Tiefschwarze Schuld - Thomas Matiszik - E-Book
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Tiefschwarze Schuld E-Book

Thomas Matiszik

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Beschreibung

Nach dem Schuss auf einen vermeintlich bewaffneten Geiselnehmer muss Corinna Dupont den Polizeidienst quittieren.

Was soll sie nun mit ihrem Leben anfangen? Ihre Karriere ist dahin, ihr Konto steckt in den Miesen und mit ihrem Lebensgefährten Paul Lobrecht – einem der besten Strafverteidiger des Landes – läuft es ebenfalls nicht gut.

Doch dann läutet es an ihrer Tür. Eine gewisse Theresa Mallen stellt sich ihr vor. Ihr Mann Hugo Mallen, der Chefarzt des Dortmunder Klinikums, hat sich wenige Tage zuvor umgebracht. Niemand will glauben, dass er keinen Suizid begangen hat. Die Witwe bietet eine stattliche Summe, um der Sache nachzugehen und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Corinna willigt ein, ohne zu ahnen, welch düsteren Geheimnisse sie offenlegen wird und wie sehr der Fall mit ihrem eigenen Leben verbunden ist.

Im Auftakt zur Corinna-Dupont-Reihe überschlagen sich alsbald die Ereignisse: Ein weiterer Suizid folgt. Ein Kleinflugzeug kracht in ein Riesenrad. Ein Mann entführt seine Kinder.

Zufall?

Wenn Sie nun dachten, das wäre schon alles, kennen Sie Thomas Matiszik noch nicht. Ein Thriller der einem kaum Luft zum Atmen lässt: spannend, gewieft und unbarmherzig.

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PROLOG
DER FALL LILLY – 24 Monate zuvor
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
DER FALL LILLY – 27 Monate zuvor
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
DER FALL LILLY – 26 Monate zuvor
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
DER FALL LILLY – 25 Monate zuvor
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
DER FALL LILLY
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
KAPITEL 34
KAPITEL 35
KAPITEL 36
DER FALL LILLY
KAPITEL 37
KAPITEL 38
KAPITEL 39
KAPITEL 40
KAPITEL 41
KAPITEL 42
DER FALL LILLY
KAPITEL 43
DER FALL LILLY
KAPITEL 44
DER FALL LILLY – 18 Monate zuvor
KAPITEL 45
KAPITEL 46
KAPITEL 47
KAPITEL 48
KAPITEL 49
KAPITEL 50
KAPITEL 51
KAPITEL 52
KAPITEL 53
KAPITEL 54
KAPITEL 55
KAPITEL 56
KAPITEL 57
KAPITEL 58
KAPITEL 59
KAPITEL 60
EPILOG
Danksagung

Thomas Matiszik

Tiefschwarze Schuld

Der Autor:

 

 

 

© Sarah Heilbrunner

 

Thomas Matiszik wurde am 22.01.1967 in Recklinghausen geboren und wuchs in Oer-Erkenschwick als jüngstes von vier Kindern auf.

 

Nach 12 Semestern Lehramtsstudium an der Ruhruniversität Bochum arbeitete Thomas Matiszik als freier Musik-Journalist für die beiden Radiosender 1Live und WDR2 und schrieb Artikel für mehrere Stadt- und Musikmagazine. Seit Mitte der 90er-Jahre arbeitet er als freier Konzertagent in Bochum und hat Bands wie Reamonn, die H-Blockx oder auch Hollywood-Star Kevin Costner betreut. Mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebt er unweit von Dortmund im beschaulichen Holzwickede.

 

Ende 2013 beginnt Thomas Matiszik mit seinem Debütroman „Karlchen“. Heute blickt der Autor stolz auf drei Romane zurück, die als Modrich-Trilogie bekannt und von den Kritikern gefeiert wurde.

Thomas Matiszik

Tiefschwarze Schuld

 

 

Ein Corinna-Dupont-Thriller

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© 2021 Empire-Verlag

 

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

Lektorat: Susanne Armbruster, Nicole Siemer

https://www.susannearmbruster.de

Korrektorat: Peter Wolf

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

http://buchcoverdesign.de/

Illustrationen: Adobe Stock ID 56773153, Adobe Stock ID 124573637, Adobe Stock ID 137622416 und freepik.com

Für Elmar

Das schauerlichste Übel, also der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.

 

- Epikur (griech. Philosoph)

PROLOG

 

Draußen tobte einer der schlimmsten Orkane der letzten Jahre. Die Sturmböen warfen die Regenmassen mit einer solchen Gewalt gegen die Fenster, dass sie die Scheiben buchstäblich einzudrücken drohten. Unter den Sohlen seiner soeben noch frisch geputzten und besten schwarzen Schuhe meinte Lewin zu spüren, wie der Boden bebte. Als sich der Sturm, erneut aufheulend, gegen die Häuser warf, erschien eine Szene aus einem Edgar-Wallace-Film vor seinem inneren Auge. Fehlte nur noch, dass Klaus Kinski mit satanischem Grinsen im Butler-Kostüm um die Ecke kam. „Mylord haben geläutet?“, würde er flüstern. Lewin lächelte gequält. Klaus Kinski kam leider nicht. Unter Umständen hätte dessen Erscheinen ihn davon abbringen können, den letzten, endgültigen Schritt zu tun. Aber er war allein und fest entschlossen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Das Zeug, das in einem offenen Tütchen vor ihm auf dem Tisch lag, sah vollkommen harmlos aus, doch es würde ihn binnen Sekunden aus dem Leben katapultieren.

Er hatte sich das Kaliumzyanid nicht besorgen müssen, es hatte vor genau neun Tagen in einem Umschlag im Briefkasten seines Büros gelegen. In dem Umschlag mit dem Tütchen befanden sich außerdem hochgradig kompromittierende Fotos. Lewin beim Ringelreigen. Nackt. Um ihn herum Kinder, das älteste vielleicht zehn. Ebenfalls nackt. Lewin war auf diesen Aufnahmen erregt. Das war unschwer zu erkennen.

Ein Brief informierte ihn schließlich kurz und bestimmt darüber, dass das belastende Bildmaterial in den Briefkästen seiner Familie und bei der Presse landen würde, sollte er nach Ablauf von zehn Tagen noch am Leben sein. Heute war Tag neun. Lewin wollte nicht länger warten. Er hatte genug Zeit gehabt, um über alles nachzudenken, und festgestellt, dass es keinen anderen Ausweg für ihn gab. Wem hätte er sich auch anvertrauen sollen? Niemand, wirklich absolut niemand aus seinem Umfeld wusste von seiner Veranlagung. Dass diese krankhaft war, hatte sich Lewin niemals eingestehen wollen. Eine Therapie wäre vielleicht eine Lösung gewesen, aber dafür war es jetzt zu spät.

Sein Leben war ohnehin vorbei. Was nützte es da schon, einen weiteren Tag verstreichen zu lassen? Lewin spürte den kalten Schweiß unter seinen Achseln und griff zitternd nach dem Tütchen. Nun grollte der Donner, als wolle er Lewin bei dem finalen Schritt Hilfe leisten. Ein letztes Mal nahm er das Foto in die Hand. Es zeigte seine Frau Katja, seine Tochter Jasmin, den kleinen Eugen und ihn, glücklich und sorgenfrei während des gemeinsamen Urlaubs in der Toskana vor zwei Jahren.

Der Abend, an dem er Jo Heinle im Dortmunder Restaurant Acapulco zum ersten Mal begegnet war, schoss ihm blitzartig durch den Kopf. Lewins Hand schien nun außer Kontrolle. Nur mühsam schaffte er es, den Inhalt des Tütchens verlustfrei in ein Glas Wasser zu schütten. Er trank es in einem Zug leer. Das Klopfen des Zimmermädchens war das Letzte, was er registrierte, bevor die Atemlähmung einsetzte. Ein zarter Hauch von Bittermandel entströmte Markus Lewins Mund.

DER FALL LILLY – 24 Monate zuvor

 

„Stehen bleiben! Langsam umdrehen!“

Die Menschen am Bahnsteig acht starrten Corinna an, als stünde das Ende der Welt unmittelbar bevor. Alle verharrten wie betäubt, wo sie sich gerade befanden. Gollisch tat, wie ihm geheißen.

„Sie müssen diese Dupont sein!“, sagte er. „Man hat mir von Ihrem äußerst ominösen Besuch erzählt. James Bond hätte seine wahre Freude an Ihnen. Aber warum Sie zwei unschuldige Kinder aus ihrer sicheren Obhut reißen, wird wohl für immer Ihr Geheimnis bleiben. Ich empfehle Ihnen jedenfalls dringend, eine Tauglichkeitsuntersuchung durchführen zu lassen, auch zu Ihrem eigenen Schutz.“

Corinna ließ Gollisch nicht aus den Augen. Ihr war klar, dass der Mann sie aus dem Konzept bringen wollte.

„Aber mal ernsthaft, werte Frau Kommissarin“, er grinste süffisant, „was genau werfen Sie mir eigentlich vor? Wieso stehen Sie mit gezogener Waffe vor mir – muss ich etwa um mein Leben fürchten?“

„Ich werde Sie wegen fahrlässiger Tötung in den Knast bringen. Bei Ihren Vorstrafen dürfte es für jeden Verteidiger schwierig werden, so was wie Bewährung auszuhandeln! Ich nehme meinen Job sehr ernst, wissen Sie? Und wenn Sie diesen unseligen Ort in Bayern tatsächlich als sichere Obhut ansehen, ist Ihnen eh nicht mehr zu helfen!“

Gollisch zögerte kurz. Oder wich er gar vor ihr zurück? Sie glaubte zu erkennen, wie es in dem Mann arbeitete. Hatte sie einen neuralgischen Punkt getroffen? Doch Gollisch blieb vorerst unbeeindruckt.

„Oh, wie wunderbar! Eine Überzeugungstäterin, natürlich mit der Betonung auf Überzeugung, nicht wahr? Jetzt bekomme ich es aber mit der Angst zu tun“, entgegnete er ironisch. „Mich würde wirklich interessieren, wie Sie zu diesem überraschenden Fazit kommen?“

„Ihr Interesse ehrt mich wirklich. Auch wenn es das Interesse eines Menschen ist, den ich gemeinhin als Dreckskerl bezeichne“, gab Corinna prompt zurück. „Aber ob Sie es nun glauben oder nicht, wir haben doch tatsächlich einen Zeugen gefunden. Einen jungen Mann, der zufälligerweise zur selben Zeit auf demselben Rastplatz war wie Sie, und der, während er einen Baum markierte, einen Mann bemerkte, der hinter einem Jungen herlief.“

Gollisch versuchte, sein Pokerface zu wahren.

„Der Zeuge hat weiter ausgesagt, dass zuerst der Junge und dann der Mann hinter einem Hügel verschwanden. Zurück kam jedoch nur eine Person, so der Zeuge. Und jetzt raten Sie mal, wer das war?“

Aus Gollischs Gesicht wich jegliche Farbe.

„Ist Ihnen nicht gut?“, hakte Corinna nach. „Oder erinnern Sie sich plötzlich wieder an alles? Ich schätze, Sie wurden einfach leichtsinnig, richtig? Hat der Junge die Pinkelpause etwa zur Flucht genutzt?“

„Was hätte ich denn tun sollen?“, knurrte Gollisch.

„Wie bitte? Reden Sie so laut, dass alle Sie verstehen können!“ Corinna wähnte sich auf dem richtigen Weg. Der Mann würde bald einknicken und auspacken. „Los, machen Sie schon. Erleichtern Sie Ihr Gewissen, Gollisch! Sagen Sie allen hier Anwesenden, woher Sie den Jungen hatten. Ihn und die anderen Kinder, die noch immer an diesem abscheulichen Ort sind.“

„Wenn ich nur wüsste, wovon Sie reden!“ Der Moment war vorbei. Die Schultern gestrafft, mit aus voller Überzeugung geschwellter Brust richtete sich Gollisch plötzlich auf. Von einer Sekunde zur anderen riss er eine Frau zu sich, legte ihr seinen linken Arm wie eine Schraubzwinge um den Hals und schnürte ihr langsam die Luft ab.

Corinna versuchte zu erkennen, was Gollisch in seiner rechten Hand hielt. War das eine Pistole, die er der Frau ins Genick drückte? Doch für Fragen war es zu spät - Corinna sah, wie der bedauernswerten Frau die Sinne schwanden und sie den Halt verlor. Wie eine Puppe steckte sie in Gollischs eisernem Griff. Corinna zielte, so gut sie konnte, auf Gollischs Kopf. Der hielt die Geisel wie einen willenlosen Schutzschild vor sich. Es blieb nur ein Versuch. Jetzt!, dachte sie, aber in der nächsten Sekunde war Gollischs Kopf von dem seiner Geisel vollständig verdeckt.

Aus der Bahnhofshalle hörte Corinna schnelle Schritte. Bevor die Verstärkung kam, fällte sie eine Entscheidung.

„Dupont, nicht!“

Zu spät. Corinna hatte bereits abgedrückt. Das Geschoss bohrte sich in das Bein der Frau und streckte sie zu Boden.

Gollisch machte erschrocken einen Satz zurück und ließ seine Geisel wie Ballast fallen. Blutend, schreiend und mit schmerzverzerrtem Gesicht krümmte sich die Frau auf dem kalten Betonboden des Bahnsteigs. Sie zitterte am ganzen Leib und schlug immer und immer wieder mit der flachen Hand auf ihr unversehrtes Bein, als könne sie damit den Schmerz im anderen verringern. Die Menschen am Bahnsteig stoben auseinander, einige warfen sich zu Boden oder suchten anderweitig Schutz. Währenddessen hatten sich zwei Polizisten auf den verdutzten Gollisch gestürzt und ihm Handschellen angelegt.

„Verdammt, was tun Sie denn da?“ Jochimsen war außer sich.

Corinna stand immer noch breitbeinig da, die Waffe im Anschlag. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie den Atem anhielt.

Jochimsen kniete sich neben die schluchzende Verletzte und versuchte, ihren lädierten Oberschenkel notdürftig zu versorgen, indem er ein Taschentuch auf die Wunde drückte, das jedoch sofort blutdurchtränkt war. Jochimsens dilettantische Erste-Hilfe-Maßnahme bereitete der Frau nur weitere Schmerzen. Sie wehrte sich und trat mit dem gesunden Bein nach ihm.

Gollisch beobachtete die Szenerie und begann, höhnisch zu lachen.

„Wenn ich könnte, würde ich Ihnen glatt applaudieren, Frau Kommissarin.“

„Halten Sie ’s Maul“, raunte Jochimsen, gefolgt von einem leisen „Scheiße!“.

Langsam ließ Corinnas Anspannung nach, der Puls und ihre Atmung normalisierten sich wieder. Ruhig steckte sie die Dienstwaffe zurück in das Holster. Zum ersten Mal hatte sie auf einen Menschen geschossen. Auf der Polizeischule, die sie vor etwas mehr als drei Monaten mit Auszeichnung absolviert hatte, war sie immer unter den Besten gewesen. Vor allem als es ums Schießen ging. Sie wusste genau, wo der Schuss treffen musste, um einen Flüchtenden niederzustrecken, ohne ihn zu töten. In der Theorie schien alles so einfach. Doch das hier war die Realität. Und die Frau dort war keine Flüchtende, sondern eine Geisel, deren Leben in Gefahr gewesen war. Das, was Corinna eben getan hatte, widersprach allem, was sie auf der Polizeischule zum Thema Geiselnahme gelernt hatte. Die Gesundheit der Geisel hatte immer Vorrang. Ihr ins Bein zu schießen war indes völlig abwegig.

„Ich habe ihn gewarnt, Chef! Mir blieb keine Wahl“, sagte Corinna. Jochimsens Mimik drückte alles andere als Verständnis aus.

„Bleiben Sie ruhig!“, rief er den verängstigten Menschen zu und hielt dabei seinen Dienstausweis in die Höhe. „Sie sind außer Gefahr. Die Lage ist unter Kontrolle. Gehen Sie in Ruhe Ihrer Wege. Wir bedauern es sehr, wenn Sie diesen Tag nicht in allzu guter Erinnerung behalten werden!“

Mit dem letzten Satz warf Jochimsen Corinna einen gleichermaßen vorwurfsvollen und herablassenden Blick zu, dann forderte er telefonisch den Chef der Kriminaltechnischen Untersuchung an.

„Strasser, kommen Sie mit einem Team zum Hörder Bahnhof. Und bringen Sie einen Notarztwagen mit. Calamity Jane hat ihren ersten Job mit besonderer Präzision und Sorgfalt erledigt!“

„Er hat eine Waffe auf die Frau gerichtet, Chef. Außerdem habe ich ihn gewarnt!“, wiederholte Corinna und versuchte, ihrer Stimme mehr Nachdruck zu verleihen.

„Einen Scheiß haben Sie getan, Dupont! Sie haben eine unschuldige Frau schwer verletzt. Wo haben Sie eigentlich das Schießen gelernt?“

Die Verletzte lag noch immer leise wimmernd auf dem kalten Boden des Bahnsteigs. Eine Polizistin redete leise auf sie ein, tröstete und beruhigte sie allmählich. Bis der Notarztwagen eintreffe, würden noch ein paar Minuten vergehen. Die Schmerzen im Oberschenkel schienen in Intervallen wiederzukehren. In einem Moment lag die ehemalige Geisel wie ein müdes Kind im Schoß der Beamtin, um im nächsten Augenblick vor Schmerzen aufzujaulen und Corinna mit Blicken zu durchbohren, die selbst fröhlich singende Nachtigallen hätten abrupt verstummen lassen.

„Hätte ich etwa das Risiko eingehen sollen, die Geisel tödlich zu treffen? Ihr Körper hatte den der Zielperson vollständig bedeckt. Da blieb mir nur die Improvisation“, erklärte Corinna zu ihrer Rechtfertigung. „Gollisch hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass ich auf die Geisel schieße. So haben wir diesen Dreckskerl überwältigen können. Jetzt bekommt er einen fairen Prozess und hoffentlich einen langen unbezahlten Urlaub hinter Gittern. Haben wir seine Waffe?“

Jochimsen schüttelte fassungslos den Kopf. „Es gibt keine Waffe, Dupont. Der Mann war unbewaffnet, und Sie haben beinahe eine Unschuldige ins Jenseits befördert. So sieht es aus. Ich fürchte, das könnte bereits das Ende Ihrer bemerkenswert kurzen Karriere bei der Polizei sein. Aber ich habe es Ihnen ja bereits gesagt: Wer nicht hören will, muss fühlen!“

KAPITEL 1

 

„Hallo, Mama! Danke, das ist ganz lieb, dass du an mich gedacht hast!“, sagte Corinna.

Dreiunddreißig, eine Schnapszahl, dachte sie und lächelte bitter. Dass ihre Mutter sie heute anrief, ließ sich nicht vermeiden. Einmal im Jahr wahrte sie den Schein und gratulierte ihrer Tochter zum Geburtstag.

„Ich soll dich auch ausdrücklich von Papa grüßen und umarmen.“

Auch diesen Satz hörte Corinna Jahr für Jahr.

„Danke!“, antwortete sie emotionslos. „Umarmen muss nicht sein. Und grüße ihn nicht zurück.“

Ihre Mutter ließ sich hörbar in einen Sessel fallen. Das konnte nur der Fernsehsessel sein, von dem aus Corinnas Vater jeden Abend die Nachrichten verfolgte. Zu jedem aktuellen Thema hatte er eine Meinung und seine Wahrheit hatte mit der Realität meist nicht sehr viel zu tun. Er wusste immer, wer woran schuld war und welche dunkle Macht demnächst dafür sorgen würde, dass es ihnen allen noch schlechter erginge.

„Kommst du zurecht? Hast du einen neuen Job? Ich mache mir wirklich Sorgen.“

Corinna biss sich auf die Lippe. Das war schwer zu beantworten. Sie ertrug diese Heuchelei schon lange nicht mehr. Eigentlich war es ihrer Mutter egal, wie es um sie bestellt war. Ansonsten hätte sie damals, vor fast zwei Jahren, als ihre Tochter in der Klatschpresse wieder und wieder wie eine tollwütige Revolverheldin dargestellt worden war, sicherlich mehr Anteil genommen als mit einem ihrer obligatorischen Anrufe.

Seit damals hatte Corinna immer wieder einen vollständigen Kontaktabbruch zu ihren Eltern geplant, aber noch fürchtete sie sich vor diesem Schritt. Schließlich waren es ihre Eltern. Und Corinnas Kindheit war glücklich, erfüllt und glatt verlaufen. Es war ihr Vater gewesen, der Corinna eingeimpft hatte, immer das zu tun, wofür sie wirklich brannte. „Kompromisse sind etwas für Diplomaten“, so lautete einer seiner Leitsprüche. Corinna hatte inzwischen verstanden, was er damit meinte.

Doch in den letzten Monaten war ihr Vater ein anderer Mensch geworden, ein manipulativer Charakter, der seine Frau steuerte, wie es ihm gerade passte. Und sie ließ es einfach geschehen. Das war der Grund, warum alles, was Corinna noch für ihre Mutter empfand, Mitleid war.

So fügte sie sich den kleinen Ritualen, die der Anstand gebot, und antwortete kurz und knapp.

„Ich komme klar. Danke der Nachfrage.“

Das war gelogen. Seit ihrer Demission bei der Polizei lief nichts mehr zusammen. Hatte sie einen neuen Job? Nein, es sei denn, man zählte das Schnüffeln im Privatleben eines nahen Verwandten dazu. Aber diese Blöße wollte Corinna sich nicht geben.

„Wie geht es dir, Mama?“

„Ich kann mich nicht beklagen“, kam es lapidar zurück.

„Du könntest schon, aber du tust es nicht.“ Nun war es ihr doch wieder passiert. Corinna ärgerte sich über ihre Unbeherrschtheit.

„Fängst du schon wieder damit an?“, gab ihre Mutter vorwurfsvoll zurück. Doch Corinna war nun in Geberlaune und wollte sich nicht mehr bremsen.

„Ich war es schließlich nicht, die dich wie eine Leibeigene behandelt und nach Strich und Faden betrogen hat: Du hast es sogar schwarz auf weiß. Es ist Zeit, aufzuwachen, Mama. Jeder in unserer Nachbarschaft weiß, dass Papa ein Schürzenjäger ist. Und sie alle wundern sich, warum du noch immer zu ihm hältst wie eine Schiffsbesatzung zu ihrem Kapitän, obwohl dieser schon längst von Bord gegangen ist. Ich ertrage das alles nicht mehr, Mama.“

„Er vermisst dich, Corinna. Er geht daran zugrunde.“

Corinna ballte die Hand zur Faust und spürte, wie sich ihre Fingernägel in die Haut gruben. „Ich vermisse ihn aber nicht. Und wenn er daran zugrunde geht, ist es mir egal. Er hat es sich redlich verdient. Ich habe keinen Vater mehr!“

Mit diesen Worten legte Corinna auf. Ihr war klar, dass ihre Mutter wieder weinen würde. Irgendwann würde ihr Vater das merken. Er würde sich zu seiner Frau setzen, die Hand auf ihr Knie legen und ein „Lass gut sein“ murmeln. Danach würde alles weitergehen wie immer.

„Scheiß drauf!“, beendete Corinna ihre Gedanken und ging ins Bad. Paul würde in einer Dreiviertelstunde da sein. Bis dahin wollte sie das Gespräch mit ihrer Mutter aus ihrem Kopf verbannt haben.

KAPITEL 2

 

Leyla stand vor dem Eingangsportal des Dortmunder Klinikums. Nur noch eine, dachte sie. Seit fast drei Jahren arbeitete sie hier nun schon als Kinderkrankenschwester, doch an die Wechselschichten hatte sich ihr Körper noch immer nicht gewöhnen können. Das Problem war, dass sie praktisch nach keiner Nachtschicht in den Schlaf fand. Sie lag dann grübelnd in ihrem Bett und versuchte, die Ereignisse der letzten Schicht auszublenden, die Bilder aus dem Krankenhaus in die Dunkelheit gleiten zu lassen. All die Online-Seminare, an denen sie teilgenommen hatte, um mit dem Stress besser klarzukommen, halfen ihr jedoch bestenfalls bei den ereignisarmen Schichten, die es kaum mehr gab. Der Beginn der alljährlichen Grippesaison Anfang November schreckte sie nicht im Vergleich zu dem, was das ganze Jahr über an manch einem Tag passierte. Und so saß ihr der Schlafmangel in den Knochen, auch wenn die Sonne schien.

Leyla nahm einen tiefen Zug und drückte ihre Zigarette am randvollen Aschenbecher aus, der auf der Fensterbank des Pförtnerbüros stand und vor sich hin qualmte. Ihr Kaffee war mittlerweile kalt geworden. Sie fröstelte.

Das, was die kleine Eileen ihr soeben erzählt hatte, war der letzte Beweis für die Schuld des Mannes, den das kleine Mädchen nur widerwillig und voller Furcht Vater nannte. „Degorski, dieses Schwein“, murmelte Leyla. Im selben Moment wurde hinter ihr die Eingangstür aufgedrückt. Es war Julian, ein Krankenpfleger von der Intensivstation.

„Leyla Radomski, du bist meine Rettung!“, flötete er in Leylas Richtung, blieb stehen, zündete sich mit leeren Händen eine „Zigarette“ an und nahm einen ersten gierigen Zug.

„Lass mich raten“, sagte Leyla lachend. „Möchtest du vielleicht eine rauchen?“

Julian machte einen Luftsprung, gerade so, als hätte er soeben erfahren, dass er im Lotto gewonnen hatte.

„Du musst Gedanken lesen können!“

Leyla hielt ihrem Kollegen die Zigarettenschachtel hin. Julian hatte es tatsächlich wieder einmal geschafft, sie von ihren düsteren Gedanken abzubringen. Das Leben war schon ernst genug, aber solange sie sich seine Slapstick-Einlagen in homöopathischen Dosen verabreichte, hörte die Sonne nicht gänzlich auf zu scheinen.

„Dazu bedarf es keiner großartigen hellseherischen Fähigkeiten“, antwortete sie trocken, „Situationen wie diese hier spielen sich zwischen uns beiden seit fast drei Jahren nahezu jeden Tag ab.“

Julian blickte empört, verdrehte die Augen, stemmte beide Fäuste gegen die Hüften und streckte Leyla sein kleines Bäuchlein entgegen. Wieder einmal machte er den Oliver Hardy: „Du hältst mich also für einen Schnorrer, ja? Ist es das, was du mir gerade sagen willst? Ich bin enttäuscht, Stanley, bitter enttäuscht. Ich denke, ich werde mich nachher vor den Zug werfen. Vorher werde ich aber einen Abschiedsbrief bei der Krankenhausleitung hinterlegen, in dem ich allein dich für mein Elend verantwortlich mache. Ist es wirklich das, was du willst, Stanley?“

Leyla hielt sich den Bauch vor Lachen und wedelte hektisch mit den Armen. „Hör sofort auf damit“, prustete sie, „der Lachflash in der letzten Woche hat mir gereicht. Bis in die Nacht habe ich immer wieder an deine Comedy-Einlage denken müssen und konnte deshalb nicht pennen. Am anderen Morgen sah ich aus wie Karl Dalls Tochter!“

Julian spreizte den Zeigefinger und den Daumen seiner rechten Hand und stützte nachdenklich sein Kinn darauf.

„Letzte Woche? Ach, meinst du meine Erstickungstod-Performance in der Kantine? Sehr beeindruckend, oder? Aber leider überhaupt nicht witzig! Die Gräte dieses Fisches steckt heute noch irgendwo in meinem Verdauungstrakt fest. Und so etwas wird auch noch als Filet verkauft. Wer auch immer das verbrochen hat, kann sich auf was gefasst machen. Einen Julian Seidel meuchelt man nicht ungestraft!“

Leyla rang nach Luft. Wenn es irgendjemanden gab, der sie jederzeit so zum Lachen bringen konnte, dann war das Julian.

„Ich muss los“, sagte sie und deutete auf ihren Pieper, „mein Typ wird verlangt. „Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn es heute ruhig geblieben wäre!“ Sie eilte ins Krankenhaus zurück.

 

Julian hielt inne, nahm noch einen Zug, drückte dann die Zigarette aus und lief der ins Krankenhaus eilenden Leyla hinterher.

„Ich habe in zwei Stunden Feierabend. Lass uns dann noch einen Kaffee trinken, okay?“

Leyla drehte sich um und schüttelte leicht den Kopf. Ihr Gesichtsausdruck war urplötzlich sehr ernst. Julian gab sich noch längst nicht geschlagen.

„Okay, Kaffee ist vielleicht keine so gute Idee. Wie wäre es hiermit: Wir gehen zu mir und vögeln uns die Seele aus dem Leib?“

Leyla grinste. „Kaffee ist schon gut. Aber erst nach dem Vögeln.“

Julian traute seinen Ohren nicht. Hatte sie das wirklich gerade zu ihm gesagt?

„Es wird aber sicher etwas dauern, bis ich zur Verfügung stehe. Muss noch wen erledigen!“

Jetzt war es Julian, der losprustete.

„Der war gut, Leyla Radomski. Mach dir meinetwegen bloß keinen Stress. Ich bin da und warte auf dich, egal, wie lange es dauert.“

„Und wir treffen uns besser bei mir. Ich muss mich erst einmal frisch machen und umziehen, bevor ich dich an meinen Luxuskörper lasse!“

Leyla warf Julian einen Luftkuss zu und verschwand im Foyer des Krankenhauses. Er konnte sein Glück nicht fassen und klopfte sich mehrmals an die Stirn. „Klopf auf Holz“, murmelte er und blickte dabei am Krankenhausgebäude hinauf. Im allerletzten Augenblick konnte er der dunklen Masse ausweichen, die neben ihm auf den Asphalt klatschte. Er stolperte und rollte einen kleinen Abhang hinunter. Für einen kurzen Moment blieb er auf dem Rücken liegen und bewegte vorsichtig seine Gliedmaßen. Gut, er hatte sich bei dem unfreiwilligen Stunt keine Verletzungen zugezogen. Langsam kroch er auf allen vieren den Abhang zum Klinikeingang hoch. Das, was da lag, sah verdächtig nach Professor Hugo Mallen aus, dem Leiter des Klinikums. Oder dem, was nach einem freien Fall aus dem sechsten Stock von ihm noch übriggeblieben war.

„Alter …, das darf doch nicht wahr sein!“, brach es aus Julian heraus.

KAPITEL 3

 

Paul Lobrecht war Strafverteidiger. Einer der besten des Landes. Allerdings auch einer der meistgehassten. Sein Credo war, dass jede Person vor Gericht das Anrecht auf einen guten Verteidiger hatte. Egal, welche Gräueltaten er oder sie begangen haben mochte. Als Teilhaber der Kanzlei Weitmar, Lobrecht & Partner hatte Paul in den letzten Jahren auch Mandanten verteidigt, die die Boulevardpresse und später die öffentliche Meinung bereits vorverurteilten und am liebsten geteert und gefedert durch die Straßen getrieben hätten. Die ermittelnden Polizeibeamten und Staatsanwälte hassten Paul Lobrecht wie die Pest. Für sie war es nur schwer nachvollziehbar, wie jemand, der das Gesetz vertrat, Mörder, Vergewaltiger oder Drogendealer vor Gericht verteidigen und sie nicht selten vor dem Knast bewahren konnte. In dubio pro reo war Paul Lobrechts Maxime, selbst wenn der Zweifel an der Schuld seines Mandanten äußerst gering und die Beweislage nahezu erdrückend war.

Solange die Gegenseite während des Prozesses keine lückenlose Indizienkette vorbrachte, gab es für Lobrecht und seine Mandanten immer noch ein Schlupfloch, ein Hintertürchen, um das Urteil entweder auf Bewährung oder gar auf Freispruch zu drehen. Nicht selten ließ Lobrecht dabei Moral und Ethik, die ja durchaus einen Teil seines Jobs ausmachten, einfach über Bord gehen und in der tosenden See der Verantwortungslosigkeit untertauchen.

Sein vorläufiges Meisterstück war die Verteidigung eines Mädchenhändlerrings, der im Süden Recklinghausens sein Unwesen trieb.

 

Als Corinna ihm mit einem hervorgepressten „Ach, du bist’s!“ die Tür öffnete, ahnte Paul, dass Corinnas Stimmungsbarometer auf Tief stand.

„Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“

„Die Laus, die mir über die Leber gelaufen ist, ist meine Mutter.“

Mit diesen Worten drehte sie Paul den Rücken zu und schlurfte zerknirscht zurück in Richtung Küche.

Paul folgte ihr, legte die Rosen und die Tickets auf die Kommode im Flur, entledigte sich seiner Jacke und rümpfte die Nase.

„Verstehe!“, antwortete er schließlich, während er den Blick durch Corinnas Wohnung schweifen ließ. „Sie hat es echt raus, nicht wahr? Wann hat sie dir gratuliert?“

Die Kaffeemaschine mahlte mit ohrenbetäubender Lautstärke. Corinna lugte um die Ecke.

„Was?“

„Wann hat sie angerufen?“, wiederholte Paul.

Corinna zuckte mit den Schultern und verschwand wieder in der Küche.

„Vor ’ner Stunde vielleicht? Ich weiß es nicht. Ist das wichtig?“

Paul griff nach der halb leeren Flasche, die auf dem Tisch in Corinnas Wohnzimmer stand. Er prüfte das Etikett und schüttelte sich wie jemand, dem man eine Kakerlake untergejubelt hatte.

„Wenn dich die Anrufe deiner Mutter so runterziehen, dann solltest du einfach nicht mehr drangehen. Und wenn du es doch tust und dir danach unbedingt die Kante geben musst, dann doch bitte mit etwas Anständigem und nicht mit einem solchen Fusel.“

Es dauerte weniger als drei Sekunden, ehe Corinnas Kopf abermals zum Vorschein kam.

„Leck mich!“

„Grundsätzlich gerne“, erwiderte Paul dreist und setzte sein Gewinnerlächeln auf. Es wäre nicht das erste Mal, dass er Corinnas Temperament, das ihr bereits des Öfteren durchgegangen war, zügeln musste. Paul Lobrecht glaubte zu wissen, wie das ging. Diesmal jedoch hatte er die falschen Worte gewählt.

„Hau ab, Paul!“, schrie Corinna. „Du bist nicht witzig, ich bin nicht in Stimmung. Also verzieh dich einfach!“

Paul schaute erst verdutzt, dann frustriert. Schließlich griff er nach seiner Jacke und ließ die Wohnungstür mit lautem Scheppern ins Schloss fallen.

 

Corinna sah aus ihrem Wohnzimmerfenster und blickte ihrem Lebensgefährten hinterher. Wild gestikulierend hielt er sein Handy ans Ohr und – so schien es Corinna zumindest – fluchte wie ein Rohrspatz. Zur Krönung trat er wütend gegen eine Bierdose, die auf ihrem Flug gegen die Fahrertür eines parkenden Autos knallte.

Corinna seufzte. So konnte es wahrlich nicht weitergehen. Seit sie den Polizeidienst quittiert hatte, war es mit ihrem Selbstvertrauen stetig abwärtsgegangen. Bis zuletzt hatte sie gehofft, den Mobbingattacken ihres Chefs gewachsen zu sein. Aber Jochimsen war stärker gewesen und hatte Corinna einen veritablen Strick aus dem Vorfall am Hörder Bahnhof gedreht. Corinna hatte irgendwann kapitulieren müssen, um nicht völlig zugrunde zu gehen. Vielleicht war sie auch eine Spur zu naiv gewesen, als sie angenommen hatte, dass sie mit ihren Ersparnissen hinkommen würde. Corinnas Konto steckte tief in den Miesen, ihre Rücklagen waren fast aufgebraucht. Die einzigen beiden Menschen, die ihr vermutlich Geld leihen könnten und auch würden, hatte sie heute vor den Kopf gestoßen. Gedankenverloren schaute sie auf die Blumen und die Tickets. Ihr stand weder der Sinn nach Rosen noch nach einer vierzehntägigen Karibikkreuzfahrt.

„Jaja, geh du nur“ seufzte Corinna erneut. „Was meinst du, Kalle? Bin ich heute zickiger als sonst?“

Aus der Ecke ihres Wohnzimmers war ein lang gezogenes Maunzen zu hören, dem Klang eines Elektrorasierers nicht unähnlich.

Kalle, der stattliche Stubentiger, stolzierte gemächlich auf Corinna zu und strich um ihre Beine.

„Danke für deine Unterstützung“, sagte sie und nahm den Kater auf den Arm. „Ich denke, es ist Zeit, mich endlich gebührend zu feiern. Der feine Herr wird sich wieder beruhigen, oder?“

Kalle gab Corinna einen sanften Nasenstüber und schnurrte weiterhin behaglich.

„Schön, dass wenigstens du meiner Meinung bist! Möchtest du vielleicht auch einen Grappa?“

KAPITEL 4

 

Sie war diesem Schwein bis in die dritte Etage gefolgt. Degorski war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu bemerken, dass sie ihm dicht auf den Fersen war. Dabei hatte sie sich auf dem Weg zu dem Hochhaus in Dortmund-Derne nicht einmal sonderlich geschickt angestellt. So nah, wie sie dem SUV dieses Ekels mit ihrem Fiesta gekommen war, hätte es Degorski eigentlich auffallen müssen. Einmal hätte es sogar fast gekracht, als sie zu spät bemerkt hatte, dass die Ampel auf Rot umgesprungen war. Degorski hatte in dem Moment nur kurz in seinen Rückspiegel geschaut und verständnislos den Kopf geschüttelt, bevor er wieder Gas gegeben und sie ihn fast verloren hatte. Eine knappe Woche hatte sie ihn beschattet. So war ihr Gott sei Dank nicht entgangen, dass Degorski sein Standardfahrzeug, einen anthrazitfarbenen Kleinwagen, zu seiner Vertragswerkstatt gebracht hatte, um eine Inspektion durchführen zu lassen.

Vor der Tür des Hochhauses nestelte Degorski nervös an seinem Schlüsselbund herum. Er schien mit seinen Gedanken woanders, bemerkte er doch weder die ältere Dame, die ihren Hund unmittelbar neben ihm ins Blumenbeet pinkeln ließ, bevor sie weiterzog, noch schien er den Streit des Ehepaars im Erdgeschoss zu hören.

Sie kauerte ungefähr drei Meter von Degorski entfernt hinter einer Reihe überquellender Mülltonnen, die träge vor sich hin dampften. So gut es ging hielt sie die Luft an, um sich dann instinktiv wegzuducken, als es im Erdgeschoß schepperte. Sie verstand nichts von dem, was die Frau ihrem Mann an den Kopf warf, aber der Tonfall allein machte ihr klar, dass es sich nicht um Komplimente handeln konnte. Sowohl Pfannen als auch Töpfe schienen dort sehr tief zu fliegen.

Um ein Haar wäre ihr die Tür vor der Nase zugefallen. Im letzten Moment schaffte sie es, ihren rechten Fuß dazwischenzubekommen.

Degorski hatte es sichtlich eilig, er nahm jeweils zwei Stufen auf einmal und war kurze Zeit später schnaufend vor seiner Wohnung im dritten Stock angekommen. Sie war ihm so leise wie nur irgend möglich gefolgt, hörte ihn schnaufen.

„Papa ist wieder zu Hause“, rief er noch immer völlig außer Atem, bevor er die Tür aufschloss und die Wohnung betrat.

Nachdem sie im Flur noch für eine kurze Weile verharrt hatte, nahm sie die letzten Stufen, bis sie schließlich vor Degorskis Wohnung stand. Sie legte ihr Ohr an die Tür und lauschte.

„Eileen geht es schon viel besser“, hörte sie ihn sagen, „die Ärzte meinen, dass sie schon bald wieder nach Hause darf.“

Ein Schluchzen war zu hören. Das musste die Schwester sein. Eileen hatte mit tränenerstickter Stimme erzählt, wie sich ihre Angst um Johanna noch gesteigert hatte, seitdem sie ihr nicht mehr beistehen konnte. Ihre zwei Jahre jüngere Schwester war Degorski nun hilflos ausgeliefert. Seit dem Unfalltod ihrer Mutter war es an der Zwölfjährigen, ihre Schwester vor den Übergriffen des Vaters zu schützen. Eileen hatte angefangen zu zittern, als sie die furchtbaren Details erzählte. Degorski hatte offenbar Johanna zu seiner Ersatzehefrau auserkoren. Während er Eileen weitestgehend in Ruhe ließ, nahm er die Zehnjährige fast täglich mit in das Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. Eileen hatte das Schreien und Weinen ihrer geliebten Schwester nicht mehr ertragen können und war mit einem Messer auf ihren Vater losgegangen.

 

Keine zwei Stunden später fand sich Eileen im Krankenwagen wieder und schrie vor Angst und Schmerzen. Degorski hatte ihr das Messer abgenommen und sie vor den Augen ihrer Schwester damit bearbeitet, um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen, sie beim nächsten Mal umzubringen, falls nur ein Sterbenswörtchen nach außen dringen würde. Den herbeigerufenen Sanitätern hatte er dann die Geschichte von dem seelisch labilen Mädchen erzählt, das er schon des Öfteren beim Hantieren mit einem Messer oder einer Schere erwischt habe. Johanna suchte während des Lügenmonologs ihres Vaters den Blick der Sanitäter und nickte eifrig.

„So schlimm wie heute war es allerdings noch nie“, hatte Degorski abschließend mit einem Schulterzucken erklärt, bevor sich der Notarztwagen mit Eileen in Bewegung setzte.

 

Sie legte den Karton vor Degorskis Wohnungstür ab, klingelte und eilte die Treppen hinunter.

KAPITEL 5

 

Katja Lewin hatte eine mehr als unruhige Nacht hinter sich. Ihr Mann hatte sich nicht – wie sonst üblich, wenn er länger arbeitete – gemeldet und den Kindern und ihr eine gute Nacht gewünscht. Markus Lewin war Gerichtsvollzieher und unter anderem für den Dortmunder Stadtteil Eving zuständig. Dort hatte er in den letzten zwei Jahren immer öfter Wohnungen leer räumen müssen. Die Menschen in seinem Revier ertrugen es kaum noch, wenn der Fernseher des Nachbarn größer war oder dessen Auto mehr PS hatte. Kam Neid ins Spiel, saß das Geld stets besonders locker. Auch wenn es meist nicht das eigene war.

Darlehen wurden in geradezu inflationärer Weise gewährt. Und wenn das Konto leer war, nahm man eben ohne Bedenken einen weiteren Kredit auf. Um das eigene Gewissen zu beruhigen, waren es in der Regel nur kleine Beträge. Doch irgendwann ließen sich die Raten nicht mehr bezahlen, da halfen auch Kontoverschiebungen nicht mehr. Das war dann der Moment, in dem Lewin auf der Bildfläche erschien.

Vielleicht hätte sie Verdacht schöpfen müssen, als er am Morgen zuvor das Haus mit einem „Bis irgendwann mal“ verlassen hatte. Sie hatte das als einen seiner typischen Scherze aufgefasst. Nun aber überkam sie die nackte Angst.

Keine Nachricht von Markus. Katja hatte wiederholt versucht, ihn auf dem Handy zu erreichen und ihm mehrere Nachrichten auf der Mailbox hinterlassen.

Jasmin stand im Kücheneingang und schien sofort den besorgten Blick ihrer Mutter zu bemerken.

„Hast du was von Papa gehört?“, fragte Katja.

Jasmin schüttelte den Kopf.

„Wir müssen sofort die Polizei anrufen und ihn als vermisst melden.“

Jasmin war erst vierzehn, also eigentlich mitten in der Pubertät. Erstaunlicherweise handelte sie in vielen Dingen bereits sehr erwachsen. Nicht selten hatte sie auf ihren drei Jahre jüngeren Bruder Eugen aufgepasst, wenn ihre Eltern abends mal länger unterwegs waren.

Eugen war im Vergleich zu Jasmin ein echter Satansbraten, wie Katja zu sagen pflegte. Wenn ihn jemand bändigen konnte, dann Jasmin.

Katja hatte den Summton an der Eingangstür kaum wahrgenommen, während Jasmin völlig aufgekratzt die Haustür geöffnet hatte, in der Hoffnung, endlich wieder ihrem Vater in die Augen schauen zu können. Er würde sicher einen mehr als plausiblen Grund dafür haben, dass er seiner Frau und seinen Kindern eine unruhige Nacht beschert hatte.

Der Polizist, der vor der Tür stand, nahm seine Mütze vom Kopf. „Darf ich bitte kurz eintreten?“

Katja Lewin zitterte am ganzen Körper und musste sich an der Flurgarderobe festhalten. In diesem Moment begriff auch Jasmin, was nun folgen würde.

KAPITEL 6

 

Der einzige Mensch, der Irene Müller regelmäßig besuchte, war ihre Urenkelin. Ein gutes Kind. Unbelehrbar und dickköpfig, aber ein gutes Kind. Irene Müller hatte lange versucht, ihr auszureden, Krankenschwester zu werden, aber Leyla ging einfach ihren Weg. Genau wie früher, als sie immer die Einzige gewesen war, die mit den Jungs auf der Straße bei jedem Wetter Fußball spielte oder stundenlang mit dem Mountainbike ihre Runden drehte. Bis vor zwei Jahren, als Irene Müller noch in einer Zwei-Zimmer-Wohnung lebte und sich weitestgehend selbst versorgen konnte, war Leyla mindestens einmal pro Woche zum Essen vorbeigekommen.

„Oh, bist du verliebt?“, flachste Leyla, wenn das Essen wieder einmal komplett versalzen war. Die Gespräche waren es, die Leyla und Irene Müller zusammenhielten. Egal, ob es die Scheidung ihrer Eltern oder ihr erstes Mal war – es gab praktisch nichts, was Leyla ihrer Uroma vorenthielt.

So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass Leyla bei einem ihrer Besuche im Immergrün relativ schnell feststellte, dass mit Irene Müller etwas nicht stimmte. Der Pfleger, der bei Leylas Besuch das Zimmer betrat, umnach dem Rechten zu sehen, ließ keine Gelegenheit aus, Irene Müller zu berühren. Immer wieder ging er wie beiläufig an ihrem Bett vorbei und betatschte die alte Dame kaum merklich. Irene Müller war dieser Kontakt, auch wenn er auf Leyla im ersten Moment völlig normal wirkte, sichtlich unangenehm. Immer wieder schien sie zu versuchen, der Hand des Pflegers auszuweichen, sobald er in der Nähe ihres Bettes war. Ebenso vermied sie jegliche Gefühlsregung. Kein Lächeln, kein Wort des Grußes, nichts.

„Was ist los mit dir, Omi?“, fragte Leyla neugierig, als der Pfleger das Zimmer verlassen hatte. „Hat der Typ die Krätze oder warum meidest du ihn wie der Teufel das Weihwasser?“

Irene Müller schloss die Augen und ließ sich in ihr Kopfkissen fallen. Eine Träne lief der alten Dame die Wange hinunter. Leyla wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte.

„Soll ich später wiederkommen? Ist dir nicht gut?“

Irene Müller gewann langsam ihre Fassung wieder, war aber immer noch in sich gekehrt.

„Irgendetwas stimmt hier doch nicht“, fuhr Leyla fort. „So habe ich dich noch nie erlebt. Komm schon, raus mit der Sprache!“

Jetzt hatte sich Leylas Uroma erhoben. Ihr dunkelblauer Hausanzug aus Plüschstoff stand ihr wunderbar und ließ sie deutlich jünger aussehen. Langsam krempelte Irene Müller die Ärmel hoch, um danach die Hose bis an die Knöchel herunterzulassen.

Leyla Radomski wich zurück. Der Junge aus dem Irak, der vor ein paar Wochen auf Leylas Station gelegen hatte, war misshandelt worden. Es gab kaum eine Stelle an seinem Körper, die nicht grün oder blau oder beides war. Genauso sah nun Irene Müller aus.

„Was zum Teufel? War er das?“

Leyla war außer sich und rannte zur Tür.

„Nicht, mein Kind! Lass es gut sein.“

Leyla drehte sich zu ihrer Uroma um und schaute sie fragend an. „Du willst, dass ich das so hinnehme? Wenn das wirklich dieser Typ war, dann kannst du sicher sein, dass ich ihn zur Rechenschaft ziehen werde.“

„Nein, Leyla, genau das wirst du nicht tun!“

Irene Müller zitterte, als sie das sagte.

„Ich kann hier nicht weg. Es gibt keinen freien Heimplatz mehr. Oder nimmst du mich so lange auf, bis ich einen gefunden habe?“

„Wir müssen das Schwein anzeigen!“, entgegnete Leyla entschlossen.

„Anzeigen? Wie stellst du dir das vor, mein Kind? Es gibt hier keine Zeugen. Und wenn er einfach behauptet, ich sei unsicher, klapperig und würde mich ständig stoßen und hinfallen, steht erst einmal Aussage gegen Aussage.

---ENDE DER LESEPROBE---