Tod in Jerusalem - Emil Vlajki - E-Book

Tod in Jerusalem E-Book

Emil Vlajki

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Beschreibung

Die meisten Menschen, die Roman in Palästina gekannt hatte, sind tot. Was ihn mit ihnen verband, war Liebe, Hass und Trauer. Seine Mutter Bea, die sich ein Leben lang für eine Aussöhnung zwischen Juden und Palästinensern einsetzte. Sein Adoptivbruder Assim. Seine Verlobte Olivia, die bei einem palästinensischen Terroranschlag ums Leben kam, ihr gemeinsames Kind unter dem Herzen. Keine Hoffnung nirgendwo? Vielleicht nur dann, wenn man einem jüdischen Sprichwort glaubt: vielleicht nur dann, wenn die Macht der Liebe die Liebe zur Macht übersteigt …

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Seitenzahl: 273

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Inhalt

IMPRESSUM 2

VORWORT 3

WIDMUNG 5

VORWORT DES AUTORS 6

KAPITEL EINS DER KAMPF UM DAS LAND 16

KAPITEL ZWEI DAS JÜDISCHE SCHICKSAL 87

KAPITEL DREI FRIEDENSSTIFTUNG ODER VERRAT 155

BIOGRAPHIE 231

IMPRESSUM

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2021 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99064-825-4

ISBN e-book: 978-3-99064-826-1

Lektorat: Volker Wieckhorst

Umschlagfoto: Emil Vlajki

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Deutsche Übersetzung: Jelena Gazarek, Gorana Koch, Grozdana Bulov

www.novumverlag.com

VORWORT

Nun ziehe ich umher, ohne Ziel und Sinn,

wie mit dem Stempel des Urfluches versehen,

von allen verlassen, vom Schicksal bestraft mit Qualen.

Nur manch Kind hält inne und sieht mich wunderlich an,

wenn Tränen mir im Gesicht erstrahlen.

Roman, eine tragische Person im palästinischen Umfeld und die Hauptfigur dieses Romans, ließ die Ereignisse, die sein Leben völlig aus der Bahn geworfen hatten, immer wieder Revue passieren. Er konnte nichts mehr ausrichten, denn es war alles bereits unwiederbringlich verloren. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass er durch das fortwährende Nachdenken über die Ereignisse ein Wunder herbeisehnen und alles wieder wie vorher sein könnte.

„Die meisten Menschen, die ich hier in Palästina gekannt habe“, dachte er bei sich, „und die mir besonders viel bedeutet haben – sind tot. Meine Mutter Bea ist tot, ebenso meine Verlobte Olivia, die unser gemeinsames Kind trug. Mein Adoptivbruder Assim und seine Eltern sind auch tot. Aaron, ein Mann, für den ich eine tiefe Hochachtung empfunden hatte, hat Bea und Assim getötet und wartet nun auf die Vollstreckung der Todesstrafe. Die Erkenntnis, dass ich, mittelbar und ohne es zu wollen, am Tod meiner Mutter und meines Adoptivbruders schuld bin, ist unerträglich.

Was würde Freud wohl daraus schließen? Er würde sicher sagen, dass ich unbewusst den Wunsch gehegt haben muss, dass meine Mutter und Assim aus meinem Leben verschwinden. Außerdem würde er ergänzen, dass ich meiner Mutter die Schuld an dem Tod meiner Verlobten Olivia gegeben und sie dafür innerlich gehasst habe. Und meinen Adoptivbruder Assim habe ich nur deswegen akzeptiert, weil meine Mutter ihn so sehr geschätzt hat. Im Umkehrschluss würde das aber bedeuten, dass ich Aarons Verbrechen in meinem Unterbewusstsein billige.

Diese Gedanken sind einem Menschen nicht zumutbar, sie zermürben meine Seele. Wie kann ich mir den Tod meiner eigenen Mutter gewünscht haben? Wie kann ich bloß zu ihrem Mörder halten? Sind mir ideologische Kämpfe etwa wichtiger als die Liebe zu meiner Mutter? Meine Mutter und mein Adoptivbruder haben sich für den Frieden in Palästina eingesetzt. Auf einer humanistisch-abstrakten Ebene hatten sie Verständnis für die palästinensischen Terroristen, die meine Verlobte getötet haben. Es kann nicht richtig sein, Terroristen zu rechtfertigen, doch meine Mutter und Assim wollten mit ihrer Haltung sicherlich niemandem schaden. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet meine Mutter und Assim, eine Jüdin und ein Palästinenser, deren einziges, aufrichtiges Ziel der Frieden in Palästina war, ums Leben gekommen sind.

Ich habe den beiden ihre Haltung sehr übel genommen. Das war aber wegen des unerträglichen Schmerzes, der mich seit dem Tod von Olivia und unserem ungeborenen Kind plagte. Bin ich deswegen vielleicht auch ein Verbrecher?

Auf die Frage, wie das alles eigentlich begann, finde ich keine klare Antwort. Den Hintergrund aller Ereignisse, so scheint es mir heute, bildet diese schicksalhafte Vorbestimmung der Juden und der Araber zu einer fortwährenden gegenseitigen Feindschaft. Wer aus irgendeinem Grund in dieses Jahrhunderte dauernde Todesspiel auf der einen oder anderen Seite hineingezogen wird, dem blüht sicherlich nichts Gutes.

Als ob das nicht genug wäre, endet dieses Todesspiel keinesfalls an den Grenzen von Israel und Palästina. Außerhalb lauern nach wie vor die Antisemiten, die Islamophoben und sonstige kleinkarierte Schwachköpfe, die ihren Lebenssinn darin finden, andere Menschen, allen voran die Juden, zu schikanieren, zu unterdrücken und zu hassen, weil sie sie für moralisch und auch sonst in jeder Hinsicht für unterlegen halten.

Unglücklicherweise gehöre ich durch Gottes Willen zu diesen ‚Nichtariern‘, was mich zu einem unfreiwilligen Mitspieler in dieser furchtbaren Tragödie macht.“

WIDMUNG

Meiner Mutter Belina Aschkenazi

VORWORT DES AUTORS

(Über humanere Alternativen und die Realität)

Es ist nie zu spät, vernünftig und weise zu handeln,

es ist nur schwieriger, wenn man erst spät

zu dieser Erkenntnis gelangt.

Der Ihnen vorliegende Text ist eine romanähnliche historische Chronik, die durch das Schicksal dreier Friedensaktivisten im israelisch-palästinensischen Konflikt erzählt wird. Es liegt wohl nahe, dass psychische und physische Gewalt im Mittelpunkt der Erzählung stehen. Darüber hinaus werden Begriffe wie Identität und Verrat thematisiert und moralische Dilemmata aufgezeigt, vor allem bei der Hauptfigur Bea. So fragt sich Bea immer wieder, ob sie das Recht habe, sich im „gelobten Land“ niederzulassen und dort zu leben. Dabei beginnt die Geschichte im Jahr 1947 in Palästina unter der britischen Mandatsverwaltung und setzt sich im selben Raum fort, der von ständigen Kriegen und Waffenruhen zwischen Juden und Palästinensern geprägt ist, in welchen kleine, mittelgroße und große Mächte immer wieder assistieren. Die Geschichte endet tragisch für alle, die sich aufrichtig für den Frieden in dieser Region einsetzen.

Bevor wir mit der eigentlichen Erzählung beginnen, möchte ich zunächst einige Begriffe erläutern. „Palästina“ bezeichnet in der neueren Geschichte das britische Mandatsgebiet Palästina von 1922 bis 1948. Das Mandatsgebiet Palästina umfasste ursprünglich das heutige Israel, das palästinensische Autonomiegebiet und Teile des heutigen Jordanien. Transjordanien, das Gebiet östlich des Flusses Jordan, wurde bereits im Jahre 1923 abgetrennt, und seitdem ist der heutige politische Begriff Palästina etabliert, mit dem das Gebiet westlich des Jordans, das rund 20 % des ursprünglichen Völkerbundmandats Palästina ausmacht, bezeichnet wird.

Gebildete jüdische Einwanderer als Chance für den Fortschritt

In den Vierzigerjahren des letzten Jahrhunderts war Palästina eine unterentwickelte Region mit feudalem Charakter. Die durch den Aufstieg des Nationalsozialismus bedingte Einwanderung der Juden aus Mittel- und Osteuropa, die meist überdurchschnittlich gebildet waren, hätte im Grunde nur einen Fortschritt bewirken können. Um Haaresbreite wäre die Geschichte auch so verlaufen. Die Vereinten Nationen legten für das verbliebene britische Mandatsgebiet Palästina im Jahr 1947 einen Teilungsplan vor, nach dem ein jüdischer und ein arabischer Staat hätten entstehen sollen. Der jüdische Staat Israel erhielt durch den Teilungsplan rund 15.000 Quadratkilometer Land, das zur Hälfte aus der Wüste Negev bestand. In diesem Staat war der Anteil der jüdischen und der arabischen Bevölkerung ungefähr gleich groß.

Angesichts der demografischen Expansion der arabischen Bevölkerung wäre eine mehrheitlich jüdische Bevölkerung in diesem Land wohl kaum möglich, es ist sogar fraglich, ob ein solches Israel überhaupt überlebensfähig gewesen wäre. In direkter Nachbarschaft hätten sich der Staat der palästinensischen Araber sowie andere arabische Länder befunden. Es liegt auf der Hand, dass die Juden aufgrund einer solchen Sachlage zwar einen zivilisatorischen Einfluss hätten ausüben können, jedoch keinesfalls in der Lage gewesen wären, eine expansionistische Politik zu betreiben.

Doch es geht immer auch anders. Man hätte etwa sagen können: „Was gehen uns die gebildeten Juden oder der Holocaust und die Nazis an? Die Juden haben einfach kein Recht, sich hier auf fremdem Land niederzulassen.“ Genau dies geschah, und die Geschichte nahm in der Folge ihren Lauf.

Palästina war seit jeher ein Verwaltungs- und kein Nationalgebiet

Die Frage von Recht und Unrecht kann jedenfalls auch aus diesen Gesichtspunkten betrachtet werden:

Auf dem Gebiet von Palästina existierte damals kein Staat oder staatsähnliches politisches Gebilde.In Palästina stellten die Juden seit jeher rund 10 % der Bevölkerung dar.Die Besiedelung solcher Gebiete ist in der neueren Geschichte keine Seltenheit (Australien, Amerika).Die damalige mehrheitliche Bevölkerung Palästinas definierte ihre Identität als arabisch und nicht als palästinensisch.Selbst die politischen Vertreter einiger arabischer Staaten, wie z. B. Saudi-Arabien, Jordanien und Syrien, leugneten die Existenz von Palästina.In der Welt wurde jahrzehntelang über palästinensische Flüchtlinge berichtet, während palästinensisches Volk noch kein Begriff war.Die Juden fanden, dass sie ein historisches Anrecht hatten, sich auf diesem Gebiet niederzulassen, denn das war ursprünglich ihr Land, bevor sie vor rund 2.000 Jahren von den Römern vertrieben wurden – dies allerdings unter der Voraussetzung, dass den palästinensischen Arabern kein Nachteil daraus erwuchs.Daraus ergibt sich die Kernfrage, nämlich: Wie viel Zeit darf vergehen, damit ein vertriebenes Volk das Recht behält, in das eigene Land zurückzukehren bzw. wie viel Zeit muss vergehen, damit das betreffende Volk das Recht auf die Rückkehr in die Heimat verliert?

Militärische Interventionen der arabischen Länder – ein wiederholtes Eigentor

Es gibt in der Geschichte Palästinas vielschichtige Themen, die es zu beleuchten gilt. Doch ich will hier insbesondere auf einen wesentlichen Faktor eingehen, nämlich auf die Reaktion der arabischen Welt auf den UN-Teilungsplan. Wären die arabischen Staaten damals vernünftiger (geschweige denn humaner) gewesen, so hätten sie das durch den Plan vorgesehene Israel ohne Säbelrasseln und Drohgebärden akzeptiert. Schließlich war das Land aufgrund seiner Größe und Bevölkerungsstruktur für sein Umfeld völlig unbedenklich. Eine solche Entscheidung wäre zum Vorteil aller gewesen, sowohl der jüdischen als auch der arabischen Bevölkerung.

Doch der Teufel bzw. Scheitan, wie auch immer, ließ den Arabern keine Ruhe. Als im Jahr 1948 der Staat Israel ausgerufen wurde, fielen noch am selben Tag fünf arabische Länder mit ihrem jeweiligen Heer in das Land ein, in der Absicht, dieses UN-Gebilde zu vernichten. Fast wäre ihnen dieses Vorhaben auch gelungen, doch gleichzeitig war es von vornherein zum Scheitern verurteilt. Dies vor allem deswegen, weil es für die Juden, die vor der Verfolgung durch die Nazis geflohen oder nach dem Krieg als Holocaustüberlebende nach Palästina gekommen waren, keinen anderen Ausweg gab, als für ihr Überleben zu kämpfen. Sie führten einen verbitterten und scheinbar aussichtslosen Kampf gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Feind und gewannen dadurch die Sympathien der ganzen Welt.

Auf der anderen Seite kämpften die nicht vereinten arabischen Kräfte für ein Land, das nicht das ihre war, sie waren unmotiviert für diesen Kampf, und das Schicksal der arabischen Bevölkerung Palästinas war ihnen ebenfalls egal. Die palästinensischen Araber waren die Einzigen, die eigentlich hätten kämpfen sollen, doch sie hatten keine ausgeprägte nationale Identität, und es mangelte ihnen an Organisation. Fast ohne Widerstand zu leisten, wurden sie zu Flüchtlingen, und die ganze Welt behandelte sie jahrzehntelang als solche.

Die Folge dieser unüberlegten arabischen Intervention war, dass Israel sein Territorium im Vergleich zum UN-Teilungsplan um 40 % vergrößerte und auch Westjerusalem einnahm.

Im Jahr 1967 wiederholte sich die Geschichte, ohne dass man daraus gelernt hatte. In der Überzeugung, militärisch deutlich stärker als Israel zu sein, provozierten die arabischen Länder einen Krieg, der durch die rundum propagierte Absicht „die Juden ins Meer zu werfen“(sic!)angeheizt wurde. Die Folge: Israel eroberte auch Ostjerusalem, das Westjordanland und die strategisch wichtigen Golanhöhen in Syrien – Gebiete, die sich bis heute unter israelischer Kontrolle befinden.

Die politisch-militärischen Schritte der arabischen Länder waren sowohl 1948 als auch 1967 gelinde gesagt höchst seltsam. Deren Folgen waren nicht zugunsten der Palästinenser, sondern eigentlich zu ihrem Schaden, fast so, als hätten die arabischen Länder im Auftrag der CIA und nicht in eigenem Sinne gehandelt. Die palästinensischeNakba(zu Deutsch: Katastrophe) besteht nicht nur in der Flucht und Vertreibung der arabischen Bevölkerung Palästinas infolge des Krieges 1948, sondern vielmehr in der schändlichen Rolle, die die arabischen Staaten in dieser Tragödie gespielt haben und immer noch spielen.

Allen voran ist dabei der damalige Emir von Transjordanien, Abdallah ibn Husein, zu nennen, der die palästinensischen Araber verriet, indem er während des Krieges 1948 mit Unterstützung der Briten mit der israelischen Politikerin Golda Meir Verhandlungen über eine Teilung Palästinas führte und einen Großteil des britischen Mandatsgebiets Palästina seinem Königreich Jordanien einverleibte. Aus diesen Gründen fiel er bereits im Juli 1951 einem Attentat zum Opfer.

Möglicherweise ist es aber auch so, dass jemand es so wollte und immer noch will, dass Palästina ein Dauerkriegsherd bleibt und dort niemals Frieden einkehrt, unabhängig davon, was die Juden oder die Araber auch tun.

Die Palästinenser als Zukunftsträger in der arabischen Welt

Die fürchterlichen Folgen der Kriege für die arabische Bevölkerung Palästinas haben auch einige positive Entwicklungen begünstigt:

Bei den damaligen Flüchtlingen bildete sich eine eigene Identität heraus, und sie wurden zum palästinensischen Volk, was zum Teil dadurch bedingt war, dass die Gegenseite, vor allem Israel, ihre Existenz leugnete.Nachdem sie vor rund 2.000 Jahren von den Römern aus ihrem Land vertrieben worden waren, mussten die Juden, in der ganzen Welt zerstreut, für ihr nacktes Überleben kämpfen und wurden notgedrungen zu richtigen Lebenskünstlern. So ähnlich wurden die Palästinenser in der größten Not zu jenem Volk, das die höchste Bildung unter den arabischen Völkern aufweist. 97 % der Palästinenser können gut lesen und schreiben. Aus dem palästinensischen Volk sind Intellektuelle wie Edward Said (Literaturtheoretiker und Aktivist), Ghada Karmi (Medizinwissenschaftlerin, Gelehrte und Schriftstellerin), Emil Habibi (Schriftsteller und Politiker), Ibrahim Nasrallah (Dichter, Schriftsteller, Politiker), Areen Omari (Schauspielerin und Produzentin) u. v. a. m. hervorgegangen.

Das weitere Schicksal der Palästinenser wird in großem Maße davon abhängen, ob sie wahrhaftig selbstständig werden, d. h. ob sie die Fäden in die eigene Hand nehmen und aufhören, als Marionetten der arabischen Länder zu fungieren. Doch selbst wenn sie das tun und eigenständig entscheiden, was sie für das Beste halten, wird die Zukunft der Palästinenser ungewiss bleiben, denn alle Bemühungen und Errungenschaften dieses Volkes werden zunichte sein, wenn ihm Israel und die globalen Großmächte die Gründung eines eigenen Staates Palästina nicht ermöglichen.

Die vorliegende Erzählung – ein blutiges Märchen

Doch kehren wir zu der eigentlichen Geschichte zurück, die ohne Übertreibung als ein „blutiges Märchen“ bezeichnet werden könnte.

Im vorliegenden Roman wird das Schicksal dreier Hauptfiguren verfolgt, der Jüdin Bea sowie ihrer Söhne Roman und Assim. Bea ist die Schlüsselfigur der Erzählung, Beas leiblicher Sohn Roman ist väterlicherseits kein Jude, was er oft und gerne betont, jedoch handelt er oft ganz anders. Assim ist Beas Adoptivsohn, ein Palästinenser, den sie vor dem sicheren Tod im Krieg rettet.

Im ersten und zweiten Teil der Erzählung wird das Heranwachsen von Roman und Assim behandelt, das voller Gewalt und großer Traumen ist. Im dritten Teil kommen die beiden rund zwanzig Jahre später mit Bea in Jerusalem zusammen, wo sie gemeinsam zu Protagonisten eines tödlichen Dramas werden.

Die Hauptfiguren dieses Romans stellen ihre nationale und religiöse Identität zugunsten der Humanität in den Hintergrund. Es handelt sich um drei unverbesserliche Idealisten, die sich und andere in erster Linie als ebenbürtige Menschen sehen. Sie streben nach Frieden und Liebe und sind bereit, gegen Ungerechtigkeiten jeder Art entschlossen vorzugehen. Schließlich gehen sie an diesem nicht enden wollenden, gewaltsamen Konflikt körperlich und geistig zugrunde.

Denn die Zeit und die Umstände tun ihren Teil …

In diesem Roman wird, vor allem im dritten Kapitel, ein wahrhaftig biblisches, alttestamentarisches, brutales Bilderbuch des Todes gemalt. Bea rechtfertigt unvorsichtigerweise die Verbrechen der arabischen Fanatiker und macht sich auf diese Weise am Tod von Olivia, Romans Verlobte, die in einem Terrorangriff getötet wird, moralisch mitschuldig. Roman ist psychisch labil und trägt mittelbar einen Teil der Verantwortung für den gewaltsamen Tod von Bea und Assim. Beas bester Freund Aaron tötet Bea und Assim und wird selbst deswegen zum Tode verurteilt.

Durch die Handlung zieht sich eine Reihe von Terroranschlägen, deren Opfer sowohl Juden als auch palästinensische Araber sind.

Dadurch kommen wir nun zum vielleicht zentralen Problem dieses Dramas, nämlich der Frage des Verrats.

Hat Bea durch ihre persönlichen Dilemmas und ihre politischen Bestrebungen, die von Israel 1967 eroberten Gebiete im Austausch für Frieden abzutreten, ihr Land verraten? Israel wäre ohne diese Gebiete tatsächlich sehr verwundbar und von physischer Zerstörung bedroht.

Hat Beas Sohn Roman seine Mutter und die universale Vorstellung von Frieden und Toleranz verraten, als er sich gegen die Abtretung der eroberten Gebiete aussprach?

Hat Bea ihren Sohn verraten, weil sie für den Terrorismus der palästinensischen Araber Verständnis zeigte, obwohl die Verlobte ihres Sohnes in einem Terrorangriff getötet wurde?

Auch wenn wir Verrat und Loyalität und die beschriebenen Tragödien beiseitelassen, so stellt sich weiter die Frage, was die Hauptfiguren dieses Romans eigentlich antreibt. Gewiss hätten sie wissen müssen, dass eine Liebe zwischen einer Jüdin und einem Araber (und umgekehrt) in Palästina kaum eine Chance gehabt hätte. Es muss ihnen klar gewesen sein, dass die Wahrscheinlichkeit viel größer war, dass die Konflikte, der Hass und die Gewalt immer größere Ausmaße annehmen würden. Oder etwa nicht?

Wozu dann dieser Roman?

Weil diese Geschichte, genauso wie unzählige andere, sich in den seit Menschengedenken stattfindenden Kampf zwischen Gut und Böse fügt. Es gibt Menschen, die erkennen und verstehen alles, was um sie herum geschieht, sie haben ihre Zweifel, und trotzdem zögern sie kein bisschen, wenn es hart auf hart kommt. Selbst wenn alles aussichtslos scheint, geben sie ihren Wunschtraum nicht auf, sie kämpfen für ihre Ideale, ohne Rücksicht auf mögliche Konsequenzen. Es gibt Menschen, die sind aus solchem Holz geschnitzt. Daher ist es so, dass, unabhängig davon, wie mächtig das Böse ist und wie lange es herrscht, das Gute früher oder später obsiegt.

Hinweise zum Roman:

Die historischen Ereignisse, die in diesem Roman Erwähnung finden, wurden aufgrund umfangreicher Studien der Fachliteratur, Dokumente und Schriften beschrieben. Insbesondere wurden Werke folgender Autoren herangezogen: M. Baletić, Theodor Herzl, Hajrudin Somun, Simon Dubnow, Simon Montefiore, David K. Shipler. Des Weiteren wurden biblische Texte, Memoiren von Heerführern sowie geprüfte mehrsprachige Internetquellen zu historischen Themen herangezogen. Aus den Quellen stammende Texte sind in Kursivschrift dargestellt, sofern sie nicht in die Romanhandlung mit einbezogen wurden. Einige Seiten wurden aus dem Roman des Autors mit dem Titel „Genozid“ übernommen.

Ebenfalls erwähnt werden sollte, dass bei manchen historischen Ereignissen im Roman der Ort und die Zeit bewusst geändert wurden. Einige im Roman beschriebene Ereignisse sind rein fiktiv und dienen dem Aufbau der Spannung, auch wenn sie durchaus in das Gesamtbild der Lage passen.

Insgesamt handelt es sich beim vorliegenden Buch klarerweise um einen Roman, also um eine Fiktion, die ihren Schwerpunkt in der Symbolik und nicht in einer wahrheitsgetreuen Wiedergabe der Ereignisse und Tatsachen hat.

Denn nichts muss notwendigerweise richtig sein, um wahr zu sein, und alles kann richtig sein, ohne dabei wahr zu sein.

Der Roman besteht aus drei Kapiteln:

Der Kampf um das Land

Das jüdische Schicksal

Friedensstiftung oder Verrat

Alle im Roman enthaltenen Verse, die von alttestamentarischen Motiven und Shakespeare inspiriert sind, stammen aus dem Gedichtband des Autors mit dem Titel „Lutajući Žid“ (Der umherirrende Jude), Belgrad 2014.

KAPITEL EINS DER KAMPF UM DAS LAND

***

Der seit einem Jahrhundert andauernde, erbarmungslose Konflikt zwischen den Juden und den Arabern birgt auch einige Widersprüchlichkeiten und völlig naive Situationen, die die berechtigte Frage nach dem Sinn und der Bedeutung dieser Feindseligkeiten nahelegen.

Zu einer solchen Situation kam es eines Tages auf der syrischen Front, während sich die Soldaten beider Kriegsparteien ausruhten. Die Syrer waren auf einer Anhöhe und hatten einen guten Überblick über das, was unten vor sich ging. Die jüdischen Soldaten ruhten sich aus und zogen ihre Schutzwesten und Helme aus, was gegen die Regeln verstieß. Als die Syrer bemerkten, dass sich die Offiziere des Hauptquartiers mit dem Jeep dem jüdischen Posten näherten, warnten sie die jüdischen Soldaten mit lauten Rufen. Einige jüdische Soldaten, die Arabisch sprachen, verstanden die Warnung. Rasch zogen alle ihre kugelsicheren Westen an und setzten die Helme wieder auf, sodass sie ihre Vorgesetzten in vorschriftsmäßiger Montur erwarteten.

1.

Die israelische Regierungschefin Golda Meir wurde bei einer Gelegenheit gefragt, welches Ereignis in ihrem Leben sie entscheidend beeinflusst hatte, Amerika zu verlassen und nach Palästina zu emigrieren. Darauf gab sie eine etwas vage, eher philosophische Antwort: „In meinem inneren Wesen war ich schon immer in Palästina. Ein konkretes Ereignis, das mich dazu bewogen hätte, in mein Vaterland zu reisen, hätte jedes beliebige sein können, denn ich wäre ohnehin früher oder später nach Palästina gekommen. Ich gehöre zu einem Volk, dessen Schicksal vorbestimmt ist. Was immer ich auch tue, wo immer ich mich bewege, bleibe ich immer im Rahmen meines biblischen Erbes.“

Es ist, so scheint es, eine jede Sache bzw. Person einfacher, als das Wesen des jüdischen Volkes zu begreifen, denn alles verkompliziert sich, wenn es sich um die Juden handelt. Selbst harmloseste Ereignisse nehmen alttestamentarische Ausmaße an. Was wären denn die Juden ohne Gott und das Bündnis mit ihm, ohne Adam und Eva, ohne Abraham, die Sintflut, Moses und die zehn Gebote, ohne David und Goliath, Salomo, Simson und Delila, ohne den ersten und den zweiten Tempel, ohne Pogrome, den Holocaust und die fürchterlichen Vorurteile über dieses Volk?

Gänzlich unbegreiflich für Außenstehende ist obendrein der unerschöpfliche Trieb der Juden zur Rückkehr in das von Gott „verheißene Land“.

Im Laufe der Geschichte hatten nämlich Hunderttausende Juden, die in der Welt zerstreut gelebt hatten, manchmal auch völlig ohne Grund und Anlass, ihre Heime, die sie über Jahrhunderte bewohnt hatten, verlassen, um sich an einem einzigen Ort auf der Erde, nämlich im Eretz Israel, niederzulassen.

Der unnachgiebige Wunsch zur Rückkehr ist bei diesem Volk ein Jahrtausendtraum, für dessen Verwirklichung kein Opfer, auch nicht das eigene Leben, zu groß ist. Dieser Traum ist ein Teil der Hoffnung, die mit dem traditionellen Abschiedsgruß „Nächstes Jahr in Jerusalem“ als kollektives Gebet ausgedrückt wird.

Die jüdische Besiedelung dieses Erdteils löste naturgemäß großen Widerstand der lokalen arabischen Bevölkerung aus.

Bea hatte den gleichen Traum wie Golda Meir, und sie verfolgte ihn in ihrem Leben, das sie zum Teil in Palästina verbrachte. Daher scheint es zweckmäßig, hier einen kurzen Rückblick in die Geschichte zu machen, um zu erfahren, wie die biblische Region des alten Israel den Namen Palästina, der über Jahrhunderte erhalten blieb, bekommen hatte.

***

Vor rund zweitausend Jahren versuchte Rabbi Akiba, der größte jüdische Gelehrte seiner Zeit, seinen Freund Simon bar Kochba, Sohn des Sterns, mit all seiner Leidenschaft davon zu überzeugen, dass die Zeit für einen Aufstand gegen die Römer reif war.

„Wir schreiben das Jahr 132. Es sind bereits 70 Jahre seit dem Aufstand von Schimon bar Giora (dem Starken) vergangen, der gegen den römischen Kaiser Titus Jerusalem verteidigt hat und später in Rom hingerichtet wurde. Die Römer unterdrücken und demütigen uns auf jede nur erdenkliche Art. Die meisten Juden leben weltweit zerstreut, und wir sind nicht mehr viele. Die Römer wollen uns mit ihren Steuern aushungern, sie verspotten unseren Glauben und zerstören unsere Tempel. Du bist ein Zelote, ein Kämpfer, das Volk liebt dich und vertraut dir. Wenn du dich nur dazu entschließt, werden sie zu dir stehen und die Römer und ihren Kaiser Hadrian vertreiben. Wir haben nichts mehr zu verlieren, außer Ketten, welche uns die Römer angelegt haben.“

„In Ordnung, mein Freund, wir werden uns erheben, aber auch du musst dich klar zum Aufstand bekennen.“

„Das ist wohl selbstverständlich.“

Zwei Jahre später, im Jahr 134, spricht Bar Kochba zu Rabbi Akibi: „Wir haben es geschafft. Wir haben die Römer vertrieben. Das Volk ist uns zugeneigt. Wir haben Judäa, Samaria und Galiläa vereint. Israel ist wieder ganz.“

Ein Jahr später, im Jahr 135, spricht der römische General Sextus Iulius Severus zu seinem Kaiser Aelius Hadrianus: „Es hat uns drei Jahre gekostet, doch wir haben den Aufstand der Juden niedergeschlagen. Ich habe Bar Kochba mit meinen Legionen in die Festung Beth-Ter bei Jerusalem getrieben und ihn eingekesselt. Einer seiner Hauptmänner hat ihn verraten und uns einen geheimen Eingang gezeigt. So konnte ich sie mit meinen Männern überraschen, wir sind eingefallen, haben die Bewohner niedergestreckt, die Festung dem Erdboden gleichgemacht und Bar Kochba getötet. Was soll ich als Nächstes tun?“

„Töte alle Juden, die du in der ganzen Provinz finden kannst! Zerstöre all ihre Städte und Dörfer.“

„Das sind doch mehr als eine halbe Million Menschen, fünfzig Städte und an die tausend Dörfer!“

„Lösche sie aus, verwüste ihre Siedlungen! Am Heiligen Berg in Jerusalem reiße ihren Tempel nieder und lasse einen Tempel zu Ehren unserer Götter errichten. Falls welche überleben, verbiete ihnen, die Tora zu studieren und Jerusalem zu betreten. Diese Provinz, die sie Israel nennen, soll von nun an Palästina heißen und ein Teil von Syrien sein. Ich will dafür sorgen, dass das für ewige Zeiten so bleibt!“

Rabbi Akiba, der wie durch ein Wunder vom Massaker verschont geblieben war, studierte trotz des römischen Verbots weiterhin die Tora mit seinen Schützlingen. Als er gefragt wurde, ob er denn keine Angst vor den Römern habe, antwortete Rabbi Akiba: „Ohne die Tora sind wir Juden wie ein Fisch ohne Wasser. Wenn wir also die Tora studieren und dabei riskieren, den Zorn des römischen Kaisers zu erregen, so sind wir immer noch viel besser dran als ohne die Tora, denn das würde unseren sicheren Tod bedeuten.” Rabbi Akiba wurde schließlich verhaftet und auf bestialische Weise getötet – die Römer ließen seinen Körper mit Metallzangen auseinanderreißen. Rabbi Akiba ertrug stoisch die Folter und rief kurz vor dem Tod aus: „Schema Jisrael!“ (Höre Israel). Bis heute gedenken die Juden dieses Martyriums in ihren Gebeten zu den Festen Jom Kippur (Tag der Versöhnung mit Gott) und Tischa beAv (Fasten- und Trauertag in Erinnerung an die Zerstörung des Tempels von Jerusalem).

Nach der blutigen Niederschlagung des jüdischen Aufstandes ging Kaiser Hadrian an seinen persönlichen Plan für den Wiederaufbau Jerusalems heran. Die neuen Stadtbewohner waren Nicht-Juden, und Juden war der Zutritt in die Stadt verwehrt. Am Heiligen Berg, wo ursprünglich der Heilige Tempel Beit Hamikdasch gestanden hatte, wurde ein Tempel mit Statuen Jupiters und Hadrians erbaut. Die Stadt wurde zu Ehren von Aelius Hadrianus und in Anlehnung an das Kapitol in Rom, an dem sich die größte Jupiterstatue befand, in Aelia Capitolina umbenannt. Das alles trug sich im Zeitraum vom Jahr 132 bis zum Jahr 138 unserer Zeitrechnung zu.

2.

Nun werden wir, liebe/r Leser/in, 18 Jahrhunderte überspringen und uns mit der Hauptfigur dieses Romans bekanntmachen, für die die Ankunft in Palästina den Beginn ihres wahren Lebens bedeutete. Jedoch ist, wie es so schön heißt, nichts gratis im Leben. Entscheidet man sich für einen Weg, muss man alle anderen verlassen, auch wenn das eigene Herz dranhängt. Man wechselt in ein unbekanntes Umfeld, trennt sich von seinen Liebsten und Freunden und weiß nicht, wie man in der Fremde aufgenommen wird. Nichtsdestotrotz muss man den Weg, für den man sich entschieden hat, auch weitergehen und die Seelennot und Widrigkeiten auf diesem Weg akzeptieren.

Auch unsere Romanheldin Bea fühlte sich nach ihrer Ankunft in Palästina einsam und brach immer wieder in Tränen aus. Der Krieg, der dort tobte, ließ die Traumata, die sie im besetzten Europa im Zweiten Weltkrieg erlebt hatte, wieder hochkommen. Gleichzeitig versuchte sie den Schmerz über die Trennung von ihrem Kind, das sie irgendwo auf dem Balkan zurücklassen musste, zu unterdrücken. Schließlich wurde sie Herr ihrer selbst und begann die Bibel wieder zu studieren, um den Kern des israelisch-arabischen Konflikts zu verstehen, der sich im Jahre 1947 vor ihren Augen abspielte.

Eine der ersten Erkenntnisse, zu denen Bea gelang, war, dass sowohl die Juden als auch die Araber semitische Völker waren, die beide seit jeher auf gleichem Boden gelebt hatten, was durch das Alte Testament bezeugt wird. Einigen Interpretationen des ersten Buches „Genesis“ zufolge sind Juden und Araber nämlich Geschwistervölker nach Abraham.

In der Heiligen Schrift heißt es, dass Abrahams Frau Sara neunzig Jahre alt war und keine Kinder mehr gebären konnte.

Deshalb erlaubte sie ihrem Mann, mit der Magd Hagar ein Kind zu zeugen. Abraham tat, wie Sara ihm gesagt, und Hagar brachte ein Kind auf die Welt, das den Namen Ismael erhielt.

Doch der jüdische Gott Jahve versprach Sara danach, dass sie einen eigenen Nachkommen haben würde. Eines Tages nahm er sich Saras an, wie er gesagt hatte, und tat Sara so, wie er versprochen hatte. Sara wurde schwanger und gebar dem Abraham einen Sohn zu der Zeit, die Gott angegeben hatte. Abraham nannte seinen Sohn, den ihm Sara gebar, Isaak.

Eines Tages beobachtete Sara, wie der Sohn, den die Ägypterin Hagar Abraham geboren hatte, mit ihrem Sohn Isaak spielte. Da sagte sie zu Abraham: „Vertreibe diese Magd und ihren Sohn! Denn der Sohn dieser Magd soll nicht zusammen mit meinem Sohn Isaak Erbe sein.“

Abraham war darüber sehr unglücklich, denn auch Isaak war sein Sohn.

Gott sprach aber zu Abraham: „Die Sache wegen des Knaben und wegen deiner Magd sei nicht böse in deinen Augen. Hör auf alles, was dir Sara sagt! Denn nach Isaak sollen deine Nachkommen benannt werden. Aber auch den Sohn der Magd will ich zu einem großen Volk machen, weil auch er dein Nachkomme ist.“

Diese Bibelgeschichte hatte entscheidenden Einfluss auf Beas weiteren Lebensweg. Von da an war Bea zu einer eifrigen Verfechterin des friedlichen Zusammenlebens zwischen Juden und Arabern auf demselben biblischen Boden geworden. Jedoch stand sie mit dieser Ansicht klarerweise ziemlich allein da. Die Muslime behaupteten nämlich, dass das semitische Volk Israel bzw. das jüdische Volk von Abrahams Sohn Isaak und das arabische Volk von seinem anderen Sohn Ismael abstamme. Die Juden hingegen waren damit nicht einverstanden. Sie behaupteten wiederum, dass das Judentum einige Jahrtausende älter als der Islam sei und dass solche Verweise auf die Bibel nur dazu dienten, den im Vergleich sehr jungen Koran zu bestätigen.

***

Für Bea war jedoch eins offensichtlich, nämlich dass – abseits jeglicher theoretischer Diskussionen über die Herkunft dieser beiden Völker – die Juden und die Araber im Moment einen blutigen Kampf um Land führten. Beide Völker beanspruchten dasselbe Land, und der Krieg kostete viele Menschenleben. Aus den Kriegswirren, die sie umgaben, versetzte sich Bea in Gedanken in die biblische Geschichte über einen Gott, der, über jeden Zweifel erhaben, seinem auserwählten jüdischen Volk erlaubt, dieses Gebiet zu erobern und zu besiedeln.

… !!! aus einer Vorfassung wieder kopiert:

Das Land Kanaan (Palästina), das sich zwischen dem Mittelmeer und dem Fluss Jordan erstreckte, war zu jener Zeit von kleinen Stämmen bewohnt, denen der jeweilige Anführer oder König vorstand. Als die Söhne Israels, angeführt von Josua und gesteuert durch den Willen Gottes, am Jordan ankamen, waren die Bewohner Kanaans für einen Kampf nicht gerüstet.

Unweit des Jordan lag die befestigte Stadt Jericho, die Stämme Israels unter Belagerung stellten. Nach sieben Tagen brachen die Stadtmauern zusammen, und die Angreifer stürmten die Stadt. Überall in Kanaan verbreitete sich die Nachricht von einer großen Armee, die in das Land vordrang, um es zu besetzen und seine Einwohner zu verbannen. Die kleineren Stämme gerieten in Panik und ließen die Israelis in ihre Städte und Dörfer. Einige Stämme, die Widerstand leisteten, wurden von den Eroberern teilweise verbannt und teilweise unterworfen.

Nach einer Reihe von Kriegen siedelten sich die jüdischen Stämme im Land Kanaan an, welches sodann zum Land Israel („Eretz Israel“) wurde.

Nach Josuas Tod griffen die zahlenmäßig weit überlegenen Nachbarvölker Israel an, damit die ursprünglichen Bewohner Kanaans ihr Land wieder zurückbekommen würden. In diesen Augenblicken der Gefahr vereinten sich die jüdischen Stämme zu einer einheitlichen Armee, die gegen die weitaus stärkeren Angreifer kämpfte und sie vollständig besiegte. Eretz Israel war gerettet.

Und dann tauchten die Kindheitserinnerungen auf.

Die Familie Aschkenazi lebte in einem ebenerdigen Einfamilienhaus, das von einem weitläufigen Garten umgeben war. Es war ein sonniger Tag. Bea und ihre beiden jüngeren Schwestern, Sarah und Esther, spielten draußen vor dem Haus. Sie wollten das Märchen von der jüdischen Besiedelung des Landes Kanaan, aus welchem Israel entstehen sollte, nachspielen, denn das pflegte ihnen ihre Mutter oft vorzulesen.

„Ich bin Josua!“, rief Bea begeistert. „Er wird sein Volk anführen und das gelobte Land erobern. Du, Sarah, bist der Gott, und sagst dann zu mir: ‚Du hast meine Erlaubnis, das Land Kanaan zu erobern‘. Und du, Esther, bist die Königin der Völker, die wir unterwerfen werden. So, lasst uns beginnen!“

„Warum musst du immer die Wichtigste sein?“, fragte Esther.

„Weil ich die Älteste bin! Außerdem sagen immer alle, dass ich die Klügste bin. Ich werde eines Tages nach Palästina gehen, dort die Juden anführen und einen jüdischen Staat gründen.“

Sarah, die den Spielbeginn nicht erwarten konnte, unterbrach die beiden: „Josua, ich bin dein Gott! Geh in das gelobte Land, erobere es und nimm den Anführer gefangen!“, sagte sie stolz.

„Ich bin eine Königin, und ich werde mich nicht ergeben!“, erwiderte Esther trotzig.

„Ich bin Josua“, sagte Bea, „du musst dich ergeben! So steht es in der Bibel. Du bist in Jericho. Ich werde siebenmal in das Horn blasen, und die Mauern werden einstürzen, und du wirst dich ergeben!“

Dann legte sie ihre Hände an den Mund und tat so, als würde sie in ein Horn blasen. Esther zeigte sich von diesem Auftritt jedoch wenig beeindruckt. Im Gegenteil, sie ging völlig in ihrer Rolle als Königin auf. Ihre Wangen erröteten, ihre Stimme bebte vor Aufregung, als sie erwiderte: „Du kannst blasen, so viel du willst! Meine Mauern sind fest, und du wirst Jericho nicht einnehmen. Und wenn, dann werde ich dich so lange angreifen, bis du aus Kanaan verschwindest.“

Bea wusste, dass sie selbst keinesfalls nachgeben würde. „Deine Mauern sind eingestürzt, und die Bibel ist Gesetz!“, rief sie und ging auf Esther zu, schnappte sie an den Haaren und begann, daran zu ziehen. „Eretz Israel ist geboren, und du bist keine Königin mehr!“, schrie sie.

Esther fing zu weinen an. Ihre Mutter, die den Streit gehört hatte, kam aus dem Haus gelaufen und glättete die Wogen.