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ER BESCHÜTZT NICHT NUR IHR LEBEN, SONDERN AUCH IHR HERZ
Hallie Thorne, Tochter des ehemaligen Präsidenten der USA, lebt das sorgenfreie Leben eines It Girls in Los Angeles. Als sie es auf einer Party mal wieder zu weit treibt und ein freizügiges Foto von ihr für Schlagzeilen sorgt, zieht ihr Vater die Reißleine: Er stellt Hallie einen Bodyguard zur Seite, der darauf achten soll, dass sie sich benimmt. Ransom Lockwood hat eigentlich gar keine Lust darauf, Babysitter für eine verzogene Hollywoodprinzessin zu spielen, und auch Hallie hält nichts von ihrem strengen Aufpasser, mag er noch so attraktiv sein. Doch bei jedem hitzigen Wortgefecht knistert es bald gewaltig zwischen ihnen ...
»L.J. Shens Bücher zu lesen fühlt sich wie Fliegen und Fallen zugleich an. Sie schreibt voller Hoffnung auf die große Liebe über Charaktere, die morally grey sind.« BLUETENZEILEN
Der neue Einzelband von SPIEGEL-Bestseller-Autorin L.J. Shen
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Seitenzahl: 607
Titel
Zu diesem Buch
Leser:innenhinweis
Widmung
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von L. J. Shen bei LYX
Impressum
L. J. Shen
Thorne Princess
Roman
Ins Deutsche übertragen von Anne Morgenrau
Die einundzwanzigjährige Hallie Thorne, reiche Tochter des ehemaligen Präsidenten der USA und das schwarze Schaf ihrer Familie, lebt das sorgenfreie Leben eines It Girls in Los Angeles. Als sie es auf einer Party mal wieder zu weit treibt und Paparazzi ein freizügiges Foto von ihr schießen, zieht ihr Vater die Reißleine: Er dreht ihr den Geldhahn zu und stellt Hallie einen Bodyguard zur Seite, der dafür sorgen soll, dass sie sich benimmt. Ransom Lockwood, bekannt als »der Roboter«, hat eigentlich gar keine Lust, Babysitter für eine verzogene Hollywoodprinzessin zu spielen, kann dem lukrativen Jobangebot jedoch nicht widerstehen. Auch Hallie hält nichts von ihrem strengen Aufpasser, mag er noch so attraktiv sein. Doch bei jedem hitzigen Wortgefecht sprühen schon bald die Funken zwischen ihnen. Sobald sie es nach den anfänglichen Streitereien wagen, einen Blick hinter die Mauer des jeweils anderen zu werfen, erkennt Ransom das verletzliche Mädchen in dem sorglosen Partygirl und Hallie den weichen Kern hinter der harten Schale ihres Bodyguards. Und schnell wird klar, dass Hallie nicht die Einzige ist, die gerettet werden muss …
Liebe Leser:innen,
dieses Buch beschäftigt sich explizit mit Fantasien über nicht einvernehmlichen Sex. Leser:innen, die auf die Darstellung von nicht einvernehmlichem Sex empfindlich reagieren, werden hiermit darauf hingewiesen.
Hier findet ihr zudem eine detailliertere Triggerwarnung mit weiteren potenziell triggernden Inhalten.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!
Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Für Pang, die mich um dieses Buch gebeten hat. Und für all die anderen, die mich nicht darum gebeten haben, es aber trotzdem brauchen.
HALLION THORNE AUF FRISCHER TAT ERTAPPT!
Von Anna Brooks, freie Mitarbeiterin von Yellow Vault
Seit der Kontroverse um ihren letzten Freund, Aufsteiger Kieran Edwards, der sich plötzlich geoutet hatte, hat sie sich sehr zurückgehalten. Aber jetzt lässt Hallie Thorne an einem Abend in der Stadt richtig die Sau raus. Ja, liebe Yellow-Vault-Leser:innen, ihr seht richtig: Hallie Thorne präsentiert uns hier ihren Nippel. Und das mit keinem Geringeren am Arm als dem begehrtesten Adonis des Kabelfernsehens. Was kommt wohl als Nächstes? Wenn ihr mich fragt, eine Reha für Ex-Promis.
Für Hollywoods Männer mag sie der Hit sein, aber nach allem, was man so hört, findet der liebe Herr Papa ihr Benehmen unerträglich.
Okay. Moment mal. Pause. Keine voreiligen Schlüsse ziehen.
Ich weiß, dass es ziemlich übel aussieht. Nicht der Nippel – meine Brüste sind klasse, wahrscheinlich das Beste an mir –, aber alles andere kann ich erklären, ich schwör’s.
Dies ist also die Geschichte meines Untergangs.
Wie es dazu kam, dass jeder Haushalt in Amerika meine Brustwarze sehen konnte.
Gehen wir ein Jahr zurück in die Zeit, in der mein Nippelblitzer auf allen möglichen Internetseiten, in Magazinen, Boulevardblättern und auf Social-Media-Accounts zu sehen war. An einem bestimmten Punkt habe ich mich gefragt, ob ich meiner Brustwarze einen Manager und eine kleine dunkle Sonnenbrille besorgen sollte, dermaßen durchgeknallt stellte sich die Sache inzwischen dar.
Nicht, dass ich etwas zu verbergen hätte. Ich war, wie es die Medien auszudrücken pflegten, curvy. Breite Hüften, D-Körbchen und ein Hintern, der jeden einzelnen von Lil Waynes herzzerreißenden Texten wert war.
Das Problem war nur … Mein Nippel war nicht einfach nur ein Nippel.
Sondern er gehörte der erstgeborenen Tochter eines Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Ich war in verschiedener Hinsicht eine First Daughter.
Amerika war von der Tatsache besessen, dass ich, Hallie Margaret Thorne, nicht nur die Tochter eines ehemaligen Präsidenten, sondern gleichzeitig eine absolute Versagerin war.
Meine Tattoos, das knallrote Haar, der dicke Eyeliner und das Community College, das ich nach einem Semester abgebrochen hatte, machten es den Leuten leicht, mich zu hassen.
Denn alle glaubten, ich hätte es leicht. Alles, was von mir verlangt wurde, war, keinen Mist zu bauen. Aber genau das tat ich. Ständig.
Und diesmal war ich offenbar einen Schritt zu weit gegangen.
Yellow Vault hatte nicht gelogen. Meine Eltern hatten die Nase voll von mir. Verzweifelte Zeiten verlangten nach verzweifelten Maßnahmen für ihre hübsche, unberechenbare, schutzbedürftige Tochter, die dringend einen Weckruf und eine mentale Ohrfeige brauchte.
Und hier kommt Ransom Lockwood ins Spiel.
Furcht einflößend, abweisend, einschüchternd und, Verzeihung, unglaublich fickbar. Mein neuer Leibwächter.
Verzeihung, Personenschützer.
Der Teufel, der mein Leben und alles, was von meinem Selbstbewusstsein noch übrig war, zerstört hat.
Der widerspenstige Beschützer, der mein Herz gestohlen, es in Stücke geschlagen und mir die Scherben mit einem schiefen Grinsen zurückgegeben hat.
Man nannte ihn Der Roboter, aber ich habe nie daran geglaubt, dass er einer war.
Irgendwo unter all diesen Schichten hatte er ein Herz. Ein verstaubtes, vernarbtes Herz, aber es schlug noch.
Was man wissen muss, ist also, dass dieser Nippelblitzer tatsächlich mein Leben zerstört hat. Aber er hat mich auch gerettet. Jedenfalls einen Teil von mir.
Den Teil, der es wert war, gerettet zu werden.
Den Teil, der überlebt hat.
Wenn Prinzessinnen fallen
Das kurze schwarze Corsagenkleid war ein Fehler.
Ich wusste es in dem Augenblick, in dem ich mich auf den Rücksitz des Cadillacs schob, in dem mein Fahrer Dennis hinter dem Lenker saß. Meine obere Gesichtshälfte war hinter einer paillettenbesetzten roten Maske versteckt.
Keller, mein bester Freund, saß bereits im Wagen und ordnete seine perfekte blonde Mähne, wobei ihm seine Handykamera als Spiegel diente. Er trug eine wunderschöne goldene Römermaske.
»Hey, Den! Zum Chateau Marmont«, wies ich meinen Fahrer an und richtete den Bügel-BH des Kleides.
Keller steckte das Handy in die Tasche seines Prada-Anzugs und musterte mich prüfend. »Schätzchen, dein Korsett sieht aus, als würde es sich gleich selbst aus der Milchstraße sprengen. Welche Größe hat dieses Kleid?«
Ich straffte den Rücken und warf ihm einen beleidigten Blick zu. Dieses Kleidungsstück war derart klaustrophobisch eng, dass man es später chirurgisch würde entfernen müssen.
»Balmain macht nur Sachen bis Größe vierzig«, murmelte ich zu meiner Verteidigung.
»Tja, der Reißverschluss ist wahrscheinlich nur eine Vorspeise von einer einstweiligen Verfügung gegen dich entfernt, deshalb schlage ich vor, dass du dich lieber umziehst.« Keller glättete eine unsichtbare Falte an seiner Zigarettenhose.
Dennis blickte in den Rückspiegel, um zu sehen, ob er wenden und wieder nach Hause fahren sollte. Ich schüttelte den Kopf. Definitiv nicht. Größe vierzig passte mir. Manchmal sogar Größe achtunddreißig (aber definitiv nicht zwischen Thanksgiving und Weihnachten. Oder an Ostern. Oder bei PMS).
Das Problem bei Designerklamotten war, dass sie ausschließlich für schlanke Leute gemacht waren. Ich liebte meinen Körper. Jede Kurve und jede hart erarbeitete Zellulitisdelle. Ich wusste natürlich, dass Designer selten Kleidung in den richtigen Größen herstellen. Eine Achtunddreißig war eine Sechsunddreißig, eine Sechsunddreißig entsprach einer Vierunddreißig, und eine Vierzig … nun, die gab es einfach nicht. Aber ich kaufte nie von der Stange. Aus Gründen der Nachhaltigkeit erstand ich meine Abendkleider immer in Secondhandläden, was die Auswahl allerdings deutlich schrumpfen ließ.
»Das Kleid bleibt«, verkündete ich.
»Aber nicht lange, falls deine Titten auch ein Wörtchen mitzureden haben«, murmelte Keller.
»Du bist nur sauer, weil du Tränensäcke hast.«
»Tränensäcke?«, rief Keller und löste den Blick von seinem Handy.
Grinsend zuckte ich mit den Schultern. »Nein, aber jetzt weißt du, wie es ist, wenn man von seinem besten Freund gedisst wird. Kein gutes Gefühl, oder?«
Zwanzig Minuten später hielt Dennis vor dem Chateau. Ich drückte ihm von hinten die Schulter und presste meine Wange an seine. »Danke, Den. Nimm dir für den Rest des Abends frei. Ich fahre mit einem Uber nach Hause.«
»Ich glaube, ich warte besser«, sagte der fünfundsechzigjährige Dennis müde. »Deinen Eltern wird die Uber-Idee nicht gefallen.« Er war mein Fahrer, seitdem ich acht Jahre alt war, und er kannte meine Eltern besser als ich.
Mr und Mrs Thorne missfiel es, wenn ich das Haus verließ … allerdings nicht, weil sie meine Gesellschaft so sehr geschätzt hätten. Meine bloße unzulängliche Existenz brachte sie stellvertretend für mich selbst in Verlegenheit. Das Netteste, was meine Mutter jemals in einem Interview über mich gesagt hat, war, dass ich Struktur in die Familie gebracht hätte. Struktur. Als wäre ich eine dekorative Tapete. Daher interessierte es mich nicht im Geringsten, was ihnen missfiel und was nicht.
Ich winkte ab. »Keller ist doch bei mir. Er wird mich aus allen Schwierigkeiten heraushalten. Stimmt’s, Kel?«
»Auf jeden Fall.« Keller stieg aus dem Cadillac und beäugte ungeduldig die Eingangstür unter dem Mauerbogen. »Es sei denn, dein Angreifer ist bewaffnet. Du weißt ja, ich kann einfach kein Blut sehen. Oder wenn mich ein scharfer Typ anmacht. Also, jemand vom Schärfegrad eines Zac Efron als Ted Bundy. Wenn der Typ nur wie Zac Efron in High School Musical ist, hast du meine volle Unterstützung, Mädchen.«
»Solltest du deinen Zac Efron aus High School Musical tatsächlich finden, erwarte nicht, dass ich die Kaution wegen Unzucht mit Minderjährigen für dich zahle«, versetzte ich.
Keller hob einen Daumen. »Jetzt ist Dennis bestimmt total beruhigt und vertraut darauf, dass du nicht in Schwierigkeiten gerätst.«
Ich führte mein Mini-Smartphone an die Lippen. »Siri, erinnere mich daran, eine Voodoo-Puppe von meinem besten Freund zu machen und sie morgen früh als Nadelkissen zu benutzen.«
»Notiz dem Kalender hinzugefügt«, antwortete Siri.
Ich stieg aus dem Wagen, bedachte Dennis mit einem engelgleichen Ich-werde-ganz-artig-sein-Lächeln und faltete die Hände. »Ernsthaft, Den. Ich kann mich benehmen. Fahr nach Hause. Ethel wartet bestimmt schon mit ihren speziellen Lebkuchenplätzchen auf dich.
Dennis rieb sich das Kinn. »Heute Morgen hat sie gesagt, sie bäckt heute eine ganze Ladung …«
In vielerlei Hinsicht waren Dennis und Ethel mehr Familie für mich als Mom und Dad. Ich hatte die meisten Ferien mit ihnen verbracht, sie hatten sich um mich gekümmert, wenn ich krank war, und waren bei Elternabenden aufgetaucht, wenn Mom und Dad mal wieder an einer Klimakonferenz teilnehmen oder im Kongress einen KI-Freak in die Mangel nehmen mussten.
Dennis löste den Blick von meinem gezwungenen Lächeln und richtete ihn auf das geöffnete Maul des Chateau. Er hatte mich oft genug hierhergebracht, um zu wissen, dass ich mich betrinken, eine hohe Rechnung hinterlassen und den Abend damit beenden würde, Champagner auf seinen Rücksitz zu erbrechen, der mehr als sein Anzug gekostet hatte.
Er wollte sich nicht mit mir anlegen. Und wer könnte es ihm verdenken? Ich konnte mich ja kaum selbst ertragen. Genau deshalb hatte ich vor, mich an diesem Abend in Alkohol zu ertränken.
Er seufzte und rieb sich die Schläfe. »Sei einfach vorsichtig, ja? Und komm nicht so spät nach Hause.«
»Du bist der Beste, Den. Grüß Ethel von mir.«
Er zog seine Mütze tiefer in die Stirn. »Wie wär’s, wenn du sie mal wieder besuchst und es ihr selbst sagst?«
Dennis und Ethel vegetierten nur wegen mir in Los Angeles dahin. Sie wären liebend gern an die Ostküste zu ihrer Familie zurückgekehrt. Ich fand es schrecklich, zumindest teilweise für ihr Leiden verantwortlich zu sein, und deshalb schleppte ich mich nie zu ihrem Bungalow in Encino, um dünnen Tee und Jeopardy! in der Endlosschleife zu ertragen, während Ethel mir Fotoalben mit Bildern ihrer Enkelkinder zeigte, die sie nicht sehen konnte … wegen mir. Es war zu deprimierend. Ich kannte keinen Schnaps, der stark genug war, um gegen diese Schuldgefühle anzukommen. Noch nicht.
»Mach ich, Den.«
Er fuhr los und ließ uns in einer Wolke von Auspuffgasen zurück. Bäh. Wir mussten unbedingt mal über einen Tesla reden.
Keller nahm mich beim Arm und betrachtete mit glänzenden Augen den berüchtigten Haufen weißer Ziegel. »Endlich sind wir wieder in unserem natürlichen Lebensraum.«
Der Maskenball wurde von einer Klinik für plastische Chirurgie als Fundraiser zugunsten von Veteranen veranstaltet, die schwere Verbrennungen erlitten hatten. Keller und ich hatten jeweils fünf Riesen in einem Umschlag dabei, aber dem Dinner vor dem Ball waren wir ferngeblieben. Keller hasste es, in der Öffentlichkeit zu essen (im Ernst!), und ich hasste es, mit Fragen über meine Familie bombardiert zu werden.
»Weißt du …«, setzte ich an und zwirbelte meine weinrot gefärbten Locken, während wir an maskierten Pagen, Concierges und Oberkellnern vorbei zur Bar gingen. »Das ChateauMarmont ist dafür bekannt, dass es von Leuten besucht wird, die entweder auf dem Weg nach oben oder auf dem Weg nach unten sind. Was glaubst du, zu welcher Kategorie gehören wir?«
»Zu keiner von beiden.« Keller führte mich zu der aus rötlichem Eichenholz bestehenden Hotelbar mit den vertrauten bordeauxroten Hockern und den dazu passenden Kronleuchtern. »Wir sind nur attraktive Promiableger. Mit niedrigen Erwartungen in eine höhere Gesellschaftsschicht geboren. Wir gehen nirgendwohin.«
Keller war der Sohn von Asa Nelson, Frontmann der Band She Wolf und eine der größten noch lebenden Rock-’n’-Roll-Legenden. Unsere Nachnamen öffneten Türen … und nicht immer die richtigen.
Wir ließen uns an der Bar nieder. Wortlos schob Frederik, der Barkeeper, einen Marmont-Mule-Cocktail in meine Richtung und mixte Keller dann seinen üblichen Blue Velvet. Er trug eine schneeweiße Kaninchenmaske, die seine strahlend blauen Augen noch betonte.
»Den sollte ich mit nach Hause nehmen«, murmelte Keller und stieß mich mit dem Ellbogen an.
»Klingt nach einer schlechten Idee.«
»Mein bevorzugter Typ Mann«, erwiderte mein bester Freund. »Und deiner auch.«
Den letzten Teil ließ ich nicht gelten. Es war nicht Kellers Fehler, dass er glaubte, ich würde mit allem schlafen, was einen Puls hat … denn genau diesen Eindruck machte ich auf viele Leute. Aber ich ließ mich nur ungern daran erinnern, dass ich meinen besten Freund anlog.
Noch bevor wir den ersten Schluck nehmen konnten, waren wir von zwei Möchtegern-Schauspielerinnen, einem Reality-TV-Star und einer Lebensberaterin umringt, bei der ich mir sicher war, dass sie abends nach wie vor als Kellnerin im The Ivy arbeitete. Alle standen herum und posierten, während sie die Leute um sich herum davon zu überzeugen versuchten, dass ihr großer Durchbruch kurz bevorstand. So verbrachten Keller und ich unsere Abende und Nächte. Jeden einzelnen davon. Feiern, trinken, dabei sein und so tun, als wäre die Welt eine dicke, fette Piñata, die nur darauf wartet, zu platzen und fette Werbeverträge, Vogue-Covers und Oscars auf uns herabregnen zu lassen.
Wir waren die Schickeria. Jung, reich und gelangweilt.
Wir waren niemandem Rechenschaft schuldig und wurden von allen angehimmelt.
Eigentlich hatten Keller und ich beide einen Job.
Mit seinen siebenundzwanzig Jahren war Keller der Inhaber von Main Squeeze, einer exklusiven Saftbar, deren Detoxpaket von Victoria’s-Secret-Models und den Real Housewives bekanntermaßen sehr geschätzt wurde.
Ich war eine Instagram-Persona, was bedeutete, dass ich mit Luxusartikeln und Lobeshymnen bezahlt wurde, weil ich meinen achthunderttausend Followern Produkte vorstellte. Alles von Kleidung über Handtaschen bis zu Tampons. Meine sogenannte Arbeit beanspruchte zwei Stunden in der Woche, war mir aber seltsamerweise wichtig. Vielleicht weil ich wusste, dass sie der einzige Teil meines Lebens war, in den sich niemand einmischen und den niemand beeinflussen konnte. Sie gehörte mir allein. Mein Werk, meine Verantwortung, mein klitzekleiner Sieg in dieser Welt.
»Ist das nicht lustig?«, dachte ich laut nach und rührte mit dem Sektquirl in meinem Drink. »Dass wir so tun können, als wären wir produktive Mitglieder der Gesellschaft, und die Boulevardpresse nimmt es einfach hin?«
In der Sekunde, in der sie einen Netflix-Star entdeckten, der mit einer mittelalterlichen Pestmaske bekleidet den Raum betrat, verschwanden die Schauspielerinnen, der Reality-Star und die Lebensberaterin von unserem Platz an der Bar.
Das war der Clou an L. A. Es war ein großartiger Ort, um Leute kennenzulernen, solange man nicht auf echte Freundschaft aus war.
Keller warf mir einen bösen Blick zu. »Du vielleicht. Ich habe einen Job. Ich besitze eine Saftbar. Und ich beschaffe sämtliche Zutaten selbst.«
»Ach, Keller.« Ich tätschelte ihm die Hand und hob mein Glas. »Ich ›beschaffe‹ auch gerade ›lokale Zutaten‹. Versteh mich nicht falsch, es ist ein tolles Hobby, aber keiner von uns beiden braucht das Geld.«
Wir hatten nie darüber gesprochen; ich war einfach stillschweigend davon ausgegangen, dass auch Keller jeden Monat einen nicht unerheblichen Zuschuss von seinem Dad bekam.
»Nein, Hal, du verstehst das nicht. Ich habe tatsächlich einen Job.« Er runzelte die Stirn, legte den Kopf zurück. »Mit Leuten, die ich bezahle, vierteljährlichen Meetings mit meinem Steuerberater, Budgets und dem ganzen Drum und Dran. Wenn ich die Dinge nicht erledige, erledigt sie niemand.«
Er steckte tief in der Verleugnung. Wir verließen uns beide darauf, dass unsere Eltern für unsere Miete, die Leasingraten für unsere Autos und unsere Lebenshaltungskosten aufkamen. Ich besaß wenigstens den Anstand, es auch zuzugeben.
Ich nahm einen Schluck von meinem Drink und rang in dem engen Kleid nach Luft. »Ja, schon klar. Was ich damit meinte, war: Wir haben Jobs, die uns wirklich Spaß machen, und deshalb fühlen sie sich nicht wie Arbeit an.«
Keller verdrehte die Augen. »Das hast du überhaupt nicht gemeint.«
Er hatte recht. Aber ich war noch zu erschöpft von meiner Gesichtsbehandlung mit Tiefenreinigung früher an diesem Tag, um einen Streit vom Zaun zu brechen.
»Ich habe gerade Perry Cowan gesehen.« Keller deutete mit dem Kinn auf eine Stelle hinter meiner Schulter. »Ihre neue Balayage ist echt cool.«
Ich drehte mich nicht um. »Tja, keine Ahnung, ob eine gute Balayage ihre hässliche Seele kompensieren kann.«
»Aw, da ist aber jemand kleinlich.« Keller ließ sich von seinem Hocker gleiten. »Ich gehe ihr kurz Hallo sagen.«
»Sie ist dermaßen schlicht gestrickt, Kel«, sagte ich und rümpfte die Nase.
»Benimm dich, solange ich weg bin.« Keller betrachtete sein Spiegelbild in einem polierten Weinkühler, ehe er sich auf den Weg zu Perry Cowan machte.
Sie war eine aufstrebende Modedesignerin und eine Frau, die ich nicht leiden konnte. Hauptsächlich, weil sie gerade das Kleid für das Probedinner vor der Hochzeit meiner Schwester Hera entwarf. Und die Freunde meiner Schwester waren meine Feinde.
Außerdem hatte Perry TheMaileine Story verkauft, in der es um mich, ein Brautjungfernkleid und eine überraschend pikante Pizzasauce ging. Ich wusste, dass sie es war, weil es sonst niemand aus dem Raum gewesen sein konnte. Meine Mutter fand es schrecklich, dass wir überhaupt verwandt sind, Dad war kein Arschloch, und meine Schwester … na ja, Hera hasste es, dass ich immer aus den falschen Gründen Schlagzeilen machte.
Ich winkte Frederik heran und bestellte noch zwei Cocktails und einen Shot. Um diese Nacht zu überstehen, brauchte ich ein wenig flüssigen Mut. Obwohl ich mich in einem Raum voller Leute befand, fühlte ich mich schrecklich allein.
Perry war eine Erinnerung daran, dass nur einen Flug von mir entfernt, in Dallas, die perfekteste Präsidententochter lebte, die jemals auf Erden gewandelt war.
Meine neunundzwanzigjährige Schwester.
Ein androgynes, graziles Geschöpf. Der Typ, den man auf dem Cover der Vogue sieht. Gepflegt, schlagfertig und mit tadellosen Umgangsformen.
Hera hatte zusammen mit ihrem Verlobten, ihrer Jugendliebe Craig, ein Medizinstudium an der Stanford University abgeschlossen und plante gerade ihre Hochzeit, während sie ein Praktikum am Baylor University Medical Center absolvierte.
Heras ganzes Leben war minutiös durchgeplant.
Ich dagegen hatte nicht mal meine Brüste unter Kontrolle (die in ihrem Streben nach Freiheit noch immer mit dem Stoff der Corsage kämpften).
Ich kippte die beiden Cocktails und den Shot herunter und riskierte dann einen Blick auf Keller und Perry. Sie standen in einer Ecke des Raums zusammen und lachten. Perry tippte ihm auf die Brust. Um mich herum wimmelte es vor maskierten, tanzenden Leuten. Manche standen in dunklen Ecken und küssten sich. Das war mein Leben. Stilettos und überteuerte Drinks. Eine leere Villa, ein volles Bankkonto und eine unbeschriebene Tanzkarte. In meiner Brust klaffte ein Loch, das immer weiterwuchs, immer mehr Raum einnahm, bis es sich anfühlte, als wäre es echt und sichtbar, als könnte man tatsächlich hindurchblicken.
Ich winkte Frederik wegen eines weiteren Shots, und der Drink kam sofort. Unglücklicherweise traf dasselbe auch auf Wes Morgan zu, einen Promitrainer der Extraklasse.
Wes war Co-Moderator von Big Fat Loser, einer TV-Show, die genauso schrecklich war wie ihr Name. Er »half« Prominenten, Gewicht zu verlieren, indem er sie anschrie und mit nacktem Oberkörper neben ihnen herlief, bis sie vor Anstrengung kollabierten und sich erbrachen. Er hatte versucht, mich für die dritte Staffel seiner Show anzuwerben, und mir versprochen, mich innerhalb von zwei Monaten auf Größe vierunddreißig zu bringen. Ich legte einfach auf, aber nicht, ohne ihn vorher fünfzehn Sekunden in der Leitung zu halten und dabei entweder zu lachen oder geräuschvoll auf einem Täfelchen After Eight herumzukauen.
Offenbar hatte ihm unsere letzte Begegnung Lust auf mehr gemacht.
»Howdy, Hallion.« Er stützte sich mit dem Ellbogen neben meinem Drink auf die Theke und schenkte mir ein blendend weißes Lächeln. Hallion in Anlehnung an Hellion – Teufelsbraten – war der Spitzname, den mir die Boulevardpresse wegen meines Benehmens gegeben hatte. »Habe ich Ihnen eigentlich schon gesagt, dass ich auch aus Texas bin?«
Er hatte genug Wachs in den Haaren, um eine Figur für Madame Tussaud daraus zu formen. Und zwar nicht die der jungen Dakota Fanning. Eher von Dwayne Johnson.
»Sie tragen keine Maske«, versetzte ich mit ausdrucksloser Miene.
»Brauche ich nicht«, sagte er achselzuckend und grinste noch breiter. »Sie sehen hier einen Mann, der gerade zehn Riesen gespendet hat, damit ein Veteran operiert werden kann.«
Ich betrachtete die Deckenbemalung und wartete darauf, dass er endlich wieder ging.
»Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?«
»Ja.« Ich nahm eine Kirsche aus meinem leeren Cocktailglas und saugte den Alkohol heraus. »Sie haben es ja gerade erst gesagt.«
»Ich meinte, dass wir beide aus Texas kommen.«
»Ich bin keine Texanerin«, sagte ich nur, verknotete im Mund den Stiel der Kirsche und ließ ihn mir in die Hand fallen.
»Ach ja?« Er rückte noch ein Stückchen näher, damit ich den atemberaubenden Geruch der dreißig Liter Eau de Cologne, in denen er gebadet hatte, auch wirklich genießen konnte. »Hätte schwören können, dass Präsident Thorne aus …«
»… Dallas kommt, richtig. Aber ich bin in D. C. geboren, und dort habe ich auch die ersten acht Jahre meines Lebens verbracht. Danach haben mich meine Eltern in ein Internat in New York gesteckt, in Sommerlager in der Schweiz, Winterlager in Großbritannien und zu Soireen in Frankreich geschickt. Texanerin bin ich nicht. Vielleicht eine Kulturträgerin, wer weiß …«
Wes’ leerer Blick verriet mir, dass er bei »Kultur« abgeschaltet hatte. Vielleicht auch schon bei »Soireen«.
Ich hatte im Lauf der Jahre durchaus Zeit in Texas verbracht, aber nie freiwillig. Meine Eltern hatten mich angefleht, mich bestochen und immer wieder versucht, mich »nach Hause« zu verschleppen. Sie hatten mich ermuntert, dort zur Schule zu gehen und bei der Familie zu bleiben. Ich hatte mich all diesen Versuchen entzogen. Texas war mir zu heiß, zu gesund. Insgesamt betrachtete ich mich ebenso wenig als Texanerin wie als Neurochirurgin. Abgesehen davon wusste ich, warum sie mich in ihrer Nähe haben wollten … Es ließ sie besser dastehen. Es bewies, dass sie zumindest den Versuch unternahmen, ihr wildes Kind im Zaum zu halten.
Wes schnalzte mit der Zunge, immer noch dieses Tausend-Watt-Lächeln im Gesicht. Seine Zähne waren garantiert nicht echt. Ich hätte sogar gewettet, dass dasselbe auf seinen Bizeps zutraf. »Ich würde Ihnen die Stadt liebend gern einmal zeigen. Obwohl ich in Houston geboren und aufgewachsen bin, kenne ich Dallas wie meine Westentasche.«
»Ich habe nicht vor, jemals nach Texas zu fahren«, versetzte ich und starrte auf den Boden meines leeren Cocktailglases.
»Dann könnten wir uns ja vielleicht hier in L. A. treffen?« Sein Ellbogen berührte meinen, und ich zuckte zurück.
»Hab ’ne Menge zu tun, Kuchen essen und so.«
»Seien Sie doch nicht so empfindlich, Hallion. Geschäft ist schließlich Geschäft, nicht wahr?« Er wollte sich mit der Hand durchs Haar fahren, aber das war hart wie Beton. »Ich glaube, Sie wären eine großartige Kandidatin für meine Abnehm-Show.«
»Und Sie wären ausgestopft ganz toll«, sagte ich gedehnt.
»Wissen Sie was? Ich richte mich ganz nach Ihrem Terminkalender. Ich glaube, wir beide könnten sehr voneinander profitieren.«
Dieser Typ war einfach noch jemand, der einen wandelnden Barscheck in mir sah. Er war nur ein weiterer Ausbeuter und möglicherweise auch ein Missbraucher. Typen wie Wes erinnerten mich daran, warum ich mich vom männlichen Geschlecht abgewandt hatte. Alle wollten etwas von mir, und nie ging es ihnen wirklich um mich. Ich war nur der Aufhänger. Der Schlüssel zu guten Gelegenheiten.
Mir knurrte der Magen.
Ich will nach Hause.
Tragischerweise hatte ich kein Zuhause. Die Villa war nur ein Haufen teurer Steine, sonst nichts.
»Mein Assistent wird sich mit Ihrem in Verbindung setzen«, sagte ich und ließ mich von dem Hocker gleiten.
»Ich habe keinen Assistenten«, sagte er verwirrt.
Ich auch nicht. Das ist ja der Trick, Einstein.
Ich signalisierte Frederik, mir die Rechnung zu bringen. Scheiß auf Keller. Ich würde mich verziehen. Sollte er doch mit Perry rumhängen, deren neue Highlights tatsächlich großartig waren und gekonnt ihre Wangenknochen betonten. Ich warf ihnen einen letzten Blick zu. Perrys Freundinnen stellten Keller gerade alle möglichen Fragen zu seiner Saftbar. Er genoss es. War ich denn die Einzige, die über seinen Fake-Job Bescheid wusste?
Ich bezahlte, gab Frederik vierzig Prozent Trinkgeld und drängte mich auf dem Weg nach draußen an Leuten vorbei, die gern ein Schwätzchen mit mir gehalten hätten. Wes folgte mir eilig. Nun hatte er sich offiziell von einer Nervensäge in einen Stalker verwandelt.
»Warten Sie, wo wollen Sie denn hin?«, fragte er und legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich fauchte und schüttelte ihn mit einer heftigen Bewegung ab.
Hände weg. Fass mich nicht an. Fass mich niemals an.
»Nach Hause«, sagte ich und beschleunigte den Schritt. Meine Absätze klackerten auf dem dunklen Boden.
Ich ärgerte mich, weil ich vergessen hatte, eine Jacke mitzunehmen. In diesem Augenblick hätte ich mir gern etwas übergezogen, um sicherzugehen, dass meine Brüste nicht aus der Corsage hervorblitzen konnten. Obwohl … wenn ich jetzt darüber nachdachte, fühlten sich besagte Brüste gar nicht mehr so eingeengt an. Nur merkwürdig kalt. Ich senkte den Blick und erkannte den Grund … Der Stoff über meiner rechten Brust war gerissen. Sie hing buchstäblich heraus. Sie wogte im Wind wie eine Flagge auf Halbmast, gerade als ich das Hotel verlassen und mir ein Uber rufen wollte.
Hektisch versuchte ich, sie wieder in das Kleid zu stopfen.
»Oh, Mann«, sagte Wes, der an einer Wand in der Nähe lehnte, und lachte leise. »Sieht so aus, als wollten die Damen ein wenig Luft schnappen.«
»Klappe.«
Ich steuerte geradewegs auf die Rezeption zu; vielleicht konnte ich mir dort eine Jacke leihen. Hier waren so viele Leute. Überall. Und wegen der Maske konnte ich kaum etwas sehen. Ich riss sie herunter und warf sie auf den Boden. Keuchend sah ich mich um.
Eine Jacke. Ich brauchte unbedingt eine Jacke, aber wir waren hier in L. A., wo die Leute nur selten mehrere Lagen Kleidung trugen.
»Seien Sie nicht so wütend, Hallion. Kommen Sie, ich fahre Sie nach Hause«, sagte er neben mir in beschwichtigendem Tonfall.
»Nein danke.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und ging schneller. Gleich da vorn war die Rezeption.
»Wenn Sie den Portier nach einer Jacke fragen, wird jeder wissen, was passiert ist, und irgendjemand wird die Story an die Presse verkaufen.«
Mitten in der Lobby blieb ich wie angewurzelt stehen. Wes wusste, dass er damit meine volle Aufmerksamkeit hatte.
»Wollen Sie sich wirklich noch einmal derart demütigen lassen? Und das nach der Geschichte mit dem Pizzafleck, die Page Six über Sie gebracht hat?« Seine Stimme verfolgte mich, bohrte sich wie Krallen in meine Haut.
Er hatte recht. Wenn ich zugab, dass mein Kleid geplatzt war, würde die Nachricht vermutlich an die Öffentlichkeit gelangen. Hera würde einen Anfall bekommen, und meine Eltern … weiß der Geier, was meine Eltern tun würden. Mir die Bezüge kürzen. Mich zwingen, nach Texas zu ziehen.
Ich besaß eigentlich keine echten Fertigkeiten außer der, Mandarinen in einem Stück zu schälen. Was zwar beeindruckend war, aber dennoch nichts, was man in seinen Lebenslauf schrieb.
Ruckartig drehte ich mich um und musterte Wes von Kopf bis Fuß, wobei ich die Arme noch immer vor meinen delikaten Körperteilen verschränkt hielt.
»Ich traue Ihnen nicht«, sagte ich blinzelnd.
Wes hob beide Hände. »Das sollten Sie aber. Sie sind Präsident Thornes Tochter. Ein Nationalheiligtum. Ich würde Ihnen niemals etwas tun. Halten Sie mich wirklich für so dumm?«
Zu Wes’ Pech lautete die Antwort Ja. Aber da er selbst es offensichtlich anders sah, sollte ich mich seiner Meinung vielleicht anschließen. Jedenfalls an diesem Abend.
Ganz schlechte Idee, schrie jede Faser meines Körpers, aber andererseits hatte ich nicht gerade die Qual der Wahl.
»Versprechen Sie mir, keine Dummheiten zu machen.«
»Versprechen Sie mir einen Fototermin, und schon haben wir einen Deal. Ich muss unbedingt wieder in die Schlagzeilen kommen, bevor Staffel fünf anfängt.«
Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Ich war wütend.
»Ist es nicht kontraproduktiv, sich mit einem curvy Mädchen sehen zu lassen, wenn es doch Ihr Job ist, die Leute schlank zu machen?« Ich schlug die Augen wieder auf und lächelte in gespielter Naivität.
»Ach, das schon wieder«, sagte Wes und seufzte genervt. »Den Ruf als Fettphobiker habe ich vermutlich weg, seitdem eine meiner Episoden viral gegangen ist. Können Sie sich diesen woken Bullshit vorstellen?«
Großartig. Ich sollte also als offizieller Beweis dafür herhalten, dass »einige meiner besten Freunde …« bla, bla, bla. Am liebsten hätte ich laut geschrien.
»Einen Kaffee am Rodeo Drive«, sagte ich und hob warnend den Finger. »Mehr nicht.«
»Gut, aber es darf nicht aussehen, als wären Sie wütend auf mich«, feilschte er. »Die Leute müssen glauben, dass Sie sich prächtig amüsieren.«
»Wenn ich solche schauspielerischen Fähigkeiten hätte, würde ich Oscars gewinnen und nicht auf Instagram Werbung für Aknecremes machen«, versetzte ich und lachte sarkastisch.
»Nun kommen Sie schon, Hallie.«
Ich seufzte. »Na schön, aber ich bestelle mir Kuchen.«
»Ich rufe den Parkdienst, sie sollen meinen Wagen holen«, sagte er und deutete augenzwinkernd auf mich. Als Antwort zeigte ich ihm den Finger.
Wes stolzierte mit einer Arroganz aus der Lobby, als gehörte ihm der Laden. Ein paar Minuten später kam er zurück. Ich stand in einer Nische in der Nähe des Eingangs, eine ziemlich abgelegene Stelle. Mein Herz raste, es drohte mir aus der Brust zu springen.
Niemand durfte etwas von meiner Garderobenpanne erfahren.
»Verdammt, wie lange dauert das denn noch?« Wes reckte den Hals, um nach seinem Wagen Ausschau zu halten. »Mein Tinder-Date wartet unten an der Straße.«
Das Handy vibrierte in meiner Hand. Es war zweifellos Keller. Ich konnte nicht drangehen, weil ich mit beiden Armen meine Brüste bedeckte. Außerdem war ich wütend auf ihn, weil er stundenlang mit Perry Cowan geredet hatte.
Es dauerte länger, als es sollte, bis Wes’ Wagen eintraf. Jeden seiner Gesprächsversuche unterband ich mit einem: »Muss das sein?«
Endlich verkündete er, dass sein Wagen nun draußen auf uns wartete. Er berührte mich am Ellenbogen, wollte mich zum Ausgang führen.
»Fassen Sie mich nicht an!«, jammerte ich und hasste es, wie dünn und weinerlich sich meine Stimme anhörte.
Sobald wir auf die Straße hinausgetreten waren, ging alles sehr schnell. Ich ließ meine Brust los, um seine Hand wegzuschlagen. Und dann trafen mich die Blitzlichter aller Kameras gleichzeitig. Instinktiv hob ich die Hand, um meine Augen zu schützen. Meine rechte Brust kam an die frische Luft und begrüßte ungefähr ein Dutzend Paparazzi, die Wes offenbar angerufen hatte, damit sie uns beim Verlassen des Hotels fotografieren.
Oh,fuck.
Dafür würde ich einiges zu hören bekommen vom neunundvierzigsten Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Alias Dad.
Alias Anthony John Thorne.
»Es gibt da etwas, worum ich dich bitten muss, und du kannst nicht ablehnen.«
Tom kam in mein Büro gestürmt und warf ein Hochglanzmagazin auf meinen Schreibtisch. So eines, wie man sie im Wartezimmer von zweitklassigen Zahnärzten sieht.
»Nein«, sagte ich gedehnt, ohne den Blick vom Bildschirm meines Macs zu lösen.
Leise lachend ließ sich mein Geschäftspartner auf den Sessel mir gegenüber fallen und lockerte seinen Hemdkragen.
»Habe ich dich gebeten, Platz zu nehmen?«, fragte ich, immer noch tippend.
»Es ist wichtig«, sagte er mit sanfter Stimme. Alles an diesem Arschloch war sanft … sein Naturell, sein Aussehen, sein Tonfall. Ich fand seine Durchschnittlichkeit einfach haarsträubend. Nicht ganz so haarsträubend wie die der Gesamtbevölkerung, aber immer noch so nervig, dass ich ihn nicht in meiner Nähe haben wollte, wenn ich nicht ausdrücklich darum gebeten hatte. Was nie passierte.
Was die Frage aufwarf, warum zum Teufel er eigentlich hier war.
»Raus«, sagte ich und zermalmte meinen Stift zwischen den Zähnen.
»Nicht, bevor wir geredet haben.«
»Reden ist überbewertet, Schweigen ist Gold.« Ich spuckte das Ende des Stifts auf den Tisch. Er rollte weiter und fiel Tom in den Schoß.
Wahrscheinlich wollte er mich zu einem Familienessen einladen oder, schlimmer noch, zum Golfen.
Aus Gründen, die sich mir nicht erschlossen, verstand mein Geschäftspartner nicht, dass mich Geselligkeit nicht interessierte und sein Seniorensport noch viel weniger. Meine Hobbys waren CrossFit, Frauen und rotes Fleisch. Aber vor allem wollte ich in Ruhe gelassen werden. Ich hatte keine Familie und fand das auch gut so. Seine Versuche, mich in seine Familie zu integrieren, brachten ihm keine Pluspunkte ein.
Die Beharrlichkeit, mit der sich Tom an unsere gemeinsame Vergangenheit klammerte, führte nur dazu, dass ich noch weniger Zeit mit ihm verbrachte. Schließlich hatten wir bereits unsere Jugend miteinander verbracht. Die weder ihm noch mir gefallen hatte.
»Es geht um die Arbeit.« Er nahm einen Stressball von meinem Schreibtisch und knetete ihn.
Widerstrebend löste ich den Blick vom Bildschirm und von der E-Mail an einen Klienten, den ich darüber in Kenntnis setzen wollte, dass er einen schweren Raubüberfall geradezu provozierte, sollte er seine Rolex-Sammlung weiterhin auf Instagram präsentieren.
Ich war Mitinhaber der Lockwood & Whitfield Protection Group. Als solcher verschwendete ich meine Tage damit, dumme reiche Menschen dazu zu bringen, hirnrissige Sachen zu unterlassen, mit denen sie sich selbst in Gefahr zu bringen drohten. In diesem Fall hielt sich der fragliche Erbe nicht an den Vertrag mit meiner Firma. Der Agent, den ich mit seinem Schutz betraut hatte, beschwerte sich, das Vasily seine zwei Komma drei Millionen Follower informiert hatte, in welchem Hotel in New York er abgestiegen war, einschließlich der Etage.
Der Mann verdiente seinen Reichtum ebenso wenig wie die Luft zum Atmen.
Es war kein Traumjob, den Babysitter für reiche Trottel zu spielen. Aber er war gut bezahlt und auf jeden Fall besser als alles andere, was ein Mann mit meinen Fähigkeiten beruflich machen konnte. Die andere Option war Auftragskiller. Und obwohl ich Menschen nicht mochte, war ich auch nicht scharf auf einen Gefängnisaufenthalt.
Tom warf das Magazin auf den Tisch zwischen uns.
»Was haben wir denn da?«, sagte ich und griff nach dem Boulevardblatt. Eine sturzbetrunkene junge Frau mit Haaren wie eine Disney-Meerjungfrau starrte mich an. Eine Brust quoll ihr aus dem zerrissenen Kleid, die Brustwarze hatte die Redaktion mit einem goldenen Stern abgedeckt. Die Schlagzeile lautete: ÄrgerfürHallion!PartygirllässtNippelblitzen.
»Na schön.« Ich warf Tom das Magazin wieder auf den Schoß. »Ich weiß die Antwort schon … eine verdammte Sauerei.«
»Eine heiße Sauerei«, verbesserte mich Tom grinsend. »Innen gibt es unzensierte Bilder.«
»Großartige Neuigkeiten für mein dreizehnjähriges Ich. Aber mein erwachsenes Ich möchte gern wissen, was das mit uns zu tun hat.«
»Hallie Thorne.« Tom warf das Magazin wieder zurück zu mir. »Klingelt es da nicht bei dir?«
»Sollte es das?« Ich lehnte mich zurück. Dieses Gespräch langweilte mich bereits jetzt. Ich sah niemals fern. Das Fernsehen war voller Menschen, und wie bereits erwähnt, hasste ich Menschen. Das Fernsehen erinnerte mich außerdem daran, dass andere Leute Dinge hatten, die ich nicht hatte … Freunde, Familie, Hobbys. Diese Frau sah aus wie eine Visagistin, die irgendwelchen Deppen im Privatfernsehen ein mittelmäßiges Umstyling verpasst.
»Die Tochter von Präsident Anthony Thorne.«
Erneut blickte ich desinteressiert auf das Cover des Magazins.
»Sie scheint nach dem Poolboy zu kommen.«
Diese Frau ähnelte ihrem Vater nicht im Geringsten. Andererseits sah ihr Vater auch nicht aus wie ein Model auf Onlyfans.com.
»Wie dem auch sei«, fuhr Tom fort. »Ich habe gerade mit Robert McAfee telefoniert, Thornes ehemaligem Sicherheitschef. Er kennt mich irgendwoher. Thorne will nach diesem Vorfall einen Personenschützer für seine Tochter einstellen.«
»Du meinst nach dieser Erregung öffentlichen Ärgernisses.«
»Meinetwegen«, sagte Tom und lachte. »McAfee hat uns aufgrund unserer Erfahrung mit Oligarchen, Schauspielern und Politikern empfohlen. Thorne scheint interessiert zu sein, vorausgesetzt, wir unterzeichnen den ganzen Papierkram, um Vertraulichkeit zu gewährleisten.«
»Könnte McAfee nicht etwas drehen und ihr jemanden aus D. C. besorgen?«, fragte ich stirnrunzelnd.
Streng genommen hatten nur Ex-Präsidenten und ihre Gattinnen Anspruch auf lebenslange Security auf Kosten der Regierung. Aber das ließ sich umgehen. Wenn diese Thorne-Chick zum Beispiel noch zu Hause lebte, was vermutlich der Fall war, weil sie nicht älter als siebzehn aussah, konnte sie sich den Schutz ihrer Eltern »ausleihen«, wenn diese zu Hause blieben.
Außerdem setzt man sich keinem Sicherheitsrisiko aus, wenn man in der Öffentlichkeit die Titten blitzen lässt, woraus ich schloss, dass Daddy Thorne vor allem ein Kindermädchen für seinen missratenen Sprössling brauchte.
Aber fürs Windelnwechseln war ich nicht zuständig.
»Offenbar will er die Sache unbedingt privat regeln, damit alles absolut diskret läuft«, erklärte Tom.
»Dann viel Glück bei dem Versuch, dieser Frau diskretes Verhalten beizubringen.« Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar. Es war viel zu lang, ich hätte es längst schneiden lassen sollen.
»McAfee ist immer noch Sicherheitschef im Weißen Haus«, sagte Tom und strich sich über das Kinn.
»Er kriegt bestimmt bald eine Medaille«, versetzte ich und steckte mir zwei Pfefferminzkaugummis in den Mund.
»Die meinen es ernst, Ran. Es soll sofort losgehen, und zwar für die königliche Summe von zweihundertfünfzig Riesen im Monat.«
»Es ist ein Babysitter-Job«, sagte ich.
»Genau. Null Prozent Arbeit. Hundert Prozent Ruhm.«
Ich verstand, warum Tom so scharf auf diesen Auftrag war. Wenn wir unsere Trümpfe Anthony Thorne und Robert McAfee gegenüber richtig ausspielten, konnte uns das neue Kunden in D. C. einbringen, und das war durchaus eine interessante Perspektive.
Obwohl Tom und ich ehemalige Spionageabwehr-Agenten waren, war es nahezu unmöglich, auf Bundesebene einen Fuß in die Tür zu bekommen. Washington heuerte nur ungern Sicherheitskräfte von außerhalb an. Man zog es vor, sein eigenes Personal auszubilden und es anschließend auf die Gehaltsliste der Regierung zu setzen, diese Geizhälse. Aber wenn man einen Auftrag ergattern konnte, winkten fette Honorare, Folgeverträge und jede Menge Prestige, verbunden mit dem Komfort, sein eigenes Unternehmen zu führen.
Abgesehen davon wollten Tom und ich im nächsten Jahr eine Abteilung für Cybersicherheit eröffnen. Wir konnten Verbindungen zur Regierung gut gebrauchen.
»Ist sie in Texas?« Ich erinnerte mich an Präsident Thornes Dallas-Akzent, der ihm bei seiner Wiederwahl die Stimmen von Vorstadt-Hausfrauen und mehreren unentschlossenen Staaten eingebracht hatte.
Tom schüttelte den Kopf. »Los Angeles.«
Der Ort, den ich hasste wie keinen anderen. Sehr passend.
»Na schön, sag zu.« Ich zuckte mit den Achseln. »Setz Max auf den Fall an. Seine Familie kommt aus Oceanside. Dem Scheißkerl kann ein bisschen Sonnenbräune nicht schaden.«
Max sah aus wie das typische Emo-Kid in einer Familienserie. Außerdem war ich mir ziemlich sicher, dass der Typ diese Ansammlung von Designerkleidern und Vaterkomplexen nicht mal mit der Kneifzange anfassen würde. Er würde einen guten Einfluss auf sie haben.
Tom rieb sich den Nacken und rutschte unbehaglich auf dem Stuhl hin und her.
»Max ist gut, aber er ist ein Anfänger. Er kann als Verstärkung dabei sein. Er muss mit jemandem zusammenarbeiten, der mehr Erfahrung hat. Das ist unser Durchbruch. Sorg dafür, dass das Mädchen salonfähig wird, und du hast alle Verbindungen, die du brauchst. Es ist nur für ein halbes Jahr.«
»Nimm Jose für die Tagschicht.«
»Jose ist noch in Schottland, schon vergessen?«
Natürlich hatte ich es vergessen. Wer war ich, seine Mutter?
»Was ist mit Kent?«, knurrte ich.
Tom schüttelte den Kopf. »Elternzeit.«
»Man hat diesen Mann etwas zeugen lassen?«, fragte ich und musterte Tom mit finsterem Blick. Kent hatte eine sadistische Ader epischen Ausmaßes. Einmal hat er einem Paparazzo eine verpasst, nur weil der ihn nach der Uhrzeit gefragt hatte.
»Nicht etwas, jemanden. Ich war zur Beschneidung seines Sohnes eingeladen.«
Ich wusste, worauf das hier hinauslief, und es gefiel mir nicht. Drei Wochen zuvor hatte ich meinen letzten Einsatz beendet – ein Mitglied des britischen Königshauses – und Tom mitgeteilt, dass ich in Zukunft nicht mehr hinter berühmten Arschlöchern herlaufen würde.
Die internationale Frauenwelt würde ich vermutlich vermissen – die Privatjets auf jeden Fall –, aber nichts war es wert, sich rund um die Uhr mit dem Mist anderer Leute herumzuschlagen. Vor allem, wenn es um junge Frauen ging.
Das waren die Schlimmsten.
Außerdem war ich es, der den Stab für die Abteilung Cybersicherheit zusammenstellte, was allein bereits zweieinhalb Jobs entsprach.
Und was zum Teufel dachte sich Tom eigentlich dabei, mich nach Los Angeles zu schicken? Als ich das letzte Mal dort war, passierten ein paar sehr unangenehm Dinge. Dinge, die nicht einmal ich verdauen konnte.
Andererseits hast du Tom nie die ganze Geschichte erzählt. Woher soll er also wissen, was dich dazu gebracht hat, zu kündigen und dich selbstständig zu machen?
Toms Hundeblick sagte mir, dass ich höchstpersönlich weitere intime Einblicke in Nippelblitzers Welt verhindern sollte.
»Du bist ja high«, sagte ich energisch.
»Du meinst wohl praktisch.« Tom stand auf, bereit, sich mit mir anzulegen.
Ich schnüffelte. »Riechst du es auch?«
»Was denn?«
»Diesen Furzgeruch, den dein Gaslighting verursacht.«
Tom lachte in sich hinein. »Okay, ich weiß, eigentlich wollten wir über etwas anderes sprechen …«
»Genau. Was ist mit der Abteilung für Cybersicherheit?«, fragte ich und sprang auf. Ich hatte nicht übel Lust, ihm den Hals umzudrehen. »Wer soll das Team zusammenstellen? Einigen Kunden haben wir bereits mündliche Zusagen gegeben, und du bist nicht mal in der Lage, eine PowerPoint-Präsentation zu erstellen.«
Ich wusste, dass dieser Typ sogar Schwierigkeiten hatte, dass Kack-Emoji in seinem Handy zu finden.
»Das kann warten, bis wir mit diesem Job fertig sind. Wenn wir mit der Cybersicherheit starten, brauchen wir Kunden aus dem Regierungsviertel«, argumentierte er.
»Jetzt zäumen wir das Pferd aber von hinten auf.« Ich knöpfte meine Manschetten auf und krempelte die Ärmel bis zu den Ellbogen hoch. »Wir haben den Job noch nicht und die Verbindungen erst recht nicht.«
»Thorne will uns. Dich, um genau zu sein. Ransom Lockwood, den Roboter. Kein Herz, keine Gefühle, keine Bindungen. Er weiß, dass du mit ein paar Top-Secret-Sachen zu tun hattest. Dass du Prinz Pierre einige Male aus lebensbedrohlichen Situationen gerettet hast. Du hast eine makellose Erfolgsbilanz und wirst nicht in Versuchung kommen, seine Tochter um den Verstand zu vögeln.«
»Das kannst du laut sagen.«
Normaler Sex langweilte und frustrierte mich, und die meisten Frauen waren eben … normal. Ich mochte es hart und unkonventionell, und zwar mit Partnerinnen, die willens waren, einen umfangreichen Vertrag mit Regeln und Pflichten zu unterzeichnen. Meine Vorlieben rangierten eher auf der dunklen Seite des Spektrums. Vor allem stand ich auf einvernehmlichem Nicht-Einvernehmen. Vergewaltigungsfantasien, wenn man so will.
Meine Sexualpartnerinnen mochten es, gewaltsam genommen zu werden … und ich nahm sie gern mit Gewalt. Bei dieser Art Spiel – Primal Play – ging es um Kraft. Nur um es klarzustellen: Ich wollte niemals eine Frau vergewaltigen. Es ging mir um den Nervenkitzel der Jagd, um die Vorfreude, die mit der Gefahr einherging, unsere Grenzen und Hemmungen zu überwinden. Meine Partnerinnen waren intelligente und starke Frauen, die dieselbe ungewöhnliche Vorliebe hatten wie ich. Nichts geschah ohne ihre Zustimmung.
Ich genoss das Niveauvolle. Die starken Frauen, die wie ich gern mit ihren Dämonen spielten.
Es interessierte mich nicht im Geringsten, meinen Schwanz in einen durchschnittlichen, aufmerksamkeitsgeilen Teenager zu stecken.
»Thorne wird uns neue Türen öffnen«, sagte Tom. Seine Lippen waren eine schmale Linie.
»Nein«, sagte ich nur.
»Du hast keine andere Wahl!«, rief er und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Das wäre mir neu«, erwiderte ich mit hochgezogenen Brauen. »Und dieses Gespräch ist genau jetzt zu Ende.«
Ich nahm mein Handy vom Tisch und schlenderte zur Tür. Tom erwischte mich am Ärmel. »Ran, bitte.«
Ich drehte mich um, sah ihn an und sagte gedehnt: »Keine Teenager mehr, habe ich gesagt. Die letzte wollte mich mitten in der Nacht ans Bett fesseln und vergewaltigen.«
Ich musste das Kopfteil zerstören, um die Ledergürtel zu lösen, die sie benutzt hatte. Ich habe nur deshalb auf eine Anzeige verzichtet, weil ihr Vater der drittreichste Mensch auf diesem Planeten ist und ich für mein Schweigen fürstlich bezahlt wurde.
Tom lachte nervös. »Gutes Aussehen wäre ein Berufsrisiko, gegen das ich nichts einzuwenden hätte.«
»Hast du vergessen, was bei meinem letzten Aufenthalt in L. A. passiert ist?« Gefühlt zermahlte ich meine Backenzähne gerade zu Staub. Tom kannte nicht die ganze Geschichte, aber er wusste genug, um sich denken zu können, dass diese Stadt nicht gerade zu meinen Traumzielen gehört.
»Ja, da ist eine Menge Mist passiert«, räumte er ein und räusperte sich. »Aber das ist Jahre her. Du kannst diese Stadt nicht meiden bis in alle Ewigkeit.«
Natürlich konnte ich das. Außer verschmutzter Luft, schlechten Hollywoodfilmen und überteuerter Gourmetküche hatte Los Angeles mir nichts zu bieten.
»Mach du es!«, sagte ich und stach Tom den Zeigefinger in die Brust.
»Würde ich ja. Sofort. Aber ich habe ab nächster Woche einen Auftrag bei Bürgermeisterin Ferns.«
Er hatte eine Stelle bei der Bürgermeisterin von Chicago.
»Oder möchtest du tauschen?«, fuhr er fort. »Ich gehe nach L. A., nehme Lisa und die Kinder mit und wohne in einer Villa.«
Ich dachte kurz darüber nach. Bürgermeisterin Ferns hatte genügend Feinde, um das Wrigley-Field-Stadion zu füllen, aber das war es nicht, was mir Sorge bereitete.
Was mich beunruhigte, war die Tatsache, dass ich weniger als zwei Monate zuvor ihre beiden Töchter gevögelt hatte. Gleichzeitig. Zu meiner Verteidigung – nicht, dass ich es nötig hätte – muss gesagt werden, dass ich von ihrem Stammbaum nichts wusste, als mir die eine den Schwanz leckte, während sich die andere über eine Stange gebeugt hatte, damit ich die Finger in sie hineinschieben konnte.
Unsere Wege trennten sich einvernehmlich, aber ich wusste, dass man sein Glück nicht herausfordern soll. Wenn ich mich ein weiteres Mal auf die beiden einließ, bat ich nicht nur um Ärger, sondern ich bettelte förmlich darum.
Wenigstens bestand nicht die Gefahr, dass ich mich mit der kleinen Thorne vergnügen würde.
Kein Sex mit der Zielperson. Das war die Regel.
Abgesehen davon war sie nicht mein Typ.
Abgesehen davon war sie … wie alt? Siebzehn?
Und abgesehen davon hatte Tom recht. Ich gab Los Angeles eine Macht über mich, die es nicht verdiente. Es war nur eine Stadt. Hässlich, schmutzig und teuer, aber dennoch nur eine Stadt.
Ich wollte nicht für ein hohles Mädchen arbeiten, wollte nicht nach Los Angeles ziehen und wollte nicht mit Menschen reden, wenn es nicht unbedingt sein musste.
Aber noch war ich jeder Herausforderung in meinem Leben gewachsen gewesen, und dieses verzogene Mädchen würde daran nichts ändern.
Tom blinzelte mich erwartungsvoll an und wartete auf eine Antwort.
»Also, womit haben wir es hier zu tun?«, fragte ich und lehnte mich mit der Schulter an die Wand.
Erleichtert atmete er aus und ließ meinen Ärmel los.
»Es ist ein Job mit geringem Risiko. Die Frau ist sehr aktiv in den sozialen Medien. Informiert die Leute gern darüber, wo sie sich gerade herumtreibt. Aber letztlich ist sie nur jemandes Tochter, weißt du. Abgesehen von ihrem berühmten Vater ist sie mehr oder weniger unbekannt. Thornes Hauptsorge in Bezug auf ihre Sicherheit sind Angriffe und Raubüberfälle. So betrunken und daneben, wie sie auf den Bildern aussieht, und so, wie sie von diesem Reality-Show-Knallkopf begrapscht wurde, scheint sie ausgesprochen leichte Beute zu sein.«
Ich holte tief Luft und drückte mir die Fingerkuppen in die Augenhöhlen. Wehe, dieses Mädchen versuchte, mich mit Ledergürteln ans Bett zu fesseln.
»Wenn ich es mache, will ich eine direkte Leitung zu Thorne haben.«
»Dem hat er bereits zugestimmt«, verkündete Tom zu meiner Überraschung.
Tja,dumm gelaufen.
Anthony Thorne war offenbar ziemlich sauer auf seine hohle Teenietochter.
»Und wenn der Job vorbei ist, will ich ein Meeting mit diesem McAfee wegen der Gründung unserer Cyberabteilung. Er wird uns einige Zugeständnisse machen müssen.«
»Da bin ich dir weit voraus, Ran. Das habe ich ihm nämlich schon gesagt.« Tom nickte begeistert.
»Und es ist mein letzter Einsatz vor Ort«, knurrte ich.
»Versprochen.« Tom hielt mir den kleinen Finger hin. Ich griff danach und bog ihn so weit um, dass er beinahe brach, als ich meinen Partner zu mir heranzog. Seine Brust prallte gegen meine.
»Das.Aller.Letzte.Mal. Verdammt!« Ich sah zu, wie er sich vor Schmerzen wand.
»Aua!«
Ich ließ den Finger los, stieß Tom mit der Schulter an und stolzierte aus meinem Büro.
»Wo willst du denn hin?«, rief er mir nach.
»Mir ein Messer in den Hals rammen.«
Ich rammte mir kein Messer in den Hals.
Es war die reinste Farce, wie ich feststellen musste, als ich mir vierundzwanzig Stunden nach meinem Gespräch mit Tom einen Weg durch den überfüllten, schmutzigen Flughafen LAX bahnte.
Als ich mich einige Jahre zuvor als Spionageabwehr-Agent in dieser Stadt aufhielt, wurde eine Menge Blut vergossen. Und damit meine ich ein Level wie bei Squid Game. Es war einer der Gründe für meine Kündigung. Mir war klar geworden, dass ich noch den letzten Rest Menschlichkeit verlieren würde, wenn ich nicht sehr bald den Dienst quittierte.
Es bedeutete mir nicht allzu viel, menschlich zu sein. Der Hauptgrund für meinen Rückzug bestand darin, dass ich mich nicht in einen Machete schwingenden Killer verwandeln wollte, der am Ende Amok läuft.
Das Leben im Gefängnis schien wenig inspirierend zu sein, und soweit ich gehört hatte, ließ dort auch das Essen zu wünschen übrig.
Hilfreich war außerdem, dass das Gehalt als Abwehragent nicht einmal halb so hoch war wie der Verdienst in der freien Wirtschaft. Ein klarer Fall also.
Da wir gerade von klaren Fällen sprechen: Ich musste unbedingt zum Haus dieser Hallie, ehe sie beschloss, ihren Besuch beim Gynäkologen auf TikTok zu dokumentieren. Da McAfee mir mitgeteilt hatte, dass das verwöhnte Mädchen nicht weniger als vier Autos in der Sechsergarage seiner Villa in den Hollywood Hills stehen hatte und ihm außerdem ein Fahrer zur Verfügung stand, nahm ich ein Taxi.
Mit meiner Sporttasche auf dem Schoß starrte ich aus dem Fenster und wunderte mich mal wieder, wie unglaublich hässlich Los Angeles doch war. Heruntergekommene Gebäude, schäbige Bodegas, zugemüllte Straßen, Brücken voller Graffiti und mehr Einkaufswagen auf den Straßen als in den Supermärkten.
Hinzu kam die Luft, die derart verschmutzt war, dass das Leben in diesem Dreckloch ungefähr so gesund war, als rauchte man zwei Päckchen Zigaretten am Tag. Man musste schon ziemlich dumm sein, um freiwillig hierherzuziehen.
Zufällig hatte ich in dieser Hinsicht nur sehr geringe Erwartungen an Hallie Thorne.
Obwohl ich nie ein richtiges Zuhause gehabt hatte, betrachtete ich Chicago als meine Basis. In Chicago arbeitete, spielte und vögelte ich, und dort lebte ich in dem Drei-Millionen-Dollar-Penthouse eines Hochsicherheitsgebäudes.
Ich, der als Junge von den Abfällen aus den Mülltonnen hinter dem Supermarkt leben musste.
»Da wären wir.« Der Taxifahrer hielt vor einer scheußlichen Villa, die aussah, als hätte sie ein Kind mit zehn Daumen aus Bauklötzen gebaut. Ein architektonisches Phallussymbol, wie ich es noch nie gesehen hatte. Ein schwarzes Viereck thronte auf einem weißen Viereck, das waren die Stockwerke des Hauses. Eine Vielzahl deckenhoher Fenster gab den Blick auf das »verheißungsvolle« Innere frei.
Altmodische Tapeten, geschmacklose Kunst und ein riesiger kitschiger Kronleuchter.
Ich bezahlte den Fahrer und schlug die Beifahrertür hinter mir zu.
Da McAfee mich vorgewarnt hatte, dass Thornes Tochter schwierig und widerspenstig sei, klingelt ich zweimal und sparte mir dann die Mühe, mich noch weiter umzusehen.
Ich holte ein Stück Stolperdraht heraus, machte mich kurz an dem Schlüsselloch zu schaffen und verschaffte mir Zutritt zum Haus.
Miss Thorne hatte eine hochmoderne Alarmanlage, machte sich aber wie erwartet nicht die Mühe, sie zu benutzen.
Das Haus war so chaotisch wie seine Bewohnerin. Karnevalsmasken, Stoffe und Kleider waren überall auf den Wohnzimmermöbeln verteilt. Stapel ungeöffneter Geschenktüten und Geschenkkartons mit intakten Etiketten. Der Fernseher lief. Ein koreanisches Drama mit lauter schmollenden jungen Leuten in Schuluniformen. Im Wohnzimmer nahm ein Leinwanddruck der Thorne-Prinzessin eine ganze Wand ein. Sie lag ausgestreckt auf einer schwarz-weißen Fensterbank mit Blick auf die Skyline von Manhattan und trug nichts als schwarze Kniestrümpfe und einen kurzen schwarzen Netzschleier vor den Augen.
Ich wandte den Blick ab (sie war siebzehn, vielleicht achtzehn) und schlenderte zu den Bücherregalen im Wohnzimmer ohne jede Eile, mich mit meiner neuen Klientin bekannt zu machen. Die Bücher in seiner Bibliothek sagen eine Menge über einen Menschen aus.
Die Regale waren auf geradezu aggressive Art up to date. Bücher von Oprah und Titel aus Reese Witherspoons Buchclub stapelten sich darin. Ich nahm eins heraus und blätterte darin. Die Seiten waren frisch, rochen wie im Buchladen nach Druckerfarbe und Holz. Sie hafteten noch aneinander, und die steifen Buchrücken verrieten mir mehr als die Titel. Es handelte sich um reine Requisiten. Die kleine Prinzessin las keine einzige Zeile in den Büchern, die sie besaß.
Nach einer kurzen Überprüfung der Location stieg ich langsam die Treppe hinauf. Auch in der ersten Etage war von der kleinen Thorne nichts zu sehen. Der einzige Hinweis bestand aus einer Spur von Kleidungsstücken, die vom Flur zum Schlafzimmer führte.
Das letzte Teil – ein rosa Spitzen-BH – lag vor der Doppeltür zum Balkon. Wo sich die junge Frau vom Cover des Magazins auf einer Liege räkelte. Nackt, wie Gott sie geschaffen hatte, mit einem Handtuch über dem Gesicht.
Ist sie etwa allergisch gegen Kleidung?
Ohne sie näher in Augenschein zu nehmen, ging ich auf sie zu. Sie war einundzwanzig, hatte ich auf dem Flug hierher erfahren. Genau wie vermutet … ein Kind, vor allem im Vergleich zu meinen neunundzwanzig Jahren. Abgesehen davon wäre es geschmacklos gewesen, den Spanner zu spielen. Ich war ein Profi … Und ich hatte es nicht nötig, mich an schlafende Frauen heranzuschleichen. Eine kleine Perversion reichte mir.
Ich stand ihr direkt in der Sonne. Da ich ihr auf diese Art etwas Schatten und Kühle spendete, bekam sie eine Gänsehaut. Regungslos wartete ich darauf, dass sie mich bemerkte, ohne von mir berührt zu werden. Es gehörte zu meinen Grundregeln, meine Klienten niemals anzufassen.
Wenn es sich vermeiden ließ, fasste ich auch sonst niemanden an.
Es sei denn, die Berührung war Teil einer gut durchdachten und auf alle Variablen überprüften Fantasie.
Sie nahm das Handtuch vom Gesicht und reckte sich.
»Keller? Hast du mir Kombucha mitgebracht? Ich bin total dehydriert. Und ich bin immer noch wütend …«
Die letzten Worte blieben ihr im Hals stecken. Ihre Augen weiteten sich, als sie mich zum ersten Mal sah.
Ich lächelte verbindlich. »Hallo, Hallie.«
Als Reaktion darauf griff das kleine Miststück nach dem nächstbesten Gegenstand, der neben ihr auf dem Boden stand – eine San-Pellegrino-Flasche –, zerschmetterte sie am Rahmen der Liege und versuchte, mir den Flaschenhals in den Oberschenkel zu rammen. Kurz vor meinem Knie erwischte ich ihr Handgelenk und verdrehte es. Nicht genug, um es ihr zu brechen, aber weit genug, um ihr klarzumachen, dass diese Option nicht vom Tisch war, falls sie weiter Sperenzchen machen sollte.
»Ich bin nicht hier, um Ihnen wehzutun, aber wenn Sie das da nicht loslassen, werde ich es tun.«
Die zerbrochene Flasche landete auf dem Boden. Ich kickte sie zum anderen Ende des Balkons. Sie keuchte und starrte mich aus großen blauen Augen verzweifelt an, so unschuldig wie ein Rehkitz, das zum ersten Mal seine Mutter sieht.
»Ich … ich …«, stotterte sie. »Bitte. Ich gebe Ihnen Geld. Schmuck. Alles, was Sie wollen.«
Alles, Hauptsache, sie musste sich vor niemandem verantworten. Ein typisches verwöhntes Mädchen halt. Offenbar hatten ihre Eltern sie gewarnt, dass ich mir ihre Mätzchen nicht gefallen lassen würde.
»Ich will nichts von dem, was Sie mir geben könnten«, sagte ich seelenruhig. Die Untertreibung des Jahrhunderts.
»Ich werde kämpfen!« Sie versuchte, sich mir zu entziehen, und rutschte auf der Liege hin und her. »Ich werde schreien und beißen.«
Das könnte mir allerdings gefallen.
Ich löste den Griff um ihr Handgelenk. »Okay, immer mit der Ruhe. Wollen Sie …«
Und da fing das Mädchen an zu schreien. Ohrenbetäubende, verzweifelte Hilferufe. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr den Mund zuzuhalten. Sie versuchte mich zu beißen, während sie hektisch um sich trat, um sich zu befreien. Himmel, wenn sie meinetwegen einen derartigen Stunk machte, wie hatte sie dann wohl reagiert, als ihr Vater ihr eröffnete, dass sie einen neuen Bodyguard bekommen würde?
Sie grub mir die Fingernägel in die Hand, bis die Haut aufplatzte und mein Blut über ihr Kinn rann. Ich musste den Blick abwenden. All das erinnerte mich zu sehr an meine außerdienstlichen Aktivitäten.
»Sie können sich wehren, wie Sie wollen. Sie werden lange vor mir müde werden«, sagte ich mit gelangweilter Miene und ausdrucksloser Stimme. Ich musste kaum die Muskeln anspannen, um sie auf der Liege festzuhalten. »Das hier ist beschlossene Sache, Miss Thorne.«
Sie fing an zu weinen.
Zweifellos der erste von vielen dramatischen Auftritten. Wollte sie ausgeraubt und ermordet werden? Nicht alle Sprösslinge meiner Klienten waren mit engem Personenschutz einverstanden, aber angegriffen hatte mich bisher noch niemand.
Miss Thorne hatte Glück, dass ich auf die Verbindungen ihres Vaters scharf war, sonst hätte ich das Haus sofort wieder verlassen.
Ihre Tränen liefen mir über den Handrücken und verschwanden im Ärmel meines Blazers.
»Hören Sie auf damit.« Ich vermied es, etwas außer ihrem Gesicht und ihren Schultern zu berühren. Oder den Blick weiter als bis zu ihrem Hals zu senken. »Es ist zu Ihrem eigenen Besten.«
»Bitte, vergewaltigen Sie mich nicht«, hörte ich sie zwischen gedämpften Schluchzern an meiner Handfläche stammeln.
Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Bittere Galle stieg mir in die Kehle.
Sie vergewaltigen?
Als ich die Hand von ihrem Mund löste und einen Schritt zurücktrat, nutzte sie die Gelegenheit, um von der Liege aufzuspringen und über das Parkett in Richtung Schlafzimmer zu stolpern.
Ich würde sie nicht mal mit der Kneifzange anfassen, und wenn die Zukunft dieses Planeten davon abhing. Scheiß auf Eisbären und Regenwälder. »Sagten Sie gerade vergewaltigen?«
Ich erhaschte versehentlich einen Blick auf ihren Hintern, weil sie wie eine viertklassige Schauspielerin in einem Gruselfilm über den Boden robbte. Und jetzt begriff ich, warum Präsident Thorne Personenschutz für diesen Hintern wollte. Er zog den Ärger geradezu an. Er war rund und glatt, ein Efeu-Tattoo rankte sich um ihr Bein und an der Innenseite ihres Schenkels empor. Ein schwächerer Mann als ich würde sich fragen, wie es sich wohl anfühlen mochte, diesen Schenkel zu kneten, während er sie über eines ihrer lächerlichen Designer-Buffets beugte und gnadenlos in sie hineinstieß, bis sie ihn anflehte, doch bitte, bitte aufzuhören.
Ein schwächerer Mann als ich, aber nicht ich.
Ich folgte ihr in aller Ruhe, während sie gegen Möbel stieß und verzweifelt ihren Nachttisch und ihre Laken abtastete. Sie schluchzte so sehr, dass sie kaum sprechen konnte.
»Suchen Sie das hier?« Ich hielt ihr Handy hoch. Aus ihrem Gesicht war jede Farbe verschwunden. Sie wirkte derart verängstigt, dass ich die Situation, in der wir uns befanden, allmählich zu hassen begann.
»Das nächste Mal lassen Sie Ihr Handy nicht im Erdgeschoss liegen. Und da ich nun Ihre Aufmerksamkeit habe, will ich eines klarstellen: Ich werde Sie nicht anfassen, ich werde Sie nicht belästigen, und schon gar nicht werde ich Sie vergewaltigen. Ziehen Sie sich etwas über, wir sehen uns dann unten. Wir müssen reden. Angezogen.«
Damit verließ ich den Raum und stieg die Treppe hinunter, um in ihrer Küche zu stöbern. Ich hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Aber ich fand nichts, was mir auch nur halbwegs genießbar vorkam. Es gab nur Direktsäfte, abgepackte Salate und Müsliriegel, die auch als Pferdefutter durchgegangen wären.
Zwanzig Minuten später kam Hallie zu mir in die Küche. Sie trug eine Art Häkelkleid, hatte große Augen und zitterte. Ihre Nase war rot. Sie musste viel geweint haben, bevor sie heruntergekommen war.
Was wollte sie mit dieser Theatralik erreichen? War es ihr mit dieser Taktik gelungen, nervenschwächere Sicherheitskräfte von dem Auftrag abzuschrecken?
Ich nahm einen Schluck Nespresso, das einzig Gute, das ich bisher in diesem Haus vorgefunden hatte.
»Setzen Sie sich«, befahl ich und lehnte mich an die dunkelgrüne Kücheninsel aus Granit.
Sie gehorchte, ohne mich aus den Augen zu lassen, als wäre dies eine Geiselnahme und kein Gespräch unter Erwachsenen.
»Sie sollen nur wissen, dass …«, setzte sie an, holte dann aber tief Luft und schloss die Augen.
Ich zog eine Braue hoch. »Das war kein vollständiger Satz, Miss Thorne. Könnten Sie mich von meinem Elend erlösen und ihn beenden?«