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Matteo gibt sich im Internet als schwerreicher Geschäftsmann und Erbe eines Kosmetik-Imperiums aus. Seine Opfer findet er auf der Dating-App "TINDA". Hunderte Frauen zockt er mit der immer gleichen Masche ab. Eine von ihnen ist Madison, die auf der Suche nach der großen Liebe auf Matteo hereinfällt. Als sie erkennt, dass der gutaussehende Playboy ein anderer ist, als er zu sein scheint, ist es bereits zu spät. Nicht nur ihr Vertrauen ist erschüttert, sie sitzt auch auf einem riesigen Schuldenberg. Allerdings hat Matteo nicht mit Madisons cleverer Nichte Darcy und ihrer Freundin Rebel gerechnet. Sie wollen den Hochstapler zur Strecke bringen - und stellen ihm eine Falle. Leser:innenstimmen: "Das Buch hat mich von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen. Ich mag diese Geschichten aus dem Leben, mit interessanten Charakteren!" "Ich musste auf der ersten Seite schon gleich ein paar Mal lachen." "Durch seine flotte und freche Ausdrucksweise hat es Spaß gemacht, das Buch zu lesen. Hoffend auf eine Fortsetzung."
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Seitenzahl: 247
TINDA TRIXA
„…der Betrüger auf deiner Dating-App!“
Roman
von Kerstin Carlstedt
Matteo wollte sie unbedingt beeindrucken. Er saß mit einer hübschen Rothaarigen in einem feinen Restaurant, einem mit echten Stoffservietten. Von früher war er diese Papierteilchen gewöhnt, deren Fusseln an seinem Dreitagebart hängen blieben und sich bald in Wohlgefallen auflösten. Diese Zeiten waren vorbei. Vor ihm auf dem Tisch ruhte ein großer, flacher Teller. Rechts und links daneben lagen Messer und Gabeln, jeweils drei. Anfänglich, als er sich mit der preisgekrönten Gastronomie vertraut machte, hatte er keinen Schimmer, wozu so viel Besteck gut sein sollte. Nie zuvor hatte er ein Fischmesser in der Hand gehalten. Heute wusste er, dass er bei jedem Gang ein neues Besteck verwenden und sich dabei von außen nach innen vorarbeiten musste.
Lola, seine Begleiterin, war genau sein Typ. Groß, elegant gekleidet, lässige Bewegungen. Wie die Queen sprach sie mit einem poshen Londoner Akzent, den sie sich vielleicht antrainiert hatte. Er wusste es nicht. Lola hatte nur einen Nachteil, der sich aber gerade jetzt zu einem Vorteil wendete: Sie redete viel. Ihre Stimme befand sich auf einer Tonhöhe, die er locker ausblenden konnte. Sie erzählte irgendwas von einem Arbeitskollegen, der sich ein neues Auto gekauft hatte. Das langweilte ihn. Leider kam es in letzter Zeit häufig vor, dass er sich langweilte. Nicht nur bei Lola. Während sie sprach, hing er seinen eigenen Gedanken nach. Sie bemerkte das gar nicht. Manchmal stellte sie eine Frage, aber wartete die Antwort gar nicht ab. Eine Eigenschaft, die Matteo irritierte. Auch wenn er gewollt hätte, wenn Lola erstmal in Fahrt war, kam er nicht mehr zu Wort.
Sein Blick blieb an der Lücke zwischen ihren vorderen Schneidezähnen hängen. Früher galt eine solche Lücke als Schönheitsfehler, der in Kieferorthopädie-Praxen ausgemerzt wurde. Aber heute war dieser vermeintliche Makel beliebt. Einige Schauspielerinnen und Models hatten es mit dem Look zu großem Erfolg gebracht: Béatrice Dalle, Vanessa Paradis, Georgia May Jagger. Immer mehr Mädchen ließen sich am Ende einer langwierigen Zahnbehandlung diese Lücke nicht mehr schließen. In Frankreich, wo Matteo herkam, nannten sie diese Zähne „les dents du bonheur“. Glückszähne. Der Begriff stammte wohl von den napoleonischen Feldzügen. Beim Nachladen der Waffen brauchten die Soldaten beide Hände und mussten daher die Schießpulverschachteln mit den Zähnen aufreißen. Das war mit Lücke zwischen den Schneidezähnen nicht ohne weiteres zu schaffen. Daher wurden diese Männer ausgemustert und konnten ihre Erbanlagen häufiger weitergeben. So die Legende.
Matteo war sich nicht sicher, wie er zu Lolas Glückszähne stand, aber er bewunderte ihren schönen, vollen Mund, den sie sorgfältig rot angemalt hatte. Der Farbton passte zu ihren roten Haaren. Echten roten Haaren, versteht sich. Wenn sie gefärbt gewesen wären, hätte er das sofort bemerkt. Alles an Lola war perfekt, aber trotzdem kam Matteo heute nicht so richtig in Schwung. Der Zauber des Anfangs hatte sich verflüchtigt. Überhaupt, diese Idee von Blind Dates hatte sich für ihn abgenutzt, was er unendlich bedauerte. Es war so easy gewesen, die Frauen mit Komplimenten zu umgarnen. Ein paar Schmeicheleien, und schon blühten sie auf. Er hatte sich ein paar Standards zugelegt. Das ging los mit:
„Weißt du eigentlich, wie hübsch du bist?“ Oder auch: „Ich könnte dir stundenlang zuhören.“ Und schloss ab mit einem:
„Ich habe mich noch nie so lebendig gefühlt wie mit dir!“ Welche Frau hörte das nicht gerne? Matteo war ein Meister der Empathie, wusste immer genau, was die Frauen von ihm hören wollten.
Verstohlen blickte er an Lola vorbei aus dem Fenster. Sein Lieblingsrestaurant befand sich hoch oben in einem Fernsehturm. Wenn man aus dem Fahrstuhl stieg und durch eine Tür lief, eröffnete sich ein atemberaubender Blick auf die Stadt. Das Restaurant drehte sich unmerklich. Die Gäste nahmen Platz und konnten, ohne sich selbst bewegen zu müssen, die Stadt in alle Richtungen bewundern. Eine Umdrehung dauerte eine ganze Stunde. Eine fabelhafte Erfindung, und besonders geeignet für Matteos Zwecke. Er kam oft mit Frauen hierher, die er auf TINDA, einer Dating-App, kennengelernt hatte. Wenn sich das Blind-Date zäh anfühlte, das Gespräch nicht in Gang kommen wollte, spulte er einen kleinen Vortrag über den fantastischen Ausblick ab. Er hatte sich ein paar Fakten zu den historischen Gebäuden, das Schloss, den Fluss unter ihnen und den Wäldern und Bergen in der Ferne angelesen. Das lockerte selbst die angespannteste Lady auf.
Eine Bedienung kam. Sie hatte ein keulenartiges Elektrogerät in der Hand, um die Bestellung aufzunehmen. Block und Bleistift waren in der Gastronomie dieser Preisklasse längst passé. Matteo gab sich fachmännisch:
„Welche Weine führen sie zurzeit? Ich hätte gern eine Flasche Rotwein. Alte Welt. Trocken, aber nicht adstringierend. Auch nicht zu viel Barrique. Intensiv im Abgang.“
Die Kellnerin, die sie bediente, war neu. Sicherlich hatte sie niemand vor ihm gewarnt. Er verstand seine Pflicht als Gastgeber darin, für seine Begleiterin eine Show abzuziehen, sie mit seinem Wissen über Weine zu verblüffen. Manche Frauen gefiel das, manche stieß es jedoch ab. Wie seine Performance ankam, dafür hatte er feine Antennen. Und er war flexibel genug, umzuschwenken und seine Angebereien als Scherz auszugeben, wenn er merkte, dass er es übertrieben hatte.
Die meisten Kellnerinnen kannten Matteos Spielchen. Ein großzügiges Trinkgeld am Ende würde sie für die Extra-Meilen entschädigen, die sie für ihn laufen mussten.
Eine neue Bedienung versprach für Matteo eine kleine Abwechslung. Wie weit konnte er sein Spiel diesmal treiben? Würde sie sich etwas anmerken lassen?
Die Serviererin nickte und brachte eine Flasche, die sie am Tisch öffnete. Sie zeigte ihm den Korken, der einwandfrei aussah. Dann goss sie einen Probeschluck in sein Glas. Alles wie immer. Er führte das Glas zur Nase, schnupperte und probierte dann mit gespitzten Lippen. Der feine Tropfen verteilte sich in seinem Mund, doch Matteo verzog das Gesicht.
„Non-non-non, der hat einen Böckser, schmeckt wie Knoblauch“, stellte er näselnd fest. Wortlos trug die Kellnerin das Glas und die Flasche weg.
„Das ist der Nachteil an diesem Restaurant“, erklärte er Lola, „sie haben keinen Sommelier.“
Lola schwieg. Die Bedienung kam mit einem neuen Glas und einer neuen Flasche zurück, zeigte ihm das Etikett. Matteo wiederholte seine Routine, kaute auf der Flüssigkeit ein wenig zu dramatisch herum, schwenkte das Weinglas und untersuchte die Schlieren, die der Wein am Kelch bildete. Dann quengelte er:
„Non, so einen alten Wein müssten sie dekantieren, damit das Depot nicht ins Weinglas gelangt.“
„Das machen wir leider nicht“, entgegnete die Kellnerin höflich und sah sich hilfesuchend nach dem Barmann um. Lola versteckte sich hinter der Weinkarte. Als er auch das dritte Glas für „nicht gut genug“ befunden hatte, da die „Abbeermaschine wohl gepfuscht“ haben musste, so Matteos Behauptung, traute sich die Bedienung zu sagen, dass eigentlich alle Weine gut seien. Widerworte! Das mochte Matteo gar nicht. Er ließ noch zwei weitere Flaschen gleich wieder zur Bar zurückgehen. Beim sechsten Glas kapitulierte er, obwohl der Wein bestenfalls „genießbar“ war. Das Trinkgeld, das später am Abend folgte, war hart verdient. Schmerzensgeld.
Matteo brachte Lola zu ihrem Auto. Die Absätze seiner Chelsea Boots klapperten leicht auf dem Pflaster. Routiniert griff er nach ihrer Hand. Die Leute, die ihnen entgegenkamen, mussten sie für ein perfektes Paar gehalten haben. Sie fiel auf, nicht zuletzt aufgrund ihrer Größe und Haarfarbe, und er durch seine exzentrische Klamottenwahl. Aus modischer Sicht machte er alles richtig. Der Wollmantel mit großen, grünen Karos war gerade sehr angesagt. Dazu schwarze Jeans und einen Rollkragenpulli in Ecru. Die dunklen Locken trug er mittellang. Er hatte etwas Verwegenes, jedoch ohne dabei unseriös zu wirken.
Im Geist ging Matteo die Aufzeichnungen durch, die er nach dem letzten Date über Lola angefertigt hatte. Zu jeder Frau, die er traf, hatte er einen kleinen Ordner auf seinem Smartphone angelegt. Nach jeder Verabredung machte er sich Notizen, die er vor dem nächsten Treffen durchging. Er rief sich wichtige Infos ins Gedächtnis. Vollständiger Name der Frau, Alter, Wohnort, Beruf, Hobbys, die Namen von Freundinnen und Ex-Freunden, und ganz wichtig: Auf welchem Level sich ihre Liebschaft gerade befand. Anfang, Mitte oder kurz vorm Ende. Erster, zweiter, dritter Akt. Wendepunkt eins, Wendepunkt zwei. Der Ablauf war immer gleich. Er traf viele Frauen und er wollte auf keinen Fall irgendwelche Storys durcheinanderwerfen. Oder zu schnell zur Sache kommen. Routinemäßig ließ er mehrere Treffen verstreichen, bevor er der Frau näherkam und vielleicht zu einem ersten Kuss ansetzte. Seine Begleiterin sollte sich auf keinen Fall bedrängt fühlen. Begehrt schon, aber nicht überrumpelt. Sie musste die Gelegenheit bekommen, sich nach ihm sehnen zu können. Der Ablauf war streng durchchoreographiert. Er war schließlich Profi. Oft überließ er ihr den ersten Schritt, aber das traute sich nicht jede. Sein Job verlangte viel Fingerspitzengefühl. Viele seiner TINDA-Bekanntschaften hatten zuvor schlechte Erfahrungen gemacht, mit Nicht-Profis. Matteo beobachtete genau und ordnete ein.
Endlich waren sie bei Lolas Wagen angekommen, einem Cabrio in Weiß. Er nahm ihr sachte den Transponder aus der Hand und löste die Verriegelung. Dann führte er seine Dame zur Fahrertür und öffnete sie. Sie verstand sofort und machte einen Flunsch.
„Ich dachte, du kommst noch mit zu mir, Matteotti?“ Sie sah ihn zärtlich an. Ihre Wimpern waren sehr lang und schwarz. Der Mascara musste ein Qualitätsprodukt sein, dachte er. Noch nie hatte er gesehen, dass ihre Wimperntusche auch nur ein bisschen verschmiert war.
„Ich würde wirklich gern mitkommen, Chérie, aber ich kann nicht. Mein Flieger geht morgen sehr früh, und ich muss noch ein paar Dossiers durcharbeiten“, log er gekonnt und legte seine Lippen leicht auf ihre Hand.
Sie seufzte: „Och, wie schade. Wann lernen wir uns denn endlich richtig kennen? Du musst mir alles über dich erzählen…“
Sie schaute ihn fragend an. Aber er küsste ihre Stirn und drückte sie sanft in den Fahrersitz. Sie hatte verstanden. Mit Eleganz zog sie ihre Beine ins Wageninnere. Er drückte von außen die Fahrertür zu, und spürte Erleichterung. Das war einfacher als gedacht. Einen Augenblick wartete er auf dem Gehweg und sah ihr beim Ausparken zu. Sie fuhr weg und er winkte zum Abschluss, falls sie noch einmal in den Rückspiegel schaute.
Dann zog Matteo sein Smartphone aus der Innentasche. Der Abend war für ihn noch nicht gelaufen. Es wartete tatsächlich Arbeit, aber anders, als er vorgegeben hatte. Dossiers durchzuarbeiten war seine Sache nicht. Er sah auf das Display seines Handys. Zweiundzwanzig neue WhatsApp-Nachrichten waren in der Zwischenzeit eingegangen. Aus sechs Chats. Er atmete tief durch. Das waren die Frauen, denen er vorgaukelte, dass er sie liebte, dass er ohne sie nicht mehr leben konnte, dass sie die Einzigen waren. Und es waren die Frauen, mit deren Geld er durch die Welt jettete und teure Geschenke kaufte, die aber für ganz andere Frauen bestimmt waren. Oder es waren jene Frauen, mit deren Kreditkarten er hoffte, in Zukunft reisen und Geschenke kaufen zu können. Es war ein Kreislauf. Kennenlernen, benutzen, wegwerfen.
An manchen Tagen konnte er sich nicht im Spiegel ansehen, ohne sich selbst zu verachten. Aber an den meisten Tagen war er ganz zufrieden mit sich. Die Frauen wollten etwas, und sie bekamen etwas. Zumindest eine Zeitlang. Alles hatte seinen Preis. Warum sollte er das, was normale Durchschnittsmänner gar nicht zu geben in der Lage waren, zum Nulltarif verschleudern? Das war doch harte Arbeit. Drei oder vier Frauen gleichzeitig zu jonglieren, war stressig.
Matteo fühlte sich erschlagen. Er wollte die WhatsApp-Nachrichten schnell abarbeiten, sendete diesmal nur ein paar Herzchen-Emojis. Das musste reichen. Er war völlig vertieft, als er plötzlich von hinten einen Stoß bekam. Fast hätte es ihn niedergerissen. Sein Mobiltelefon rutschte ihm aus der Hand und fiel zu Boden.
„Hey, was soll das? Können Sie nicht aufpassen?“
Matteo bückte sich nach dem Handy. Als er sich wiederaufrichten wollte, spürte er eine Hand in seinem Nacken, die ihn nach unten drückte.
„Wir warten auf die nächste Zahlung“, zischte eine männliche Stimme.
Dann stieß ihn der Angreifer zu Boden. Beinahe wäre Matteo aufs Gesicht gefallen, aber er konnte sich gerade noch auffangen. Mühsam rappelte er sich auf und sah die Rückansicht eines hochgewachsenen Mannes, ganz in Schwarz mit einem Hoodie auf dem Kopf. Matteos Gefühle oszillierten zwischen Wut und der Angst, der Typ würde sich umdrehen und zurückkommen. Er sah seine Handflächen an, die etwas aufgeschrammt waren und bluteten. Sie hatten ihn schon wieder aufgestöbert. Es war Zeit, sich bei Frankie zu melden, seinem Schutzengel. Eigentlich war Frankie Schauspieler, aber seine Karriere war ins Stocken geraten. Daher jobbte der Zweimetermann gelegentlich bei Matteo als Personenschützer. Ein Abstieg - nicht nur in finanzieller Hinsicht. In Gedanken schrieb Matteo ein Memo an sich selbst:
Frankie anrufen
Waffe besorgen
Der Kessel pfiff, ein leicht verbeulter Wasserkocher aus dem Bestand meiner Großmutter. Mit der Zahnbürste im Mund, die natürlich genauso wenig über einen elektrischen Antrieb verfügte wie der Kessel, nahm ich das kochende Wasser von der Flamme. Als sich meine Oma einen modernen Kocher, schlankes Design, klinisch weißes Plastik und mit Elektrobetrieb, leistete, bekam meine Mutter ihr altes Gerät. Wenig später, als die Familie aus Liverpool zurück nach Deutschland zog, blieb der alte Kessel von Oma da.
„Damit du dir einen Tee kochen kannst“, befand sie.
Oder eine Fertigsuppe mit Nudeln, dachte ich. So kam ich auch in den Besitz einer fünfunddreißig Jahre alten Mikrowelle, die immerhin noch funktionierte. Bei dem Gerät musste der Hersteller einen Fehler gemacht haben. Die lange Lebensdauer. Nach drei Jahrzehnten immer noch nicht auf dem Friedhof für Elektroteile? Wie oft war ein Apparat heute schon kurz nach Ablauf der Garantie dahin? Die Haftung war abgelaufen, und schon brach ein Ersatzteil, das nicht mehr lieferbar war. Blieb nur noch der Gang zum Recyclinghof.
Meine Kochstelle hatte nur einer Flamme. Darüber hing ein Geschirrschrank. Immer wenn ich eine Tasse brauchte, musste ich den Kopf einziehen. Sonst hätte ich die Klappe nicht öffnen können. Die Küche war nur eine Kochnische, und sehr eng. In dem Hängeschrank bewahrte ich auch mehrere Teedosen auf. Morgens trank ich grünen Tee mit klangvollen Namen wie Tulsi Gold, Paris-Dakar oder Florida Breakfast. Meine Sucht nach Orange Pleine Lune hatte ich überwunden. Ich entschied mich für Paris-Dakar. Während ich mit der linken Hand Wasser auf den Teebeutel goss, beendete ich mit der rechten die Zahnpflege. Dann nahm ich die Tasse und setzte mich an meinen Fensterplatz, wo mein Smartphone und eine gelbe Fleecedecke auf mich warteten. Es war Ende Mai, aber für die Jahreszeit ungewöhnlich kühl.
Als ich die Decke um meine Schulter legte, poppte eine Nachricht auf: Deine Bildschirmzeit war letzte Woche 20 Prozent mehr, d.h. 5 Stunden und 46 Minuten durchschnittlich am Tag. Ein Moment, den ich mehr fürchtete ich als Liebeskummer oder einen Kreuzbandriss beim Sport. Alles über drei Stunden Screentime war für mich wie 500 Miese auf dem Girokonto. Ich hatte mal wieder zu viel Zeit mit YouTube und TikTok verbracht. Keinen einzigen Post auf Insta verpasste ich. Dank der Push-Nachrichten, die ich immer noch nicht abgestellt hatte. Gar nicht zu reden von den endlosen Chats auf WhatsApp. Daumen hoch. Daumen runter. Ohne Soziale Medien hätte ich locker Chinesisch lernen und die Sprache ganz passabel beherrschen können. Ich übertreibe etwas. Aber bestimmt hätte ich einen eigenen YouTube-Channel mit vielen Followern aufbauen können. An Inhalten fehlte es nicht. Wie man auf einem Hausboot überlebt, mein Kampf als Fahrradkurierin gegen rüpelhafte Autofahrer, die es in Liverpool natürlich auch gab.
Andere Frauen zählten Kalorien. Ich zählte Bildschirmzeit-Minuten. Wenn ich es geschafft hatte, unter drei Stunden am Tag zu bleiben, fühlte ich mich stark. Internetsucht? Nee! Ich doch nicht! Ich hatte alles im Griff, mein Gerät, mein Leben. Aber wenn ich dieses Drei-Stunden-Limit nicht einhalten konnte, fiel ich in eine mittelschwere Krise. Manchmal dachte ich, das Mobilphone würde ganz mit meiner Hand verwachsen. Ein evolutionäres Phänomen, das sich nicht in Millionen Jahren vollzog, sondern innerhalb eines Menschenlebens, und weniger. Charles Darwin wäre verblüfft gewesen.
Ich konnte es nicht lassen, egal, wie oft ich es mir vornahm. Das Handy war selbst in den abwegigsten Momenten meines Lebens dabei. Selbst auf der Toilette. No worries. Ich habe mir danach immer brav die Hände gewaschen. Während das Wasser ins Waschbecken lief, plärrte das Phone hinter meinem Rücken einfach weiter. Die Hände trocknete ich an meiner Jeans ab, denn ich vergaß fast immer, für frische Handtücher zu sorgen. Dann lief ich mit dem Handy durchs Hausboot. Statt in einer Wohnung, lebte ich auf einem Hausboot im Zentrum Liverpools. Ganz allein. Das war so nicht geplant, hatte aber Vorteile. Als wir noch unter einem Dach wohnten, meine WG und ich, ermahnte mich immer irgendjemand:
„Rebel, mach das Ding leiser!“
Rebel war mein Spitzname. Statt Anabel. Seit ich auf dem Hausboot wohnte, ließ ich „das Ding“ noch häufiger laufen. Keiner redete mir mehr rein. Allerdings merkte ich auch, dass zu viel Freiheit auch Tücken hat. Was dringend gemacht werden musste, schob ich vor mir her. Eigentlich wollte ich etwas erreichen in meinem Leben, war ehrgeizig. Das ließ sich mit meinen Dutzenden WhatsApp-Gruppen und anderen Ablenkungen nur schwer vereinbaren. Daher hatte ich mir dieses Limit von durchschnittlich drei Stunden am Tag auferlegt, das ich fast nie einhielt.
Ich sah aus dem Bullauge, und beobachtete ein paar Möwen, die sich um alte Brotkrumen stritten. Mein Hausboot war wie ein abgenutzter, schwimmender Wohnwagen. Ich hatte eine Heizung, Warmwasser, kaltes Wasser sowieso, eine Dusche und eine Toilette. Es gab einen Abwasser- und einen Frischwassertank. Leider waren die im letzten Winter sogar zugefroren. Eine Ausnahme. Temperaturen unter Null gab es in Liverpool kaum. Aber wenn, dann hielt die Isolierung des Boots weder Kälte noch Feuchtigkeit stand. An heißen Sommertagen, ja, auch die gab es, konnte es ziemlich stickig unter Deck werden. Dann flüchtete ich in den Coburg Pub, weiter unten Richtung Baltic Triangle. Das klingt für manche nach einem Sozialdrama von Ken Loach, aber das war mein Leben. Immerhin hatte ich guten Handy-Empfang.
Ich zog die Decke noch fester um meinen Körper und trat an Deck. Mein Blick fiel auf den Himmel über dem Chavasse Park, wo sich im Sommer die Leute vom Shoppen ausruhten. Das Binnenbecken der Docks trennte eine sechsspurige Straße vom Einkaufszentrum, die Strand Street. Ein sonniger Tag deutete sich an. Die Wolken leuchteten in Rot und Lila, als hätte jemand einen Filter darübergelegt. Noch hatten die Geschäfte geschlossen, aber ein paar Autos waren immer unterwegs. An der Ampel hielt ein weißer BMW. Aus dem Inneren des Wagens wummerten die Bässe der Musikanlage.
Ich hörte Stimmen und drehte mich um. Zwei Frauen in Bademänteln und Flipflops kamen vom Albert Dock herübergeschlendert. Einer baumelte eine Schwimmbrille um den Hals. Die andere trug eine dunkelblaue Badekappe mit weißen Plastikblümchen. Outdoor-Schwimmerinnen, meine neuen Bekannten, die morgens in aller Frühe zum Baden in die Docks kamen. Ein Trendsport. Trotz der Quallen und selbst im Januar, wenn die Wassertemperatur auf sechs Grad fiel.
„Du musst nur immer dabeibleiben und dich an das kälter werdende Wasser gewöhnen. Dann macht es dir nichts mehr aus“, hatte mir die mittelalte Dame mit der Neopren-Badekappe kürzlich erklärt.
Eigentlich war es sogar verboten, im Hafenbecken zu schwimmen. Kürzlich hatte die Stadtverwaltung ein Verbotsschild an der Kaimauer anbringen lassen. Vielleicht hatte es einen Unfall gegeben? War jemand nach einer durchzechten Nacht baden gegangen und ertrunken? Damit nicht zu viel Bier floss, mussten die Pubs um elf Uhr schließen. Aber wer es drauf anlegte, konnte sich Nachschub im Cornershop besorgen. Manche hatten die ganze Nacht geöffnet. Auch das Badeverbot war nur ein stumpfes Schwert. Entschlossene ignorierten das Schild einfach – eine Schwimmerin hängte immer ihren Bademantel darüber.
Die beiden Ladys liefen sie die Slipanlage, an der sonst die Boote zu Wasser gelassen wurden, hinunter ins kalte Nass. Als sie bemerkten, dass ich sie beobachtete, winkten sie mir zu und ermunterten mich:
„Komm doch auch. Das Wasser ist so schön. Gar nicht kalt.“
Ich winkte zurück und machte eine bedauernde Geste. Schwimmen in den Docks war nichts für mich.
Ich wollte gerade ins Innere des Hausboots zurück, als ich eine Jungenstimme rufen hörte:
„Hey Sie! Können Sie mir mal helfen?“
Ich drehte mich um und sah einen Jungen, vielleicht vierzehn Jahre alt, der sich an seinem Fahrrad festkrallte, das ziemlich neu aussah. Er trug eine Schuluniform und hatte einen Rucksack auf dem Rücken. Zwei Typen, nicht viel älter als der Schuljunge, hielten das Fahrrad am Lenkrad und Gepäckträger fest. Sie hatten kahlgeschorene Köpfe, trugen schwarzen Daunenjacken, Turnschuhe, die Trainingshosen steckten in weißen Socken. Das war der verbreitete Look der Jugendlichen in Liverpool. So liefen hier alle herum. Mein erster Gedanke war: Scallys! In Liverpool ein Begriff für kleinkriminelle Jugendliche, die mit Marihuana dealten und Jüngeren ihre Fahrräder unterm Hintern wegklauten. Vielleicht hatten sie ein Messer dabei. Kurz überlegte ich, ob ich die Polizei rufen sollte. Die Zentrale war ganz in der Nähe, aber es hätte trotzdem zu lange gedauert, bis Hilfe eingetroffen wäre. Ich sah mich um. Auch die Neopren-Damen waren verschwunden. Wollte ich mich wirklich einmischen? Ich war nicht einmal richtig angezogen, barfuß und im Pyjama, mit einer Decke über den Schultern. Eine Witzfigur. Meine roten Locken standen ungekämmt von meinem Kopf ab. Sicherlich machte ich keinen bedrohlichen Eindruck. Es war mir egal.
„Hey, Gentlemen!“ Ich kletterte vom Boot und ging auf die Jungs zu. Der Fahrradfahrer sendete mir einen dankbaren Blick.
„Was willst du, Bitch? Geh zurück auf deine Nussschale.“ Der Kahlkopf sprach mit einem völlig übertriebenen, breiten Scouse-Akzent, dem Liverpool-Dialekt. Um mich einzuschüchtern, machte er einen Schritt auf mich zu und griff sich dabei in den Schritt. Eine oft gesehene Handbewegung. Niemand weiß, warum sie das machen. Ich ließ mich nicht einschüchtern.
„Calm down! Kein Grund, gleich beleidigend zu werden. Ob du‘s glaubst oder nicht, ich habe euch auf Video aufgenommen und eure hässlichen Fressen schon auf WhatsApp geteilt. Macht keinen Fehler. Sonst gibt’s richtig Ärger!“
Ich hatte keine Erfahrung im Bluffen und Drohen, habe aber früher mit meinem Bruder viel Cosplay gespielt, ein Videospiel. Dabei war ich in die Rolle eines Ninjas geschlüpft, der solche Sprüche machte, bevor er seine Gegner zerstörte.
Immerhin ließ der andere Scally das Fahrrad los, bewegte sich aber nicht vom Fleck. Der Junge wollte sich auf den Sattel setzen und losfahren, aber Glatze Nummer eins hielt ihn fest. Ich nahm mein Handy und richtete es demonstrativ auf ihn, tat so, als würde ich ihn aufnehmen.
„Ich warne dich: Hände weg!“
„Was soll das, Mädel?“
Der Forschere der beiden Scallys zog tatsächlich etwas aus der Tasche, das ich aber nicht richtig erkennen konnte. „Tu das Ding weg. Ich hab ein Messer.“
Ich ließ mich nicht beirren, versuchte, den Kerl in ein Gespräch zu verwickeln.
„Hast du schon mal was von der ‚Pleasure Lounge‘ gehört?“ Die Pleasure Lounge war ein Schuppen an der Bankhall Street in Bootle, nördliches Liverpool, wo Scallys gerne abhingen. Die Pleasure Lounge gehörte einem Clan-Häuptling, vor dem alle Angst hatten. Die beiden Typen glotzten mich ausdruckslos an.
„Nur zu deiner Info. Der Laden gehört meinem Onkel, Charly Barnes. Ich bin Pippa Barnes, seine Nichte. Wenn mein Onkel heute Mittag aufwacht und mein Video auf seinem Handy vorfindet… was meint ihr, was er dann macht?“
Das saß. Der Messer-Mann machte ein betroffenes Gesicht und ließ den Lenker los. Sein Kumpel trat einen Schritt zurück. Na bitte. Zügig, aber nicht übertrieben eilig, zogen sich die beiden Angreifer zurück. Dabei drehten sie sich kein einziges Mal um.
Der Junge sah mich unsicher an und musterte mich von oben bis unten:
„Bist du wirklich die Nichte von Barnes?“, fragte er.
Ich grinste.
„Nö, bin ich nicht. Aber ich hab mal gehört: Wenn du Ärger mit Scallys hast, sag du bist die Nichte von Charly Barnes.“
Der Junge nickte mir zu.
„Danke.“
Dann trat er in die Pedale und verschwand. Erst jetzt bemerkte ich, wie meine Knie zitterten.
Wir haben uns im Fahrstuhl kennen gelernt, Darcy und ich, in einem stecken gebliebenen Fahrstuhl, um genau zu sein. Wie oft blieb ein Fahrstuhl hängen? Eigentlich nie, oder? Ihr Vater war reich, und sie wohnte in einer Villa am Sefton Park. Ich hingegen war ich die mit den roten Haaren und den Second-Hand-Klamotten, die immer ein bisschen nach Fahrradöl roch. In einer Stadt wie Liverpool mit fünfhunderttausend Einwohnern wären wir uns ohne den kaputten Fahrstuhl nie begegnet.
Es war ein herrlicher Tag. Egal welche Jahreszeit, ein bisschen setzte sich die Sonne immer durch. Wenn auch nur kurz. Andere behielten eher die grauen Tage in Erinnerung, wenn der Wind die Regenwolken von der Irischen See über die Stadt fegte. Die blieben dann weiter östlich vor den Pennines, dem englischen Mittelgebirge, hängen und entluden sich über Manchester. Dort regnete es – gefühlt – fast immer.
Ich hatte gerade meine Schicht als Fahrradkurierin begonnen. Als ich sechs Pizzen in den Docks ausliefern wollte, fiel sie mir schon von weitem auf. Darcy. Ich radelte von der Flusspromenade rüber zu den „Three Graces“, den drei Grazien. Bürogebäude am Mersey River. Vielleicht lag es an diesen ikonischen Architekturschönheiten, dass Liverpool als das „New York von Europa“ durchging.
Früher warteten im Cunard Building, dem Sitz der Reederei Cunard, Reisende auf ihre Überfahrt nach Amerika. Je nachdem welche Klasse sie sich auf einem Schiff leisten konnten, saßen sie auf Holzbänken, was der dritten Klasse entsprach, oder in einem Marmor-Saal mit Teppichen und gepolsterten Sofas wie die Touristen der ersten Klasse.
Darcy wackelte auf ihren High-Heels vor mir her. Nur der Himmel weiß, wie sie auf diesen Teilen so schnell laufen konnte. Ich hätte das nie geschafft. Als ich mit meinem Deliveretta-Rucksack an ihr vorbeiradeln wollte, erfasste mich eine Windböe und beinahe wäre ich in sie hineingefahren. Ich konnte mich gerade noch so auffangen. Sie bemerkte mich gar nicht und lief einfach weiter. Dabei schaute sie auf ihr Smartphone. Ich fand, sie sah aus, als wäre sie aus einem Fashion-Magazin herausgesprungen. Wie eine dieser Influencerinnen auf Instagram, groß und schlank. Sie trug einen taillierten, rosa Longblazer und darunter einen roten Minirock aus Organza. Bei jedem Schritt wippte der Rocksaum hoch. Unter ihrem Arm klemmte eine teuer aussehende orangefarbene Clutch. Der Wind zerrte an ihrer rotgelockten Bob-Frisur. Sie hatte die gleiche Haarfarbe wie ich.
Ich beeilte mich beim Anschließen des Rads. Mich interessierte, wo dieses pinke Etwas, eine ähnliche, aber bessere Version meiner Selbst, hinstrebte. Als ich die Eingangshalle betrat, wartete sie bei den Fahrstühlen und starrte noch immer auf ihr Telefon. Ein Smartphone-Zombie wie ich. Sie scrollte Fotos mit dem Daumen nach oben. Manchmal stoppte sie, fixierte ein Bild und schob es dann nach rechts. Der Fahrstuhl kam und sie stieg ein. Ich zögerte. Doch kurz bevor sich die Türen hinter ihr schlossen, stellte ich meinen Fuß dazwischen. Der Fahrstuhl öffnete sich wieder auf und ich lief hinein. Sie hatte den Knopf fürs oberste Stockwerk gedrückt. Dort musste ich auch hin. Ich drehte mich um und hätte sie dabei fast mit meinem großen, würfelförmigen Rucksack erwischt. Geschickt wich sie mir aus und blickte dabei kurz von ihrem Handy hoch. Zum ersten Mal konnte ich ihr Gesicht sehen, das mit Sommersprossen übersäht war. Die Lippen hatte sie knallrot geschminkt.
„Sorry“, murmelte ich.
Der Fahrstuhl fuhr los, und stoppte kurz darauf. Das Oberlicht flackerte und ging kurzzeitig sogar ganz aus. Ein Notlicht leuchtete auf. Wir steckten fest. Irgendetwas knarrte. Die Seile? Das Geräusch erinnerte mich an ein Boot, das auf dem Meeresgrund lag und vom Wasser hin- und her bewegt wurde. Ich fühlte mich unbehaglich und drückte mehrfach auf den Türöffner, aber nichts passierte.
„Lass mich mal“, sagte sie und presste den Notruf-Button. Der Bildschirm oberhalb der Schaltfläche schaltete sich ein und ich sah den Kopf des Haustechnikers. Er schien beschäftigt zu sein, denn er schaute nicht in die Kamera, sondern nach unten. Wir blickten auf viel Haare und wenig Gesicht.
„Hi, hier ist Darcy. Wie geht’s?“ Eine vielmehr rhetorische Frage in dem Zusammenhang, eine sehr englische Frage, um ein Gespräch zu eröffnen. Man kam nach Möglichkeit nie gleich zur Sache. Das wäre unhöflich gewesen. Selbst in dieser Situation des Ausgeliefertseins.
„Wir befinden uns im nördlichen Aufzug und stecken zwischen Stockwerk zwei und drei fest.“ Der Mann blickte kurz von seiner Kladde auf und antwortete:
„Wir kümmern uns.“
„Wie lange?“, fragte Darcy routiniert, als würde sie jeden Tag im Fahrstuhl steckenbleiben.
„Ich muss die Wartungsfirma anrufen. Bis die kommen, das kann mindestens dreißig Minuten dauern. Wir melden uns.“
Das Display wurde schwarz. Er hatte uns einfach weggedrückt.
„Danke schön“, flötete sie und ließ eine Kaugummiblase in ihrem Mund zerplatzen. Dann zog sie ihre schmalen, eleganten Augenbrauen hoch und seufzte:
„Wenn sie dreißig Minuten sagen, werden es wohl eher eineinhalb Stunden!“
Mir war unwohl bei dem Gedanken, in dieser engen Kabine auszuharren.
„Du siehst blass aus. Keine Panik. Fahrstühle stürzen nicht ab. Sie hängen an mehreren Tragseilen. Die können das Zwölffache des zulässigen Gesamtgewichts aushalten“, dozierte sie.
„Außerdem gibt es eine Notbremse, die den Absturz auffangen würde.“ Sie schaute wieder auf ihr Handy-Display.
„Das sind Kinderkrankheiten, hat mein Pops gesagt. Ich meine: mein Vater.“
Ich sah sie fragend an. Sie zuckte mit den Schultern:
„Die Fahrstühle sind ganz neu. Die müssen sich erst eingrooven.“ Dann scrollte sie weiter auf ihrem Telefon. Ich weiß nicht, wie sie so ruhig bleiben konnte. Ich war ziemlich aufgebracht, letztlich auch wegen der Arbeitszeit, die mir verloren ging.
„Das geht so nicht“, wetterte ich. „Die Pizza wird kalt. Ich bekomme bestimmt Ärger mit meiner Kundschaft.“
„Ja, sehr schlimm“, pflichtete sie mir bei, sah dabei aber völlig ungerührt aus. Nun schien ein Bild ihr Interesse geweckt zu haben. Sie verweilte etwas länger darauf.
„Wie findest du den? Der sieht doch süß aus, oder? Vor allem: Mal kein Schnappschuss aus dem Sportstudio.“
Sie zeigte mir das Bild und mein Blick fiel auf einen jungenhaften Mann mit ernstem Gesicht, Dreitagebart, Brille, weißem Hemd, Schlips, Anzug. Im Hintergrund bildete sich die Gangway eines Privatflugzeugs ab.
„Was ist das überhaupt?“, fragte ich.