Todtsteltzers Krieg - Simon R. Green - E-Book

Todtsteltzers Krieg E-Book

Simon R. Green

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Beschreibung

Owen Todtsteltzer wurde von der Kaiserin Löwenstein XIV geächtet. Doch damit beging sie einen folgenschweren Fehler: Owen setzt sich an die Spitze der Rebellion gegen die rücksichtslose Regentin!

Blutige Schlachten auf der Nebelwelt, Haceldama und Virimonde machen deutlich, mit welch brutaler Gewalt die Kaiserin gegen die Rebellen vorgeht. Doch Owen und seine Kameraden stärkt dies nur in ihrem Entschluss, für die Gerechtigkeit zu kämpfen. Und diesmal lautet die Parole Krieg: keine Rückzieher, keine Gefangenen, keine Kompromisse!

"Abenteuer, Raumschlachten, Heldentum und exotische Schauplätze - Green mischt alle Zutaten zu einer außergewöhnlichen Space Opera." (Booklist)

Simon R. Greens große SF-Serie um Owen Todtsteltzer, die ihm den Durchbruch brachte - jetzt endlich wieder erhältlich, erstmals als eBook!

Die Legende von Owen Todtsteltzer: 1. Der Eiserne Thron, 2. Die Rebellion, 3. Todtsteltzers Krieg, 4. Todtsteltzers Ehre, 5. Todtsteltzers Schicksal, 6. Todtsteltzers Erbe, 7. Todtsteltzers Rückkehr, 8. Todststeltzers Ende

Sowie die Romane aus dem Todtsteltzer-Universum (ab Herbst 2020):

Nebelwelt, Geisterwelt, Höllenwelt

eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 1089

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Inhalt

Cover

Weitere Titel des Autors

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

KAPITEL 1: DER KAMPF UM DIE NEBELWELT

KAPITEL 2: VERLORENE UNSCHULD

KAPITEL 3: EIN TODTSTELTZER ZU SEIN

KAPITEL 4: ALLE WEGE FÜHREN NACH GOLGATHA

Weitere Titel des Autors

Die Legende von Owen Todtsteltzer:

Der Eiserne Thron

Die Rebellion

Todtsteltzers Krieg

Todtsteltzers Ehre

Todtsteltzers Schicksal

Über dieses Buch

Owen Todtsteltzer wurde von der Kaiserin Löwenstein XIV geächtet. Doch damit beging sie einen folgenschweren Fehler: Owen setzt sich an die Spitze der Rebellion gegen die rücksichtslose Regentin!

Blutige Schlachten auf der Nebelwelt, Haceldama und Virimonde machen deutlich, mit welch brutaler Gewalt die Kaiserin gegen die Rebellen vorgeht. Doch Owen und seine Kameraden stärkt dies nur in ihrem Entschluss, für die Gerechtigkeit zu kämpfen. Und diesmal lautet die Parole Krieg: keine Rückzieher, keine Gefangenen, keine Kompromisse!

Über den Autor

Simon R. Green (*1955) kommt aus Bradford-on-Avon, England. Während seines Literatur- und Geschichtsstudiums an der Leicester University begann er mit dem Schreiben und veröffentlichte einige Kurzgeschichten. Doch erst 1988, nach jahrelanger Arbeitslosigkeit, verkaufte er seine ersten Romane. Seinen Durchbruch erlangte er Mitte der Neunziger mit der SF-Weltraumoper-Saga um Owen Todtstelzer: Eine Serie, die – wie er selbst sagt – irgendwie außer Kontrolle geraten ist, da er eigentlich nur drei Bücher schreiben wollte … Mittlerweile umfasst Simon R. Greens Werk weit über 40 Romane, das neben Science Fiction auch verschiedene Subgenres der Fantasy von Dark bis Funny, von High bis Urban abdeckt.

Simon R. Green

Todtsteltzers Krieg

Deathstalker – Buch 3

Aus dem Englischen von Axel Merz

Science Fiction

beBEYOND

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1997 by Simon R. Green

Titel der englischen Originalausgabe: „Deathstalker War“

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: „Todtsteltzers Krieg. Über das abentheuerliche Leben des Owen Todtsteltzer. Der Legende dritter Theil.“

Textredaktion: Rainer Schumacher / Stefan Bauer

Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Covergestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung von Motiven © Arndt Drechsler, Leipzig

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-7523-7

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

KAPITEL 1

DER KAMPF UM DIE NEBELWELT

Jedes Imperium braucht eine Müllkippe. Einen Ort irgendwo weitab in einer finsteren Ecke, wohin es die Tunichtgute und Querulanten abschieben kann. Imperatorin Löwenstein XIV hatte die Nebelwelt, einen kalten, unwirtlichen Felsen weit außerhalb der üblichen Verkehrswege und so gut wie ausschließlich von Verrätern, Kriminellen und Spitzbuben bevölkert, die von ihrem Glück verlassen worden waren – und von geflohenen imperialen Espern. Löwenstein tolerierte die Existenz der Nebelwelt in ihrem mit harter Hand geführten Reich nur aus einem Grund: Sie wusste stets, wo ihre faulen Äpfel zu finden waren.

Natürlich hätte es Löwenstein vorgezogen, sie alle umzubringen; doch ihre Ratgeber waren weiser. Sie wussten, dass Verbannte insgesamt betrachtet weit weniger Schwierigkeiten bereiten als Märtyrer. Mit den Jahren jedoch wurde die Nebelwelt zu einem Zufluchtshafen für alle Arten von Rebellen und Gesetzlosen, und was einst als nützliche Müllkippe angefangen hatte, entpuppte sich zusehends als ein aufsässiger, giftiger Dorn in der Seite von Löwensteins Reich. Löwenstein gab Befehl, diesen Dorn zu entfernen – wenn es sein musste, mit Gewalt –, nur um festzustellen, dass der Planet in der Zwischenzeit durch einen psionischen Schild geschützt wurde, erzeugt durch die Kräfte zahlreicher Esper – einen Schild, der mehr als ausreichte, um alles abzuwenden, was Löwensteins Imperiale Flotte auf ihn schleudern konnte.

So kam es, dass die Nebelwelt – trotz aller finsteren Ränkeschmiede Ihrer Kaiserlichen Majestät – zum einzigen überlebenden Rebellenplaneten im gesamten Imperium wurde, zum einzigen Planeten, der sicher war vor Löwensteins Wut.

Jedenfalls dachten seine Bewohner das.

Die Sonnenschreiter II kam aus dem Hyperraum und fiel in einen Orbit um die Nebelwelt. Die lange, schlanke Yacht glitzerte nur so vor Ortungsantennen, doch es gab nirgendwo in der Umgebung Imperiale Sternenkreuzer. Das Imperium hatte gelernt, einen Sicherheitsabstand einzuhalten. Es gab nur das einzelne, golden glänzende Schiff, das lautlos über einer kalten, eintönigen Kugel hing.

Owen Todtsteltzer hatte es sich in der Lounge der Sonnenschreiter II auf einem Sessel bequem gemacht und war dankbar für die Ruhe. Und für die Tatsache, dass – wenigstens im Augenblick – niemand auf ihn zu schießen versuchte.

Owen hatte gelernt, die stillen Momente im Leben zu genießen – und wenn auch nur aus dem einen einzigen Grund, dass es so wenige davon gab.

Er hatte die erste Sonnenschreiter bei einer Bruchlandung auf dem Planeten Shandrakor verloren, doch die Hadenmänner hatten das Schiff nach Owens Instruktionen rekonstruiert – um den Hyperraumantrieb herum, den sie aus dem Wrack der ursprünglichen Sonnenschreiter geborgen hatten. Es war ein ganz besonderer Hyperraumantrieb: einer der Prototypen des neuen Motors, den das Imperium gegenwärtig in Massenproduktion zu fertigen versuchte, und der – für den Augenblick zumindest – ein ganzes Stück schneller war als alles, was das Imperium aufzubieten hatte.

Theoretisch zumindest.

Die Yacht selbst sah fast genauso aus, wie Owen sein altes Schiff in Erinnerung hatte, und sie war mit dem gleichen ursprünglichen Luxus und Überfluss ausgestattet – auch wenn die Hadenmänner der Versuchung nicht hatten widerstehen können, einige Dinge im Verlauf der Konstruktion zu verbessern. Und manchmal verdeutlichten ihre Vorstellungen von Verbesserung nur, wie sehr sich die aufgerüsteten Männer von Haden bereits von der Menschheit entfernt hatten. Owen konnte mit Türen umgehen, die in soliden Wänden erschienen, sobald er sich näherte. Er mochte auch die Beleuchtung, die sich automatisch ein- und ausschaltete, ohne dass man es befehlen musste; aber Kontrollen, die nur durch Gedankenbefehl funktionierten, führten wirklich zu weit. Nach ein paar Beinahe-Katastrophen, weil seine Gedanken im entscheidenden Augenblick abgeschweift waren, hatte sich Owen fest vorgenommen, die Steuerung des Schiffs in Zukunft den Schiffslektronen zu überlassen.

Die Hadenmänner hatten auch einige Details der Innenausstattung falsch interpretiert – Kleinigkeiten, die Owen trotz allem beunruhigten: Böden, die aus keinem erkennbaren Grund schief waren oder sich wölbten, Sitze, die sich der Körperform nicht ganz korrekt anpassten, Lichter und Farben, die das menschliche Auge als unterschwellig unangenehm empfand.

Owen hob seine neue linke Hand und betrachtete sie nachdenklich. Das goldene Metall der künstlichen Hand, das andere Geschenk, das die Hadenmänner ihm gemacht hatten, leuchtete warm im Licht der Schiffslounge. Owen hatte die Vorstellung zunächst nicht gefallen, in derart intimem Kontakt mit Hadenmann-Technologie zu stehen, doch nachdem er seine echte Hand in den riesigen Kavernen unter der Wolflingswelt im Kampf mit dem Grendel verloren hatte, war ihm keine andere Wahl geblieben, als das Geschenk dankbar anzunehmen. Es war eine gute Hand; stark und reaktionsschnell und praktisch unverwundbar, und wenn sie sich auch die ganze Zeit ein wenig kalt und nicht ganz wie seine eigene Hand anfühlte, so konnte er doch sehr gut damit leben. Owen streckte langsam die goldenen Finger und bewunderte ihre flüssige Eleganz. Er vertraute der Hand, weil er musste; bei seinem neuen Schiff war das allerdings anders. Die Hadenmänner mochten für den Augenblick seine Verbündeten sein, doch ein Volk, das einst offiziell den Titel Feinde der Menschheit getragen hatte – und das mit gutem Grund –, musste trotz aller Geschenke mit Misstrauen betrachtet werden. Es bestand immer die Möglichkeit, dass die Hadenmänner ihre eigenen, dunklen Pläne verfolgten und die Mittel zu ihrer Umsetzung in Owens Schiff, in den Verbesserungen und vielleicht sogar in seiner künstlichen Hand verborgen hatten.

Owen seufzte. Das Leben war nicht immer so kompliziert gewesen. Er betrachtete das Bild, das der Spiegel in der Wand hinter ihm zeigte: Ein Mann Mitte Zwanzig erwiderte brütend seinen Blick. Er war groß und langgliedrig mit dunklem Haar und noch dunkleren Augen. Ein Mann, der harte Zeiten hinter sich hatte – und wahrscheinlich noch härtere vor sich. Vor noch gar nicht so langer Zeit war Owen Todtsteltzer ein einfacher Gelehrter gewesen, ein unbedeutender Historiker, der nur für sich selbst von Bedeutung gewesen war. Dann hatte Löwenstein ihn ausgestoßen und ihn als Verbrecher gebrandmarkt, und Owen war keine andere Wahl geblieben, als zum Rebell und Kämpfer zu werden. Die Hadenmänner hatten ihn Erlöser genannt, und die Untergrundbewegung nannte ihn die letzte Hoffnung der Menschheit. Owen glaubte nicht ein Wort von alledem.

Das Klimpern von Glas riss ihn aus seinen Gedanken, und Owen blickte liebevoll zu Hazel d’Ark hinüber, die auf der Suche nach etwas halbwegs Trinkbarem die Flaschen des Barschranks durchwühlte. Owen wusste, wie Hazel sich fühlen musste. Die Hadenmänner hatten sich die größte Mühe mit den Nahrungssynthetisierern gegeben, doch die verschiedenen alkoholischen Getränke, die sie zustande gebracht hatten, schmeckten allesamt gleich abscheulich. Was Hazel allerdings nicht davon abhielt, sie zu trinken … wenngleich sie beharrlich versuchte, eine Mischung zu finden, die in ihr nicht den Drang erweckte, das Zeug auf der Stelle wieder auszuspeien. Owen bewunderte sie für ihre Geduld und wünschte ihr im Stillen viel Glück. Was ihn jedoch persönlich betraf – er hätte die Flaschen noch nicht einmal angerührt, wenn ihm jemand eine geladene Pistole an den Kopf gehalten hätte.

Owen betrachtete Hazel. Er bewunderte ihr schmales, spitzes Gesicht und die lange Mähne aus aufreizend rotem Haar. Nach konventionellen Maßstäben konnte man sie zwar nicht als schön bezeichnen, aber Hazel war in nichts konventionell, wenn sie etwas daran ändern konnte.

Bevor sie zu den Rebellen stieß, war sie Piratin gewesen, Söldnerin, Klonpascherin – und das waren nur die Dinge, die sie zugegeben hatte. Sie war gut mit dem Schwert, doch sie zog Pistolen vor, und zwar so viele wie möglich. Und seitdem sie und Owen das gewaltige Lager voller Projektilwaffen im Arsenal der Todtsteltzer-Fluchtburg entdeckt hatten, hatte Hazel es sich angewöhnt, sich so viele Pistolen und Gewehre samt Munition umzuhängen oder in die Taschen zu stopfen, wie sie nur tragen konnte.

Owen glaubte, dass sie das schiere Gewicht als beruhigend empfand. Owen hingegen beunruhigte es eher – vor allem Hazels Neigung, recht leichtfertig mit den Sicherungshebeln umzugehen.

Er seufzte leise und trommelte mit den Fingern auf die Lehnen seines Sessels, während er darauf wartete, dass die das Schiff steuernden Lektronen der Hadenmänner mit ihren Sicherheitsüberprüfungen fertig wurden. Rein technisch gesehen, vertraute er sein Leben dem störungsfreien Funktionieren der KIs an, welche die Hadenmänner eingebaut hatten – was absolut überhaupt nichts mit seinem Drang nach Sicherheit und Unversehrtheit zu tun hatte. Andererseits hatten Owen natürlich auch keine große Wahl. Irgendjemand musste das Schiff steuern, und das war ganz bestimmt nicht Owen Todtsteltzer.

Die zahlreichen verschiedenen Systeme eines Raumschiffs im Griff zu haben war harte Arbeit, die viel Geschick erforderte, und wenn Owen sich nach Arbeit gesehnt hätte, wäre er nicht als Aristokrat zur Welt gekommen.

Die ursprüngliche Sonnenschreiter war von der Familien-KI Ozymandius gesteuert worden, doch Ozymandius hatte sich als Verräter in den Diensten des Imperiums entpuppt. Er hatte geheime Kontrollworte benutzt, um Owen gegen seine Freunde kämpfen zu lassen, und Owen war keine andere Wahl geblieben, als Ozymandius zu zerstören obwohl die KI schon viel länger als alle anderen sein Freund gewesen war.

Owen hatte auch seine Konkubine töten müssen, als sie auf Befehl des Imperiums versucht hatte, ihn zu ermorden. Man konnte einfach niemandem mehr trauen in diesen Tagen. Wahrscheinlich nicht einmal der Frau, die man liebte … Owen riss seinen Blick von Hazel los und konzentrierte sich in einer bewussten Anstrengung auf etwas anderes. Wenigstens hatten die Hadenmänner diesmal die Toiletten richtig konstruiert. Ihre früheren diesbezüglichen Experimente waren ein wenig … kläglich gewesen. Offensichtlich hatten Hadenmänner keinen Bedarf für derartige Unwichtigkeiten – was Owen ein gutes Stück mehr über die Natur seiner unsicheren Verbündeten verriet, als er eigentlich wissen wollte.

Hazel schlenderte herbei, einen Drink in der Hand. Die Flüssigkeit war von einem blassen Blau, und sie sah aus, als wollte sie aus dem Glas klettern. Mit einem wenig damenhaften Grunzen ließ sich Hazel in den Sessel Owen gegenüber fallen und machte es sich bequem. Sie liebte Luxus, kleinen wie großen, und hauptsächlich deswegen, weil sie in ihrem Leben bisher so wenig davon gekannt hatte. Sie nahm einen großen Schluck von ihrem Drink, verzog das Gesicht – und schluckte trotzdem.

Hazel ließ niemals ein volles Glas stehen. Es war eine Frage des Prinzips. Owen hatte ein Grinsen unterdrücken müssen, als Hazel es ihm erklärt hatte. Er hatte nicht gedacht, dass Hazel überhaupt wusste, was ein Prinzip war. Selbstverständlich hatte Owen genügend Verstand besessen, ihr das nicht laut zu sagen.

»Und wie schmeckt das Zeug diesmal?«, erkundigte er sich wohlgesonnen.

»Glaub mir, du willst es gar nicht wissen«, entgegnete Hazel. »Die Tatsache, dass ich es überhaupt trinke, ist ein Zeichen, wie unendlich ich mich langweile. Wie lange denn noch, bis wir endlich landen können?«

»Nicht mehr lange, Hazel. Freut Ihr Euch darauf, wieder in Eurem angestammten Revier zu sein?«

»Nicht wirklich, Todtsteltzer. Nebelhafen ist gefährlich, heimtückisch und verflucht kalt, und das nur an den besseren Tagen. Ich kenne tollwütige Ratten mit blutenden Hämorrhoiden, die freundlicher sind als ein durchschnittlicher Nebelweltler. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich mich vom Untergrund dazu habe überreden lassen, in dieses Höllenloch zurückzukehren.«

Owen zuckte die Schultern. »Wer sonst, wenn nicht wir, Hazel? Irgendjemand muss schließlich den Untergrund beim Rat von Nebelwelt repräsentieren, und Ihr und ich kennen die Lage vor Ort besser als jeder andere, den sie hätten schicken können. Lasst den Kopf nicht hängen, Hazel. Diesmal wird es bestimmt nicht so schlimm werden wie bei unserem letzten Besuch – glaube ich. Wir alle sind ein gutes Stück stärker und gerissener als beim letzten Mal.«

Hazel runzelte die Stirn. »Jepp. Deswegen wollte ich sowieso mal mit dir reden. Als dieses Hologramm von einem Blutläufer mich in seinem Labor auseinandernehmen wollte, hast du ihn über Lichtjahre hinweg gepackt und in Stücke gerissen. Einfach durch die Kraft deiner Gedanken. Ich wusste nicht, dass du diese Art von Macht besitzt, Todtsteltzer. Ich jedenfalls hab’ sie nicht.«

»Ich wusste ebenfalls nichts davon, Hazel, bis ich sie benötigte. Unser Aufenthalt im Labyrinth des Wahnsinns hat uns weit mehr verändert, als wir zuerst dachten. Wir sind anders geworden.«

»Der Klang deiner Worte gefällt mir nicht, Todtsteltzer. Wo hören die Veränderungen auf? Sind wir noch Menschen? Oder enden wir am Schluss wie die Hadenmänner, so verschieden von dem, was wir einmal waren, dass wir genauso gut Fremdwesen sein könnten?«

Owen zuckte erneut die Schultern. »Ich weiß nicht mehr als Ihr. Ich denke, wir sind so menschlich, wie wir sein wollen. Unser Menschsein liegt schließlich nicht in dem begründet, was wir tun, sondern wie wir es tun. Außerdem bin ich noch gar nicht sicher, ob unsere Fähigkeiten von Dauer sind. Sie scheinen zu kommen und zu gehen. Wir hatten eine Verbindung untereinander, eine Art mentaler Kopplung zwischen all denjenigen, die das Labyrinth des Wahnsinns durchschritten haben, doch diese Verbindung ist gerissen, als wir uns getrennt haben und unserer eigenen Wege gegangen sind.

Und jetzt kann ich nicht einmal mehr Euch spüren, Hazel. Spürt Ihr mich noch in Eurem Verstand?«

»Nein«, antwortete Hazel. »Schon seit einiger Zeit nicht mehr.«

»Das könnte mein Fehler sein«, sagte Ozymandius in Owens Ohr. »Vielleicht stört meine Anwesenheit die Schwingungen zwischen euch.«

»Halt den Mund, Ozymandius«, murmelte Owen lautlos. »Du bist tot. Ich habe dich zerstört.«

»Das hättest du wohl gerne. Nein, ich bin noch immer bei dir, um dich zu beraten und um dich durch die kleinen Widrigkeiten des Lebens zu leiten, Owen.«

»Die einzige kleine Widrigkeit, die mir gegenwärtig zu schaffen macht, ist diese maulende KI in meinem Ohr«, entgegnete Owen. »Würde ich einen guten Kyberdruiden kennen, hätte ich dich längst exorziert. Wer oder was auch immer du bist, ich brauche deine Hilfe nicht. Ich kann ganz hervorragend allein auf mich aufpassen.«

»Also bitte, du undankbarer kleiner Rotz! Wären nicht meine Berechnungen gewesen, wärst du niemals lebendig von Virimonde entkommen, als deine eigenen Sicherheitsleute wegen des auf dich ausgesetzten Kopfgelds hinter dir her waren! Weißt du, was dein Problem ist? Du bist undankbar. Sieh doch zu, wie du allein zurechtkommst! Ich ziehe mich zum Schmollen zurück.«

Hazel beobachtete Owen unauffällig. Der Todtsteltzer war wieder einmal unvermittelt still geworden. Seine Augen blickten in eine unbestimmte Ferne. Das machte er in letzter Zeit häufiger, und er schaffte es jedes Mal, sie damit zu ärgern – und das, obwohl sie vom Beginn ihrer zögerlichen Partnerschaft an gewusst hatte, dass er ein zerstreuter, nachdenklicher Bursche war. Hazel hatte stets an die Tugend des schnellen Handelns geglaubt, vorzugsweise mit einem Schwert oder einer Pistole in der Hand. Mach zuerst sicherheitshalber alle nieder, und denk erst später über die Konsequenzen nach – wenn überhaupt. Sie fragte sich, was Owen von ihr denken würde, sollte er herausfinden, dass sie wieder Blut nahm.

Blut. Die gefährlichste der Menschheit bekannte Droge. Extrem suchterzeugend. Seelenzerstörend. Sie kam von den anderen aufgerüsteten Männern, den Wampyren, einer der weniger erfolgreichen Versuche des Imperiums, Terrortruppen zu erschaffen. In den Adern der Wampyre floss synthetisches Blut, das sie stärker, schneller und fast unbesiegbar machte. Schon ein paar Tropfen dieses Blutes konnten einen gewöhnlichen Menschen dazu bringen, sich – zumindest für eine Weile – genauso zu fühlen: gerissen und voller unerschütterlichem Selbstvertrauen. Und genau das brauchte Hazel in letzter Zeit mehr und mehr. Sie war schon einmal von dieser Droge abhängig gewesen, in ihren frühen Tagen auf Nebelwelt. Sie hatte die Sucht besiegt, obwohl der Entzug sie fast das Leben gekostet hätte. Seither hatte sie sich in beinahe jeder Hinsicht verändert, und nur wenige dieser Veränderungen gefielen ihr.

Hazel hatte nie daran gedacht, Rebell zu werden. Sie hatte sich immer nur nach einem behaglichen Leben gesehnt, weiter nichts – nach einem Leben, frei von Hunger und von Gefahr. Ihre beste Zeit hatte sie als Trickbetrügerin gehabt. Damals hatte sie reiche Blutsauger um ihre unrechtmäßigen Gewinne erleichtert und war in der Nacht verschwunden, bevor ihre Opfer realisieren konnten, dass sie hinters Licht geführt worden waren. Hazel hatte noch nie in ihrem Leben für etwas anderes gekämpft als für Geld. Bar auf die Hand. Sie hatte noch nie jemand anderem als sich selbst vertraut. Und jetzt war sie eine der wichtigsten Figuren der neuen Rebellion. Sie war Zielscheibe für jeden verdammten Kopfgeldjäger und Meuchelmörder des Imperiums, und ständig wurde sie um ihre Meinung oder Vorschläge in Angelegenheiten gefragt, von denen sie nicht die geringste Ahnung hatte.

Zum ersten Mal in ihrem Leben hingen Leben und Zukunft zahlloser Menschen von Hazels Aktionen und Entscheidungen ab – und das bedeutete jede Menge Stress und neue Unsicherheit. Alles, was sie tat oder unterließ, zog Konsequenzen nach sich. Es war unerträglich. Der Druck lastete schwer auf Hazel und verdrängte jeden klaren Gedanken. Bisweilen wurde er sogar derart stark, dass sie weder essen noch schlafen konnte. Und deshalb hatte sie auch Blut genommen. Zunächst nur einen Tropfen, und nur hin und wieder, wenn es gar nicht anders ging. Die Hadenmänner hatten ihr nur allzu bereitwillig so viel davon gegeben, wie sie wollte. Hazel hatte nicht gefragt, woher es stammte. Und jetzt stand sie im Begriff, auf Nebelwelt zu landen, wo Blut weit verbreitet war.

Hazel wollte nicht wieder süchtig werden. Sie wollte nicht wieder zu einem Plasmakind werden, mit dem einen, alles beherrschenden Gedanken an das Blut und der verzehrenden Sucht danach und dem Bewusstsein, dass es sie langsam zerstörte. Hazel widersetzte sich allem, das Macht über sie auszuüben versuchte. Sie hatte die Sucht schon einmal besiegt, und sie würde es wieder tun. Schließlich benötigte sie nur hin und wieder einen Tropfen, weiter nichts. Nur eine klitzekleine Kleinigkeit, damit sie besser mit dem Stress fertig wurde. Sie blickte Owen an und presste die Lippen zusammen. Sie wusste, warum die mentale Verbindung zu Owen abgerissen war. Das Blut störte. Es trennte sie voneinander. Hazel konnte es ihm nicht sagen. Owen würde es nicht verstehen.

Plötzlich wurde die Tür der Lounge geöffnet, und Hazels und Owens Mitrebellen auf dieser Mission spazierten herein. Sie redeten demonstrativ kein Wort miteinander, wie immer. Der neue Jakob Ohnesorg – Jung Jakob, wie Owen ihn bei sich nannte – war groß, muskulös und teuflisch hübsch anzusehen mit schulterlangem, dunklem Haar, das stets so aussah, als sei es eben erst dauergewellt worden. Owen musste ihn nur ansehen, um sich klein und schwächlich zu fühlen. Ohnesorg steckte in einer silber-goldenen Kampfrüstung, als sei er darin geboren worden. Er erweckte den Eindruck von Kraft, Weisheit, Selbstvertrauen und Güte. Ein geborener Führer, ein charismatischer Kämpfer, ein Held aus den Legenden und insgesamt ein gutes Stück zu jung für das alles. Er war aus dem Nichts gekommen, genau in dem Augenblick, in dem die Rebellion jemanden wie ihn am dringendsten gebraucht hatte, und Owen traute ihm nicht über den Weg.

Zusammen mit Hazel hatte Owen vor einiger Zeit in der Stadt Nebelhafen nach dem legendären Berufsrebellen Jakob Ohnesorg gesucht. Sie hatten einen gebrochenen alten Mann gefunden, der sich vor seiner Vergangenheit versteckt hatte, und sie hatten ihn aus seinem Loch gezerrt, weil die Rebellion den Namen brauchte, wenn schon nicht den Mann. Ohnesorg hatte neben ihnen gekämpft, war mit ihnen durch das Labyrinth des Wahnsinns gegangen, hatte sich zusammen mit ihnen einer gewaltigen Übermacht Imperialer Truppen gestellt und hatte gemeinsam mit Owen, Hazel und den anderen gesiegt. Owen hatte an ihn geglaubt, und er war stolz darauf gewesen, ihn einen Freund nennen zu dürfen. Der alte Mann hatte gerade angefangen, wieder zu der Legende von einst zu werden, als plötzlich dieser junge Riese auf der Bildfläche erschienen war und behauptet hatte, der echte Jakob Ohnesorg zu sein – mit dem Ergebnis, dass Owen nun nicht mehr wusste, wem von beiden er Glauben schenken sollte.

Jung Jakobs letzte Schlacht hatte zwei Jahre zuvor auf der Winterwelt Vodyanoi IV stattgefunden. Wie üblich hatte er eine Menge Lärm veranstaltet und eine Armee aus Anhängern ausgehoben – allerdings nur, um einmal mehr in den Hintern getreten zu werden, als er sich plötzlich gut ausgebildeten Imperialen Stoßtruppen gegenübergesehen hatte. Seine Freunde hatten ihn im letzten Augenblick herausgeschmuggelt, und so war er nicht zugegen gewesen, als seine Anhänger niedergemetzelt oder gefangengenommen worden waren. Seine Rebellion hatte wieder einmal verloren, doch die Legende hatte überlebt.

Hätte nur der alte Jakob Ohnesorg nicht dagegengehalten, dass alles gelogen gewesen sei. Nach seiner Version hatte er seine letzte Schlacht auf Eisfels geschlagen, und zwar schon mehrere Jahre zuvor, und seine Streitkräfte hatten eine schändliche Niederlage erlitten. Er selbst war von Imperialen Truppen gefangengenommen worden. Er hatte lange Zeit in Verhörzellen zugebracht, war gefoltert worden, und die Imperialen Hirntechs hatten ihn einer gründlichen Gehirnwäsche unterzogen, bis es seinen Freunden eines Tages gelungen war, in sein Gefängnis einzudringen und ihn zu befreien. Sie hatten ihn in die Sicherheit der Nebelwelt geschmuggelt, wo Jakob Ohnesorg seinen Namen und seine Legende aufgegeben hatte, um fortan als graues Gesicht in der Menge zu leben, versteckt und sicher vor Bittstellern oder Verantwortung.

Allerdings … Jakob Ohnesorg, der Berufsrebell, war während dieser Zeit auf verschiedenen Welten aktiv in Erscheinung getreten. Also: Wer erzählte die Wahrheit, und wer log? Wer war der echte Jakob Ohnesorg? Der ältere Jakob gab zu, dass die Imperialen Hirntechs während der Monate seiner Gefangenschaft ganze Arbeit an ihm geleistet und seine Gedanken und Erinnerungen manipuliert hatten, während sie seinen Willen Tag für Tag ein weiteres Stück brachen. Vielleicht hatten sie ihm auch nur eingeimpft, er sei der berühmte Berufsrebell gewesen, während er in Wirklichkeit nur ein Niemand war, den das Imperium geformt hatte, um als gebrochener Mann für Propagandazwecke herzuhalten. Wie bei so vielen anderen Dingen, so wusste Owen auch in diesem Fall nicht mehr, was er glauben sollte und was nicht. Wenigstens besaß der Alte Jakob mehr oder weniger das richtige Alter, während Jung Jakob aussah, als wäre er höchstens Ende Zwanzig. Er war in Höchstform. Zweifellos hätten die vielen Jahre der Rebellion einige Spuren bei ihm hinterlassen müssen, und zwar trotz seines – wie er behauptete – ausgiebigen Gebrauchs von Regenerationsmaschinen.

Der Untergrund hatte sich außerstande gesehen, sich für den einen oder anderen zu entscheiden. Der Alte Jakob nahm für sich in Anspruch, der Mann mit der Erfahrung zu sein. Jung Jakob hingegen sah um einiges überzeugender aus. Also war der Untergrund darin übereingekommen, für den Augenblick beide Jakobs zu akzeptieren, und hatte sie auf getrennte Missionen geschickt, damit sie sich in Aktion beweisen konnten.

Der Alte Jakob war beauftragt worden, den Bergbauplaneten Technos III aufzuwiegeln, und Hazel und Owen mussten wohl oder übel Jung Jakob in ihrem Team aufnehmen, trotz aller lautstarken Proteste. Jung Jakob hatte alles mit einem gottergebenen Lächeln über sich ergehen lassen – was ihn in Owens Augen noch weniger vertrauenswürdig erscheinen ließ. Traue niemals einem Mann, der zu viel lächelt, hatte sein Vater stets gesagt. Das ist nicht normal. Nicht in diesen Tagen. Hazel war – wenn das überhaupt ging – noch weniger von dem Neuzugang beeindruckt als Owen, und sie hatte dem Mann auch ins Gesicht gesagt, dass sie ihn für einen Lügner und Hochstapler hielt. Jung Jakob hatte weiter gelächelt und geantwortet, dass er auf eine Gelegenheit hoffe, um ihr seinen Wert beweisen zu können. Hazel hatte daraufhin erwidert, dass sie ihm seinen Finger zu fressen geben würde, sollte er es wagen, sie auch nur anzurühren. Jung Jakob hatte wohlgelaunt gekichert und erklärt, dass sie sehr hübsch sei, wenn sie wütend sei. Owen hatte Hazel festhalten müssen, bis der rote Nebel vor ihren Augen wieder verschwunden war.

Der andere Neuzugang war der Esper, der unter dem Namen Johana Wahn bekannt war. Sie hatte sich der Gruppe aufgedrängt, die zur Nebelwelt gehen sollte, mit der Begründung, dass ein Planet, der größtenteils von abtrünnigen Espern bewohnt wurde, sicherlich die letzte Manifestation des Über-Espers Mater Mundi, die Heilige Mutter Aller Seelen, kennenlernen wollte, die eigenhändig die Große Flucht der Esper aus der Hölle des Wurmwächters ermöglicht hatte. Auf den ersten Blick war Johana durchaus unscheinbar. Sie war klein und blond und besaß ein blasses, geisterhaftes Gesicht, das von riesigen blauen Augen beherrscht wurde. Sie hatte einen breiten Mund und ein merkwürdig beunruhigendes Lächeln, das mehr Zähne als Humor zeigte. Ihre Stimme klang rau und wenig anziehend, denn ihre Kehle hatte unter dem fortwährenden Schreien in den finsteren Zellen von Silo Neun gelitten.

Bevor der Untergrund Johana Wahn als Verdeckte Agentin in die Hölle des Wurmwächters gesandt hatte, war sie nichts weiter als ein ganz gewöhnlicher Esper gewesen. Nachdem Mater Mundi in sie gefahren war, hatte sie sich jedoch über Nacht zu einem Esper mit ganz außergewöhnlichen Kräften entwickelt. Ihre bloße Gegenwart brachte die Luft ringsum zum Knistern, ein Phänomen, das jeder in ihrer Nähe spürte. Einst war sie nichts weiter als eine schwache Telepathin gewesen, doch nun war sie im Besitz jeder nur denkbaren Esperfähigkeit – eine Begabung, die bisher als unmöglich gegolten hatte. Obwohl natürlich niemand so dumm war, etwas Derartiges in Gegenwart von Johana Wahn zu sagen. Die meisten Leute besaßen genug Verstand, ihr nicht einmal nahe genug dafür zu kommen.

Johana Wahn respektierte Owen und Hazel wegen der Kraft, die sie der Rebellion gegeben hatten. Da ihre Persönlichkeit sich allerdings mitten im Satz von der relativ unauffälligen Johana in den wirklich beunruhigenden Wahn verwandeln konnte, fanden die beiden es andererseits äußerst schwierig, nähere Bekanntschaft mit ihr zu schließen. Immerhin bemühten sich Owen und Hazel um Nachsicht. Schließlich hatte Johana Wahn sich freiwillig gemeldet und in Silo Neun einsperren lassen. Die Hölle des Wurmwächters hätte jedermann zerbrechen können. Was half, war die Tatsache, dass Johana Wahn dem jungen Jakob Ohnesorg ebenfalls nicht traute. Vielleicht nur, weil sie den unablässigen Wettstreit im Heischen um Aufmerksamkeit missbilligte.

Sie verharrte kurz im Eingang und wartete, bis alle Augen auf sie gerichtet waren, dann stolzierte sie quer durch die Lounge zum letzten freien Sessel und ließ sich darauf nieder wie auf einem Thron. Jung Jakob blieb an der Tür stehen und verfiel in seine natürliche Heldenpose. Johana ignorierte ihn mit großartiger Nonchalance. »Wie lange noch, bis wir landen?«, erkundigte sie sich eisig.

»Jetzt fangt nicht auch noch so an«, beschwerte sich Owen. »Selbst mit dem neuen Antrieb dauert es noch eine gewisse Zeit, um von einer Seite des Imperiums zur anderen zu gelangen.«

»Tatsächlich befinden wir uns schon seit gut zwanzig Minuten im Orbit um Nebelwelt«, raunte Ozymandius in seinem Ohr.

»Was?«, brauste Owen unhörbar auf. »Warum hat mir die KI des Schiffs nichts davon gesagt?«

»Du hast sie nicht dazu aufgefordert. Schließlich ist sie nicht annähernd so komplex wie meine Wenigkeit.«

»Und warum hast du mir nicht gesagt, dass wir angekommen sind?«

»Wer, ich? Ich bin tot, oder hast du das vergessen? Es liegt mir fern, mich aufzudrängen, wenn meine Gegenwart nicht erwünscht ist.«

Owen unterdrückte einen resignierten Seufzer und blickte zu seinen Kameraden. »Wie es scheint, befinden wir uns zur Zeit in einem Orbit um unser Ziel. Bisher wurden wir nicht beschossen. Hazel, Ihr kennt diese Leute am besten von uns. Öffnet einen Kommunikationskanal, und findet heraus, welchen exorbitanten Preis sie diesmal für unsere Landung verlangen.«

Hazel grunzte wenig begeistert und stemmte sich aus ihrem Sessel. Sie ließ sich Zeit, und wegen des Gewichts der vielen Projektilwaffen, die sie ständig mit sich herumschleppte, kostete es sie einiges an Mühe. Ohne ersichtliche Eile schlenderte sie zu den Kommunikationsinstrumenten und setzte einen Ruf an die Raumüberwachung von Nebelhafen ab. Es gab nur eine einzige Stadt und einen einzigen Raumhafen auf der Nebelwelt, und das war Nebelhafen. Ein wilder und verwirrender Ort, den man nicht ohne Einladung besuchte – wie das Imperium bereits mehrmals schmerzhaft herausgefunden hatte.

Während Hazel mehr oder weniger geduldig darauf wartete, dass ihr jemand antwortete, blickte sich Owen unter seinen Kameraden um. Er rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her, als er bemerkte, dass Johana Wahn ihn schon wieder beobachtete. Ihr ESP ließ sie ahnen, welch gewaltigen Veränderungen in Owen und Hazel vorgegangen waren; doch es reichte nicht aus, um ihr zu verraten, was für Veränderungen das waren. Johana Wahn spürte, dass Hazel und Owen auf eine eigene Weise genauso mächtig waren wie sie selbst. Sie schien sich nicht schlüssig darüber zu sein, ob sie sich fürchten oder ob sie beeindruckt oder eifersüchtig sein sollte. Owen hatte ihre Unsicherheit ausgenutzt und sie dazu überredet, unauffällig den Geist Jung Jakobs zu sondieren und herauszufinden, was sich darin verbarg.

Zu ihrer beider Überraschung hatte sich herausgestellt – jedenfalls soweit es Johanas ESP betraf –, dass es keinen Geist gab. Das bedeutete entweder, dass Jung Jakob eine erstaunlich mächtige mentale Abschirmung besaß, oder … Bisher waren sie nicht auf ein Entweder-Oder gestoßen, das ihnen auch nur halbwegs gefiel.

Owen wich Johanas brennendem Blick aus. Als gäbe es nicht schon genug Dinge, die ihm Sorgen bereiteten.

»Hallo, Sonnenschreiter II«, erklang eine müde Stimme aus dem Lautsprecher des Kommunikationspaneels. »Hier spricht John Silver, Leiter der Raumüberwachung von Nebelhafen. Hört auf, Eure Ausrüstung zu justieren. Ich habe das visuelle Signal schon wieder verloren. Wenn ich den Piraten in die Finger kriege, der uns diese Schrottsysteme verkauft hat! Ich werde ihm einen doppelten Palstek in die Beine knoten! Willkommen zu Hause, Hazel! Stiehl keine wertvollen Sachen und versuch, diesmal niemand Wichtigen umzubringen, ja? Du kannst dein Schiff landen, wo immer du willst; der Raumhafen ist so gut wie leer. Heutzutage gibt es nicht gerade viel Verkehr in unsere Richtung.«

»Verstanden«, antwortete Hazel. »Lass den Kopf nicht hängen, John. Wir haben den Frachtraum gerammelt voll mit wirklich netten Überraschungen für dich, als da wären: mehr Projektilwaffen und Munition und Sprengstoff, als du dir mit Gewalt sonst wo hinstecken kannst. Genau das, was du brauchst, um Imperialen Spionen und Störenfrieden dein Missvergnügen deutlich zu machen.«

»Du hast schon immer die hübschesten Geschenke mitgebracht, Hazel«, erklang die Antwort. »Und jetzt entschuldige mich, wenn ich dich alleine lassen muss. Ich bin völlig erledigt. Ich habe alle Hände voll zu tun. Die Präkos spielen seit einigen Tagen verrückt. Sie bestehen darauf, dass irgendetwas wirklich Übles in der Luft liegt. Wir können keine Einzelheiten aus ihnen herausholen, die auch nur halbwegs Sinn ergeben … Wie auch immer, ich habe einfach nicht die Zeit, um mich mit einem einzelnen Schiff abzugeben, ganz gleich, ob verbündet oder nicht.«

»Für den Fall, dass er es vergessen hat, Hazel«, sagte Owen. »Erinnert ihn doch bitte daran, dass wir diesmal nicht als flüchtige Vogelfreie zu ihm kommen. Wir repräsentieren den Untergrund von Golgatha.«

»Schon gut, ich hab’s gehört«, sagte Silvers Stimme. »Ich hätte mir gleich denken können, dass du an Bord bist, Todtsteltzer. Wir haben den Ärger nicht vergessen, den du bei deinem letzten Besuch verursacht hast. Irgendjemand wird dich empfangen, sobald du unten bist, aber erwarte bitte keine Kapelle oder den Goldenen Schlüssel der Stadt. Wir mussten die Instrumente verpfänden, und der Schlüssel hat sowieso nie gepasst. Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt. Fangt keinen Ärger an. Und jetzt geht aus der Leitung, damit ich mich wieder auf meine Arbeit konzentrieren kann.«

»Ist das eine typische Begrüßung auf der Nebelwelt?«, erkundigte sich Johana Wahn nach einem Augenblick des Schweigens.

»Ja«, erwiderte Hazel. »Unten in Nebelhafen haben sie Paranoia zu einer Kunstform erhoben. Mit gutem Grund übrigens. Es gibt eine lange Geschichte von schmutzigen Tricks und Attentaten. Das Imperium versucht seit Ewigkeiten, Nebelhafen zu unterminieren oder den Raumhafen zu zerstören. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit haben sie eine Esperseuche in Gang gesetzt, indem sie einen getarnten Überträger namens Typhus-Marie einschleusten. Eine Menge Leute mussten sterben, bevor die Sicherheit Typhus-Marie endlich entdeckte und festnageln konnte. Nebelhafen hat sich immer noch nicht ganz davon erholt.«

»Sie haben eine Menge durchgemacht«, stimmte Jung Jakob zu. »Wir müssen sie trotzdem von der Wichtigkeit unserer verschiedenen Missionen hier überzeugen. Wir brauchen die Nebelwelt auf unserer Seite, wenn wir die Rebellion gewinnen wollen. Ihre Esper werden eine unbezahlbare Unterstützung sein.«

»Ich bin wirklich froh, dass jemand die Zusammenhänge im Auge behält«, sagte Owen. »Allerdings würde ich an Eurer Stelle nicht so hochtrabend daherreden, sobald Ihr unten seid. Die Nebelweltler mögen keine langen Reden.«

»Das musst du ja am besten wissen«, bemerkte Hazel von der Seite.

Die Landeplätze waren praktisch verlassen. Nur eine Handvoll Schmugglerschiffe drängten sich an einem Ende zusammen, als suchten sie gegenseitig Schutz. Die Sonnenschreiter II schwebte gemütlich auf einen freien Platz, der mit flackernden Kerosinlampen markiert worden war.

Der große Kontrollturm aus Stahlglas war das einzige Zeichen hochentwickelter Technologie auf dem gesamten Raumhafen. Seine hellen elektrischen Lichter schimmerten durch den dichten, wabernden Nebel. Owen ließ die Schiffslektronen alles mit Ausnahme der Sicherheitssysteme abschalten, dann führte er die Gruppe aus dem Schiff und auf das Landefeld.

Die Kälte schnitt ins Fleisch wie ein Messer, als die Rebellen durch die Luftschleuse ins Freie traten. Sie brannte auf den Gesichtern und in den Lungen, während sie sich in ihre dicken Felle kuschelten. Owen schlug seine behandschuhten Hände gegeneinander und schaute sich um. Er hatte ganz vergessen, wie sehr er diese Welt hasste, und nicht allein wegen der Kälte.

Der Nebel war so früh am Morgen am dichtesten, kurz vor dem Aufgang der blassen Nebelweltsonne. Hinter dem Kontrollturm schimmerten schwach die Lichter der Stadt durch sich ständig bewegende graue Wände aus Dunst. Jung Jakob blickte sich gelassen um. Er besaß nicht einmal den Anstand, zusammen mit den anderen vor Kälte zu zittern.

»Hier hat sich kein Stück verändert«, erklärte er. »Kälter als die Brust einer Hexe und noch ein ganzes Stück weniger einladend.«

»Und wann warst du das letzte Mal hier?«, erkundigte sich Hazel, ohne sich die Mühe zu machen, ihr Misstrauen zu verbergen.

»Ich war im Laufe der Jahre mehrere Male hier«, erwiderte Ohnesorg leichthin. »Genau genommen hat hier alles angefangen. Vor gut zwanzig Jahren versuchte ich, hier eine Armee für die Rebellion auf Lyonesse auszuheben. Ein paar tapfere Seelen schlossen sich unserer Sache an, doch das war auch schon alles. Ich war damals eben noch nicht so bekannt. Ich hoffe nur, dass ich diesmal mehr Erfolg habe.«

»Aufgepasst«, sagte Johana Wahn. »Irgendjemand nähert sich. Insgesamt drei Leute. Einer davon ist ein Esper. Ich kann seinen Verstand nicht sondieren.«

»Versuch’s lieber erst gar nicht!«, mahnte Hazel. »Wir sind auf einer Esperwelt. Mentale Privatsphäre wird hier sehr ernst genommen. Ärgere die Mächte, die hier am Werk sind, und wir schaffen deine Überreste in einer Zwangsjacke nach Hause. Von jetzt an benutzt du dein ESP nur noch, wenn man dich dazu einlädt. Hast du verstanden?«

Johana Wahn zuckte die Schultern. »Ich kann nichts dafür, wenn ihre Bewusstseine die ganze Zeit über geradezu nach mir schreien. Und die Mächte, die hier am Werk sind, täten besser daran, mir nicht in den Weg zu kommen. Ich wurde durch die Mater Mundi transformiert, und es gibt nicht ein einziges Bewusstsein in dieser Stadt, das mir ebenbürtig wäre.«

»Damit wäre ja alles klar«, sagte Hazel eisig. »Von jetzt an hältst du dich von uns anderen ein gutes Stück entfernt. Auf diese Weise sind wir wenigstens halbwegs in Sicherheit, wenn dir irgendetwas Schreckliches zustößt – was auch immer es sein mag.«

Eine beißende Erwiderung Johana Wahns blieb ihnen erspart, weil plötzlich drei Gestalten aus dem wabernden Dunst traten. Es gab keine Vorwarnung. Im einen Augenblick sahen sie nichts als Nebel, dann stapften zwei Männer und eine Frau auf sie zu.

Owen empfand diese Tatsache als milde beunruhigend. Normalerweise warnten ihn seine Kräfte rechtzeitig vor Ereignissen wie diesen. Warum, verdammt noch mal, funktioniert es einmal, und dann wieder nicht? Er bemerkte, dass sich seine Hand automatisch auf das Schwert an der Seite gesenkt hatte, und er beeilte sich, sie wieder von dort wegzunehmen. Zwei der Neuankömmlinge kannte er aus den Dateien, die man ihm beim letzten Briefing gezeigt hatte. Der Raumhafendirektor Gideon Stahl war ein kleiner, dicker Mann mit ruhigen, besonnenen Augen und einem beunruhigend zynischen Lächeln. Er war gut gekleidet, wenn auch ein wenig schlampig – einige seiner Felle sahen aus, als hätten sie die Räude. Er war angeblich Mitte Vierzig, doch er sah mindestens zehn Jahre älter aus, so wie man halt aussah, wenn man für einen Raumhafen wie Nebelhafen verantwortlich war.

Die Frau neben Stahl hinterließ einen weitaus tieferen Eindruck bei den Wartenden. Sie wirkte ausgesprochen einschüchternd. Trotz der bitteren Kälte war sie nicht in Felle gehüllt, sondern trug lediglich die offizielle Uniform eines Imperialen Investigators. Owen spürte, wie sich Hazel neben ihm versteifte. Er betete, dass sie genug Vernunft besaß, um keinen Streit vom Zaun zu brechen. Investigator Topas war mittelgroß, schlank, attraktiv – und sie besaß kältere Augen, als es der Nebel jemals sein würde. Ihr kurzgeschorenes dunkles Haar verlieh ihren klassischen Gesichtszügen eine ruhige, ästhetische Aura, doch ihre blauen Augen waren die Augen eines Killers. Allein ihr Anblick reichte, um Owen langsam und ganz, ganz vorsichtig zurückweichen zu lassen. Er wollte sie auf gar keinen Fall provozieren. Owen hatte von Investigator Topas gehört. Jeder hatte schon von ihr gehört. Topas war eine Sirene und der einzige Esper, der je zum Investigator ausgebildet worden war. Als sie beschlossen hatte, das Imperium hinter sich zu lassen und zur Nebelwelt aufzubrechen, hatten sie ihr eine ganze Kompanie Wachen hinterhergeschickt, insgesamt fünfhundert Mann. Topas hatte sie mit einem einzigen Lied getötet, als sich ihr ESP und ihre Stimme zu einer tödlichen Macht vereint hatten, die weder aufgehalten noch abgelenkt werden konnte.

In Nebelhafen war sie offiziell nur Sergeant bei den Stadtwachen, doch sie hatte auch ihren alten Titel behalten. Hauptsächlich deswegen, weil sich kein Dummer gefunden hatte, der deswegen mit ihr Streit anfangen wollte. In einer Stadt voller gefährlicher und verzweifelter Individuen gab es niemanden, der sich mit Topas anlegte. Nachdem Owen sie jetzt mit eigenen Augen sah, konnte er auch verstehen, warum. Ohne sich umzusehen spürte er, wie Hazel neben ihm sich unruhig rührte wie ein Hofhund, der einen Rivalen roch, und so beschloss er, die Dinge ins Rollen zu bringen, bevor sie eine Gelegenheit hatten, ihm aus der Hand zu gleiten.

»Direktor Stahl und Investigator Topas«, begann er freundlich. »Sehr liebenswürdig von Euch, zu so früher Stunde persönlich herzukommen und uns in Empfang zu nehmen. Darf ich Euch meine Begleiter vorstellen …?«

»Wir wissen, wer Ihr seid«, unterbrach ihn Stahl. »Und wärt Ihr nicht die offiziellen Repräsentanten der Untergrundbewegung Golgathas, hätte ich Euch niemals eine Landeerlaubnis erteilt. Ihr macht immer nur Scherereien, und noch mehr Ärger ist wirklich das Letzte, was Nebelhafen im Augenblick gebrauchen kann. Nur zu Eurer Information: Wir sind nicht früh aufgestanden – wir waren noch gar nicht im Bett. Seit dem Erscheinen der Typhus-Marie und dem Ausbruch der Esperseuche arbeiten die Überlebenden unter uns in Doppelschichten, um die Dinge irgendwie wieder ans Laufen zu bringen. Außerdem habe ich das Chaos nicht vergessen, das Ihr bei Eurem letzten Besuch hinterlassen habt, Todtsteltzer. Ich sollte Euch die Schäden in Rechnung stellen.«

»Wenn ich die Höhe der Landegebühren bedenke, dachte ich eigentlich, sie seien schon enthalten«, erwiderte Owen mit unerschütterlicher Ruhe.

»Und bevor du fragst«, mischte sich Hazel ein, »nein, du kriegst diesmal nicht deine inoffiziellen zehn Prozent Anteil an der Fracht, die wir mit uns gebracht haben. Meinetwegen kannst du jetzt lamentieren. Aber wundere dich nicht, wenn ich dir deswegen an die Kehle springe.«

»Gebt nichts um ihre Worte«, beschwichtigte Owen. »Sie ist nun mal, wie sie ist. Aber was, wenn ich fragen dürfte, verschafft uns die Ehre, von Eurem Komitee in Empfang genommen zu werden, wo wir doch allesamt personae non gratae sind? Höflichkeit gegenüber dem Untergrund?«

»Nein«, entgegnete Topas. Ihre Stimme war so kalt wie ein Grab. »Wir wollten einen Blick auf den legendären Rebellen Jakob Ohnesorg werfen, weiter nichts.«

Ohnesorg bedachte sie mit seinem gewinnendsten Lächeln und verbeugte sich formell. »Erfreut, Eure werten Bekanntschaften zu machen, Investigator und Direktor. Seid versichert, dass ich alles in meiner bescheidenen Macht Stehende unternehmen werde, um dafür zu sorgen, dass unsere geschäftlichen Angelegenheiten leise und unauffällig über die Bühne gehen. Wir werden alle Beteiligten nicht mehr als unbedingt erforderlich stören. Allerdings mache ich keinen Hehl aus meiner Absicht, die Nebelwelt in den Untergrund und auf die Seite der Rebellion zu bringen. Man hat Euch viel zu lange allein in der Kälte gelassen. Es ist wirklich an der Zeit, dass wir alle zusammenstehen und den Kampf zum Imperium tragen.«

»Großartig«, sagte Stahl ungerührt. »Noch ein verdammter Held. Hier kommen eine Menge Helden durch, wisst Ihr? Sie kommen und gehen, und niemals ändert sich irgendetwas wirklich.«

»Ah«, entgegnete Jung Jakob und grinste breit. »Aber sie sind nicht Jakob Ohnesorg.«

Zu Owens Überraschung erwiderte Direktor Stahl das Grinsen. Unvermittelt trat Johana Wahn vor. »Für den Fall, dass irgendjemand es vergessen haben sollte: Ich bin auch noch da«, sagte sie laut. »Ich repräsentiere die Weltenmutter, Unsere Mutter Aller Seelen.«

»Na, herzlichen Glückwunsch«, sagte Topas. »Ihr seid schon die zehnte diesen Monat. Es scheint der beliebteste Trickbetrug von ganz Nebelhafen zu sein. Vielleicht deswegen, weil so viele Leute verzweifelt daran glauben möchten. Wärt Ihr nicht bei Jakob Ohnesorg, hätte ich Euch schon aus Prinzip ins Gefängnis geworfen. Also haltet Euch besser bedeckt und macht keinen Ärger, ja? Habt Ihr mich verstanden?«

Plötzlich erstrahlten Johanas Augen mit einem inneren Licht wie die Fernscheinwerfer eines Wagens. Freie Energie knisterte und funkte in der Luft ringsum, als sich die Macht in ihr regte. Ihre Gegenwart erfüllte die Luft wie die Flügel eines riesigen Vogels und drängte alle Umstehenden zurück. Irgendetwas lebte tief in Johana Wahn, mächtig und gewaltig und vielleicht nicht ganz menschlich, und es stand im Begriff zu erwachen. Gideon Stahl zog eine Pistole. Investigator Topas öffnete den Mund, um zu singen. Owen und Hazel warfen sich auf Johana Wahn und drückten sie zu Boden. Die Macht in ihr schlug nach den beiden und wurde von einer noch größeren Macht zur Seite gelenkt und besiegt – einer Macht, die noch nicht fokussiert und trainiert war, die aber trotzdem mehr als ausreichte, um einen einfachen Esper zum Verstummen zu bringen, der nur im Vorübergehen von etwas Gewaltigem berührt worden war. Die Gegenwart zerbrach wie ein Spiegel und war verschwunden.

Owen und Hazel rollten Johana Wahn aufs Gesicht und drückten es in den Dreck des Landeplatzes. Owen setzte sich auf sie – nur für den Fall – und grinste Stahl und Topas an.

»Achtet nicht auf Johana«, erklärte er. »Das Reisen bekommt ihr nicht. Wenn Ihr sie erst näher kennengelernt habt, ist sie nur noch unausstehlich.«

Stahl schnaufte und steckte die Pistole wieder ein. Topas runzelte die Stirn. »Irgendetwas ist geschehen«, sagte sie. »Ich habe kaum etwas bemerkt, aber Ihr beide habt irgendetwas mit ihr angestellt. Hinter Euch steckt mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen ist, Owen Todtsteltzer.«

»Das wird schon so sein«, gab Stahl ihr recht. »Willkommen auf Nebelwelt, Leute. Haltet diese Esperfrau an der kurzen Leine, oder ich werde ihr einen Maulkorb anlegen lassen. Der Mann, der hinter uns im Nebel lauert, nennt sich John Silver. Er ist gegenwärtig der Leiter der Raumhafensicherheit. Er wird während Eures Aufenthalts ein Auge auf Euch werfen und sich die größte Mühe geben, Euch Arger zu ersparen, wenn er jemals eine Pension sehen möchte. Ich wünsche Euch alles erdenkliche Glück bei der Erledigung Eurer Aufträge – und falls etwas schiefgeht, dann will ich nichts darüber hören. Macht Euch nicht die Mühe, vorbeizukommen und auf Wiedersehen zu sagen, bevor Ihr wieder verschwindet. Und jetzt, wenn Ihr uns bitte entschuldigen würdet? Topas und ich haben noch andere Dinge zu erledigen.«

Und mit diesen Worten machten die beiden auf dem Absatz kehrt und verschwanden im alles verhüllenden Nebel. John Silver starrte ihnen wütend hinterher, stieß einen unflätigen Fluch aus und vollführte eine noch unflätigere Geste, bevor er zu den Neuankömmlingen trat und sich mit knappem Lächeln vorstellte. »Nehmt es nicht persönlich«, sagte er. »Das machen sie mit jedem so. Meist aus gutem Grund, aber so ist die Nebelwelt nun einmal. Hallo Hazel! Schön, dich wiederzusehen.«

»Auch schön, dich zu sehen, du alter Pirat!«, entgegnete Hazel grinsend. Sie trat vor und umarmte Silver. Owen war fast schockiert. Hazel gehörte normalerweise nicht zu der Sorte Mensch, die sich mit anderen verbrüderte. Er nutzte die Gelegenheit, um den Kopf des Leiters der Raumhafensicherheit genauer zu betrachten. Silver war groß und breitschultrig, mit scharfen, jugendlichen Gesichtszügen, und er steckte in einem dicken, exquisit geschneiderten Pelzmantel, über dem der purpurne Umhang der Esper wehte. An der Hüfte baumelte ein einfaches Kurzschwert in einer abgenutzten Lederscheide, doch Owen zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass der Mann unter seinen Fellen auch noch ein oder zwei Pistolen versteckt hatte. Er sah jedenfalls genau nach der Sorte aus. Außerdem schien er Hazels Umarmung über die Maßen zu genießen. Schließlich lösten sich die beiden wieder voneinander und traten zurück, wobei sie sich noch immer an den Händen hielten.

»Du siehst gut aus, Hazel! Hast du in letzter Zeit jemand Interessanten ausgeraubt?«

»Du wärst überrascht. Wie zur Hölle kommt ein Gauner wie du in die Position des Sicherheitschefs? Das ist ja genauso, als würde man einen ausgehungerten Wolf dazu abkommandieren, auf eine Herde Schafe aufzupassen.«

Silver zuckte liebenswürdig die Schultern. Hazels Worte schienen ihn in keinster Weise beleidigt zu haben. »Selbst der wildeste Wolf muss sich irgendwann einmal niederlassen und ruhiger werden, Hazel. Wir haben eine Menge guter Leute während der Esperseuche verloren, einschließlich der meisten meiner Vorgesetzten. Die Typhus-Marie hat sie innerhalb weniger Tage alle getötet oder ihnen die Gehirne ausgebrannt, und als es uns schließlich gelungen ist, sie zu überwältigen, war ich der Einzige, der noch auf den Beinen stand. Zu jedermanns Überraschung – einschließlich meiner eigenen – gehe ich seit dieser Zeit einer guten und größtenteils ehrlichen Arbeit nach. Hauptsächlich wahrscheinlich deswegen, weil so viel zu tun ist, dass ich weder die Zeit noch die Energie übrig habe, um auf krumme Gedanken zu kommen.«

»Ich hätte nie gedacht, derartige Worte aus deinem Mund zu hören«, lachte Hazel. Sie blickte zurück und bemerkte, dass Owen sie und Silver nachdenklich musterte. »Owen, steig von Johana runter und komm her. Ich möchte dir einen alten Freund vorstellen.«

Owen erhob sich vorsichtig. Johana blieb, wo sie war. Ihr Atem ging rasselnd. Hazel grinste. »Owen, darf ich dir einen alten Freund und Vertrauten vorstellen? Ex-Pirat, Ex-Trickbetrüger, Ex-Rechtsanwalt und Ex-Gelegenheitstransvestit, wenn das Geld knapp wurde. Im Allgemeinen ein guter Kamerad, auf den man sich verlassen kann, und zwar auf beiden Seiten des Gesetzes. Ganz besonders dann, wenn man einen Schwindel plant. Der beste Lügner mit dem unschuldigsten Gesicht, das ich je gesehen habe.«

»Deswegen bin ich in meinem gegenwärtigen Job auch so gut«, erklärte Silver gelassen. »Man braucht einen Lügner, um einen anderen zu entdecken. Und ich kenne sämtliche Tricks, weil ich die meisten davon zu meiner Zeit selbst benutzt habe.«

»Das ist ja alles sehr charmant und schelmisch«, warf Jung Jakob ein, »aber wir haben Geschäfte zu erledigen.«

»Oh, selbstverständlich«, entgegnete Silver. »Wartet nur ein wenig ab. Ich besorge Euch eine Karte und ein paar Wachen.«

»Nicht nötig. Ich finde mich auf Nebelwelt ganz gut alleine zurecht. Und ich habe noch nie Leibwächter benötigt.« Jakob Ohnesorg verbeugte sich höflich in Richtung der anderen – sogar in Richtung Johana Wahns –, dann stapfte er selbstbewusst in den Nebel davon. Sein gerader Rücken strahlte nur so vor Kraft und Energie.

»Beeindruckend«, sagte Silver. »Ich hoffe nur, er wird nicht überfallen und ausgeraubt. Wir würden nie das Ende der Geschichte erfahren.«

»Auch ich habe einen Auftrag zu erledigen«, sagte Johana Wahn eisig. Als den anderen bewusst wurde, dass sie aufgestanden war, ohne dass es jemand bemerkt hatte ruckten ihre Köpfe überrascht herum Sie sah noch gefährlicher aus als zuvor, wenn das überhaupt möglich war. »Und ich brauche ebenfalls keine Karte und keine Leibwächter. Bleibt mir einfach nur aus dem Weg.«

Sie stolzierte davon, und der Nebel teilte sich vor ihr, als könne er ihr gar nicht schnell genug aus den Füßen kommen. Hinter ihr schloss sich der Dunst wieder, und rasch war sie verschwunden.

Hazel blickte ihr hinterher und schüttelte langsam den Kopf. »Wisst ihr, ich hätte schwören können, dass wir als Team arbeiten sollten.«

»Macht Euch keine Gedanken deswegen«, sagte Owen. »Ich persönlich fühle mich viel sicherer, nachdem die beiden weg sind. Was ihre geistige Gesundheit angeht, würde ich für keinen von beiden meine Hand ins Feuer legen.«

»Du kapierst wieder mal gar nichts, wie üblich«, entgegnete Hazel. »Gott allein weiß, wie viel Schaden Johana Wahn anrichtet, wenn niemand auf sie aufpasst. Außerdem wollte ich in Jung Jakobs Nähe bleiben in der Hoffnung, dass sich jemand findet, der weiß, ob es der echte Jakob ist oder nicht.«

»Ich dachte, Ihr wärt Euch sicher, dass er ein Betrüger ist?«

»Bin ich auch. Aber ein Beweis wäre trotzdem schön, oder?«

»Wir können ihm jederzeit hinterher.«

»Nein, können wir nicht, Todtsteltzer. Dann würde er nämlich mit Sicherheit wissen, dass wir ihm nicht über den Weg trauen.«

»Ich hasse derartige Diskussionen«, maulte Owen. »Wir können den lieben langen Tag argumentieren und drehen uns am Ende immer noch im Kreis. Wir könnten uns schließlich auch in ihm irren, oder?«

»Halt, einen Augenblick mal!«, unterbrach John Silver die beiden. »Wollt Ihr damit etwa sagen, dass Jakob Ohnesorg möglicherweise nicht Jakob Ohnesorg ist?«

»Wir sind nicht sicher«, antwortete Hazel. »Sagen wir einfach, wir haben unsere Zweifel.«

»Aber er sieht echt aus!«, widersprach Silver. »Jeder Zoll ein Krieger und ein Held!«

»Ganz genau«, pflichtete Owen ihm bei. »Er ist zu perfekt. Zu gut, um echt zu sein.«

»Paranoia«, erklärte Hazel und grinste. »Ein Spiel für die gesamte Familie und jeden, der vielleicht zusieht. Lasst uns machen, dass wir aus der Kälte kommen und ein warmes Plätzchen finden, bevor mir die Zehen abfallen.«

Owen warf einen anerkennenden Blick in die Runde, während er in einen tiefen, bequemen Sessel neben einem offenen Kaminfeuer sank. Sie befanden sich in John Silvers Privatquartier. Der Ex-Pirat und Chef der Sicherheit lebte nach Nebelwelt-Maßstäben in ziemlichem Luxus. Es gab eine ganze Reihe von Hightech-Einrichtungen, einschließlich elektrischer Beleuchtung (selten auf einer Welt, die jede Form von Hightech an der Imperialen Blockade vorbeischmuggeln musste, was sowohl mit gewaltigen Kosten für den Käufer als auch für den Lieferanten verbunden war). Entweder war Silvers Posten extrem gut bezahlt, oder Silver hatte seine frühere Piratentätigkeit doch noch nicht völlig aufgegeben. Hazel nahm Owen gegenüber Platz und starrte verdrießlich in die flackernden Flammen. Sie wirkte müde und erschöpft und älter, als sie in Wirklichkeit war. Irgendetwas bereitete ihr Kopfzerbrechen, doch Owen hütete sich davor, sie nach dem Grund dafür zu fragen. Sie würde ihm nur den Kopf abbeißen. Sie würde mit ihm reden, wenn sie soweit war, oder niemals.

Silver gab sich Mühe in seiner Rolle als Gastgeber. Er sorgte sich um das Wohl seiner Gäste, plapperte fröhlich über belanglose Dinge und drückte Owen und Hazel große Becher mit Glühwein in die Hände. Hazel hielt ihren Becher einfach nur fest und machte keinerlei Anstalten zu trinken; also nahm Owen schon aus Höflichkeit einen tiefen Schluck. Normalerweise hasste er Glühwein, doch dieser hier schmeckte nicht schlecht. Er war scharf gewürzt und hinterließ eine angenehme Wärme, während er durch die Kehle hinabrann und sich im Magen ausbreitete. Owen nickte Silver dankbar zu, der seinen Gästen gegenüber Platz genommen hatte und sie nun erwartungsvoll anblickte.

»Erzählt uns doch, was sich in letzter Zeit zugetragen hat«, bat Owen, nachdem eine lange Pause deutlich gemacht hatte, dass Hazel nicht daran dachte, ein Gespräch anzufangen. »Bei unserem letzten Besuch waren wir nicht lange genug hier, um Fragen zu stellen. Was hat es mit diesem Gerede von einer Typhus-Marie und der Esperseuche auf sich?«

»Das Imperium schleuste sie ein«, erzählte Silver. »Sie hatte eine extrem starke Esperbegabung und war darauf trainiert und konditioniert, andere Esper zu töten. Überall in der Stadt starben unsere Leute mit ausgebrannten Gehirnen. Wo sie vorüberkam, erwachten Kinder weinend aus dem Schlaf und wollten sich nicht wieder beruhigen lassen. Sie tötete eine Menge gute Leute, bevor wir sie endlich besiegten. Das Imperium hatte geplant, mit ihrer Hilfe so viele Esper zu töten, dass der psionische Schirm zusammenbrechen würde, der die Nebelwelt schützt, um auf diese Weise die Imperiale Flotte heranzubringen. Doch glücklicherweise ist es nicht so weit gekommen. Obwohl wir verdammt nah dran waren …«

»Was geschah nach ihrer Gefangennahme?«, erkundigte sich Hazel, ohne vom Feuer aufzublicken.

»Wir konditionierten die Typhus-Marie neu«, berichtete Silver. »Es war schließlich nicht ihre Schuld. Sie war von Imperialen Hirntechs programmiert worden. Jetzt arbeitet sie für unsere Seite.«

»Und Ihr vertraut ihr?«, fragte Owen. »Das Imperium könnte ihr jede Menge Kontrollworte ins Unterbewusstsein eingepflanzt haben. Sie würde nichts von ihrer Existenz ahnen, bis jemand sie aktiviert.«

»Es gab tatsächlich eine ganze Menge. Wir fanden sie alle. Das hier ist eine Esperwelt, Todtsteltzer. Die Tiefen des menschlichen Geistes können keine Geheimnisse vor uns verbergen.«

»Wie groß ist der Schaden, den sie angerichtet hat?«, fragte Owen.

»Sehr groß. Wir sind immer noch mit den Aufräumarbeiten beschäftigt. Viele Leute in wichtigen Positionen sind hirnverbrannt oder ums Leben gekommen, und lange Zeit herrschte Chaos in der Stadt, weil die verschiedensten Gruppierungen um die Kontrolle kämpften. Das Schlimmste ist vorüber, dem Herrn sei Dank, aber es gibt nach wie vor Machtkämpfe und Rangeleien. Achtet auf das, was hinter Eurem Rücken vorgeht, solange Ihr Euch hier aufhaltet. Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die Euch beide allein schon deswegen umbringen würden, damit nicht jemand anderes zu Euch Kontakt aufnehmen kann.«

»So«, sagte Hazel und richtete den Blick schließlich doch noch auf John Silver. »Und du, John? Wie geht es dir sonst so?«

»Ich kann nicht klagen, Hazel«, antwortete Silver und blinzelte überrascht, weil sie so unvermittelt das Thema gewechselt hatte.

»Mir scheint, du kannst wirklich nicht klagen. Diese Bude hier ist verdammt noch mal besser als das Rattenloch unten an den Docks, in dem du dich früher immer verkrochen hast. Nein, warte, wenn ich’s genau bedenke: Ratten hätten sich niemals dort versteckt, aus Angst, sich eine Infektion zu holen.«

»Leiter der Raumhafensicherheit ist ein echter Traumjob, Hazel«, erklärte Silver leichthin. »Solange ich die Dinge im Griff habe und alles friedlich ist, blickt mir niemand allzu genau auf die Finger. Also springe ich auf der einen Seite ziemlich hart mit der Sorte Leute um, zu der ich früher auch gehört habe, und auf der anderen schaffe ich hier und da eine klitzekleine Kleinigkeit auf die Seite, um meine Pension aufzubessern. Es ist ein hartes Leben, aber irgendjemand muss es tun.«

»Habt Ihr denn keine Angst, Direktor Stahl könnte es herausfinden?«, erkundigte sich Owen. Er war nicht sicher, ob er schockiert sein sollte oder nicht. Schließlich befand er sich in Nebelhafen.

»Ausgerechnet Direktor Stahl? Er ist noch ein größerer Gauner als ich! Nein, die Einzige, auf die ich aufpassen muss, ist Investigator Topas. Wenn sie jemals irgendetwas gegen mich in die Finger bekommt, werde ich nicht lange genug überleben, um vor ein Gericht gestellt zu werden. Tatsächlich werde ich auf dem ersten Gravschlitten in die Berge fliehen, den ich mir ausleihen oder stehlen kann, sobald ich auch nur den Verdacht hege, sie könnte eine Spur haben. Wie eine derart ehrliche Haut jemals auf der Nebelwelt landen konnte, ist mir ein ausgesprochenes Rätsel.«

»Also gehört sie zur gesetzestreuen Sorte?«, erkundigte sich Hazel unschuldig.

Silver erschauerte, und das sicher nicht wegen der Kälte. »Diese Frau ist so aufrichtig, dass sie sogar ihrem eigenen Schatten misstraut. Zum Glück ist sie in der Regel hinter dickeren Fischen als mir her. Ich will Euch mal eine Vorstellung von der Sorte Mensch geben, zu der Investigator Topas gehört. Hat einer von Euch das Loch in der Rückseite ihres Umhangs bemerkt?«

»Jepp«, antwortete Owen. »Ein Disruptorstrahl. Ich nehme an, Investigator Topas hat den Umhang nicht getragen, als es entstand?«

»Richtig angenommen. Ihr Ehemann trug ihn. Irgendjemand schoss ihm aus unmittelbarer Nähe in den Rücken. Topas fand den Killer und jagte ihn. Sie tötete ihn langsam, doch sie trägt den Umhang noch immer, und sie hat das Loch niemals reparieren lassen. Welche Art von Mensch muss man sein, um so zu reagieren?«

»Kalt, besessen und unbeirrbar«, antwortete Hazel. »Mit anderen Worten: ein Investigator.«

»Lasst uns über etwas anderes reden«, sagte Silver, »bevor ich anfange, ständig über die Schulter nach hinten zu sehen und bei unerwarteten Geräuschen vor Schreck zusammenzuzucken. Jakob Ohnesorg und diese Johana Wahn sind auf eigene Faust aufgebrochen. Aus welchem Grund seid Ihr hier? Oder ist es Euch nicht gestattet, mit mir darüber zu reden?«

»Es ist kein großes Geheimnis«, erklärte Hazel. »Ich bin hier, um im Namen des Untergrunds von Golgatha mit dem Rat in Verbindung zu treten. Eigentlich hätte jemand anderes kommen sollen, doch die Pläne wurden in letzter Minute geändert, und ich war die Einzige, die nicht schnell genug in Deckung ging. Also wurde ich als Freiwillige ausgespäht. Owen ist hier, um ein altes Netzwerk von Informanten zu reaktivieren, das sein Vater vor einigen Jahren in Nebelhafen aufgezogen hat. Du kannst verschwinden, sobald du soweit bist, Todtsteltzer. Ich werde eine Zeitlang bei John Silver verbringen, bevor ich aufbreche.«

Owen runzelte die Stirn. »Ich dachte, wir wollten zusammenbleiben? Ihr kennt Nebelhafen ein gutes Stück besser als ich, Hazel.«

»Und was soll ich für dich tun, Aristo? Soll ich dir vielleicht die Hand halten?«

»Ihr habt selbst gehört, was John Silver gesagt hat«, beharrte Owen stur. »Wir haben keine Freunde dort draußen, und … unsere Verbindung ist unzuverlässig.«

»Ich kann selbst auf mich aufpassen«, entgegnete Hazel. »Und das kannst du auch.«

Owen verzog das Gesicht. Er war nicht überzeugt. Es machte wenig Sinn, sich aufzuteilen, wo sie beide so viele alte und neue Feinde hatten, die man ständig im Auge behalten musste. Einen Augenblick lang überlegte er, ob Silver vielleicht in der Vergangenheit mehr als nur ein Freund für Hazel gewesen war, und ob das vielleicht der Grund war, warum Hazel ihn offensichtlich loswerden wollte; doch das schien unwahrscheinlich. Die Körpersprache der beiden war zu verschieden. Andererseits würde Hazel allerdings auch nicht mit sich reden lassen, solange sie in dieser Stimmung war, und ebenso wenig machte es Sinn, sich darüber zu ärgern. Hazel war schon immer besser in Wutanfällen gewesen als Owen. Das war alles so würdelos. Außerdem sah Hazel gar nicht gut aus. Sie schwitzte von der Nähe des Feuers, und sie hatte die Lippen zu einem dünnen, hässlichen Strich zusammengepresst. Owen schob seinen Sessel zurück und erhob sich.

»Schön, ganz wie Ihr meint. Wenn Ihr lieber Eure Zeit verschwendet, indem Ihr mit einem alten Freund ein Schwätzchen haltet, anstatt mit unserem Auftrag voranzukommen, dann bitte sehr. Ich kann Euch nicht daran hindern.«

»Verdammt richtig, Todtsteltzer, das kannst du nicht. Und sprich gefälligst nicht in diesem Ton mit mir, ja? Ich kenne meine Pflicht, aber ich werde mich auf meine Weise darum kümmern, und wann und wie ich Lust dazu habe.«

»Wir haben nur wenig Zeit, Hazel. Oder habt Ihr vielleicht vergessen, wie dicht uns das Imperium auf den Fersen sitzt?«

»Nichts habe ich vergessen! Kümmere du dich um deinen eigenen Kram, Todtsteltzer, und ich kümmere mich um meinen! Verschwinde endlich, Aristo! Dein Anblick macht mich ganz krank. Ich brauche dich nicht!«

»Nein«, erwiderte Owen. »Ihr habt noch nie jemanden gebraucht, Hazel.«