Today I'll Steal His Heart (2) - Bianca Wege - E-Book

Today I'll Steal His Heart (2) E-Book

Bianca Wege

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Beschreibung

Die heißersehnte Fortsetzung der Today-Reihe von BookTok-Bestseller-Autorin Bianca Wege! India braucht dringend ein Date für die Hochzeit ihrer Mutter. Wie gut, dass sie versprochen hat, ihren Freund mitzubringen ? den es gar nicht gibt. Da kommt ihr die neue Dating-App der Uni gerade recht und das Match mit Brian gibt ihr Hoffnung auf eine passende Begleitung. Doch India hat die Rechnung ohne Asher Woods gemacht. Der Volleyballspieler hat eine Mission: India den Kopf zu verdrehen. Diese ist leider nicht so einfach zu überzeugen, wie er dachte. Als er ihr anbietet, sie auf die Hochzeit zu begleiten, ist das Chaos perfekt. Denn nun muss India sich entscheiden: Entweder für Brian, den sie noch nie getroffen hat oder für Asher, der bei ihr mehr Gefühle auslöst, als sie sich eingestehen will … In Band 2 der Today-Reihe bekommt Laylas Mitbewohnerin India endlich ihre eigene Romance. »Ich habe schon lange nicht mehr so viel gelacht wie mit India, Asher und Brian. Selten war Fake Dating so amüsant!« Stella Tack, SPIEGEL-Bestseller-Autorin Weitere Bücher von Bianca Wege: Today I'll Talk to Him

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Seitenzahl: 482

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Weitere Bücher von Bianca Wege im Arena Verlag

Today I’ll Talk to Him

Für alle, die ihr Herz sorgsam verschlossen halten und manchmal den Schlüssel nicht mehr finden

Ein Verlag in der Westermann Gruppe

1. Auflage 2024

© 2024 Arena Verlag GmbH

Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg

Alle Rechte vorbehalten.

Der Verlag behält sich eine Nutzung des Werkes für

Text und Data Mining im Sinne von §44b UrhG vor.

Text: Bianca Wege

Außenlektorat: Marion Perko

Covergrafik: Petra Braun

Umschlaggestaltung: Juliane Lindemann

Layout und Satz: Malte Ritter, Berlin

E-Book-ISBN 978-3-401-81095-9

Besuche den Arena Verlag im Netz:www.arena-verlag.de

@arena_verlag

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Prolog

Salted-Caramel-Eis bedeutet nichts Gutes. Es ist das Zeichen dafür, dass Mom verlassen wurde. Wieder einmal. Die Packung Ben & Jerry’s steht halb leer vor ihr auf dem kleinen Wohnzimmertisch, der Löffel steckt mitten in der Eismasse … und dennoch ist da keine einzige Träne auf ihren Wangen. Nichts außer den zusammengepressten Lippen verrät, dass in ihr drin gerade ein Hurrikan wütet.

»Mom?« Ich gehe ein paar Schritte auf sie zu. »Alles okay?«

Sie dreht sich zu mir um und lächelt mich an. Nur der müde Ausdruck in ihren Augen bleibt.

»Ach ja.« Sie zuckt mit den Achseln und deutet auf das Eis. »Männer sind nicht gut für die Figur.«

»Männer sind nie gut.« Ich setze mich neben sie auf das Sofa und sehe sie eindringlich an. »Was hat er getan?«

»Nichts. Das ist es ja.« Sie zieht die Augenbrauen zusammen und eine feine Falte entsteht auf ihrer Stirn. »Deswegen musste ich es beenden. Ich habe keine Lust, mich mit einem Mal sehen, was daraus wird hinhalten zu lassen.«

Gut so, denke ich und schließe sie in die Arme. Auch wenn es für sie traurig ist, dass Daniel sich nicht als Prinz, sondern als Frosch entpuppt hat.

Mom erwidert die Umarmung und drückt mich fest an sich.

»Es tut mir leid«, flüstere ich.

»Tut es nicht.« Sie löst sich von mir und lacht. Es ist eines dieser Lachen, die sofort Wärme in mir aufkommen lassen. Weil es so voll klingt und aus tiefstem Herzen kommt. Sie zwickt mich leicht in die Wange.

»Du hast ihn gehasst«, sagt sie. »Und du hattest auch recht damit. Er ist wirklich ein Pfeffersack gewesen, wenn ich so darüber nachdenke.«

Pfeffersack ist das Wort, das wir eigens für Moms Froschaffären benutzen.

»Du musst besser auf dein Herz aufpassen«, stimme ich zu, bin aber froh, dass die Trennung sie nicht so mitnimmt, wie ich befürchtet habe. Immerhin waren es doch ein paar Monate.

Allgemein ist ihre Zuversicht bewundernswert. Dass Mom nach so vielen gescheiterten Beziehungen immer noch fest davon überzeugt ist, die große Liebe würde irgendwo da draußen auf sie warten. Dass sie es nicht schon längst aufgegeben hat.

»Ich versuche es. Aber manchmal ist es schwieriger als gedacht.« Sie seufzt leise.

»Manchmal sollte man auch nicht sofort davon ausgehen, dass der Typ, dem man die Parklücke weggenommen hat, der persönliche Chris Hemsworth ist.« Mein Unterton ist immer noch tadelnd. Denn ich meine, was ich sage. Nicht jeder ist ein potenzieller MrRight.

»Es ist nicht so einfach, in meinem Alter jemand Gutes kennenzulernen«, rechtfertigt sich Mom und ich ziehe eine Grimasse.

»Mom, du bist fünfunddreißig! Du lernst jeden Tag Männer kennen. Ich würde mir nur für dich wünschen, dass du ein bisschen vorsichtiger bist.«

Dabei kann ich es den Kerlen dieser Welt nicht verdenken, dass Mom ihnen den Kopf verdreht. Sie ist attraktiv, klug, energisch und sie hat unser Leben bestens im Griff. Nur bei ihren Liebschaften hat sie ein unglaublich schlechtes Händchen. Und das ist das Problem: Sie verschenkt ihr Herz zu schnell.

»Ich weiß ja.« Sie seufzt erneut, dann strafft sie die Schultern und zwinkert mir zu. »Aber ich gelobe Besserung. Und jetzt los mit dir. Du wolltest doch ins Kino, oder? Soll ich dich fahren?«

»Nein, alles gut. Bell holt mich ab.« Einen Moment betrachte ich sie prüfend. »Ich kann aber auch hierbleiben und wir bestellen Pizza und schauen uns einen Film mit dem richtigen Chris Hemsworth an, um sicherzugehen, dass du das nächste Mal näher dran bist.«

»Sehr witzig.« Mom verdreht die Augen bei meinem Gefrotzel, dann stupst sich mich in die Seite. »Du bist übrigens auch nicht besser. Dein Herz ist ein Hochsicherheitsgefängnis.«

»Richtig. Niemand kommt raus und niemand kommt rein.« Ich drücke ihr einen Kuss auf die Wange, dann stehe ich auf, laufe in den Flur und nehme meine Jacke vom Haken.

»Viel Spaß beim Film!«, sagt Mom, als ich nach den Schlüsseln greife. »Sei pünktlich um zehn wieder da … oder was auch immer verantwortungsbewusste Mütter jetzt sagen würden.«

Sie grinst verschmitzt und Wärme breitet sich in meiner Brust aus. Lächelnd winke ich ihr zu.

Ich verlasse unsere Erdgeschosswohnung und laufe ein Stück die Straße entlang bis zu der Ecke, wo mich Bell gleich einsammeln wird. Von hier aus kann ich das Wohnzimmerfenster sehen und ich beobachte, wie Mom wieder nach dem Eisbecher greift und den Fernseher einschaltet. Ein Kloß bildet sich in meiner Kehle. Ich weiß, dass sie okay ist. Sie ist immer okay. Aber vielleicht wäre sie nicht nur okay, sondern glücklich, wenn sie gar nicht erst in dieser Lage wäre. Wenn sie nicht nach dem Richtigen suchen müsste, weil sie ihn schon lange gefunden hätte. Aber mit Tochter ist das schwieriger …

Vielleicht ist es also meine Schuld, dass sie nun dort sitzt und Ben & Jerry’s in sich hineinfuttert. Dass sie nicht zusammen mit ihrem Chris Hemsworth die Welt bereist, nicht an den Wochenenden ihre Eltern im Sommerhaus besucht und stattdessen mit mir in der kleinen Zweizimmerwohnung mit pixeligem Fernsehbild festsitzt. Dass sie zwei Jobs hat, damit wir über die Runden kommen, und manchmal vor Sorgen kaum schlafen kann. Oder dass sie sich fast in die Luft sprengt, wenn sie versucht, unseren Gasherd mit YouTube-Videos zu reparieren, weil wir uns keinen Handwerker leisten können.

Seufzend drehe ich mich um und schaue Bell entgegen, die gerade um die Kurve biegt.

Ich weiß, dass Mom froh ist, dass es mich gibt, und es nicht bereut, sich für mich entschieden zu haben. Aber manchmal frage ich mich, ob sie nicht doch glücklicher wäre, wenn sie gar nicht erst vor dieser Wahl gestanden hätte. Wenn sie sich gar nicht erst auf einen Arsch eingelassen hätte, der ihr Herz nicht verdient hat.

Ich habe mir geschworen, nicht denselben Fehler zu machen.

Zweieinhalb Jahre später.

1. Kapitel

Name: Ingrid

Gattung:Pilea peperomioides

Status: Tot

Ingrid hatte keine Chance gegen die Übermacht.

Ich stehe vor ihrem Blumentopf auf dem Fenstersims, die Hände in die Hüften gestemmt, und betrachte eingehend die Blätter meiner Ufo-Pflanze. Leider konnte ich die Blattlaus-Plage nicht eindämmen.

»Sie war krank und ich konnte sie nicht mehr heilen. Es ist okay, dass sie nach diesem langen Kampf von uns gegangen ist«, murmle ich vor mich hin und übe damit schon einmal die Worte, die ich bei ihrer Beerdigung sagen werde. Denn die steht mir unweigerlich bevor.

Selbst wenn ich die tote Pflanze verstecken könnte, würde Layla merken, dass der Topf leer ist, und mich an mein Versprechen aus dem ersten Semester erinnern. Jede Pflanze, die ich töte, bekommt eine Beerdigung. Man sollte meinen, das würde meinen Pflanzenverschleiß eindämmen, aber die letzte Trauerfeier ist noch gar nicht so lange her. Offenbar bin ich ein hoffnungsloser Fall.

Leider kann ich die Pflanze auch nicht still und heimlich durch eine neue ersetzen. Bei der Größe würde mich das nämlich zehn bis fünfzehn Dollar kosten und das ist eine Summe, die ich mir diesen Monat nicht mehr leisten kann. Dafür habe ich in der Cafeteria einen oder zwei Kaffee zu viel getrunken. Und bevor ich meine Miete nicht mehr überweisen kann, bleibt nur die Beerdigung …

Leise seufzend lasse ich Ingrid stehen und ziehe mich an. Ich muss gleich zu meiner Schicht ins Paolas. Der Gedanke hellt meine Stimmung auf. Vielleicht bemerkt Layla Ingrids Dahinscheiden ja nicht so schnell und ich habe noch ein paar Tage Schonfrist. Wer weiß, wenn das Trinkgeld im Café gut ist, kann ich vielleicht doch ein paar Dollar für eine neue Pflanze abzweigen …

Ich packe meine Sachen, sperre die Wohnungstür hinter mir ab und laufe zu meinem roten Ford, der vor unserem Wohnhaus am Straßenrand parkt. Mit flinken Fingern öffne ich die Fahrertür und steige ein, drehe den Schlüssel im Zündschloss herum.

Nichts passiert.

Nanu?

Das altbekannte Knattern des Motors bleibt aus. Nicht einmal ein leises Klicken ist zu hören.

Was ist denn jetzt los? Verwirrt drehe ich den Schlüssel erneut, aber auch diesmal springt der Motor nicht an. Mir schwant Übles.

»Bitte nicht«, flehe ich, versuche es wieder und wieder, auch wenn ich ahne, dass die Hoffnung umsonst ist. Nichts. Rein gar nichts. Nada.

Na super. Frustriert stöhne ich auf. Nach Ingrid folgt also auch noch mein Ford. Das darf doch nicht wahr sein! Ja, das Auto hat seine besten Jahre hinter sich, und wenn ich darüber nachdenke, hatte der Motor in den letzten Tagen schon öfter Startschwierigkeiten. Aber dass er ganz schlappmacht? Ob die Batterie leer ist?

Ich schiele auf das Display meines Handys, das neben mir auf dem Beifahrersitz liegt. 15:50 Uhr. Okay, jetzt kann ich definitiv nicht mehr versuchen, das selbst zu regeln. Dafür bin ich zu spät dran.

Ich schnalle mich ab und öffne die Autotür. Dann muss ich eben Bus fahren. Und das heißt, ich werde zu spät kommen. Denn selbst mein Puffer für Stau und Parkplatzsuche reicht nicht, um die längere Fahrtzeit des Busses auszugleichen.

»So ein Mist!«

Ich schließe das Auto ab und schreibe Paola eine kurze Nachricht. Dann sprinte ich los.

Der Duft nach frisch gebackenem Brot und Früchten schlägt mir entgegen, als ich völlig gehetzt und zwanzig Minuten zu spät die Tür zum Café öffne. Das Paolas ist ein kleines Bagelcafé in der Innenstadt von Harpersville, das auch eine große Auswahl an Smoothies anbietet – die besten der Stadt, wie ich voller Stolz behaupten kann. Ich arbeite dort seit etwa einem halben Jahr und liebe es immer noch genauso wie am Anfang. Der Raum ist mit Lichterketten und Pflanzen dekoriert – die zum Glück nicht meiner Obhut unterliegen –, und auf den Korbstühlen liegen Kissen und Decken, die in Hellgrün und Weiß auf den Frühling einstimmen.

Paola, die Chefin des nach ihr benannten Cafés, kommt aus der Küche gelaufen. Ihre schwarzen Locken wippen dabei auf und ab und wie so oft erinnert sie mich an Julieta aus Encanto.

»Dios mío, India, gut, dass du da bist! Alles okay?«

»Entschuldige die Verspätung!«, keuche ich. Immerhin bin ich gerade zehn Minuten am Stück gerannt. Und ja, ich bin sportlich, aber nicht sooo sportlich. Dafür habe ich für heute schon meine zehntausend Schritte geschafft – wenn man dem Ganzen etwas Positives abgewinnen will.

»Kein Problem. Hauptsache, du bist jetzt da.« Paola mustert mich. »Willst du dich kurz hinsetzen und verschnaufen?«

»Geht schon.« Mein Gesicht glüht und ich kann fühlen, wie mir Schweißperlen die Stirn herunterrinnen. Dieses verflixte Auto! Warum muss es ausgerechnet jetzt den Geist aufgeben?

»Komm erst mal an, ich mache dir einen Kaffee.« Paola dreht sich um und eilt hinter den Tresen zur Kaffeemaschine.

Ich lächle ihr dankbar hinterher und kremple die Ärmel meiner Bluse hoch. Wenn ich gleich Smoothies mixe und Bagel belege, komme ich hoffentlich auf andere Gedanken. Es reicht, wenn ich mich in ein paar Stunden damit beschäftigen muss, wie ich das Geld für die Reparatur des Fords auftreiben soll.

»Hi«, trällert Lev, der um den Tresen herum auf mich zukommt und dabei fünf Smoothies auf einem Tablett balanciert. »Mahima ist heute leider krank, aber wir schaffen das auch zu zweit, oder?«

»Ja, klar.« Allmählich beruhigt sich mein Atem.

Lev läuft mit langen Schritten an mir vorbei zu der Gruppe Studierenden, die die Getränke bestellt hat. Er ist groß und schlaksig und zusammen mit seinen blauen Haaren, dem spitzen Kinn und dem Schlitz in der Augenbraue lässt ihn das manchmal aussehen wie ein real gewordener Comic-Held. Es fehlt nur noch ein Zahnstocher oder Strohhalm, auf dem er herumkaut.

Ich atme tief durch, dann gehe ich nach hinten in den Lagerraum, um die Tasche abzustellen und meine Arbeitsschürze zu holen.

Mit Paola sind wir zu sechst im Café. Paola, Lev und Anita arbeiten als Vollzeitkräfte und Dilara, Mahima und ich als studentische Aushilfen. Da Anita momentan aber für längere Zeit ihre Familie in Spanien besucht, helfen wir drei Teilzeitkräfte öfter aus. Den zusätzlichen Lohn kann ich gut gebrauchen. Wenn Anita wieder da ist, muss ich sogar darüber nachdenken, mir einen zweiten Job zu suchen.

Ich streife mir die braune Schürze mit meinem eingestickten Namen über und binde sie am Rücken zusammen. Das Handy stecke ich in die Hosentasche, dann laufe ich zurück in den Hauptraum.

Paola stellt mir eine Tasse mit dampfendem schwarzem Kaffee auf den Tresen. »Aquí tienes.«

Grinsend nehme ich das Getränk in die Hände und atme den satten Röstaromaduft tief ein. Kaffee hilft fast immer. Genau wie eine heiße Dusche. Vielleicht ja auch heute.

Ich trinke einen Schluck. »Gracias, Paola.«

Während ich meinen Kaffee austrinke, sehe ich mich im Café um, scanne die besetzten Plätze und checke unseren Reservierungsplan, um abschätzen zu können, wie voll der Abend wird. Beinahe alles ist belegt. Die leere Tasse räume ich in die Spülmaschine, dann lege ich los.

Ich nehme die Bestellungen an den Tischen auf, die mir zugeteilt sind, und mixe die Getränke. Mit geübten Handgriffen wasche ich die benötigten Früchte, die in Körben bereitliegen, und schneide sie in Stücke.

Normalerweise kann ich während der Arbeit alles andere ausblenden. Heute will mir das jedoch nicht so recht gelingen. Stattdessen schweifen meine Gedanken immer wieder zu meinem Ford. Was, wenn ich mir die Reparatur nicht leisten kann? Wenn es doch nicht die Batterie ist, sondern etwas anderes, und ich eine so horrende Summe bezahlen müsste, dass ich das Auto nur noch verschrotten lassen kann?

Mit etwas mehr Nachdruck als nötig werfe ich die Apfelwürfel und die Blaubeeren in den Mixer.

Schluss damit.

Positiv denken.

Ich arbeite. Und arbeiten bedeutet am Ende des Monats Lohn. Ich tue etwas, um meinem Problem entgegenzuwirken. Dass mein Verdienst normalerweise gerade so die Miete und die täglichen Ausgaben deckt, verdränge ich in die hinterste Ecke meines Gehirns. Ich weiß ja noch gar nicht, was mit dem Auto ist. Vielleicht kann ich die Reparaturkosten mit ein bisschen mehr Trinkgeld in den nächsten Schichten abdecken …

»Wir müssen die Tage übrigens noch reden.« Im Vorbeigehen streicht Paola mir über die Schulter. »Es gibt vielleicht ein paar Umstrukturierungen.«

Ich sehe von meinem Schneidebrett hoch. »Welche denn?«

So wie sie es gesagt hat, hat das Wort Umstrukturierungen einen negativen Beiklang. Als wäre etwas im Busch. Doch ich erkenne an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie mir nicht mehr verraten wird.

»Alles zu seiner Zeit.« Eine Falte bildet sich auf ihrer Stirn, doch dann lächelt sie wieder. »Falls du nachher kurz Luft hast, stehen im Lager noch ein paar Kartons mit Kaffeebohnen, die eingeräumt werden müssen.«

»Einmal der Philadelphia-Bagel mit einem Cookie-Crumble-Smoothie und einmal der Colorado-Bagel und ein Berry Jungle.« Ich platziere die Bestellung vor den beiden jungen Männern, die an Tisch 8 sitzen.

Meine Laune sinkt merklich, als ich erkenne, dass es sich bei dem links um Will handelt. Ich kenne ihn aus einem gemeinsamen Journalismuskurs … und wegen eines One-Night-Stands vor einiger Zeit.

»Hi, India. Lange nicht gesehen.« Der Vorwurf in seinen Worten ist unverkennbar.

Das ist auch gut so, denke ich und weiß bei seinem leidenden Gesichtsausdruck sofort wieder, warum sich die gemeinsame Nacht auf gar keinen Fall wiederholen wird. Kein Wunder, dass Layla ihm den Namen Whiny Will verpasst hat. Weil er, egal, was er sagt, wirkt, als wäre irgendetwas Furchtbares passiert. Und zwar vom Kaliber »Ein Meteorit hat meine Wohnung zertrümmert« oder »Meine Oma ist gestorben«.

Unauffällig klopfe ich dreimal mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte. Schließlich wünsche ich seiner Oma nichts Böses …

»Hi, Will, schön, dass du hier bist«, sage ich betont freundlich, damit es nicht so wirkt, als wäre es komisch zwischen uns – was es definitiv ist –, und grinse in die Runde. »Guten Appetit.«

Ich schnappe mir das Tablett und drehe mich hastig um, um nicht in die Verlegenheit zu geraten, Small Talk zu machen. Allerdings kann ich Wills Blick im Rücken spüren, der mich bis hinter den Tresen verfolgt.

Erst Ingrid, dann mein Auto, jetzt Will … Irgendjemand meint es heute nicht gut mit mir.

»Könnte ich einen Berry Jungleto go haben?«

Die Bestellung einer Kundin reißt mich aus meinen trüben Gedanken und ich nicke. »Klar, einen Moment bitte.«

Ich werfe ein paar Blaubeeren und eine halbe Banane in den Mixer und schütte Sojamilch hinein. Dann gebe ich etwas Honig dazu, verschließe den Deckel und starte den Mixer.

Jetzt zum Abend hin füllt sich das Café immer schneller und die Hintergrundmusik, in die Dilara und ich immer wieder Chase-Atlantic-Songs schmuggeln, wird übertönt vom Murmeln und Lachen der Leute.

Lev eilt mit vier Bagels auf seinem Tablett an mir vorbei. »Kannst du danach die beiden Neuen übernehmen? Bei mir ist grade ein größerer Tisch an der Reihe.«

Mit dem Kinn deutet er auf einen voll besetzten Achtertisch vor dem großen Fenster, das zur Straße hinausgeht. Strähnen seiner blauen Haare kleben ihm in der Stirn.

»Mache ich gleich.«

»Danke, du bist die Beste.« Er wirft mir einen Luftkuss zu, wobei die Bagels auf seinem Arm bedenklich wackeln, und nimmt Kurs auf den großen Tisch. Es scheint ein Familientreffen zu sein, denn es sind mehrere Generationen vertreten.

Ich fülle den Smoothie aus dem Mixer in den Mehrwegbecher des Mädchens. Sie bedankt sich, bezahlt und verlässt das Café. Mein Blick folgt ihr zur Tür, vor der zwei hochgewachsene Kerle stehen. Die Reste eines kühlen Luftzugs wehen zu mir herüber.

Ich laufe auf die Neuankömmlinge zu und setze dabei mein perfektioniertes Kundschaftslächeln auf. Die Jungs sind etwa in meinem Alter. Der eine ist groß, blass, seine Wangen sind gerötet. Er hat dunkle Haare und Sommersprossen.

»Hi, wie kann ich euch helfen?«, frage ich, während mein Blick auf den anderen fällt.

Er ist dunkelblond, sein Teint trotz der kalten Jahreszeit gebräunt, als hätte er einen mehrtägigen Trip in die Karibik hinter sich. Er ist attraktiv. Hollywoodmäßig attraktiv. Und er hat eine Pflanze in der Hand.

Ich stutze. »Was machst du mit der Pflanze?«

»Sie stand direkt vor dem Eingang.« Seine Stimme ist klar, angenehm. Nicht zu tief. »Ich dachte, ich rette sie, bevor noch jemand drauftritt.«

»Das ist ja seltsam.« Als ich genauer hinsehe, erkenne ich den Übertopf. Es ist tatsächlich eine Pflanze aus dem Paolas. Hat jemand sie mitgehen lassen und dann doch kalte Füße bekommen? »Danke fürs Retten.«

Ich will ihm die Aloe vera abnehmen, doch meine Hände sind noch feucht vom Obstwaschen und meine Finger rutschen ab. Oh Scheiße! Ich sehe den Topf bereits fallen, als zwei Hände meine umfassen und den Topf festhalten.

»Vorsicht«, raunt der Pflanzenretter.

Ein prickelnder Schauer überzieht meinen Arm. Seine Hände sind so groß, dass sie meine komplett bedecken.

Seine Hände. Auf meinen.

Erschrocken sehe ich auf. Direkt in seine blauen Augen. Ich mustere den Kerl eingehender. Der scharf geschnittene Kiefer, seine hohen Wangenknochen, der gebräunte Teint … Irgendetwas klingelt da. Kenne ich ihn irgendwoher? Zumindest kommt es mir so vor. Vielleicht habe ich ihn auf dem Campus schon mal gesehen. Oder in einer Vorlesung.

Der Moment hält an, länger, als ich es beabsichtige, und als ich realisiere, dass ich ihn anstarre wie eine Gurke mit Sombrero, trete ich hastig ein Stück zurück. Den Topf halte ich nun fester.

Der Besitzer der eindeutig viel zu blauen Augen lässt meine Hände los und ich ziehe den Topf an mich. Wie unangenehm. Ich setze ein Lächeln auf, versuche, meine Verlegenheit zu überspielen.

»Die Pflanze hat heute wohl ihren Glückstag, sie ist gleich zweimal dem Tod entronnen. Gut, dass du so … äh … unaufhaltsam zur Stelle warst«, plappere ich. »Mr Unstoppable quasi.«

Was rede ich denn da?

Sein Blick huscht auf den eingestickten Namen auf meiner Schürze, dann zu meinen Haaren. »Bist du dann KimPossibleundercover?«

Ein Grinsen legt sich auf seine Lippen, bei dem der linke Mundwinkel etwas höher rutscht als der rechte, und ich runzle die Stirn.

»Was meinst du?«

»RonStoppable und KimPossible. Wir sind ein gutes Team.«

»Im Pflanzenretten?« Ich kann mir ein Auflachen nicht verkneifen. Wenn er wüsste … Ich wäre die Erste gewesen, die aus Versehen auf die arme Aloe vera getreten wäre.

»Ich finde, wir sollten das ausbauen.« Seine Augen funkeln.

Ich grinse zurück. »Das glaube ich nicht. Außerdem …« Meine Augenbraue wandert nach oben. »Soweit ich weiß, hat Kim kein Interesse an Ron.«

»Aber es gibt eine Folge, in der sie auf ein Date gehen.« Der Pflanzenretter grinst noch breiter.

Sein Kumpel reibt sich amüsiert über die Nase, als hätte er Spaß an dieser Konversation.

»Tja, bei dieser Episode sind wir heute nicht«, gebe ich zurück und sehe erfreut, dass ein überraschter Ausdruck über sein Gesicht gleitet. Ich mag diesen Schlagabtausch. Aber ich muss auch dringend wieder arbeiten. »Wie kann ich euch denn helfen?«, wechsle ich daher das Thema. »Einen Tisch für zwei?«

»Gern.«

Ich deute auf zwei freie Tische im hinteren Teil des Cafés. »Sucht euch gerne einen aus. Die sind heute beide nicht reserviert.«

»Danke.« Das Grinsen des Pflanzenretters wird verschmitzter.

Kaum sind sie an mir vorbei, hole ich tief Luft. Was war denn das bitte? Mit schnellen Schritten gehe ich zum Tresen und stelle die Pflanze mit Nachdruck darauf ab.

KimPossible … Ich schüttle den Kopf. Dass er die Serie überhaupt kennt … Mein Blick folgt seiner athletischen Figur mit den breiten Schultern.

Wieder habe ich das Gefühl, ich hätte ihn schon einmal getroffen. Aber hätte er mich dann nicht auch erkannt? Vielleicht erinnert er mich einfach nur an einen Schauspieler oder ein Model … Lucky Blue Smith oder Drew Starkey zum Beispiel.

Egal. Ich habe Wichtigeres zu tun, als zu überlegen, wem er nun ähnlich sieht.

Ich schnappe mir ein Messer und schneide weiter Obst. Die Klinge gleitet durch den Apfel. Darauf sollte ich mich konzentrieren. Auf meine Arbeit. Dennoch wollen meine Gedanken meinem Befehl keine Folge leisten. Vielleicht weil ich das Gefühl habe, dass er aus irgendeinem Grund mein Interesse geweckt hat.

Vielleicht ist er mein Typ. Vielleicht finde ich ihn auf eine schräge Art und Weise spannend. Wenn dieses Grübchen auf seiner Wange erscheint und er mich mit seinen blauen Augen ansieht zum Beispiel. So wie … jetzt. Verdammt!

Eilig fokussiere ich mich auf das Obst vor mir auf dem Schneidebrett. Na super …

Ich umgreife das Messer fester. Und selbst wenn ich ihn attraktiv finde, tut das nichts zur Sache. Denn genau das ist es, was ihn für mich sowieso ins Aus schießt. Selbst als Option für einen One-Night-Stand oder ein einmaliges Date. RonStoppable ist allein durch die Tatsache raus, dass mich das gerade so aus dem Konzept gebracht hat. Für spannend habe ich keinen Platz in meinem Leben. Keine Gefühlskapazitäten. Spannend bedeutet, dass ich bereits zu viel fühle.

Ich straffe die Schultern und wende mich einer Kundin zu, die soeben das Café betreten hat. Höchste Zeit, mich auf andere Dinge zu konzentrieren.

2. Kapitel

Name: Ehemals Pflanze im Paolas, jetzt Mirabel genannt

Gattung:Aloe vera

Status: Verwirrt, aber wieder am rechtmäßigen Platz (glaube ich zumindest)

Mit gleichmäßigen Bewegungen wische ich über Tisch Nummer 13, der soeben frei geworden ist. Es sind nicht mehr viele Leute im Lokal, was mir nach der anstrengenden Schicht sehr recht ist. Nur noch der Achtertisch ist da, Will und der Ron-Stoppable-Typ mit seinem Kumpel. Sie bezahlen gerade bei Lev.

Ich fahre mit dem Lappen unter dem Besteckbehälter entlang. Dabei fange ich einen Blick von Will auf, der mir prompt zunickt. Ich lege die Putzutensilien beiseite und gehe zu ihm hinüber. Er hat seinen Geldbeutel demonstrativ auf den Tisch gelegt.

»Ihr wollt zahlen?«, frage ich.

»Genau. Das Essen war sehr lecker.« Will sagt es, als hätte es furchtbar geschmeckt.

Ich nenne zuerst seinem Kumpel den Betrag, den er mit Karte bezahlt.

Dann ist Will an der Reihe. »Das macht einundzwanzig Dollar bitte.«

Er zögert, dann legt er plötzlich seine Hand auf meine. Reflexartig ziehe ich sie zurück und blitze ihn an. Was fällt ihm denn ein?

»Ich finde, wir sollten uns noch mal treffen, India. Wir hatten doch viel Spaß zusammen.«

Hatten wir?

»Ich habe kein Interesse.« Meine Antwort ist klar und deutlich, während ich versuche, meinen Ärger im Zaum zu halten. Das kann ich nun wirklich nicht gebrauchen. »Ich habe dir geschrieben, dass ich ein weiteres Treffen für keine gute Idee halte.«

»Ja, aber vielleicht hat sich das ja geändert.«

»Hat es nicht und wird es nicht.« Ich tippe auf das Kartengerät. Eine stille, aber nachdrückliche Aufforderung, dass er jetzt bitte bezahlen und mich endlich in Ruhe lassen soll.

Wills Kumpel zieht sich bereits die Jacke an und geht nach draußen. Anscheinend haben sie vereinbart, dass er ihn noch einen Moment mit mir allein lässt. Oder die Anspannung zwischen uns ist ihm so unangenehm, dass er lieber das Weite sucht.

»Wie lange geht deine Schicht noch? Ich könnte warten und dann reden wir noch mal. Ich weiß, dass du die Nacht nicht vergessen hast.«

Ich habe sie in der Tat nicht vergessen. Allerdings nicht, weil Herr Will so grandios im Bett war, sondern weil ich Layla nach dem Theater, das er am nächsten Morgen veranstaltet hat, eine Portion Rolled Ice Cream schuldig war! Ich beiße mir auf die Zunge, um nichts Unüberlegtes zu sagen, und atme zweimal tief durch.

»Die Antwort ist Nein, Will. Das war eine einmalige Sache«, wiederhole ich.

Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Was versteht er denn bitte nicht daran? Reicht es nicht, dass ich ihm geschrieben habe, dass ich keinen Kontakt mehr will, und ihn seitdem ignoriert habe? Muss ich mir ein Schild auf die Stirn kleben, auf dem steht, dass ich mich nicht mehr mit ihm treffen werde? Wie kann man so begriffsstutzig sein?

»Aber wir waren so gut zusammen!«

»In welcher Welt waren wir gut zusammen?« Ich sage es heftiger als beabsichtigt, aber ich bin nun wirklich in Rage. »Noch einmal: Ich habe kein Interesse.«

»Wieso denn nicht? Hast du einen Freund?«

»Das ist vollkommen irrelevant und …«

»Ja, hat sie, und der wird dich gleich rausschleifen, wenn du sie weiter belästigst.« Die klare, eisige Stimme unterbricht mich mitten im Satz.

Wie bitte?

Ich fahre herum. Da steht er, keinen Meter entfernt. Ron, die Hände lässig in den Taschen seiner schwarzen Jeans vergraben, den Mantel über die Schulter geworfen, als sei er gerade am Gehen. Sein Blick durchbohrt Will regelrecht und um uns herum wird es plötzlich still. Als hätte seine Präsenz den ganzen Raum eingenommen, alle Geräusche aufgesogen wie ein schwarzes Loch.

»Okay, schon gut. Hab’s kapiert …« Will hält seine Karte an das Lesegerät, bis es piept, und nimmt hastig seine Jacke vom Stuhl. »Sorry …« Sein Blick fliegt bei der Entschuldigung zu Ron. Dann geht er mit schnellen Schritten aus dem Café.

»Aber …« Empörung wallt in mir auf. Hat er sich gerade ernsthaft bei ihm entschuldigt und nicht bei mir?

»Gern geschehen«, sagt Ron, kaum dass sich die Tür des Lokals wieder geschlossen hat, und der Zorn in mir gewinnt die Oberhand. Was fällt ihm ein, sich hier einzumischen?

»Was sollte das?« Wutentbrannt baue ich mich vor ihm auf. So dicht, dass mein Oberkörper fast seinen berührt.

»Ich habe dir geholfen.« Er sieht von oben auf mich herab. Das Blau seiner Augen wirkt dunkler im gedimmten Licht des Cafés.

»Nein, du hast behauptet, du wärst mein Freund …«

»Genau genommen habe ich behauptet, du hättest einen Freund. Aber ich habe auch nichts gegen die andere Variante.«

»Was zum Teufel …!« Mir entfährt ein Schnauben. »Der Typ hat es gefälligst zu akzeptieren, wenn ich Nein sage. Es sollte nicht nötig sein, einen Freund vorzuschieben! Das hätte ich ihm schon noch eingetrichtert!«

»Aber du hast noch was zu tun und er war es nicht wert, dass du mehr Zeit auf ihn verschwendest.«

Wieso hört er nicht auf, so zu grinsen?

»Die einfache Lösung ist nicht immer die beste!«, blaffe ich und würde ihn gern ein bisschen hauen. Wenn ich mich strecke, könnte ich ihm vielleicht eine Kopfnuss geben.

Ich trete einen Schritt zurück, um Abstand zwischen uns zu bringen und für seine Sicherheit zu sorgen. Er provoziert es wirklich!

»Ich finde, dass ein Nein reichen sollte«, sage ich gefasster. »Und falls du dich nach meiner Schicht auch noch mit mir treffen willst: Nein, ich habe einen Freund.«

Er lacht. Er lacht so kehlig, dass ich es mir für einen Moment verkneifen muss mitzulachen. Obwohl ich ihn lieber weiterhin böse anstarren will.

»Dann hab noch einen schönen Abend, India mit dem Teilzeitfreund.«

»Nenn mich nicht so!«

»Doch lieber Kim?«

»Nein!«

»Candice?«

Meint er etwa Candice von Phineas und Ferb? »Zählst du jetzt sämtliche rothaarigen Seriencharaktere auf?«

»Nur meine Favoritinnen.« Wieder dieses Grinsen, als würde ihm die Konversation unheimlichen Spaß bereiten.

»Beweg lieber deinen Arsch hier raus. Kim könnte dich vermöbeln.«

Abwehrend hebt er die Hände und wendet sich halb zur Tür. »Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.«

Sein sommersprossiger Kumpel folgt ihm mit einem vergnügten Nicken in meine Richtung. Er scheint das Ganze unheimlich witzig zu finden.

»Ich hoffe nicht!«, rufe ich hinterher, als Ron hinaus in die Kälte verschwindet. Nur sein Lachen klingt noch nach.

Verdammter Scheißtag!

In unserer Küche brennt Licht. Mittlerweile ist es fast elf Uhr abends, Layla sitzt mit einer kleinen Schale Chips und ihrem Laptop am Tisch und sieht konzentriert auf den Bildschirm vor sich.

»Hi.« Sie sagt es so geistesabwesend, dass ich die Stirn runzle.

Unser Kater Grumpy liegt auf ihrem Schoß und starrt nun mit mürrischer Miene in meine Richtung. Als würde er mir einen Vorwurf machen, dass ich erst so spät nach Hause gekommen bin.

»Läuft das Animieren nicht gut?« Ich öffne den Kühlschrank, nehme mir den Rest eines Puddings, den ich gestern nicht ganz geschafft habe, und setze mich mit einem Löffel Layla gegenüber. Im Paolas habe ich zwar etwas zu Abend gegessen, aber das hat meine Lust auf Nachtisch nicht gestillt. Vor allem auf diesen Pudding. Wenn der Tag so mies ist, braucht man etwas Süßes.

»Hmhm. Es geht. Das Programm ist zweimal beim Rendern abgestürzt, aber na ja.« Sie zuckt mit den Achseln.

Den Begriff rendern hat sie mir schon einmal erklärt, und wenn ich mich recht erinnere, dann bedeutet es, dass das 3D-Programm die animierte Sequenz als einzelne Bilder exportiert. Etwas, was man eben für das Gamedesign-Studium braucht.

»Wie war’s bei dir?«

»Eher bescheiden«, gebe ich zu und stecke mir einen Löffel voll Pudding in den Mund. Der süße Geschmack bessert meine Laune ein wenig. »Mein Auto ist nicht angesprungen …«

»Oh nein!«

»… Will war da …«

»Whiny Will?« Layla macht große Augen.

»Japp, und dann hat ein Typ behauptet, mein Freund zu sein. Es war wild.«

»Okaaay …?«

»Ja, der Tag war für den Mülleimer. Ich führe es lieber nicht weiter aus.« Stöhnend streiche ich mir meine Haare aus dem Gesicht.

»Und dann auch noch Ingrid, hm?«

»Woher weißt du von Ingrid?«, frage ich überrascht.

»Grumpy hat herumgemaunzt und ich wollte ihn aus deinem Zimmer zum Kuscheln herüberholen. Dabei konnte ich das Trauerspiel nicht übersehen.« Sie schaut mich streng an. »Dir steht noch eine Beerdigung bevor!«

Ich ziehe eine Grimasse. »Ja … das auch noch.«

»Und dann gab’s leider noch etwas Unerfreuliches. Ich habe vorhin eine Mail von unserer Vermieterin bekommen.« Layla beißt sich auf die Unterlippe. »Die Miete wird erhöht.«

Der Satz lässt mich mitten in der Bewegung innehalten, der Pudding auf dem Löffel keinen Zentimeter von meinem Mund entfernt.

»Wieso das?«, bringe ich hervor. Mein Herz klopft schneller. Eine Mieterhöhung? Ausgerechnet jetzt?

»Mrs Pax hat mir einen ewig langen Text über steigende Stromkosten geschrieben. Ich habe zwanzig Minuten lang versucht, das alles zu verstehen, und es dann aufgeschoben, bis du kommst.« Layla knirscht mit den Zähnen. »Aber die Quintessenz der Mail ist, dass unsere Miete steigt. Sie schreibt etwas von hundert Dollar.«

»Pro Person?«, hake ich nach, versuche, ruhig zu bleiben, obwohl ich die Panik schon in meinen Knochen spüre. Ich stecke den Löffel zurück in den Puddingbecher und gehe mit weichen Knien auf die andere Seite des Tischs, um auch auf Laylas Bildschirm sehen zu können. Hoffentlich ist es nicht so schlimm, wie ich gerade befürchte. Bitte, bitte, bitte …

»Hier.« Sie schiebt mir den Laptop hin. Ich überfliege die E-Mail und meine Brust schnürt sich mit jeder Zeile enger zu, bis ich mich fühle wie in einer Zwangsjacke.

»Oh. Scheiße«, murmle ich. »Das ist viel.«

Auch wenn es wenigstens nicht pro Person, sondern insgesamt ist. Aber fünfzig Dollar mehr sind für mich quasi unmöglich. Ich bin am Ende jedes Monats auf null. Ersparnisse habe ich nicht, und wenn ich jetzt das Auto reparieren lassen muss … Wie soll ich das schaffen?

Obwohl mich der Schreck fest im Griff hat, versuche ich, es mir nicht anmerken zu lassen. Ich kriege das hin.

Grumpy streckt seinen Kopf auffordernd in meine Richtung. Ich streichle dem wie immer mürrisch dreinblickenden Kater über das weiche grau gemusterte Fell. Es hilft dabei, mein polterndes Herz zu beruhigen und die aufsteigende Panik im Zaum zu halten.

»Du bist auch nicht begeistert, hm?«, murmle ich und er miaut zustimmend.

»Ich wette, er hat nur Angst um sein Fressen.« Layla klopft sanft auf Grumpys Bauch. »Dass wir wieder die günstige Katzenfuttermarke nehmen und er sich Mäuse fangen muss.« Sie stupst mit dem Zeigefinger gegen seine Nase. »Aber keine Sorge. Dein Futter hat natürlich oberste Priorität. Vorher bleiben andere Sachen auf der Strecke.«

Mein Essen zum Beispiel. Ich muss nachher einen Kostenplan aufstellen und mir einen Überblick verschaffen, wo ich was einsparen kann. Kein Kaffee mehr in der Cafeteria, keine Handyflatrate. Kein Spotify. Vielleicht geht es ja doch irgendwie …

Der Kater schnurrt und ich lache leise, obwohl mir ganz und gar nicht zum Lachen zumute ist. Aber ich will nicht, dass Layla weiß, wie schlimm die Mieterhöhung tatsächlich für mich ist. Ich will nicht, dass sie sich Sorgen macht oder sich gezwungen fühlt, mir finanziell unter die Arme zu greifen. Denn dann wäre ich dazu gezwungen, ihr alles schnell wieder zurückzugeben, und das würde mich erst recht unter Druck setzen. Und was, wenn ich es nicht mehr zurückzahlen könnte?

Nein.

Erst muss ich dafür irgendeine Lösung finden. Und die werde ich finden. Ich schaffe das schon. Mom und ich haben auch immer alles geschafft.

»Wir könnten auf Kerzen umsteigen«, schlage ich vor. Ich kraule Grumpy am Ohr, seiner absoluten Lieblingsstelle, und er schnurrt lauter. »Um Stromkosten zu sparen.«

Vielleicht spürt Grumpy das mulmige Gefühl in meinem Bauch, denn er drückt sich gegen meine Hand, als wolle er mich beruhigen. Vielleicht tut er es aber auch nur, damit ich fester kraule. So oder so, es sorgt dafür, dass ich ein bisschen runterkomme.

Ich kriege das hin.

»Leider habe ich nur noch eine Kerze und die stinkt fürchterlich nach Klostein.« Layla verzieht das Gesicht. »Die wollte ich eigentlich mal wegwerfen.«

»Ich hätte noch einen Vorrat an Teelichtern.« Eine ganze Kiste voll.

»Das würde ich uns sogar noch zutrauen, dass wir der Vermieterin vorschlagen, den Strom abzustellen, und uns mit Kerzen durchschlagen.« Jetzt lacht Layla. »Aber für meinen Laptop und den PC brauche ich unbedingt Strom. Ich muss an meine Community denken.«

»Gut, dass du deine Sims-Streams über dein Studium stellst.« Ich klopfe ihr auf die Schulter. »Prioritäten.«

Laylastreamt auf Twitch regelmäßig Sims und ist damit seit letztem Semester, in dem sie eine Sims-in-real-life-Challenge gestartet hat, ziemlich erfolgreich.

Layla mustert mich nachdenklich. »Kommst du denn einigermaßen hin? Ich kann dir auch was leihen, wenn du was brauchst.«

Rasch schüttle ich den Kopf. »Danke für das Angebot. Aber wozu arbeite ich schließlich?« Um die Gebühren fürs Studium zu bezahlen, flüstert eine kleine, gemeine Stimme in meinem Kopf, die ich geflissentlich ignoriere.

»Okay. Aber wenn ich helfen kann, gib Bescheid.« Layla sieht mich ernst an.

Zur Antwort ziehe ich eine Grimasse.

»Wirklich, India!«

»Okay. Wenn es zum Äußersten kommt, sage ich dir Bescheid.«

»Bevor wir die Klosteinkerze anmachen müssen?«

»Definitiv davor.«

Sie grinst breit, dann wird ihr Gesichtsausdruck weicher. »Hast du Lust, noch eine Folge Gilmore Girls anzusehen? Wenn wir jetzt schon das letzte Mal günstigen Strom haben?«

»Klingt perfekt. In deinem Zimmer?«

»Gern, dann kann ich gleich in meinem Bett bleiben.« Sie hält Grumpy fest im Arm, als sie den Stuhl zurückschiebt und aufsteht. Ein paar ihrer zu den Spitzen hin pink gefärbten Haare fallen dem Kater dabei ins Gesicht und seine Schnurrhaare wippen auf und ab, als er die Nase kräuselt. »Animieren kann ich auch morgen wieder.«

Ich lächle ihr zu. Sorgen machen kann ich mir ebenfalls morgen wieder … auch wenn mir das Verdrängen gerade wirklich schwerfällt.

Ich stehe vor dem Spiegel im Flur und betrachte die Ringe unter meinen Augen, die blasse Haut mit den vielen Sommersprossen, die zum Frühlingsanfang hin wieder deutlicher zu sehen sind. In der Schule haben mich ein paar Mädchen deswegen Streuselkuchen genannt, aber das hat bald wieder aufgehört, denn entgegen ihren Erwartungen fand ich das kein bisschen schlimm. Die Sommersprossen habe ich von Mom. Und auf alles, was ich von Mom habe, bin ich stolz.

So zum Beispiel auf meinen Tatendrang. Denn heute Morgen habe ich sofort bei der Werkstatt angerufen, damit sie sich das Auto mal ansehen und mir einen Kostenvoranschlag machen können. Sie haben es keine halbe Stunde später abgeholt und jetzt heißt es warten. Dann kann ich immer noch in größere Panik ausbrechen.

Ein Miauen ertönt neben mir und reißt mich aus meinen Gedanken. Grumpy will wohl auch endlich raus.

Ich streichle ihm über den Kopf, schnappe mir meinen Jutebeutel fürs College und die Schlüssel mit dem Kaktusanhänger und öffne die Wohnungstür. Der Kater huscht an mir vorbei nach draußen und die Treppe hinunter. Ich folge ihm rasch. Auf der Straße angekommen, winke ich, als er sich in die Büsche schlägt und der Puschelschwanz zwischen Blättern und Zweigen verschwindet.

»Bring nicht wieder so viele Kletten mit nach Hause«, rufe ich ihm nach.

Ich schlage meinen üblichen Spazierweg ein. Die erste Vorlesung ist erst um halb elf, mir bleibt also noch ein bisschen Zeit, und kein Auto zu haben, macht es zumindest einfacher, meine täglichen zehntausend Schritte zu erreichen.

Ich schlendere an der Hauptstraße entlang, als mein Handy vibriert.

Mit dem Finger wische ich nach rechts. »Hi, Mom.«

»Hi, Maus.« Moms weiche Stimme erklingt am anderen Ende. »Hast du kurz Zeit? Es geht um den Blumenschmuck für die Hochzeit.«

»Ja … klar.« Meine Schritte werden automatisch schneller, als könnte ich so vor dem Gespräch weglaufen.

Mom wird heiraten. Sie hat sich letztes Jahr mit Carl verlobt, nach nicht einmal sechs Monaten Beziehung. Ein Teil von mir freut sich zwar für sie, aber ein anderer Teil – der größere – hat einfach schon zu viel Salted-Caramel-Eis auf dem Tisch gesehen, um optimistisch zu bleiben. Bisher hat sich schließlich jede ihrer Beziehungen als Reinfall herausgestellt und ich kann einfach nicht anders, als an der Dauer ihres Glücks zu zweifeln.

»Schieß los«, ermuntere ich sie, um mein Zögern zu überspielen.

Letztes Jahr hatten wir wegen meiner Skepsis gegenüber der Hochzeit einen ziemlich heftigen Streit, seitdem reiße ich mich zusammen, so gut es geht. Mom war immer für mich da und ich für sie. Doch jetzt bin ich am College und ich kann verstehen, dass sie gerne jemanden an ihrer Seite hätte. Auch wenn ich wünschte, es wäre nicht ausgerechnet ein Typ wie Carl geworden … Aber ich bin es ihr schuldig, zumindest so zu tun, als würde ich Carl gutheißen.

»Also, wir hatten doch wegen der Blumen überlegt. Ich bin mir so unsicher, ob es Lilien oder Rosen werden sollten. Oder was ganz Ausgefallenes. Vielleicht Sonnenblumen?«

»Hmm … Sonnenblumen sind deine Lieblingsblumen, also warum nicht die? Oder doch klassisch? Dann die Rosen.«

»Ja, aber vielleicht ist das auch langweilig.« Ich kann beinahe hören, wie sie die Nase rümpft. Mom kann langweilig nicht leiden. Konnte sie noch nie.

»Was hat denn Maggie gesagt?«, hake ich nach. Bei Blumen bin ich vielleicht nicht gerade die richtige Ansprechpartnerin.

»Wir wollen gleich brunchen und ich frage sie auch noch mal. Aber ich wollte es zuerst mit dir abstimmen.«

Sie scheint im Badezimmer zu sein, denn ich höre, wie der Wasserhahn rauscht.

»Das ist lieb.« Ein Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht und ich atme tief die kühle Frühlingsluft ein, den Duft nach frischem Gras und den ersten Blüten.

Maggie ist Moms Trauzeugin und erste Brautjungfer. Dass Mom mich bei allen Entscheidungen zuerst fragt, bedeutet mir daher viel. Und das, obwohl sie weiß, dass ich der Hochzeit nicht zu hundert Prozent positiv gegenüberstehe. Aber Mom wollte das. Eine Hochzeit. Schon immer. Und ich werde sie dabei unterstützen, wo ich kann. Sie hat es verdient, glücklich zu sein.

Ich habe siebentausend Schritte geschafft. Bevor ich nachher den Rest laufe, heißt es erst einmal, die Vorlesung ohne Einschlafen zu überstehen. Mit Nachdruck schließe ich meinen Studienplaner, in dem ich die heutigen To-dos eingetragen habe. Unter anderem: Blumenschmuck für Moms Hochzeit final aussuchen und Lieder derBands anhören, die infrage kommen.

Ich tippe Maggie ein Und, wie war der Brunch? Was gibt es Neues? in den Chat und sperre das Display. Mal sehen, was Maggie und Mom ausgeheckt haben. Ich würde ihnen zutrauen, dass sie statt derBand Dudelsackspieler engagieren.

Ich gähne hinter vorgehaltener Hand und schiele zu Shay hinüber, die genauso müde dreinblickt. Die Medienforschung-Vorlesung bei MrGardener ist heute besonders zäh. Der Mann mit dem schütteren grauen Haar ist an die siebzig und wirkt wie ein Druide, der bereits in seiner Jugend irgendwie alt und weise war. Heute redet er allerdings noch langsamer als sonst und referiert über verschiedene Methoden zur Datenerhebung. Dabei dreht er sich gedanklich so im Kreis, dass ich auch nach einer Dreiviertelstunde nicht weiß, worauf er hinauswill.

»Auch Apps sind heutzutage ein wichtiges Instrument zur Vernetzung«, sagt er mit seiner kratzigen Stimme und stellt sich auf die Zehenspitzen, um mit seinem Zeigestab auf eine an die Wand projizierte Folie zu deuten.

»Wer unterm Stein lebt, findet halt auch einen Grashalm interessant«, spottet Shay und zieht demonstrativ eine Augenbraue nach oben.

Ich lache leise über ihren Kommentar, auch wenn ich mir bei dem Spruch diesmal nicht sicher bin, ob es sich nicht doch um ein existierendes Sprichwort handelt. Aber vermutlich nicht. So tief würde Shay nicht sinken. Sie erfindet lieber selbst welche.

»Deswegen werden Sie sich eine App aussuchen, die mit persönlichen Daten arbeitet, und diese mit ähnlichen Apps vergleichen, Funktionen prüfen, Vor- und Nachteile untersuchen.« MrGardeners Stab trifft auf ein gelbes J, das eine Banane imitieren soll und das Logo einer Obstinitiative am Campus darstellt. »So etwas zum Beispiel. Sie bekommen den Arbeitsauftrag noch mal per Mail geschickt. Die Prüfung besteht aus einer schriftlichen Auswertung und einer Präsentation. Deadline ist Ende April.«

Shay sieht genauso entnervt aus, wie ich mich fühle. »Das wird wieder so ein Tausend-Stunden-Projekt, bei dem er dann noch erwartet, dass die Unterlagen aussehen wie ein durchdesignter Möbelkatalog.« Sie wirft mir einen Blick aus ihren dunkelbraunen Augen zu, die ein perfekter Lidstrich ziert. Irgendwann muss ich sie fragen, wie sie den so genial hinbekommt. »Wir machen das doch zusammen, oder?«

»Immer.« Ich grinse breit.

Shay und ich waren schon letztes Semester zusammen in MrGardeners Kurs und seit einer gemeinsamen Präsentation über die Auswirkungen von Social Media auf das politische Meinungsbild sind wir ein Herz und eine Seele. Auch damals saßen wir viele Nächte gemeinsam in der Bibliothek und haben heimlich Wein getrunken, weil Shay der Meinung ist, dass man das Leben auch in der stressigsten Zeit genießen sollte.

»Bitte teilt euch selbstständig in Projektgruppen mit drei Personen ein. Bis nächste Woche erwarte ich eure Themenwahl.«

»Wir stellen aber nicht diese grausige Studiensport- oder die Rabattcode-App vor, die er als Beispiel präsentiert hat.« Shay fasst ihre Braids zu einem großen Dutt zusammen und schlingt ein Haargummi darum, dann stützt sie ihren Kopf auf die Hände, und gemeinsam warten wir darauf, dass MrGardener die Vorlesung beendet.

»Wen sollen wir noch dazunehmen?«, frage ich und packe meine Sachen zurück in meinen Jutebeutel, den zwei illustrierte Sonnenblumen zieren.

»Selma?«

»Selma«, bestätige ich. Gut, dass Shay und ich uns sofort einig sind. Ich stehe auf und nicke in Selmas Richtung. »Ich frage sie.«

3. Kapitel

Name: Bert

Gattung: Kaktus

Status: Lebendig begraben

Selma hat zum Glück zugestimmt, und so sitzen wir in der Mittagspause in der Cafeteria vor ShaysLaptop und recherchieren Apps, die sich als Projektthema eignen würden. Während ich überlege, schweift mein Blick aus dem Fenster in den begrünten Innenhof, scannt beiläufig die Studierenden, die sich dort tummeln. Ein blonder Typ läuft am Fenster vorbei und ich stocke kurz. Ist das der Typ aus dem Paolas? Wobei, nein, der war größer … Aber theoretisch besteht die Möglichkeit, dass er auch in Harpersville aufs College geht …

»Wollt ihr etwas zu trinken? Ich hole mir einen Chai Latte.« Selmas Stimme reißt mich aus meinen Gedanken an diesen Ron-Typ, denn der ist ja wohl der letzte, an den ich denken will. Sie steht auf und zückt ihren Geldbeutel. Es ist einer der praktischen Sorte, klein und mit vielen Fächern. Das genaue Gegenteil von Shays riesigem pinkem Ein-Fach-Teil, das auch als Tasche durchgehen könnte.

»Gern. Ich nehme einen Cappuccino.« Shay reicht ihr einen Fünfdollarschein. »Danke.«

»Und du?« Selmas blaue Augen blicken mich auffordernd an und ich schlucke.

»Grade nichts, aber sehr lieb von dir.« Ich winke ab. Dabei weine ich innerlich und mein um sein Koffein gebrachtes Gehirn gleich mit. Aber ich muss sparen, wo ich kann. Das zählt im Moment mehr.

»Was hältst du denn von der Obst-App?« Shayscrollt auf ihrem Laptop-Bildschirm herum, auf dem das Bananen-J wieder zu sehen ist.

»Ich weiß nicht.« Ich zucke mit den Achseln. »Ist das nicht etwas eintönig? Dass die App Vorteile hat, ist klar, aber ich glaube, sie hat zu wenige Funktionen.« Im Grunde geht es nur darum zu wissen, wo und wann es auf dem Campus welches Obst gibt, und hin und wieder werden Coachings für gesunde Ernährung angeboten.

»Japp, das stimmt. Und Daten braucht die App auch nicht viele. Maximal den Standort.« Shay spielt an dem schmalen goldenen Septum in ihrer Nase herum.

»Die Sport-App trackt wahrscheinlich gesundheitliche Daten, das wäre nicht verkehrt, aber sonderlich spannend ist es auch nicht.«

»Achtung, heiß.« Selma balanciert die beiden Kaffeetassen an den Tisch und schiebt Shay den Cappuccino zu.

Dann bemerke ich, dass sie noch etwas anderes in ihrer Hand hält. Eine Karte.

»Habt ihr schon mal was von TheIck gehört?«, fragt sie und hält uns die Karte hin. Sie sieht fast aus wie eine Visitenkarte, doch auf den zweiten Blick ist es eher ein Flyer. »Vielleicht wäre das was für unser App-Problem.«

»Nein, was ist das?« Ich nehme den Flyer entgegen, während Shay an ihrem Kaffee nippt und dabei über meine Schulter schielt.

»Das ist eine Studierenden-Dating-App, die sie entwickeln.« Selma wirkt begeistert. »Das klingt doch eigentlich cool, oder?«

»TheIck. Verliebe dich in meine Schwächen«, lese ich den Slogan vor und betrachte das Logo daneben. Ein mintgrünes Herz mit bunten Flicken darauf.

Eine Dating-App auf dem Campus, das hat mir gerade noch gefehlt. Wieso sollten wir eine Dating-App …?

»Klingt wirklich nicht schlecht«, sagt Shay und lässt mich überrascht innehalten. »Worum geht es genau?« Sie nimmt mir die Karte aus der Hand, um selbst zu lesen.

»Anscheinend soll man sich mit seinen Schwächen vorstellen und gegenseitig von vornherein Icks ausschließen.« Selma zwirbelt eine ihrer langen blonden Haarsträhnen zwischen den Fingern und trinkt von ihrem Chai Latte.

Was für eine bescheuerte Idee … Nur mit Mühe halte ich mich davon ab, die Augen zu verdrehen.

»Du wirkst nicht begeistert.« Sie sagt es fragend, auch wenn es eher eine Feststellung ist.

»Hm. Nein, ich halte nur nicht viel von Dating-Apps«, gebe ich zu.

»Du hasst sie«, verbessert Shay und grinst wissend.

Zerknirscht verziehe ich den Mund. »Möglich.«

»Oh, wieso das?« Selma stellt ihr Getränk ab und sieht mich interessiert an.

»Ich kann Beziehungen nichts abgewinnen.« Ich zucke mit den Schultern.

Beziehungen sind dazu da, um sich gegenseitig Versprechungen zu machen, die man sowieso nicht hält. Ich habe das bei Mom oft genug miterlebt. Ganz egal, ob sie den Kerl im Kino getroffen hat, beim Sport oder durch eine Dating-App, es lief immer auf dasselbe hinaus. Salted-Caramel-Eis. Und ich habe keine Lust, mich im Studium auch noch damit auseinanderzusetzen. Wieso sollte ich analysieren wollen, wie sich die Leute gegenseitig kennenlernen, nur um dann eine Trefferquote von null Prozent zu haben?

Ich weiß, dass ich vermutlich übertreibe. Es ist schließlich nur für ein Projekt. Aber allein der Gedanke, dass ich mich für das Projekt mit Versprechungen auf die große Liebe herumschlagen müsste, geht mir gegen den Strich.

Vielleicht verrät mein Blick zu viel. Zu viele über Jahre hinweg aufgestaute Gefühle, denn Selma nickt verständnisvoll.

»Es war nur eine Idee.«

Die Anspannung, die sich einen Moment lang über uns gelegt hat, verflüchtigt sich wieder.

»Es war ja auch keine schlechte Idee«, beeile ich mich zu sagen. »Wir können es im Hinterkopf behalten. Aber vielleicht finden wir ja etwas anderes.«

Layla hat mich nach den Vorlesungen mit einer Suppenkelle begrüßt und mich an die Pflanzenbeerdigung erinnert. Deswegen gehen wir am Nachmittag auf die Verkehrsinsel vor unserem Haus und beerdigen Ingrid.

»Oh, schau mal! Bert ist wiedergeboren!«, ruft Layla entzückt und zeigt auf ein paar grüne Triebe unter einem Stein, auf dem in fetten Druckbuchstaben der Name meiner ehemals verstorbenen Pflanze steht.

»Ach«, sage ich überrascht. Aber tatsächlich, da ist ein Minikaktus.

Ich wusste nicht, dass Kakteen sich wieder aufrappeln können, wenn sie einem Pfannkuchen gleich unter der Erde liegen. Und das nach mehreren Monaten! Der Kleine hat den ganzen Winter durchgestanden.

»Dich nehmen wir mit, Bert junior.« Ich schaue mir das Pflänzchen näher an. »Hilfst du mir, ihn, äh, artgerecht aus dem Grab herauszuholen? Hat ein Kaktus Wurzeln?«

An Laylas schockiertem Gesichtsausdruck erkenne ich, dass diese Frage meinen schwarzen Daumen nur noch weiter untermauert.

»India!« Sie sagt es so vorwurfsvoll, dass ich lachen muss. »Und du nennst dich Pflanzenliebhaberin!«

»Sammlerin! Pflanzensammlerin«, verbessere ich und ziehe eine Grimasse. »Und dann erst Pflanzenliebhaberin, das ist was anderes.«

Layla lacht. »Das ist wie bei den Leuten, die behaupten, dass Bücher kaufen und Bücher lesen völlig unterschiedliche Hobbys sind.«

»Das ist ja auch so!« Empört verschränke ich die Arme vor der Brust. »Sammeln und lesen … oder in meinem Fall pflegen!«

»Von mir aus.« Layla gibt sich geschlagen. »Aber jetzt begraben wir erst mal deine letzte Sammelaktion.«

»Danke.« Ich nicke zufrieden und gehe in die Hocke. Mit geübten Bewegungen schaufle ich mit der Suppenkelle direkt neben dem Grabstein von Bert eine Kuhle für Ingrid, meine sträflich vernachlässigte Ufo-Pflanze.

Ein Windstoß fegt über die Straße, fährt mir durch die Haare und kitzelt mich im Nacken. Er ist angenehm lau und ein Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht. Endlich ist es nicht mehr so kalt und trist. Die Tage werden wieder länger, die Sonne scheint. Ich liebe den Frühling. Er ist wie der Bote besserer Zeiten. Ein Neuanfang, nachdem der Winter alle schlechten Dinge unter einer dicken Schneeschicht begraben hat. Eingefroren. Ausgelöscht. Eine Möglichkeit, sich selbst neu zu erfinden.

»Was hast du am Wochenende vor?«, fragt Layla, während sie mit Argusaugen darauf achtet, dass Ingrids Grab auch tief genug wird.

Ich halte in der Schaufelbewegung inne. »Ich fahre Mom besuchen.«

Beim Gedanken an Mom regt sich Vorfreude in mir, auch wenn sie von der Aussicht auf Carl etwas gedämpft wird.

»Plant ihr etwas für die Hochzeit?«

Ich kräusle zur Antwort die Nase und Layla lacht leise.

»Und du? Kommt Henry mal wieder vorbei?«

»Am Sonntag, ja. Wir wollten vielleicht zusammen kochen.« Layla grinst. »Und am Samstag ist ein Volleyballspiel. Das erste Mal mit dem neuen Coach, ich bin echt gespannt …«

»Oh, ich wusste gar nicht, dass es einen Wechsel gab.« Ich stoße die Kelle wieder in die Erde, fester dieses Mal, um einen hartnäckigen Stein zu lösen. Eine kleine Kerbe bleibt im Metall zurück, als es über den Stein kratzt. Da wir die Suppenkelle durch das häufige Graben sowieso zweckentfremdet haben und nicht mehr für Essen verwenden, ist das aber nicht weiter schlimm.

»Ja, CoachTrescott ist in Elternzeit gegangen, und jetzt haben sie so einen jungen Trainer geholt, der mal in der Nationalmannschaft gespielt hat.«

Layla zuckt mit den Achseln, aber sie tut nur so gleichgültig. Seit sie im letzten Semester als Volleyball-Teammaskottchen eingeteilt wurde, ist sie zum Fan mutiert. Zum großen Teil hat das mit ihrem Freund Henry zu tun, aber ich glaube, dass sie der Sport wirklich interessiert. Immerhin ist sie mittlerweile sogar zur Teammanagerin aufgestiegen – da ist es ihr natürlich wichtig, dass der neue Coach und die Mannschaft gut klarkommen.

»Verstehe.« Ich löse einen weiteren Stein aus dem Loch vor mir.

»Er ist irgendwie gruselig.« Layla reibt sich über den Arm, als hätte sie allein beim Gedanken an den neuen Coach Gänsehaut bekommen.

»Du fandest Henry am Anfang auch gruselig.« Ich grinse und Laylas Mundwinkel heben sich ebenfalls.

»Ja. Er ist sehr … streng, könnte man sagen. Ich bin mir nicht so sicher, wie ich ihn einschätzen soll.« Sie verzieht den Mund. »Aber er fährt Motorrad. Das ist schon ziemlich cool.«

Das klingt tatsächlich nicht schlecht.

»Apropos fahren. Wie kommst du denn zu deiner Mom? Hast du schon was aus der Werkstatt gehört?« Layla beugt sich etwas weiter zu mir und imitiert eine Schaufelbewegung. »Das Graben nicht vergessen!«

Ich sehe sie gespielt empört an, hebe aber weiter Erde aus.

»Mit dem Bus«, antworte ich dann missmutig. »Und bisher habe ich nur gehört, dass die Batterie ausgewechselt werden muss … und irgendein Ersatzteil, das dauert aber wohl, bis sie es bestellen können.« Vielleicht sage ich es ein wenig zu schnell, deshalb setze ich ein hoffentlich überzeugendes Lächeln auf. »Bestimmt kann ich bald wieder fahren.«

Was stark davon abhängt, wie schnell ich das Geld zusammenkratzen kann. Doch damit will ich Layla nicht belasten. Zumal es auch einfach anstrengend ist, ständig auf meine Ausgaben achten zu müssen. Das ist nicht unbedingt etwas, was ich gerne herumerzähle. Es macht mir nichts aus, dass es so ist. Ich gebe mein Bestes und ich bin stolz auf das, was ich mir selbst erarbeite. Was Mom und ich uns erarbeitet haben. Aber ich will nicht, dass meine Freundinnen Mitleid mit mir haben. Oder dass sie sich verpflichtet fühlen, mir Geld zu leihen. Das ist ganz allein meine Sache. Es ist nicht schlimm, wenn ich bis auf Weiteres auf Kaffee verzichten muss.

Ich lege die Kelle beiseite, um die Tiefe des Loches zu überprüfen. Die Erde fühlt sich kühl und feucht zwischen meinen Fingern an.

»Ich drücke die Daumen, dass du es bald wiederhast. Bis zu deiner Mom bist du mit dem Bus ja ewig unterwegs.«

Layla begutachtet die Kuhle, misst mit den Augen die Größe der toten Pflanze in ihren Händen ab, die wir in eine Serviette gewickelt haben.

»Ein bisschen tiefer muss es noch«, weist sie mich an und ich grabe weiter.

»Du kannst jedenfalls am Sonntag gerne mitessen, wenn Henry und ich kochen.« Layla lächelt und ihre Wangen färben sich rosa.

Ich nicke. »Gerne! Danke für die Einladung. Kocht ihr Senegalesisch?«

»Ja. HenrysMom hat uns ein Rezept gegeben, das ich unbedingt ausprobieren will.« Eine pinke Strähne hat sich aus ihrem Zopf gelöst und hängt ihr in die Stirn. Sie streicht sie sich mit einer raschen Bewegung hinter das Ohr.

Das Erdloch ist nun tief genug und ich lege die Suppenkelle zufrieden zur Seite. »Weißt du, wenn Bert wiedergeboren worden ist, muss ich mich ja gar nicht mehr so schlecht fühlen.«

»Das kann man jetzt so oder so sehen.« Layla prustet leise. »Deine Pflanzen haben hier mittlerweile einen persönlichen Friedhof. Sechs Grabsteine. Minus Zombie-Bert – wenn man das überhaupt als Minus zählen kann. Da finde ich Trauer und Reue schon angebracht.«

»Ich werde mich zukünftig mehr anstrengen«, grummle ich. Allmählich habe ich selbst keine Lust mehr, ständig meine Pflanzen auf der Verkehrsinsel vor unserem Haus zu beerdigen. »Zu meiner Verteidigung war Ingrid aber wirklich schon lange krank und nicht einmal du hast die Läuse in den Griff bekommen. Ich sollte mir lieber nur noch Kakteen anschaffen.«

Ein Niesen erklingt – beinahe wie ein Lachen – und lässt mich herumfahren. MrGrumpy beobachtet uns von der anderen Straßenseite aus mit seinem typischen verurteilenden Blick. Wärme flutet mich, kaum dass ich sein niedliches Katzengesicht sehe. Layla schnalzt ein paarmal mit der Zunge. Grumpys Ohren zucken, dann dreht er den Kopf weg und beginnt, sich zu putzen.

Nicht zu fassen.

»Wahrscheinlich ist es ihm peinlich, dass er uns kennt.« Layla kneift die Augen zusammen und versucht, wieder Blickkontakt mit Grumpy aufzunehmen. Vergeblich.

»Dieser Kater ist echt unglaublich.« Ich grinse in mich hinein und strecke meine Hand aus. »Gibst du mir die Pflanze?«

Layla reicht mir das Bündel mit der toten Ingrid.

»Danke.« Ich lege es vorsichtig in die Kuhle und schütte dann die Erde in kleinen Portionen wieder darauf, bis die Serviette nicht mehr zu sehen ist.

»Es tut mir leid, dass auch du von uns gegangen bist«, sage ich dabei und versuche, meinem Tonfall die von Layla geforderte Reue zu verleihen.

Ich schiele zu Layla, die mich auffordernd ansieht. Offenbar erwartet sie mehr von mir als leere Floskeln.