The Sunrise in Your Eyes - Kim Leopold - E-Book
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The Sunrise in Your Eyes E-Book

Kim Leopold

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Beschreibung

Er zeigt ihr die verborgenen Seiten der Stadt. Sie zeigt ihm die verborgenen Seiten ihres Herzens. Nach »The Colors of your Soul« geht es auch im zweiten Band von Kim Leopolds California-Dreams-Reihe wieder um Social Media, zärtliche Küsse unter der Sonne Kaliforniens und ganz viel Herzklopfen!

Fotograf Maverick führt ein Doppelleben: Meistens lichtet er schillernde Hochzeiten ab, manchmal taucht er jedoch unter dem Namen Andy in Skid Row, dem Problembezirk von Los Angeles, ab, um das Leben abseits der schillernden Hollywood-Boulevards zu dokumentieren. Bei seiner Arbeit lernt er Lela kennen, die eigentlich Allegra heißt, ihm ihren wahren Namen jedoch verschweigt. Sie arbeitet neben dem Studium in Skid Row und will mehr über die Menschen dort erfahren. Was sie beide nicht wissen: Während sie sich gemeinsam auf die Suche nach Hoffnung in Zeiten der Dunkelheit machen, haben sie auch in ihrem Leben außerhalb von Skid Row längst Kontakt miteinander. Plötzlich steht Allegra zwischen zwei Männern: dem verschlossenen Andy, unter dessen rauer Schale sich ein großes Herz verbirgt, und dem mysteriösen Maverick, der sie mit seiner geheimnisvollen Art anzieht. Doch mit den Gefühlen wächst auch Allegras Angst, denn sie hat schon einmal einen geliebten Menschen verloren …

Romantisch, authentisch und unglaublich gefühlvoll - Kim Leopold ist die neue deutsche Stimme im New Adult!

Die California-Dreams-Reihe:
Band 1: The Colors of your Soul
Band 2: The Sunshine in your Eyes
Band 3: The Fire in your Heart

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Triggerwarnung

Widmung

Zitat

1

Allegra

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Allegra

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Maverick

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Maverick

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Allegra

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Allegra

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Maverick

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Allegra

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Allegra

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Maverick

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Allegra

Nachwort

Contentwarnung

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Liebe LeserInnen, dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr am Ende eine Contentwarnung.[1]

Für die Held*innen, die jeden Tag dafür kämpfen, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen.

People will forget what you said, people will forget what you did, but people will never forget how you made them feel.

– Maya Angelou

1

Allegra

Ich weiß nicht, ob ich das Auto cool oder doch eher peinlich finden soll.

Jedenfalls bin ich froh, dass auf dem Weg zur Uni kaum etwas los ist und nur wenige Leute uns komische Blicke zuwerfen, während wir mit Pascals bunt bemaltem Campervan durch die Straßen fahren. Es fühlt sich schon sonderbar genug an, mit einem Fahrzeug, das für Urlaube gedacht ist, zum Campus zu fahren.

Da ist mir Micahs finstere Miene beinahe lieber.

Mein Blick gleitet unweigerlich zu Pascal. Auf seiner Nase sitzt eine Sonnenbrille, seine Haut ist gebräunt. Im Gegensatz zu mir sieht er aus, als wäre er frisch aus dem Urlaub gekommen.

Ich frage mich, ob das die letzten zwei Jahre für ihn waren. Urlaub. Fort von der Familie Erholung suchen, nur an sich selbst denken, seine Träume verwirklichen.

Hat ihn das glücklich gemacht?

»Was ist?«, fragt er, als er bemerkt, dass ich ihn anstarre.

»Nichts.« Ich wende den Blick ab und umfasse meine Laptoptasche fester. Dass er hier ist und mich zur Uni fährt, fühlt sich verrückt an. »Da vorne links.«

»Okay.« Er setzt den Blinker. »Was war das noch gleich für ein Kurs, den du da belegst?«

»Umgang mit posttraumatischen Belastungsstörungen«, entgegne ich wie aus der Pistole geschossen und atme erleichtert auf, weil er mir eine Frage gestellt hat, die ich problemlos beantworten kann. Bei einigen anderen fehlten mir die Worte.

»Ah.« Er zögert kurz. »Cool.«

»Ja.« Ich seufze leise. Wieso fühlt sich jedes Gespräch mit ihm erzwungen an? Das war doch früher nicht so. »Und du hast gleich einen Termin mit deinem … Management?«, frage ich nach, weil ich plötzlich denke, ich könnte mir ein bisschen mehr Mühe geben.

»Ja, genau.«

»Hört sich wichtig an.«

»Na ja, Maevis wird demnächst meine Anfragen und Mails regeln, also schon irgendwie.« Er lacht verlegen auf und fährt sich mit einer Hand durch die dichten Locken. »Ich hätte nicht gedacht, dass so was irgendwann passieren würde.«

»Schätze, das hast du dir hart erarbeitet«, murmle ich zwiegespalten. Einerseits bin ich stolz auf meinen Bruder, weil er sich aus dem Nichts heraus eine funktionierende Selbstständigkeit erschaffen hat. Andererseits aber auch wütend, weil er dafür zwei Jahre lang so getan hat, als gäbe es uns nicht mehr.

Und wer weiß schon, wie lange er dieses Mal in L. A. bleibt.

»Danke, Lela.«

Ich deute auf ein Gebäude auf der rechten Straßenseite. »Hier ist es.«

»Okay.« Pascal fährt langsamer und hält am Straßenrand. »Warte kurz, okay?«

Er steigt aus, während ich meine Tasche umklammert halte und gegen die Übelkeit in meinem Magen ankämpfe. Egal, wie wütend ich auf ihn oder Micah bin – das ist immer der Moment, in dem ich spüre, wie sehr ich meine Brüder trotz allem liebe. Ich könnte mir nicht verzeihen, wenn ihnen meinetwegen etwas zustoßen würde.

Besorgt blicke ich mich auf dem vertrauten Gelände um. Unachtsamkeit könnte ich dieser Tage mit dem Leben bezahlen.

Ein paar Studenten sind auf dem Weg zu ihren Sommerkursen, wieder andere ziehen gerade ins Wohnheim gegenüber ein, in dem auch ich vor Kurzem noch gewohnt habe. Ein weißer Lieferwagen parkt vor dem Eingang des Wohnheims und scheint auf den ersten Blick das einzige verdächtige Fahrzeug zu sein.

Meine Tür wird aufgerissen.

Erschrocken springe ich in meinem Sitz hoch. Mein Herz beginnt zu rasen, während mir zig Szenarien durch den Kopf schießen und doch nur ein Gedanke bleibt: Bitte nicht.

»Beruhig dich, ich bin’s.« Pascal. Er schiebt sich die Sonnenbrille ins Haar und mustert mich besorgt. »Bist du sicher, dass du das packst?«

Ich schnaube auf. »Natürlich. Ich habe mich bloß erschrocken. Klopf gefälligst nächstes Mal an die Scheibe, statt wie ein Irrer die Tür aufzureißen.«

»Ist ja gut.« Er hebt abwehrend die Arme und tritt einen Schritt zur Seite. »Tut mir leid.«

Mein Herz schlägt immer noch schneller, während ich mit zitternden Beinen aussteige. »Danke fürs Bringen.«

»Immer.«

Wer’s glaubt.

Ich verabschiede mich von ihm, bevor ich Dinge sage, die ich nicht sagen will.

Er ist hier, er gibt sich Mühe.

Das ist alles, was zählt.

*

Ungläubig betrachte ich den Zettel an der Tür. Das darf echt nicht wahr sein. Wieso fällt die Stunde schon wieder aus? Und wieso zum Teufel kann unser Dozent das nicht ein bisschen eher ankündigen?

»So ein Scheißdreck«, murmle ich und drehe mich niedergeschlagen um. Nicht, dass ich mich besonders auf das Seminar gefreut hätte, aber wenn ich schon mehr als dreißig Minuten Fahrtzeit zur Uni auf mich nehme, will ich verdammt noch mal nicht vor verschlossenen Türen stehen.

Seufzend mache ich mich auf den Weg zurück zum Ausgang. Ich verlasse die Dworak-Peck School of Social Work und bleibe auf dem Bürgersteig stehen, wo ich mich erneut genau umsehe. Diesmal in der vagen Hoffnung, Pascal noch zu erwischen, doch natürlich ist er schon fort – und da ich nicht will, dass er seinen Termin für mich absagt, werde ich ihn nicht anrufen, um ihn zurückzubitten.

Der weiße Lieferwagen parkt immer noch vor dem Studentenwohnheim und entlädt die Waren für den Kiosk im Erdgeschoss. Es scheint alles in Ordnung zu sein, trotzdem schleicht sich eine Gänsehaut auf meine Unterarme. Es ist das erste Mal, dass ich wieder allein auf dem Campus unterwegs bin, seit das mit Logan passiert ist.

Ich will meine Kopfhörer rausholen und mich mit Musik ablenken, aber ich habe zu große Angst davor, mir könnte etwas entgehen. Ein Geräusch, ein Hinweis darauf, dass ich in Gefahr schweben könnte. Also umklammere ich bloß mein Handy fester und laufe in die andere Richtung. Weg vom Studentenwohnheim, weg vom Lieferwagen.

Doch kaum habe ich die Straßenecke erreicht, höre ich, wie jemand meinen Namen ruft.

Ich blicke über die Schulter zurück – und erstarre.

Belly.

Scheiße.

Sie überquert die Straße und kommt mit schnellen Schritten auf mich zu. Sofort eile ich weiter, als hätte ich sie nicht gehört.

»Komm schon, Allegra!«, ruft sie. »Jetzt bleib doch mal stehen, ich will nur kurz mit dir sprechen.«

Doch die Kopfhörer?, frage ich mich nervös, aber da hat sie mich eingeholt und fasst mich am Arm.

»Lass. Mich. Los«, presse ich unter zusammengebissenen Zähnen hervor und blitze sie wütend an. Ihre perfekt gezupften Brauen ziehen sich zusammen, in ihren braunen Augen steht ein Schmerz, den ich nicht begreife. Sie sieht Logan so ähnlich, dass mir für einen Moment der Atem wegbleibt. Ich hasse es.

»Gib mir fünf Minuten«, bittet sie mich.

»Nein«, erwidere ich, reiße meinen Arm los und setze mich wieder in Bewegung. Ich will nicht mit ihr reden, ich will sie nicht mal mehr ansehen, so wütend bin ich auf sie und ihren verdammten Bruder.

»Ich will mich doch nur entschuldigen«, ruft sie mir laut hinterher. »Allegra, bitte! Ich muss dir …«

Wütend fahre ich herum und mache zwei Schritte auf sie zu, den Zeigefinger auf sie gerichtet. »Wag es nicht, mir noch einmal ins Gesicht zu lügen, Belly! Ich habe dir vertraut!« Mein Atem geht schneller, und mir schießen heiße Tränen in die Augen. »Ich habe Logan und dir vertraut und hätte alles getan, um euch zu helfen. Also tu mir jetzt wenigstens den Gefallen und lass mich verdammt noch mal in Ruhe.«

Belly sieht aus, als hätte ich sie getreten, aber das ist mir egal.

Sie ist mir egal.

Ein für alle Mal.

Ihre Lippen formen tonlos meinen Namen. Ich schüttle den Kopf, schlucke die Tränen runter und wende mich ab, um zur Bushaltestelle zu laufen.

Dieses Mal lässt sie mich.

*

Mein Herz macht einen Satz, als ich das Fahrrad auf dem Rasen meines Elternhauses entdecke. Schwarzes Metall auf vertrocknetem Gras. Ein untrügerisches Zeichen dafür, dass mir Ärger bevorsteht.

Was macht er denn hier? Wollte er nicht eigentlich von seinem Termin aus direkt zur Uni kommen, um mich abzuholen?

Seufzend drücke ich das Gartentor auf, um das Grundstück zu betreten. Jetzt umzukehren wäre Schwachsinn. Dann hätte ich statt des Seminars zwei Stunden mit Busfahren vertrödelt. Da erscheint mir die Diskussion mit Micah das geringere Übel.

Vielleicht schaffe ich es ja, mich reinzuschleichen und …

Zu spät.

Die Haustür geht auf, und Micahs breite Schultern zeichnen sich hinter der Fliegengittertür ab, die sie erst vor ein paar Tagen installiert haben, weil mich die Mücken hier zum Fressen gernhaben.

»Lela?« Micah zieht sein Handy aus der Hosentasche. Vermutlich schaut er auf die Uhr, um sicherzugehen, dass er sich nicht in der Zeit vertan hat.

»Hey, Micah«, begrüße ich ihn gelassen und ziehe das Fliegengitter auf, um das Haus zu betreten. Er macht mir Platz und ich bemerke, dass er die Sachen anhat, die er immer dann trägt, wenn er mit Dad im Garten arbeitet. »Ich wusste gar nicht, dass du hier bist. Hattest du nicht einen Termin?«

»Und hast du nicht erst in einer Stunde Schluss?«, erwidert er brummend.

»Das Seminar ist ausgefallen.« Ich zucke mit den Schultern, stelle meine Tasche an der Garderobe ab und gehe an den Bildern vorbei, die Dad längst hätte abhängen sollen, damit sie uns nicht immer wieder an das erinnern, was wir verloren haben. In der Küche hole ich mir ein Glas aus dem Schrank und fülle es am Wasserspender des Kühlschranks auf. »Möchtest du auch etwas?«, frage ich Micah, der mir mit finsterem Gesichtsausdruck in die Küche gefolgt ist.

Ich weiß schon jetzt, dass ihm sein Ärger jeden Moment von der Zunge rollen wird. Er war noch nie gut darin, seine Gedanken für sich zu behalten – und seitdem unsere Mom nicht mehr da ist, führt er sich auf, als wäre er der Schutzpatron dieser Familie.

Dabei ist er einfach nur ein Blödmann.

Meistens jedenfalls.

»Warum hast du nicht angerufen? Ich hätte mich sofort auf den Weg gemacht.« Er verschränkt die Arme vor der Brust.

»Ich weiß«, entgegne ich und stelle mein Glas mit einem Seufzen auf die Küchentheke. »Ich habe den Bus genommen. So wie früher auch. Du hast gesagt, du hättest einen Termin.«

»Mit Dad.« Er wedelt genervt mit der Hand. »Ich hätte alles stehen und liegen gelassen, um dich sicher nach Hause zu bringen, Allegra.« Seine Stimme ist dunkel, und die Adern an seinem Hals zucken gefährlich. »Und selbst wenn ich mal einen Termin hätte, den ich nicht verschieben kann – dann würde ich Pascal oder Ben anrufen. Irgendwer hätte dich schon abgeholt.«

Kurz überlege ich, ob ich ihm einfach recht gebe und mich entschuldige. Einfach, damit ich es hinter mir habe. Aber ich bin keine acht mehr. Ich bin verdammt noch mal erwachsen.

»Ich weiß, du denkst, dass das nötig ist, aber Micah … Ganz ehrlich: Hast du mal drüber nachgedacht, was das für ein Bild auf mich wirft, wenn ich ständig eskortiert werde? Zur Uni, okay, aber zur Arbeit?« Meine Hände beginnen zu zittern. Ich balle sie zu Fäusten, während ich weiterrede. »In Skid Row leben Zehntausende Menschen auf der Straße. Viele von ihnen haben sowieso schon Probleme damit, anderen zu vertrauen. Aber Vertrauen ist wichtig, wenn wir etwas bewirken wollen. Ich konnte mit vielen Menschen eine echte Beziehung aufbauen, aber seit ihr die Obermacker raushängen lasst, redet da keiner mehr freiwillig mit mir.«

»Obermacker? Willst du mich verarschen?«

Und schon geht es wieder los.

»Wir versuchen dein Leben zu schützen«, erwidert er, als wäre ich schwerhörig. »Was wir nicht tun müssten, wenn du einmal auf mich hören würdest, statt immer mit deinem Dickschädel durch die Wand zu wollen.«

»Auf dich hören?« Ich schnaube auf. Als hätte er die Weisheit mit Löffeln gefressen. »Und nach Italien ziehen, oder was? Hörst du dir eigentlich mal selbst zu? In was für einem Universum lebst du?«

Micah blitzt mich wütend an. Ich wappne mich für den Gegenwind, für die Argumente, die keine sind, für noch mehr Bullshit aus seinem Mund, aber er überrascht mich, indem er resigniert die Schultern sinken lässt.

»Ich verstehe dich ja«, meint er und seufzt. »Aber ist dir dein Leben wirklich so wenig wert?«

»Was denkst du denn? Meinst du, ich hätte keine Angst? Ich rechne ständig damit, dass irgendwas passiert, okay? Aber was soll ich denn machen? Soll ich mich den Rest meines Lebens verstecken? Ich weiß ja nicht mal, ob Logan überhaupt jemals von mir erzählt hat.«

Micah presst die Lippen aufeinander. Er weiß sehr genau, dass seine Vorstellungen meiner Sicherheit absolut utopisch sind. »Es wäre ja nicht für immer, bloß ein paar Monate, bis sich die Lage beruhigt hat«, entgegnet er.

Ich schnappe empört nach Luft, doch bevor ich ihm Worte an den Kopf werfen kann, die ich eventuell bereuen würde, öffnet Dad die Tür und kommt rein.

»Hey, Lela, du bist ja schon hier.« Er reibt sich über den grau melierten Bart und blickt von Micah zu mir. Seine braunen Augen wirken immer noch leblos auf mich. Als wären sie an jenem Tag vor knapp zwei Jahren mit ihr gestorben. »Störe ich?«

»Eigentlich kommst du genau richtig«, antworte ich in der Hoffnung auf eine Reaktion von ihm, die aus mehr als zwei Sätzen besteht. »Du kannst Micah zurückpfeifen und ihm sagen, dass ich nicht die Stadt verlassen werde, nur weil er denkt, es wäre das Beste für mich.«

»Na ja, du bist noch jung. Ein Semester im Ausland wäre doch eine schöne Sache. Deine Tante würde sich jedenfalls freuen, wenn du sie …«

»Habt ihr eigentlich noch alle Tassen im Schrank?«, fahre ich die beiden Männer an. Mein Herz poltert aufgeregt und ermahnt mich, nicht das zu zerstören, was wir noch haben.

Aber was haben wir denn überhaupt noch? Von meiner alten Familie ist nichts mehr übrig. Das hier ist kein Zustand, in dem ich leben möchte. In dem ich leben kann. Ich muss hier raus. Ich brauche Luft und Freiheit und … Liebe.

Ich brauche so dringend etwas von der Liebe, die einst in diesen vier Wänden gelebt hat.

»Was denkt ihr, wo wir hier sind? Ich bin erwachsen und treffe meine eigenen Entscheidungen. Hört gefälligst auf, in mein Leben reinzureden. Ich verlasse diese Stadt nicht und damit basta!« Heiße Tränen der Wut schießen mir in die Augen, aber ich weigere mich, jetzt die Fassung zu verlieren. »Wenn ihr das nicht respektiert …«

Meine Worte versiegen – genau wie mein Mut.

Was dann? Mir fehlt das Geld, um mir ein Leben ohne die Hilfe meiner Familie aufzubauen. Selbst wenn ich noch einen Job annehmen oder mehr arbeiten würde – es würde niemals reichen, um eine eigene Wohnung in dieser Stadt zu finanzieren.

»Lela.« Micah verzieht schmerzerfüllt das Gesicht, in seiner Stimme schwingt die Sehnsucht mit, die ich in mir spüre. Die Sehnsucht danach, dass wir wieder die Familie sind, die wir mal waren.

Aber das ist vorbei.

Es gibt uns nicht mehr.

Und wir werden nie wieder sein, wie wir mal waren.

2

Allegra

Weinend schließe ich die Tür hinter mir und lehne mich dagegen. Warum muss in letzter Zeit fast jedes Gespräch mit Micah so eskalieren? Wieso können wir nicht einfach da weitermachen, wo wir vor Moms Tod waren?

Wir waren Freunde.

Beste Freunde.

Ich vermisse die alte Version von ihm. Die, die für jeden Spaß zu haben war. Die sich nicht immer so ernst genommen hat.

Dass er vergessen hat, wer er eigentlich ist, ärgert mich. Aber noch mehr regt es mich auf, dass Dad es einfach nicht zu kapieren scheint.

Ich wünschte, er würde endlich aus seiner Trauer aufwachen und sehen, dass unsere Familie längt keine richtige Familie mehr ist.

Seufzend wische ich mir die Tränen von den Wangen und lasse mich auf mein Bett fallen. Es ist kaum ein Jahr her, dass ich von zu Hause ins Studentenwohnheim gezogen bin, und nun sitze ich wieder hier.

Wenigstens das ist nicht Micahs Verdienst.

Ich hole mein Handy raus, um mich von meinen Gefühlen abzulenken und durch Instagram zu scrollen. Aber selbst das tröstet mich heute nicht wirklich, es erinnert mich bloß daran, was ich vor ein paar Wochen aufgeben musste.

Ich bin heilfroh, dass ich meinen Account nicht gelöscht, sondern bloß deaktiviert habe. Aber der neue ist nur ein schwacher Trost, weil ich keine Ahnung habe, wie lange dieser Zustand anhalten wird. Wann werde ich mich endlich wieder sicher genug fühlen, um mein eigenes Ding durchzuziehen?

Wird das jemals passieren? Oder muss ich dafür doch L. A. verlassen?

Weil ich auf Instagram keine Antworten auf meine Fragen finde – und es nur noch ein paar wenige Minuten bis zur Lerngruppe sind –, lege ich mein Handy zur Seite und stehe auf, um mich im angrenzenden Badezimmer frisch zu machen.

»Ach verdammt«, murmle ich beim Anblick im Spiegel. Mein Make-up ist verschmiert, und meine blauen Augen sind so gerötet, dass die anderen sofort sehen werden, dass ich geweint habe.

Ich versuche zu retten, was zu retten ist, bevor ich mich an den alten Schreibtisch setze und meinen Laptop aufklappe, um mich pünktlich zu unserer Lerngruppe dazuzuschalten. Mackenzie und Carly sind schon da – und so wie es aussieht, ist Carly nicht zu Hause, sondern bei ihrem heißen Footballer-Freund.

Mackenzie dagegen hat es sich auf ihrer Terrasse bequem gemacht und schlürft an etwas, was verdächtig nach einem Cocktail aussieht.

»Hey, Allegra«, flötet sie und strahlt mich durch die Kamera an. Mit ihrem Lächeln könnte man einen ganzen Kontinent erhellen. Dann lehnt sie sich vor und kneift die Augen zusammen. »Wo bist du denn?«

»Bei meinem Dad«, erwidere ich zögernd. Sie wissen noch nicht, dass ich nicht mehr auf dem Campus wohne – und ich habe keine Ahnung, wie ich es ihnen erzählen soll, ohne als der größte Volltrottel aller Zeiten dazustehen. Zum Glück bleiben mir weitere Erklärungen erspart, als sich auch die Letzte von uns einschaltet: Laurel. Mackenzie, die in unseren Online-Meetings traditionell die führende Rolle einnimmt, begrüßt auch sie mit einem Tausend-Watt-Lächeln, woraufhin Laurel allerdings rot anläuft.

Ich bin mir nicht sicher, ob sie einfach schüchtern ist oder volle Kanne auf Mackenzie abfährt.

»Hallöchen.« Sie winkt in die Kamera. »Tut mir leid für die Verspätung.«

»Du bist gar nicht zu spät«, erinnert Mackenzie sie sanft. »Wir haben noch nicht angefangen. Wie geht es dir, Laurel?«

Auf ihre Frage folgen erst mal fünfzehn Minuten Gespräch über Laurels Grandpa, der mit jedem Tag vergesslicher wird und ihr mehr und mehr Sorgen bereitet. Sie ist die Einzige, die sich um ihn kümmert. Ihre große Schwester arbeitet in einer schicken Anwaltskanzlei in New York, ihre Eltern sind geschieden und auf verschiedenen Kontinenten unterwegs. Ich bin zwar erst seit Beginn des Summer Terms in dieser Lerngruppe, aber selbst ich habe Laurels Grandpa schon über eines unserer Online-Meetings kennengelernt und würde mir wünschen, dass seine Demenz langsamer voranschreitet.

Heute allerdings bin ich zu sehr von meinen eigenen Problemen abgelenkt, als dass ich Laurel zuhören könnte. Ich nutze die Zeit also, um mir Gedanken über mein Leben zu machen, und schlage eine neue Seite in meinem Kalender auf. In die oberste Zeile schreibe ich: selbstständiger werden.

Dann kaue ich auf meinem Stift herum und überlege, welche Schritte ich gehen muss, um ein Leben unabhängig von meiner Familie führen zu können.

Neue Wohnung finden.

Studium durchziehen.

Geld verdienen.

»Was ist los mit dir, Allegra?«, fragt Carly, als ich der Liste gerade den nächsten Punkt hinzufügen möchte. Ich blicke ertappt auf. »Du siehst ja aus, als hättest du geweint.«

»Ich? Geweint?«, stammle ich etwas hilflos vor mich hin. Die drei sehen mich erwartungsvoll an. »Ich habe nicht … okay, ist ja gut.« Ich hebe beschwichtigend die Hände. »Schaut mich nicht so an. Ich hatte Streit mit meiner Familie. Halb so wild. Es wird nur echt Zeit, dass ich eine neue Bleibe finde.«

»Wohnst du nicht im Wohnheim?« Mackenzie klingt verwirrt. »Was hat deine Familie damit zu tun?«

»Nun …« Ich zögere. Von Logan und den Crips will ich ihnen nichts erzählen. Es ist besser, wenn sie das nicht wissen – mal ganz abgesehen davon, dass mir meine Naivität immer noch peinlich ist. »Ich habe mich mit meiner Mitbewohnerin gestritten«, rede ich mich raus. Das ist zumindest ein Teil der Wahrheit, denn nach dem, was Logan getan hat, traue ich Belly kein Stück mehr über den Weg. »Ich bin gerade bei meinem Dad, aber ganz ehrlich: Drei Wochen sind drei Wochen zu viel.«

»O Gott, ja, mit meinem Dad würde ich auch nicht zusammenwohnen wollen.« Carly verzieht entsetzt das Gesicht. Die anderen lachen. »Ich verstehe dich so gut.«

»Es ist nicht nur mein Dad«, fahre ich fort, weil ich plötzlich den Drang verspüre, mir meinen Frust von der Seele zu reden. Vorsichtshalber senke ich die Stimme. »Meine Brüder gehen mir tierisch auf die Nerven. Vor allem Micah. Er treibt mich echt in den Wahnsinn.«

»War Micah nicht der heiße Feuerwehrmann?«, hakt Carly nach.

»Feuerwehr – ja. Heiß?« Ich deute mit dem Zeigefinger auf meinen Mund und tue so, als müsste ich würgen. »Kein bisschen.«

Die anderen kichern. »Das sagst du bloß, weil er dein Bruder ist.«

»O nein, glaubt mir – er sieht vielleicht nicht übel aus, aber sein Umgang mit Frauen? Puh, so einen wollt ihr wirklich nicht«, widerspreche ich vehement. »Wenn es nach seiner Pfeife ginge, würde seine Frau bestimmt den ganzen Tag zu Hause auf ihn warten müssen und ihn von vorne bis hinten bedienen.«

»Wenn er sie dafür mit heißem Feuerwehrmannsex belohnt?«, meint Carly amüsiert.

»Pfui, Carly!«, ruft Mackenzie und deutet ermahnend auf den Bildschirm. »Müssen wir wirklich noch mal das Feminismushandbuch rausholen?«

»Ist ja gut. Nachricht ist angekommen.« Sie winkt lachend ab. »Außerdem habe ich ja Talbot.«

»Eben. Sei nicht so gierig«, witzelt Mackenzie.

Wir lachen, und ich fühle mich verdammt erleichtert, weil ich ihnen endlich von meiner Situation erzählt habe und keine unangenehmen Fragen beantworten musste. »Jedenfalls suche ich etwas Neues«, füge ich noch hinzu, nachdem sich unser Gelächter gelegt hat. »Wenn ihr etwas hört, was ich mir auch als Studentin leisten kann, wäre ich darüber sehr froh.«

»Hättest du mal gleich was gesagt.« Mackenzie grinst und lehnt sich verschwörerisch vor. »Mein Bruder hat vor anderthalb Jahren ein Haus gekauft. Es hat eine kleine Einliegerwohnung, die er irgendwann zu einem Airbnb umbauen will, aber noch ist sie frei. Zufällig schuldet er mir noch etwa ein Dutzend Gefallen.« Sprachlos sehe ich sie an. Meint sie das ernst? »Und: Er ist die meiste Zeit für seinen Job unterwegs, also würdest du gar nicht viel von ihm mitbekommen.«

Sie sagt das, als wäre es schon beschlossene Sache. Als würde ich morgen einziehen können und endlich mein eigenes Reich haben. Eine eigene Wohnung mit einem eigenen Badezimmer und einer eigenen Küche.

Aber der Erfahrung nach sind die Sachen nie so einfach, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Ich versuche, die Vorfreude runterzuschlucken, die sich in mir breit machen will. Wenn die Wohnung gut gelegen ist, wird sie ein Vermögen kosten. Wenn er Geschäftsmann ist, wird er wissen, wie die gängigen Wohnungspreise sind und sie mit Sicherheit nicht unter Wert vermieten, nur weil die Freundin seiner Schwester in einer Notlage steckt. Einer Notlage, die eigentlich nicht mal eine ist, immerhin habe ich ja ein Dach über dem Kopf – und das ist deutlich mehr, als viele andere in dieser Stadt von sich sagen können.

»Ich fürchte nur, dass ich sie mir nicht leisten kann«, murmle ich also niedergeschlagen.

»Ich frage ihn«, entgegnet Mackenzie mit einem siegessicheren Lächeln. »Ich weiß genau, welche Knöpfe ich drücken muss.«

3

Maverick

Mit knurrendem Magen träufle ich die restliche Soße über die Enchiladas, bevor ich den geriebenen Käse verteile und die Auflaufform in den Ofen schiebe. Ich genieße die Ruhe, nachdem ich drei Tage von Hochzeitsgästen umringt war, die nichts Besseres zu tun hatten, als die ganze Zeit über Immobilien, Aktien und Politik zu sprechen. Da konnte auch der atemberaubende Ausblick auf die Stadt nichts gegen meine schlechte Stimmung machen.

Sollte ich jemals heiraten, dann ganz bestimmt nicht so. Auch wenn meinen Eltern diese Art Event bestimmt am liebsten wäre, denke ich ironisch. Aber nein, für meinen Geschmack müsste es eine kleine Feier sein. Nur die engsten Freunde und Familienmitglieder, Braut und Bräutigam, die weinen, weil sie glücklich sind, nicht weil irgendwer die Hochzeitstorte verbockt hat. Und das Essen würde richtiges Essen sein, nicht dieser Firlefanz, von dem niemand wirklich satt wird.

Das sind auch die Hochzeiten, die ich am liebsten fotografiere. Kleine, persönliche Feiern, selbst organisiert und dekoriert – mit Liebe, nicht mit Geld.

Schade nur, dass ich solche Veranstaltungen nur noch selten begleite, weil sich die Leute mit Geld die freien Termine krallen – und die ohne es sich sowieso nicht mehr trauen, mich anzufragen.

Vielleicht sollte ich mal Mackenzie fragen, ob sie eine Idee hat, wie ich wieder andere Kundschaft anziehen könnte. Ich habe nämlich keine Ahnung, wie viele von diesen repräsentativen Feierlichkeiten ich noch vertrage, ohne durchzudrehen.

Seufzend öffne ich mein Instagram, um zu schauen, ob ich etwas verpasst habe. Auf Weddings by Mav sind einige Kommentare und private Nachrichten eingetrudelt, um die sich Mackenzie später kümmern wird. So kann sie direkt Links und Dateien mitschicken, falls ich für eine Hochzeit angefragt werde. Früher war es mein Instagram Account, der die meisten Hochzeitskunden zu mir gebracht hat. Mittlerweile brauche ich Instagram kaum noch, um während der Saison ausgebucht zu sein. Dennoch teile ich auf diesem Weg regelmäßig Bilder von den extravaganten Hochzeiten, die ich als Fotograf begleite. Das hier ist sozusagen mein virtuelles Portfolio.

Viel mehr interessieren mich aber die Kommentare auf meinem zweiten – anonymen – Account: The Dark Side of L.A. Hier teile ich als Paparazzo Andy die Bilder, die ich in Skid Row mache – mit dem Unterschied, dass niemand weiß, wer diesen Account betreut. Ich verteile Herzchen unter den neuen Antworten und versuche, auf alle Fragen zu reagieren, aber seit dem Interview in der LA Times sind meine Follower-Zahlen explodiert und ich komme kaum noch hinterher.

Der Hochzeitsaccount wäre der wichtigere, das weiß ich, immerhin kommt darüber immer noch Kundschaft, aber der hier ist mein Herzensprojekt. Allein deshalb verbringe ich damit deutlich mehr Zeit.

Als Mackenzie an die Tür klingelt, verbreiten die Enchiladas bereits ihren himmlischen Duft, und ich habe zumindest einen Großteil der Kommentare abgearbeitet. Hungrig öffne ich ihr.

»Mav!« Sie umarmt mich zur Begrüßung. Ich ziehe sie dicht an mich, atme eine starke Dosis Zuckerwattenduft ein und fühle mich gleich geborgen. »Schön, dich wiederzusehen.«

»Schön, dich zu sehen«, erwidere ich und zupfe an einer ihrer rosa Locken. »Zwei Wochen sind eindeutig zu lang.«

»Wem sagst du das?« Seufzend löst sie sich von mir. »Immerhin bin ich diejenige, die zwei Wochen auf deine Kochkünste verzichten musste. Was gibt es heute?«

Lachend schließe ich die Haustür und eile ihr hinterher in den Bereich des Hauses, den ich aktuell bewohne. Ich schließe gerade die zweite Tür hinter uns, als sie schon »Enchiladas!« ruft. »Ich habe wirklich den besten Bruder auf der ganzen Welt!« Sie dreht sich begeistert zu mir um und wirft ihre Handtasche auf die Kücheninsel.

»Liebe geht eben durch den Magen.« Ich grinse sie an und schnappe mir die Ofenhandschuhe, um die Auflaufform herauszuholen und auf einem Holzbrett abzustellen.

»Du weißt ganz genau, dass mir auch eine Dosensuppe gereicht hätte. Hauptsache, wir verbringen Zeit miteinander.« Wie jedes Mal kümmert sich Mackenzie um Gläser für uns und durchstöbert die Auswahl an Getränken. »Oh, der sieht aber gut aus.« Sie deutet auf die beiden Flaschen Opus One Overture, die ich von der Hochzeit mitgebracht habe und die immer noch auf der Kücheninsel stehen. »Wirst du etwa doch noch zum Connaisseur?«

»Als ob.« Ich schnappe mir den Wein und bringe ihn zu der Anrichte im Wohnbereich, damit er sich zu den anderen Geschenken gesellen kann, die ich von Brautpaaren bekommen habe. »Die sind nicht für dich, Madame.«

Sie schnalzt mit der Zunge. »So eine Schande, dass du den Wein nicht teilen möchtest.«

Diese Gespräche führen wir immer, wenn ich von einer Hochzeit etwas mitbringe. Mal ist es Wein, mal sind es Pralinen, mal ist es eine Flasche selbst gebrannter Schnaps. Aber all diese Geschenke landen direkt auf meiner Anrichte, wo sie auf meinen nächsten Ausflug nach Skid Row warten.

Klar könnte ich den Wein verkaufen und von dem Geld billigeren Fusel besorgen. Das würde vielleicht den Zweck erfüllen, aber die wirklich wichtigen Türen öffnet nur ein Geschenk, welches aus eigener Macht unerreichbar scheint.

»Der soll wirklich gut sein«, entgegne ich schmunzelnd. »Zumindest wirkt er ordentlich. Die Hochzeitsgäste waren sehr schnell sehr betrunken.«

»Hoffentlich konntest du vorher noch gute Fotos von ihnen machen.«

»Ah, davon habe ich genug«, verspreche ich ihr und hole die Avocado aus dem Kühlschrank, die ich bereits geschnitten habe und nun über den Enchiladas verteile. Dann trage ich die heiße Auflaufform vorsichtig zum Tisch. Mackenzie folgt mir mit zwei großen Gläsern Eistee.

»Also war es eine gute Hochzeit?«

»Hmpf«, mache ich, während ich uns beiden etwas auf die Teller fülle.

»Hmpf?«, hakt sie nach. »Was soll das heißen?«

Ich zucke mit den Schultern und lehne mich zurück. »Es ist einfach immer dasselbe. Eine riesige Fake-Show, weißt du? Da waren dreihundertfünfzig Gäste. Ich bezweifle, dass das Brautpaar überhaupt Zeit hatte, jeden von ihnen zu begrüßen. Wenn sie überhaupt alle persönlich kannten.«

»Aber sie bezahlen gut.« Mackenzie kostet von ihrem Essen und schließt für einen Moment genüsslich die Augen.

»Ich weiß.« Ich nehme mein Besteck in die Hand. »Ich habe mich nur gefragt, ob es wirklich so viele von diesen Hochzeiten braucht. Vielleicht könnte ich stattdessen auch mal andere Sachen machen, kleinere Hochzeiten oder andere Events, die … mehr Bedeutung haben.«

»Du könntest auch einfach mal ein paar Tage Pause im Monat einplanen. Vielleicht würden dich deine Aufträge dann nicht mehr so nerven«, schlägt sie vor.

»Mich nervt gar nicht die Arbeit an sich, mich nerven die Menschen.« Ich lächle entschuldigend, immerhin ist auch unsere Familie Teil dieser Gesellschaftsschicht. »Ich habe einfach die Nase voll von den Gesprächen. Und ehrlich gesagt macht es mich krank, wie viel Geld die Leute zum Fenster rauswerfen, um sich gegenseitig zu übertrumpfen, wenn mitten in der Stadt Zehntausende obdachloser Menschen leben.«

Ich lege mein Besteck ab, weil mir der Appetit vergangen ist. Als ich meine Selbstständigkeit aufgebaut habe, konnte ich darüber noch hinwegsehen, musste es, um selbst Fuß fassen zu können. Ich war glücklich, dass ich diesen Job machen durfte, dass ich Geld verdient habe, dass ich mir ein eigenes Leben aufbauen konnte. Aber jetzt werde ich mit jeder Hochzeit wütender. Ich kann einfach nicht mehr wegschauen.

»Du musst keine einzige dieser Hochzeiten fotografieren, Maverick«, sagt Mackenzie sanft. Sie greift nach meiner Hand und drückt sie. »Das hier ist dein Traum gewesen. Du hast in den letzten Jahren genug Geld verdient, um dir zu überlegen, was du wirklich machen willst. Folge deinem Herzen, nicht dem Wunsch anderer Leute, okay?«

Ihre Worte bedeuten mir die Welt, aber egal, wie oft sie mir versichert, dass ich meine Zukunft allein in der Hand habe – ich bin nicht sicher, ob sie damit recht hat. Als ich mich damals dafür entschieden habe, den Traum vom Fotografieren zu verfolgen, wusste ich nicht, was es heißt, einer der angesagtesten Hochzeitsfotografen in L. A. zu sein.

Damals dachte ich, wenn ich diesen Status erreicht hätte, wäre ich angekommen. Hätte alles erreicht.

Ich wusste nicht, dass die Suche weitergehen würde, und ich wusste auch nicht, dass sich die aufkommenden widersprüchlichen Gefühle nicht auf magische Weise abstellen würden, sobald ich mein Ziel erreicht hätte.

»Du hörst dich an wie ein Glückskeks«, necke ich sie, auch wenn ich ihr eigentlich viel lieber sagen würde, dass ich nicht weiß, wie ich meinen alten Traum für einen neuen loslassen soll. Ich räuspere mich und trinke etwas, während ich fieberhaft nach einem anderen Thema suche.

»Du weißt, dass du niemandem etwas beweisen musst.« Ihre Stimme ist leise und schwingt vor Bedeutung. »Alles, was Mom und Dad für dich wollen, ist, dass du glücklich bist.«

»Ich weiß«, erwidere ich – und es stimmt. Ich weiß das, aber irgendwo zwischen Kopf und Herz verpuffen diese Botschaften. Ich weiß das alles. Aber ich fühle es nicht. »Komm, iss auf, bevor es kalt wird. Ich habe nicht umsonst eine Stunde in der Küche gestanden.«

*

Nach dem Essen verkrümeln wir uns mit Eis ins Büro, in dem ich extra einen zweiten Arbeitsplatz für Mackenzie eingerichtet habe. Die meiste Zeit arbeitet sie zwar zu Hause, aber sie soll nicht das Gefühl haben, sie wäre hier nicht willkommen oder ich wäre undankbar für ihre Unterstützung.

Sie stellt ihre Tasche neben dem Laptop ab und sieht sich um. Ihr fallen die beiden neuen Pflanzen am Fenster sofort auf. »Schon wieder?«, fragt sie mit einem Grinsen.

»Ich konnte nicht widerstehen.« Ich gehe zu den beiden Neuankömmlingen und berühre die grünen Blätter der einen Pflanze. »Das hier ist eine Pilea Peperomioides. Oder einfacher gesagt, eine Ufopflanze.«

Mackenzie prustet los. »Ufopflanze?«

»Ich schätze, das liegt an der Blattform. Sie wird sonst auch Chinesischer Geldbaum genannt.«

»Ufopflanze gefällt mir besser«, erklärt sie entschlossen. »Und die andere?«

»Chlorophytum Comosum oder auch einfach Grünlilie. Aber das müsstest du eigentlich wissen, immerhin ist das nicht meine einzige«, tadle ich sie spielerisch. »Im Wohnzimmer steht auch eine.«

»Ups, die ist mir wohl entgangen.«

»Das riesige Ding neben der Tür?«, frage ich ungläubig. »Wie kann dir die entgangen sein?«

Sie zuckt entschuldigend mit den Schultern. »Schätze, ich achte eher auf andere Dinge. Zum Beispiel darauf, dass du dir einen Bart wachsen lässt!«

Ich lasse mich in meinen Schreibtischstuhl fallen und nehme einen Löffel von meinem Eis. »Ich will in Skid Row nicht erkannt werden. Ist sexy, oder?«

»Geht so.« Sie lacht und setzt sich neben mich, um ihr Eis zu essen und gleichzeitig ihren Laptop zu starten. »Aber egal, was du tust – für mich wirst du sowieso nie sexy sein.«

»Wow.« Theatralisch lege ich eine Hand auf mein Herz. »Und hier sitze ich und gebe mein Bestes, um endlich von dir gesehen zu werden.«

Sie schnaubt auf. »Mav!«

»Ich mache bloß Witze. Um dir zu gefallen, müsste ich mir schon Brüste wachsen lassen.«

»Das wäre ein Anfang«, erwidert sie amüsiert. »Urgh, und da wir schon dabei sind: Die Muskeln könntest du verschwinden lassen, damit man es sich auf dir wirklich bequem machen kann.«

»Meine Güte, hast du hohe Ansprüche«, witzle ich. »Meine Muskeln? Weißt du, wie hart ich dafür gearbeitet habe?«

»Mach dir keine Sorgen. Selbst wenn ich auf Kerle stehen würde: Du bist mein Bruder. Das ist einfach …« Sie schaudert. »Das ist einfach falsch.«

Ich lache – und freue mich insgeheim darüber, dass Mackenzie niemals auf die Idee kommen würde, mich als ihren Adoptivbruder zu bezeichnen. Für sie gehöre ich so fest zur Familie, wie es ein leiblicher Bruder tun würde.

Grinsend zieht sie sich ihren Laptop heran. »Also, wollen wir uns dem Elefanten endlich zuwenden?«

Seufzend rolle ich mich näher an ihren Arbeitsplatz heran. »Muss ja sein, nicht wahr?«

»Wir sind sowieso schon spät dran, also ja.«

»Sind wir?«

»Mhm. Sieh mal.« Sie deutet auf das Display, auf dem sie eine gigantische Liste an To-dos aufgerufen hat, die mir direkt Sorgen bereitet. »Ich habe mir mal ein paar Gedanken gemacht, was wir erledigen müssen und vor allem bis wann.«

Ein paar Gedanken. Ist klar.

»Das ist ein voll ausgereifter Aktionsplan«, sage ich stumpf und sehe zu meiner Schwester, die mich stolz anstrahlt. »Wieso?«, frage ich sie gequält.

»Weil ich dich lieb habe«, entgegnet sie fröhlich und stößt ihren Ellbogen in meine Rippen. »Und weil du mich dafür bezahlst, schon vergessen?«

»Ich bezahle dich dafür, dass du meinen Instagram-Account managst und E-Mails beantwortest«, widerspreche ich und deute auf den Laptop. »Aber doch nicht dafür, dass du, keine Ahnung, wie viele Stunden, Arbeit in eine Eventplanung für mich steckst.«

»Sieh es einfach als Gefallen. Ich weiß doch, wie sehr du diese Dinge hasst.«

»Du bist verrückt«, murmle ich und lege einen Arm um ihre Schultern. Der Duft nach Zuckerwatte steigt mir in die Nase. Bei jeder anderen Frau würde ich mit so viel Parfüm die Krise kriegen, bei Mackenzie fühlt es sich an wie Heimat. Ich atme tief ein, mache meinen Frieden damit, dass sie mit ihrer Hilfsbereitschaft immer gnadenlos übertreibt, und küsse sie auf die Stirn. »Danke.«

4

Maverick

Drei Stunden und ein paar Gläser Eistee später glüht mir der Kopf. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie wir das alles schaffen wollen. Wie ich das alles schaffen soll – immerhin hat Mackenzie ein eigenes Leben und wird wohl kaum bei jedem Schritt Händchen haltend neben mir stehen.

Die Ausstellung findet in etwa zweieinhalb Monaten statt. Bis dahin muss ich Fotos machen und bearbeiten, Leinwände bedrucken lassen, Kunstdrucke und Postkarten bestellen. Die Presse muss informiert werden, die Räumlichkeiten vermessen, das Catering bestellt. Ich muss mich entscheiden, ob wir für Livemusik sorgen wollen – oder welche Musik wir ansonsten im Hintergrund laufen lassen.

Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich niemals zugestimmt, als Samuel Harrison mich eingeladen hat, in seiner Galerie auszustellen.

»Du wirst das hinkriegen«, versichert Mackenzie mir, weil sie die Panik in meinem Blick sieht. »So viel Arbeit ist das nicht. Kümmere dich erst mal um die Fotos. Ich erledige das mit der Presse und den Einladungen …«

»Einladungen?«, hake ich ungläubig nach. »Davon hast du aber gerade noch nichts gesagt, oder?«

Sie beginnt zu lachen und deutet auf einen der Punkte auf der To-do-Liste. »Das war, nachdem wir über das Catering gesprochen haben«, erwidert sie belustigt. »Ich glaube, da habe ich dich für einen Moment verloren.«

»Die Leute kommen – wenn sie kommen –, um sich Bilder anzusehen, nicht, um sich die Bäuche vollzuschlagen.«

Sie tätschelt meine Hand, als wolle sie sagen »ja, ja, glaub das ruhig«. Dann wird sie wieder ernst. »Ich würde gerne noch über eine andere Sache mit dir reden.«

»Hm?«

»Hast du dir schon mal überlegt, ob du Andy öffentlich machst?«, fragt sie vorsichtig, und mir wird heiß und kalt zugleich. »Wenn du dich zeigen würdest und The Dark Side of L. A. nicht mehr anonym wäre, könntest du deine gesamte Zeit da reinstecken. Du könntest Kooperationen an Land ziehen und müsstest vielleicht bald keine Hochzeiten mehr fotografieren.«

»Ich weiß nicht«, murmle ich mit einem Ziehen in meiner Magengrube. Natürlich habe ich schon drüber nachgedacht, meine Anonymität aufzugeben, aber gleichzeitig bietet sie mir auch einen gewissen Schutz. Wenn meine Kundschaft wüsste, dass ich gelegentlich als Obdachloser verkleidet in Skid Row abtauche, um Fotos zu machen, würden sie mich vielleicht nicht mehr für ihre Hochzeiten buchen, weil meine Mission in einem krassen Gegensatz zu ihren opulenten Feiern steht. Sie hätten automatisch ein schlechtes Gewissen, wenn ich sie dabei fotografiere, wie sie eine mehrere Tausend Dollar teure Hochzeitstorte anschneiden – und wer will am besten Tag seines Lebens schon an das größte Problem dieser Stadt denken?

Wenn ich aber ganz ehrlich zu mir bin, ist das nicht der Grund für meine Geheimniskrämerei. Mom und Dad sind es.

Wenn sie wüssten, dass ich immer noch nach Skid Row zurückkehre, würden sie womöglich denken, ich wäre undankbar – oder aber sie würden ihr Geld nutzen, um mich zu unterstützen. Das wäre aber nicht richtig. Denn eigentlich sollte es nur darum gehen, dass die Menschen in Skid Row helfen wollen, weil sie das Elend in diesem Stadtbezirk nicht mehr ertragen. Das sollte weder eine politische noch eine familiäre Entscheidung sein.

»Ich denke darüber nach, okay?«, antworte ich auf Mackenzies Frage.

Sie lächelt mich mitfühlend an und nickt. »Klar, mach das.«

»Danke. Und danke auch für das alles. Ich weiß nicht, wie ich das jemals wiedergutmachen soll, Kenzie.«

»Lustig, dass du fragst.« Ihr Mitgefühl weicht Schuldbewusstsein. Ich runzle die Stirn und mache mich auf das Schlimmste gefasst. Normalerweise bin ich derjenige, der sie um Hilfe bittet. Andersherum läuft es nur selten.

»Was ist los? Was brauchst du?«

Sie rümpft die Nase und überlegt kurz. Dann sagt sie: »Deine Wohnung drüben … die steht doch leer, oder?«

Überrascht ziehe ich eine Braue hoch. »Willst du doch bei Mom und Dad ausziehen? Du weißt, dass du hier immer willkommen bist.«

»Nicht ich. Eine meiner Freundinnen sucht eine neue Bleibe.«

Zögerlich warte ich auf mehr Informationen. Die letzten beiden Vermietungen sind alles andere als gut gelaufen, deshalb hatte ich eigentlich beschlossen, die Wohnung nicht mehr dauerhaft zu vermieten, sondern sie eines Tages zu einem Airbnb umzugestalten.

»Sie heißt Allegra. Wir studieren zusammen«, fährt Mackenzie fort. »Sie musste letztens aus dem Studentenwohnheim raus. Jetzt wohnt sie bei ihrer Familie, aber ich glaube, das ist keine Dauerlösung für sie. Du kannst einen Vogel nicht einsperren – sonst lernt er niemals fliegen.«

Ich schnaube belustigt auf. Mackenzie und ihre poetischen Anwandlungen – auch wenn sie mich neugierig auf die Frau machen, die sie als Vogel bezeichnet.

»Die Wohnung ist eigentlich nicht bereit für eine neue Mieterin«, erkläre ich dennoch unschlüssig. Will ich wirklich einen dritten Versuch wagen? Was, wenn diese Allegra Ärger anzieht?

»Ist es so schlimm?«, fragt Mackenzie besorgt.

»Na ja, schön ist anders«, gebe ich mit einem Seufzen zu. Eigentlich hätte ich mich längst um die Wohnung kümmern müssen, aber alles andere ist immer wichtiger. »Das Parkett muss raus, das ist an ganz vielen Stellen zerkratzt oder kaputt wegen der Feuchtigkeit vom … du weißt schon.«

Sie verzieht angeekelt das Gesicht.

»Die Wände müssen unbedingt tapeziert werden. Das Bad braucht einen neuen Klodeckel und einen neuen Spiegel, und die Küche müsste vermutlich auch ausgetauscht werden. Das ist kein Projekt, was ich in ein oder zwei Tagen erledigen könnte. Abgesehen davon habe ich weder Zeit noch Lust, mich da am laufenden Band drüber zu ärgern.«

»Ich bezweifle, dass Allegra in die Ecke pinkeln würde«, murmelt Mackenzie und sieht enttäuscht aus. »Ich wünschte nur, ich könnte ihr helfen, weißt du? Sie sah beim letzten Mal todunglücklich aus.«

»Was macht ihre Familie denn?«, frage ich, weil ich mir nicht vorstellen kann, wie man ein Familienmitglied so fertigmachen kann, dass dieses freiwillig ausziehen will. »Ach nein, vergiss es, eigentlich will ich es gar nicht so genau wissen. Sonst werde ich ja direkt schwach und gebe nach.«

Mackenzie verkneift sich ein Lächeln. »Hast du das nicht sowieso schon?«

Sie kennt mich wirklich gut. Besser als jeder andere Mensch auf dieser Welt. Sie weiß, dass ich helfe, wenn es in meiner Macht steht – und die Einliegerwohnung dieses Hauses ist leider wirklich die perfekte Lösung für eine Freundin in Nöten.

»Vielleicht kann Dad kurzfristig jemanden kommen lassen, der sich um die Böden und die Wände kümmern kann«, lenke ich ein. »Ich habe keine Zeit, eine Küche auszusuchen, aber meinetwegen bezahle ich sie und vermiete sie mit.«

»Zu einem Superpreis?«, hakt Mackenzie mit Engelsblick nach.

Ich verenge die Augen zu Schlitzen und deute mit dem Zeigefinger auf sie. »Wie viel von diesem Gespräch hast du so sorgfältig vorbereitet wie den Plan für die Ausstellung, Madame?«

Das Lächeln, das sie vorher noch zurückgehalten hat, erhellt nun den ganzen Raum. »Den einen oder anderen Satz vielleicht.«

»Vielleicht solltest du doch noch Anwältin werden«, brumme ich. Die Aussicht auf eine neue Mieterin macht mich nervös, aber gleichzeitig vertraue ich Mackenzie vollkommen. Wenn sie sagt, Allegra sollte in diese Wohnung einziehen, dann höre ich auf sie. Besser als der nächste Obdachlose, der in die Ecken pinkelt.

»Also kann ich ihr sagen, dass sie einziehen kann?«

»Wenn wir Handwerker finden, die die Wohnung bis zum Wochenende fertig bekommen – meinetwegen.«

Mackenzie jubelt und fällt mir um den Hals. »Du bist wirklich der beste Bruder aller Zeiten!«

5

Allegra

»Das ist eine blöde Idee«, brummelt Micah zum wiederholten Male, während er die letzte meiner Kisten in den Kofferraum lädt. »Du kennst den Typen überhaupt nicht. Was, wenn er ein Serienkiller ist?«

»So ein Blödsinn«, geht Pascal dazwischen, kurz bevor mir der Kragen platzt. »Wenn du dir solche Sorgen machst, frag Ben, ob er ihn überprüft.«

Ich stemme die Hände in die Seiten und funkle die beiden wütend an. »Wagt es ja nicht.«

»Allegra hat recht. Lernt ihn doch erst mal kennen, bevor ihr voreilige Schlüsse zieht.« Dankbar für Hollys Unterstützung sehe ich zu ihr. Pascals neue Freundin lächelt mich an und klimpert mit ihren Schlüsseln. »Willst du mit mir fahren?«

»Das musst du mich nicht zweimal fragen«, entgegne ich erleichtert und schnappe mir meine Handtasche. Ich drücke Dad einen Abschiedskuss auf die Wange und laufe zur Beifahrertür des kunterbunten Vans, in dem Pascal noch vor Kurzem gelebt hat. Schnell steige ich ein, ehe meine Brüder irgendwelche Einsprüche erheben können. Sollen sie sich allein drum streiten, ob dieser Umzug nun ein riesiger Fehler oder ein notwendiger Schritt für den Zusammenhalt unserer Familie ist.

»Ich kann es echt nicht mehr hören«, klage ich, als Holly hinters Steuer geschlüpft ist. Sie wirft mir einen mitfühlenden Blick zu. »Ich mache zehn Kreuze, wenn der Tag um ist und ich endlich in meinen eigenen vier Wänden wohne.«

»Das kann ich mir gut vorstellen.« Sie startet den Motor. »Was Pascal da manchmal von Micah erzählt … tut mir echt leid, dass er so übertreibt.«

»Ich versteh’s ja. Wenn er in meiner Situation wäre, würde ich mir auch Sorgen machen, aber er geht wirklich zu weit. Wie kommt er auf die Idee, mich nach Italien schicken zu wollen? So weit kommt’s noch.«

Holly lacht auf. »Er wird sich sicher wieder einkriegen. Gib ihm ein bisschen Zeit. Das Ganze ist jetzt wie lange her? Drei Wochen?«

Ich nicke. Drei Wochen, in denen ich nie die gleichen Wege genommen und ständig Blicke über meine Schultern geworfen habe. Drei Wochen, in denen ich bei jedem Knall zusammengezuckt bin und mir bei jedem finsteren Blick eines mir unbekannten Menschen der Schweiß ausgebrochen ist. Drei Wochen, in denen Micah und Pascal mich überallhin begleiten, als wären sie meine kugelsichere Weste.

»Sie meinen es nur gut«, fügt Holly sanft hinzu, weil ich nichts weiter sage. »Ich meine, ich kenne Micah nicht besonders gut, aber ich schätze, er hat einfach Angst, dich zu verlieren.«

Ich schnaube auf. »Wenn er so weitermacht, wird er das.«

Holly schweigt. Als ich sie vor anderthalb Wochen zum ersten Mal getroffen habe, mochte ich sie gleich. Sie ist das perfekte Gegenstück zu Pascal. Wo er nachdenklich und manchmal zu ernst ist, ist sie die Fröhlichkeit in Person, aber ich weiß, dass auch sie starke Selbstzweifel begleiten. Immerhin war ich dabei, als Pascal um sie gekämpft hat, wie er noch nie um eine Frau gekämpft hat.

»Weißt du, was? Wir sollten Handynummern austauschen«, beschließt sie, während wir Pasadena verlassen und in Richtung Downtown L. A. abbiegen. »Dann kannst du mir Bescheid sagen, wenn Pascal Micah zurückpfeifen soll.«

»Können wir gerne machen, aber ganz ehrlich: Je weniger Pascal mit Micah zu tun hat, umso besser für ihn. Nicht dass er plötzlich auch noch der Meinung ist, er wüsste alles besser.«

»Guter Einwand.«

»Außerdem seid ihr gerade erst zusammengekommen«, füge ich hinzu. »Da hat Pascal sicher Besseres zu tun, als Micah in seine Schranken zu weisen.«

»Mir macht das nichts aus«, erwidert Holly und konzentriert sich kurz auf die Navigation auf ihrem Handy, um die richtige Abfahrt nicht zu verpassen. »Solange das nicht die Zeit betrifft, die wir zusammen verbringen wollen.«

»O Gott, bloß nicht. Wahrscheinlich ist Pascal deshalb so entspannt.«

Sie grinst breit. »Ja, vielleicht.«

»Vielleicht sollten wir den guten Micah einfach verkuppeln«, schlage ich vor und erwidere ihr Grinsen. »Wenn er regelmäßig Sex hätte, wäre er vielleicht nicht mehr so ein Blödmann.«

Wir lachen, aber ein Funken Wahrheit steckt in meiner Idee ganz bestimmt.

»Steht er nicht eigentlich auf seine Kollegin? Pascal meinte so was in die Richtung.«

»Ich habe keinen blassen Schimmer. Ehrlich gesagt versuche ich mir über das Sexleben meiner Brüder genauso wenig Gedanken zu machen wie über das meiner Eltern.« Ich räuspere mich. »Meines Dads, meine ich.«

Wann werde ich mich endlich daran gewöhnen, nur noch im Singular von ihm zu reden?

Wenigstens bleibt mir dieses Mal der mitfühlende Blick erspart, weil das Handy die Ankunft am Zielort ankündigt. Holly setzt einen Blinker und bleibt vor einem gusseisernen Tor stehen.

»Wow«, entfährt es uns gleichzeitig. Hinter dem Tor befindet sich ein kleines, mediterran aussehendes Anwesen mit beige getünchten Wänden und in Holz eingefassten Fenstern und Türen. Die Auffahrt führt an dem edlen, zweistöckigen Eingangsbereich vorbei hin zu zwei Garagen. Das rote Dach glänzt in der Morgensonne. Der Rest des vorderen Grundstücks ist bepflanzt mit Büschen und Bäumen in den verschiedensten Formen und Größen.

»Ist das etwa das Haus?«, fragt sie ungläubig.

»Ich weiß nicht.« Ich ziehe mein Handy aus der Handtasche, um die Adresse zu überprüfen, die Mackenzie mir gegeben hat. »Ich glaube schon. Sie sagte, es sieht aus wie eine Hazienda im Kleinformat.«

»Kleinformat.« Holly schnaubt belustigt. »Wo ist diese Mackenzie noch gleich aufgewachsen? In einem Palast?«

*

Keine zehn Minuten später haben wir nicht nur den Van, sondern auch den Toyota meines Dads vor den beiden Garagen des Hauses geparkt. Ich steige aus und sehe mich neugierig um. Aus der Nähe betrachtet hat das Haus einen neuen Anstrich nötig, und auch ein paar der Fensterläden sehen aus, als müssten sie dringend erneuert werden. Nicht, dass mich das besonders stören würde.

Ich hätte selbst den Van als neues Zuhause akzeptiert, wenn es bedeutet, dass ich endlich nicht mehr so dicht bei meiner Familie bin.

Mackenzie kommt aus dem Haus. Sie trägt Shorts und ein weißes T-Shirt, ihre rosa gefärbten Haare hat sie unter einem Basecap versteckt. »Da seid ihr ja!« Sie begrüßt mich mit einer überschwänglichen Umarmung und meine beiden Brüder und Holly mit einem Handschütteln. »Wollt ihr euch erst mal die Wohnung ansehen?«

Die anderen warten auf meine Antwort, also nicke ich. »Ja klar. Ich kann’s kaum erwarten.«

Ich lächle sie breit an und folge ihr zur Haustür.

»Mav kommt heute erst spät nach Hause«, erklärt sie. »Er ist auf einer Hochzeit. Wahrscheinlich wird er sich erst morgen früh bei dir vorstellen.«

»Klar«, erwidere ich. »Kein Problem.«

Hochzeitseinladungen gehen vor – und davon abgesehen haben wir heute genug zu tun.

Vom Eingangsbereich gehen zwei Türen ab. Sie sind aus schwerem, verziertem Holz, das ein Vermögen gekostet haben muss. Neben der linken Tür steht ein alter Nähmaschinentisch mit einer Glasplatte, auf der eine süße Topfpflanze steht. Ihre dunkelgrünen Blätter fallen an der Seite des Tisches herab.

Mackenzie öffnet die Tür auf der rechten Seite. »Das hier wird dein Reich, Allegra«, sagt sie und lässt mir den Vortritt.

Im Inneren sehe ich mich ehrfürchtig um. Der Wohnbereich ist klein, hat aber bodentiefe Fenster, die einen Ausblick auf eine kleine Terrasse bieten. Die Wände sind weiß gestrichen, auf den Böden ist ein dunkles Laminat verlegt, das zu den Deckenbalken passt, die in regelmäßigen Abständen über unseren Köpfen verlaufen. Es riecht nach Seife, Behaglichkeit und Sonnenschein. Nach einem Zuhause.

Der Kochbereich befindet sich in einer Nische, ist aber dank der Kücheninsel groß genug, um auch aufwendigere Gerichte entspannt kochen zu können. Neben einer der beiden anderen Türen, die vom Raum abgehen, befindet sich ein Wandschrank und daneben das Panel für eine Klimaanlage.

Eine verdammte Klimaanlage! Ich weiß jetzt schon, dass ich die Wohnung lieben werde.

»Das ist wunderschön«, flüstere ich und gehe in die Mitte des Raumes, um mich einmal um die eigene Achse zu drehen. Ich habe einen Kloß im Hals, weil Mackenzies Bruder Maverick mir die Wohnung für so wenig Geld überlässt.

»Gefällt es dir wirklich?« Mackenzie blickt mich unsicher an. »Ich hoffe, es ist dir nicht zu klein.«

»Zu klein?« Entgeistert starre ich sie an. »Machst du Witze? Ich habe mir ein Jahr lang ein Wohnheimzimmer geteilt. Im Vergleich dazu ist das hier purer Luxus.«

Die Erleichterung ist ihr deutlich anzusehen. »Möchtest du die anderen beiden Räume sehen?«

»Und ob ich das möchte«, erwidere ich begeistert. Ich bekomme nur am Rande mit, dass die anderen durch die Wohnung laufen und sich ebenfalls umsehen. Ich hoffe, ihnen wird genau wie mir klar, dass diese Wohnung das Richtige für mich ist.

Mackenzie öffnet die Tür zum Badezimmer, das sich direkt neben der Wohnungstür befindet und in dem es eine schicke schwarze Duschwanne, eine Toilette und ein Waschbecken gibt. Die Wände sind bis zur Decke mit diesen schmalen weißen Fliesen bedeckt, die einem auf Pinterest aktuell ständig entgegenspringen. Durch das Fenster kann ich hinaus auf die Einfahrt schauen. »Ohne Witz, diese Wohnung ist verdammt schön. Ist dein Bruder sicher, dass er sie für so wenig Geld hergeben will? Er könnte locker das Dreifache dafür verlangen.«

Ende der Leseprobe