Stimme wissen.

»Ja, Sir. Das ist meiner. Gibt es ein Problem?«

»Wir würden Ihnen gern ein paar Fragen stellen. Fahrzeugpapiere und Führerschein, bitte.«

Mein Kehlkopf hüpfte. »Natürlich!«

Luke reichte sie ihm.

Prüfend sah der Cop auf die Dokumente. »Können Sie mir erklären, wie es dazu kam, dass die ganze Front Ihres Porsches demoliert wurde, Mr Hillot?«

Verdammt, wie komme ich aus der Sache wieder raus? »Sir, es tut mir leid, aber ich kann mich nicht …«

»Mr Hill hat das Recht auf einen Anwalt!«, unterbrach mich jemand.

Willow?

Jona hielt sie zurück, doch er ließ von ihr ab, als er realisierte, dass sie recht hatte.

Sie fasste nach meinem Handgelenk, raschelte dabei an meinen vielen Armbändern und zog mich ein Stück zurück. »Wir warten, bis der Anwalt von Mr Hill hier ist«, erklärte das sonst zurückhaltende Mäuschen dem Polizisten mit kraftvoller Stimme.

Dieser sah zu seinem Kollegen, nickte und die beiden Bullen zogen sich zum 911er in die Einfahrt zurück.

»Was, verflucht, hast du angestellt?«, wollte Luke als Erstes wissen. Gefolgt von Jona, der mich anknurrte: »Bist du komplett verrückt? Wie kannst du in deinem Zustand noch Auto fahren?«

Wütend stieß ich ihn zurück. »Mir ging es gut!«

»Hört auf! Das bringt doch nichts!«, erklärte Willow, die noch immer ihre Finger wie ein weiteres Armband um mein Handgelenk gelegt hatte.

»Ich habe keine Ahnung, was passiert ist!«, flüsterte ich und starrte auf den Boden. »Ich denke, ich hatte einen Filmriss.«

»Wenn du ihnen das sagst, buchten sie dich sofort ein«, merkte Willow an und bekam Unterstützung von ihren schwanzwedelnden Vierbeinern, die mich freudig abschleckten. Sie löste sich und säuselte ihnen ähnlich beruhigende Worte wie mir zu, während sie ihre Köpfe tätschelte.

»Nein! Ich hatte zwei Bier. Sonst nichts.« Der Arzt hatte gemeint, dass ich von den Tabletten maximal zwei Stück pro Tag nehmen dürfe. Zwar hatte ich doppelt so viele eingeworfen, doch niemals konnte das der Grund für meinen Filmriss gewesen sein. Oder etwa doch?

Olivia erzeugte in ihren High Heels ein Klacken auf der Marmorstiege. »Babe, was für eine Aufregung. Nur wegen der paar Kratzer am Auto?«, seufzte sie und strich ihr schulterlanges dunkles Haar zurück. Ohne die angeklebten Wimpern sahen ihre Augen winzig aus. Sie hatte unreine Haut, die sie nur mit Tonnen an Make-up verstecken konnte. Normalerweise verließ sie das Zimmer niemals ungeschminkt.

»Die gesamte Front ist demoliert«, erklärte Jona schmallippig, als sie in ihrer Tasche etwas zu suchen begann. Sie holte ihr Handy hervor und winkte damit vor Jonas Gesicht herum. »Was du nicht sagst! Hab alles gefilmt. Benötigt ihr Beweise?«

Die Augen von Luke und Jona weiteten sich und wanderten zeitgleich zu mir.

Das hier war ein Albtraum. Es konnte nicht schlimmer werden.

Luke versuchte sich das Handy zu schnappen, doch Olivia war schneller und steckte es zurück in ihre Tasche.

»Was willst du dafür?«, schlussfolgerte unser Manager angepisst.

Sie spitzte ihre Lippen und tippte mit dem Zeigefinger auf Jonas Brust. »Erst mal siehst du mich nicht mehr so an, als wäre ich ein Insekt, was du eliminieren willst!« Sie kniff die Augen zusammen. »Den Rest überlege ich mir noch.« Dabei lehnte sie sich zu mir und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. »Leihst du mir eines deiner verdunkelten Autos? Das nächste Mal, wenn ich bei dir übernachte, wäre es schön, wenn eine Visagistin mein Make-up machen könnte.«

Ich nickte Luke zu, der sich um Olivia kümmerte. Mit ein paar Luftküssen verschwand sie und winkte den Polizisten zu.

»Alex, du dämlicher Idiot!«, knurrte Jona mit gedämpfter Stimme, sodass uns die Beamten nicht hören konnten.

Er stellte sich breitbeinig mit verschränkten Armen vor mich. »Möchtest du uns vielleicht erzählen, was gestern Abend passiert ist?«

Ächzend rieb ich über meine Schläfen. »Ich habe anscheinend einen Zaun demoliert«, flüsterte ich und suchte weiter nach Erinnerungen.

»Solange es nur ein Zaun war …« Luke seufzte und kam wieder zu uns.

Mit zittrigen Fingern fischte ich mir eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an.

»Einer unserer Anwälte ist gleich hier. Bis dahin schweigst du, so wie Willow es empfohlen hat.«

Was für eine verfluchte Scheiße. Erschöpft sank ich auf einem Polstersessel nieder. Ächzend lehnte ich mich zurück und vergrub den Kopf in den Händen. Jemand berührte meine Schulter. Als ich aufsah, blickte ich in zwei grüne Augen. Willows rote Locken purzelten ihr ins Gesicht und versperrten mir die Sicht. Sofort strich sie die Tonnen an Haar zurück und lächelte mich an. »Geht’s dir gut?«

Sie war die Erste, die das wissen wollte. Alle anderen interessierte bloß das Auto und die drohende schlechte Publicity. Doch ich traute ihr nicht.

Zischend sah ich erst sie, dann Jona an und verzog meinen Mund abfällig. Wir kannten uns mehr oder weniger seit ein paar Monaten. Sich als mitfühlende Freundin auszugeben, kaufte ich ihr nicht ab.

»Willow möchte dir helfen, also sei kein Arsch«, ermahnte mich Jona.

Gott, war er ein Sensibelchen.

»Sie ist eingeschritten, bevor du den Polizisten gesagt hast, dass du keine Erinnerung mehr an die gestrige Nacht hast. Das hat dir den Arsch gerettet.«

»Im Zweifelsfall ist es besser, nichts zu sagen. Die Beamten nehmen sofort deine Aussage auf, die sie im Fall einer Anklage gegen dich verwenden können«, erklärte Willow neunmalklug.

Luke lief hektisch vor mir auf und ab. »Scheiße, genau jetzt vor den Grammys. Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, du hast Fahrerflucht begangen. Das ist kein Kavaliersdelikt!«

»Ist es schlimmer als Jonas öffentliches Fremdgehen?«, ulkte ich, doch niemand lachte.

»Vergleich das nicht mit dem Scheiß, den du gerade gebaut hast!«

Eine verschlafene Sky schlich die Stufen hinunter. Sie trug einen Bademantel und ein paar trendige Birkenstocks. »Was ist denn hier los?«

»Alex hatte mit dem 911er einen Unfall und keine Ahnung, wie das passiert ist!«, klärte Luke sie auf. Entsetzt sah sie zu mir. »Und Olivia hat alles gefilmt!«, ergänzte er. Seine Stimme klang aufgekratzt, als würde er Gefallen daran finden.

Jemand betätigte die Klingel. Apple und Pie bellten lautstark. Jona und Willows Köter nervten gewaltig, denn sie meldeten jeden winzigen Furz. Eilig sprang ich auf und stellte mich neben meine Serienpartnerin. Hinter dem Einfahrtstor, das so gut wie möglich mit einem Sichtschutz umgeben war, sah man die Blitzlichter der Paparazzi. Sie hatten mitbekommen, dass die Polizei in unserer Einfahrt stand.

»So ein Mist!«, murmelte ich. Der Stress löste einen neuerlichen Anfall aus. Ich roch die Angst, die sich aus jeder Pore meines Körpers drückte, und ich schmeckte Blut, als ich fest auf meine Lippe biss. Mir war kotzübel. Die Lider begannen zu zucken. Alles drehte sich und der Ton in meinen Ohren wurde lauter und lauter.

»Alex?«, formten Jonas Lippen tonlos.

Langsam öffnete ich die Augen. Jonas Gesicht kam meinem näher. Plötzlich kehrte auch seine Stimme zurück. »Bruder, du musst mir sagen, was los ist. Sonst können wir dir nicht helfen.« Seine Haare waren gerade so lang, dass er die Strähnen hinter sein Ohr wischen konnte. Schon seit Jahren klebte an ihm das Image eines Surfboys. Selbst im Winter wirkten seine Haare von der Sonne ausgebleicht. Und dennoch war er eindeutig der Vernünftigere von uns beiden. Schon damals im Kinderheim, als wir Mr Quinn, dem Heimleiter, mit unseren Streichen graue Haare beschert hatten. Oft hatten wir vergnügt miteinander gerangelt – wie die zwei jungen Hunde, die er von der Straße gerettet hatte. Für einen Moment sah ich ihnen zu und wünschte mir die Zeit mit Jona zurück, in der wir nicht ständig von allen Menschen verfolgt worden waren. Heute können wir nicht mal die Tür öffnen, ohne von einem Paparazzo abgelichtet zu werden. Die letzten Jahre hatten wir drei uns immer mehr in die Villa eingegraben, unsere Folgen gedreht und die Millionen von Fans mit inszenierten Drehbüchern bespaßt. Wir waren zu kleinen Äffchen im Zoo mutiert, die man ständig filmte. Um Jonas Austritt aus Nashcon zu verhindern, hatte Luke sogar die vielen Kameras im Haus abmontieren lassen. Ein kleiner Teilerfolg, dessen Ursprung ich ausnahmsweise dem roten Anwältinnen-Lockenkopf zuschreiben musste. Doch damit war es nicht genug gewesen. Immer häufiger hatte sich Jona Drehpausen eingeräumt, um mit Willow und ihren zwei Mischlingen in ihr Liebesnest nach Cherrylane zu fahren. Mittlerweile waren es halbwüchsige Quälgeister, die sich immer wieder heimlich in mein Zimmer schlichen und mutwillig auf meinen Verstärkerkabeln herumbissen.

»Ich habe weder zu viel getrunken noch Drogen genommen. Glaubt es oder lasst es bleiben!« Die Medikamente ließ ich dabei außen vor, bevor ich nicht mit meinem Arzt darüber gesprochen hatte. Zornig sprang ich auf und schob mich an Jona vorbei.

Die weiß-schwarz gescheckte Hundedame dachte, ich wollte mit ihr spielen, und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz.

»Nicht jetzt, Apple!«, wiesen Willow und Jona sie synchron zurecht.

Die beiden folgten kein bisschen und hüpften mir begeistert nach.

»Pie! Hiergeblieben.«

Wer gab seinen Hunden solche dämlichen Namen und seit wann durfte man Tiere mit in die Villa nehmen? Jona ließ all unsere Prinzipien fallen, denn bevor Willow aufgetaucht war, war dies eine tierfreie Zone gewesen. Es hatte nie nach feuchtem Fell gestunken, man war nie auf dem überfluteten Boden in der Küche ausgerutscht und es hatte auch kein Sabber auf den Polstermöbeln geklebt. Die rothaarige Beauty hatte meinen besten Freund in einen liebeskranken Schmusebär verhext.

Ich riss die Tür auf, nahm Apple den Ball ab und schoss ihn direkt zu den Paparazzi. Man hörte ihn aufpoppen – gefolgt von den beunruhigten Stimmen der Fotografen vor der Tür, die sich durch das näher kommende Gebell bedroht fühlten. Recht so!

Die zwei Polizisten, die meine Aktion beobachtet hatten, hatte ich komplett vergessen. Noch immer kreisten sie um meinen 911er und dokumentierten die Schrammen. Zum Teufel, was war gestern passiert? Der gesamte Lack an der Front war abgekratzt. Tiefe Rillen durchfurchten den perfekten Schwung der Schürze.

Die Seitentür des Grundstücks öffnete sich und einer unserer Assistenten führte den Anwalt auf das Anwesen: Mr Dewill, ein älterer Herr, dem es offensichtlich schwerfiel, dem energischen Schritt unseres Mitarbeiters zu folgen. Keuchend blieb er vor mir stehen. Luke begrüßte ihn, schilderte ihm kurz die Einzelheiten, die ich auch zum ersten Mal hörte. Dann wandte er sich mir zu.

»Die Beamten wollen bestimmt einen Drogentest durchführen, Mr Hillot«, erklärte der Anwalt. »Sie haben doch keine Drogen genommen, oder?«

»Hill!«, knurrte ich und blickte in die verdutzten Augen meines Verteidigers. »Ich möchte Hill genannt werden und ich habe bloß verschreibungspflichtige Medikamente eingenommen, für die ich ein Rezept habe.« Hab es aber falsch dosiert, weil die Wirkung ausgeblieben ist und mein Kopf gedroht hat zu zerplatzen. Ein Detail, das ich verschwieg. Würde man es im Blut feststellen können?

»Gut, das Rezept benötige ich. Ich werde meine Kontakte spielen lassen, damit wir einen Drogentest vermeiden, jedoch müssen Sie mit den Beamten auf die Polizeistation fahren. Sie werden bitte jegliche Aussage verweigern.«

Leicht hysterisch lachte ich auf. »Was sollte ich ihnen sagen, wenn ich keine Ahnung von gestern habe?« Noch im Satz biss ich mir auf die Lippen, da sich einer der Beamten zu uns gesellt hatte.

»Sie müssen mit uns auf die Wache.« Der Cop nickte zu seinem Streifenfahrzeug und stemmte seine Hände in die Hüften. »Vorschrift, Mr Hillot.«

»Vor der Tür stehen ein Dutzend Paparazzi, denen diese Fotos eine Menge Geld bringen werden.«

»Tut mir leid, Mr Hillo…«

»Hill! Ich heiße Hill!«, fluchte ich.

Er sah auf meinen Führerschein und zog eine Braue hoch, denn dort standen zwei verfluchte Buchstaben mehr. Je öfter ich den Namen meines Vaters hörte, desto mehr bekam ich den Eindruck, dasselbe Monster wie er zu sein. Die Polizei hatte uns damals nicht nur einmal aufgesucht.

»Wir gehen mit den Hunden direkt an ihnen vorbei. Das lenkt sie ab!», erklärte Willow plötzlich entschlossen, fischte die Leinen von der Anrichte und winkte Jona zu sich.

Warum half sie mir ständig? Seitdem ich sie kannte, verhielt ich mich wie ein richtiges Arschloch.

Jona sah kritisch zu mir. Ich wusste, was in seinem Kopf vorging. Er wollte Willow vor den ganzen Paparazzi beschützen, nachdem, was ihr vor einigen Wochen passiert war. Die Klatschblätter waren damals voll mit Bildern der beiden gewesen, wie sie in einem Pub ein paar gemeinsame Stunden verbrachten. Sie hatten Willows Herkunft und ihre Person in den Dreck gezogen. Es war nicht leicht für sie gewesen. Umso erstaunlicher fand ich es, dass sie sich direkt den Löwen zum Fraß hingab.

»Ich komme mit«, erklärte Sky, die sich mittlerweile eine Jogginghose und einen Pullover angezogen hatte. »Lassen wir sie an der Wiedervereinigung teilhaben.« Jo, Willow und Sky als Einheit zu erleben, würde für Schlagzeilen sorgen – und vor allem wären die Paparazzi abgelenkt.

»Das könnte funktionieren«, meinte Luke.

Jona fasste nach Willows Arm. »Bist du dir sicher? Wenn wir dort rausgehen, ist gleich die Hölle los. Die Presse wird alles Mögliche über uns abdrucken.«

»Alex braucht unsere Hilfe. Wie sonst können wir die Paparazzi ablenken?«, fragte sie in die Runde.

Er schien alles andere als begeistert zu sein. Es widerstrebte ihm, seine Freundin der Meute zum Fraß vorzuwerfen, bloß um mich zu schützen.

»Bring das wieder in Ordnung!«, schnauzte er mich an und folgte Willow.

2 – Gini

Eine Woche später

»Wenn uns die Krankenschwester erwischt, sage ich, dass alles dein Plan war«, meinte ich kichernd und hüpfte zu Alex’ Song Careless durch die Gegend. Mit dem Lied heizte er der Menge jedes Mal als Zugabe ein. Die Stimmung übertrug sich selbst über die Aufzeichnung, die mir Willow zugeschickt hatte. Zyan stoppte und drückte meine Hände fest mit seinen zusammen. Keuchend hielt er inne. Das Krankenbett, das wir zu einem Trampolin umfunktioniert hatten, wackelte. Vergnügt prustete ich los und tippte auf seine Nase. »Keine Sorge, ich nehme die ganze Schuld auf mich«, beruhigte ich ihn.

Erleichtert atmete der Achtjährige auf und setzte mit mir im Takt der Musik wieder ein. Einer der Kopfhörer steckte in seinem Ohr, der andere befand sich in meinem. Alex Hill schaffte es, all die Verspannungen der letzten Arbeitswoche mit seiner genialen Stimme aufzulösen. Vergnügt hopste ich weiter und hielt Zyans Hand, um sicherzugehen, dass er nicht die Balance verlor. Mit meinem kleinen Freund um die Wette zu hüpfen war nichts, das sie in der Grundausbildung für den Umgang mit Unfallopfern trainierten. Doch der Junge kicherte, wie er es die ganzen letzten Monate kein einziges Mal getan hatte, und sang lautstark mit. Kurzerhand hatte ich die Wasserflasche zum Mikrofon umgebaut.

Zyan tastete zu seinen Füßen und sackte lachend in sein Bett zurück. »Ich kann nicht mehr!« Sein Brustkorb hob und senkte sich mindestens genauso schnell wie meiner.

Im Augenwinkel bemerkte ich, wie jemand die Tür aufriss und einen Schrei losließ. Lorelei, alias Frau Oberkrankenschwester und Spielverderberin, stürmte zur Tür hinein und sah mich auf dem Bett stehen.

»Gini! Um Himmels willen! Was tust du da?«

»Gini wollte mir zeigen, wie sich Alex Hill auf der Bühne bewegt hat. Sie war auf seinem Konzert. Krass, oder?«

»Megakrass!«, antwortete Lorelei schmallippig und versuchte mich vom Bett zu zerren. Zyan verzog den Mund, als sich die Fünfzigjährige in Jugendsprache versuchte. »Das hier ist ein Krankenbett, keine Bühne!«

Seufzend hüpfte ich hinunter und drückte die Pausetaste am Handy. Schnell fischte ich den Ohrstöpsel raus.

»Du bist hier, um Zyan zu beschäftigen. Ihr könntet zum Beispiel Blindenschrift üben oder mit Knetmasse spielen. Um seine Gymnastik kümmert sich das Fachpersonal.«

Ich gähnte lautstark, damit Zyan meine Reaktion hörte. Lorelei funkelte mich wütend an. Es ihr recht zu machen, war eine Sache der Unmöglichkeit. Hauptsache, mein kleiner Freund war happy.

»Ich habe keine Lust, Blindenschrift zu üben, denn bald schon kann ich wieder alles erkennen.«

»So ist es!«, stimmte ich ihm zu. Bislang wusste keiner der Ärzte, ob Zyans Augenlicht betroffen war.

Lorelei sah vorwurfsvoll zu mir. Der Blick bedeutete so viel wie: Du setzt dem Jungen schon wieder Flausen in den Kopf!

»Wenn dich das alles hier langweilt, solltest du nicht mehr herkommen«, maßregelte sie mich. »Und was dich betrifft, Zyan, solltest du dir keine allzu großen Hoffnungen machen.« Hat sie das gerade laut gesagt?