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Berlin in den Zwanziger Jahren. Bruno Kinsky und seine Brüder der Berliner Ringvereine - allesamt Schwerverbrecher - geraten in große Probleme, als es zu einer Massenschlägerei mit Hamburger Zimmerleuten kommt, in deren Verlauf es auch Tote gibt. Während Bruno sich jedoch gut aus der Affäre ziehen kann, tauchen neue Schwierigkeiten auf. Der Russe Fjodor Nobikov interessiert sich für ein Lokal mit einer Spielhölle, und dann taucht auch noch jede Menge Falschgeld auf, das ganz offensichtlich aus einem früheren Kriminalfall stammt. Sehr zu seinem Ärger trifft Bruno Kinsky auch wieder auf die pfiffige Kriminalistin Dorothee Keller, die Kriminalpolizeirat Ernst Gennat bei der Aufklärung des Falles hilft.
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Seitenzahl: 129
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Thomas Ostwald
Tödliche Straßenkämpfe
Berlin: Die Goldenen Zwanziger
Thomas Ostwald
Tödliche Straßenkämpfe
Berlin: Die Goldenen Zwanziger
Krimi
Edition Corsar D. und Th. Ostwald
Braunschweig
Impressum
Texte: © 2024 Thomas Ostwald
Umschlag:© 2024 erstellt mit Bing Create
Verantwortlich für den Inhalt:
Thomas Ostwald
Am Uhlenbusch 17
38108 Braunschweig
www.tatort-braunschweig.de
1.
Ich war es ja längst gewohnt, Aufsehen zu erregen. Da war einmal meine nagelneue, auffällige Mercedes-Limousine, die ich aufgrund meiner guten Beziehungen als erster in Berlin erhielt. Das Modell W 11 ist eine Limousine mit fünfzig PS und einem seitengesteuertem Sechszylinder-Reihenmotor. Der leistete stolze 50 PS und brachte das Fahrzeug auf 90 km/h. Das war schon für viele Passanten ein echter Magnet, wenn ich das Automobil, wie zumeist, direkt vor meinem neuen Varieté Octopussy-Palace am Kurfürstendamm, Ecke Joachimsthaler, parkte.
Aber man sagte mir nicht ohne Grund nach, dass ich ein Mann sei, der eine ganz besondere Wirkung auf Frauen hatte. Nun, das mag wohl sein, zumindest bestätigen mir das nicht nur meine beiden Assistentinnen Doris und Franziska ständig. Letztlich kam aber auch ein großer Teil der Presseleute ständig zu mir, um Fotos von den aktuellen Revuen zu machen, meine Stars abzulichten und natürlich zu interviewen. Nach dem mehrmonatigen Starauftritt von Josephine Baker, der unglaublichen Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin, war meine Revue Tagesgespräch im Berlin des Jahres 1928.
So war es auch nicht verwunderlich, dass ich beim Verlassen des Varietés an diesem Vormittag vier Männer bemerkte, die offenbar meinen Mercedes bewunderten.
Ein rascher Blick auf die vier breitschultrigen Männer verursachte ein unangenehmes Kribbeln in meiner Nackengegend und ließ mich leise stöhnen. Kerle wie diese vier kannte ich zur Genüge. Sie unterschieden sich kaum von meinen eigenen Leuten. Geldschrank-Ede, Pistolen-Kalle, Rennfahrer-Erich oder Brillanten-Willi waren nur eine Spur eleganter gekleidet als diese vier Schlägertypen. Ich legte nämlich großen Wert darauf, dass meine sogenannten Brüder des Ringvereins seriös auftraten. Aus diesem Grund trugen alle Brüder aus meinem Männer-Gesangsverein Norden 1891 maßgeschneiderte Anzüge. Das hatte zudem den großen Vorteil, dass ihre Waffen in den ebenfalls maßgefertigten Halftern nicht weiter auftrugen. Ich schätzte also die vier Limousinen-Bewunderer richtig ein, denn einer von ihnen sprach mich jetzt direkt an, wobei ich das Gefühl hatte, dass er dabei seine Zähne nicht richtig auseinander bekam.
„Bruno Kinsky?“, presste er nur schwerverständlich heraus.
„Wer will das wissen?“, antwortete ich knapp und warf einen raschen Seitenblick zum Varieté-Eingang. Meine Chancen standen schlecht, wenn diese vier Burschen mir ans Leder wollten. Und darauf schien im Moment alles zu deuten.
„Nicht frech werden, Bürschchen!“, kam die Antwort. „Klare Frage, klare Antwort!“
„Hört zu, Freunde, ich bin in Eile. Wenn Ihr Varieté-Karten möchtet, hier, der zweite Eingang führt direkt zur Kasse. Dort bekommt Ihr auch Autogrammkarten von Josephine Baker oder meinem derzeitigen Gaststar, Clara Gordon Bow – oder wolltet Ihr doch lieber eine Autogrammkarte von mir? Schreibe gern eine persönliche Widmung für meine Freunde darauf! Habe selbstverständlich immer einige eingesteckt, Moment bitte!“
Damit wollte ich zum Hüftholster greifen, wo mein alter Reichsrevolver griffbereit steckte, aber da hatte ich die vier Männer offenbar unterschätzt. Der Sprecher machte nur eine rasche Kopfbewegung, und zwei seiner Begleiter packten mich links und rechts an den Armen und rissen sie zurück.
„He, nun mal langsam!“, rief ich laut und bemerkte wohl, dass einige Passanten die Köpfe drehten. Als sie aber die breitschultrigen Männer mit ihren großrandigen Hüten bemerkten, die mich in ihrer Mitte hielten, beschleunigten sie eilig ihre Schritte und blickten in eine andere Richtung. Verdenken konnte ich es ihnen nicht. In diesen Tagen gab es leider immer mehr solcher Szenen, allerdings waren daran häufig die Braunhemden beteiligt, wie sie allgemein genannt wurden. Immer häufiger kam es am hellen Tag zu Schlägereien zwischen SA-Leuten und Kommunisten oder einfach nur Arbeitergruppen in den typischen Stadtteilen wie Siemensstadt oder auch der Hufeisensiedlung und der Krugpfuhlsiedlung, neuerdings als Großsiedlung Britz benannt. Doch gerade erst in der vergangenen Woche gab es eine üble Schlägerei vor der Kaiser-Wilhelm-Kirche am Ku’damm, und die Polizei hatte ihre liebe Mühe, die Kontrahenten wieder zu trennen. Es hatte zahlreiche Verletzte auf beiden Seiten gegeben.
Nun – diese vier waren wohl keine Nazis, sondern schlicht Schlägertypen einer mir bislang noch nicht bekannten Bande. Und sie waren offensichtlich zu allem entschlossen, was ihr Sprecher jetzt betonte, als er einen langläufigen Revolver aus der Tasche zog und auf mich richtete.
Ich resignierte und hob langsam die Arme, als eine Frauenstimme hinter den vier Männern laut und deutlich verlangte: „Steck den Revolver weg und alle einen Schritt zurück von Kinsky!“ Ich hätte laut jubeln können, denn Franziska war im richtigen Augenblick aus dem Kassen-Eingang auf die Straße getreten, hatte die Situation sofort erfasst und hielt nun ihre Beretta 418 in der Hand, eine sehr bewährte Pistole, die auch mein ganz spezieller Freund Pistolen-Kalle bevorzugte.
„Wird’s bald? Ich sage es nicht noch einmal!“, rief Franziska mit energischer Stimme, und jetzt geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.
Der Sprecher mit dem Revolver drehte sich zu ihr herum und hob den Arm mit der Waffe. Ohne weitere Vorwarnung schoss Franziska auf ihn, der Revolver polterte auf die Straße, und der Besitzer presste sich mit einem lauten Aufschrei die linke Hand auf die Wunde an seinem Oberarm. Das Blut verfärbte bereits den Stoff an der Stelle, und die anderen drei standen wie erstarrt und blickten fassungslos auf ihren verwundeten Anführer. „Worauf wartet ihr noch, ihr Hornochsen?“, brüllte der Verwundete mit schmerzerfüllter Stimmte. „Legt die beiden um, oder wollt ihr vor dieser Hure kuschen, nur weil sie eine Waffe in der Hand hält?“
„Da habe ich wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden!“, mischte ich mich ein. Mir genügte ein kurzer Moment, um meinen Reichsrevolver zu ziehen und auf meine Gegner zu richten. „Eine falsche Bewegung und ihr bereut es. Und jetzt raus mit der Wahrheit – wer hat euch geschickt? Erzählt mir nicht, dass ihr keinen Auftraggeber habt! Mit einem solchen Auftritt direkt vor meinem Varieté wolltet ihr doch wohl die ganz große Nummer in der Öffentlichkeit starten, oder? Habt ihr einen Fotografen bestellt, der festhält, wie ihr Bruno Kinsky abschleppt?“
„Auftraggeber? Haben wir nicht nötig, Kinsky! Du bist uns im Wege, und das wollten wir dir in aller Freundschaft auseinandersetzen. Aber dann muss deine Schlampe hier herumballern und auch noch unseren Boss verletzen! Wir sprechen uns noch, Kinsky!“ Der Mann stieß seine Worte mit hasserfüllter Stimme aus, aber das beeindruckte mich nicht sonderlich. Wer mich kannte, wusste, dass derartige Auftritte kleiner Ganoven inzwischen für mich zum Alltag gehörten. Batu Khan, genannt der Mongole, oder auch Neunfinger (siehe die Bände Tödliche Falle für Verräter und Tödliche Varieté-Revue) waren da ein ganz anderes Kaliber.
Trotzdem griff ich dem Verletzten beherzt in die Innentasche seines Jacketts und nahm die Brieftasche heraus. Dabei schrie er weiter und gab seiner Wut Ausdruck in Worten, die man unmöglich wiederholen konnte. Jedenfalls hatte ich mir nach meiner Haftentlassung geschworen, einen solchen Straßenjargon zu ignorieren. Glücklicherweise hielten sich auch in meiner Gegenwart die Ringverein-Brüder in dieser Weise zurück. „Sieh mal einer an, der Herr stammt aus Hamburg und heißt Fritz Klammer. Na, dann Ahoi, min Hamborger Jong!“, sagte ich, und steckte den Ausweis zurück. Klammer wollte mich hindern, aber bei einer zu hastigen Armbewegung verzog er schmerzvoll das Gesicht und gab seine Bemühungen rasch wieder auf. „Ein guter Rat, mein Freund – such dir eine andere Beschäftigung. Für einen Überfall am hellen Tage bist du ein wenig zu dämlich!“
Während ich mich absolut kühl und unaufgeregt gab, obwohl mir gerade noch das Herz bis in den Hals hinauf geschlagen hatte, überlegte ich rasch, was ich mit den vier traurigen Gestalten anfangen sollte. Aber das Problem wurde mir eben abgenommen, als mit quietschenden Reifen ein Überfallkommando neben meinem Mercedes zum Stehen kam und die Schupos heraussprangen, den Tschako fest auf dem Kopf und ihre Schlagstöcke in den Händen.
Ein paar Worte an den Streifenführer genügten zur Erklärung, man kannte mich und wusste um meine gute Zusammenarbeit mit Ernst Gennat, dem Leiter der neuen Mordkommission. Die vier Männer wurden in Handschellen gelegt und gleich darauf auf den Polizeilastwagen gebracht, der dem Überallkommando gefolgt war.
Lächelnd ging ich zu Franziska, legte ihr den Arm um die Schultern und gab ihr einen Kuss.
„Danke, Franzi, das war im rechten Moment!“
Wir gingen noch einmal rasch zum Hauseingang, weil dort inzwischen auch Pistolen-Kalle und Schorse standen, die in höchster Alarmbereitschaft nach dem Knall auf die Straße gelaufen kamen.
„Alles gut, Brüder. Ich starte jetzt mit der kleinen Verzögerung und fahre bei Muskel-Adolf vorbei und habe dann meine Verabredung, die mich auf unbestimmte Zeit fernhalten wird! Also, keine Sorge, wenn ich nicht in einer Stunde zurück sein sollte!“
„Du Schuft, Bruno!“, raunte Franziska dicht an meinem Ohr. „Ich weiß ganz genau, dass du dich mit dieser Ziege triffst, deinem neuen Revue-Star! Aber das sage ich dir, Doris und ich sind uns einig in diesem Fall. Sollte da etwas…“
„Ach, bist du süß, wenn du zornig bist!“, unterbrach ich Franziska und küsste sie erneut auf den Mund. Pistolen-Kalle, mein Ringvereinbruder Karl-Heinz Lieberknecht, hielt mir die Wagentür auf und lief dann auf die andere Seite, um auf den Beifahrersitz zu springen, während ich bereits den Motor startete. „Was wird das jetzt, Kalle?“, erkundigte ich mich.
„Nach dem Ding komme ich natürlich mit, Bruno. Und kein Widerspruch bitte, du weißt, ich kann schweigen wie eine Auster!“
Ich lachte laut auf.
„Seit wann weißt du etwas über Austern, Kalle? Aber meinetwegen, wenn es dich beruhigt, bleib an Bord!“
Damit legte ich krachend den Gang ein und fuhr über den Kurfürstendamm in Richtung meines wunderbar erfolgreichen Lokals mit dem schönen Namen Sing-Sing, das ich einst von Neunfinger übernommen und ausgebaut hatte. Die einem Gefängnis nachempfundene Einrichtung mit den langen Tischreihen, dazu das Essen aus Blechnäpfen und Brillanten-Willi als Aufseher, dazu die Bedienung in Sträflingskleidung und schließlich – der Elektrische Stuhl, auf dem Abend für Abend ein Gast Platz nehmen musste, um dann mit viel Gezische und Gebritzel, flammenden Lampen und blauen Blitzen hingerichtet zu werden, war noch immer ein großer Erfolg in Berlin. Natürlich gab es Menschen, die das Treiben dort verabscheuten.
Aber der Erfolg gab mir schließlich Recht, und so lange diese Geschäftsidee funktionierte, hatte ich keine Bedenken, in dieser Art fortzufahren. Ich fand schließlich einen Grund, um Kalle dort zu belassen, denn an einem der langen Tische saß eine übermütige Gesellschaft, die er im Auge behalten sollte.
2.
In der Rankestraße gab es genügend freie Plätze, und ich stellte den Mercedes wenige Schritte vom Eingang zum Schwanneke. Hier wollte mich die Bow treffen, die seit einer Woche meine neue Attraktion im Varieté war. Ich war auf sie aufmerksam geworden, als man ihren Film vor zwei Jahren vorstellte und dabei erwähnte, dass die Darstellerin Clara Bow als Grizette außergewöhnlich attraktiv wäre. Damit war mein Interesse geweckt. Der Film wurde dann in Berlin im Gloria-Palast gespielt und Doris hatte ihn sich angesehen. Als mit Franziska und ihr über weitere Stars für unser Varieté sprach, schlug sie die Bow vor. Die Schauspielerin machte eine Theatertournee durch Deutschland, die in Berlin enden sollte. Was lag da also näher, als Kontakt mit ihrem Agenten aufzunehmen und über einen Anschlussauftritt bei mir zu verhandeln. Das hatte gut funktioniert, und die Berliner waren neugierig, die junge Schauspielerin gewissermaßen hautnah zu entdecken, die man nach ihrem Filmauftritt in Das gewisse Etwas als Amerikas Sex-Symbol feierte. Der Film hatte in Amerika den Titel It bekommen, was das gewisse Etwas meinte. Das griff die Presse international auf, und von da an war Clara Bow schlicht und einfach das IT-Girl. Und unter diesem Begriff mit dem erklärenden Zusatz Die Frau mit dem gewissen Etwas wurde sie auch auf unseren Plakaten angepriesen.
Wir verstanden uns auf Anhieb gut, und die Bow überraschte mich am Vortag mit ihrem Wunsch, einmal einen Blick in Berliner Lokale zu werfen, in denen interessante Menschen zu Gast waren. Nach meiner näheren Erkundigung, was sie wohl darunter verstünde, war mir klar, dass sie weder die Lokale meinte, in denen sich Menschen trafen, die sich hemmungslos ihren Leidenschaften hingaben – und das zumeist in der Öffentlichkeit – sondern sie dachte dabei an Künstler- und Literaten, von denen wir in Berlin ja nun nicht gerade wenige zu bieten hatten. Da fiel meine Wahl auf das Weinlokal Schwannecke, in dem sich nach der Meinung der entsprechenden Redakteure unserer Zeitung die Creme der deutschen Schriftsteller traf.
Clara Gordon Bow hatte sich ganz erstaunlich auf diesen Besuch vorbereitet. Wir waren kaum an unserem reservierten Tisch, als sie auch die Nachbarschaft in den offenen Nischen des Lokals aufgeregt musterte. Dann beugte sie sich zu mir herüber und flüsterte: „Dieser junge Herr dort links mit der leichten Haartolle – ist das nicht Mr Eric Kästner? Oh, sure – ich liebe seine Gedichte! Do you know the land where the cannons bloom? - You don't know it? You will get to know it!“
Ich war überrascht.
Clara Bow, bekannt und beliebt auch in Deutschland, kannte Werke von Erich Kästner? Das erst im Frühjahr dieses Jahres erschienene Werk „Herz auf Taille“, das ich nur kannte, weil es meine gute Freundin Gabriele Tergit, die Gerichtsreporterin, rezensiert hatte und mir zum Geburtstag tatsächlich ein von Kästner signiertes Exemplar in die Hand drückte mit den Worten: „Lies mal was anderes als deine Schundromane, Bruno! Etwas mehr Bildung kann auch dir nicht schaden!“ Das war natürlich eine Provokation von Gabi, wie ich sie nennen durfte – und eine Anspielung auf den Heftroman von Rolf Brand, der bei der kürzlich erst gut verlaufenen Entführung des Kriminalpolizeirates Erich Gennat die entscheidenden Hinweise lieferte (vgl. dazu Tödliche Varieté-Revue).
„Du hast eine englische Ausgabe seiner Gedichte? Wie ist das möglich?“
Die Schauspielerin bedachte mich mit einem dieser Blicke, die mir durch und durch gingen. ‚Ja, sie hat es wirklich!‘, dachte ich wieder einmal und verspürte ein angenehmes Kribbeln in den Lenden. Aber Clara erklärte gleich darauf: „Oh nein, nicht wirklich, Bruno. Aber ich habe einen guten Freund in New York, ein ausgewanderter Deutscher aus Leipzig, der dort Kästner kennengelernt hat und seitdem ein treuer Leser ist. Er hat sogar die deutsche Zeitschrift Das Tage-Buch abonniert, weil dort Kästner regelmäßig veröffentlicht. Aber schau mal, da kommt jemand und setzt sich zu ihm, als wäre er ein alter Freund. Kennst du den Mann? Ist das auch ein Schriftsteller? Vielleicht Bert Brecht?“
Ich hatte den etwas kräftigen Erich Ohser allerdings sofort erkannt und erklärte Clara: „Nein, das ist der Ohser, der die Gedichtbände Kästners illustriert hat. Er hat einen tollen Strich, und ich… he, was machst du, Clara?“
Die Schauspielerin hatte sich erhoben und ging, ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen, an den Tisch der beiden Herren, die gerade in ihr Gespräch vertieft waren und die Fremde zunächst nicht bemerkten. Aber Clara Gordon Blow war alles andere als schüchtern. Sie stellte sich dicht neben den Stuhl Kästners und trällerte fröhlich ihre Begrüßung heraus: „Hello, Mr. Kästner, I am a great fan of yours and also know your poems. Would you be so kind as to give me your autograph? My friend over there is Bruno Kinsky, who brought me to his Varieté on Kurfürstendamm.“
Verwundert blickten die beiden auf die junge Dame, die so ungeniert englisch plauderte, dann lächelten sie beide, während Clara sich in einer geschickt gespielten Verlegenheitsgeste die Hand vor den Mund hielt und in ihrem lustigen Deutsch wiederholte: „Oh, pardon, aber meine schlechte Deutsch – ich bin Clara Bow aus den Staaten, eine große Fan von Sie, Mr Kästner, und ich möchte Sie nach eine Autograph fragen!“