Three Chances Till Christmas: New Adult Romantasy - Melissa Mai - E-Book

Three Chances Till Christmas: New Adult Romantasy E-Book

Melissa Mai

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Beschreibung

Wenn die Weihnachtszeit die Hochsaison deines Jobs ist und die Ekelpakete Londons deine Klienten sind Jeden Winter bekommt die 23-jährige Luna einen Griesgram zugeteilt, dessen Leben sie mithilfe von drei Trancen zu einem positiven Sinneswandel verhelfen soll – ansonsten stirbt dieser. In ihrer Arbeit als verdeckter Coach ist sie talentiert wie keine andere und löst die Fälle in Rekordzeit. Doch ihr diesjähriger Klient Eli macht ihr einen Strich durch die Rechnung und zum ersten Mal weiß Luna nicht weiter. Mit seiner egoistischen Art zerstört Eli das Leben seiner Mitmenschen und auch sein eigenes gerät in Gefahr. Wie soll Luna die Weihnachtszeit genießen, wenn Eli in ihrem Kopf herumspukt statt sie erfolgreich in seinen Trancen? Ein turbulenter Weihnachtsroman im Wettlauf gegen die Zeit Einzelband New Adult Romantasy inspiriert von Charles Dickens "A Christmas Carol"

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THREE CHANCES TILL CHRISTMAS

MELISSA MAI

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Epilog

Danksagung

Von Schneekugeln und Pariser Weihnachtsmuffeln

The Never Ending Christmas

Über die Autorin

KAPITELEINS

Das goldene Bier leuchtete im Licht der Bar, als Olivia ein randvoll gefülltes Glas für mich auf die Theke stellte. Ein wenig Schaum rann an den Seiten hinab, als sie daneben ein Sprudelwasser mit Zitronenscheibe platzierte.

»Ich schreib’s auf deine Liste«, sagte sie und ich nickte. Olivia zückte einen Kugelschreiber aus ihrem offenem, grün-grau kariertem Hemd, das sie über einem grauem T-Shirt mit weißem Mond-Aufdruck trug. Sie war Barkeeperin im Pub The Seahorse, der ihrer Familie gehörte, und kannte mich; mehrmals die Woche verbrachte ich hier meine Nachmittage. Ihr Bruder und ihr Vater werkelten in der Küche und zwei Mitarbeiter halfen im Pub-Bereich aus.

»Danke dir.«

Ich schnappte mir die zwei Gläser und durchquerte den Raum. Regen rann seit Stunden in dünnen Schlieren an den Fenstern hinab und würde wohl immer noch nieseln, wenn ich nach Hause ging. Ein Tourist mit südkalifornischem Akzent beschwerte sich über das Londoner Wetter, ohne Zustimmung zu erhalten. Dafür gab es ja gemütliche Lokalitäten wie diese.

An meinem Tisch angekommen, schob ich Zara, meiner Arbeitskollegin, das Wasser zu und nippte nach dem Zuprosten an meinem Getränk. Der erste Schluck war der beste. Obwohl dieser strikt genommen keiner war. Er war bereits zum dritten Mal der erste und kribbelte in der Kehle, löschte einen Durst, den ich zuvor nicht bemerkt hatte.

»Das sieht echt hübsch aus«, merkte ich an und deutete auf Zaras Tablet. Während ich die letzten Stunden ein Buch gelesen hatte, das mir in einer Buchhandlung empfohlen worden war, hatte sie sich um ihr Kochbuch gekümmert, die Rezepte faszinierend gleichmäßig digital ausgeschrieben und mit Zeichnungen versehen.

»Oh, mehr davon! Das ist Balsam für meine Seele. Ich komme mir vor wie eine Hochstaplerin.« Sie blickte auf, schob sich eine schulterlange braune Strähne hinter das Ohr. Immerzu verfingen sich ihre dunklen, voluminösen Wellen in ihren großen Clip-on-Ohrringen.

»Du? Weil du kochen und zeichnen kannst, wohingegen ich noch nach etwas suche, worin ich gut bin.«

Zara lachte und ihre braunen Augen leuchteten dabei. Sie legte den digitalen Stift nieder, klappte die Hülle des Tablets zu. »Tu nicht so, du liebst das Rumprobieren und willst dich gar nicht festlegen. Was war das für ein Kurs, den du am Wochenende gemacht hast?«

»Bonseki, japanische Sandmalerei mit unterschiedlich grobem oder farbigem Sand, Steinen … und eine Feder habe ich auch verwendet. Hat unglaublichen Spaß gemacht, auch wenn ich zu grobmotorisch dafür bin.«

»Es war also für alle meditativ außer für dich?«, rätselte Zara.

»So ungefähr.«

Der Pub füllte sich mehr und mehr. Den ganzen Tag über waren die Leute leger wie wir gekleidet gewesen, Familien hatten etwas gegessen und den Sonntag genossen, aber jetzt mischten sich schickere Outfits dazwischen. Leute, die später noch in ein Restaurant wollten oder etwas anderes vorhatten. Bei mir würde das keinen Unterschied machen, ich trug Sommer wie Winter, Tag wie Nacht schienbeinhohe Stiefel und Kleider oder Röcke dazu. Ich strich über den dunklen Stoff meines Kleides. Baumwolle, etwas dicker, damit ich nicht fror. Oder eher: um keine geschockten Blicke zu erhaschen, weil mir anscheinend seltener kalt war als anderen. So wie Zara, die ich ab morgen wieder regelmäßig im Büro antreffen würde. Sie trug einen dicken, grobmaschigen Cardigan, dessen Kragen sie tief in ihren Nacken geschoben hatte. Ihre Schultern waren leicht hochgezogen.

»Schade, dass du dein Kochbuch die nächsten Wochen über für deinen Scrooge beiseitelegen musst«, sagte ich, zu ihrem Tablet nickend.

»Findest du?«

»Das Kochen ist deine Leidenschaft, dein Baby, du vereinst deine beiden Zuhause und bist zu talentiert, um es zu unterbrechen. Unser Scrooge-Kram hingegen ist so … eintönig.«

Ich machte das Scrooge-Coaching seit sieben Jahren, seit ich mit sechzehn Jahren den erstbesten, gut bezahlten Job angenommen hatte, den ich hatte finden können, wissend, dass er zwielichtig klang. Im Nachhinein konnte ich es nur einen Glücksgriff nennen.

»Ach, was, das ist doch viel aufregender! Ich bin total gespannt, wen ich morgen zugeteilt bekomme.« Ihre Stimme war schwärmerisch, als ginge es um ein Date, statt um die Ekelpakete Londons. Jedes Jahr wurden unserer Agentur die Namen der egoistischsten Menschen Londons geschickt: diejenigen, die so ihr Umfeld manipulierten, dass andere Menschen psychisch oder physisch belastet wurden, was eine Kettenreaktion auslöste. Wir nannten diese unsympathischen, unfreiwilligen Klienten »Scrooges« und unsere Aufgabe war es, einzuschreiten und dem Ganzen mit unseren Geister-Trancen ein Ende zu setzen. Doch obwohl wir ihre Lebenseinstellung um 180 Grad wendeten, konnte ich das Davor-Bild nie abschütteln. Mit drei kurzen Begegnungen, in denen wir ihre Emotionen hervorlockten und sie schockten, war einfach so alles vergeben und vergessen?

»Sind doch immer die Gleichen«, murrte ich und nahm einen weiteren Schluck. Eine Wolke Zigarettenrauch wehte herein, als die Tür sich öffnete, und kurzzeitig wurde das sanfte Trommeln des Regens lauter.

»Luna! Lass das unsere Chefin nicht hören.« Mit empört aufgerissenem Mund starrte Zara mich an und ich kicherte.

»Sie weiß das. Ich habe ihr bereits vor drei Jahren gesagt, dass ich die Strategie gefunden habe, mit welcher es mir garantiert gelingt, jeden meiner Griesgrame zu reformieren. Ich bin gut, ich bin schnell und kann im Gegensatz zu dir die glückselige Vorweihnachtszeit richtig genießen.« Zara liebte die winterliche Gemütlichkeit, das leckere Essen und die kleinen Märkte, auch wenn sie mit ihrer Familie, die aus Pakistan kam, nicht feierte. Ich auch nicht, aber das hatte andere Gründe. Zum Geldverdienen war diese Saison perfekt, und noch besser war es, wenn man nicht bloß finanziellen Profit schlug, sondern tatsächlich etwas veränderte. Dass die Scrooges Fremde waren, war nicht schlimm. Nicht für mich zumindest.

»Ich weiß. Als ich letztes Jahr meinen Scrooge nicht knacken konnte, wolltest du mir helfen«, erinnerte ich mich.

»Doch du hast dich so festgebissen, dass es dir erst in der Nacht zum 24. Dezember geglückt ist, den Sinneswandel in die Wege zu leiten. Ist das so knapp nicht unfassbar stressig?«

Ich war in der ersten Dezemberwoche immer bereits fertig, was lange genug war, wenn man bedachte, dass wir unseren Auftrag stets Mitte November erhielten. Zara unterbrach dafür ihre Koch-Streams und lud nur noch vorgedrehte YouTube-Videos hoch. Ich legte den Job nieder, den ich während des Jahres über hatte. Genau genommen, waren weitere Jobs nicht notwendig, weil die Bezahlung so hoch war, aber ich mochte das Sammeln von Erfahrungen und Hineinschnuppern in verschiedene Branchen. Manchmal war ich anschließend geschockt. Fast Food und Fast Fashion hatten jetzt einen faden Beigeschmack, auch wenn ich einen neuen Teil der Welt kennengelernt hatte. Und das war das Schöne daran.

»Stressig, ja, aber ich fiebere so mit. Ich bin der größte und – lass uns ehrlich sein – der einzige Fan meiner Scrooges und wünsche es ihnen so, so sehr.«

»Wirklich? Dabei legen die sich ins Zeug, damit wir heulend nach Hause laufen und uns aufs Bett schmeißen.«

Zara schob die Unterlippe vor. »Kann sein, dass ich das letztes Jahr gemacht habe, als mein Scrooge herausgefunden hat, dass seine Firma jeden Winter Geld an ein Tierheim spendet, sodass die plötzlich Schulden hatten, als die Spenden ausgeblieben waren.«

Ich verzog das Gesicht. »Schon schräg, dass wir per Definition mit den unsäglichsten Persönlichkeiten der Stadt zu tun haben. Konntest du das mit dem Tierheim noch fixen?«

»Ja. Ich habe mich mit meinem Scrooge zusammengesetzt und wir haben da ausführlich drüber gesprochen.«

»Du sprichst mit denen? Ich dachte, das ist verboten in so großem Umfang.« Je mehr wir mit unseren Scrooges Kontakt hatten, desto leichter realisierten sie, dass wir in ihrem Leben pfuschten. Klug waren sie allemal, nur eben genauso verbissen und kaltherzig. »Soll ich dir wirklich nicht meine Strategie zeigen? Die ist idiotensicher und du musst nicht all dein Herzblut opfern.«

Zara winkte ab. »Ich mache das gerne so. Und es ist nicht verboten, sondern eine Methode, bei der man etwas vorsichtiger sein soll. Wir dürfen nichts von uns selbst preisgeben, aber wenn man zu sehr ausweicht und sich Dinge ausdenkt, fällt das auf, wenn die Scrooges einen dann kontaktieren wollen und das konstruierte Leben wie ein Kartenhaus zusammenfällt.«

Ich nickte. Letztes Jahr hatte ein Scrooge sich verliebt, unser Büro aufgesucht und sich beschwert, dass wir eine unstimmige Online-Präsenz hatten. Mit hochroten Köpfen in der Ecke stehend, hatten wir seinen Anschiss abgewartet, während er uns und seinen Coach als Betrügerverein ausschimpfte. Alles war gut ausgegangen und der Scrooge ein netter Mensch geworden, doch stressige Momente wie diese waren der Grund, warum wir finanziell so gut kompensiert wurden.

Zwei Gläser wurden vor uns auf den Holztisch geschoben. »Ihr habt zwar nichts bestellt, aber ich dachte, ich bringe euch die nächste Runde«, sagte Olivia, über uns ragend. Ihr kinnlanges hellbraunes Haar war an den Schläfen ein wenig feucht. Dass sie im Trubel noch an uns dachte!

»Du bist die Beste!«, rief ich und tauschte die leeren gegen die vollen Gläser aus.

»Außerdem wolltest du dem anstrengenden Gast am Tresen entgehen?«, mutmaßte Zara. Zeitgleich drehten Olivia und ich uns um und starrten den Touristen an. Sein Outfit war nicht ganz wetterkonform, seine Stimme mit niederländischem Akzent zu laut dafür, dass es hier immerzu ruhig zuging. Das war der Vorteil an bildschirmfreien Pubs. Sport konnte ich nichts abgewinnen, in keiner Form, und so war ich bei meiner Suche nach einer gemütlichen Lokalität ohne Gegröle auf The Seahorse gestoßen und hatte Olivia kennengelernt. Vor einem Jahr hatte ich zum ersten Mal ein Pint bei ihr bestellt. Außerhalb ihres Arbeitsplatzes hatten wir einander noch nie gesehen, aber sympathisch war sie mir auf jeden Fall.

»Ja, auch das. Bei euch geht morgen wieder die Arbeit für die Life-Coaching-Agentur los, richtig?«

Wir konnten nichts ausplaudern. Wirklich nicht. Es war uns seit Vertragsunterzeichnung physisch unmöglich, als ob unsere Zähne plötzlich mit Karamell zusammenklebten und die Zunge einen Knoten hatte. Dennoch wurde mir warm und ich rang nach Worten.

»Ja, genau«, übernahm Zara für uns beide. Ihr Gesicht war nicht rot angelaufen und sie griff sich auch nicht in den Nacken, um nach Schweißperlen zu fühlen. So souverän war sie. »Morgen geht es los mit der Klientenanalyse und dann gucken wir in den nächsten Wochen nach Knackpunkten im Alltag, an denen wir ansetzen können.« Nicht gelogen, nur enorm untertrieben.

Ich nahm einen Schluck meines neuen Biers, um meine trockene Kehle zu benetzen. Wenn ich nicht aufpasste, exte ich das Glas noch.

Olivia stützte die Hände auf der Tischplatte ab, spielte geistesabwesend mit der Zunge am Lippenpiercing in ihrem Mundwinkel. »Richtig cool. Ich verstehe nicht ganz, warum ihr jetzt Hochsaison habt, aber ich wäre ja schon neugierig. Was würdet ihr mir zum Beispiel empfehlen?« Sie richtete sich auf, strich sich durch das kinnlange Haar und deutete dann auf den jugendlichen Aufdruck auf ihrem Shirt.

Zara und ich prusteten los. Sie klopfte mit einer Hand auf meinen Oberschenkel, während ich eine Träne aus meinem Augenwinkel fischte. »Olivia, du brauchst das nicht. Du bist das, wozu wir unsere Kunden animieren«, erklärte ich japsend, doch Olivia zog eine Braue in die Höhe.

»Genauso gekleidet, wie mit fünfzehn Jahren, bei den Eltern wohnend und Single, weil ich, hinter dem Tresen stehend, nur für einen kurzen Flirt diene?«

»Falsche Wortwahl. Du bist ein Familienmensch in einer nicht-toxischen Familie, engagierst dich für das Familienunternehmen und entfaltest deine Persönlichkeit mit deiner Kleidung. Gehört dieser Mond mit den Pilzen auf deinem Shirt nicht zu einer Band, die du hörst?«

»Ja …« Meine Erklärung überzeugte sie nicht und ich verstand es. Jeder hatte einmal Zweifel im Leben, wusste nicht, ob man schnell genug seine Ziele erreichte, ob man gerade einen Fehler beging, und setzte die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben oder Selbstentwicklung und Familie neu. Genau so musste es sein. Scrooges hatten solche Gedanken nicht. Sie preschten egoistisch vorwärts, ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Schulterzucken, wenn sie andere verletzten.

»Luna hat recht«, sagte Zara, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. »Du brauchst weder unser Life-Coaching noch einen Neustart ab Neujahr. Es geht nämlich gar nicht um Weihnachten, sondern um den Neuanfang danach. Und davor ein bisschen die emotionale Periode, in der man vieles über jemanden herausfinden kann.«

»Klingt intrusiv.«

»Ja, man braucht die Tendenz zum Schnüffeln, Nachbohren und Zuhören. Wenn man gerne herausfindet, wie bei wildfremden Menschen das Leben läuft, ist es der richtige Job. Fragst du dich nicht, wenn du Londoner Apartments siehst, wie die Leute, die dort wohnen, eingerichtet sind? Allein deswegen mache ich gerne neue Bekanntschaften, um genau das herauszufinden.« Zara lächelte bei meiner Erklärung, während Olivia mich zunehmend zweifelnder anschaute.

»Ich glaube, Luna widerspricht dir.«

»Ist ja auch supereindringlich. Ich will nur kurz helfen und lasse die Leute dann wieder in Ruhe und ihr Leben leben. Je weniger ich weiß, desto objektiver kann ich helfen, ohne meine eigene Meinung aufzudrängen. Es gibt Schlüsselmomente, die wichtig sind, den Rest lasse ich außen vor.«

Zara schüttelte den Kopf, glaubte mir immer noch nicht. Vermutlich gab es generell wenig Dinge, in denen wir uns einig waren. Wir waren unterschiedlich aufgewachsen, setzten unterschiedliche Prioritäten im Leben, verbrachten dementsprechend die Zeit außerhalb unserer Arbeit mit verschiedenen Aktivitäten und strahlten andere Energien aus. Zara hatte etwas Erwachsenes, Gelassenes an sich, wodurch ich mich automatisch noch jünger und ungebändigter fühlte. Das begann bei unserer Kleidung und endete beim entspannt lächelnden Gesichtsausdruck. Mir las man jede Gefühlsregung ab, während Zara immerzu ausgeglichen war.

Olivia verschwand nach ein paar weiteren Worten wieder hinter den Tresen und nahm auf dem Weg dorthin mehr leere Gläser mit, als ein einzelner Mensch tragen können sollte. Ich fragte Zara weiter zu ihrem Kochbuch aus und ließ mir Fotografien zeigen, die ihre Fotografin bereits geschossen hatte. Das Projekt war echt toll. Für Zara. Für mich wäre es zu aufwändig, als dass ich konzentriert bleiben könnte.

Nachdem wir unser nächstes Glas geleert hatten, verabschiedete Zara sich, und ich blieb noch eine halbe Stunde. Genoss das Ambiente mit dem sprudelnden Geräusch des gezapften Biers, das Gelächter und die Musik im Hintergrund, die mit jeder voranschreitenden Stunde schlechter zu hören war. Als Olivia die Glocke läutete, die darauf aufmerksam machte, dass der Pub bald schließen würde, ging ich zum Eingang und zog meinen Regenschirm aus dem Schirmständer. Der Regen hatte nachgelassen, rann in Rinnsalen zu Gullilöchern und tropfte mit hörbarem Pling von Dächern, Markisen und anderen Ecken, und eigentlich brauchte ich meinen Regenschirm nicht aufzuspannen. Dennoch hatte ich es mir vor Ewigkeiten angewöhnt, als ich mit sechzehn Jahren von zuhause ausgezogen war. Da hatte ich mir zum ersten Mal die Haare bunt gefärbt und direkt meinen Lieblingspullover verfärbt. Das Meerjungfraublau-Experiment vor einer Woche war mir fabelhaft geglückt und ich wollte es nicht in einem Schauer verlieren. Ich betrachtete mich im Fensterglas der Tür, worin ich mich wegen der Dunkelheit draußen spiegelte. An meinem Ansatz begann es in Dunkelblau, ging dann in Petrol über und zeigte sich an den Spitzen in Türkis mit einzelnen hellgrünen Strähnen. Es strahlte so schön, dass ich manchmal kaum den Blick abwenden wollte. So wie es jetzt vielen Leuten auf der Straße passierte, was sich mit den Haarwäschen dann legte. Die Farben waren nicht unbedingt weihnachtstauglich, aber wenn ich nur nach Festivitäten gehen würde, hätte ich nie die Möglichkeit für fantastische oder galaktische Haarfarben.

Meinen Schirm aufspannend, machte ich mich auf den Weg nach Hause. Ich freute mich auf eine selige Weihnachtszeit voll Glitzern, gutem Essen und jeder Menge Punch. Ein griesgrämiger Klient konnte dem nichts anhaben.

KAPITELZWEI

Die Nacht wollte nicht enden und so saß ich bei Dunkelheit und Lichterfunkeln in der Underground-Tube. Ich betrachtete ein Foto, das mir meine frühere Pflegemutter Abbie von ihrem dekorierten Wohnzimmer geschickt hatte. Mitte November eröffnete sie immer die Weihnachtssaison und war eine der Ersten, die in den Supermarkt düsten, um Sainsburys Salted Caramel Sterne zu kaufen. Mehrmals. Dem Schokomousse auf Mürbegebäck konnte sie einfach nicht widerstehen. Eine Antwort blieb ich ihr dennoch schuldig. Sowie einige auf frühere Berichte.

Durchgerüttelt und gefangen zwischen morgendlichem Geplapper, das von Lunchplänen über Erzählungen des Wochenendes zu ersten Meetings reichte, wurde ich zehn Minuten später an meiner Station ausgespuckt. Noch immer im Dunkeln und im Schutze der über den Straßen gespannten Lichter. Ich eilte darunter vorbei, wollte so schnell wie möglich meinen Auftrag erhalten. Nicht weil es nicht bezaubernd aussah, denn das war es, sondern weil die Zuteilung der Scrooges ein komisches Kribbeln in mir auslöste. Diese Nähe zu einer fremden Person, die Sorgen und Ängste, die man sich aufhalste. Zara hatte mir nachts geschrieben, weil sie nicht hatte schlafen können, und obwohl ich meine Klienten stets auf Abstand hielt, war es mir ähnlich ergangen.

Das Messingschild mit der Aufschrift Coach Your Life strahlte frisch poliert und ich nahm die wenigen Stufen ins Gebäude hinein. Es war im späten 19. Jahrhundert als Lagerhalle erbaut und im Laufe der Jahre mit modernen Elementen kombiniert worden. Direkt hinter dem Empfangstresen, auf welchen man eine breite Treppe hinauftretend traf, ragte eine einst hellblau und rot verzierte und nun verrußte Backsteinmauer in die Höhe. Industrielampen hingen von der Decke und beleuchteten die vielen Pflanzen mit tropischem Flair. Von links strömte bei Tag Licht durch die bodentiefen Fenster hinein und wenn unsere Gespräche nicht unter Geheimhaltung standen, saßen wir regelmäßig in dem dortigen Lounge-Bereich mit einem Kaffee. Passend zur Optik des alten Gebäudes hatte unsere Weihnachtsdeko etwas Natürliches. Ohne krasse Farben oder Geglitzer, dafür viel Skurriles. Dieses Jahr stand ein mit hölzernen Sternen und Kugeln dekorierter Weihnachtsbaum am oberen Treppenabsatz und um den Ständer herum lagen in Packpapier verpackte Geschenkattrappen. Am Tresen hingen getrocknete Orangenscheiben, Zimt und Moosbeeren an einem Band aus Naturbast.

»Hi Gwendolyn«, grüßte ich die Frau, die dahinterstand. So wie das ganze Jahr über, da für den Großteil des Jahres Bürotische und -räume vermietet wurden. Warum wir das so und nicht umgekehrt machten, hatte sich mir nie erschlossen.

»Guten Morgen, Luna, du bist früh dran.« Sie hob den Kopf, strich sich eine feuerrote Haarsträhne zurück, die sich aus ihrem lockigen Dutt gelöst hatte.

Ich legte meine Unterarme auf den Tresen und schaute auf ihren Computer. Eine interaktive Grafik mit unseren verfügbaren Büros war darauf zu sehen; Gwendolyn ging gerade Anfragen durch. »Soll ich dir auch einen Tee machen? Ich dachte mir, ich fülle heute die große Kanne, damit wir wach werden.«

»Sehr gern, ich hatte heute Morgen noch keine Zeit, weil ich meine Kids nicht aus dem Bett bekommen habe.«

»Oh, das glaube ich dir. Bin gleich zurück.« Mein Weitergehen andeutend, klopfte ich auf den hellen Holztresen und machte mich auf zur Gemeinschaftsküche. Sie war offen, grenzte an die Lounge und war mit einer Platte Spekulatius und frischem Obst bestückt sowie einer kleinen Winterlandschaft aus Holz, in der im Schnee zwei mit Ziffern versehene Holzwürfel steckten, die demnächst die Adventstage im Dezember angeben würden. Ich stellte meine Handtasche, die so gerade groß genug für ein Tablet war, neben die aufgestapelten Mandarinen und füllte den Wasserkocher mit Leitungswasser. Theoretisch hatte die Kaffeemaschine eine Heißwasserfunktion, doch Ahnung von Tee hatte sie dadurch nicht.

Derweil ich mich um meine tägliche Dosis Teein kümmerte, passierten mich einige Kollegen sowie anonyme Männer und Frauen, die hier einen Tisch gemietet hatten und einen freundlichen Witz über die große Kanne zwischen meinen Händen machten. Das Schwarzteearoma strömte beim Aufgießen um mich herum, hüllte mich ein und das Wasser färbte sich in gemächlichen Schlieren orange. Ich bestückte ein Tablett mit der Teekanne, Bechern, Löffeln, Zucker und zwei Sorten Milch.

Auf dem Weg zum Meetingraum, in dem die Scroogeverteilung stattfinden sollte, gab ich Gwendolyn eine Tasse, die ich mit einem Würfel Zucker und einem Schuss Hafermilch versah, weil sie gerade am Telefon unsere Mietpreise durchgab.

Dann betrat ich, überraschenderweise ohne zu kleckern, das Besprechungszimmer mit den zugezogenen dunkelgrünen Vorhängen. Weil es nach Zimt und Orangen roch, sah ich mich um, entdeckte, versteckt hinter einer mit Tannenzapfen gefüllten Vase, einen Raumduft mit Holzstäbchen.

Meine Chefin, Ms Evans, die uns, das Operations-Team, leitete, verband ihren Laptop digital mit dem Beamer hinter sich. Sie war noch keine dreißig, hatte eine rundliche Figur und trug immer flippige Kleidung. Nichts brachte sie aus der Ruhe, wodurch sie die perfekte Chefin war. Ihre PowerPoint-Präsentation begann mit einer abfotografierten Ölzeichnung, die sie vermutlich in ihrer Freizeit angefertigt hatte. Das halbe Büro war bestückt mit semi-abstrakten Szenerien und Objekten und so auch dieses Zimmer mit einem Original-Weihnachtsbaumbild. Dieser Baum sah normal aus, bis man die Nase direkt vor die Ornamente hielt und Gesichter und Tiere in ihnen entdeckte.

Zara saß so weit wie möglich von dem Bild entfernt und hielt mir einen Platz frei; es war einfach zu schaurig, die Zeichnung im Rücken zu haben. Sie zog den Rüschenkragen ihrer senffarbenen Bluse hoch und gab vor, nochmal einzuschlafen.

Nach und nach füllte sich das Zimmer mit Scrooge-Repräsentanten, die sich einen Tee nahmen, sodass die Kanne noch vor Beginn des Meetings erneut aufgefüllt werden musste. Wir waren zwölf an der Zahl, die meisten Gesichter kannte ich bereits aus den letzten Jahren. In anderen Bezirken gab es noch weitere Teams, von denen wir aber nichts wussten, um das Gefühl der Exklusivität zu schärfen. Je mehr Leute in einer Firma arbeiteten, desto weniger fühlte sich etwas wirklich geheim an. Und dies war strengstens geheim. Wir in Ms Evans Team und auch die Coaches ihrer Kollegen übernahmen Klienten nahe der Themse – und das war alles, was wir wussten.

Tom plumpste neben mich auf den Stuhl, rieb sich verschlafen über den rostroten Bart. »War nicht gestern noch Januar? Ich bin noch nicht bereit für die Ekelpakete«, jammerte er und rührte drei Zuckerwürfel in seinen Tee ein.

»Die unzähligen Sommersprossen, die sich bis in deinen Ausschnitt schleichen, verraten mir, dass du viel in der Sonne warst, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben.« Von den Ohrspitzen bis zum kleinen Finger zierten kleine Punkte seine Haut und gaben ihm immer einen sommerlichen Flair. Regen und Dunkelheit passten nicht zu Tom und seine Laune hob sich für gewöhnlich erst wieder, wenn Schnee fiel.

»Okay, Leute, lasst uns loslegen«, rief Ms Evans und rückte ihre übergroße Brille zurecht. Sie trug ihr Haar in einem Wolfcut, dazu ein schräg zugeknöpftes Männerhemd und darüber eine Jacke, die nach Vintage-Chanel aussah. »Hattet ihr alle ein schönes Jahr?«

Die Frage war jedes Mal komisch, weil wir in den neuneinhalb Monaten, die wir einander nicht sahen, so viele Emotionen durchlebten und so viel passierte. Aber wir nickten alle brav. Tom erzählte von der Geburt seines Sohnes, seinem Schlafmangel und dass ein Griesgram genau das ist, was er jetzt braucht, um sich daran zu erinnern, welch Glück er mit seiner Familie hatte. Der Schlafmangel sprach eindeutig aus ihm – hatte er nicht eben noch das Gegenteil behauptet? – und wir nickten verständnisvoll. Zara erwähnte ihren Besuch in Pakistan bei ihrer erweiterten Familie, wohin sie, so oft es ging, für das Opferfest Eid-ul-Adha mit ihren Eltern flog, so sehr es auch mit ihrem Vegetarismus kollidierte. Und auch wegen der Sonne, den gemeinsamen Picknicks und Mangos. So wie sie von den Mangos dort schwärmte, konnte man meinen, sie spräche von Cadbury Twirls, Schokoriegeln.

Ms Evans berichtete von ihrer letzten Ausstellung und einige der Gemälde fanden sich in den ersten Folien ihrer Präsentation wieder. So etwas machte sie jedes Jahr, um damit die Stimmung aufzulockern, bevor sie notgedrungen fiel. Das letzte Werk war eine Sommer-Winter-Fusion, die perfekt unseren Wechsel von sommerlichen Aktivitäten zur Scrooge-Arbeit visualisierte.

»Okay, dann zum ernsten Teil des Tages. Ich habe zwölf neue Scrooges für euch, die ich gleich vorstellen werde. Eure Deadline ist wie immer der 24. Dezember, damit der oder die Scrooge am Weihnachtsmorgen den Sinneswandel im Kreise der Familie zur Schau stellen kann. Bitte bedenkt, dass es um das Leben eines Menschen geht und welchen Einfluss eure Taten auch auf Angehörige nehmen. Falls ihr Hilfe braucht, gebt rechtzeitig Bescheid. Wir sind ein Team, keine Konkurrenten.«

Sie klickte eine Folie weiter und es erschien eine Stichpunktliste mit sechs Vermerken; ohne Foto, Angaben zum Geschlecht oder Alter, damit wir uns davon nicht beeinflussen ließen.

»Unser erster Scrooge ist Geschäftsführer – warum sind es immer Geschäftsführer? Sorry, ich hatte noch keine Zeit, mir die Klienten anzusehen. Ihr bekommt die Enthüllung gleichzeitig mit mir. Also, unser erster Scrooge ist Geschäftsführer, arbeitet vierzehn Stunden am Tag, hat außer Sport keine Hobbys und diesen Sommer eine Fabrik geschlossen und damit ein Drittel der Mitarbeiter auf die Straße gesetzt. Dies hat er gemacht, ohne Alternativen oder Gehälter anzubieten, und damit die Gesetzeslage umgangen, was noch legale Konsequenzen mit sich bringen wird. Aktuell hat er ein Gebot für eine weitere Firma abgegeben und plant, diese ebenfalls umzustrukturieren. Kurz und knapp, Scrooge eins baut sich in seinem Sektor eine Monopolstellung auf, wird Weihnachten an seinem Schreibtisch verbringen und das voraussichtliche Todesdatum ist der 28. Dezember, ich schätze, wenn er von einer anderen Firma überboten und von einem cholerischen Wutanfall heimgesucht wird. Wer von euch möchte übernehmen?«

Niemand hob den Arm. Beim ersten Scrooge zögerten wir alle, realisierten jedes Jahr aufs Neue, dass es keinen freundlichen Kindergärtner geben würde, der ehrenamtlich Malkurse anbot und ein Magazin für Minimal-Living publizierte. Unsere Klienten waren Nuancen der Abscheulichkeit und obwohl wir wussten, worauf wir uns jährlich einließen, dauerte es einen Moment, sich neu darauf einzustellen.

Ich trank einen Schluck Tee, suchte in der zimtfarbenen Flüssigkeit die Motivation, um mich eines Scrooges anzunehmen. Bei der Vergabe war ich häufig gehemmt, obwohl die Arbeit selbst schnell von der Hand ging. Dank meiner Strategie.

Ein neuer Kollege übernahm den ersten Scrooge und Ms Evans reichte ihm die dazugehörige Mappe, die sie neben ihrem Laptop liegen hatte. Als sie zur nächsten Folie klickte, sprang die Lüftung ihres Laptops an, als wäre dieser jetzt bereits mit den ernüchternden Persönlichkeiten überfordert.

Scrooge zwei klang nahezu identisch, hatte genau wie der Erste irgendwann im Leben Schicksalsschläge erlitten, die ihn Stahlhüllen um das verletzliche Herz hatten errichten lassen, bis er vergessen hatte, dass er eines besaß.

»Dieser Scrooge arbeitet für ein junges Marketing-Start-up-Unternehmen und hat in seinem ersten halben Jahr bereits Mitarbeiter ausgestochen, sie um Boni betrogen und Analysen zu seinen Gunsten manipuliert. Natürlich mit dem Ziel, am schnellsten aufzusteigen und in der Führung zu sitzen, sobald das Jungunternehmen wächst. Er hat keine privaten Kontakte und stößt dort dementsprechend niemanden vor den Kopf, außer … Wer hat diese Analysen geschrieben?« Ms Evans blickte auf das oberste Blatt der Mappe des zweiten Scrooges, von dem sie die Zusammenfassung für uns ablas. Sie schüttelte den Kopf und rollte mit den Augen, wobei ihr voluminöses Haar umhersprang. »… außer der Katze des Nachbarn, der er die falschen Snacks kauft. Wer möchte …? Oh, danke Luna.«

Den Arm in die Luft gestreckt, grinste ich. Scrooges, die Tierliebhaber waren, beruhigten mich, dass es noch einen humanen Kern gab. Außerdem vermutete ich, dass Alex die Analyse geschrieben hatte. Er würde die Geister-Trancen programmieren und in seinen fühlte ich mich immer am wohlsten.

»Ich würde den zweiten Scrooge gern übernehmen«, ergänzte ich verbal und wartete darauf, dass mir Ms Evans die Mappe hinhielt. Sie zögerte, kniff die Augen zusammen und musterte mich.

»Hast du eine neue Strategie oder woher der Eifer?«

»Als ob. Gleiche Strategie, aber ich bin neugierig auf die Nachbarskatze. Da sehe ich einen Sinn von Ungerechtigkeit, sonst würde kein Scrooge unnötige Freundschaften eingehen.«

»Okay, viel Spaß.« Sie klickte zur nächsten Folie und reichte über Kollegen hinweg die Mappe zu mir. Zara linste neugierig auf meine Mappe, die von außen keinerlei Hinweise gab, nicht einmal den Namen, um die Anonymität zu bewahren. Ich ließ sie geschlossen, döste im Brei der gleich klingenden Scrooges weg und bekam kaum mit, wie sie verteilt wurden. Eigentlich Wahnsinn, wie spät wir eingeschaltet wurden und dass es so eine geheime Angelegenheit war, weil Selbstaktualisierung und Reflexion keinen Platz in der arbeitswütigen Gesellschaft hatten.

»Hey, hast du Lust, gemeinsam unsere Scrooges zu analysieren?« Zara stupste mich am Unterarm an und riss mich aus meinem Halbschlaf. Ich blinzelte. Die Hälfte der Stühle war leer, ohne dass ich das Verschwinden meiner Kollegen bemerkt hatte. Ms Evans saß mit einer Pobacke auf dem Tisch und redete mit dem neuen Mitarbeiter, der vermutlich Fragen zum Ablauf hatte.

»Jetzt? Ich kann nicht, habe etwas vor.« Der Gedanke kam gleichzeitig mit dem Aussprechen dieser Behauptung und machte sie wahr. Ja, da gab es tatsächlich etwas, worauf ich mich jetzt freute.

»Was, jetzt? An deinem ersten Tag zurück?«

»Ja, unbedingt nach der geballten Ladung Griesgrämigkeit«, erklärte ich. Die Eröffnungsbesprechung deprimierte und so hatte ich für meine mentale Gesundheit spontan entschieden, mir den Rest des Tages freizunehmen und etwas Gemütliches zu erledigen.

»Schade. Ich dachte, ich könnte meine Gedanken über meine 29-jährige Entrepreneurin teilen.«

»O wow, das ist echt jung. Fuchs dich ein, wir besprechen das die Tage über im The Seahorse. Mittags, wenn es noch nicht so voll ist und wir unsere Ruhe haben.«

Ihre Miene erhellte sich. »Gern. Auf deinen Scrooge bin ich übrigens auch neugierig.«

»Mehr als ich vermutlich.«

Ich winkte zum Abschied und eilte aus dem Büro. So schön die Einrichtung auch war, so negativ war die Stimmung dort, weil unsere Arbeit per Definition negativ behaftet war. Das galt weniger für die Leute in der IT- oder der Personalabteilung, sondern für uns. Wir waren hautnah bei den Schicksalen dabei.

Das Harrods, Londons bekanntestes Warenhaus, lag an der Brompton Road und erstrahlte bei Dunkelheit mit tausenden kleinen Lichtern und den senkrechten Blockbuchstaben des Gebäudenamens an der Terrakotta-Fassade. Obwohl ich heute früh die Dunkelheit noch so verteufelt hatte, wünschte ich sie mir jetzt zurück, um das Lichterspektakel zu sehen. Das über hundert Jahre alte Gebäude war eine der teuersten Einkaufsmöglichkeiten in London, und ich mochte das exklusive Gefühl. Vor allem für eines war es berüchtigt: das Essen!

Schwarze Londoner Taxis warteten vor dem Gebäude und spuckten Kunden aus, ansonsten war es zum Glück relativ leer.

Die Luxus-Kleidung ignorierend, steuerte ich die Food-Hall mittig im Keller an. Vorbei an Beauty-Hallen, Accessoires und Parfum, die mich nicht ansprachen. Die Food-Hall war im Jugendstilambiente und altmodisch verspielt, was hier perfekt passte. Die Auswahl an Essen reichte von Würstchen im Schlafrock zu exquisiten Kreationen im Mini-Format und somit war für jeden etwas dabei.

Ich durchquerte die Schokoladenabteilung, die mich jedes Mal auf die Probe stellte. Dies war nicht nur eine kleine Ecke mit Pralinen, die zu anderem Süßkram überging. Nein, nein. Ein ganzer Raum war jedmöglicher Schokoladenkreation gewidmet, der man nicht widerstehen konnte, sobald man sie erblickte. Und dann musste man aufpassen, vor Faszination nicht gegen die dicken Betonpfähle, die mit Keramikplatten ausgelegt waren und glänzten, zu laufen. Ich schirmte meine Augen vor den Fudges, Trüffeln und mit Schokolade ummantelten Obststücken ab und marschierte in den Bereich mit den frischen Waren, zu den Theken aus schwarzem Marmor, die einen mit ihren Leckereien lockten: von Sushi, indischem Essen über eine Salatbar und frischen Säften bis hin zu Pasta, wo mich die Spargelravioli anlächelten. Selbst wenn man gerade gegessen hatte, bekam man augenblicklich Hunger, weil alles so lecker aussah.

Schlussendlich gab ich in der Patisserie-Ecke auf. Da ich keinen schwarz-goldenen Trolley genommen hatte, hielt ich den Vanille-Mini-Cake mit bunten Streuseln umständlich in der Hand. Dabei war ich doch für Tee hergekommen! Ich kaufte immer die gleiche Dose, trank sie innerhalb weniger Wochen leer und musste dann wieder herkommen, in einem emotionalen Kampf zwischen Freude beim Stöbern und dem Suchen nach Willensstärke, mein Gehalt nicht für Essen, das ich niemals aufessen könnte, auszugeben. Ich beeilte mich, meinen Tee zu finden, bezahlte meine Sachen und nahm die tannengrüne Papiertüte mit meinen Einkäufen entgegen. Schnell weg hier.

Um mich nicht weiter auf die Probe zu stellen, verließ ich die Food-Hall und steuerte die Tea-Rooms im vierten Stockwerk an. Der Ausblick von den Rolltreppen aus war wunderschön. Die Decken waren mit Stuck und Glaskunstfenstern verziert und die ersten Tannengirlanden, ummantelt mit Lichterketten, leuchteten an Torbögen und Geländern und versprühten ihren Weihnachtszauber.

Dort angekommen empfing mich neben golden dekorierten Tannenbäumen noch mehr Tee in spielerisch designten Verpackungen und der Geruch war himmlisch: fruchtig, lieblich, sanft – ein Mix aus allen Teesorten.

Die Tische standen weit auseinander, gaben ein Gefühl von Offenheit und Luxus. Durch den Teppichboden verschwand das Geräusch meiner eigenen Schritte und weil meine Ohren wohl nach Klängen suchten, fielen mir sofort die modernen Weihnachtscover im Hintergrund auf.

Mit meinem meerblauem Haar kam ich mir ein bisschen zu leger gekleidet vor und ich kämmte schnell mit den Fingern hindurch, zog meine Regenjacke aus, worunter sich ein Blazer verbarg. Schon besser.

Ich steuerte einen der größtenteils freien Tische an und hielt meine Jacke sowie die schicke Einkaufstüte vor meine Handtasche. Die Mappe meines Scrooge ragte heraus, weil ich heute Morgen nicht an die Größe der Unterlagen gedacht hatte.

Der Preis für den Tee war happig und nichts anderes hatte ich erwartet. Entspannung musste man sich gönnen, statt sich dafür zu verurteilen. Wenn ich etwas Süßes zum Mittagessen wollte, dann aß ich es auch. Die nächsten Wochen über würde ich mir den Kopf für meine drei Schock-Szenarien zerbrechen und da brauchte ich den Ausgleich. Außerdem begann die Weihnachtszeit. Was sollte man also anderes machen, als die Kleinigkeiten des Lebens zu genießen?

Bei der Auswahl des Tees ließ ich mich beraten und entschied mich für den Afternoon Special Blend, passend zur Afternoon Tea Selection an Amuse-Bouches, die ich bekommen würde. Es spielte keine Rolle, dass es später Vormittag war. Die weihnachtliche Musik wurde von Pianoklängen abgelöst und ich zog mein Tablet hervor. Den Pianisten sah ich nicht, sein Klavier war hinter einem Weihnachtsbaum versteckt, aber die Stimmung schwang um, lud einen ein, seinen eigenen Gedanken zu lauschen.

Kurz starrte ich mein Tablet an, auf dem ich eigentlich nur arbeiten sollte. Aber ich war noch nicht bereit, mich auf den Griesgram einzulassen. Wie wäre es, wenn ich einen neuen Kurs buchte? Irgendetwas, was ich noch nicht gemacht hatte. Es ging mir nicht um das Aufbauen von Fähigkeiten. Sprachenlernen hatte ich versucht und das Voranschreiten war zu träge gewesen, aber so Kleinigkeiten mochte ich. Malen mit Wasserfarben, Tarotkarten legen, Traumfänger basteln, Latte Art lernen. Es gab so viel Tolles und Londons Angebot war endlos. Definitiv ein Grund für mich, um der Stadt niemals den Rücken zuzukehren.

Just als ich zwei neue Kurse entdeckt hatte, wurde eine zweistöckige, rechteckige Etagere gebracht. Auf der unteren Etage lagen kleine Sandwiches mit Crème fraîche und Gurke, geräuchertem Lachs oder gefüllt mit Truthahn. Und auf der oberen Etage befanden sich runde Mini-Cheesecakes mit Santahut, Choux-Pastry mit Zimt und einer Schneeflocke aus weißer Schokolade und dreieckige Schokoladenpralinen in grün, die Tannenbäumen ähnelten. So unfassbar liebevoll zubereitet, dass ich den Mund kaum schließen konnte, als der Kellner mir das Angebot erklärte. Noch bevor ich probiert hatte, war ich mir sicher, dass dies klug ausgegebene 62 Pounds waren. Erst recht, weil ich die Reste mitnehmen durfte. Ich freute mich schon auf die frisch gebackenen Scones mit Sauerrahm und Harrods Konfitüre, die gleich noch gebracht werden würden.

Der Anblick erfreute mich so, dass ich schnell ein Foto schoss und es fasziniert anblickte, obwohl ich das Original vor meiner Nase hatte. Am liebsten hätte ich Zara ein Foto geschickt, damit sie ebenfalls herkam, doch sie sollte sich nicht schlecht fühlen. Sie liebte das engagierte Arbeiten und ging darin auf, sich in die Welt ihres Scrooges hineinzufuchsen. Mir ging es um das Endresultat und das Genießen der Momente dorthin. Und dieser Moment war schon ziemlich perfekt.

KAPITELDREI

Mein Scrooge namens Eli Shaw war männlich, noch jünger als der von Zara und arbeitete bei einem jungen Start-up-Unternehmen namens Green Arrow. Der Name ließ etwas ökologisch Wertvolles erwarten, aber es war eine Firma, die sich um das Marketing von Kleinunternehmen kümmerte, und sie wiesen lediglich auf den grünen Schnabel von Neulingen in der Branche hin. Eli war für die Kunden-Akquise verantwortlich, implementieren tat er nichts. Wenn man die Kunden aufgelistet sah, die er seinem Kollegen Ben Cooper abgeluchst hatte, verstand man sofort, warum er vermeintlich erfolgreich war.

Diese Eckdaten waren nicht sonderlich spannend und ich beschloss, dass ich nicht mehr wissen musste. Ich hatte meine Unterlagen grob überflogen, um die Adresse des Start-ups zu finden, sowie ein Foto von Eli, und dann hatte ich mich bereits auf dem Weg gemacht … zwei Tage nach Erhalt der Dokumente. So rasch tat das kein anderer Coach. Aber Eli war eben ein willkürlicher Kunde.

Mental zumindest. Optisch wollte ich mich über ihn nicht beklagen.

Mit einem schwarzen Regenschirm, der mich vom Nieselregen abschirmte und mein Starren verbarg, lungerte ich vor seinem Arbeitsplatz. Bisher war ich nie angesprochen worden, wenn ich nicht aussah, als wäre ich total verloren und bräuchte Hilfe zum Orientieren.

Der Regen tickte stetig auf meinen Regenschirm, ohne stark genug zu sein, Pfützen am Boden zu formen. Es war kurz vor der Mittagszeit und ich trippelte seit einer halben Stunde vom linken auf den rechten Fuß. In meinen neuen Stiefeletten, weil sie zu einer gemusterten Strumpfhose und einem dunkelgrauen Kleid echt süß aussahen. Meine Fußsohlen verfluchten mich für diese Entscheidung. Erneut marschierte ich die gegenüberliegende Straßenseite hinauf, schaute auf mein Handy, als würde ich auf jemanden warten, und linste dann wieder zum Eingang der Marketingagentur. Auch ein Scrooge musste zu Mittag essen. Bisher hatte ich jeden so abgefangen. Und es spielte nicht einmal eine Rolle, dass mein Haar in verschiedenen Blaunuancen eingefärbt war. Vor zwei Jahren war es weiß gewesen mit vereinzelten roten Strähnen im Unterhaar, wie eine Zuckerstange, und mein Scrooge hatte mich trotzdem übersehen und nicht in Erinnerung behalten. So egal waren ihnen andere Menschen.

Dass Eli ein Mann war, vereinfachte meine Strategie. Die erste Exfreundin war immer die Erinnerung in der Vergangenheit, die einen gebrochen hatte. Und selbst wenn dem nicht so war, half einem die moderne Gesellschaft samt Unterdrückung männlicher Emotionen, dass irgendetwas bei der ersten Freundin nicht verarbeitet worden war und das Ego angeknackst hatte. Das wurde mit rabiatem Erfolg und Ablehnung von Nahestehenden kompensiert. Diese verlorengegangene Balance musste ich ausgleichen. Mehr nicht.

Die Eingangstür aus Messing wurde geöffnet und ich streckte den Rücken durch. War es mein Scrooge …? Ja! Eli spazierte zwischen anderen Mitarbeitern nach draußen. Seinen unfair behandelten Kollegen Ben erkannte ich sofort, sowie den Chef, Mr Arrowell, den ich auf der Website entdeckt hatte. Mein unfreiwilliger Klient blieb stehen, machte einen Witz und winkte dann zum Abschied. Typisch Scrooge. Er hatte keinen Bock auf die Gesellschaft der anderen. Nicht weil er introvertiert war, sondern weil andere seine Anwesenheit nicht wert waren. Was so absurd war! Jeder Mensch hatte etwas Interessantes an sich.

Sich durch das aschblonde, überraschend lange und zottelige Haar streichend, wandte Eli sich nach links ab, seine Kollegen nach rechts. Ich heftete mich an seine Fersen und folgte ihm. Zügig schritt er den Block hinab, bog dann nach links in den Park, drehte eine Runde und … wollte der mich auf den Arm nehmen? Als ob er wusste, dass ich ihn verfolgte und kein passendes Schuhwerk anhatte. Der Nieselregen störte ihn nicht, beeinflusste seine Frisur sogar positiv, wenn er sich das Haar erneut aus dem Gesicht strich. Und es passte so gar nicht zu ihm. Zu dem engen Hemd unter seiner offenstehenden Jacke oder der Anzughose und den polierten Schuhen. Vermutlich musste er nicht einmal so schick im Büro erscheinen und hatte den Anspruch an sich selbst erhoben. Das Haar war süß, strubbelig, viel zu lang für konservative Frisuren, und zeigte den jungen Mann, der er war. Laut meiner Mappe gerade mal 23 Jahre alt, seit einem Jahr aus der Universität raus und determiniert, so erfolgreich zu werden, dass er mit dreißig Jahren genug Geld hatte, um Macht über andere auszuüben. Das Alter war frappierend, aber Schicksale jagten einem ungeachtet des Geburtsjahres heim. Er war der erste Scrooge, der so jung war wie ich.

Nachdem Eli eine Runde im Park gedreht hatte, ging er wieder zurück zum Büro, ohne gegessen zu haben. Allerdings wartete ein Zustellkurier auf ihn, saß mit einer Pobacke noch auf seinem Scooter, balancierte mit dem zweiten Bein seine Maschine. Als Eli sich näherte, schaute er auf und kramte eine Papiertüte aus der Kühlbox hinter sich. Vermutlich war das bestellte Essen genauso gesund wie dieser knackige Spaziergang. Nach einem kurzen Wortwechsel düste der Kurier davon.

Verdammt!

Die Tür knallte hinter ihm ins Schloss und ich blieb stehen, fluchte leise. Sollte ich ihm folgen? Doch auf der Arbeit waren Scrooges unnahbar. Den letzten Funken Privatleben, den sie hatten, schirmten sie dort ab, und ich würde meine Zeit verschwenden.

Ich drehte im Kreis, inspizierte die grüne Umgebung – und entdeckte einen Pub. Warum nicht? Die Kälte, die langsam in meine Glieder gekrochen war, abschüttelnd, trat ich ein und steckte meinen Regenschirm in einen Ständer am Eingang. Nichts an dieser Lokalität ließ vermuten, dass die Weihnachtssaison vor der Tür stand. Nicht einmal uralte Deko hatte irgendjemand noch im Keller gefunden. Nichts. Doch der Geruch nach Bier und Holz war genauso gemütlich.

In der Ecke des Tresens hatte ich die beste Sicht auf den Eingangsbereich der Agentur und so setzte ich mich dorthin. Elis Chef und Kollege saßen mit einer Frau und einem Mann, die ebenfalls Mittagspause hatten, an einem Tisch. Ben Cooper aß Fish and Chips, von denen er die letzte Pommes gerade in Tartarsauce tunkte, die anderen hatten bereits aufgegessen. So schnell? Trauten sie sich nicht, sich mehr Zeit zu lassen? Ihr Tisch war zu weit weg, als dass ich etwas hören konnte, aber es war nicht wichtig.

»Hi, was kann ich dir bringen?«, grüßte mich eine Frau mit schottischem Akzent lächelnd. Sie hatte schwarze Sommersprossen und beeindruckende dunkle Afrolocken bis zu den Schultern.

Darüber hatte ich noch nicht nachgedacht.

»Ein halbes Pint und ein Allrounder-Breakfast, bitte.« Die Kombination war perfekt bei diesem Schmuddelwetter, egal zu welcher Uhrzeit, und Bohnen, Black Pudding und gebratene Würstchen ein Essen, bei dem Eli Shaw schockiert die Kinnlade runterklappen würde. So wie er durch seine Mittagspause marschiert war, zählte er auch Schritte auf einer Smartwatch.

Lange passierte nichts. Erst viele Stunden später, nachdem ich die Barkeeperin Lizzy in freien Minuten kennengelernt hatte. Mit Shortbread von Lizzys Grandma, die sie regelmäßig in Schottland besuchte, wozu ich zwei Tassen Kaffee getrunken hatte. Ihre Schwester sang und war ebenfalls nach London gezogen und hatte kleine Auftritte in der Stadt. Gerade als sie mir einen selbst gebastelten Flyer mit anstehenden Terminen über die Theke schob, tauchte Eli erneut auf. Es war inzwischen draußen dunkel geworden und meine Augen waren angestrengt vom Lichtwechsel zwischen erhelltem Pub und gedimmter Nacht. Prompt verschluckte ich mich an meinem Mineralwasser.

»Könnte ich ganz schnell bezahlen, bitte?«

Lizzy verzog die schwarz bemalten Lippen zu einem Schmunzeln und hantierte an der Kasse, während ich den Flyer einsteckte. Nach wenigen Sekunden schob sie mir die Rechnung über die Theke. »Kommst du demnächst nochmal vorbei?« Sie hatte meine Kreditkarte bereits vor Stunden entgegengenommen. Zum Bezahlen gab sie sie mir zurück und hielt mir das Kartenlesegerät mit dem benötigten Betrag hin.

»Ich denke schon. Zumindest bis Weihnachten«, sagte ich, obwohl ich hoffte, mich schneller von Eli zu lösen.

Sie verzog die vollen Lippen über dieses Ultimatum, ohne etwas dazu zu sagen. »Cool. Schönen Abend noch!«

»Ebenso.« Mit einem Grinsen, weil Lizzy wirklich sympathisch war, winkte ich und klemmte mir schnell meinen Schirm unter den Arm. Dann rannte ich aus dem Pub.

Eli war schnell auf den Beinen, genoss die Bewegung nach der Bürotätigkeit vermutlich sogar. Ich erspähte ihn eine Straße hinab und eilte hinterher. Er steuerte eine Tube an, die gerade einfuhr, als er am unteren Treppenabsatz der Station ankam. Ich hetzte hinterher, darauf achtend, niemanden anzurempeln. Direkt bevor sich die Türen schlossen, schwang ich mich ins Abteil, Eli im Blick. Er stellte sich an den Rand und starrte auf sein Handy, wie so ziemlich alle um uns herum.

An seiner Station angekommen, legte Eli den nächsten Sprint ein und ich hatte erneut Mühe, hinterherzukommen. Sein Ziel erreichte er an einem kleinen Apartmentkomplex mit beleuchtetem Eingangsbereich. Er schaute nicht hinter sich, sonst hätte er bemerkt, wie ich ihm gerade rechtzeitig folgte, bevor die Tür ins Schloss fiel. Ich schüttelte meinen Schirm aus und klemmte ihn unter den Arm.

Während er seine Wohnung ansteuerte, notierte ich mir die Adresse im Handy. Aus Datenschutzgründen hatte Coach Your Life irgendwann beschlossen, diese nicht mehr aufzuschreiben. Nur der zugewiesene Coach durfte die Adresse kennen. Was ich trotz der Extramühen verstand, auch wenn wir bezüglich der induzierten, realwirkenden Trancen tausend andere ethische Richtlinien missachteten.

---ENDE DER LESEPROBE---