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Es gibt drei Regeln, an die man sich halten sollte, wenn man sich auf einen One-Night-Stand einlässt: Suche dir jemanden aus, den du garantiert nie wieder sehen wirst. Sorge dafür, dass du den Spaß deines Lebens hast und verschwinde danach so schnell und so spurlos wie möglich. Dies ist auch Lisa klar, als sie sich kurz nach ihrer Ankunft in L.A. von ihrer besten Freundin Karen dazu überreden lässt, auf eine Party zu gehen und dort alle Hemmungen fallen zu lassen. Und in dem attraktiven Nick findet sie tatsächlich einen Gleichgesinnten, mit dem sie eine der aufregendsten Nächte verbringt, die sie je erlebt hat. Als Lisa am nächsten Morgen ganz planmäßig die Flucht ergreift, ahnt sie noch nicht, dass sie mit der ersten Regel nicht ganz so sorgsam war, wie sie gedacht hat. Denn Nicolas Jordan, der Mann, der ihr am Nachmittag im Restaurant bei ihrem ersten Geschäftsgespräch gegenüber sitzt und mit dem sie in den nächsten sechs Wochen an dem Drehbuch zu ihrem Bestsellerroman arbeiten soll, ist niemand anderes als Nick, ihr One-Night-Stand …
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Impressum Copyright: © 2011 Ina Linger/Cina Bard
www.inalinger.de
Email: [email protected]
Veröffentlicht durch: I. Gerlinger, Spindelmühler Weg 4, 12205 Berlin
Schriften: Igino Marini, Robert E. Leuschke
Einbandgestaltung: Yocla-Designs
Lektorat: Faina Jedlin
Inhalt
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Weitere Werke der Autorinnen
Ein Kitzeln an ihrem Ohr. Das war es, was sie als allererstes wahrnahm, als sie ganz langsam aus der Welt der Träume hinüber in die Realität glitt. Warme Luft, die immer wieder an ihrem Ohrläppchen vorbei über ihren Hals blies, dort eine leichte Gänsehaut hinterlassend. Dann waren da dieser schwere, warme Druck auf ihre Taille und Geräusche … nicht fremd an sich, aber fremd in dieser Situation, störend in dieser sonst so schönen Phase des langsamen Erwachens an einem freien Tag: Das Ticken eines Weckers ganz in ihrer Nähe, Straßenlärm, der aus einem gewissen Höhenunterschied zu ihr herauftönte, ihren noch so betäubten Gehörsinn aktivierte und dabei diese leichte Irritation hervorrief, die ihr Verstand selbst schon in diesem benebelten Zustand zulassen konnte. Und dieses andere Geräusch dicht hinter ihr, welches das Kitzeln an ihrem Hals begleitete … Das klang beinahe wie das ruhige Atmen einer anderen Person.
Lisa riss gewaltsam ihre Lider auf und verfluchte sich im nächsten Augenblick schon beinahe wieder selbst dafür. Gleißend helles Licht stach ihr in die empfindlichen Augen und durch ihre Schläfen zog ein scharfer Schmerz, der sie sofort wieder die Augen zusammenkneifen ließ und sich nur Sekunden später in ein ebenso unangenehmes, schmerzhaftes Pochen verwandelte. Ganz gleich, was sie in der gestrigen Nacht alles getan hatte, eines stand schon einmal mit Sicherheit fest: Sie hatte zu tief ins Glas geguckt und musste nun dafür bezahlen – mit Kopfschmerzen und Gedächtnisverlust, wie es aussah.
Was war nur gestern geschehen? Und wo zur Hölle war sie jetzt? Karen hatte sie dazu gebracht, am späten Abend mit ihr auf die Party eines Bekannten zu gehen, um endlich mal richtig zu ‚relaxen‘. Und das hatte sie wohl getan, mit zu viel Alkohol und … Gott-oh-Gott! Nicht damit! Bestimmt nicht damit!
Sie atmete tief durch und hob nun sehr viel vorsichtiger als zuvor die Lider, blinzelte gequält in das helle Tageslicht, das durch das geöffnete Fenster einen halben Meter von ihr entfernt in den großen Raum fiel. Helles Parkett, weiße Wände, helle, schlichte Möbel – definitiv nicht ihr Zimmer. Wie sollte das auch möglich sein? Schließlich war sie erst vor zwei Tagen in die Staaten eingereist. Doch es war auch nicht das Hotelzimmer, das sie gemietet hatte, oder das Wohnzimmer ihrer Freundin Karen, das diese ihr als Übernachtungsmöglichkeit angeboten hatte, kurz bevor sie zu der Party aufgebrochen waren.
Lisa schluckte schwer, während ihre Augen beinahe ängstlich durch das Zimmer huschten. Da lag Kleidung vor dem Bett … wenn sie sich nicht irrte, ihre eigene. Das Kleid, das sie gestern Abend angezogen hatte, ein paar Schritte weiter neben einem Herren-shirt ihr BH … ihr Slip … Ihr wurde schlecht, schlechter, als ihr ohnehin schon war. Oh Himmel, hatte sie es etwa wirklich getan? Diese eine Sache, die sie sich noch nie zuvor getraut hatte zu tun? Da war dieser Kerl gewesen: groß, dunkel, mit diesem männlichen, aber doch jungenhaften Charme. Sie konnte sich an sein Lächeln erinnern und diese vielen kleinen Fältchen um seine Augen herum, die sich immer gebildet hatten, wenn er lachte …
Sie bewegte vorsichtig den Kopf, versuchte an ihrem eigenen Körper hinunterzusehen, festzustellen, ob dieser Druck auf ihre Taille tatsächlich durch das verursacht wurde, was sie mit klopfendem Herzen bereits erwartete. Ein leicht behaarter Männerarm – natürlich, was hätte es auch anderes sein sollen? Sie schloss die Augen, versuchte den Kloß, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, wieder herunterzuschlucken.
‚Keine Panik!‘, sprach sie sich selbst zu. ‚Ganz ruhig und cool bleiben. Du hast mit einem dir völlig fremden Mann geschlafen – na und?! Ein netter One-Night-Stand hat noch niemandem geschadet … Und da dir auch die Erinnerung daran fehlt – was soll’s?‘
Seine Lippen auf den ihren, sein heißer Atem auf ihrer Haut, sein tiefes Stöhnen dicht an ihrem Ohr. Nackte Haut auf nackter Haut … Wie wundervoll sich das anfühlte … Ihre Finger krallten sich fest in die Muskulatur seines …
Lisa riss entsetzt die Augen auf, konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, nach Luft zu schnappen. Ganz so erinnerungslos war sie dann wohl doch nicht. Du liebe Güte – wenn sie sich nicht irrte, hatte sie sich so gehen lassen wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Wie peinlich! Sie war doch sonst nicht so. Und sie konnte diesem Mann jetzt unmöglich in die Augen sehen, geschweige denn mit ihm sprechen – jedenfalls nicht, ohne dabei vor Scham im Erdboden zu versinken. Was bedeutete, dass sie irgendwie aus dem Bett herauskommen musste, ohne ihn zu wecken. Bloß wie?
‚Erst einmal tief durchatmen und dann weitersehen, Lisa‘, sprach sie sich selbst zu. ‚Du kannst das. Konzentrier dich besser. Vielleicht täuschen dich ja auch deine Erinnerungsfetzen und du hast gar nicht mit diesem Mann geschlafen. Immerhin wart ihr sehr betrunken. Vielleicht seid ihr nur ins Bett gefallen und dann gleich eingeschlafen … nackt – gut – aber auch das muss ja nicht gleich zum Letzten geführt haben.‘
Lisa atmete tief ein und aus, bewegte sich, testete an, was ihre Bewegung bei dem Mann hinter ihr auslöste. Seine Atmung veränderte sich und sein Arm zuckte kurz, dann lag er wieder still. Vielleicht konnte sie ihn ja dazu anregen, seinen Arm von ihrem Körper zu nehmen, wenn sie ein bisschen herumruckelte – selbstverständlich vorsichtig, damit er bloß nicht aufwachte.
Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, als sie sich wieder bewegte, ihre Hüfte minimal anhob. Der Mann hinter ihr gab nun ein leises Grummeln von sich und schien sich auf den Rücken zu drehen. Zumindest glitt sein Arm von ihrem Körper und landete stattdessen schwer auf der Matratze. Lisa schloss erleichtert die Augen. Das war doch schon die halbe Miete. Nun galt es nur noch aus dem Bett herauszukommen, ohne dieses dabei zu sehr wackeln zu lassen oder Geräusche zu verursachen, die ihre Kurzbekanntschaft vielleicht doch noch wecken würden. Sie hob die Lider wieder und schob vorsichtig ein Bein über den Bettrand, tastete mit den Zehenspitzen nach dem Fußboden. Da war er, glatt und kühl, nicht allzu tief unter ihr. Sie zog die dünne Bettdecke, die ihren Körper bedeckte, noch höher über ihren Brustansatz, spannte ihren Körper an und setzte sich auf – etwas zu schnell, denn der Raum begann sich sofort unangenehm um sie zu drehen. Glücklicherweise hielt der Schwindel nicht lange an und sie konnte einen vorsichtigen Blick auf den Mann in ihrem Bett werfen.
Sie hob überrascht die Brauen. Er hatte zwar seinen Kopf auf die andere Seite gedreht, sodass sie sein Gesicht nicht so richtig sehen konnte, doch wahrscheinlich hätte sie dafür eh keine Augen gehabt – bei diesem Körper! Das Betttuch war ihm bis zu den schmalen Hüften hinuntergerutscht und entblößte somit nicht nur seine muskulöse, leicht behaarte Brust, sondern auch den straffen Bauch und diese feine Linie dunkler Haare, die bis hinunter zu der stattlichen, sich deutlich unter dem Laken abzeichnenden Erhebung zu führen schien. Lisa wurde heiß und kalt zur selben Zeit und sie kämpfte mit aller Macht gegen die beschämenden Erinnerungen an, die sofort wieder in ihr hochkommen wollten. Sie musste hier weg – ganz schnell!
Ihr Versuch aufzustehen geriet durch ihr wachsendes Schamgefühl etwas zu hektisch und unkoordiniert und ließ sie völlig vergessen, dass man dazu eigentlich zwei Beine brauchte. Dass eines davon sich in der Decke ihres Liebhabers verfangen hatte, hatte sie zuvor gar nicht wahrgenommen – nun war es zu spät. Ihre Vorwärts-Aufwärts-Bewegung wurde so ruckartig gestoppt, dass sie das Gleichgewicht verlor, sich einmal um sich selbst drehte, mit wild um sich rudernden Armen zwei hilflose Hopser nach hinten machte, bevor sie ihr Bein aus der Decke ziehen konnte, und dann mit einem lauten Poltern zu Boden ging.
Für einen langen Augenblick blieb sie einfach nur liegen, kniff die Augen zusammen und wünschte sich, dass die Erde sich auftat und sie verschluckte. Nackt auf dem Boden vor dem Bett eines ihr wildfremden Mannes zu liegen und diesem zur Begrüßung am Morgen gleich den blanken Allerwertesten entgegen zu recken, weil man die ungeschickteste Person auf der ganzen Welt war, war etwas, was vom Grad der Peinlichkeit und des Schamgefühls kaum noch überboten werden konnte. Und sie war so laut gewesen, das der Fremde in dem Bett davon ganz bestimmt aufgewacht war.
Sie lauschte mit klopfendem Herzen und glühend heißen Wangen in die Stille hinein, doch da war nichts außer weiterhin recht regelmäßig klingenden Atemzügen. Sie hob den Kopf, sah über ihre Schulter hinüber zum Bett. Er lag noch genauso da wie zuvor, schlief tief und fest. Konnte sie wahrhaftig so viel Glück haben?
Sie stütze sich mit den Händen ab und richtete sich auf, griff rasch nach dem Laken, das zumindest noch um eines ihrer Beine geschlungen war, und versuchte es rasch um ihren Körper zu wickeln. Etwas war an ihrer Hand kleben geblieben und störte dabei nun ungemein. Sie drehte ihre Handfläche zu sich und ihr Magen vollführte erneut einen Salto Mortale. Die Plastikverpackung eines Kondoms – na, wundervoll! Mehr Beweise brauchte sie nun nicht mehr dafür, dass sie Sex gehabt hatte. Sie zupfte die Verpackung von ihrer Hand und erhob sich dann, den Mann auf dem Bett dabei angespannt im Auge behaltend. Doch er regte sich nicht, schlief selig weiter, auch als sie rasch ihre Sachen zusammensammelte und dann aus dem Zimmer in den Flur eilte.
Bad… wo war hier ein Bad? Da! Sie stürzte in den hell gekachelten Raum, als würde Michael Myers persönlich hinter ihr her sein, schloss die Tür lautlos hinter sich und verriegelte sie sofort. Erst dann wagte sie es, erleichtert durchzuatmen und einen Teil ihrer Anspannung gehen zu lassen.
„Ganz ruhig bleiben“, sprach sie sich selbst leise zu. „Du hast kein Verbrechen begangen, dir nur eine Menge Spaß gegönnt. Und der Kerl schläft wie ein Stein. Also, kein Grund zur Panik. Jetzt ziehst du dich an, Lisa, packst deine Sachen zusammen und verschwindest, so schnell du kannst – so, wie man das halt nach einem One-Night-Stand macht.“
Sie stimmte ihren eigenen Worten mit einem entschlossenen Nicken zu und runzelte dann die Stirn. Etwas kitzelte sie an ihrem Po. Sie griff rasch danach, fühlte, dass etwas an ihrer Pobacke klebte, und hob erstaunt die Brauen. Es ließ sich schnell ablösen und als Lisa es vor ihre Augen hielt, konnte sie diese nur noch in Resignation verdrehen. Eine weitere Kondomhülle. Ganz wunderbar! Dann war das wohl auch noch ein One-Night-Stand über mehrere Runden gewesen. Sie war eine Nymphomanin – eindeutig!
Lisa stieß ein leises Seufzen aus und begann dann endlich, ihren Plan in die Tat umzusetzen, weiterhin bemüht darum, sich bloß nicht an die Details von gestern Nacht zu erinnern. Das würde sie nur nervös machen. Unterwäsche an, Kleid überstülpen … Ach du Schande! War sie tatsächlich so auf diese Party gegangen?
Ihr Blick glitt über die Gestalt, die da in dem großen Spiegel vor ihr über dem Waschbecken zu sehen war und sich am Abend zuvor in dieses eng anliegende, dunkelblaue, unglaublich kurze Kleid ihrer Freundin gezwängt hatte. Es betonte ihre Kurven in einer äußerst provokanten Weise und dieser Ausschnitt… Es gab wohl keinen Menschen, der nicht sofort dorthin starren würde, wenn er ihr begegnete – egal ob Mann oder Frau!
„Wenn du damit heute keinen Kerl abschleppst, fress ich ‘nen Besen“, hatte Karen gesagt, als sie sich zusammen für die Party fertig gemacht hatten. „Das ist der Hingucker!“
Sie hatte wohl Recht gehabt – in beiderlei Hinsicht. Eigentlich war Karen daran schuld, dass das alles passiert war. Sie hatte schon vor ihrem Aufbrechen gemeinsam mit Lisa einen kleinen Cocktail ‚gekippt‘ – nur zur Auflockerung. Und die ganze Zeit hatte sie auf sie eingeredet: dass sie das endlich mal bräuchte nach dieser langen Zeit als Single; dass es ihr gut tun, sie lockerer machen würde; dass es sie von ihrer Anspannung bezüglich des auf sie zukommenden Kampfes um ihr Buch befreien würde und sie danach sehr viel besser und gelassener in die Verhandlungen und die anstehenden Treffen gehen würde. Irgendwann – nach ein paar Cocktails mehr auf der Party – hatte Lisa ihr geglaubt. Dann war ihr auch tatsächlich schon dieser Kerl über den Weg gelaufen, der wohl genau dasselbe wie sie gesucht und ungefähr dieselbe Menge Alkohol intus gehabt hatte.
Gott-oh-Gott, so etwas hatte sie eigentlich nie tun wollen. Alkohol und dumme Ideen – das führte höchst selten zu etwas Positivem. Wie sie nur aussah! Wie eine krude Mischung aus Gothic-Anhängerin und Punk. Ihre Augen waren von der verwischten Schminke schwarz umrandet und ihr blondes Haar stand nach allen Seiten ab, wirkte an ihrem Hinterkopf etwas antoupiert und Lisa wollte gar nicht weiter darüber nachdenken, woher das wohl kam. Sie zog ein Kleenex aus der Packung, die auf einem kleinen Glastisch neben dem Waschbecken stand, befeuchtete es mit Wasser und versuchte sich wenigstens wieder so herzurichten, dass niemand schreiend vor ihr davonrennen würde, wenn sie aus dem Haus trat. Als sie gerade dabei war, ihr Haar mit den Fingern zu durchkämmen und auf diese Weise wenigstens einigermaßen zu glätten, fiel ihr Blick auf den Wecker, der in einem schmalen Regal stand, und sie gefror auf der Stelle zur Salzsäule. Zwölf Uhr dreißig?! Himmel! Wie lange hatte sie geschlafen?! Sie musste doch um fünfzehn Uhr in dem Restaurant sein, diesem Restaurant… dessen Name ihr schon wieder nicht einfallen wollte – verflucht noch mal!!
Handy. Wo war ihr Handy? Sie musste Karen anrufen! Die konnte sich bestimmt noch daran erinnern. Ihr Blick flog gehetzt durch den Raum. Dann schüttelte sie den Kopf über sich selbst und eilte hinüber zur Tür. Ihre Handtasche konnte nicht hier sein. Sie hatte sie schließlich nicht mitgenommen, als sie Hals über Kopf ins Bad geflohen war.
Sie steckte vorsichtig den Kopf aus der Badezimmertür hinaus und lauschte in die anhaltende Stille. Wenn sie sich nicht irrte, schlief ihr One-Night-Stand immer noch – welch ein Glück! Sie straffte entschlossen die Schultern und schlich dann auf Zehenspitzen durch den Flur zurück in das Schlafzimmer. Der Kerl lag nicht mehr ganz so da wie zuvor, hatte sich noch mehr auf die Seite gedreht, doch er schien zu ihrer Beruhigung noch zu schlafen. So konnte sie sich in Ruhe umsehen. Tasche… Tasche… TASCHE! Da war sie. Direkt neben dem Bett, leider auf der Seite, zu der sich der Mann umgedreht hatte.
‚Er schläft – keine Angst‘, sprach sie sich innerlich erneut zu, als sie sich ganz vorsichtig an das Bett heranpirschte. ‚Sei einfach ganz leise.‘
Zwei weitere Schritte und sie hatte die Tasche erreicht, streckte ihre Hand danach aus und hob sie hoch. Selbstverständlich musste irgendetwas darin verrutschen und ein leises Klappern erzeugen. Lisa erstarrte in ihrer Bewegung. Ihre Augen huschten ängstlich hinüber zu dem Gesicht des Mannes und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie gesehen zu haben, dass sich seine Lider bewegt hatten – so, als ob er sie gerade rasch geschlossen hätte. Aber das konnte ja nicht sein. Er schlief ja noch. Ganz bestimmt. Warum sollte ein erwachsener, tatsächlich unglaublich gut aussehender Mann – meine Güte, wie konnte ein Kerl nur so lange Wimpern haben?! – nur so tun, als ob er schlief? Das war doch lächerlich!
Sie schüttelte über diese absurde Annahme den Kopf, nahm ihre Tasche nun sehr viel vorsichtiger und leiser als zuvor an sich, hob auch gleich ihre Schuhe auf und huschte dann so schnell wie möglich hinaus aus dem Raum.
Nur Sekunden später stand sie vor der Tür des Apartments und schloss diese mit einem erleichterten Aufatmen hinter sich. One-Night-Stand abgeschlossen. Den Kerl würde sie nie wieder sehen. Schade eigentlich. Sie hatte bei der Auswahl dieser Kurzbekanntschaft selbst unter Alkoholeinfluss einen guten Geschmack bewiesen.
Sie schüttelte den Gedanken schnell wieder ab, schlüpfte rasch in ihre Schuhe und schulterte ihre Tasche. Es gab jetzt wichtigere Dinge, um die sie sich dringend kümmern musste, und die Zeit rannte ihr davon. Also marschierte sie schnurstracks den langen Flur hinunter, in dem sie sich nun befand, in der Hoffnung bald auf eine Treppe oder einen Fahrstuhl zu stoßen. Die vielen benummerten Türen, an denen sie dabei vorbeilief, ließen sie zu dem Schluss kommen, dass sie sich in einem kleinen, schlichten Hotel befand, und als ihr ein Zimmermädchen mit einem Wagen voller Putzutensilien entgegenkam, erhärtete sich ihr Verdacht.
Was sie allerdings die Stirn runzeln ließ, war das verschmitzte Grinsen, mit dem ihr die junge Frau begegnete, als sie sie mit einem freundlichen Nicken grüßte. Lisa versuchte sich nicht weiter darum zu kümmern, stieg rasch in den Aufzug, den sie nun endlich gefunden hatte, und fuhr mit diesem nach unten.
Als sich die Türen wieder öffneten, offenbarte sich ihr eine kleine, schicke Vorhalle mit einer Rezeption, an der ein junger Mann saß. Ganz dunkel konnte sich Lisa daran erinnern, dass er auch in der Nacht dort gesessen und ihr und ihrer Bekanntschaft den Schlüssel für das Zimmer ausgehändigt hatte.
Sie hielt unschlüssig inne, weil sie nicht genau wusste, was sie tun sollte. Das Hotel wortlos verlassen oder erklären, dass der Schlüssel noch oben bei … bei ihrer Kurzbekanntschaft war? Wie war noch gleich sein Name gewesen? Sie kniff angestrengt nachgrübelnd die Augen zusammen, während sie sich langsam auf die Rezeption zubewegte. Rick? Dick? Sie verkniff sich ein albernes Kichern. Wohl kaum! Mick? … Nick! Das war es. Nick … und wie weiter? Hatte er ihr überhaupt seinen Nachnamen gesagt? Bestimmt nicht. Wahrscheinlich stimmte noch nicht einmal sein Vorname, schließlich hatte sie ihm ja auch nicht ihren richtigen Namen genannt … oder doch?
Ihre Gedankengänge wurden unterbrochen, als der Rezeptionist von seiner Schreibarbeit, die er gerade noch erledigt hatte, aufsah, sie kurz musterte und plötzlich ebenfalls von einem Ohr zum anderen grinste. Lisa schoss sofort Hitze ins Gesicht, weil sie sich daran erinnerte, warum der Kerl so grinste. Sie und dieser Nick hatten sich gestern so auffällig verhalten, dass wohl jeder, der ihnen begegnet war, sofort gewusst hatte, was sie da oben in dem Hotelzimmer tun würden. Wie peinlich!
„Guten Morgen, Mrs. Perry“, begrüßte der junge Mann sie nun mit amüsiert funkelnden Augen und diesem ‚Na – war’s gut?‘-Blick, den sie überhaupt nicht ausstehen konnte und der ihr nur noch weiter die Schamesröte ins Gesicht trieb. „Wollen Sie uns schon verlassen?“
Wenigstens waren sie so schlau gewesen, sich auch in dem Hotel unter falschem Namen einzuschreiben. Sie musste sich räuspern, um überhaupt sprechen zu können. „Ja … ähm … ich … muss arbeiten …“ Sie rang sich zu einem flüchtigen Lächeln durch und ärgerte sich gleichzeitig über ihr peinliches Rumgestammel.
„Und der werte Gatte bleibt noch?“
Allein, wie er das Wort ‚Gatte‘ aussprach, zeigte schon überdeutlich, dass er ganz genau wusste, dass sie nicht verheiratet waren.
„Ja“, gab sie schnell zurück. „Er hat auch den Schlüssel und wird diesen dann bei Ihnen abgeben.“
Der junge Mann nickte schmunzelnd. „War denn alles zu ihrer Zufriedenheit?“, erkundigte er sich und hob fragend die Brauen.
„Ja, ja – ganz wundervoll“, beeilte sie sich zu sagen und fragte sich, ob vielleicht bereits Dampf von ihren Wangen aufstieg, so wie diese glühten. „Ich muss dann aber jetzt los. Danke noch mal für alles.“
Sie wartete erst gar nicht auf eine Antwort, sondern eilte schnell auf den Ausgang zu und noch viel schneller durch die Tür. Draußen angekommen griff sie sofort in ihre Handtasche, zerrte ihr Handy heraus und rief Karen an. Es war bereits zwölf Uhr fünfzig und sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Das war gar nicht gut.
„Lisa?!“, dröhnte die aufgeregte Stimme ihrer Freundin nur Sekunden später durch das Handy.
„Ja – wer würde sonst mit meinem Handy anrufen?“, gab sie verständnislos zurück.
„Gott sei Dank!“, stieß Karen erleichtert aus. „Ich hab mir schon Sorgen gemacht, weil du nicht da warst, als ich gerade nach Hause kam! Es sah aus, als wärst du gar nicht hier gewesen!“
Lisa schloss die Augen. Es brachte nichts, darum herumzureden. „Das war ich ja auch nicht.“
Stille.
„Du hast es getan?!“
Lisa atmete tief ein. „Hör zu, Karen, ich stecke hier in ganz schönen …“
„Oh, mein Gott!“, quietschte ihre Freundin begeistert und brachte damit Lisas Ohren zum Summen und die Kopfschmerzen, die sie bisher so schön hatte ausblenden können, in ihr Bewusstsein zurück.
„Mit dieser Sahneschnitte, mit der du auf der Party rumgemacht hast?“
Rumgemacht? Schon auf der Party? Vor allen anderen Gästen? Sie? Oh je.
Karen wartete erst gar nicht auf eine Antwort. „Endlich! Ich hoffe, er hat dir mal so richtig die Seele aus dem Leib gevögelt!“
Lisa verzog peinlich berührt das Gesicht, doch leider konnte Karen das nicht sehen und fuhr von daher weiter munter fort: „Du wirst sehen, jetzt kannst du alles viel lockerer und entspannter angehen. Also, wenn ich unter Stress stehe und mir vor Angst fast in die Hose scheiße, suche ich mir auch immer einen Kerl, der es mir so richtig …“
„Karen!“, gelang es Lisa nun endlich, den Redefluss ihrer Freundin zu unterbrechen. „Ich brauche deine Hilfe!“
Karen verstummte tatsächlich. Dann räusperte sie sich hörbar. „Sag jetzt nicht, du hast dich verliebt, willst ihn wiedersehen und herausfinden, wie sein richtiger Name lautet und wo er wohnt …“
„Nein!“ Lisa verdrehte entnervt die Augen. „Ich weiß nicht, wo ich bin und wie ich von hier so schnell wie möglich zu dir komme – oder besser wäre es wahrscheinlich, gleich zum The Palm in West Hollywood zu fahren.“
Halleluja! Der Name des Restaurants war wieder da!
„Was willst du denn beim The Palm?“
„Der Termin mit dem Drehbuchautoren, mit dem ich demnächst zusammenarbeiten soll – du erinnerst dich?“
„Oh, fuck – ja !“ Endlich verstand Karen, worum es ging. „Wo bist du denn?“
„Das weiß ich ja eben nicht!“
Lisa konnte beinahe hören, wie ihre Freundin am anderen Ende der Leitung nachdachte. „Hast du genug Geld für ein Taxi dabei?“
Lisa kramte ihre Geldbörse aus der Tasche und warf einen Blick hinein. „Ja.“
„Okay. Ich denke nicht, dass du dich am anderen Ende der Stadt befindest, denn zu weit dürftet ihr zwei nicht gekommen sein, so wie ihr euch aneinander festgesaugt hattet.“
Erdboden tu dich auf!
„Du lässt dich jetzt erst einmal zum Beverly Center fahren und kaufst dir da ein paar ordentliche Sachen für das Treffen. Die nehmen da auch Kreditkarten. Und dann sagst du dem Taxifahrer, dass du ins The Palm willst. Der weiß garantiert, wo das ist, und wird dich noch rechtzeitig hinbringen. Also, keine Panik!“
„Ich bin nicht in Panik“, erwiderte Lisa. Das war sie jedenfalls nicht mehr.
„Okay, dann mach dich auf die Socken und sieh zu, dass du nach dem Treffen mit Mr. Drehbuchautor deinen Hintern so schnell wie möglich hierher bewegst. Ich will über alles bis ins Detail informiert werden!“
„So interessant wird das Gespräch mit dem Mann bestimmt nicht werden“, stellte sich Lisa bewusst naiv, doch ihre Freundin fiel nicht darauf rein.
„Du weißt genau, wovon ich spreche!“
Lisa grinste breit. „Bis später, Karen“, sagte sie und legte dann auf. Karens Plan war gut – jetzt ging es nur noch darum, ihn erfolgreich umzusetzen.
Genau zwei Stunden und fünfzig Minuten später stand Lisa, frisch in neue, sehr anständige Sachen gehüllt, vor dem The Palm in West Hollywood. Der Laden machte von außen einen netten, für Hollywood-Verhältnisse recht schlichten Eindruck und der Duft von leckerem Essen, der ihr entgegenströmte, ließ ihren Magen knurren.
Dennoch konnte sich Lisa nicht sofort überwinden hineinzugehen. Die Aufregung war wieder da und ließ ihre Beine schwer wie Blei werden – die Aufregung, die sie schon mit sich herumtrug seit sie in Los Angeles gelandet war. Eigentlich war sie nun sogar noch größer als jemals zuvor, denn ihr war nur allzu deutlich bewusst, dass dieses erste Treffen sich durchaus schon zu dem ersten der vielen Kämpfe entwickeln konnte, die sie in den nächsten Wochen mit Sicherheit auszustehen hatte.
Alles hing davon ab, ob der neue Drehbuchautor, der mit ihr an ihrem ‚Baby‘ arbeiten sollte, tatsächlich kompetenter und vor allen Dingen umgänglicher war als sein Vorgänger. Sie hatte keine Lust sich ein weiteres Mal mit jemandem auseinandersetzen zu müssen, dem das Wort Klischee-Schreiber aus jeder Pore seines Körpers triefte. Und eigentlich musste sie das ja auch nicht. Mit ihrem neuesten Roman auf Platz drei der weltweiten Bestsellerliste und den Angeboten mehrerer anderer Film-Produktionsfirmen saß sie nun endlich am längeren Hebel, konnte Bedingungen stellen und Einspruch erheben, wenn ihr etwas nicht passte. Und das würde sie! Von daher war es von allergrößter Wichtigkeit, dass sie heute streng, souverän und äußerst professionell auftrat. Sie musste es von Anfang an vermeiden, Nähe zuzulassen, mit dem Mann auf einer persönlichen Ebene zu reden und zu arbeiten. Nur so konnte sie an ihren Wünschen und Zielen festhalten und sich gegen die Aasgeier um sie herum durchsetzen.
Lisa straffte die Schultern und setzte sich wieder in Bewegung, trat entschlossen durch die Tür des Restaurants und hielt dann auf den erstbesten Ober zu.
„Hallo“, begrüßte sie ihn mit einem strahlenden Lächeln.
Der Mann blieb sofort stehen und grüßte freundlich zurück.
„Ich bin hier mit jemandem verabredet“, fuhr sie in dem besten Englisch, das sie bei ihrer Aufregung zustande brachte, fort. „Einem Mr. Jordan.“
Der Ober dachte kurz nach, dann nickte er. „Sie sind Miss George?“
„Ja, die bin ich“, bestätigte sie. Er war also schon da und hatte nach ihr gefragt. Ganz automatisch ließ sie ihren Blick über die vielen Menschen gleiten, die hier an den runden, hübsch dekorierten Tischen saßen. Leider hatte sie keine Ahnung, wie er aussah, kannte nur seinen Namen.
„Kommen Sie, ich bringe Sie zu dem Herrn“, sagte der Ober freundlich und ging ihr voran. Sie folgte ihm brav und die ihr angeborene Neugierde verleitete sie dazu, immer wieder vorsichtig an dem Mann vorbeizuspähen, um festzustellen, auf wen genau er da zusteuerte.
Eine etwas abgelegenere Ecke … Die beiden älteren Damen dort konnten es nicht sein. Auch nicht die spießig aussehende Familie am anderen Tisch. Aber der Herr, der dort hinten allein saß und gerade in die Speisekarte blickte, das konnte er durchaus …
Lisa blieb stehen – schockgefroren. Der Mann hatte aufgesehen und sah sich nun um und Lisa brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um ihn zu wiederzuerkennen. Solch ein Gesicht prägte sich ein – vor allen Dingen, wenn man es in der Nacht so oft dicht vor sich gehabt und erst vor wenigen Stunden zum letzten Mal gesehen hatte!
Der Ober hatte gemerkt, dass er sie verloren hatte, blieb stehen und sah sich nach ihr um. „Miss?“
‚Beweg dich, Lisa!‘, fuhr sie sich selbst innerlich an und lief nun mit deutlich weicheren Beinen weiter. ‚Das wird er nicht sein. Das kann er nicht sein! Der Ober wird dich zu einem anderen Tisch führen. So unfair ist das Leben nicht!‘
Doch anscheinend war das Leben so unfair, denn der Ober hielt eindeutig auf ihre flüchtige Nacht-Bekanntschaft zu, die sie nun auch wahrgenommen hatte und genauso erstarrte wie sie selbst zuvor – mit einem Ausdruck ungläubigem Entsetzens auf dem Gesicht.
Nicolas. Nicolas Jordan. Das war der volle Name des Drehbuchautors. In Kurzform Nick. Ihr Nick. Der One-Night-Stand, den sie gehofft hatte nie wiederzusehen. Ihr wurde schlecht und ihr schoss das Blut ins Gesicht.
‚Tief durchatmen, Lisa! Sei stark! Sei professionell und souverän!‘
Sie würde das schon schaffen. Sie war eine erwachsene Frau, eine erfolgreiche Autorin, eine selbstbewusste Geschäftsfrau. Sie konnte das! Einfach gerade weiter auf ihn zuhalten und cool lächeln. Und wenn sie den Tisch erreicht hatte, würde sie einen lässigen Witz über das alles machen, mit dem sie dann die Geschichte von gestern Nacht hinter sich lassen konnten. Ja, genau. Das war ein guter Plan.
Doch es haperte schon bei dem ‚gerade auf ihn zuhalten‘, denn Lisa touchierte mit der Hüfte einen unbesetzten Stuhl und brachte diesen so arg ins Wanken, dass sie rasch zugreifen musste, damit dieser nicht laut polternd umfiel. Stattdessen stellte sie ihn (leider nicht sehr viel leiser) zurück auf seine Beine.
‚Nicht weiter schlimm, Lisa‘, sprach sie sich selbst zu. ‚Das kann jedem passieren. Geh jetzt weiter, gerade auf ihn…‘
„AAAAAAH!“
Der spitze Schrei zu ihrer anderen Seite hin ging ihr durch Mark und Bein und ließ sie sofort verharren. Und das war auch besser so, denn der Reißverschluss ihrer Tasche hatte eine Strähne des langen blonden Haares der Frau zu ihrer Rechten erfasst, die nun mit schmerzverzerrtem Gesicht in ihre Richtung gekippt war.
„Oh, Gott – es tut mir leid!“, entfuhr es Lisa mit hochrotem Gesicht. „Warten Sie – ich mach das schon!“
Sie versuchte rasch das verknotete Haar zu lösen, doch die Frau zog zu sehr daran, kreischte hysterisch: „Vorsicht, das sind Extensions!“ und zog damit so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass Lisa sich nur noch wünschte, in ein Loch kriechen zu können und sich dort für ein paar Tage zu verstecken. So viel zum souveränen Auftritt.
„Ich hab das gleich“, stammelte sie und knüpperte verbissen an dem fest mit ihrem Reißverschluss verknoten Haar herum.
„Kann ich helfen?“, hörte sie eine ihr leider nicht mehr so unbekannte, tiefe Stimme neben sich fragen und ihre Augen flogen ganz automatisch zu dem großen, dunkelhaarigen Mann hinauf, der da auf einmal neben ihr stand.
Sie blickte in ein Paar blaue, amüsiert funkelnde Augen und schüttelte sofort den Kopf.
„Nein, danke“, krächzte sie und konzentrierte sich wieder auf das, was sie tat – mit Erfolg. Der Knoten löste sich endlich und die Frau war befreit, betrachte sofort empört ihre Haarsträhne und wandte sich dann mit einem letzten missbilligenden Blick auf Lisa von ihr ab.
Lisa schluckte schwer. Auch wenn sie es nicht wollte – sie musste Nick jetzt wieder ansehen, musste sich diesem Albtraum stellen. Natürlich spielte um seine Lippen bereits ein kleines Lächeln, als sie den Blick wieder hob, doch da war etwas in seinen Augen, das ihr verriet, dass auch er sich nicht so wohl mit der ganzen Situation fühlte.
„Ähm …“ Er wandte sich zu dem Tisch um, an dem er noch vor wenigen Minuten gesessen hatte. „Wollen wir vielleicht …“
„Ja – unbedingt“, schnitt sie ihm das Wort ab und brachte es sogar zustande, sich an ihm vorbeizuschieben und den Plan sofort in die Tat umzusetzen. Nur nicht weiter dumm in der Gegend herumstehen.
Am Tisch angekommen blieb sie jedoch sofort wieder stehen. Und jetzt? Hinsetzen konnte sie sich schlecht, wenn sie sich nicht einmal vorgestellt hatten. Aber was sollte sie auch sagen? Hi, ich bin die Nymphomanin von gestern Nacht, aber daran erinnerst du dich ja sicherlich noch?
Nick hatte nun zu ihr aufgeschlossen und blieb ebenso hilflos stehen wie sie selbst.
„Ähm …“, begann er wieder. „Wie machen wir es?“
Er hielt inne und stieß zeitgleich mit ihr ein peinlich berührtes Lachen aus. „Ich meine … das …“
Er hob eine Hand und kratzte sich verlegen an der Schläfe, während sie die Schultern hob und betete, dass sie nicht so rot war, wie es sich anfühlte. Sie hatte das Gefühl, dass man bald auf ihren Wangen Spiegeleier schön knusprig braten könnte.
„Am besten vergessen wir alles, was gestern Nacht passiert ist“, schlug sie rasch vor.
„… und das, was ganz früh am Morgen war“, setzte er nickend hinzu.
„… und fangen ganz von vorne an“, stimmte sie ihm zu und beide lachten wieder verlegen.
Einen Augenblick sahen sie einander unschlüssig an, dann streckte Nick ihr die Hand entgegen, mit diesem Lächeln auf den Lippen, das sie gestern Nacht ganz schwach gemacht hatte. Doch dieses Mal nicht – dieses Mal war sie gegen seinen Charme immun, war sie die toughe Geschäftsfrau, die gerade den Mann kennen lernte, mit dem sie in den sechs kommenden Wochen wahrscheinlich sehr viel Zeit verbringen würde.
„Nicolas Jordan“, sagte er nun.
Sie ergriff seine Hand, drückte sie fest. „Lisa George“
„Es freut mich, dich kennenzulernen“, setzte er hinzu und aus seinem Lächeln wurde ein kleines Schmunzeln, das Lisa instinktiv erwiderte.
„Ebenso“, gab sie zurück und war sich bewusst, dass sie beide dabei alles andere als ehrlich waren.
Nick war eigentlich keine besonders gläubige Person. Seine Mutter hatte ihn als Kind des Öfteren in die Kirche geschleppt, doch in dem Moment, als es ihm erlaubt gewesen war, selbst zu entscheiden, was er mit seiner Freizeit machte, hatten diese gelegentlichen Kirchgänge ein abruptes Ende gefunden. Dementsprechend selten betete er. Doch heute, an diesem Tag, an dem sich eine Katastrophe an die nächste zu reihen schien, tat er es. Selbstverständlich nur innerlich, da er nicht wollte, dass seine Begleitung auch nur annähernd etwas von dem Gefühlschaos, das durch sein Inneres tobte, mitbekam.
Nick Jordan betete zum ersten Mal seit Jahren. Er betete, dass sein bester Freund so unzuverlässig wie eh und je war und nicht im The Palm erscheinen würde. Er betete, dass die nächste sich anbahnende Katastrophe noch im Keim erstickt wurde. Es war von Anfang an eine dumme Idee gewesen und er selbst wäre nie darauf gekommen, Liam in dieses so wichtige erste Gespräch mit Lisa George zu involvieren. Doch Meggie hatte mal wieder einen ihrer Geistesblitze gehabt und gemeint, dass „diese geballte Ladung unwiderstehlichen Männercharmes“ die verkrampfte, kühle deutsche Autorin so von den Socken hauen würde, dass danach bei ihr bestimmt alle Tore offen standen. Zumal Meggie ja auch gehört hatte, dass die junge Autorin ein großer Fan von Liam Chandler war.
„Wenn ihr ihren Panzer schon gleich am Anfang knackt, werden wir es später in den Verhandlungen sehr viel leichter mit ihr haben“, hatte Meggie gesagt, mit diesem enthusiastischen Leuchten in den Augen, das Nick manchmal Angst machte. „Also strengt euch an, Jungs!“
Auch Liam war von der Idee, dem ersten Gespräch über das neue Drehbuch beizuwohnen, alles andere als begeistert gewesen – vor allem, da er am Abend zuvor auf diese Party hatte gehen wollen, die ein alter Freund von ihm veranstaltete und am nächsten Morgen „dann wohl kaum so früh aufstehen konnte“.
Nick hatte ihm geantwortet, dass man mit einem starken Willen und der nötigen Disziplin so ziemlich alles hinbekommen könne, was man sich wünscht, und im Grunde war das der Anfang dieses ganzen Dilemmas gewesen. Diese Bemerkung und der Umstand, dass er am vergangenen Abend nicht er selbst gewesen war …
Die Musik war zu laut. Nick hatte nicht wahrgenommen, dass Liam durch die offen stehende Terrassentür in die Wohnung gekommen und sich an ihn herangeschlichen hatte. Vielleicht lag es aber auch an dem Fakt, dass Nick sich bereits einen kleinen Schwips angetrunken hatte und gerade wie ein Irrer auf den Boxsack in seinem hauseigenen Fitnessraum einschlug, die Welt um sich herum dabei völlig ausblendend.
Selbstredend musste sein Herz kurz aussetzen, als er die dunkle Gestalt schräg hinter sich endlich wahrnahm, und anstatt mutig in Angriffsposition zu gehen, wie jeder richtige Kerl das eigentlich tat, wankte er mit einem peinlichen Keuchen zurück, stolperte und konnte sich nur auf den Beinen halten, weil er sich durch einen etwas verspäteten Reflex an dem Boxsack festklammerte.
„Scheiße, Liam!“, stieß er schließlich atemlos aus und versuchte sich verlegen wieder in eine wenigstens halbwegs aufrechte Position zu bringen. „Willst du, dass ich einen Herzinfarkt bekomme?!“
Liam kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf und hob eine Hand an sein Ohr.
„Ich verstehe dich nicht!“, schrie er gegen die laute Stimme von Sully Erna, dem Sänger von Godsmack, an, die durch die Boxen seiner Stereoanlage dröhnte und mit dem Song ‚Cryin’ like a bitch‘ Nick heute so richtig aus dem Herzen sprach.
Er wischte sich in einer verärgerten Geste mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und griff nach der Fernbedingung, die er zusammen mit seinem zusammengeknüllten Shirt zuvor auf das kleine Sofa im Raum geworfen hatte. Die Stimme von Erna wurde leiser – ganz konnte Nick aber noch nicht auf sie verzichten.
„Lass mich raten“, begann Liam nun, während er in diesem für ihn so typischen lässig-coolen Gang auf ihn zukam. „Du hast Patricia getroffen.“
Nick warf ihm einen finsteren Blick zu und begann sich mit dem Handtuch abzutrocknen, das ebenfalls auf der Couch gelegen hatte. Leider traf Liam mit seiner Vermutung genau ins schmerzhafte Schwarze.
Nick bemerkte, dass sein Freund ihn von der Seite aufmerksam musterte. „Mit neuem Anhang?“
Da war sie wieder, diese Hitze, die sofort durch seinen Körper hinauf in seinen Verstand schoss, diesen unangenehm betäubte und ihn zu diesem emotionalen Idioten werden ließ, der er nicht sein wollte. Nick biss die Zähne fest zusammen und vermied es, Liam anzusehen. Er legte sich stattdessen das Handtuch um den Nacken und machte sich daran, die festen Bandagen, die er zum Boxen um seine Hände gebunden hatte, abzuwickeln. Er hatte jetzt keine Nerven für Liams ‚kluge‘ Sprüche und unbrauchbare Weisheiten.
Doch seinem Freund schien diese Reaktion schon Antwort genug zu sein. „Oh!“ Da war echte Überraschung in seiner Stimme. „Das ging aber schnell!“
„Ach, was?!“, zischte Nick ihn an und warf wütend die erste Bandage auf die Couch.
„Wer ist es?“, hakte Liam mit dem gewohnten Mangel an Feinfühligkeit nach. „Jemand, den du kennst?“
Nick wollte es nicht sagen, wollte eigentlich nicht darüber reden, doch er konnte nicht anders. „Tom natürlich! Wer sonst?“
Liam hob verblüfft die Brauen. „Tom … Tom? Bester-platonischer-beinahe-schwuler-Freund – Tom … Tom?“
„Genau der! Und sie sind bereits verlobt – nach nur vier Monaten!!“ Nick schüttelte den Kopf, beförderte die zweite Bandage auf die Couch und musste auf einmal lachen, obwohl ihm gar nicht danach war. Doch Liam tat ihm den Gefallen und stimmte halbherzig mit ein.
„Meine Güte, auf was Frauen alles so zurückgreifen, um endlich unter die Haube zu kommen“, setzte er kopfschüttelnd hinzu. „Aber da siehst du wenigstens, dass es ihr gar nicht um dich ging.“
Nick starrte seinen besten Freund ungläubig an. „Danke, Li, das wertet mich und meine Persönlichkeit immens auf!“
Liam wagte es nun auch noch, erneut zu lachen. „Ach, komm schon, Nick! Du kennst doch selbst deinen Marktwert! Ich mein damit ja nur, dass Pat und du … dass ihr eigentlich gar nicht kompatibel wart. Jedenfalls, was so eure Vorstellungen von der Zukunft angeht.“
„Woher willst du denn wissen, wie ich mir meine Zukunft vorstelle?“, knurrte Nick ihn an und zog sich nun doch wieder sein T-Shirt über. Er würde wohl nicht so schnell zum Duschen kommen, solange Liam noch hier war.
„Hey!“ Liam sah ihn entrüstet an und wies dann auf seine eigene Brust. „Ich bin dein bester Freund!“
Nick schüttelte nur den Kopf. Dann ließ er sich mit einem tiefen Seufzer auf die Couch fallen.
„Auf jeden Fall hätte ich mir nie vorgestellt, dass Patty schon nach nur vier Monaten einen Ersatz für mich findet“, murmelte er, legte den Kopf in den Nacken und starrte resigniert die Decke an.
„Also, bitte!“, stieß sein Freund verärgert aus. „Tommilein ist doch kein adäquater Ersatz für dich!“
Er ließ sich nun ebenfalls auf der Couch nieder, machte es sich bequem und streckte die Beine von sich.
„Vielleicht geht es Patty auch nur darum, dir zu zeigen, dass andere Männer bereit sind, sehr wohl ihre Freiheit für sie aufzugeben, und keine Angst davor haben, sich fest zu binden.“
„Ich habe keine Angst davor!“, gab Nick entrüstet zurück, war sich jedoch dabei gar nicht so sicher, wie er tat. „Ich wollte nur nicht …“ Er brach ab, schüttelte den Kopf – dieses Mal über sich selbst. „Manchmal bin ich mir selbst gar nicht klar darüber, was ich will und was nicht. Ich meine … ich … ich habe sie geliebt. Wir haben uns gut verstanden und viel Spaß miteinander gehabt. Warum konnte ich nicht mit ihr zusammenziehen? Warum konnte ich ihr nicht ein kleines bisschen entgegenkommen? Wir hätten ja nicht gleich heiraten müssen. Das hätte sie bestimmt nicht so schnell gewollt.
Liam hob zweifelnd eine Augenbraue. „Wie’s aussieht, stand heiraten ganz fest in ihrem Plan drin.“
Nick zuckte die Schultern. „Selbst wenn – wäre das so falsch gewesen? Ich bin Mitte dreißig, Liam. Sollte ich nicht selbst langsam in diese Richtung denken?“
„Ich könnte morgen vom Auto überfahren werden – muss ich mir deswegen heute bereits den passenden Sarg aussuchen?“, fragte Liam zurück und Nick war schon wieder gezwungen zu lachen, obwohl er es nicht wollte.
„Toller Vergleich!“, meinte er und hob ironisch den Daumen.
„Ich find, das trifft es recht gut“, grinste sein Freund und das war wahrscheinlich nicht gelogen.
Liam war einer der Männer, die der Gedanke an Ehe oder ähnliche Bindungen in Panik verfallen ließ und ihnen den Angstschweiß auf die Stirn trieb. Mit ihm über solche Dinge zu reden, machte eigentlich keinen Sinn. Er hatte kein Verständnis für solcherlei Überlegungen. Also holte Nick lieber tief Luft und versuchte wieder mehr Ruhe in sein Innenleben zu bekommen, die Erinnerung an Patty wegzuschieben. Doch so leicht war das nicht. Er dachte zwar nicht mehr so oft an sie wie kurz nach ihrer so vernünftigen und doch schmerzhaften Trennung, aber sie ganz aus seinem Denken zu verbannen war noch nicht möglich – dazu war zu wenig Zeit vergangen. Wie machte sie das? Wie konnte sie so schnell, so kurz nach ihrer Trennung einen anderen lieben, ihn sogar heiraten wollen? Schließlich waren sie länger als ein Jahr zusammen gewesen.
„Ich vermisse sie“, kam es leise über seine Lippen und der unangenehme Druck auf seine Brust, der immer dann auftrat, wenn er sich seiner Gefühle bewusst wurde, war sofort wieder da.
„Ja, aber das wird irgendwann mal aufhören“, erwiderte Liam ruhig und Nick sah ihn zweifelnd an.
„Woher willst du das wissen?“, platzte es aus ihm heraus. „Deine längste Beziehung hat vier Monate gehalten und im Endeffekt warst du so froh über eure Trennung, dass du eine riesige Party geschmissen hast!“
Nick wusste, dass das nicht so ganz der Wahrheit entsprach und er mit dieser Bemerkung durchaus einen wunden Punkt bei Liam treffen konnte, doch glücklicherweise nickte der sofort zustimmend und lächelte selig.
„Das war ein richtiger Event! Aber das tut hier nichts zur Sache. Ich schöpfe ja bezüglich dieses Problems gar nicht aus meinem großen Erfahrungsschatz sondern aus deinem: Du hast Tara nach eurer Trennung auch schrecklich vermisst – aber nach einer gewissen Zeit war diese Phase vorbei und du konntest dein Leben als Single wieder richtig genießen. Bis Patty dir die Suppe versalzen hat ... Au!“
Den Knuff auf den Oberarm hatte er verdient – selbst, dass er dadurch fast von der Couch rutschte.
„Sei vorsichtig, Mann!“, beschwerte sich Liam sofort. „Mein Körper ist…“
„… dein Kapital“, beendete Nick seinen Satz. „Ja, ja, ich weiß.“
Liam richtete sich wieder auf und musterte Nick kurz mit diesem grüblerischen Blick, der nichts Gutes erahnen ließ.
„Nick, mein Freund, weißt du, was dein Problem ist?“, sagte er schließlich und Nick verdrehte sofort die Augen.
„Oh, bitte! Kommt jetzt wieder eine von diesen weltberühmten Liam-Chandler-Weisheiten?“, stöhnte er entnervt auf.
Doch der Schauspieler ließ sich davon nicht beirren. „Du nimmst die Liebe zu ernst.“
„Zu ernst?“, wiederholte Nick mit erhobenen Brauen.
„Ja. Denn Liebe ist eigentlich sehr simpel. Sie existiert nämlich nicht. Jedenfalls nicht in der Form, die wir uns immer wünschen.“
„So, so.“
„Das saug ich mir nicht aus den Fingern. Das ist ein wissenschaftlicher Fakt.“ Liam setzte einen sehr wichtigtuerischen Gesichtsausdruck auf, der Nick zum Grinsen brachte, auch wenn er sich eigentlich über die Worte seines besten Freundes ärgerte.
„Das Gefühl des Verliebtseins wird durch die Ausschüttung bestimmter Botenstoffe wie Dopamin, Adrenalin und Endorphin hervorgerufen, die für Euphorie, Aufregung, rauschartige Glücksgefühle und tiefes Wohlbefinden sorgen“, fuhr Liam fort. „Damit wird sichergestellt, dass die beiden Partner, die sich in diesem Zustand befinden, so oft wie möglich Sex miteinander haben, was, ohne Verhütung, zur Zeugung eines Kindes führen würde.“
„Und damit ist der … ‚Job‘ dann erledigt?“, hakte Nick nach und gab sich keine Mühe, vor seinem Freund zu verbergen, für wie lächerlich er diese Theorie hielt.
„Nicht unbedingt“, gab Liam leichthin zurück. „Wenn die Partner genetisch gut zusammenpassen, wird die Natur es so einrichten, dass sie einander für längere Zeit ‚lieben‘ …“ Liam machte ein paar Gänsefüßchen in die Luft, um noch einmal nonverbal zu demonstrieren, was er von diesem Begriff hielt.
„… damit sie noch mehr starke Nachkommen in die Welt setzen“, schloss Nick schmunzelnd. „Ich verstehe.“
„Das heißt im Grunde genommen für dich, mein Lieber“, fuhr Liam enthusiastisch fort, „dass du dir die ganze Sache mit der Liebe ganz leicht machen kannst. Verlasse dich auf deine Instinkte. Wenn du dich zu einer Frau hingezogen fühlst, schlafe mit ihr. Wenn du danach das Gefühl hast, noch mehr Zeit mit ihr verbringen zu müssen, dann schlaf weiter mit ihr – bis das Gefühl wieder weg ist. Denn irgendwann wird es so sein. Die beste Waffe gegen diese trügerischen tiefer gehenden Gefühle ist Sex – glaube mir! Vögel die Liebe weg. Das geht wirklich. Dein Körper glaubt ab einem bestimmten Punkt, dass er die Frau ausreichend befruchtet hat, und du wirst staunen, wie schnell diese ganzen, angeblich tiefen Empfindungen für sie verschwunden sind.“
Dieses Mal konnte Nick nicht mehr lachen. Das, was Liam ihm da erzählte, war einfach nur traurig – vor allem, da sein Freund wahrhaftig daran zu glauben, sich mit aller Macht an diese Idee zu klammern schien, um ja nicht wieder Gefahr zu laufen, selbst verletzt zu werden. Und es gab noch etwas anderes, was die Komik an der Geschichte verschwinden ließ: Ganz tief in seinem Inneren fragte sich Nick, ob nicht doch ein Hauch von Wahrheit in dieser Theorie zu finden war. Er schämte sich fast dafür, aber er konnte nichts dagegen tun.
„Willst du mir damit sagen, dass meine Beziehung mit Patty deswegen in die Brüche gegangen ist, weil wir zu viel Sex hatten?“, fragte er mit zweifelnd erhobenen Brauen.
„Nein – wenn ich mich recht erinnere, hast du manchmal ganz schön gelitten, weil sie nicht so wild auf Sex war, wie ‚Mann‘ es sich eigentlich wünscht“, erwiderte Liam und Nick wich sofort seinem Blick aus.
Er hatte sich nicht bei Liam über seine Freundin beschwert, aber Liam und er kannten sich schon so lange, dass sie oft und sehr offen über solche Themen miteinander sprachen. Als sie noch jünger gewesen waren, hatten diese Gespräche etwas Prahlerisches an sich gehabt – vor allem, wenn es um neue Eroberungen gegangen war. Mittlerweile dienten sie tatsächlich zum Austausch von neuen Erfahrungen oder gar der Besprechung von Problemen und hatten eine deutlich ernstere Note gewonnen.
„Aber ich denke, auch zu wenig Sex ist schädlich für eine Beziehung“, fuhr Liam nachdenklich fort. „Dann schreit der Instinkt uns Männern nämlich zu, sich eine neue Frau zu suchen, weil mit der alten keine Nachkommen zu zeugen sind.“
„Oh Mann, Liam“, seufzte Nick und schüttelte den Kopf. Doch das hielt seinen Freund nicht davon ab, weiter fortzufahren.
„Ich denke, die schlauen Frauen wissen ganz genau, dass sie ihre Männer schneller verlieren, wenn sie zu viel oder auch zu wenig Sex mit ihnen haben“, setzte er hinzu. „Die tricksen uns aus, weil sie uns für die Brutpflege und Absicherung brauchen. Aber so treu, wie sie immer tun, sind sie auch nicht. Kommt nämlich ein besseres Männchen daher, können sie ganz schnell weg sein.“
Nun musste Nick doch wieder lachen. „Du strickst dir die Welt sehr einfach, Li.“
„Sie ist einfach!“, betonte Liam überdeutlich. „Liebe ist simpel, Nick. Wirklich! Und du solltest sie auch so nehmen.“
„Und was soll das jetzt für meine Situation heißen?“, fragte Nick, ohne die Antwort ernsthaft hören zu wollen.
„Dass du deinem Körper sagen musst, dass die Befruchtungsphase mit Patty abgeschlossen ist“, grinste Liam.
„Lass mich raten: das mache ich am besten, indem ich Sex mit einer anderen Frau habe!“
„Hey …“ Liam knuffte ihn mit einem breiten Grinsen in die Seite. „Du hast ja heute tatsächlich etwas gelernt. Und weißt du was? Wir werden das gleich in die Tat umsetzen!“
„Wie?“, grinste Nick. „Hast du in weiser Voraussicht gleich eines deiner Groupies mitgebracht?“
Liam schnitt ihm eine Grimasse, grinste dann aber zurück. „Nein. Du gehst jetzt duschen, stylst dich und dann gehen wir zusammen auf Hanks Party.“
„Oh, nein, nein, nein! Ich hab morgen das erste Treffen mit dieser schwierigen Autorin“, widersprach Nick ihm vehement. „Da kann ich mir keine wilde Nacht mit Alkohol und Sex leisten.“
„Das Treffen ist doch erst am Nachmittag!“, warf Liam sofort ein. Mist! Er hatte aufgepasst. „Bis dahin bist du mit ein paar Kaffees wieder Ruck-Zuck auf den Beinen!“
„Und wenn nicht?“
Liam legte den Kopf schräg und betrachtete ihn nachdenklich. „Pass auf – wenn du heute mit auf die Party kommst, komme ich morgen auch zu dem Treffen mit ‚Miss Eisberg‘ mit und setze all meinen Charme ein, um sie zum Schmelzen zu bringen. Dann hast du es in Zukunft ganz leicht, mit ihr zu arbeiten. Nur Liam rufen – und es läuft wie geschmiert!“
„Weil du ja auch nach einer durchzechten Nacht besser aus dem Bett kommst als ich“, erwiderte Nick. „Das funktioniert niemals.“
Liam runzelte die Stirn und bekam diesen sturen Blick, der nichts Gutes verhieß. Er musterte Nick ein weiteres Mal.
„Gut, dann machen wir es anders“, beschloss er. „Du nimmst heute Nacht meinen Part ein und ich den deinen.“
Auch Nicks Stirn legte sich nun in Falten. „Wie meinst du das?“
„Ich bleibe hier und ziehe mir einen Nicolas-Jordan-Ex-Freundin-Gedächtnistag rein – was heißt, mit Bier und Chips vor dem Fernseher zu sitzen und so früh ins Bett zu gehen, dass ich garantiert in den frühen Morgenstunden wieder wach bin, um dich rechtzeitig für das Treffen zu wecken. Und du gehst an meiner Stelle auf Hanks Party und lässt für mich die Sau raus. Und wenn ich ‚die Sau rauslassen‘ sage, dann meine ich das auch so. Klar?“
Das Angebot war verlockend. Endlich mal wieder Spaß haben und Patty für einen Abend vergessen, im Tausch dafür, dass Liam sogar am morgigen Tag mit zu dem Treffen kam… Eigentlich konnte Nick hier nur gewinnen. Und Meggie hatte gesagt, dass diese Lisa George ein großer Fan von Liam war. Seine Anwesenheit bei dem Gespräch konnte tatsächlich von großem Vorteil für sie alle sein – wenn Liam sich zu benehmen wusste. Die meisten Frauen schmolzen wie Butter in der Sonne, wenn sie Mr. Superstar persönlich kennen lernen durften. Dennoch zögerte Nick noch.
„Ich weiß nicht, Li, eigentlich bin ich zu alt für so ‘nen Scheiß“, wandte er ein. „Ich kann das nicht mehr!“
„Wie war das noch mal mit dem Willen und der nötigen Disziplin?“ Liam hob die Brauen und grinste von einem Ohr zum anderen. Er wusste ganz genau, dass er damit den richtigen Knopf drückte, um Nick endgültig zu überreden. Es war doch ein Kreuz mit diesem schrecklichen Ehrgeiz!
„Wie … wie genau, soll das denn jetzt alles vonstattengehen?“, wurde Nick von der Stimme der Frau, in deren Hand momentan seine ganze zukünftige Karriere lag, aus seinen Erinnerungen gerissen. Er versuchte sich rasch wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Es war bereits zwanzig nach drei und langsam wurde es recht unwahrscheinlich, dass Liam noch auftauchte.
Streng genommen war die Idee, ihn mit einzuladen, um Miss George besser um den Finger wickeln und weichkochen zu können, ja gar nicht so schlecht gewesen. Nur im Zusammenhang mit dem, was in der Nacht passiert war, und der Tatsache, dass Nick sich von seinem besten Freund bei ihrem Telefonat am Morgen bereits ein paar pikante Details aus der Nase hatte ziehen lassen, geriet diese Idee zu einer mittelschweren Katastrophe. Denn wenn Liam eines nicht konnte, dann war das seine Klappe über solche Dinge zu halten, geschweige denn es auszuhalten, dass er noch nicht alles über diesen One-Night-Stand wusste. Er würde versuchen, weitere Dinge in ihrem Gespräch zu erfahren, verpackt in Umschreibungen, die kein anderer, der nicht eingeweiht war, verstehen konnte. Nur hatte er nicht die blasse Ahnung, dass die – wie hatte er es ausgedrückt? Ah ja – ‚Sexgranate‘ – hier mit ihnen an diesem Tisch sitzen würde und somit zu dem erlesenen Kreis der Mitwissenden gehörte.
Genau aus diesem Grund war Nick zum ersten Mal seit Beginn ihrer langjährigen Freundschaft dankbar für Liams Unzuverlässigkeit. Er begann sich etwas zu entspannen, lehnte sich nun in seinem Stuhl zurück und schenkte der jungen Autorin seine volle Aufmerksamkeit.
„Hast du nicht schon mit Megan am Telefon über alles gesprochen?“, fragte er zurück.
Lisa runzelte die Stirn. „Megan?“
„Miss Eiry vom Management von TFP“, erklärte Nick rasch und Lisa setzte dieses ‚Ah!‘- Gesicht auf.
„Ich erinnere mich“, sagte sie und begann sich nun ebenfalls mehr zu entspannen. Ihre Gesichtsfarbe war nicht mehr ganz so kräftig und sie wagte es nun auch, sich in ihrem Stuhl zurückzulehnen „Ich habe sie angerufen, als ich in L.A. eingetroffen bin, um sie darüber zu informieren, dass ich doch früher angereist bin, als abgesprochen war. Sie hatte nicht viel Zeit und meinte, sie würde dir Bescheid sagen und unser Treffen vorverlegen. Du würdest mir dann alles Weitere noch genauer erklären.“
Na, wunderbar! Megan war eine Künstlerin darin, die unangenehmeren, anstrengenderen Dinge an andere weiterzugeben.
„Gut.“ Nick räusperte sich etwas unbeholfen. Es fiel auch ihm noch nicht leicht, in der Frau vor ihm die schwierige, kühle Autorin und zähe Geschäftspartnerin zu sehen, die man ihm geschildert hatte, und nicht die lebensfrohe, süße, warmherzige und unglaublich anziehende Frau, die ihm gestern Nacht eines der sinnlichsten, aufregendsten und zügellosesten sexuellen Erlebnisse in seinem ganzen Leben beschert hatte. Er war zwar ziemlich betrunken gewesen, aber nicht betrunken genug, um nicht mehr mitzubekommen, was er tat oder, wie in diesem Fall, jemand mit ihm tat.
Sie beugte sich zu ihm hinunter, während sie ihr Becken aufreizend vor und zurück, rauf und runter bewegte … Ihre Lippen pressten sich auf die seinen, erstickten sein tiefes Stöhnen und er packte ihre Hüften, drängte sie dazu, sich noch rascher zu bewegen …
Nick schloss kurz die Augen, schüttelte den Kopf.
„Ich …“
Zur Hölle, so funktionierte das mit ihnen garantiert nicht! Er musste das alles vergessen – ganz dringend! Er zwang sich dazu, die nun etwas verwirrt aussehende junge Autorin wieder anzusehen.
„Was genau hat man dir denn vor der Abreise über mich gesagt?“, wollte er wissen.
Sie dachte kurz nach, strich sich dabei eine Strähne ihres blonden Haares hinter das Ohr. Sie war sehr hübsch. Große, blaue Augen, die von langen Wimpern umrahmt wurden, eine niedliche Nase, volle rosige Lippen … sehr feminin. Und sie wirkte alles andere als kühl. Es war ja gerade ihre Natürlichkeit und Wärme gewesen, die ihn gestern Nacht so angezogen hatte – abgesehen von diesem kurvigen, super weiblichen Körper, der in diesem Nichts von Kleid gesteckt hatte. Er war sich sicher, dass er nicht der einzige Mann auf der Party gewesen war, dem seine Hose in ihrer Nähe schnell unangenehm eng geworden war.
„Na ja“, meinte sie jetzt und befreite ihn damit glücklicherweise ein weiteres Mal aus seinen so unpassenden Gedanken, „dass man dich mit ins Boot geholt hat, um die alten Drehbuchautoren beim Nachdreh des zweiten Films zu unterstützen, beziehungsweise abzulösen. Du sollst sehr gut sein. Sie haben mir von deinen anderen bisherigen Arbeiten berichtet und ich war beeindruckt.“
„Ja? Kanntest du die Filme?“
„Ein paar.“ Sie lächelte und er konnte tatsächlich so etwas wie Achtung für seine Arbeit in ihren Augen aufleuchten sehen. Das passierte ihm nicht sehr oft. „Und die Folge ‚Leere Welt‘ bei ‚Watchers‘ war eine meiner Lieblingsfolgen.“
„Ja?“ Wie einfallsreich! Er hatte es heute wirklich drauf mit der Gesprächsführung!
Lisas Wangen röteten sich etwas und sie berührte verlegen ihr Wasserglas, schob es ein wenig hin und her.
„Eigentlich habe ich mich nur dazu bereit erklärt, hierherzukommen und Timeless Films Production eine weitere Chance zu geben, weil sie dich als neuen Drehbuchautoren vorgeschlagen und versprochen haben, dieses Mal darauf zu achten, sich mehr an die Vorlage – also meinen Roman – zu halten.“
Nick wusste für einen Augenblick nicht, was er sagen sollte. Ihre Worte schmeichelten ihm und die hübsche Autorin wurde ihm immer sympathischer.
„Die Verträge hast du aber trotzdem noch nicht unterschrieben“, setzte er mit einem kleinen Schmunzeln hinzu, das Lisa sofort erwiderte.
„Selbstverständlich nicht“, bestätigte sie und das Funkeln in ihren Augen verriet ihm, dass mit dieser sonst so sympathischen jungen Frau in mancherlei Hinsicht tatsächlich nicht zu spaßen war. „Erst das Drehbuch – dann die Unterschrift. Und mit Jasper Taylor werde ich ganz bestimmt nicht mehr zusammenarbeiten – auch nicht bei der Nachbearbeitung von ‚Schattenmond‘.“
Sie schüttelte derart nachdrücklich ihren Kopf, dass Nick schon wieder zu schmunzeln anfing. Jasper, der alte Drehbuchautor, war ein arrogantes, selbstverliebtes Arschloch, der meinte, dass alles, was er verzapfte, pures Gold war. Er hatte so damit angeben, dass er die Drehbücher zu dieser Bestsellerreihe schreiben würde und dabei einen solchen Mist zusammengestümpert, dass selbst beim ersten Film mehrere andere Drehbuchautoren eingesetzt worden waren, um zu retten, was noch zu retten war. Herausgekommen war im Endeffekt ein Film, der teilweise von den Kritikern zerrissen, aber dank der treuen und sehr viel gnädigeren Fans der Reihe und des hohen Maßes an Actionsequenzen an den Kinokassen dennoch nicht gefloppt war. Er hatte zumindest die Kosten der Produktion wieder eingespielt und die Firma hatte sich bei dem zweiten Teil gleich sehr viel mehr Mühe gegeben. Leider war Jasper der Neffe eines der Produzenten und von daher nicht völlig aus dem Projekt entfernt worden – was die Autorin der Romanreihe beinahe rasend gemacht hatte.
Sie hatte den ersten Film gehasst und war mit Jasper telefonisch so aneinander geraten, dass die beiden seither kein Wort mehr miteinander gewechselt hatten und Lisa George es abgelehnt hatte, ihre Romane – immerhin schrieb sie gerade am vierten Teil und sechs sollten es werden – weiterhin von TFP verfilmen zu lassen. Der erste von ihr unterschriebene Vertrag hatte nur die Verfilmung von Teil eins und zwei beinhaltet und so war die Firma arg ins Schwitzen geraten und hatte alles daran gesetzt, Miss George wieder gnädig zu stimmen und zu neuen Verhandlungen zu bewegen. Doch noch war nichts in trockenen Tüchern und die Anspannung, die auf allen Beteiligten lastete, immens hoch. Dasselbe galt für den Druck, den man Nick vor Lisas Eintreffen von allen Seiten gemacht hatte.
„Das lässt sich ganz bestimmt einrichten“, erwiderte Nick nun. „Aber ich kann dir nicht versprechen, dass er dir nicht begegnen wird.“
Lisa verzog das Gesicht und Nick lachte.
„Keine Angst – ich werde mich darum bemühen, dass eure Begegnungen nicht länger als ein paar Sekunden dauern werden“, versprach er rasch.
„Dann bist du also auch so etwas wie mein persönlicher Bodyguard?“ Sie hob fragend die Brauen – eine Mimik, die er in der letzten Nacht oft gesehen hatte.
„Bodyguard, Stadtführer, Vermittler, Kollege“, zählte er lächelnd auf und verkniff sich ein neckisches ‚Gelegenheitslover‘. Sie waren noch nicht soweit, um darüber Witze zu machen. Vielleicht in ein paar Tagen, wenn sie überwunden hatten, dass ihnen genau das passiert war, was einem bei einem ordentlich ablaufenden One-Night-Stand eigentlich nicht passieren durfte: Sich wiederzusehen und auch noch miteinander arbeiten zu müssen. Dabei hatten sie sich beide solche Mühe gegeben, gerade diesen Punkt besonders gut hinzubekommen. Sie, indem sie am Morgen nach dem Aufwachen das Hotelzimmer so schnell wie möglich verlassen hatte, und er, indem er sich schlafend gestellt und die Augen geschlossen gehalten hatte, solange sie im Zimmer gewesen war – die meist Zeit jedenfalls …
Viel Zeit, um weiter über ihren zukünftigen Umgang miteinander nachzudenken, blieb Nick jedoch nicht mehr. Es war Musik, die ihn kurz vorwarnte, dass sich die nächste Katastrophe doch noch entschieden hatte, einzutreffen. Das dumpfe, rhythmische Dröhnen eines Autoradios, das rasch näher kam. ‚TNT‘ von ACDC, wie Nick rasch erkannte, als er mit einem kurzen Blick aus dem Fenster zu seiner Linken Liams knallroten Maserati vor dem Garteneingang des Restaurants halten sah und nur ganz am Rande wahrnahm, wie Lisa ein amüsiertes „So vielseitig?“ auf seinen Kommentar zurückgab.
Ein paar der Passanten – gut, alle Passanten drehten sich um, um zu schauen, wer sich da um einen großen Auftritt bemühte. Es gab drei Gruppen: die, die hofften, dass es jemand Berühmtes war, damit sie ein paar Fotos schießen konnten, die, die fürchteten, dass es jemand Bekannteres als sie selbst sein könnte, und schließlich die, die eigentlich ihre Ruhe haben und nur sehen wollten, wer es war, der diese störte.