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Der Herr der Unterwelt entfesselt seine Rache und nur ein Mädchen ohne Vergangenheit und ohne magische Kräfte kann ihn aufhalten. Zurück in der Menschenwelt, müssen Tamsin und ihre Freundinnen sich dem stellen, was sie über alle Anderswelten gebracht haben: Lord Death ist seinem Gefängnis entkommen und die Zerstörung Avalons war erst der Anfang. Doch er möchte mehr als nur Rache ? die Wilde Jagd sucht etwas für ihn und hinterlässt überall eine blutige Schneise der Zerstörung. Um Lord Death aufzuhalten, müssen Tamsin und ihre Freundinnen den legendären Spiegel der Bestien finden. Dabei ist ihr Zusammenhalt wichtiger denn je. Und sie brauchen ausgerechnet die Hilfe des Jungen, der Tamsins Vertrauen missbraucht und ihr Herz gebrochen hat … Der krönende Abschluss der New-York-Times-Bestseller-Dilogie von Alexandra Bracken, voller Action, Twists und Herzschmerz. Weitere Bücher von Alexandra Bracken: Silver in the Bone. Brich den Fluch, bevor der Fluch dich bricht (Die Hollower-Saga 1) LORE. Die Spiele haben begonnen. Sie kämpft um ihr Leben
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Seitenzahl: 723
Veröffentlichungsjahr: 2024
Alexandra Bracken
The Mirror of Beasts
Weitere Bücher von Alexandra Bracken , im Arena Verlag:
Silver in the Bone (Die Hollower-Saga 1)
Lore. Die Spiele haben begonnen. Sie kämpft um ihr Leben
Alexandra Bracken
ist in Arizona geboren und aufgewachsen, wo sie heute auch wieder mit ihrem Hund Tennyson lebt. Nach einem Studium in Geschichte und Englisch und einem Job im Verlagswesen schreibt sie inzwischen in Vollzeit. Sie ist unter anderem bekannt für ihre Reihe » The Darkest Minds «, die verfilmt wurde. Mit » LORE « eroberte sie zuletzt die Spiegel- Bestsellerlisten . Besuche die Autorin unter www.alexandrabracken.com und auf Instagram unter @alexbracken.
Sabine Schilasky
hat Anglistik, Amerikanistik und Germanistik studiert und ist seit über zwanzig Jahren mit großer Begeisterung freie Übersetzerin. Sie hat drei mittlerweile erwachsene Kinder und lebt mit Mann, Hund und Katze in Hamburg. Neben dem Übersetzen kocht und backt sie leidenschaftlich gern und weiß zu schätzen, dass ihr Hund sie regelmäßig vor die Tür scheucht.
Für LD
Möge dein Leben voller Magie und Wunder sein
Ein Verlag in der Westermann Gruppe
Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel » The Mirror of Beasts « bei Alfred A. Knopf, ein Imprint von Random House Children’s Books , New York.
1. Auflage 2024
© 2024 Arena Verlag GmbH
Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Der Verlag behält sich eine Nutzung des Werkes für
Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die
Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover
Published by Arrangement with Alexandra Cayley Bracken
Aus dem Amerikanischen von Sabine Schilasky
Text: Alexandra Bracken
Lektorat: Laura Held
Illustration Schutzumschlag: Tomasz Majewski
Gestaltung Schutzumschlag: Liz Dresner
Umschlaggestaltung Pappband: Carolin Liepins unter Verwendung von Motiven von © Shutterstock (© amadorgs, © Ivan Smuk, © Eyes wide , © Stone background , © Prokrida, © Bokeh Blur Background , © Taigi, © Korionov, © Philipp Tur, © HWWO Stock, © allme3d)
Innenillustrationen: shutterstock.com (© Murhena, © Niko28)
Layout und Satz: Malte Ritter, Berlin
e-ISBN 978-3-401-82079-9
ISBN 978-3-401-60737-5
Besuche den Arena Verlag im Netz:
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@arena_verlag
HINWEIS
Diese Geschichte enthält Szenen mit expliziten Gewaltdarstellungen und andere sensible Inhalte. Weiteres dazu findest du am Ende des Buches.
Achtung: Diese Hinweise enthalten Spoiler !
Wir wünschen dir das bestmögliche Leseerlebnis.
Caitriona – Einst auserwählt, die neue Hohepriesterin zu werden, war Caitriona de facto die Anführerin von Avalon, bis es zerstört wurde. Sie tut sich schwer mit der modernen Welt.
NeveGoode – Eine fröhliche, liebevolle, selbst ausgebildete Zauberin, die nach Informationen über ihre Herkunft und ihre mysteriösen Kräfte sucht.
TamsinLark – Als Kind in die Welt der Hollower geworfen, besitzt Tamsin keine angeborenen magischen Fähigkeiten, dafür aber ein fotografisches Gedächtnis und einen guten Geschäftssinn. Sie ist entschlossen, ihren Bruder von Lord Deaths Einfluss zu befreien.
Olwen – Halb Wassernymphe und frühere Heilerin von Avalon, die darum kämpft, ihre Freundinnen zusammenzuhalten, als sich die Dunkelheit über sie senkt.
EmrysDye – Spross der Dye -Dynastie, welche die nordamerikanische Gilde gründeten. Unvorstellbar reich, enervierend charmant und ein Cunningfolk -Grünheiler. Er ist Tamsins Hauptrivale innerhalb der Gilde und genießt es, sie zu provozieren und mit ihr zu flirten.
NashburyLark –Tamsins und Cabells Vormund. Gleichermaßen verschrien bei den Hollowern und den Zauberinnen; bekannt für seine Alleingänge und als Geschichtenerzähler.
HectorLeer – Ein Kumpan von Septimus und Endymion .
EdwardWyrm – Leiter der Londoner Gilde in RivenoakManor .
SeptimusYarrow – Ein berüchtigter Hollower , der in Avalon getötet wurde und vor allem dafür bekannt ist, Herakles’ Keule gefunden zu haben.
Acacia – Eine der Zauberinnen, die Tamsin , Neve , Caitriona und Olwen gefangen nahmen; von Natur aus grausam.
Hemlock – Eine Zauberin, die Tamsin im Dead Man’s Rest kennenlernt.
Hestia – Eine der Zauberinnen, die Tamsin und die anderen mit Acacia zusammen gefangen nahmen.
Isolde – Eine schreckhafte Zauberin, die der Hohezauberin Kasumi dient.
Kasumi – Die Hohezauberin des Schwesternrats.
Madrigal – Eine mysteriöse Älteste, bekannt für ihre tödlichen Dinnerpartys . Sie heuerte Emrys und Tamsin an, den Ring der Zerstörung zu suchen.
Morgana – Führte die Priesterinnen an, die sich gegen die Druiden erhoben und später verbannt wurden. Halbschwester von König Artus und Geliebte von Viviane .
Robin – Eine non-binäre Person, die für sich den Begriff »Mage« verwendet; arbeitet im Archiv des Schwesternrats.
Lord Death – Nachdem er sich erst als Ritter Bedivere ausgab und nun König Artus’ Körper beherrscht, hat Lord Death die Sterblichenwelt betreten, um sich an den Zauberinnen zu rächen.
EndymionDye –Emrys’ kalter, herrischer Vater, der die Gilde einst mit eiserner Hand führte.
CabellLark –Tamsins Bruder; er scheint unter einem Fluch zu leiden, der ihn in einen monströsen Hund verwandelt. Er dient jetzt Lord Death als dessen Seneschall.
Phineas Primm – Ehemaliges Mitglied von Tamsins Gilde.
Bibliothekar – Ein Automat, der sich um die Bibliothek kümmert und ihre vielen Schätze beschützt. Hat eine Schwäche für weiche und flauschige Dinge sowie fürs Staubsaugen.
Bran – Der Púca - Barkeeper im Dead Man’s Rest .
Dearie – Der Púca -Gefährte Madrigals, der als ihr Butler und Vollstrecker zugleich fungiert.
Elaine, die Dame von Shalott – Die Liebeskonkurrentin einer Zauberin, die zeitweise im Spiegel von Shalott gefangen war.
Griflet – Ein kleines Kätzchen, das Mari geschenkt wurde.
Ignatius – Die Totenhand, die Tamsins fehlende Allsicht ersetzt und die außerdem jede verriegelte Tür öffnen kann.
Knochenschneider – Eine rätselhafte Gestalt, die Skelettschlüssel zum Öffnen von Adern und anderes herstellt, wie beispielsweise Basiliskengift.
Merlin – Druide und einstiger Mentor des jungen König Artus. Er hat sich mit dem Mutterbaum verbunden, um einen Kampf mit Morgana zu überleben, und brabbelt den wenigen, die ihm zuzuhören bereit sind, unsinnige Prophezeiungen vor.
Die Moorhexe (oder Rosydd) – Wie ihre Schwester, die Nebelhexe, ist sie eine alte Gottheit, die Pfade zwischen den Anderswelten öffnen kann und dazu neigt, Sterbliche zu essen.
Die Nebelhexe (oder Gwrach-y-rhibyn) – Eine alte Gottheit, die ungehindert die Überwege zwischen den Welten überschreiten kann.
Die Neun von Avalon –Arianwen , Betrys , Caitriona , Fayne ( Flea ), Lowri , Mari , Olwen , Rhona und Seren .
Viviane – Hohepriesterin und die letzte Priesterin aus Artus’ Zeiten, die Jahrhunderte lebte, während sie wartete, dass die neuen Neun berufen wurden.
Greenwich, Connecticut
Sommergewitter vermochten es, die schlummernden Geister des Hauses zu wecken, sie aus den Schatten und durch längst vergessene, abgeschlossene Türen zu locken. Sie lösten sich von den Wänden, so welk wie deren verblasste Seidentapeten. Rieselten wie Staub aus den Laken, die einst funkelnde Kronleuchter und kunstvolles Mobiliar verhüllten. Schloss man die Augen, konnte man sie wie gleitende Bänder um sich herum spüren, die einen in jedem dunklen Korridor begrüßten.
Das Problem mit solch alten Häusern war, fand Emrys, dass sie mit der Zeit Magie, Energie und Dunkelheit absorbierten, bis sie selbst zu lebendigen Dingen wurden.
Sie erlaubten ihren Familien, ihre Gesichter neu zu bemalen, die Knochen ihrer Mauern zu brechen und neu zusammenzusetzen, sie schauten zu, wie Kinder fortgingen und nie zurückkehrten und ertrugen die Entwürdigung, an vermögende Fremde verkauft zu werden. Und die ganze Zeit, während Jahre zu Jahrhunderten wurden und die Häuser blieben, sammelten sie geduldig die Toten ihrer Familien und schluckten die in ihre Seelen gewobene Magie, bevor die Körper auch nur eine Chance hatten, in ihren Betten zu erkalten.
Als Emrys fünf, vielleicht sechs war, kaum alt genug, um zu begreifen, dass der Tod das einzig verlässliche Versprechen des Lebens war, hatte seine Mutter ihm gesagt, er solle mit ihrem Haus sprechen. Es begrüßen, wenn er kam und ging, und es wie einen Freund behandeln, damit es ihn auch wie einen behandelte.
Also tat er es. Hallo, Haus; wiedersehen, Haus; du siehst heute sehr hübsch aus, Haus; guten Morgen, Haus. Schlaf gut, Haus …
Und manchmal, im Nebel extremer Erschöpfung oder nachdem er eine der schimmernden Flaschen in der Hausbar seines Vaters geleert hatte, hätte er schwören können, dass Summerland House ihn erkannte. Ihm antwortete.
Hallo, Junge.
Jedes Mal, wenn das geschah, dachte er nur: Ich darf hier nicht sterben.
Nicht wie die Generationen von Vorfahren, die vor ihm da gewesen waren. Die den Grundstein zu diesem Haus gelegt hatten. Die es zu einem Anwesen ausbauten. Von denen die ersten Reliquien gefunden wurden, die jetzt prachtvoll auf den Fluren ausgestellt waren. Beide Seiten seiner Blutlinie quollen über von Cunningfolk, und er wusste, dass das Haus ihre Magie gierig aufgesaugt hatte, wenn sie ihre Talente erprobten; er fühlte es selbst, wenn er im Garten arbeitete.
Summerland House war nicht nur ein Teil von Emrys’Stammbaum, vielmehr war es der Baum selbst. All ihre Leben wurden in Summerland House hineingeschnitzt – oder entstanden vielmehr aus ihm.
Emrys räusperte sich, als er den schattigen Korridor entlangging und dem Regentrommeln auf dem Dach lauschte. Mit der eindringenden Feuchtigkeit nahm der alte, modrige Geruch zu. Er haftete an den Teppichen und Samtvorhängen und wallte auf, als die Gewitterwolken in der Ferne auftauchten. Der Wind riss an der Seite des Hauses, als wollte er ihm die verrotteten Wurzeln ausreißen. Emrys’Garten wäre morgen früh das reinste Chaos, die Blumenbeete niedergepeitscht und das Gemüse ertrunken.
»n’ Abend, Großmutter«, sagte er, als er an dem Porträt der steifen, wütend dreinblickenden Frau vorbeikam. Emrys duckte sich leicht, um seine regennassen Locken im halbblinden Spiegel neben dem Gemälde zu richten. »Wie ist die Aussicht unten aus der Hölle?«
Beinahe lachte er, als ein Donnerkrachen antwortete.
»Dachte ich mir«, murmelte er. Fast konnte er ihre langen Fingernägel spüren, die sich in seine Ohrläppchen bohrten, damit er still war. »Halt die Ohren steif, alte Schachtel.«
Die Nachricht knisterte in seiner Jackentasche, als er sein Hemd darunter glatt strich. Er hatte sie auf seinem Bett gefunden, nachdem er an dem Spalier hinaufgeklettert war, um in sein Zimmer zu gelangen. Die akkurate Handschrift seines Vaters hatte ihm einen kalten Schauer verursacht. In mein Arbeitszimmer, sobald du deinen Trotzanfall beendet hast.
Trotzanfall.Emrys verzog den Mund.
Nach einem Dinner, bei dem er hatte mit ansehen müssen, wie das Gesicht seiner Mutter vom Weinglas seines Vaters zerschnitten wurde, war er kochend vor Wut aus dem Haus geeilt und herumgefahren, sobald er sie sicher auf ihr Zimmer gebracht hatte. Durch den Ort. Den nächsten. Über die leeren, gewundenen Landstraßen, bis der Himmel in Mitternachtschwarz gehüllt war und ihn die Tankanzeige des Wagens um Gnade anflehte.
Er hatte weggemusst, bevor er dem Haus noch einen Geist für seine Dye-Sammlung zukommen ließ.
Nicht zum ersten Mal hatte Emrys das Ausmaß seiner eigenen Wut Angst eingejagt. Das Wissen, diese Dunkelheit geerbt zu haben, die wie ein Samen in ihm lebte und auf den ersten Tropfen Blut lauerte, um aufzublühen, erdrückte ihn.
Ich bin nicht wie er, sagte Emrys sich, doch die Worte klangen in seinem Kopf ebenso hohl, wie sie sich in seinem Herzen anfühlten. Niemals könnte er die kontrollierte, eisige Fassade wahren, die bei seinem Vater so natürlich schien. Ich bin kein Monster.
Sein Brustkorb zog sich schmerzhaft zusammen, als er abermals sein Aussehen überprüfte.
Die Nachricht war keine Überraschung gewesen. Es war Teil ihrer Routine, und Emrys war klar, was als Nächstes kam: Sein Vater würde mit einem Glas Scotch in seinem Arbeitszimmer grübeln. Emrys würde sich entschuldigen. Sein Vater nicht. Sie würden sich einigen, nie wieder darüber zu sprechen.
Immer so weiter, wie der sich drehende Jahreskreis.
Er wurde langsamer, als er am Wohnflügel seiner Eltern vorbeikam, doch falls seine Mutter noch in ihrem Schlafzimmer verbarrikadiert sein sollte, konnte er sie jedenfalls nicht hören. Regen klatschte gegen die Fenster, wollte so verzweifelt herein wie seine Mutter raus. Keiner von ihnen hatte Erfolg.
An sonnigen Tagen fühlte sich Summerland House wie ein den Errungenschaften seiner Urgroß-Sonst-was gewidmetes Museum an. Das Schwert von Beowulf, stumpf vom Alter. Herakles’ Bogen. Und so weiter. Zahllose Reliquien – gestohlen, eingetauscht und gekauft.
In Nächten wie dieser jedoch, wenn ein kalter Wind durch die Ritzen in den Fensterrahmen drang, wenn keine andere Seele in der Nähe war und die protzigen Wandleuchten selbst die schillerndsten Schätze in schauriges Licht tauchten, kam es Emrys eher wie ein Mausoleum vor.
Der lange Korridor führte zur Marmortreppe in der Eingangshalle. Und rechts neben ihr hüteten die uralten schwarzen Eichentüren das Arbeitszimmer seines Vaters. Die ins Holz eingearbeiteten Spiralmuster aus Kristallen und Eisen besaßen eine ganz eigene dunkle Schönheit, erzählten aber auch von der giftigen Paranoia seines Vaters. Denn um sie herum bildeten Sigillen einen Schutzzauber, undurchdringbar für jeden Uneingeladenen – sterblich oder nicht.
Emrys hatte das Pech, eingeladen zu sein.
Herbeordert wohl eher, korrigierte er sich, als er nach einem der silbernen Türknaufe griff. Die einem knorrigen Ast nachempfundene Form erinnerte ihn augenblicklich an die albernen Anstecker, die sein Vater und dessen Freunde aus den diversen Hollower-Gilden neuerdings trugen. Sie sahen sich als eine Geheimgesellschaft, dabei ließ ihre gebündelte Intelligenz ziemlich zu wünschen übrig. Soweit Emrys es beurteilen konnte, trafen sie sich meistens nur, um darüber zu jammern, dass die Zauberinnen die besten Reliquien horteten.
Auf Emrys’Berührung hin schwang die Tür auf. Er nahm einen ungewöhnlich grünen Duft wahr – frisch, süß und kein bisschen wie das von Tabak und Sandelholz dominierte Eau de Cologne des Vaters, das üblicherweise in diesem Raum hing. Nachdem er ein letztes Mal tief Luft geholt und sich über das unzähmbare Haar gestrichen hatte, trat Emrys ein.
Die Schatten von Summerland House schienen diesen Raum zu lieben, strichen über die Bücher in den Regalen und lagen in den alten, samtbezogenen Sesseln vor dem kalten Marmorkamin.
Heute Abend jedoch war alles, bis auf die Mitte des Raumes, von tiefroten Seidenvorhängen verhüllt.
Ein Kreis aus Kerzen brannte rund um Emrys, deren Flammen den Stoff zum Schimmern brachten. Das Donnergrollen draußen wurde von dem statischen Rauschen, das in Emrys’Ohren anschwoll, und der pulsierenden Furcht übertönt, die seinen Körper erfasste.
Auf dem Fußboden waren ein Kranz aus Stechpalmenzweigen und einer aus Eichenlaub zu einem seltsamen Muster verknotet. Eines, das Emrys vage vertraut schien.
»Was zur Hölle …?« Er trat einen Schritt zurück zur Tür. Aber als er nach dem Türknauf tastete, war dieser verschwunden.
Stoff raschelte, und hinter Emrys bewegte sich die Luft. Sein Puls raste panisch los, als eine Gestalt in einem Kapuzenumhang die Seidenvorhänge teilte und hervortrat, einen langen Zeremoniendolch in den Händen. Eine unheimliche, gänzlich ausdruckslose Holzmaske bedeckte das Gesicht, aber Emrys erkannte den aufrechten Gang ebenso wie den Siegelring am kleinen Finger der linken Hand und den Geruch nach Tabak und Sandelholz.
»Nein …«, entfuhr es Emrys. Der Schock brannte wie Erbrochenes in seiner Kehle. »Dad …«
Es war das Haus, das ihm antwortete, siegesgewiss und gefräßig aus den Schatten.
Lebwohl, Junge.
»Nein, Tamsin. Um deinen zu brechen.«
Während sich Nashs Worte in der Luft auflösten, eilten andere Geräusche herbei, um die leere Stille zu füllen, die sie hinterließen. Ferner Lärm von Autos und Stimmen, die sich endlos durch Bostons alte Straßen bewegten. Musik aus einer nahen Bar flüsterte durch die Wände. Mein Nachbar oben, der auf und ab wanderte, sodass seine Füße einen gedämpften Takt durch die Decke schickten. Alle wetteiferten, das lange Schweigen zwischen uns zu füllen.
Und immer noch konnte ich mich nicht dazu bringen, etwas zu sagen.
»Es ist lange her, ich weiß«, fuhr Nash mit rauer Stimme fort. »Längst mehr als zu lange …«
Was er als Nächstes sagte, ging in dem Rauschen in meinen Ohren unter. Mein wild pochendes Herz schien meinen ganzen Körper durchzuschütteln. Unwillkürlich ballte ich die Faust, und ehe ich mich bremsen und diesen schieren Zorn bändigen konnte, haute ich ihm eine rein.
Nash torkelte leise fluchend zurück.
» Tamsin !«, rief Neve .
Ich schüttelte meine pochende Hand und beobachtete mit grimmiger Zufriedenheit, wie Nash eine Hand auf sein Gesicht presste, um den Blutfluss aus seiner Nase zu stoppen. Er richtete den Knochen mit einem solch abscheulichen Knacken, dass sogar Caitriona zusammenzuckte.
»Na gut«, sagte er, die Stimme gedämpft von seiner Hand. Er zog ein Taschentuch aus seiner Lederjacke und hielt es sich unter die Nase. »Ich schätze, das habe ich verdient. Nicht schlecht übrigens.«
Ich zwang mich, mehrmals tief durchzuatmen. So schnell, wie die Wut gekommen war, verpuffte sie auch wieder, und das Gefühl, das an ihrer Stelle aufwallte, war so nutzlos wie unerwünscht.
Als kleines Mädchen hatte ich Stunden in der Bibliothek unserer Hollower -Gilde zwischen den weniger gefragten Regalen mit baltischen Legenden und unvollständigen Unvergänglichkeiten verbracht und mir einen Glaskasten angeschaut, den alle anderen anscheinend vergessen hatten oder der ihnen egal war.
Das Licht über dem polierten Bernsteinstück darin sandte verlockende warme Wellen über die dunklen Regale. In der kristallenen Tiefe waren eine Spinne und ein Skorpion ineinander verschlungen, erstarrt in ihrem Kampf um die Vorherrschaft. Perfekt erhalten durch denselben Harztropfen, der sie tötete.
Der Bernstein hätte auch ein Fenster sein können, durch das die Vergangenheit in die Gegenwart und die Gegenwart in die Vergangenheit blickte. Es war beängstigend und schön zugleich – erzählte eine Geschichte und war doch mehr als das. Ein Ausschnitt der Zeit selbst.
Früher dachte ich, mein Gedächtnis wäre wie Bernstein, das jeden Moment einfing und ihn quälend detailliert aufbewahrte. Doch beim Anblick meines einstmaligen Vormunds, von dem ich so sicher gewesen war, dass er meinen Bruder und mich sieben Jahre zuvor als Kinder verlassen hatte, stellte ich es infrage.
Wie ich alles infrage zu stellen begann.
Nash sah zwanzig Jahre jünger aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. Bevor ich ihn geschlagen hatte, hatte ich bemerkt, dass seine Nase wieder gerade war, als wäre sie nie bei einer Kneipenschlägerei gebrochen worden, von den drei anderen ganz zu schweigen. Und sein Gesichtsausdruck war so ernst … keine Spur von dem rücksichtlosen Abenteurer, kein verschlagenes Grinsen oder lügende Augen.
Vielleicht tat ich aber, was ich ihm immer vorgeworfen hatte: Ich mythologisierte den Mann, um eine bessere Geschichte erzählen zu können.
» Tamsy ?«, fragte er stirnrunzelnd. »Hast du gehört, was ich über den Fluch gesagt habe?«
Die Erschöpfung packte mich. Ich öffnete den Mund, aber die einzigen Worte, die mir durch den Kopf gingen, waren jene, die er gesagt hatte. Nein, Tamsin. Um deinen zu brechen.
»Du glaubst mir nicht. Das sehe ich dir an.« Er blickte zur Tür, weil ihn kurz abzulenken schien, wie sie vom auffrischenden Wind gerüttelt wurde. »Aber du musst mir gut zuhören – richtig zuhören – und ausnahmsweise einmal tun, was ich dir sage, denn wie der Frühling bist du verflucht, jung zu sterben.«
»Na und?«, platzte es aus mir heraus.
Die anderen schauten mich entsetzt an. Fast wünschte ich mir, ich würde genauso empfinden – überhaupt irgendetwas empfinden. Stattdessen überkam mich eine geradezu wohltuende Taubheit, als hätte ich es von jeher gewusst. Was ich eventuell auch hatte. Leute wie ich … uns waren keine langen Leben und Happy Ends bestimmt.
»Was im Namen der heiligen Mutter redest du denn da?«, sagte Olwen streng. »Wer soll sie denn so verflucht haben?«
»War es die Weiße Dame?«, fragte Neve .
Der einem Bluterguss ähnliche Fleck auf meiner Brust, direkt über meinem Herzen, wurde eiskalt und brannte in der warmen Haut drum herum. Mein Puls fing an, einen anderen Rhythmus zu trommeln als das pochende Mal. Wie ein Ruf und die Antwort auf ihn. Alle Härchen an meinem Körper richteten sich auf, als die Sekunden in beklemmender Stille verstrichen.
Nash machte einen Schritt auf mich zu, sodass mir ein Geruch von feuchter Erde, Gras und Leder entgegenkam. »Nein, Tamsy wurde damit geboren. Aber die Magie des Fluchs hat den Geist …«
Etwas bewegte sich so schnell nach vorne, dass ich zurückstolperte. Ein Aufblitzen von silbernem Haar – und von einer silbernen Klinge.
Caitriona stürzte sich auf Nash und nutzte den Schwung ihrer Bewegung, um ihn gegen die Wohnungstür zu schmettern. Hut und Taschentuch fielen ihm aus den Händen und landeten auf dem fadenscheinigen Läufer. Olwen stieß einen leisen Schrei aus, beide Hände auf ihren Mund gepresst, als Caitriona eines meiner Küchenmesser an Nashs entblößten Hals hielt. Mit dem anderen Arm hielt sie ihn an Ort und Stelle.
»Wer bist du?«, fragte Caitriona . Die Messerklinge verursachte ein schwaches Blutrinnsal in Nashs glatt rasierter Haut.
Panik durchfuhr mich, als mir ihre Worte klar wurden und meinen Verstand elektrisierten.
Er ist es nicht.
Wir hatten seine Leiche in Avalon gefunden. Sosehr ich mir wünschte, die letzten Stunden wären ein langer, endloser Albtraum gewesen, waren sie das nicht. Ich konnte mich in vielem selbst belügen, nicht jedoch hierbei. Nash war tot.
»Wer bist du?«, wiederholte Caitriona knurrend. »Es gibt viele Kreaturen, die das Gesicht anderer tragen können. Alle Täuscher der übelsten Sorte.«
Der Mann starrte mich mit einem vertrauten Ausdruck von Empörung, Verdruss und Amüsiertheit an. Die Luft brannte in meiner Lunge und flehte, herauszudürfen.
»Wer?«, fragte Caitriona wieder.
Seine Antwort bestand darin, dass er seine Haltung veränderte, sein Bein zwischen Caitrionas hakte und gleichzeitig eine Handfläche heftig gegen ihren Solarplexus knallte. Sie ächzte vor Schreck und Wut, doch sein Fuß war hinter ihr Knie gehakt, und sie fiel bereits, ehe irgendeine von uns herbeispringen konnte, um sie aufzufangen.
» Cait !« Olwen wollte sich neben sie knien, aber ich fing sie am Arm ab.
Der Mann bückte sich, um das Messer aufzuheben, und seine Mundwinkel bogen sich ein wenig, als er ein Schmunzeln unterdrückte.
»Alles, wozu diese Klinge gut ist, ist, als Zahnstocher zu dienen oder Toast zu schmieren, Täubchen«, sagte er.
»Leg das Messer hin und geh weg von ihr.« Noch nie hatte ich Neve so eisig gehört wie jetzt. Und ihre Züge waren hart vor Wut. »Rühr sie noch einmal an, und du wirst Hände anstelle von Füßen und Füße anstelle von Händen haben.«
Dank Magie oder schlicht einem komischen Glücksfall hatte ihr Zauberstab die Zerstörung Avalons überlebt – was ich völlig vergessen hatte, bis ich sah, wie sie in die Tasche an ihrer Hüfte griff und ihn hervorzog. Nash – oder Nicht- Nash – starrte erst die auf ihn gerichtete Spitze des Stabs an und blickte dann mit hochgezogenen buschigen Augenbrauen zu mir.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich dich mal mit einer Zauberin herumtollen sehe, Tamsy .«
»Mach ruhig weiter«, sagte Neve . »Dein Gesicht wird nur besser, wenn wir Mund und Nase vertauschen.«
Der Mann neigte den Kopf zur Seite, als versuchte er, es sich auszumalen. Er tat aber, was ihm gesagt wurde, legte das Messer auf den Boden und kickte es in Reichweite von Caitriona .
»Bist du aus Avalon?«, fragte er Caitriona . »Bist du der Grund, warum es sich wieder mit unserer Welt vereint hat?«
Die Worte waren wie ein Würgegriff an meinem Hals. Die anderen wichen vor dem Vorwurf zurück – dabei war es unser aller Schuld. Wir hatten das Ritual durchgeführt, weil wir glaubten, es würde die Anderswelt heilen und von einem Fluch befreien; dabei hatte es nur bewirkt, dass sie wieder in unsere Welt katapultiert wurde. Die Kollision der Insel mit dem modernen Glastonbury hatte ein Ausmaß an Tod und Zerstörung hervorgerufen, über das ich nicht nachdenken konnte, ohne mir das Gesicht zerkratzen zu wollen.
Du wolltest nicht, dass das passiert, redete ich mir ein. Keine von uns wollte das.
Es war ein Fehler. Ein furchtbarer, schrecklicher Fehler. Ich konnte es jedoch so sachlich erklären, wie ich wollte, es änderte nichts daran, dass mir speiübel vor Entsetzen bei dem Gedanken an das wurde, was wir getan hatten.
» Tamsy …«, hob er wieder an.
»Nicht«, sagte ich an dem Kloß in meinem Hals vorbei. »Nenn mich nicht so.«
»So habe ich dich immer genannt«, entgegnete er. »Seit du nichts als ein kleiner Zwerg warst. Das erste Mal hast du mir gegen das Schienbein getreten und mich einen Vollidioten geschimpft. Das war eine Weile lang deine Lieblingsbeleidigung.«
Mein Bauch verkrampfte sich. Die anderen sahen mich an. Sie versuchten, die Wahrheit an meinem Gesicht abzulesen.
Endlich stand Caitriona wieder auf, zog sich zu uns zurück und blickte sich nach einer anderen Waffe um.
»Wie …?«, flüsterte ich. Wie kannst du am Leben sein?
Ein tiefes Donnergrollen schien Nash zu beunruhigen. Er kehrte zur Tür zurück und spannte sich sichtlich an, als er durch den Spion sah. Was für ein Gewitter da auch aufziehen mochte, es legte spürbar zu. Als er sich wieder zu mir umdrehte, hatte er denselben Gesichtsausdruck wie vorhin, als ich die Tür öffnete.
»Hast du den Ring in Avalon gefunden?«, fragte Nash , als hätte ich gar nichts gesagt.
»Ja, aber …«, begann Olwen .
» Cabell brauchte den Ring, nicht ich«, flüsterte ich. Das war das Unverzeihlichste von allem. Hätte ich den Ring bei Cabell benutzen können …
Der Gedanke an meinen Bruder, den einzigen Menschen, der mein Gedankenchaos verstehen würde, der mir helfen könnte, es zu entwirren, war wie ein Messerstich in den Bauch.
» Cabell ist nicht mehr zu helfen«, sagte Nash . Es klang so abfällig, dass mir schlecht wurde.
»Woher willst du das wissen?«, fauchte ich. »Dir ist er doch egal, du hast ja nicht mal gefragt hast, wo er ist!«
»Denkst du ernsthaft, ich weiß nicht, warum er nicht hier ist? Glaubst du echt, ich weiß nicht, was ihr auf diese Welt losgelassen habt?« Nash schüttelte den Kopf und atmete scharf aus. »Wo ist der Ring jetzt?«
»Er ist …« Neve sah mich an, als wäre sie unsicher, ob sie es sagen durfte. Als ich nicht reagierte, sprach sie weiter: » EmrysDye hat ihn sich genommen.«
»Du hast einem Dye den Ring überlassen?«, explodierte Nash . »Beim Höllenfeuer, Tamsy !«
»Nenn mich noch einmal so, und ich sorge dafür, dass du diesmal tot bleibst«, warnte ich ihn.
» Tamsin hatte gar keine Wahl«, erklärte Neve . »Er wurde von einer Zauberin angeheuert.«
»Welcher?«, fragte Nash , der sich bückte, um seinen Hut aufzuheben.
Ich presste den Namen zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Madrigal …«
Ihr Name ging in einem gigantischen Donnerkrachen unter. Es schien von oben und unten zugleich zu kommen; die Wucht ließ das Geschirr in der Küche klappern wie Zähne und Bücher aus dem Regal fallen. Ein Tuten ertönte, tiefer als jedes, das ich bisher von den Schiffen im Hafen kannte, und jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken.
Nash stieß einen Schwall wütender Worte aus, als er sich den Hut wieder auf den Kopf rammte, den Türknauf packte und Mühe hatte, die Tür gegen den Windzug zu öffnen.
»Du gehst?«, fragte Caitriona perplex.
»Klar«, sagte ich verbittert. »Das kann er am besten.«
Schließlich bekam Nash die Tür auf und drehte sich um. Er presste die rechte Hand wie zu einem spöttischen Schwur auf sein Herz. »Alles, was ich jemals wollte – alles, was ich je zu tun versucht habe –, ist, dich zu schützen.«
»Seit wann?«, spie ich geradezu aus.
Neve schlang eine Hand um meinen Arm und zog mich näher zu sich. So hatte ich sie noch nie erlebt, zitternd vor Wut. Sie strahlte von ihr ab, bis sie nicht mehr von meiner eigenen zu trennen war.
Die Dezemberluft blies um Nash herum und fegte zarte Schneeflocken ins Apartment. Wieder krachte ein Donner laut genug, um das Haus bis in die Grundfesten zu erschüttern. Ein beißend säuerlicher Geruch wie von Ozon erfüllte den Raum, bei dem sich alles in mir zusammenzog.
Hinter Nash , hoch über den festlichen Girlanden und der blinkenden Weihnachtsbeleuchtung der Stadt, hatte der Himmel einen unheimlichen Grünton angenommen. Der tosende Wind zerrte an Nashs Kleidung, zog ihn in die wartende Nacht. Hinter ihm neigten sich die Bäume ächzend in den Böen.
»Ich hole den verdammten Ring, um deinen Fluch zu brechen«, sagte er barsch. »Solltet ihr dieses Geräusch wieder hören, näher als jetzt, lauft, so schnell ihr könnt – aber bis dahin bleibt ihr hier, oder, so wahr ich hier stehe, ich werde euch eure dünnen Hälse umdrehen!«
Er zeigte mit dem Finger nacheinander auf uns vier. »Ihr habt nicht den leisesten Schimmer, was kommt – was sich in den eisigen Tiefen des Winters verbirgt. Hört auf mich, und ihr überlebt vielleicht den Albtraum, den ihr über uns gebracht habt.«
Die Tür knallte hinter ihm zu.
»Wow«, sagte Neve einen Moment später. »Ich hasse den Typen.«
Ich bekam weiche Knie und war froh, dass Neve mich immer noch festhielt und so bald anscheinend auch nicht loslassen wollte. Mein Herz raste, als ich zur geschlossenen Tür starrte, und mein Atem war zu flach.
Ich sah auf die windgerüttelte Tür und fragte mich: War er das wirklich?
Das Gewitter schien sich in meinen Kopf ausgedehnt zu haben, in dem immer wieder dieselben Fragen herumwirbelten, bis ich glaubte, an ihnen zu ersticken.
War er das wirklich?
Wie?
Und der einzige Mensch, der verstehen könnte – richtig verstehen –, wie ich vor Verwirrung, Adrenalin und Wut zitterte, war nicht hier.
»Gehen wir ihm nach?«, fragte Olwen matt.
Ich war wie zerrissen. Der logische Teil meines Verstands verlangte, dass ich in der Wohnung blieb. Doch der Schmerz in meiner Brust drängte mich, ihm zu folgen und die Antworten einzufordern, die ich brauchte.
Alles könnte eine Täuschung gewesen sein, flüsterte mein Verstand. Selbst wenn es Nash war, bist du nicht so dumm, ihm zu trauen.
»Nein«, sagte Caitriona streng. »Das ist nicht unser Plan.«
»Nach allem, was Tamsin uns erzählt hat, haben wir keinen Grund, ihm zu glauben«, ergänzte Neve und sprach damit meine Gedanken aus. »Stimmt doch, oder, Tamsin ?«
»Ja, stimmt«, antwortete ich, als ich wieder sprechen konnte.
»Und bleibt es bei dem Plan, auf den wir uns geeinigt hatten?«, fragte Olwen , die uns alle reihum ansah. »Dass wir die Person suchen, von der Tamsin glaubt, dass sie das Gefäß der Hohepriesterin reparieren kann?«
Sie zeigte zu dem kleinen Korb neben der Couch , in dem die zerschmetterten Knochen mit den Erinnerungen Vivianes unter einem Tuch verborgen waren.
Sie wären alle für uns verloren, einschließlich jener in der Scherbe, die Lord Death gestohlen und versteckt hatte, wenn wir sie nicht repariert bekämen.
Mit jedem Moment, der verging, wurden meine Gedanken dunkler.
Es war absurd, oder? Alles hiervon. Selbst wenn wir den Knochenschneider fanden, wie standen die Chancen , dass er die uralte Druidenkunst der Gefäßfertigung beherrschte? Einige der Knochenfragmente waren nicht größer als Nadeln, andere zu Staub zermahlen. Was, wenn das Gefäß nicht zu reparieren war?
Mir wurde übel. »Ja, wir sollten so früh wie möglich anfangen, den Knochenschneider zu suchen.«
»Was das angeht«, sagte Neve . »Ich weiß, dass wir ihn finden müssen, aber vielleicht sollten wir vorher zu den Zauberinnen gehen. Was ist, wenn sie nicht die ganze Geschichte kennen, darüber, dass Morgana den Handel mit Lord Death nicht eingehalten hat? Wenn sie nicht wissen, dass er noch am Leben ist, könnte ihnen nicht klar sein, dass er zurück ist und sich an ihnen rächen will.«
»Aber Cabell hat gesagt, dass die Zauberinnen die Pfade nach Avalon von dieser Seite aus verschlossen hatten, um zu verhindern, dass Lord Death ihnen in die Sterblichenwelt folgt«, sagte ich. »Wenn du mich fragst, wissen sie, dass ein Teil von ihm überlebt hat.«
Avalon wieder mit unserer Welt zu verbinden, war die einzige Methode, die Barrieren zu umgehen, weshalb Lord Death sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, uns zu manipulieren, damit wir das Ritual vollzogen.
Caitriona atmete scharf aus. »Eindeutig.«
»Dann hast du es dir anders überlegt?«, fragte Olwen an Neve gerichtet. »Willst du, dass wir die Zauberinnen suchen – den Rat der Schwestern, wie du sie nennst? Um sie zu warnen?«
»Ja. Ich finde, das sollten wir als Erstes machen.« Neve biss sich auf die Unterlippe, sichtlich unentschlossen. »Ich weiß, dass wir das Gefäß reparieren müssen, aber … je länger ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich, dass wir mit ihnen zusammenarbeiten müssen, wenn wir aufhalten wollen, was auch immer Lord Death vorhat.«
»Dann schick ihnen eine Nachricht. Mehr als das schulden wir ihnen nicht«, antwortete Caitriona . »Denn je mehr ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich, dass sie diejenigen sind, die dieses Leid und Blut über sich gebracht haben. Das Einzige, was uns wichtig sein muss, ist, ihren Fehler zu korrigieren und zu beenden, was sie nicht konnten, indem wir Lord Death töten. Unsere Jagd sollte jetzt beginnen.«
»Und wenn er in der Zwischenzeit Zauberinnen umbringt?«, fragte Neve .
Caitriona zuckte mit den Schultern. »Dann sei es so.«
Das schockte sogar mich. Ein Anflug von Furcht regte sich in mir, als die Atmosphäre eine neue, wütendere Note anzunehmen schien.
Neve schnappte nach Luft und baute sich vor Caitriona auf, als wäre die nicht fast einen Kopf größer als sie. »Das meinst du nicht im Ernst! Ich weiß, dass es dir nicht egal ist, wenn Unschuldige sterben.«
»Dazu müssten die Zauberinnen erst mal unschuldig sein, was sie nicht sind«, konterte Caitriona .
»Wir wissen gar nicht, wie wir Lord Death aufhalten sollen. Loszurennen und ihn zu suchen, wird uns das Leben kosten«, sagte ich. »Was ist, wenn das Gefäß uns diese Information geben kann? Sollte das nicht Priorität haben?«
Neve fuhr zu mir herum, und ihre Augen blitzten. Sie fühlte sich verraten. »Also ist es dir auch egal, wenn sie sterben?«
»Das habe ich nicht gesagt«, antwortete ich.
»So gut wie«, erwiderte Neve .
Ich biss mir auf die Zunge, und Angst brodelte in meinem Bauch. Wir durften nicht aufeinander losgehen, sondern mussten zusammenhalten. Im Angesicht von Avalons Untergang hatten wir einander gewählt. Und sollten wir uns zerstreiten …
Ein schmerzhafter Stich durchfuhr mich. Dann habe ich niemanden mehr.
»Du weißt, dass es mir vor allem um Cabell geht«, sagte ich. »Ich will ihn von Lord Death wegbekommen, bevor die Macht, die dieses Monster über ihn hat, noch größer wird. Du hast doch selbst gesagt, dass der echte Cabell noch dadrinnen ist, gefangen in dem Diener, den Lord Death aus ihm gemacht hat.«
Todesmagie, in Annwn geboren, der Anderswelt der monströsen Toten, hatte Avalon korrumpiert, das Land mit Schatten vergiftet und das legendäre Paradies bis zur Unkenntlichkeit verdorben. Wenn das einem Ort von solcher Kraft und Reinheit widerfahren konnte, war Cabells Geist unmöglich stark genug, sich gegen den Zauber zu wehren, mit dem Lord Death ihn belegt hatte.
Neve atmete schnaubend aus, aber ich wusste, dass sie es verstand. Was sie hätte sagen können, wurde von einem schwachen Miau unterbrochen, als sich Griflet , der kleine Kater, der mit uns von Avalon hergekommen war, aus seinem Versteck unter der Couch hervorwagte.
»Ah, da bist du!«, sagte Olwen leise und bückte sich, um ihn hochzuheben. Der graue Kater schnurrte zufrieden, als sie ihn an ihre Brust drückte. Doch die Priesterin selbst sah alles andere als zufrieden aus. Sie blickte hilflos zu mir, als Caitriona und Neve einander den Rücken zuwandten, beide kochend vor Wut.
»Hört mal, ihr habt beide recht«, versuchte ich es noch einmal. »Wir schulden dem Rat der Schwestern eine Warnung, aber wir rechnen besser damit, dass sie sich in ihre Grüfte zurückziehen und versuchen, das Ganze auszusitzen.«
Was ich nicht sagte, war, dass Neve zwar selbst eine Zauberin sein mochte, ich jedoch als Hollower viel mehr Erfahrung im Umgang mit ihnen hatte. Und sofern sie nicht untereinander um Reliquien stritten oder jahrhundertealte Fehden pflegten, galt ihr oberster Instinkt der Selbsterhaltung.
»Zauberinnen sind nicht feige«, beharrte Neve wütend. »Sie werden kämpfen.«
»Aber dies ist unser Kampf«, konterte Caitriona . » Lord Death muss bestraft werden für das, was er Avalon angetan hat, für den Mord …« Sie brach ab und fing sich, bevor sie flüsterte: »Für die Zerstörung von allem und jedem.«
Ich zügelte mein Gedächtnis, bevor es mich mit Bildern von leeren Augen, Leichen und blutigen Rinnsalen zwischen den Turmsteinen foltern konnte.
»Vorsichtig, Caitriona «, sagte Neve . »Mit dem ganzen Gerede von Rache klingst du mächtig nach einer Zauberin.«
Caitriona stieß ein frostiges Lachen aus. Ihre Worte, als wir gemeinsam vor dem Scheiterhaufen standen, in dem alle verbrannten, die sie geliebt hatte, hallten mir furchtbar gellend durch den Kopf. Ich bin die Priesterin von nichts. Das ist alles, was ich jemals sein werde.
»Avalon ist fort«, sagte Caitriona , »genau wie meine Pflichten ihm und seiner Göttin gegenüber. Wenn ich ihre Magie nicht nutze, bin ich auch nicht an ihre Gesetze gebunden.«
Ich fühlte mich vollkommen hilflos, als ich wieder einen Blick mit Olwen wechselte, mich aber nicht traute, etwas zu sagen, weil es die Situation womöglich noch schlimmer machte. Sie öffnete den Mund, und sämtliche Farbe wich ihr aus dem Gesicht.
»Was?«, fragte Neve entsetzt. »Du … du willst nicht einmal deine Magie nutzen? Nach allem kehrst du ihr den Rücken zu?«
»Sie hat uns zuerst verlassen«, antwortete Caitriona . »Wirst du die Nächste sein?«
»Hört auf!«
Olwen drängte sich zwischen die beiden. Ihr tintenblaues Haar hob sich um ihre Schultern, als würde es von Wasser aufgeschwemmt. Ihre Miene war so gequält, dass sich bei dem Anblick etwas in meiner Brust verkrampfte.
»Hört auf«, wiederholte sie leiser. »Wir dürfen das nicht tun, nicht gegeneinander und die Finsternis gleichzeitig kämpfen. Es läuft doch alles auf dasselbe hinaus, nicht? Niemand, weder die Zauberinnen noch wir, ist sicher, solange er in dieser Welt ist.«
Sie zeigte zu dem kleinen Korb am Couchende, in dem sich Vivianes zerbrochenes Gefäß befand.
»Sämtliche Erinnerungen in dem Gefäß werden verloren bleiben, wenn wir es nicht irgendwie reparieren können«, fuhr Olwen fort.
Ich ballte die Fäuste.
»Wir bleiben bei unserem Plan«, sagte Olwen , zitternd vor Erschöpfung und Verzweiflung. »Dem, auf den wir uns alle vor nicht einmal einer Stunde geeinigt haben. Wir suchen die Zauberinnen, erzählen ihnen, was geschehen ist, und danach suchen wir diese Person, von der Tamsin glaubt, dass sie das Gefäß wiederherstellen kann. Ja?«
»Ja«, stimmte ich rasch zu. Ein schmerzhafter Knoten in meiner Brust löste sich, als die Anspannung in dem Apartment nachließ. Einen Moment später nickte Neve . Caitriona verschränkte die Arme vor der Brust und senkte den Blick.
Donner zerschmetterte den Himmel wie ein Hammerschlag, verschlang alle anderen Geräusche und brachte die Wände zum Beben. Und dann, wie das tiefe Bellen einer urzeitlichen Bestie, ertönte das unwirklichste Brüllen, das wir zuvor gehört hatten.
»Okay, was zur Hölle ist das?«, fragte ich und ging zur Tür. Kaum umfasste ich den kalten Knauf, war Caitriona direkt hinter mir.
»Hatte Nash nicht ausdrücklich gesagt, wir sollen rennen, wenn wir das wieder hören?«, fragte Neve .
Der Punkt, an dem er mir sagen konnte, was ich zu tun hatte, lag seit sieben Jahren hinter uns.
Sofern er das überhaupt war …
Der Wind blies mir die Tür entgegen. Ich warf einen Arm nach oben, um mein Gesicht vor der beißenden Kälte und den scharfkantigen Schneeflocken abzuschirmen, die durch die dunkle Luft wirbelten. Ich rutschte auf der vereisten Stufe aus.
Die Nachbarin rechts von mir hatte den Kopf zur Tür hinausgestreckt, um ihn umgehend wieder zurückzuziehen, als der Schneeregen in dichten Hagel überging. Ein gekeuchtes »Ach, du Sch…« verriet mir, dass mein Nachbar oben dieselbe Entscheidung traf und zurück in seine Wohnung verschwand.
»Dieses Wetter ist …!« Ich konnte Caitriona im heulenden Wind kaum verstehen. Olwen , die mir ebenfalls gefolgt war, bedeckte ihren Kopf mit den Armen, als sie unsicher auf dem glatten Boden zurück ins Apartment ging. Morgen früh würde die ganze Stadt zugefroren sein, dachte ich.
»Kannst du etwas sehen?«, rief Caitriona mir zu.
Ich schützte meine brennenden Augen mit den Händen und blickte nach oben. Der Himmel hatte immer noch diese eklige Farbe und glühte neonfarben, wo Blitze über ihn zuckten und die spiegelähnliche Oberfläche der grauen Wolken spalteten.
»Komm.« Caitriona zog an meinem Arm. Eiskrusten hingen in meinem Haar, die sich erst lösten, als ich den Kopf energisch schüttelte. Keine von uns hatte eine Jacke an, und die Kälte war unerträglich geworden. Ein Stoppschild löste sich von seinem Pfahl und flog durch die Luft, um schließlich in das Fenster eines nahen Autos zu krachen.
»Geh rein!«, befahl ich ihr. »Ich muss nur …!«
Ich konnte es nicht aussprechen, doch sie verstand es auch so. Sie legte mir eine Hand auf die Schulter, als sie an mir vorbei- und vorsichtig die Stufe hinaufging. Schnee sammelte sich in meinen Wimpern und den Falten meiner Kleidung. Je länger ich dort stand, desto leichter wurde es, mir einzureden, dass es nicht der Wind war, der da heulte.
Ich horchte angestrengt nach jenem monströsen Dröhnen.
Aus dem Apartment war ein Krachen zu hören. Ich fuhr herum und schlitterte zurück. Die Lampe nahe dem Fenster flackerte und erlosch.
Der Wind schob die Tür für mich auf und warf mich beinahe nach drinnen. Das dunkle Wohnzimmer begrüßte mich stumm, als ich mich abmühte, die Tür zu schließen.
»Leute?«, rief ich. Das Herz klopfte mir bis zum Hals. »Hallo?«
Ich bog um die Ecke in die Küchennische und erstarrte.
Caitriona lag reglos am Boden, die Augen geschlossen und umgeben von den Scherben eines Blumentopfes von der Fensterbank. Eine Gestalt in einem dunklen Umhang war über sie gebeugt und wickelte etwas um ihre Hände.
»Fass sie nicht an!« Ich stürzte mich nach vorn. Blanke Verzweiflung explodierte in meiner Brust. Ich holte mit dem Arm aus, um den Eindringling zu schlagen, aber meine Gelenke blockierten, und ich knallte auf den Fußboden.
»Nicht!«, japste ich und versuchte, zu Cait zu kriechen. Wo waren die anderen? Wo war …
Schmerz schoss mir durch den Schädel, als etwas auf meinen Hinterkopf schlug. Der Gestank von Blut flutete meine Sinne; es rann durch mein Haar und in die Pfütze aus schmelzendem Eis und Schnee unter mir. Ein tiefes, hämisches Lachen ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
Der Boden drückte gegen meine Wange, vibrierend von nahenden Schritten. Irgendwo jaulte Griflet . Die Schatten in der Diele wurden länger, breiteten sich teergleich aus, um Caitriona und alles zu verschlingen.
Sosehr ich auch kämpfte – als die Dunkelheit mich erreichte, war ich weg.
Ein Tropfen Eiswasser traf auf meine Wange.
Langsam kam ich zu mir. Mein Schädel pochte im Takt mit allen anderen Schmerzen in meinem Körper. Noch ein Tropfen, diesmal auf meiner Stirn, brachte mich dazu, ein Auge zu öffnen, doch es war das Echo einer nahen Stimme, das schließlich den schwarzen Schleier der Bewusstlosigkeit durchdrang.
»… habe noch nichts gehört. Sie wollen, dass wir sie hierbehalten, bis der Rat abgestimmt …«
Mein Verstand wurde stotternd wach, als er jenes eine Wort erfasste. Rat.
Es gab nur einen Rat, von dem ich wusste.
»Können sie denn nicht mal eine verdammte Entscheidung treffen?«, beschwerte sich eine andere Frau. »Nein, sie müssen erst die Ältesten aus ihren Grüften zerren, die sie ihr Zuhause nennen.«
»An dem bisschen Haar, was sie noch haben, hoffe ich«, antwortete die erste Frau. »Ich würde meine letzte Goldmünze geben, um das zu sehen. Die alten Kobolde.«
Mein Herz geriet ins Stolpern, kaum dass mein Unglaube der Gewissheit gewichen war.
Zauberinnen.
Es waren Zauberinnen in dem Apartment gewesen. Zauberinnen hatten uns angegriffen und entführt, uns gefunden, ehe wir auch nur einen Plan schmieden konnten, wie wir sie finden würden. Unglaublich!
Hätte sich mein Kopf nicht angefühlt, als würde er jeden Moment wie eine überreife Melone aufplatzen, ich hätte wohl über diese schiere Ironie gelacht.
Dabei war hieran nichts witzig. Nicht, solange ich die anderen nicht sah.
»Hallo?«, flüsterte ich. »Ist jemand da?«
Ich lauschte, hörte jedoch nur ein schwaches Atmen in der Nähe.
Die Luft hing wie ein schwarzer Vorhang um mich herum, schwer von Feuchtigkeit und einem beinahe mineralischen Geruch. Jede endlose Sekunde, die meine Augen brauchten, um sich an das spärliche Licht anzupassen, war eine Tortur.
Nach und nach begriff mein Verstand die Situation und sammelte lebenswichtige Einzelheiten: Ich lag flach auf dem Rücken, meine Handgelenke mit etwas an den flachen Steinboden gefesselt, das sich wie steinerne Handschellen anfühlte. Ich zog, doch da war keine Kette, nichts, das nachgab. Meine Beine waren frei, was mir jedoch absolut gar nichts brachte, solange ich mich nicht einmal aufsetzen konnte.
Wir waren zu drei Seiten von grob gehauenen, uralten Mauern umgeben. Links von mir ragten steinerne Streben wie Stalagmiten aus dem Boden und sperrten unseren kleinen Alkoven wie eine Zelle ab.
Noch ein Wassertropfen traf auf mein Gesicht, und ich blickte verärgert hinauf in die Dunkelheit. Ich hob meinen Kopf, reckte den Hals, bis ich die Silhouette von jemandem ausmachen konnte, der an einer Seitenwand der Zelle lehnte. Olwen. Rechts von mir nahm ich ein wenig vom reflektierenden Stoff der alten Turnschuhe wahr, die ich Neve geliehen hatte. Und ich hörte eine dritte Person irgendwo hinter mir atmen. Das war hoffentlich Caitriona .
Ich atmete zittrig aus. Die Zauberinnen mochten uns die Arbeit erspart haben, sie aufzuspüren, doch die Tatsache, dass sie überhaupt nach uns gesucht hatten und wir jetzt wie Kriminelle behandelt wurden, deutete auf ein Missverständnis hin. Oder Schlimmeres.
Was auch immer die Zauberinnen von uns wollen mochten, es ging definitiv nicht um Plaudern bei einer Tasse Tee. Wir mussten hier raus und uns neu sortieren.
Nach dem zu urteilen, was ich sehen konnte, schienen wir tief unter der Erde zu sein – in einer Art Höhle. Die Luft war muffig und abgestanden, troff beinahe vor Feuchtigkeit.
»Also können wir irgendwann im nächsten Jahrhundert eine Entscheidung erwarten«, erklang eine neue Stimme von weiter hinten in der Höhle.
Super. Ich unterdrückte ein Stöhnen. Sie waren zu dritt, und diese letzte Stimme war zwar leiser, klang jedoch genauso mürrisch wie die beiden vorher.
»Lass bloß die anderen nicht hören, wie du über die Ältesten redest, Acacia«, warnte die erste Stimme. »Alle wollen sich unbedingt bei Ihrer selbstgefälligen Durchlaucht einschmeicheln, weil sie glauben, dass sie das retten wird.«
Endlich erkannte ich weitere Einzelheiten in der Dunkelheit – und die waren ganz und gar nicht gut.
Jenseits der Steinstäbe unserer Zelle befand sich ein Gang, dessen Boden mit wirbelnden Mustern aus Mosaikfliesen versehen war, die nur wegen des Kontrasts der weißen Kacheln zu den dunkleren zu erkennen waren. Je länger ich hinschaute, desto kälter wurde mir. Hier und da waren Fluchsigillen in dem Muster zu erkennen.
Seufzend schloss ich die Augen wieder, wütend auf mich selbst. Das hätte ich gleich ahnen müssen. Ich war schon in viel zu vielen Zauberinnengrüften gewesen, um sie nicht auf den ersten Blick zu erkennen.
Nun zum Ausgang, dachte ich, reckte den Hals weiter und drehte den Kopf, um den Gang hinunterzuspähen. Es musste einen Eingang geben, der sich zu einer Ader öffnete. Ich ging meine Erinnerungen nach einer Zauberin namens Acacia durch, doch da waren keine brauchbaren Informationen gespeichert.
Wieder versuchte ich, an den Fesseln an meinen Handgelenken zu ziehen. Ich biss die Zähne zusammen, schob die Schultern abwechselnd vor und zurück, während ich meine Hände drehte, um nach Sigillen auf dem Boden oder an den Fesseln selbst zu tasten.
Meine Finger strichen über ein geschlängeltes Symbol an der linken Handschelle, direkt über der Stelle, an der sie im Boden verankert war.
»Ja«, hauchte ich zitternd. Das kurze Erkunden hatte zur Folge, dass die Haut an meinen Handgelenken blutig gescheuert war. Ich schob meinen linken Arm durch die Fessel so weit nach unten, wie es ging, um die Hand besser bewegen zu können. Nachdem ich einmal tief Luft geholt hatte, zog ich mein rechtes Bein angewinkelt vor meinen Oberkörper, bis meine Stiefelsohle meine Fingerspitzen streifte.
Cabell und ich hatten Nägel in die Sohlen unserer Arbeitsstiefel gehämmert, um besseren Halt zu haben. Hatte man einmal Tango in einer Säuregrube getanzt, tat man so ziemlich alles, um eine Wiederholung zu vermeiden.
Ich tastete die Ränder meines Schuhs ab, bis ich einen losen Nagel fand, den ich so lange drehte, bis ich ihn rausziehen konnte.
Ich schluckte meinen kleinen Triumphschrei herunter, neigte mein Handgelenk in einem schmerzhaften Winkel und drückte die Nagelspitze gegen die Steinschelle. Es waren mehrere Anläufe nötig, doch letztlich schaffte ich es, die Spitze so auszurichten, dass ich an dem kratzen konnte, von dem ich hoffte, dass es ein Sigill war. Eventuell genügte es nicht, das Symbol zu verzerren, um den Zauber zu brechen, der mich hier festhielt, aber zumindest würde er geschwächt.
Ich spürte einen leichten Druck an meinem Kopf und zuckte vor Schreck so heftig zusammen, dass ich fast den Nagel fallen ließ. Angestrengt drehte ich den Kopf weiter nach hinten als bisher, um über meine linke Schulter zu schauen.
Und war heilfroh, als ich Caitriona sah, deren silbernes Haar sogar in dieser Dunkelheit leuchtete. Ihre Hände waren über ihrem Kopf an die Steinstäbe gefesselt. Trotz ihrer beachtlichen Größe konnte sie gerade mal die Spitze ihres Turnschuhs weit genug ausstrecken, um mich zu erreichen.
Ihre Augen blitzten in der Finsternis wie die eines nachtaktiven Jägers.
Wo?, fragte sie stumm.
Ehe ich etwas antworten konnte, erhob eine der Zauberinnen – die jüngere, falls mich mein Gehör nicht täuschte – die Stimme ausreichend, dass sie sich klar durch den Gang übertrug.
»Der Horror, vor dem wir uns seit Jahrhunderten fürchten, ist über uns gekommen, und die Hohezauberin unternimmt einen Scheiß, auch bloß nach dem verdammten Ding zu suchen, das er von uns zurückverlangt?«
Caitriona sah mich mit großen Augen an.
Mein Körper spannte sich an. Was wollte Lord Death von ihnen zurück?
Wenigstens müssen wir sie vor nichts mehr warnen, dachte ich frustriert.
»Was ist los?« Olwen klang müde, als sie zu sich kam. »Wo sind wir?«
»Psst!«, zischte Caitriona . »Uns geht es gut.«
»Wie ist irgendwas hiervon gut?«, erwiderte ich flüsternd.
»Weiß …«, hauchte Neve rechts von mir. »Weiß irgendwer, wo wir sind?«
»In einer Gruft«, antwortete ich und kratzte derweil weiter an der Handschelle, so fest ich konnte.
»Ah, okay , das … ist ja nicht das Schlimmste, oder?«, fragte Olwen . »Hattest du nicht gesagt, dass du mit Zauberinnengrüften Erfahrung hast, wegen deines Jobs als … wie hast du das noch genannt?«
» Hollower .« Ein Euphemismus für jemanden, der nach legendären Reliquien jagte. »Und meine Erfahrungen betreffen das Einbrechen in die Grüfte, nicht das Ausbrechen.«
»Wir sind bei Zauberinnen?«, fragte Neve .
Mir wurde eine Sekunde zu spät klar, was passieren würde. »Warte …!«
»Hey!«, rief sie. »Das ist ein Irrtum! Hallo? Hört ihr mich?«
Ich legte stöhnend den Kopf zurück auf die Steine. So viel zum Überraschungsmoment. Pfeifen wir doch auf vage Träume von einem Entkommen!
Schritte hallten durch den Gang. Drei in Umhänge gehüllte Gestalten schritten von irgendwo weiter hinten in der Gruft auf uns zu. Neben ihnen schwebte eine antik anmutende Laterne, als würde sie von einem unsichtbaren Geist getragen.
»Wunderbar«, sagte eine der Zauberinnen, und ich erkannte, dass es Acacias Stimme war. »Ihr seid endlich wach.«
Ihr Gesicht war wie weißer Samt unter einer geflochtenen Krone aus hellem Haar. Die makellose Schönheit wies sie als anders aus, als etwas, das es zu fürchten galt, weil das Schöne ein Trick sein könnte. Und ihre Augen … sie wirkten boshaft, als sie uns eine nach der anderen musterte, bevor sie sich zu ihren Gefährtinnen umschaute. »Ich habe dir doch gesagt, dass es nicht mehr lange dauert, Hestia .«
Hestia entpuppte sich als drahtige Erscheinung mit brauner Haut und leicht verkniffener Miene, als sie erwiderte: »Am besten fangen wir mit der an, die keine Magie hat.«
Die Fesseln an meinen Handgelenken fielen ab, und ausnahmsweise beherrschte ich mich, krabbelte ungeschickt rückwärts und kollidierte mit etwas Weichem hinter mir – Neve .
»Wie schnell die Courage doch davon ist, wenn ihr Meister nicht da ist, um sie zu schützen«, höhnte die bisher namenlose Zauberin. Ihre blassblauen Augen waren von dickem pflaumenblauem Eyeliner umrahmt, passend zur Farbe ihres zusammengebundenen Haares.
»M-Meister?«, krächzte ich. »Moment mal, wovon redet ihr?«
»Hört zu«, begann Neve , die viel zu vernünftig klang für die Lage, in der wir uns befanden. »Da muss ein Missverständnis vorliegen …«
Ein unsichtbares heißes Band legte sich um meine Taille und riss mich zurück an die Steinstäbe unserer Zelle. Ich biss mir schmerzhaft auf die Zunge, sodass Blut in meinem Mund explodierte. Dabei wand Acacia ihre Hände in einer spöttischen Bewegung, als würde sie mich an einer Schnur einholen. Der kleine Nagel glitt mir aus den Fingern, während ich vergebens versuchte, meine Fersen in den Boden zu stemmen, um mich gegen die Magie zu wehren.
»Hört auf damit!« Olwen zerrte an ihren Fesseln. »Wir sind nicht eure Feindinnen!«
»Ach, ist das so?«, fragte Acacia , und mit einer Bewegung ihres Handgelenks wurde ich wie eine Puppe gegen die Stäbe geworfen. Ich sah Sterne, als meine Schläfe mit dem Stein kollidierte. Von hinten stieß Magie gegen mich, und meine Rippen schrien vor Schmerz.
»Lasst sie in Ruhe!«, brüllte Caitriona .
»Bitte!«, flehte Olwen . »Wir wollten euch suchen, um den Rat der Schwestern vor Lord Death zu warnen!«
»Uns warnen?«, knurrte die mit dem pflaumenblauen Haar und starrte uns hasserfüllt an. »Wovor genau wolltet ihr uns warnen? Dass es sinnlos ist, uns seiner Forderung zu widersetzen? Als wäre das Abschlachten von fünf unserer Schwestern nicht Botschaft genug!«
»Wir … wir wollten …« Jedes Wort, das ich sprach, verstärkte bloß den Druck von hinten. Ich fragte mich flüchtig, wie viel mein Körper aushalten würde, bevor er an dem steinernen Gitter endgültig zerbrach.
Caitriona stieß einen Laut puren Zorns aus.
»Ihr habt ihn letzte Nacht direkt zu Stellamaris geführt, gebt es zu!«, fauchte Acacia .
Trotz des Schmerzes, der in mir wütete, schaltete mein Verstand bei dem Namen. Die Zauberin Stellamaris wohnte etwas außerhalb von Boston. Cabell und ich hatten einmal einen Auftrag für sie erledigt, und den Ring ihrer Mutter aus der Gruft einer anderen Zauberin zurückgeholt. Sie war … nett wäre das falsche Wort, genauso wie harmlos. Aber der Umgang mit ihr war unkompliziert gewesen.
Das Unwetter. Es konnte kein Zufall sein, dass die Stadt einen plötzlichen Schneesturm in derselben Nacht erlebte, in der sie getötet wurde.
»Wir sollten ihnen sämtliche Details über ihren Meister aus dem Geist reißen«, sagte die Blauhaarige. »Der Rat kann uns nicht bestrafen, wenn wir bekommen, was wir wollen.«
»Was redet ihr denn da?«, fragte Neve , die mehr als aufgebracht war.
»Weltenvernichterinnen«, antwortete Hestia abfällig. »Die vier Dienerinnen des Todes, Gemahlinnen des Winters … die anderen mögen euch in hübsche Namen kleiden, aber wir wissen, wer ihr seid. Wir kennen die Verderbnis in euren Herzen.«
»Wir dienen ihm nicht!«, wütete Caitriona . »Wir sind seine eingeschworenen Feindinnen!«
Hierauf lachten die drei Frauen schallend. Trotz allem Schmerz und aller Angst malte ich mir aus, sie auf eine der Fluchsigillen zu schubsen.
»Ich bin eine von euch!«, rief Neve . »Ich bin eine Zauberin! Sie sind … sie sind Priesterinnen von Avalon! Wir haben versucht, Lord Death aufzuhalten, nicht, ihm zu helfen!«
Mir blieb die Luft weg, als Acacias Magie noch fester gegen meinen Rücken drückte, mir die Rippen und die Wirbelsäule zu brechen drohte. Mir wurde schwarz vor Augen, und ich hatte Mühe, auch nur flach zu atmen.
»Die Lügen eurer gespaltenen Zungen scheren uns nicht«, sagte Hestia . »Keine Seele in Avalon war mehr am Leben, nachdem euer Meister euch zwang, es zu zerstören.«
»Wir haben versucht, die Insel zu retten«, entgegnete Olwen flehend. »Wir dachten, das Ritual würde sie reinigen – es war ein Irrtum!«
Sie fing zittrig und verzweifelt zu summen an, um einen Zauber heraufzubeschwören. Neve stimmte ein, aber ihre Stimme brach unter ihrem Schluchzen.
Die Zauberinnen, deren harte Züge von der flackernden Laterne noch schärfer gezeichnet wurden, lachten bloß.
»Singzauber? Wie drollig«, sagte Acacia . »Eure Zelle ist gegen jede Magiebenutzung abgeschirmt. Versucht es noch einmal, und ihr werdet eure Freundin in Einzelteilen nach Hause tragen.«
»Es war ein Irrtum! Alles!«, schwor Neve panisch.
»Noch mehr Lügen«, trällerte die Blauhaarige und blickte zu Acacia . Sie genoss die Show sichtlich.
»Erzählt uns, worauf es euer Meister abgesehen hat«, befahl Acacia . »Und warum er es bis zur Wintersonnenwende haben will.«
»Wir wissen nicht, wovon ihr redet!«, konterte Caitriona wütend.
»Sie müssen ihre Freundin wahrhaft hassen, dass sie ihr den Tod wünschen«, sagte Hestia . »Ich weiß nicht, wie es mit euch ist, Schwestern, aber ich wäre nur zu froh, all die Sterblichen zu rächen, die in Glastonbury ihr Leben gelassen haben. Die abgeschlachtet wurden, als ihr die Grenze zerstört und die Hölle über diese Welt gebracht habt.«
Der Schmerz überkam mich wie eine Flutwelle, entriss mir das letzte bisschen Kraft, das ich noch besaß. Ich schrie auf, und heiße Tränen strömten mir übers Gesicht. Meine Gliedmaßen und meine Haut dehnten sich schmerzhaft an dem Stein, bis ich glaubte, sie würden gleich zerreißen.
»Stopp!«
Blau-weißes Licht leuchtete bei Caitriona markerschütterndem Schrei in der Zelle auf und entzündete die Dunkelheit mit ungezügelter Intensität.
Die Zauberinnen stolperten rückwärts, hielten die Arme vor ihre Gesichter, um ihre Augen zu schützen. Das Licht war nicht heiß, strahlte aber mit jedem Atemzug Neves einen schwindelerregenden Druck aus.
»Du hast gesagt, dass du ihre Magie blockiert hast!«, kreischte Hestia .
»Habe ich!«, erwiderte Acacia ebenfalls kreischend.
Die Kraft, die mich an die Steinstäbe drückte, schwand, und ich schlug keuchend auf dem Boden auf. Mit den Fingern krallte ich mich am rauen Stein fest, um mein galoppierendes Herz zu beruhigen.
» Tamsin ?«, rief Olwen . »Geht es dir gut?«
Ich konnte nicht antworten, nicht sprechen. Als das Licht erlosch, war die Zelle in eine tiefere Dunkelheit als zuvor getaucht. Ich blinzelte die Punkte weg, die ich vor Augen sah, und selbst danach fragte ich mich, ob ich es mir einbildete – wie die Magie einem Sternennebel gleich auf Neves Haut zu verharren schien, bevor sie vollständig weg war.
Meine Atmung war angestrengt, brannte in meiner schmerzenden Brust. Als ich hörte, wie die Zauberinnen erneut näher kamen, rollte ich mich zusammen und machte mich auf mehr Schmerz gefasst.
»Was … bist du?«, raunte Acacia . Die drei Zauberrinnen waren unverletzt, doch ihr Haar war offen, und ihre Umhänge und Kleider waren zerzaust, als wären sie knapp einem heftigen Sturm entkommen.
»Habe ich doch gesagt«, antwortete Neve , und der flehende Unterton in ihrer Stimme war zurück. Sie zerrte an ihren Fesseln, als sie sich aufzusetzen versuchte. »Ich bin eine von euch.«
»Das war nicht die Magie der Mutter«, entgegnete Hestia atemlos. »Das war nicht unsere Magie.«
»Es muss seine sein«, sagte die dritte Zauberin. »Todesmagie. Die Kraft von Annwn .«
»Nein!«, widersprach Neve unglücklich. »Ist es nicht! Ich … es ist …«
Hestia wandte uns den Rücken zu und senkte die Stimme zu einem Flüstern. Zum ersten Mal klang sie unsicher, als sie mit den anderen sprach. »Töten wir sie?«
Ich rollte mich auf den Bauch, und Angst durchfuhr mich. Caitriona knallte ihren Rücken gegen die steinerne Mauer, als könnte sie sie mittels schierem Willen zerbrechen.
»Versucht es doch!«, warnte sie die drei, und ein tödliches Versprechen schwang in ihren Worten mit.
»Wie geht noch dieser Spruch? Lieber um Vergebung bitten als um Erlaubnis?« Eiswasser schoss durch meine Adern, als ich sah, wie AcaciaNeve fixierte. »Ich denke, wir töten sie am besten alle.«
Dann, inmitten des Schleiers von Todesangst, der sich über die Zelle senkte, ertönte ein Klopfen.
Es war weniger scheu als höflich. Ich dachte, ich hätte es mir bloß eingebildet, bis es erneut kam, lauter und beharrlicher.
Die Zauberinnen schauten einander an.
»Erwartet ihr Besuch?«, fragte Acacia die anderen.
»Falls es jemand vom Rat ist …«, begann die Namenlose.
»Na, dann geh nachsehen«, sagte Acacia mit einem abfälligen Handschwenk in Caitriona Richtung.
»Ich?«, beschwerte diese sich. »Warum muss ich alles machen?«
Es wurde zum dritten Mal geklopft.
»Gut, ich gehe selbst«, murrte Acacia , und der Rock ihres saphirblauen Kleids wirbelte bei ihrer Drehung auf. »Sollte eine von denen auch nur wimmern, brecht ihnen sämtliche Knochen.«
Mein Puls donnerte in meinen Ohren, als ich mich zwang, mich aufzusetzen.
»Ah-ah«, ermahnte Hestia mich. »Bleib, wo du bist.«
»Wir wollten niemanden verletzen«, flüsterte Neve .
»Dann seid ihr mehr als nur Verräterinnen der Göttin«, sagte Hestia . »Ihr seid Närrinnen.«
Wenig später kehrte Acacia zurück. Ihr schwarzer Umhang wallte bei ihren wütenden Schritten hinter ihr auf.
Hestia zog eine dünne Augenbraue hoch. »Wer war das?«
Acacia drückte ihr ein zerknülltes Stück Pergament vor die Brust, bevor sie sich erbost zu uns drehte. Einen Moment lang wirkte sie unentschlossen. Hestias Augen wurden größer, als sie las. Die Blauhaarige riss ihr das Pergament aus den Händen, um selbst zu lesen, ehe sie sich zu jemandem umdrehte, den ich nicht sehen konnte.
»Das darf nicht wahr sein«, murmelte die Blauhaarige. »Das ist eine List.«
»Willst du darauf wetten? Ich bin stets zu einer kleinen Wette bereit«, sagte eine Stimme hinter Acacia .
Jeder Zentimeter meiner Haut begann zu kribbeln.
Die Gestalt trat aus dem Schatten hinter ihr ins flackernde Laternenlicht.
»Ich würde allerdings raten, nicht dein Leben darauf zu verwetten«, ergänzte Emrys .