Tjara - Faye Bilgett - E-Book

Tjara E-Book

Faye Bilgett

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Beschreibung

Wenn dein Schicksal bereits festgelegt ist. Akzeptierst du es, oder kämpfst du dagegen an? Hunters Bestimmung ist der Schutz seiner Prinzessin. Gefühlen hat er schon seit langer Zeit abgeschworen. Doch als Sora aus dem Schloss flieht, zieht das ungeahnte Folgen nach sich, denn auf der Suche nach ihr begegnet er Tiara. Die junge Frau, die der Prinzessin wie aus dem Gesicht geschnitten ist, zieht ihn in ihren Bann. Er kann sich nicht dagegen wehren, dass seine Fassade zu bröckeln beginnt. Doch ein Zusammensein mit Tiara ist unmöglich, denn dieser Verrat gegenüber Sora wäre Hunters Tod. Tiaras Leben nimmt eine katastrophale Wendung, als sie im Dragns Heavn dem Krieger Hunter begegnet. Sofort fühlt sie sich zu dem beeindruckenden Mann mit der harten Schale hingezogen, doch schon bald muss sie erfahren, dass Hunter weit mehr als nur ein einfacher Mann ist. Plötzlich ist sie in einer brutalen Welt gefangen, aus der es kein Entrinnen mehr für sie gibt.

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Über die Autorin

Faye Bilgett wurde 1998 in Saarbrücken geboren.

Bereits in jungen Jahren interessierte Sie sich für Bücher und die Welt, die dahinter steckte. Vor allem schreibt Faye in dem Genre ‚Romance & Drama‘, probiert sich allerdings auch gerne in dem Fantasy-Genre aus. Sie liebt das Gefühl, in einer Geschichte zu verschwinden, sie auszuleben, als wäre Sie selbst ein Teil davon.

Schreiben ist Faye’s große Leidenschaft. Schon im Alter von 13 Jahren hat sie damit begonnen. Was als Zeitvertreib begann, wurde schnell zum Hobby und heute lebt Sie dafür.

Bisher erschienen:

Me! Reihe:

Kiss Me! Athan Save Me! Jessica Love Me! Zander & Rhage

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Damals

Kapitel

Heute

Hunter

Tjara

Kapitel

Hunter

Tjara

Kapitel

Kapitel

Hunter

Tjara

Kapitel

Hunter

Tjara

Kapitel

Tjara

Hunter

Kapitel

Kapitel

Tjara

Hunter

Kapitel

Tjara

Hunter

Kapitel

Kapitel

Tjara

Hunter

Kapitel

Kapitel

Tjara

Kapitel

Kapitel

Tjara

Hunter

Kapitel

Hunter

Tjara

Kapitel

Tjara

Hunter

Kapitel

Tjara

Hunter

Kapitel

Kapitel

Tjara

Hunter

Kapitel

Hunter

Tjara

Kapitel

Tjara

Kapitel

Kapitel

Hunter

Tjara

Kapitel

Tjara

Hunter

Kapitel

Tjara

Hunter

Kapitel

Kapitel

Tjara

Kapitel

Tjara

Hunter

Kapitel

Hunter

Tjara

Kapitel

Kapitel

Tjara

Hunter

Kapitel

Kapitel

Tjara

Epilog

Tjara

Prolog

Damals

Der Himmel gab ein lautes, tiefes Grollen von sich, doch es war längst nicht so gefährlich wie das Schreien der Männer, die ihr dicht auf den Fersen waren und sie schon bald einholten.

Schmerzhaft verzog sie das Gesicht und stöhnte, als sie auf den Saum ihres langen, schwarzen Kleides trat und unsanft zu Boden fiel.

Keuchend wischte sie sich die Tränen von den Wangen, richtete sich auf und schaute erschrocken zurück. Ihr Name hallte erneut durch das Tal. Der wiederkehrende Donner vibrierte durch ihren Körper.

»Eos!«, brüllte der Ritter ein weiteres Mal.

Ihre Lungen brannten von dem eiskalten Wind, der seit Stunden durch sie hindurch fegte. Eos hämmerte das Herz bis in die Ohren. Begleitet von dem grauen Himmel über ihr, rannte sie wieder los. Vor ihr erstreckten sich die Montiara-Berge.

Erneut blickte sie zurück, wohlwissend, dass all das umsonst wäre, wenn sie sie einholten, bevor sie den heiligen Steinkreis Laventuras erreicht hätte.

Der Verlust ihres Geliebten zerriss ihr das Herz, doch sie durfte nicht aufhören zu laufen.

Es war, als umgebe sie ein schützender Schleier, kaum dass sie durch den Steinkreis trat und auf die Knie fiel. Schluchzend vergrub sie die Nägel in der feuchten Erde, schaukelte vor und zurück.

Wie hatte es nur so weit kommen können?

Seit Beginn ihrer Flucht stellte sie sich diese Frage und fand keine Antwort darauf. Erneut gab der Himmel ein Grollen von sich. Unbarmherzig prasselte der Regen auf sie nieder. Eos sog die Luft tief in ihre Lungen. Zusammenbrechen kam nicht in Frage. Sie erhob ihr Haupt in dem Moment, in dem die Männer des Königs den Steinkreis erreichten, und drehte sich zu ihnen herum.

Ihr Anblick ließ sie wütend werden. Sie waren der Grund, warum sie litt, das Unheil, welches ihrem Geliebten den Tod gebracht hatte. Ihre Augen richteten sich auf Johan, den Anführer des Ritterordens und einst ihr engster Vertrauter. Schon von klein auf waren sie ein Herz und eine Seele gewesen.

Der Ritter mit den liebevollen, hellbraunen Augen und dem braunen Haar hatte stets ein offenes Ohr für sie. Wenn es ihm auch dank seiner vollen Lippen und dem charmanten Lächeln an Verehrerinnen nicht mangelte, hatte er immer alles stehen und liegen lassen, wenn sie ihn gebraucht hatte. Eben dieser Mann stieg nun von seinem Pferd und kniete nieder, den Blick flehend auf Eos gerichtet. Gern wollte sie ihm glauben, dass der Schmerz, den sie in seinen Augen erkannte, echt war, doch nach allem, was geschehen war, weigerte sie sich.

»Prinzessin, ich bitte Euch, kommt mit mir zurück in den Palast«, flehte er.

»Wagt es Euch nicht, mit mir zu sprechen, als seien wir uns noch nahe!«, erwiderte sie knurrend und voller Abscheu. Sie zog die Klinge aus ihrem Halfter, welche sie zu ihrem fünfzehnten Geburtstag von ihrem Vater erhalten hatte, und hielt sie sich an die Kehle, als er aufstand und vorsichtig näher an sie herantrat. Mit weit aufgerissenen Augen trat er zurück, die Hände beschwichtigend nach oben gehalten.

»Ihr seid nun frei, Prinzessin Eos, bitte, tut das nicht, ich flehe Euch an.«

Zitternd schüttelte sie den Kopf, bemüht, ihren Tränen nicht erneut freien Lauf zu lassen. Die Wahrheit war, sie wollte nicht sterben. Eos genoss ihr Leben in vollen Zügen, es war ihr Wunsch, die Welt zu erkunden, doch was brachte ihr all das, wenn ihr Geliebter dabei nicht an ihrer Seite war?

»Ich flehte Euch an, ihn zu verschonen, mir nicht zu nehmen, was ich so sehr liebte, doch es war Euch egal«, sprach sie und führte den Dolch an ihre Taille.

»Ihr seid noch nicht vollständig genesen, Euch ist nicht klar, was Ihr sagt.«

»Euch ist nicht bewusst, was Ihr angerichtet habt, aber schon bald werdet Ihr es erfahren.«

Eos ließ den Blick über die Steine gleiten. Legenden von einem Wesen, das über Leben und Tod verfügen konnte, wie es ihm beliebte, wurden im Laufe der Jahre weitergetragen. Geschichten, in denen es hieß, der Steinkreis sei das Zentrum seiner Macht.

Eos‘ Glauben war weitläufig, doch Magie hatte nie dazu gehört, bis heute. Denn wenn diese Mythen in der Tat wahr waren, bestand die Chance, ihn wiederzusehen. Sie war überzeugt davon, dass Hunter in einer anderen Welt auf sie wartete.

»Ihr habt mir meinen Liebsten genommen und nun, nehme ich Euch mein Leben.«

Johan versuchte, durch den Kreis zu treten, doch etwas hinderte ihn daran. Selbst sein Schwert schaffte es nicht durch die unsichtbare Barriere. »Leid und Verdammnis soll über Euch hereinbrechen, das Land wird dem Untergang geweiht sein. Ich, Eos Tirathea, schwöre, dass ich in einer anderen Welt wiedergeboren werde, gemeinsam mit meinem Liebsten.«

»Prinzessin!«, brüllte Johan.

»Durch Blut sind wir verbunden, und durch Blut …« Sie umfasste den Dolch so fest, dass es schmerzte, dann stieß sie zu. Das kalte Metall bohrte sich in ihre Eingeweide. »…werden wir sterben«, keuchte sie die letzten Worte.

Johans Schrei zerriss die Nacht.

Sie fiel auf die Knie.

Er wollte zu ihr, sie retten, doch die Macht des Steinkreises hielt ihn davon ab. Eos wusste, dass die Legenden der Wahrheit entsprachen, als sich zwei Hände um ihren Körper legten.

Ihr Herz schlug nun entspannter. Geborgenheit schlang ihre Arme um sie. Es war, als würde all der Hass und die Trauer von ihr abfallen und ins bodenlose Nichts stürzen.

»Ich habe Euren Ruf empfangen, Prinzessin«, flüsterte die Frau. Sie erkannte sie nicht, ihre Augen versagten ihr den Dienst. Dennoch nahm sie die roten Locken wahr, welche sich an ihre Wange schmiegte. Die junge Frau lehnte ihre Stirn gegen Eos. Die Hände des Todes griffen nach ihr, doch sie hatte keine Angst.

»Ihr seid die Hüterin«, stellte sie fest und schloss die Augen. »Ich erflehe Euren Beistand. Gewährt mir diesen Wunsch.«

Bis sie und Hunter sich getroffen hatten, war Eos das Gefühl der Verbundenheit fremd geblieben. Der Hüterin war sie nie begegnet, dennoch verspürte sie zu ihr eine unerklärliche Nähe. Lag es an ihrer überwältigenden Macht?

»Ich kann Euch nur einen Wunsch erfüllen, welcher soll es sein?«

»Schenkt mir ein neues Leben, lasst mich meinen Geliebten finden und mit ihm leben.«

»Dann sei es so. Werdet ein Teil von mir, findet Eure Liebe und kehrt zurück ins Leben. Auf dass Eure Reise erfolgreich sein wird.« Sie murmelte Worte einer Sprache, die Eos nicht verstand. Tiefer sank sie in den Schlaf, wissend, dass Hunter in einem anderen Leben auf sie warten würde.

Etwa zweihundert Kilometer östlich der heiligen Steine, in deren Mitte Tiratheas Prinzessin ihren Körper verlassen hatte, zwang die Druckwelle, die ihr Tod entsandt, einen Mann auf die Knie.

Jede Faser seines Körpers, sämtliche Nerven zogen sich schmerzhaft zusammen und übernahmen die Kontrolle über sein Wesen. Scharfe Fänge fuhren sich vollends aus, seine Pupillen weiteten sich, ehe sie wieder klein wurden. Die Iris, welche sonst in lebendigem Grau schimmerte, nahm ein leuchtendes Silber an. Er brüllte in den Himmel hinauf.

Die Druckwelle schwappte über ihn hinweg und presste ihn in die nasse Erde. Trauer vermischte sich mit unbändiger Wut, als er sich wieder aufrichtete.

All die Jahre hatte er sich um ihretwillen zurückgehalten, die Ritter des Königs nicht bekämpft. Das Königshaus hatte sie ihm genommen. Seine Geliebte war fort.

Obwohl er sich jahrelang verboten hatte, diese Art der Gefühle zuzulassen, füllten sich seine Augen nun mit Tränen, die ihm über die Wangen rannen, ohne dass er sie aufzuhalten vermochte.

Die Macht ihrer Verbindung wog tonnenschwer, floss durch seinen Körper wie flüssige Lava. Als rausche ihr Blut durch seine Adern, spürte er ihre Wärme. Sie riss an ihm, zwang ihn auf die Knie.

Sein Blut geriet in Wallung, wehrte sich mit aller Macht gegen das Reißen. Der Schmerz war fürchterlich und zerriss ihn innerlich in tausend Stücke. Er brüllte in die Nacht hinaus und als er dieses Mal zu Boden sank, war sie vollständig aus seinem Leib verschwunden.

Der Schmerz, der mit dem Trennen ihrer beider Seelen einherging, würde niemals enden. Während er es sich für den Moment erlaubte zu leiden, schwor Hunter Rache für ihren Tod.

Sie hatten keine Ahnung, welche Bestie sie entfesselt hatten, aber sie würden es herausfinden.

1.

Heute

Hunter

Den Boden unter ihm war kalt, als er vor dem König kniete und den Kopf so tief senkte, dass er diesen berührte. Aber das war ihm egal. Der Regent räusperte sich und Hunter schaute auf.

»Chevalier«, sagte er mit tiefer, aber sanfter Stimme.

»Mein König?«

»Wie du weißt, hat Prinzessin Sora das Schloss verlassen. Deine Aufgabe ist es, sie zu finden und zurückzubringen.«

Hunter war über das Verschwinden seiner Prinzessin informiert. Sie war, selbst wenn sie sich bemüht hatte, nicht vorsichtig genug gewesen, vor ihm zu verbergen, dass sie beschlossen hatte zu türmen. Ihm hatte sie gesagt, dass sie in die Stadt wolle und ein paar Tage bei einer Freundin nächtigen würde.

Hunter hatte sie befohlen, im Schloss zu bleiben. Sie sagte ihm nicht, wie lange sie fortbleiben würde, und dass er ihr nicht folgen dürfe, somit widersetzte er sich nicht ihrem Befehl. Die Blutsverbindung zu ihr teilte ihm mit, wie sie sich fühlte. Dennoch verließ er sich auf die Nase des Tieres in ihm, um herauszufinden, wo sie war.

»Natürlich. Ich werde mich augenblicklich auf die Suche nach ihr begeben«, sagte er und stand auf.

In seinen Adern spürte er ihre Angst vor dem Ereignis, welches in drei Monaten stattfinden würde. Sie wehrte sich zwar dagegen, doch ihr war klar, dass sie den Thron früher oder später besteigen würde, so wie auch all die anderen Prinzessinnen vor ihr.

Doch sobald man Sora die Krone aufsetzen würde, wären die Menschen hinter ihrem Leben her. Davor hatte sie solche Angst, dass sie aus dem Palast geflohen war und sich nun versteckte. Womöglich ahnte sie nicht einmal, dass sie sich damit in noch größere Gefahr begeben hatte, vor allem, da sie ihn zum Hierbleiben befehligt hatte. Sie wusste sich zwar durchaus durchzusetzen, trotzdem hatte sie gegen ihre Feinde nicht die geringste Chance.

Mit einem leisen Brummen schob Hunter die Gedanken beiseite, wandte sich von dem König ab und verließ den Thronsaal. Kinder, die ihre Gaben immerzu dem Palast schenkten, rannten lachend an ihm vorbei.

Die Sonne erleuchtete den Himmel, färbte ihn in sanftes Rosarot, ehe sie hinter dem Horizont verschwand und das Land der Dunkelheit überließ.

Ein Bataillon Ritter stand vor dem Schloss, als Hunter durch die Türen trat.

Sofort streckte er die Hand nach dem schwarz gebundenen Griff seiner Klinge aus, einem Katana, welches er nur einmal schwingen musste, um seinen Feind binnen Sekunden zu töten. Sie war sein ältester Freund … und sein einziger.

»Hunter.« Johan VI trat vor. »Wir werden euch begleiten«, sagte er im Brustton der Überzeugung. Seine Männer stimmten ihm mit einem Murmeln zu. Mit einem einzigen Blick brachte er sie alle zum Schweigen.

»Das ist nicht nötig, Krieger«, versicherte er seinem Gegenüber, nickte ihm zu und lief um die Armee herum, da hielt Johan ihn zurück.

»Sie ist unsere Prinzessin«, setzte er zur Erklärung hinterher, als wäre das nötig und würde etwas an Hunters Meinung ändern.

»Ich werde ihr ausrichten, dass Ihr auf der Suche nach ihr wart. Dennoch werde ich allein aufbrechen«, erwiderte er und senkte den Blick auf die behandschuhte Hand, welche auf seiner Schulter lag. Augenblicklich lösten sich die Finger von ihm.

»Wo werdet Ihr suchen? Wir brechen in die entgegengesetzte Richtung auf«, sprach er weiter.

Das Wort ‚aufgeben‘ kannten die Ritter nicht, vor allem nicht Johan, der wie Hunter jeden Tag seit ihrer Geburt an Soras Seite verbracht hatte. Hunter streckte die Nase in die Luft, um ihre Witterung aufzunehmen.

»Ich werde mich in Tirathea und Netare umsehen. Durchquert mit Euren Männern die Berge, den Wald und Lathia.« Ohne eine Antwort abzuwarten, lief er los.

Prinzessin Sora befand sich nicht in Tirathea, was Hunter nicht sonderlich überraschte. Hier würde man schließlich zuerst nach ihr suchen.

Blieb nur Netare, was hieß, dass sie ihm ihr Auffinden erschwerte. Dort würde er sie nicht vor Sonnenaufgang antreffen, bedachte man, dass die Stadt niemals schlief. Überall wurde gefeiert, getrunken und geraucht. Es stank nach Chemikalien und anderen Substanzen, die seinen Geruchssinn vernebelten.

Die Stadt war in Aufruhr. An jeder Ecke standen Menschen, die sich miteinander unterhielten.

Der Geruch von Alkohol und Dreck verpestete die Stadt und schnürte Hunter die Kehle zu, als er seine Nasenflügel weitete, um ihren Geruch auszumachen.

Ihm entgingen nicht die Blicke der Menschen. Jeder hier wusste, wer er war. Schon viele Male hatte er Sora hierher begleitet, beschützte sie, während sie sich dem Tumult und den Partys anschloss. Sie liebte das Nachtleben.

Hunter stellte schnell fest, dass er sie so niemals finden würde. Die Gerüche waren unmöglich zu sortieren, sodass er ihren nur schwer herausfiltern konnte. So suchte er nach einem geeigneten Ort und fand ihn wenige Meter weiter. Auf dem Hochhaus hätte er einen Blick über die ganze Stadt und die Luft war dort oben frischer.

Hunter verschwand in der dunkelsten Gasse, die er finden konnte, sah zu dem Gebäude auf, ehe er in die Hocke ging und wenige Sekunden später auf dem Dach des Hauses zum Stehen kam.

Kühle Luft schlug ihm ins Gesicht, wehte um seinen Körper. Mit einem tiefen Atemzug schloss er die Augen und suchte nach seiner Prinzessin. All seine Sinne konzentrierten sich einzig auf diese Aufgabe und blendeten Bedeutungsloses aus.

Sobald das Blut in seinen Adern sich erhitzte, wusste er, dass er sie gefunden hatte. Zwar war der Geruch von Zimt und Gras nur leicht wahrzunehmen, doch es würde reichen, um sie zu finden.

Sobald er die Erde wieder berührte, lief er los. Das Getümmel um ihn herum war fast zu viel für seine Ohren, während er nach Soras Stimme suchte. Die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst, folgte er ihrem Duft.

Es führte ihn tiefer in die Stadt, mitten ins Partyviertel, wo laute Musik und Bässe seine Ohren füllten. In der Nähe eines Clubs blieb er stehen, und beobachtete die Leute, welche sich am Eingang tummelten, darauf wartend, hineinzukönnen.

Sora war nicht zu sehen, aber der leichte Geruch nach Zimt führte ihn definitiv in das Gebäude. Er wartete in sicherer Entfernung darauf, dass die Schlange kleiner wurde.

Er mochte den Geruch der Menschen nicht.

Plötzlich schnappte er einen anderen Geruch auf und fing an, nach der Person zu suchen, zu dem er gehörte.

Tjara

Ihre Beine brannten und das lag nicht an den fünfzehn Zentimeter High Heels, die sie trug, sondern den zwanzig Minuten, die sie vor dem angesagtesten Club Netares darauf wartete, dass es endlich vorwärtsging. Die Schlange vor ihnen schien nicht kleiner zu werden.

Tjara seufzte, wodurch sie Maras Aufmerksamkeit auf sich zog, welche die letzten Minuten damit verbracht hatte, den Türsteher anzuschmachten.

»Gleich sind wir drin«, sagte ihre Freundin jetzt schon zum dritten Mal an diesem Abend.

»Das hast du vor fünf Minuten bereits gesagt«, erinnerte sie sie. Mara fegte den Einwand mit einer schlichten Handbewegung beiseite, die Tjara schmunzeln ließ. Sie ließ den Türsteher nicht aus den Augen, zwinkerte ihm zu und senkte dann gespielt schüchtern den Blick, wenn sich seine Lippen zu einem Lächeln verzogen. Tjara dagegen stand neben ihr wie ein Mauerblümchen und hielt den Blick auf den Boden zu ihren Füßen gerichtet, nur selten hob sie den Kopf. Genau das war der Grund, warum sie hier gelandet waren. Mara hatte darauf bestanden, mit ihr auszugehen und sie einem Kerl vorzustellen, der, wie diese sagte, ihre Welt auf den Kopf stellen würde.

Wenn sie mit ansah, wie Mara und dieser Sicherheitsmann sich verhielten, konnte sie ehrlich gesagt darauf verzichten. Ihre beste Freundin war alles andere als schüchtern und es vorzutäuschen, war doch lächerlich.

Sie kamen ein großes Stück weiter, sodass sie nun direkt neben dem Mann standen. Exakt drei Minuten und vierzehn Sekunden sah Tjara sich das Schauspiel noch an, bis sie sich auf die andere Seite drängte und Mara mit dem Hintern näher an den Sicherheitstypen schob.

»Was soll das?«, flüsterte ihre Freundin ihr zu.

»Du willst mit ihm reden, also tu es«, grunzte Tjara genervt und verschränkte die Arme vor der Brust. Allmählich drangen die laute Musik und der Bass bis in ihren Körper vor.

Mara gab ihre gespielte Deckung auf und unterhielt sich mit dem schwarz bekleideten, jungen Mann, bis sie endlich den Club betraten.

Die Vibration hallte durch ihren Körper und brachte ihn zum Erbeben. Ein Gefühl, dem sie nicht oft nachspürte. Obwohl es ihr fremd war, genoss sie es. Bunte Lichter flackerten wie wild durch den vollgestopften Raum. Die Hitze brachte sie augenblicklich zum Schwitzen.

»Na komm, zuerst zur Bar«, schrie Mara und zog Tjara an der Hand durch die verschwitzten Menschenmengen. Während ihre Freundin einen Marathon zur Theke hinlegte, sah sie sich um. Der Club war in verschiedene Abschnitte aufgeteilt. Auf ihrer Ebene gab es eine riesige Tanzfläche. Im hinteren Teil des Clubs, zumindest in dem Teil, den Tjara erfassen konnte, gab es Sitznischen. Einige davon waren durch einen Vorgang abgeschirmt. Oberhalb der Tanzfläche, getrennt durch eine mit Lichterketten besetzte Sperrvorrichtung, räkelten sich Frauen und Männer an Stangen. Tjaras Blick fiel auf einen blonden Tänzer. Sie glaubte zu sehen, wie er ihr zuzwinkerte, doch Mara lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich, bevor sie sich sicher war.

Sie bestellte bei der Barkeeperin zwei Wodka und schob Tjara einen der Shots zu.

»Auf dich. Darauf, dass dieser Abend ein voller Erfolg für dich wird, und du endlich in den Genuss des Lebens kommst.«

Augenverdrehend stieß Tjara mit ihrer Freundin an. Damit Mara nicht jetzt schon etwas zum Meckern fand, setzte sie an und stürzte den Fusel herunter, wobei sie sich verschluckte und das Glas über die Theke schlitterte. Wie hätte es auch anders kommen können, fiel es natürlich zu Boden und zerbrach. Seufzend vergrub Tjara das Gesicht in den Händen, bis sie sich erinnerte, dass Mara eine halbe Stunde für ihr Make-up benötigt hatte. Sofort ließ sie sie wieder sinken und schaute zu dem Mann, der sich daran machte, ihren Saustall aufzuwischen.

»Es tut mir so leid«, plärrte sie über den Tresen, doch er winkte nur ab und lächelte.

»Gehen wir tanzen?« Mara schrie ihr direkt ins Ohr. Das war der Grund, warum Tjara Clubs hasste. Es war zu laut, zu heiß und definitiv zu stickig. Doch das interessierte ihre beste Freundin nur wenig. Stattdessen sprang sie von dem Barhocker auf, verschränkte ihre Hand mit Tjaras und führte sie direkt zur Mitte der Tanzfläche.

Ihr war unbegreiflich, wie Mara es schaffte, sich in dieser Bullenhitze so zu bewegen, dass ihr Körper hin und her schwang. Tjara fiel schon das Atmen schwer, hier würde sie sich keinen Millimeter rühren können, geschweige denn tanzen.

Nicht, dass es anders wäre, befände sich niemand auf der Fläche. Je mehr Zeit verging, desto voller wurde es, bis Tjara die Lust verließ. Da Mara vollauf damit beschäftigt war, mit einem der Männer rumzumachen, die sich ihr genähert hatten, lief sie allein zurück zur Bar, wo sie sich ein halbwegs freies Plätzchen suchte.

Das Dragns Heavn war überall für seine Partys bekannt, es war der angesagteste Club der Stadt, wenn nicht sogar des ganzen Landes. Wer sich einmal hier eingefunden hatte, kam nur schwer wieder raus.

Frustriert ließ sie sich auf den Hocker fallen und strich sich die losen Strähnen hinter die Ohren. Obwohl ihr Kleid genug Haut zeigte, war ihr heiß. Auf der Suche nach einem Abenteuer hatte Mara sie hierher verschleppt, doch hier sah niemand auch nur annähernd danach aus, als könne er ihr Interesse wecken und das einzige, worauf sie große Lust verspürte, war ein Brunnen voller Wasser, in den sie sich kopfüber stürzen konnte.

Sie bemerkte die Frau, welche sich ihr näherte, erst, als sie Tjara einen Drink hinschob. Ihre lockigen, rotschwarzen Haare waren zu einem undefinierbaren Knoten gebunden, aus dem sich die Strähnen von allen Seiten lösten.

Sie trug ein schwarzes Spaghettiträger-Top, das mehr Haut zeigte, als es verbarg. Ihre dunkle Jeans war an den Beinen zerrissen und auf jeder freien Hautstelle prangte ein Tattoo. Die Frau wirkte wie aus der Gothic Szene, aber sie war schön.

»Du siehst aus, als könntest du Mut gebrauchen. Der geht aufs Haus.«

»Ich hätte lieber ein Glas Wasser.«

»Das glaube ich dir, trotzdem gebe ich dir einen Whiskey. Danach wirst du dich besser fühlen, vertrau mir.« Grinsend legte sie den Kopf schief.

»Das ist wirklich nicht nötig.«

»Süße«, sie lehnte sich über die Theke und gewährte Tjara einen vollen Ausblick auf ihr Dekolleté. »Wenn du dich zurückziehen und lieber allein sein willst, ist das hier der falsche Ort. Dass du hier bist, verrät mir, dass du auf weit mehr aus bist als das. Also nimm mein Geschenk an.«

Eines musste sie ihr lassen, sie konnte überzeugend sein. Als Mara sie gefragt hatte, hätte sie auch ablehnen und zuhause bleiben können, stattdessen hatte sie sich dazu entschieden, aus ihrer Muschel zu kriechen.

Nachdem sie tief durchgeatmet hatte, hob sie das Glas an ihre Lippen und kippte den Inhalt in einem Zug runter. Ihr Körper schüttelte sich, sie musste lachen.

»Gott, dass ist widerlich!«

»Und gleich noch einen.«

Obwohl es genug Männer gab, die um ihre Aufmerksamkeit buhlten, unterhielt sich die Barkeeperin mit ihr, bis zwei Hände Tjara ablenkten. Dass es sich hierbei nicht um Mara handelte, merkte sie erst, als ein blonder Schopf sich neben sie schob.

Blaue Augen sahen sie an, geschwollene Lippen verzogen sich zu einem strahlenden Lächeln. Der Mann war hübsch, wenn auch nicht ganz ihr Geschmack.

»Hey Schöne. Du sitzt ja ganz allein hier, kann ich dir ein wenig Gesellschaft leisten?«

Tjara erinnerte sich an den Kerl. Er war der Stripper, der ihr zu Anfang zugezwinkert hatte. So selten, wie sie trank, musste ihr der Alkohol wohl schon zu Kopf gestiegen sein. Nur so ließ sich erklären, warum sie sich auf dem Hocker zu ihm herumdrehte, die Lippen zu einem breiten Grinsen verzogen und nickte. Er nahm neben ihr Platz. »Ich bin Jasper, wie heißt du?«

»Tjara«, kreischte sie und fing an zu lachen. Oh Gott, sie war nicht mehr sie selbst. Ihre Augen glitten an Jaspers Körper entlang nach unten. Mittlerweile trug er Bluejeans und ein weißes Shirt. »Eben hast du mir besser gefallen«, kam es ihr über die Lippen. Schnell biss sie sich darauf. Jasper lachte. »Wenn du willst, gebe ich dir gern eine Privatvorstellung.«

Sie konnte nicht sagen, ob er es ernst meinte oder scherzte, also ignorierte sie die Aussage und deutete der Barkeeperin an, ihr einen weiteren Drink zu bringen. »Erzähl mir etwas über dich Tjara. Ich hab dich hier noch nie gesehen.«

»Das liegt bestimmt daran, dass ich normalerweise zuhause sitze und lese, statt mich in einem Club zu besaufen.«

»Es gibt immer ein erstes Mal. Dann solltest du diesen Abend richtig auskosten, komm.«

Jasper ließ ihr keine Zeit zum Antworten, stattdessen verschränkte er seine Hand mit Tjaras und führte sie zur Tanzfläche. Um sie herum schrien und sprangen die Leute zur Musik. Es war ein Auf und Ab schwitzender, stinkender Menschen, die keine Rücksicht aufeinander nahmen, und trotzdem störte es sie nicht. Jasper zeigte ihr, wie sie sich zu bewegen hatte und selbst, als sie ihm auf die Füße trat, hielt es ihn nicht davon ab, zu feiern. Seine gute Laune ging auf Tjara über. Bis sie sich plötzlich dabei ertappte, wie sie mit Jasper ein Lied nach dem anderen schmetterte, obwohl ihr die meisten Texte unbekannt waren.

Mara stieß zu ihnen. Tjara bemerkte, dass der Mann, welcher sie vorhin in den Club gelassen hatte, seine Hände um ihre Hüfte gelegt hatte und sich an sie schmiegte. Zum ersten Mal, seit Mara versuchte, sie in das Partyleben zu führen, fühlte sich Tjara dazugehörig. Sie stieß Jasper nicht von sich weg, als er es Mara und ihrem Verehrer nachtat und sich an sie schmiegte. Seine Hände führten sie. Tjara schloss die Augen, ließ die Musik ihren Körper vereinnahmen. Von allen Seiten kreischte man ihr ins Ohr, die Leuten feierten die harten, tiefklingenden Bässe.

Als sie die Augen öffnete, veränderte sich etwas. Statt Jasper gegenüberzustehen, starrte sie in ein Gesicht, das ihrem absolut identisch war. Die junge Frau sah ebenso überrascht aus wie Tjara, die schlagartig nüchtern wurde. Es war, als seien sie in der Zeit festgefroren. Sekunden verstrichen, wurden zu Minuten, bis sich Jaspers Gesicht wieder in Tjaras Blickfeld schob. Seine Hände, die sich eben noch so gut angefühlt hatten, wanderten jetzt wie Parasiten über ihren Rücken.

Sie erfasste die Menschenmenge um sich herum; Mara, die mit ihrem neuen Lover knutschte. Alles drehte sich, sie verlor das Gleichgewicht und taumelte. Bässe, die sie eben noch in eine angenehme Trance versetzt hatten, trieben sie nun runter von der Tanzfläche. Jemand rief nach ihr, Jasper, doch sie schaffte es nicht, zu atmen. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Gottverdammt, was trieb sie hier?

Bevor sie den Club verlassen konnte, zogen sie zwei Hände zurück. Jaspers besorgte Augen trafen auf ihre.

»Ist alles okay?«, wollte er wissen und zog sie an sich heran.

»Ich muss hier raus, ich kann nicht atmen!«

»Komm mit an die Bar, ich besorge dir etwas zu trinken.«

»Nein!«, sie riss sich von ihm los, als auch schon Mara angerannt kam. Es war so peinlich. Eben hatte sie noch genauso wild gefeiert und nun ekelte sie sich vor ihrem eigenen Körpergeruch.

»Willst du gehen?«, fragte ihre Freundin, doch sie sah in deren Gesicht, dass diese selbst keine große Lust dazu verspürte.

»Ich muss nur kurz an die frische Luft.« Sie lächelte ihr beruhigend zu und verließ den Club durch dieselbe Tür, durch die sie gekommen war.

Kühle Luft blies ihr ins Gesicht und ließ sie taumeln. Der Alkohol war ihr zu Kopf gestiegen und der immer noch kräftige Wind verbesserte ihre Lage keineswegs.

»Hey, ist alles in Ordnung?«

Jasper war ihr nach draußen gefolgt und beäugte sie voller Sorge. Tjara nahm einen tiefen Atemzug, zwang sich zu einem Lächeln. Auf keinen Fall würde sie wieder auf die Tanzfläche zurückkehren. Ja, für den Augenblick hatte sich diese Schwerelosigkeit himmlisch angefühlt, aber all das war nicht ihre Welt. Sie gehörte zu Mara.

»Bitte entschuldige. Das ist mir wirklich peinlich, aber ich denke, für heute bin ich fertig.«

»Du willst schon nach Hause?«

»Ich bin müde.«

»Okay, ich mache dir einen Vorschlag, wir gehen da wieder rein und setzen uns an die Bar. Wir werden uns einfach unterhalten und dann entscheidest du, wie dieser Abend zu Ende geht. Klingt das nach einem Plan?«

Obwohl es ihr widerstrebte, den Club ein weiteres Mal zu betreten, nickte sie und folgte Jasper bis an die Theke, wo er ihr ein Wasser orderte.

Zwar mussten sie sich anschreien, doch es tat gut zu reden, wobei ihr auffiel, dass er von Minute zu Minute näher an sie heranrückte.

Während Jasper ihr erklärte, warum er sein Geld mit Strippen verdiente, ließ sie ihren Blick auf der Suche nach Mara durch den Club streifen.

Ihre Aufmerksamkeit fiel auf eine in schwarz gekleidete Gestalt. In dem Moment, in dem der Mann aufschaute, hielt sie den Atem an. Er stand regungslos inmitten der tanzenden Menge und beobachtete sie mit einer solchen Intensität, dass sie sich nackt fühlte. Es war, als könne er in sie hineinsehen.

Tjara schaffte es nicht, den Blick abzuwenden. Obwohl sein Gesicht keinerlei Regung zeigte, entsandte seine Haltung eindeutige Signale. Er war gefährlich und eiskalt, ein unberechenbarer Krieger. Sie nahm sich die Zeit, ihn zu begutachten. Zwar konnte sie seine Augen inmitten der überfüllten Fläche und bunten Lichter kaum sehen, dennoch wusste sie, dass sie genauso fesselnd waren, wie seine gesamte Erscheinung.

Verlangen kroch durch ihren Körper, setzte sich fest und hielt sie im Griff. Es presste ihr die Luft aus der Kehle. Entgegen aller Vernunft zog der Fremde sie auf eine Art und Weise an, die sie bisher noch nie verspürt hatte. Als locke er sie allein durch die Macht seines Willens zu sich, glitt sie von dem Hocker. Ihre Beine bewegten sich wie im Alleingang, steuerten auf das schwarze Mysterium zu, ohne dass ihr Verstand nur die Chance hatte, ihr zu folgen.

Der Bann brach in dem Augenblick, in dem jemand nach ihr griff, sie zurückzog und herumdrehte. Jasper sah wenig erfreut aus.

»Wenn ich dich langweile, sag es mir bitte, statt einfach wegzugehen.«

Erst jetzt erlangte sie die Fähigkeit zu denken zurück. Blinzelnd kam sie zu Verstand und schaute sich verwirrt um.

Was zum Teufel war mit ihr geschehen?

»Tjara?«

»Bitte entschuldige, ich muss gehen.« Sie lief sofort los Richtung Ausgang. Ihr Kopf begriff nicht, was mit ihr passierte. Sie spürte das Kribbeln in ihrem Körper. Es war befremdlich und gleichzeitig willkommen. Selbst die frische Luft half ihr nicht. Tjara fühlte sich in ihrem eigenen Körper wie eine Fremde.

»Tjara?«

Vor Schreck hätte sie fast aufgeschrien. Mara hatte die Arme von hinten um sie geschlungen und ihren Kopf auf ihre Schulter gestemmt. Ihre Alkoholfahne drehte Tjara den Magen um, obwohl sie selbst stank. Der Uhrzeit nach war es sechs Uhr morgens. Sie hatten mehr als genug Stunden im Dragns Heavn verbracht, es wurde Zeit, den Heimweg zu bestreiten.

»Ich werde dir ein Taxi rufen«, ließ sie Mara wissen. Diese wurde kreidebleich.

»Ich glaub, ich muss kotzen.« Sie hatte den Satz kaum beendet, schon senkte sie den Kopf. Tjara sprang rechtzeitig beiseite, schnappte sich Maras Haare und hielt diese zurück.

Ein seltsames Gefühl versetzte sie in Aufruhr, so als würde sie beobachtet. Ihre Augen scannten die Gegend, doch es war niemand zu sehen.

»Ich will nach Hause«, murmelte Mara schließlich mit schwacher Stimme.

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie die Hauptstraße erreicht hatten. Der Taxifahrer, den Tjara herangewunken hatte, half Mara auf den Sitz. Nachdem sie ihm die Adresse genannt hatte, warf sie ihrer Freundin einen skeptischen Blick zu.

»Schreib mir, wenn du angekommen bist, damit ich weiß, dass es dir gut geht.«

»Klar doch«, säuselte sie und winkte ihr zu.

Tjara stieß ein Seufzen aus, sobald das Taxi losfuhr. Sie selbst war mittlerweile wieder halbwegs nüchtern. Der Alkohol und der stickige Club hatten ihren Hals ausgetrocknet. Das war der Grund, warum sie an dem Partyleben keinen Geschmack fand. Alkohol, der Kater am nächsten Morgen, und der zu lange Heimweg. Brummend hob sie die Hand, um sich selbst ein Taxi heranzuwinken, als sich von hinten ein Arm um sie legte und sie zurückzog.

Ehe sie schreien konnte, zerrte man sie in eine dunkle Gasse. Tjara spürte die kalte Wand hinter sich. Emotionslose, graue Augen begegneten dem Aquamarin ihrer eigenen und brachten sie zum Schweigen, ehe sie es schaffte, ihre Gedanken in Worte zu fassen. Ihr Herz hämmerte wie ein Presslufthammer, vor Panik und etwas anderem, das sich nicht benennen ließ.

Sie kannte diesen Mann, denn vor wenigen Minuten hatte er ihr schon einmal den Atem geraubt.

2.

Hunter

Das Erste, was ihm, dicht vor ihr stehend, klar wurde, war, dass es sich bei ihr nicht um Prinzessin Sora handelte. Das schwarze Haar reichte ihr bis zur Brust, der schlanke Körper glühte. Hunter trat näher an sie heran, schob einen Finger unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzuschauen. Ihre Wangen färbten sich rosa, ihr Herz schlug schneller, doch dieses Mal nicht vor Angst. Anders als Soras Augen waren ihre aquamarinfarben. Der Duft von Rosen und Meer breitete sich in seiner Nase aus. Seine Prinzessin roch nach Gras und Zimt.

Ja, sie sah Sora bis auf die wenigen Unterschiede zum Verwechseln ähnlich. Sie war nicht die Frau, die er suchte, wenn auch wunderschön.

Die Fremde starrte ihn an. Ihr Atem entwich ihr stoßweise.

»Bitte, habt keine Angst«, sprach er, als sie den Blick von ihm löste und zu Boden schaute. »Ich werde Euch nichts tun.«

Sie hob den Kopf und biss sich auf die Unterlippe.

»Wer sind Sie?«, wisperte sie.

Ihr Körper strahlte eine für Menschen unnatürliche Hitze aus, dennoch zitterte sie vor Kälte.

Verdammt, das hier hatte er nicht genug durchdacht. Sein Verstand hatte ihm bereits gesagt, dass es sich bei dieser Person nicht um Sora handelte, sichergehen wollte er trotzdem, wobei er sie erschreckt hatte.

»Niemand, den Ihr kennt. Bitte verzeiht meine Aufdringlichkeit.« Er ließ die Hand an ihrem Kinn sinken und trat zurück.

Das hier war reine Zeitverschwendung, mittlerweile konnte seine Prinzessin überall sein.

Hunter schaute nicht zurück, als er die Gasse verließ, um sich wieder auf die Suche zu begeben.

»Warten Sie!«, rief die weibliche Stimme.

Er dachte nicht daran, sich umzudrehen oder gar stehen zu bleiben, denn es galt, keine Zeit zu verschwenden. »Bitte, warten Sie!«, rief sie jetzt lauter und zog damit die Aufmerksamkeit einiger Umherstehender auf sich. Sie hatte keine Ahnung, in welche Gefahr sie sich begab.

In Gedanken hakte er die Orte ab, an denen er nicht nachzuschauen brauchte und kam zu dem Schluss, dass Sora nur in den Bergen sein konnte. Das hieß, die Ritter des Königs würden sie zuerst finden, wenn er nicht schnell genug war.

Scharfe Nägel bohrten sich in seinen Arm und zogen ihn zurück. Hunter drehte sich herum.

»Gehen Sie nicht einfach weg, bitte«, flehte die Frau verzweifelt. Ihr schmales Gesicht war leichenblass, zudem roch sie nach Alkohol.

»Folgt mir nicht«, sagte er in strengem Ton und löste sich aus ihrem Griff. Doch anstatt seine Hand loszulassen, umschlang sie diese.

»Sie drehen sich.«

Kaum hatte sie den Satz beendet, schlossen sich ihre Augen und sie fiel ihm in die Arme.

Hunter schnaubte genervt. Für derlei Zeitverschwendung hatte er keine Zeit. Andererseits konnte er sie auch nicht einfach auf der Straße liegen lassen, während die Menschen ihn anstarrten. Grummelnd legte er eine Hand an ihren Rücken, die andere schob er unter ihre Beine und hob sie auf seine Arme.

Er wusste nichts über diese Fremde, daher blieb ihm nur, sie in ein Hotel zu bringen, sodass sie für die Nacht geschützt war. Danach würde er sie ihrem Schicksal überlassen.

Zeit zu verschwenden, passte nicht zu ihm. Hunter arbeitete präzise und immer nach Plan. Er wusste, wo sein Ziel war und wie er dorthin fand. Bisher war ihm nie etwas in die Quere gekommen.

Bis heute.

Seine zufällige Bekanntschaft schlief tief und fest, als er sie in das Hotelzimmer brachte und ins Bett legte. Sobald er die Frau zugedeckt hatte, zog sie die Decke bis zu ihrem Hals und seufzte leise im Schlaf.

Obwohl er längst hätte weg sein sollen, stand er immer noch neben ihr an dem Bett und starrte auf sie hinunter. Alles an ihr irritierte ihn.

Hunter gelang es nicht, zu widerstehen, er nahm neben ihr Platz und schob behutsam die verwirrte Strähne aus ihrem Gesicht.

Seine Finger wanderten über ihr Ohr, zu ihrem Kinn und stoppten dann an ihren Lippen.

Wer war sie? Was entging ihm hier?

Sie bewegte sich, dabei stieß sein Finger gegen ihre Lippen. Er zuckte zurück, sprang auf und drehte ihr den Rücken zu.

Was zum Teufel passierte hier?

Knurrend machte er einen Schlenker Richtung Tür und lief los, da stöhnte sie und strampelte sich von der Decke frei.

Er sollte gehen, musste weg, doch statt dem Befehl zu folgen, den sein Kopf entsandte, trat er erneut an sie heran und bedeckte ihren Körper.

Alles an dieser Frau war ein einziger Widerspruch. Ihre Existenz konnte nur eine Illusion sein und doch berührte er ihre Haut, hörte ihren Atem.

Sie war real.

Hunter lehnte sich gegen die Fensterbank, das kalte Grau seiner Iris auf die wehrlose Frau vor ihm gerichtet. Ihn übermannte das Bedürfnis, sich um sie zu kümmern, obwohl er wusste, dass es ihm verboten war.

Tjara

Sie fühlte sich geborgen. Als würde sie bewacht und beschützt, während sie schlief. Tjara hatte so etwas bisher nie verspürt und sie genoss es, bis die ersten Sonnenstrahlen ihr Gesicht berührten und sie sanft aus dem Schlaf glitt.

Tjaras Augen öffneten sich einen Spalt. Sie fühlte sich, als wäre sie einen Marathon gelaufen, zudem war ihr kalt und ihr Kopf pochte. Müde richtete sie sich auf und rieb sich die Augen. Durch den Alkohol hatte sie wie ein Baby geschlafen. Sobald Tjara sich an das grelle Licht gewöhnt hatte, schweifte ihr Blick auf der Suche nach einer Uhr umher.

Die cremefarbenen Gardinen erweckten als Erstes den Verdacht, dass hier etwas nicht stimmte, die dunkelrote Bettwäsche verstärkte diesen noch, aber erst der Mann, den sie in diesem Moment erblickte, bestätigte ihre Angst.

Das hier war nicht ihr Zimmer.

»Ihr seid wach.«

Seine Stimme ließ sie zusammenfahren. Er war kein Traum oder ein Gespenst, sondern eine lebende, atmende Person. Schnell zog sie die Decke enger um ihren Körper und rutschte so weit wie möglich von dem fremden Mann weg.

Ängstlich wagte sie einen Blick unter die Decke und atmete erleichtert aus. Sie war angezogen.

»Wer zum Teufel sind Sie, und wo bin ich?«, fragte sie und gab sich Mühe, nicht allzu panisch zu klingen, während sie aus dem Bett stieg.

Er unternahm keine Anstalten, auf sie zuzugehen oder zu antworten. Stattdessen starrte er sie einfach nur an. »Haben Sie mich entführt?«, sprach sie weiter und warf einen Blick aus dem Fenster. Ihr wurde schwindelig.

Tjara presste die Augen zusammen, als sie fiel. Statt jedoch Bekanntschaft mit dem Boden zu machen, wurde sie aufgefangen. Warme Hände legten sich um ihren Körper. Sie öffnete erst ein Auge, dann das andere, und sah sich nun dem Mann direkt gegenüber.

Geschehnisse der vergangenen Nacht spielten sich vor ihrem inneren Auge ab. Blitzschnell befreite sie sich aus seinem Griff und brachte so viel Abstand zwischen sich und den Fremden, wie der Raum es zuließ.

»Ihr müsst Euch nicht fürchten, ich werde Euch nichts tun«, versicherte er ihr mit ruhiger Stimme.

»Das würde jeder sagen. Sie haben mich ganz offensichtlich entführt und jetzt soll ich glauben, dass Sie mir nichts antun?«

»Ihr erinnert Euch an nichts mehr.«

Gab es noch etwas, woran sie sich erinnern sollte? Die Kopfschmerzen erschwerten es ihr, die vergangene Nacht vollständig heraufzubeschwören, aber sie erinnerte sich daran, Mara in ein Taxi gesetzt zu haben. Jemand hatte sie gepackt und in eine Gasse verschleppt, doch ab hier verblasste der Abend.

»Ihr seid ohnmächtig geworden«, ließ er sie wissen und kam näher, darauf bedacht, sich langsam fortzubewegen, als wäre sie ein verschrecktes Reh.

»Und Sie haben mich hierhergebracht?«

Es fiel ihr schwer, zu glauben, dass er ohne Hintergedanken den guten Samariter mimte. Doch sprach es für ihn, dass sie angezogen war und sich bis auf die dröhnenden Schmerzen in ihrem Kopf nichts anders anfühlte. Ihr Unterleib schmerzte nicht. Trotzdem schielte sie zu dem zerwühlten Bett und zwang ihren Kopf, sich an letzte Nacht zu erinnern.

»Ich habe Euch nicht angefasst.«

Erleichterung überfiel sie.

»Dann danke ich Ihnen für die Hilfe, aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen.«

»Ihr habt recht.« Sein Blick wurde kalt. »Ich hätte Euch auch einfach in der Dunkelheit liegen lassen können. Allerdings erschien mir das nicht der richtige Ort für Euch zu sein. Das nächste Mal werde ich einfach weitergehen.« Er klang weniger freundlich als zuvor, sogar wütend. »Das Zimmer ist bis Ende des Tages bezahlt. Geht, wann es Euch beliebt.« Damit drehte er sich um und verließ den Raum schnellen Schrittes.

Tjara biss sich auf die Lippe, kurz überlegte sie, ihm zu folgen und sich zu bedanken, doch der Geruch um sie herum hielt sie auf. Sie stank nach Alkohol und Schweiß. Seufzend verließ sie die Ecke, in welche sie sich zurückgezogen hatte, und beschloss, eine warme Dusche zu nehmen.

Sie hätte ewig unter dem heißen Wasserstrahl stehen können. Während sie wieder in das Partykleid stieg, ließ sie den gestrigen Abend Revue passieren, doch es war ausweglos. Die Sonne hatte sich schon vor einer Weile verkrochen. Frische Luft wehte ihr um die Ohren, sobald sie das Hotel verließ.

Sie war nicht weit gekommen, als ihr abermals die schwarze Gestalt ins Auge fiel. An der Hauswand lehnte der Mann, der sie gerettet hatte und starrte den Boden an, als suche er dort nach Antworten.

Sie war eigentlich davon ausgegangen, dass er nach seinem gereizten Abgang längst über alle Berge war. Zum Glück hatte sie sich getäuscht, so konnte sie ihm wenigstens danken.

»Hallo.« Vor ihm blieb sie stehen, die Hände in die Hüften gestemmt. Er schaute sofort auf. »Wie ich vorhin reagiert habe, war ziemlich grob und unfair von mir, von daher würde es mich freuen, wenn Sie mir die Chance geben, mich zu entschuldigen.«

»Das ist nicht nötig.«

»Dennoch, bei der Gelegenheit möchte ich Ihnen auch danken. Die Kosten für das Hotel werde ich Ihnen selbstverständlich zurückerstatten.«

Schon wieder sah er genervt aus. Ohne ein Wort der Erwiderung lief er los und ließ sie stehen. Fassungslos starrte sie ihm hinterher. Was war sein Problem?

»Jetzt warten Sie doch mal!« Da die High Heels ihre Füße letzte Nacht ziemlich strapaziert hatten, konnte sie darin kaum laufen, geschweige denn rennen.

In Windeseile hatte sie die Schuhe ausgezogen und lief los. Sich ihm praktisch vor die Füße werfend, kam sie zum Stehen. »Ich kenne nicht einmal Ihren Namen«, keuchte sie und strich sich die Strähnen hinter die Ohren, dann streckte sie die Hand nach ihm aus. »Ich bin Tjara.«

Der missbilligende Blick, mit dem er ihre Hand betrachtete, schüchterte sie nicht ein. Einige Minuten starrte er diese an, ehe er um sie herumlief. War es denn so schwer, ihren Dank anzunehmen?

Mein Gott, war der Mann empfindlich. »Bitte warten Sie, soll ich Sie vielleicht zu einem Kaffee einladen?«

Er hatte sie gehört, da war sie sich sicher, trotzdem lief er weiter, schaute nicht einmal zurück. Unhöflicher Bock. Was hatte er denn erwartet, wenn er eine Fremde in ein Hotel schleppte, nachdem sie umgekippt war? Natürlich dankte sie ihm dafür, dass er sie nicht ihrem Schicksal überlassen hatte, aber er konnte auch nicht erwartet haben, dass sie ihm freudig um den Hals fiel.

Kopfschüttelnd ließ sie die Arme sinken und lief los.

3.

In weiter Ferne, völlig unentdeckt, hockte sie und schaute zu den Männern hinunter, welche die Wälder seit Stunden absuchten. Ihre Flucht war zu unüberlegt gewesen.

Weder wusste sie, wohin ihr Weg sie führen würde, noch, was als Nächstes geschehen sollte. Blöd, wie sie war, hatte sie ihr Handy zuhause gelassen und obwohl inzwischen Stunden, wenn nicht sogar Tage vergangen waren - sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren - hatte er sie nicht gefunden.

Enttäuschung legte sich über ihr Gemüt, doch dafür blieb jetzt keine Zeit. Sie schob den mit reichlich Blättern bewachsenen Ast beiseite und beobachtete die Ritter.

»Sie ist bereits seit drei Tagen verschwunden und könnte überall sein!«, sagte einer der Krieger und stieß sein Schwert so fest in den Boden, dass die Klinge hin und her schwang.

Obwohl sie den Männern vertraute, schließlich war sie mit ihnen aufgewachsen, blieb Sora in ihrem Versteck. Die Ritter waren auf Befehl des Königs auf der Suche nach ihr, doch es waren nicht die Männer, um welche sie sich sorgte und wegen derer sie nicht herauskam, sondern die Menschen, die ihren Tod herbeisehnten. Der Thron hatte ihr Volk gegen sie aufgebracht, doch sie fürchtete sich vor allem davor, was passieren würde, sobald man ihr die Krone aufsetzte.

Bisher war es immer Hunter gewesen, durch den sie innere Ruhe gefunden hatte und die Kraft, all das durchzustehen.

Warum hatte sie ihn nur zurückgelassen? Das war mehr als dumm gewesen. Ihre Angst vor dem, was bald geschehen würde, hatte ihre Sinne benebelt und sie in diese verzwickte Lage gebracht.

Sora lehnte sich auf dem Stamm, den sie besetzte, zurück und seufzte. Diese verdammte Zeremonie hatte ihr Leben zerstört, dabei saß sie noch nicht einmal auf dem Thron. Sie betete darum, dass sie die Ausnahme aller bildete und nach der Krönung sie selbst bleiben würde, doch dafür bestand nur wenig Hoffnung. Ihre Familie war verflucht, anders ließ sich das Phänomen nicht erklären, und alles hatte mit Königin Zera angefangen.

Schon vor Monaten hatte Sora Aris angefleht, mit der Tradition zu brechen. Er sollte weiterhin herrschen. Das Volk liebte ihn. Doch er hatte ihr widersprochen, denn er war überzeugt davon, dass Sora eine ehrbare Königin werden würde.

Fest biss sie sich auf die Lippen, als ihr ein Schluchzen entkam und schloss die Augen. In Kindertagen hatte sie das Leben als Prinzessin Tiratheas genossen. Erst nach dem Tod ihrer Mutter hatte sich all das geändert. Ab jenem Tag hatte man sie zur rechtmäßigen Königin erzogen. Sie hatte gelernt zu stricken, zu reiten, zu herrschen, obwohl jedermann ahnte, dass sie nicht lange genug leben würde, um zu regieren. Das Volk würde nicht zulassen, dass eine weitere Regentin das Land in Chaos und Verderben stürzte.

Das Knacksen einiger Äste ganz in der Nähe riss sie aus ihren Gedanken.

»Teilen wir uns auf. Sucht den gesamten Wald ab, wenn nötig, klettert auf jeden Baum!«, befahl Johan direkt unter ihr.

Der Anführer der Ritterschaft stemmte die Hände in die Hüfte. »Jeder, der sich uns in den Weg stellt, wird auf seinen Platz verwiesen. Wir werden die Wälder erst verlassen, wenn wir sie vollständig abgesucht haben, habt ihr mich verstanden?«

Die Ritter pflichteten ihm bei und verstreuten sich. Erst als das letzte Knacken verklungen war, kam Sora aus ihrem Versteck. Hier würde sie nicht lange unentdeckt bleiben. Aris war in Kindertagen oft mit ihr auf die Jagd gegangen und sie erinnerte sich an den Wasserfall, welchen er ihr damals gezeigt hatte. Mit etwas Glück würde sie den Weg dorthin finden, einen Versuch war es wert. Zudem war es der einzige Ort, an dem sie sich immer sicher gefühlt hatte.

4.

Hunter

Selbst auf dem höchsten Haus Netares konnte er ihren Geruch nicht aufnehmen. Es war, als sei Sora vollständig verschwunden, doch das war nicht möglich. Somit stimmte seine ursprüngliche Theorie, dass sie sich in dem an die Berge angrenzenden Wald aufhielt. Dort lebten genug Tiere, sodass es unmöglich war, ihren Geruch zu erschnüffeln, obwohl der einmalig war. Er hatte zu viel Zeit verstreichen lassen und das war nun die Konsequenz.

Es wäre ein Leichtes, Tjara, wie sie sich ihm vorgestellt hatte, die Schuld daran zu geben, doch es blieb eine Tatsache, dass Hunter selbst sich dazu entschieden hatte, ihr nicht von der Seite zu weichen, und Sora hatte nun unter seiner Entscheidung zu leiden. Dazu kam, dass seine Gedanken jede Sekunde um Tjara kreisten. Nicht, weil er sich zu ihr hingezogen fühlte, sondern weil sie ein menschliches Wunder war.

Hunter schob die Gedanken beiseite und stieß eine Reihe von Flüchen aus. Sobald er Sora fand, würde er sie ins Schloss zurückbringen, wo sie ihren Pflichten nachkam, und all das hier wäre vergessen.

Sobald er wieder die Erde berührte, begab er sich auf den Weg in Richtung Wald. Stimmen drangen zu ihm durch. Es waren circa vier Personen, die sich aufgeregt unterhielten. Auch wenn er sich nicht für Gespräche anderer interessierte, kam ihm der Inhalt vertraut vor.

Die Menschen sprachen über einen Club. An sich nichts Außergewöhnliches, bis sie das Hotel erwähnten, in dem er Tjara untergebracht hatte.

»Ich schwöre euch, es war eindeutig Prinzessin Sora«, sagte ein Mann aufgeregt.

»Und ich sage dir, dass das Unsinn ist!«, widersprach eine Frau genervt. »Meinst du nicht auch, die Prinzessin hat besseres zu tun, als in Clubs zu gehen und es sich in einem Hotel gemütlich zu machen, wenn sie ein Schloss hat?«

»Ernsthaft, William, da gebe ich ihr Recht. Du hast sie bestimmt nur verwechselt.«

»Ich erkenne doch wohl unsere Prinzessin«, knurrte dieser William genervt. »Aber mir war schon klar, dass ihr mir nicht glauben würdet, also habe ich ein Bild gemacht.«

Er zeigte ihnen offenbar den Beweis, denn die anderen keuchten überrascht. Verdammt. Ihm hätte nicht entgehen dürfen, dass man sie beobachtete.

»Sie sieht aus wie die Prinzessin, das gebe ich zu, aber sie ist es nicht. Heißt es nicht, jeder Mensch hätte einen Zwilling?«

»Dann werde ich es euch eben anders beweisen müssen«, erwiderte er.

Hunter wandte sich um und lief los. Er konnte sich schon ungefähr vorstellen, wie der Mann gedachte, seinen Verdacht zu bestätigen, und das hieß, Tjara war in Gefahr.

Eigentlich sollte ihm das egal sein, an erster Stelle für ihn stand Sora. Trotzdem brachte er es nicht über sich, sie ihrem Schicksal zu überlassen. Dasselbe Gefühl hatte ihn schon die letzte Nacht davon abgehalten, sie zu verlassen. Alles in ihm schrie, dieser Frau näher zu kommen, und er verstand es nicht. Es musste an ihrem Aussehen liegen, eine andere Erklärung fiel ihm nicht ein.

Was immer ihn dazu brachte, er hatte sie in diese Gefahr gebracht und er würde nicht zulassen, dass sein Versagen ihr Verderben herbeiführte. Entschlossen streckte er die Nase in die Luft. Es verstrichen Minuten, bis er ihren Duft auffing und ihm entgegenlief.

Tjara

Zuhause angekommen, stieg sie aus dem Kleid und ließ sich auf ihr Bett fallen. Der mysteriöse Mann spukte auch weiterhin durch ihren Kopf.