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Bruno Kinsky, der Ringvereinsvorsitzende und bekannte Schwerverbrecher in Berlin, hat eine neue Geschäftsidee. Er kauft ein altes Hotel am Ku'damm und errichtet darin Berlins modernstes Varieté. Weltstar Josephine Baker wird mit einer besonderen Revue auftreten. Aber das gefällt nicht allen, und der Amerikaner J. Taylor versucht mit seinem Gehilfen, dem gefürchteten Mongolen, Kinskys Geschäfte zu stören. Zu allem Übel wird auch noch Ernst Gennat der tüchtige Kriminalpolizeirat, entführt. Mit Hilfe eines Romanheftes und der Kriminalistin Dr Dr Dorothee Keller kommt allmählich Licht in das Geschehen. Bruno Kinsky plaudert aus seinem Leben im Berlin des Jahres 1928...
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Seitenzahl: 139
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Berlin: Die Goldenen Zwanziger 3
Thomas Ostwald - Tödliche Varieté-Revue
Kriminalroman aus dem Berlin der Zwanziger Jahre
Impressum:
© Alle Rechte vorbehalten. Braunschweig 2024. Edition Corsar Dagmar und Thomas Ostwald, Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig
1.
Eine uralte Überlebensregel lautete:
Erwartest du einen Feind, sichere deinen Rücken.
Das dürfte wohl jedermann einleuchten.
Heute Abend war ich jedoch bereit, diese elementare Regel zu missachten.
Ich saß seitlich am Tisch und genoss ein wahrhaft opulentes Mahl in angenehmer Umgebung. Das Russenviertel bot so manche kulinarische Abwechslung, und ich hatte mir für den heutigen Abend das Medvjed in der Neuen Bayreuther Straße auserkoren. Zugegeben, nicht nur aufgrund seiner ausgezeichneten Küche.
Eben hatte mir eines der Zigarettenmädchen eine hervorragende Zigarre gebracht, die ich anschnitt und entzündete.
Beim ersten, tiefen Zug an der Zigarre spürte ich den Eintritt der drei Männer. Tatsächlich spürte ich ihn, denn der Luftzug verriet die drei, auch wenn sie sich um einen lautlosen Auftritt bemühten.
Alle drei trugen zu ihren eleganten Maßanzügen Schuhe mit dicken Gummisohlen, die ihre Schritte dämpften. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie sie sich aufteilten. Der kleine, fast schmächtige in der Mitte steuerte direkt auf meinen Tisch zu, und ich bemerkte die weiße Kellnerserviette, die er über die rechte Hand gelegt hatte, um die Waffe zu verbergen.
Das hätte ich an seiner Stelle ebenso getan. Aber die beiden Leibwächter mit ihren breiten Schultern waren offensichtlich Anfänger. Sie stellten sich so auf beiden Seiten meines Tisches auf, dass sie sich im Ernstfall gegenseitig beschossen hätten.
Nun, ich verstand durchaus, wie schwierig es heutzutage war, gute Männer zu bekommen. Ich meine, außerhalb unserer Ringvereine.
Ich denke auch, dass ich, Bruno Kinsky, Vorsitzender des Ringvereins Männer-Gesangverein Norden 1891, das gut beurteilen konnte. Adolf Leib, genannt Muskel-Adolf und ich hatten das Viertel um den Schlesinger Bahnhof unter uns aufgeteilt. Adolf hatte die Abteilung Huren und Koks übernommen, ich dagegen interessierte mich für das Glückspiel und gute Restaurants. Gut, ein paar Damen schafften auch für mich an, aber das geschah auf einer angenehmen Art und Weise, von der alle profitierten. Mein Ding waren eher die großen Coups, Finanzgeschäfte, die nicht für alle funktionierten. Hier und da ein paar lukrative Immobilien, die ich sowohl ankaufte wie auch bei passender Gelegenheit wieder abstieß. Das konnten zukünftige Bauplätze für Hotels sein, aber ich verschmähte auch keine Grundstücke, über die eine neue U-Bahn-Trasse führen würde. Natürlich verfügte ich zu diesem Zweck über ausgezeichnete Beziehungen zu einigen Bankern, darunter so bedeutende Namen wie Julius Morgenstern oder auch Gustav Helmershausen. Nie versäumte ich es, deren aktuellen Begleiterinnen oder gar Ehefrauen zu ihren Geburtstagen ein Geschenk zu übermitteln, das die Damen entzückte.
Doch zum derzeitigen Zeitpunkt verfolgte ich ein neues, sehr ehrgeiziges Ziel.
Ich zuckte tatsächlich wie überrascht zusammen, als mir plötzlich von der linken Seite ein harter Gegenstand in die Rippen gedrückt wurde und eine Hand unter mein Jackett fuhr, um den Reichsrevolver aus dem Halfter zu ziehen. Gleich darauf raunte eine seltsam näselnde, fremdländisch klingende Stimme in mein rechtes Ohr:
„Mach die Kette auf, Bruno, oder müssen wir dir die Hand abhacken?“
Der Mann hatte Nerven!
Tatsächlich blitzte für einen Moment unter dem Tisch ein kleines, silbernes Beil auf, höchst allerliebst auf Hochglanz poliert und durchaus beeindruckend. Aber ich hatte nicht vor, Widerstand zu leisten.
„Die Kette ist am rechten Fußgelenk befestigt, den Schlüssel habe ich in der Hosentasche. Darf ich?“, erkundigte ich mich höflich und erntete von dem Flüsterer nur einen unartikulierten Knurrlaut, den ich als Zustimmung auffasste.
Ich hatte mich nicht getäuscht.
Als ich den Schlüssel für die Kette herauszog, mit der ich den Koffer am Fußgelenk angeschlossen hatte, nickte mir der Kleine lächelnd zu. Er hatte ein unverkennbar mongolisch wirkendes Gesicht, mit stark schräg gestellten Augen, einer flachen Nase und einem schmalen Mund, dazu einer hellgelben Gesichtsfarbe. Auf der Oberlippe trug er einen dünn ausrasierten Bart, der meinem eigenen ähnelte. Nur war der seine länger und leicht geschwungen, die Enden dann seitlich heruntergezogen. Das gab ihm einen permanent traurig wirkenden Ausdruck, was vermutlich auch so geplant war.
Ich zeigte den Schlüssel zwischen zwei Fingerspitzen und deutete nach unten.
„Los jetzt, und keine Fisimatenten!“, ordnete der Mongole an.
Wie ich es erwartet hatte, tauchte er langsam zusammen mit mir nach unten, um zu beobachten, wie ich das Kettenschloss öffnete. Dabei hatte er sein Gesicht etwa in Höhe meiner Knie, damit ihm nichts entging.
Während ich einen Moment benötigte, um den kleinen Schlüssel richtig ins Schloss zu bringen, löste ich zugleich den Mechanismus aus, der den kleinen, zweischüssigen Deringer direkt in meine Hand springen ließ. Ich tat, als müsste ich mich auf dem Fußboden abstützen, hielt den Deringer direkt über den Fuß des Mongolen und drückte ab. Der Schuss war nicht sonderlich laut, aber die Wirkung trotzdem erstaunlich. Mein Gegner schrie vor Schmerzen auf, fuhr mit dem Kopf zu schnell nach oben und krachte gegen die Tischplatte, um gleich darauf zurückzusinken.
Während seine beiden Begleiter hastig in die Hocke gingen, um zu sehen, was da eben geschehen war, stürmten die uniformierten Polizeibeamten das Medvjed mit Gewehren und Pistolen in den Händen. Entsetzt wichen die wenigen Gäste, die in einiger Entfernung an Tischen saßen, von ihren Plätzen, hoben die Hände und starrten mit weit aufgerissenen Augen auf das Geschehen.
Die Berliner Polizisten waren in solchen Dingen erfahren.
Seit der Neuorganisierung der Kriminalpolizei unter Ernst Gennat, der Einrichtung einer eigenen Mordkommission mit einem speziell ausgerüsteten Laborwagen auf der Basis einer Mercedes-Limousine und vielen anderen Neuerungen waren auch die uniformierten Beamten geschult und arbeiteten sehr effizient. Das konnte ich gut beurteilen, denn Gennat und seine Leute arbeiteten mit mir und den anderen Brüdern der Ringvereine eng zusammen.
Rasch waren jetzt die beiden Leibwächter entwaffnet und die eisernen Handschellen schlossen sich um ihre Handgelenke. Der von mir so unbarmherzig angeschossene Mongole jammerte noch immer lautstark, hielt sich mit beiden Händen den blutenden Fuß und rief fortwährend etwas in seiner unverständlichen Sprache.
Endlich kam Kriminalpolizeirat Ernst Gennat höchstpersönlich in Begleitung mehrerer Kommissare in Zivil mit schweren Schritten durch die Tür hereingestapft, blieb schnaufend an meinem Tisch stehen und sprach den Verwundeten an.
„Batu Ganbat, genannt Batu Khan oder auch Der Mongole, ich verhafte Sie aufgrund einer Entführung und dieses Überfalls auf Herrn Kinsky. Machen Sie bitte keine Umstände, Sie sehen ja, dass wir unsere Beamten überall im Haus verteilt haben.“
„Ich… ich bin verwundet! Der Kerl hat auf mich geschossen!“
„Ist schon in Ordnung, Herr Ganbat. Ein Sanitäter wird jeden Augenblick kommen und Ihre Wunde versorgen!“
„Und meine teuren Schuhe! Sehen Sie sich das doch einmal an! Völlig versaut durch das viele Blut – oh, und das tut weh!“, jammerte der Mongole, während Gennat und seine Begleiter etwas zurücktraten, als tatsächlich jetzt zwei Sanitäter mit einer Trage hereinkamen und sie neben Ganbat auf den Fußboden stellten. Ohne weitere Umstände zogen sie den blutdurchtränkten Schuh herunter und kümmerten sich um die Schusswunde, während ich nun endlich die Kette von meinem Fußgelenk öffnete, den schweren Koffer auf den Tisch stellte und den doppelläufigen Deringer daneben legte.
Einer der mir bekannten Kriminalbeamten notierte etwas in seinem kleinen Heft. Dabei hatte er die unangenehme Angewohnheit, den kleinen, blauen Kopierstift vor der Benutzung anzulecken. Bei diesem Anblick schauderte ich unwillkürlich zusammen, aber Theodor Kampe, der mich aus den Augenwinkeln im Blick behielt, grinste nur. Ich kannte auch diesen Kommissar seit einiger Zeit. Er war mir durchaus nicht sympathischer geworden als sein Kollege Steinbrink. Aber wie auch der bemühten sich die Beamten, korrekt vorzugehen. Ganz anders als der unmögliche Alfons Wenzel, der kürzlich nach seiner vorübergehenden Suspendierung den Dienst wieder aufgenommen hatte.
Kampe legte sein Notizheft auf den Tisch und deutete auf den Koffer.
„Darf ich?“, erkundigte er sich höflich.
„Nur zu!“, antwortete ich lächelnd. „Außer einer Menge alter Zeitungen befinden sich genau 10.000 Reichsmark in der oberen Lage. Sie müssen nicht nachzählen, Herr Kommissar. Ich habe sogar die Nummern aufgeschrieben.“
Inzwischen waren auch die uniformierten Beamten mit ihrer Durchsuchung fertig. In diesem Lokal gab es keinerlei Auffälligkeiten, man war nur zur Sicherheit alles durchgegangen.
„Schön, dich wieder unter uns zu haben, Ernst, und Dank für den perfekten Einsatz!“, sagte ich und reichte meinem Freund Ernst Gennat die Hand.
„War uns ein Vergnügen. Nun wird der Mongole ausreichend Zeit haben, sich von seinen anstrengenden Geschäften zu erholen. Wir sollten uns morgen gegen elf Uhr bei mir treffen, Bruno!“
„Selbstverständlich“, erwiderte ich und beobachtete, wie Kommissar Kampe rasch die obere Lage mit den Banknoten durchgesehen und dann die darunter befindlichen, sauber geschnittenen Bündel aus Zeitungspapier nur flüchtig untersucht hatte.
„Nett gemacht“, sagte er jetzt zu mir und lächelte. „Aber doch nicht wirklich für einen Profi wie den Mongolen eine ausreichende Täuschung, oder?“
Ich schloss den Kofferdeckel wieder selbst und erwiderte:
„Soweit sollte es auch nicht kommen, Herr Kommissar. Das war nur eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass sich die Herren verspäten würden. Ich wollte einfach nicht riskieren, dass dieser Ganbat nervös wurde und vorab von mir verlangte, einen Blick in den Koffer zu werfen.“
„Dann sehen wir uns also zur gewohnten Stunde, Bruno!“
„Jour fixe am Alex!“, antwortete ich und grinste erleichtert.
Das war noch einmal gut gegangen.
Um zu verstehen, was mir da gerade passierte, muss ich einige Zeit in meinen Erinnerungen zurückgehen. Das Ganze begann nämlich mit einer neuen Geschäftsidee von mir, die ich schon seit einiger Zeit verfolgte und die mir nun reif genug zum Handeln erschien.
2.
Zum besseren Verständnis der Ereignisse gehe ich also in meinen Aufzeichnungen ein wenig zurück. Etwa eine Woche vor dem Besuch des Mongolen war ich gerade mit der Vorspeise beschäftigt, als ich ebenfalls ungebetenen Besuch erhielt. Damit begann ein neues Kapitel in meinem Leben, das ein wenig anders verlief als eigentlich geplant. Ich befand mich in den letzten Vorbereitungen meiner neuen Geschäftsidee.
Die Anwesenheit dieses Mannes und seiner beiden Begleiter trug nicht gerade zur Hebung meiner Laune bei. Wenn ich esse, möchte ich keinerlei geschäftliche Störungen. Und darum handelte es sich, denn der unbequeme Gast war gekommen, um mit mir zu verhandeln. Na ja, verhandeln bedeutete für ihn, mich einzuschüchtern. Dumm für ihn nur, dass ich darauf eingestellt war und ihn erwartete. Zwar nicht in diesem Augenblick, als gerade der Hauptgang serviert werden sollte, aber doch zu dieser Stunde. Die Informationen, die ich von Kriminalpolizeirat Gennat erhalten hatte, waren da ziemlich präzise. Mein Gesprächspartner traf nur etwas zu früh ein.
Kentucky-Jones nannte sich der Bursche, bürgerlich Jeremias Taylor, ein amerikanischer Gangster, der in Berlin versuchte, nach bewährtem Muster Fuß zu fassen. Er hatte ein Haus gekauft, in dem sich der Rosa Flamingo befand, und es zu sehr günstigen Konditionen an Neunfinger weitergegeben. Neunfinger, mein besonderer Freund Friedrich Karlson, war überraschend verstorben, und ich war am Flamingo nicht sonderlich interessiert. Ich erwähnte das nur der Vollständigkeit halber, denn das ehemalige Café Roland hatte ich praktisch von Neunfinger geerbt und mein inzwischen weithin gerühmtes Lokal Sing Sing in der Chausseestraße daraus gemacht. Deshalb überraschte mich die Nachricht von Taylors Rückkehr nach Berlin nicht sonderlich.
Ohne zu fragen, nahm dieser Taylor jetzt mir gegenüber am Tisch Platz, zog die Schale mit den Oliven zu sich heran und steckte sich eine von den großen, länglichen Früchten in den Mund. Ich hatte eine Vorliebe für Oliven entwickelt, die mit einer Mandel gespickt waren und von einer bekannten Plantage aus Italien stammten. Ich hielt mich nicht zurück, sondern reagierte prompt.
„Hören Sie, Taylor, dass Sie keine Erziehung genossen haben, müssen Sie doch nicht gleich jedem auf die Nase binden. Sollten Sie aber Ihre dicken Wurstfinger noch einmal in meine Oliven stecken, wird es sehr unangenehm für Sie.“
Taylor starrte mich verwundert an.
Er war ziemlich korpulent, um nicht zu sagen – fett.
Sein aufgedunsenes Gesicht mochte vielleicht in früheren Jahren durchaus nett anzusehen gewesen sein – jetzt aber bot es einen eher unangenehmen Anblick. Schwere Tränensäcke, eine breite, fleischige Nase, dazu wulstige Lippen – alles zusammen nicht gerade das, was man einen attraktiven Mann nannte. Da konnte auch sein perfekt sitzender Maßanzug wenig retten, sondern nur kaschieren. Er mochte wohl an die zwei Zentner auf die Waage bringen und bot somit ein gutes Pendant zu Ernst Gennat, den man hinter vorgehaltener Hand den vollen Ernst nannte, aber auch den Buddha vom Alex. Nur war mir Ernst erheblich angenehmer als Gesprächspartner, und erst recht beim gemeinsamen Mittagessen, das wir oft zu unseren Besprechungen nutzten. Natürlich nicht am heutigen Tag.
„Hör zu, Kinsky!“, begann der Amerikaner in seinem unverkennbaren Akzent, nicht ohne zuvor mit seiner patschigen rechten Hand auf die Tischplatte zu schlagen. „Ich habe Großes vor in Berlin. Und du wirst mir nicht in die Quere kommen, verstanden? Weder du noch dieser Freund von dir, der sich Muskel-Adolf nennt. Ihr könnt von mir aus Eure Frauen im Gebiet um den Schlesischen Bahnhof laufen lassen, aber das Geschäft mit Kokain und Heroin übernehme ich ab sofort allein. Haben wir uns verstanden?“
Ich hatte meinen Teller mit dem wunderbaren Rinderbraten vor mir, dazu die Klöße nach Thüringer Rezept und Rotkohl. Es duftete verführerisch, und ich schnitt mir ein Stück vom Fleisch ab. Das Messer fuhr hindurch wie durch Butter, und das Stück Fleisch zerging mir förmlich auf der Zunge. Mein Blick ging hinüber zum Tresen, wo das Personal versammelt war und aufmerksam zu mir blickte. Ich nickte nur freundlich lächelnd und schnitt ein weiteres Stück ab.
Klatschend fuhr die Hand des Amerikaners erneut auf den Tisch.
„Kinsky, mach mir hier nicht die Show, davon verstehen wir Amis mehr als ihr Germans. Ich habe dir ein Angebot gemacht und werde morgen das Sing-Sing übernehmen, ob es dir passt oder nicht. Außerdem wird hier im Viertel ab sofort alles Geschäftliche nur noch gemeinsam mit mir geregelt. Ich bekomme von allem 25 Prozent Provision, oder ich werde jeden eurer Läden Stück für Stück auseinandernehmen, das dürft ihr mir ruhig glauben. Und rechne nicht mit deinem Freund, dem Kriminalpolizeirat. Er wird dir mit absoluter Sicherheit nicht helfen können.“
Ich nahm einen Schluck von meinem Wein, schnitt ein weiteres Stück vom Fleisch, schob es mir in den Mund und genoss es. Ein meisterlich zubereitetes Rinderfilet, das musste man neidlos anerkennen. Als ich mit dem Wein einen weiteren Gaumenkitzel erlebte, schloss ich die Augen.
Es war ein Chateau Latour 1924. Obwohl jeder Weinkenner wusste, dass dieses Jahr problematisch, wie auch schon das Vorjahr aufgrund der zahlreichen Niederschläge war, hatte das Weingut einen ausgezeichneten Wein abgeliefert. Ähnlich übrigens auch die Winzer von Chateau Margaux und Chateau Petrus. Sie holten alles aus den Trauben, was möglich war, und ich behielt jeden Schluck länger als gewöhnlich im Mund, um das Aroma vollständig auszukosten.
Als ich die Augen wieder öffnete, saß der gewaltige Fleischkloß noch immer auf seinem Stuhl, den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt.
„Haben wir uns verstanden?“, zischte er jetzt gefährlich leise.
„Hör mal gut zu, du kleines, mieses Schwein aus Amerika!“, antwortete ich auf gleiche Weise und sah, wie Taylor zusammenzuckte. „Was auch immer du dir so in deinem Spatzenhirn ausgedacht hat – lass es lieber sein. Ich könnte dir in der nächsten Sekunde den Kiefer brechen, aber ich bin nicht in der Stimmung dazu. Also pfeif deine lächerlichen Begleiter zusammen und verschwinde hier, so lange du noch auf zwei Beinen gehen kannst!“
Damit hatte Taylor natürlich nicht gerechnet.
Während ich ungerührt weiter von meinem Braten Stück für Stück abschnitt und genüsslich verzehrte, beobachtete ich meinen Gegner sehr genau. Das Kinn klappte ihm bei meinen Worten wirklich etwas herunter. Aber deutlicher erkannte ich seine Erregung am raschen Atmen und an der aufsteigenden Röte im Gesicht.
„Du wagst es, mir zu drohen, Kinsky? Du musst verrückt sein, ja, wirklich verrückt! Das kostet dich einiges, und ich…“
Natürlich muss ich einräumen, dass ich nicht fair war.
Aber das hatte ich auch niemals vor.
Also nickte ich nur kurz in Richtung Tresen, an dem ganz lässig Charly Grimpe, der Messer-Akrobat lehnte. Er wirbelte seine Messer so schnell durch die Luft, dass keiner der beiden Leibwächter auch nur zur Waffe greifen konnte. Außerdem waren ja auch die Ringverein-Brüder Rennfahrer-Ernst und Pistolen-Kalle dicht neben ihnen und pressten ihnen mit dem Auftritt von Charly ihre Pistolen in die Seiten. Charlys Messerkünste waren wirklich sehr beeindruckend. Plötzlich waren es zwei scharfe Klingen, die sich in das Papier bohrten, das mir Kentucky-Jones herübergeschoben hatte.
„He!“, stieß der Amerikaner erschrocken aus und prallte zurück.
„Schreckhaft?“, erkundigte ich mich mitfühlend und wischte mir mit der Serviette sorgfältig den Mund ab, bevor ich mich mit einem freundlichen Lächeln über den Tisch beugte. „Mein lieber Freund aus Amerika, ich glaube, du musst noch viel über Berlin und seine Ringvereine lernen. Für heute soll das aber genügen. Ich empfehle dir, ganz schnell deine beiden Begleiter mitzunehmen und dich hier nie wieder blicken zu lassen, wenn dir das Leben lieb ist!“
Aus dem fetten Gesicht Taylors war jeder Blutstropfen entwichen.
Hörbar schnappte er nach Luft, bevor er halblaut herauspresste: