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"Töten ist ganz einfach, sagen die Stimmen in meinem Kopf, während ich die Stufen nach oben schleiche und mir das Herz bis zum Hals klopft..." In Prag wird ein Geschäftsmann brutal ermordet. Alle Spuren führen nach Linz in Österreich zu einem zwielichtigen Konzern mit großem Einfluss. Ist der psychopathische Konzernchef in den Mord verwickelt und was befindet sich auf den Fotos, die seine Schwester erhält? In seinem neuen Fall muss Chefinspektor Tony Braun brutale Morde aufklären und einen Mörder bis Mallorca jagen, der nur ein Motiv kennt: Rache. Lesen sie auch die weiteren Tony Braun Thriller: "Totes Sommermädchen" - Prequel - "wie alles begann" - der erste Fall " Freunde müssen töten" - der dritte Fall "Alle müssen sterben" - der vierte Fall "Der stille Duft des Todes" - der fünfte Fall "Rattenkinder" - der sechste Fall "RABENSCHWESTER" - der siebte Fall "Stiller Beobachter" - der achte Fall "Strandmädchentod" - der neunte Fall "Stilles Grabeskind" - der zehnte Fall
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Sämtliche Figuren und Ereignisse dieses Romans sind der Fantasie entsprungen. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist zufällig und von den Autoren nicht beabsichtigt.
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Lektorat: Erika Krammer
Korrektorat: Erika Krammer
Covergestaltung: www.afp.at
Bildmaterial: Kreuz mit Stacheldraht: 20240612160040, Adobe Firefly KI-Tool
Hintergrund: Authors own
Wir haben uns erlaubt, einige Namen und Örtlichkeiten aus Spannungsgründen neu zu erfinden, anders zu benennen und auch zu verlegen. Sie als LeserInnen werden uns diese Freiheiten sicher nachsehen.
Barbara und Christian Schiller leben und arbeiten in Wien und auf Mallorca mit ihren beiden Ridgebacks Calisto & Emilio. Gemeinsam waren sie über 20 Jahren in der Marketing- und Werbebranche tätig und haben ein totales Faible für spannende Krimis und packende Thriller.
B.C. Schiller gehören zu den erfolgreichsten Spannungs-Autoren im deutschsprachigen Raum. Bisher haben sie mit ihren Krimis über 3.000.000 Leser begeistert.
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TONY-BRAUN-THRILLER:
TOTES SOMMERMÄDCHEN – der erste Tony-Braun–Thriller –
»Wie alles begann«
TÖTEN IST GANZ EINFACH – der zweite Tony-Braun-Thriller
FREUNDE MÜSSEN TÖTEN – der dritte Tony-Braun-Thriller
ALLE MÜSSEN STERBEN – der vierte Tony-Braun-Thriller
DER STILLE DUFT DES TODES – der fünfte Tony-Braun-Thriller
RATTENKINDER – der sechste Tony-Braun-Thriller
RABENSCHWESTER – der siebte Tony-Braun-Thriller
STILLER BEOBACHTER – der achte Tony-Braun-Thriller
STRANDMÄDCHENTOD – der neunte Tony-Braun-Thriller
STILLES GRABESKIND – der zehnte Tony-Braun-Thriller
Alle Tony-Braun-Thriller waren monatelang Bestseller in den Charts. Die Thriller sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
GRETCHEN LARSSEN UND DAS OSTSEEMÄDCHEN: der erste Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DAS DÜNENOPFER: der zweite Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DER OSTSEEZORN: der dritte Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DIE OSTSEESCHULD: der vierte Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DER KÜSTENMÖRDER: der fünfte Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DER OSTSEEMORD: der sechste Band mit Gretchen Larssen
MALLORCA-INSELKRIMI:
MÄDCHENSCHULD – ist der erste Band der neuen spannenden Mallorca-Inselkrimi-Reihe mit der Inspectora Ana Ortega und dem Europol-Ermittler Lars Brückner. Die Krimis sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
SCHÖNE TOTE – der zweite Band mit Ana Ortega und Lars Brückner.
FAMILIENBLUT – der dritte Band mit Ana Ortega und Lars Brückner.
DUNKELSTEIG – Trilogie:
DUNKELSTEIG: der erste Band mit Felicitas Laudon
DUNKELSTEIG – SCHULD –der zweite Band mit Felicitas Laudon
DUNKELSTEIG – BÖSE: der dritte und letzte Band mit Felicitas Laudon
Psychothriller:
DIE FOTOGRAFIN
DIE SCHWESTER
DIE EINSAME BRAUT
Die TARGA-HENDRICKS-Thriller:
DER MOMENT, BEVOR DU STIRBST – der erste Fall mit Targa Hendricks
IMMER WENN DU TÖTEST – der zweite Fall mit Targa Hendricks
DUNKELTOT, WIE DEINE SEELE – der dritte Fall mit Targa Hendricks
Die DAVID-STEIN-Thriller:
DER HUNDEFLÜSTERER – David Steins erster Auftrag
SCHWARZER SKOPRION – David Steins zweiter Auftrag
ROTE WÜSTENBLUME – David Steins dritter Auftrag
RUSSISCHES MÄDCHEN – David Steins vierter Auftrag
FREMDE GELIEBTE – David Steins fünfter Auftrag
EISIGE GEDANKEN – David Steins sechster Auftrag
TODESFALTER – David Steins siebter Auftrag
LEVI-KANT-Cold Case-Krimi:
BÖSES GEHEIMNIS – der erste Cold Case
BÖSE TRÄNEN – der zweite Cold Case
BÖSES SCHWEIGEN – der dritte Cold Case
Tauchen Sie ein in die B.C. Schiller Thriller-Welt.
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Prolog: Der Auftrag
1. 1. Linz: Die erste Nacht
2. 2. Linz/Prag: Der erste Tag
3. 3. Linz: Der erste Tag
4. 4. Linz/Prag: Der zweite Tag
5. 5. Linz: Die zweite Nacht
Thanatografie: Die Küche
6. 6. Linz: Der dritte Tag
7. 7. Linz / Palma: Die dritte Nacht
8. 8. Linz: Der vierte Tag
Thanatografie: Die Verstörung
9. 9. Linz/Prag: Der fünfte Tag
10. 10. Linz: Die fünfte Nacht
11. 11. Linz/Prag: Der sechste Tag
12. 12. Linz: Der sechste Tag
Thanatografie: Der Schnitt
13. 13. Linz: Die sechste Nacht
14. 14. Palma: Der siebte Tag
15. 15. Prag/Linz: Der siebte Tag
Thanatografie: Das Dorf
16. 16. Linz: Der achte Tag
17. 17. Linz: Die achte Nacht
18. 18. Linz: Der neunte Tag
19. 19. Linz: Der neunte Tag
20. 20. Linz/Ses Salines: Der neunte Tag
21. 21. Linz: Der neunte Tag
22. 22. Linz: Die neunte Nacht
Thanatografie: Der Fangschuss
23. 23. Gmunden/Linz: Der zehnte Tag
24. 24. Zagreb: Der zehnte Tag
25. 25. Linz/Palma: Der zehnte Tag
26. 26. Palma: Der zehnte Tag
27. 27. Llucmajor: Die zehnte Nacht
28. 28. Palma/Linz: Der letzte Tag
29. 29. Palma: Der letzte Abend
Thanatografie: Die Auslöschung
30. 30. Palma: Der letzte Abend
31. 31. Randa/Palma: Die letzte Nacht
32. 32. Randa: Die letzte Nacht
Epilog
Danksagung
Töten ist ganz einfach, sagen die Stimmen in meinem Kopf, während ich die Stufen nach oben schleiche und mir das Herz bis zum Hals klopft. Töten ist ganz einfach, beruhigen sie mich und reden ständig darüber, dass ich nur an den Staub, das Blut und die Erbärmlichkeit denken muss, mit der ein Leben ausradiert wird. Töten ist ganz einfach, wiederhole ich lautlos und versuche mich auf mein Ziel zu konzentrieren.
Töten ist ganz einfach, weiß ich, als ich vor der Tür stehe, die wie besprochen von der Putzkolonne nur angelehnt wurde und in eine Empfangshalle mündet – leer und verwaist um diese Zeit. 500 Euro sind eine Menge Geld für einen Mitarbeiter vom Putzdienst, damit er mir alle Türen öffnet, denke ich, und plötzlich pocht das Blut in meinen Ohren und ich muss stehen bleiben. Hasserfüllt und mitleidlos erinnern mich die Stimmen wieder an dieses lähmende Begreifen, diese tödliche Gewissheit, dass ich mich nicht rühren darf, dass ich für alle Zeiten tot bin, aber noch am Ufer liege, während die anderen bereits übergesetzt haben. Immer weiter reden sie von Zielorientiertheit und dass alles nur eine Frage der Motivation sei, eine Frage des Motivs. Und ein solches besitze ich.
Töten ist ganz einfach, davon bin ich jetzt überzeugt und tippe mit dem Latexfinger die Tür zum Büro auf, sehe ihn an seinem Schreibtisch sitzen, seitlich gedreht, in die Computerbilder versunken, die er hektisch weiterklickt mit stupidem Gesichtsausdruck. Natürlich weiß ich, wie er aussieht, bin aber dennoch überrascht. Bulliger Oberkörper, muskulöse Arme, das schwarze Polohemd spannt, und sein Nacken, ein Nacken fett wie bei einem Stier. Das wird schwierig, denke ich, beginne zu überlegen, doch damit haben die Stimmen in meinem Kopf gerechnet, denn sofort ist alles wieder da: der Staub, der Zerfall, das Blut, die Straße, der Boden, das Pochen, die Klaustrophobie, der Tod. Doch die Stimmen in meinem Kopf schieben mich weiter, treiben mich hinein in das Büro, weiter auf den Schreibtisch zu und vorwärts zu dem Mann, der vollkommen überrascht aufsieht, nichts begreift und sich nicht vorstellen kann, dass Töten einfach ist, wie die Stimmen in meinem Kopf immer sagen.
Ich nicke zustimmend und paralysiere den Mann sofort, reiße dann seinen Körper vom Sessel, zerre diesen grunzenden, wehrlosen Fleischberg über den Boden, klatsche ihn gegen die Wand und merke, wie er langsam wieder aus der Starrheit erwacht. Doch da habe ich mein Werkzeug bereits erhoben und jetzt sind die Stimmen in meinem Kopf zufrieden, feuern mich an, als würde ich im Ring stehen, angestrahlt von Tausenden von Scheinwerfern, als wäre die letzte Runde eingeläutet und der Trainer flüstert mir ins Ohr: Töten ist ganz einfach!
Tatsächlich ist es für ihn die letzte Runde. Als das Blut aus seinem Hals spritzt, aus seiner Aorta, die wie ein Kabel sinnlos, nutzlos aus dem durchgeschnittenen Hals hängt und pumpt und gluckert, bis dem Herz der Saft ausgeht, starrt er mich panisch an, wissend, dass er in die Hölle fährt.
Töten ist ganz einfach, zische ich und fasse mit den Latexhänden zielgerichtet in die Wunde, reiße und ziehe und zerre und drücke. Mein Overall ist blutig wie das Schwein vor mir und wieder feuern mich die Stimmen an, immer weiter zu reißen und zu zerren. Als er nur noch reflexartig zuckt und zittert und nur noch ein kleines Rinnsal aus seiner Wunde läuft, applaudieren sie, beglückwünschen mich und ich habe es verinnerlicht: Töten ist ganz einfach!
Töten ist ganz einfach, stimme ich ihnen zu und lasse meine blutigen Latexhände über die Wände gleiten, drehe seinen erschlafften, ausgebluteten Körper herum, breite ihn, mit den Füßen zur Wand und seitlich ausgestreckten Armen, auf dem Boden aus. Das gibt der Polizei Stoff zum Nachdenken. Natürlich sehe ich immer wieder auf die verchromte Designeruhr auf seinem Schreibtisch, die mit gleichmäßigem Klacken ein Sekundenblättchen nach dem anderen weiterblättert. Natürlich weiß ich, dass ich wenig Zeit habe, da die Security bald ihren Rundgang macht und ich verschwinden muss. Natürlich streife ich erst draußen die Papierüberschuhe ab und schäle mich aus dem blutverschmierten Overall. Natürlich verspüre ich draußen in der kühlen Nachtluft ein Glücksgefühl, als ich es realisiere: Töten ist ganz einfach!
Jetzt bin ich motiviert und arbeite zielorientiert an meinem Plan. Jetzt sind die Stimmen in meinem Kopf verstummt und ich kehre zurück in das andere Leben. Jetzt bin ich in der Lage, die Aufzeichnungen als Todesschrift, als Thanatografie zu verfassen.
Jetzt kenne ich mein Motiv: Rache.
Tatjana Drakovic hatte bereits eine halbe Flasche Wodka getrunken, doch noch immer fand sie keinen Schlaf. Mit Ende dreißig hatte sie gemeinsam mit ihrem Bruder Bogdan den Vorsitz von Royal International inne. Das Unternehmen produzierte ursprünglich Haushaltsartikel, engagierte sich nun aber verstärkt in Immobiliengeschäften. Tatjana Drakovic war intelligent, selbstbewusst und unabhängig – Eigenschaften, die sie tagsüber glaubhaft vermitteln konnte. Doch dann gab es noch diese bleierne Zeit zwischen Mitternacht und Morgen.
Von der Terrasse des Penthouses in einem Nobelstadtteil von Linz hatte sie einen großartigen Blick über die Stadt. Weit hinten am Horizont, direkt am Fluss, glitzerten die bunten Fassaden des Museums und des Ars Electronica Centers. Die großen Glastüren zur Terrasse waren aufgeschoben und die Geräusche vereinzelter Autos auf der Stadtautobahn nur zu erahnen.
Der weitläufige Wohnraum des Apartments war hell erleuchtet. Auf der matt angestrahlten Kochinsel aus gebürstetem Stahl lag ein Umschlag, ein dünnes braunes Kuvert. Tatjana Drakovic umkreiste es bereits seit Stunden argwöhnisch. Sie hatte diesen Umschlag abends in ihrem Postkasten vorgefunden, so wie zahllose andere in den vergangenen Monaten. Beim Öffnen des Briefkastens hatte sie die Augen fest zusammengedrückt, als könnte sie damit etwas ungeschehen machen, aber als sie die Augen öffnete, holte sie die Wirklichkeit in Gestalt eines dünnen braunen Umschlags ohne Absender wieder ein.
Jetzt lag der Umschlag auf der mattierten Oberfläche der Kochinsel und darunter – in einer Schublade – jene zahllosen anderen braunen Kuverts, aufgerissen und verknickt, manche zerknüllt, wieder geglättet und in die Umschläge zurückgestopft.
Langsam erhob sie sich aus der überdimensionalen Designer-Sitzlandschaft und schwankte auf die Kochinsel am anderen Ende des Raumes zu. Die Proportionen des Zimmers verschoben sich in ihrer Wahrnehmung und beinahe wäre sie an den Esstisch gestoßen. Sie riss sich zusammen, schüttelte ihre langes schwarzes Haar und lächelte mit ihrer charakteristischen Lücke zwischen den Schneidezähnen ins Leere. Nachdem sie tief durchgeatmet hatte, zog sie ihren weißen Bademantel eng zusammen und streckte das Kinn trotzig nach vorn.
Energisch packte sie den Umschlag und riss ihn auf. Wie jedes Mal flatterte ein Laserausdruck auf handelsüblichem Kopierpapier auf die Arbeitsplatte. Wie jedes Mal war es ein Foto, wie jedes Mal dazu ein unverständlicher Text.
„Es ist der Obolus zu entrichten, nur dann ist der Fährmann bereit, den Fluss zu queren und an das andere Ufer überzusetzen.“
Doch etwas war dieses Mal anders. Dieses Mal erkannte sie die Person auf dem Foto.
* * *
Als Stefan Szabo erwachte, lebte er zu seinem eigenen Erstaunen noch. Der Traum, aus dem er soeben hochgeschreckt war, hatte ihn zutiefst verstört. Erst warf ihn ein Schlag zu Boden, dann stürzte eine undefinierbare Masse auf ihn, begrub ihn unter sich, sodass er keine Luft mehr bekam und ihn das Gefühl beschlich, sein Herz höre einfach auf zu schlagen. In diesem Moment erwachte er. Draußen herrschte noch tiefe Nacht. Verstört rieb er sich die Augen. Er war in seiner Kleidung auf einem Stuhl in seinem Wohnzimmer eingeschlafen. Seine schwarze Reisetasche lag noch auf dem Boden und sein iPod auf dem niedrigen Glastisch.
Hellwach tappte er aus dem Wohnzimmer und stieg die breite Treppe hinunter ins Esszimmer. Alle Besucher des „Tankers“ waren von dieser Treppe fasziniert. „Tanker“ hatten er und seine Frau das Haus genannt, als sie es kurz nach seinem dreißigsten Geburtstag kauften. Mit seinem weit über die Wände heruntergezogenen schwarzen Dach und den schmalen hohen Fenstern erinnerte es tatsächlich an ein wuchtiges, düsteres Schiff. Doch innen war es großzügig und elegant, mit hohen Wänden und Marmorböden. Der ideale Rückzugsort für einen internationalen Kreativdirektor und seine Frau, eine exzentrische Fotokünstlerin. Dieses Haus wurde zu einem Fixpunkt, zu einer Konstanten in ihrem hektischen Leben. Ein Ruhepol, wenn sie aus den Metropolen dieser Welt zurückkamen in ihr beschauliches Linz, das klar und übersichtlich war, wenn sie sich in ihrem Haus verschanzten und taten, was sie schon immer getan hatten und immer tun würden. Damals glaubte er noch, sein Leben unter Kontrolle zu haben, doch jetzt ahnte er, dass es so etwas wie Kontrolle nicht gab. Jetzt lebte er allein und war auf sich selbst angewiesen.
Er sah auf seine Armbanduhr – erst vier Uhr morgens, noch verdammt viel Zeit, bis endlich die Schatten der Nacht verschwanden und der Tag mit seinem geregelten Ablauf begann. Er griff sich sein iPhone und wählte die Nummer seines Laufpartners Tony Braun, Chefinspektor der Mordkommission Linz.
„Hallo Tony, bin um sechs Uhr an unserem üblichen Treffpunkt am See, vielleicht hast du Lust, ein paar Runden zu laufen“, sprach er auf die Mobilbox.
* * *
Das Display des vibrierenden Handys leuchtete im Dunkeln. Automatisch griff Tony Braun danach, legte es aber nach einem kurzen Blick auf die Nummer zurück auf den Tisch und konzentrierte sich wieder auf die Bilder, die den Bildschirm seines Laptops ausfüllten. Er klickte eines der Fotos an. Links stand eine blonde Frau mit einem bunten Strandtuch um die Hüften gebunden, liebevoll den Arm um einen grinsenden Jungen gelegt. Rechts kniete er und hielt lachend eine Muschelkette zur Kamera. Sein schwarzes Haar war vom Wind zerzaust. Im Hintergrund erstreckte sich eine weißgetünchte Clubanlage mit riesigen Palmen – irgendwo in Spanien, genau wusste er das nicht mehr. Ein anderes Bild zeigte ihn mit dem Kind auf den Schultern, der Junge krallte die Finger in seine Haare, beide strahlten glücklich in die Kamera. Er war schon immer ein Familienmensch gewesen, die Familie ging ihm über alles …
Braun lehnte sich auf der Couch zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf, sah auf die leere Wand gegenüber. Selbst in der Dunkelheit bemerkte man den grauen Rand, der den Platz eines nicht mehr vorhandenen Bildes umgrenzte. Ein Bild, das Margot, seine Exfrau, ausgesucht hatte. Oder war es ein Filmplakat gewesen? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Neben dem Laptop lag sein Schulterhalfter auf dem Tisch, der schwarze Griff der Pistole glänzte im diffusen Licht des Bildschirms. Für einen kurzen Augenblick dachte er daran, die Pistole aus dem Halfter zu nehmen und einfach abzudrücken.
Schnell verdrängte er diesen Gedanken, warf die leere Bierdose zu den anderen auf den Boden, öffnete automatisch die nächste, hörte die Nachricht auf seiner Mailbox ab, drückte die Play-Taste der Fernbedienung und die Stimme von Nick Cave klang beruhigend leise aus den Lautsprechern. Mit der kühlen Bierdose in der Hand ging er barfuß zum Fenster und sah hinunter auf die leere Straße, auf der zu dieser Zeit keine Autos fuhren. Ja, am Morgen würde er mit Stefan Szabo den See entlanglaufen, sich total verausgaben, dann ins Präsidium fahren und sich in irgendeinen Fall verbeißen, um nicht ständig über sein Leben zu grübeln.
Stefan Szabo und er hatten sich bei einem Halbmarathon in Padua kennengelernt und schnell festgestellt, dass sie beide aus der österreichischen Industriestadt Linz stammten. Von diesem Zeitpunkt an begannen sie, gemeinsam zu trainieren.
Jeder war auf seine Weise erfolgreich, denn beide verließen sich meistens auf ihre Intuition. Braun löste so manchen Fall, indem er einfach Indizien außer Acht ließ und alles aus einem anderen Blickwinkel betrachtete. Diese unkonventionelle Vorgangsweise war zwar bei seinen Vorgesetzten nicht sonderlich beliebt, aber die Erfolgsquote gab ihm recht. Schnell durchlief er die Karrierestationen bei der Drogenfahndung, bis zu der Aktion, die ihn zur Mordkommission brachte und seinen Aufstieg zunächst beendete. Doch bald knüpfte er internationale Kontakte zu EUROPOL, wurde so etwas wie ein Star bei der Babyface-Operation. Diesen Namen hatte die Sonderkommission einem psychopathischen Mörder und Pädophilen gegeben, der auf Campingplätzen Kinder entführte, sie mit Einkaufstüten erstickte und mit Zeltheringen an den Boden nagelte. Mehrere Monate lieferte sich der Mörder von der Ostsee über die Karpaten bis nach Spanien ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei, bis er schließlich auf einem Campingplatz am österreichischen Attersee gefasst werden konnte. Die Festnahme war zwar nicht der Verdienst von Tony Braun allein gewesen, aber sein unkonventioneller Ansatz hatte letztendlich zum Erfolg geführt. Er fand nämlich heraus, dass zum Zeitpunkt der Morde an den Tatorten immer Sportevents veranstaltet wurden. Er entwickelte spontan und ohne die Hilfe von Psychologen und Profilern ein intuitives Profil, das den Täter als Extremsportler charakterisierte. Am Tag des Salzkammergut-Marathons wurden daher alle Campingplätze rund um den Attersee überwacht und der Mörder schließlich enttarnt. Braun erhielt eine Belobigung von höchster Stelle und das Angebot, in der EUROPOL-Zentrale in Brüssel eine internationale Einsatztruppe zu leiten. Er lehnte dieses verlockende Jobangebot mit dem Hinweis auf seine Familie in Linz ab. Das war ein Fehler gewesen, wie sich später herausstellte.
Mit Anfang vierzig war er bereits Chefinspektor der Mordkommission. Mit dieser Beförderung nahm das Unheil seinen Lauf, denn sein Beruf rückte immer stärker in den Mittelpunkt seines Lebens.
* * *
Für Slobodan Petrovic begann der Tag zwei Stunden später mit einem täglichen Ritual. In seinem spartanisch eingerichteten Apartment an der Peripherie von Linz füllte er sofort nach dem Aufstehen einen Aluminiumtopf mit einer Mixtur aus Leber und Fisch und stellte diesen auf den Küchenboden. Liebevoll beobachtete er seine schneeweiße Angorakatze, die vor Vergnügen schnurrend den Inhalt der Schüssel verspeiste. Ihr langes buschiges Fell glänzte in der Morgensonne, die durch das Küchenfenster Lichtkegel auf den Fliesenboden warf.
Dann setzte er sich wie jeden Morgen an den Küchentisch, öffnete die Schublade und legte das elegante schwarze Lederfutteral auf den Tisch. Einen Augenblick hielt er konzentriert inne, fixierte einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand, ehe er wie jeden Tag mit dem Training begann. Er öffnete die Schachtel, strich, ohne hinzusehen, über die elegante Form der 9-mm-Glock-Spezial. Mit einem schnellen Griff ließ er das Magazin herausschnappen, betätigte mit dem Daumen den Arretierungshebel, zog Lauf, Abzug, Bolzen und Feder heraus und breitete die Bestandteile der Pistole auf einem dunkelblauen Samttuch aus.
Mit dem Daumen drückte er die Stopptaste seiner Uhr und begann, den Blick wieder auf die Wand gerichtet, die Einzelteile zusammenzusetzen, ließ das Magazin einschnappen, entsicherte die Waffe und drückte den Abzug. Ein metallenes Klacken ertönte und parallel dazu drückte er erneut auf die Stopptaste.
Fünfzehn Sekunden benötigte er, um die Glock aus harmlosen Einzelteilen in eine tödliche Waffe zu verwandeln, abzudrücken und eine Zielperson damit vom Leben in den Tod zu befördern. Slobodan Petrovic war zufrieden mit sich, in all den Jahren hatte er nichts verlernt.
Nach zwei pechschwarzen Espressi als Frühstück wählte er verschiedene Nummern auf seinem Handy, vereinbarte Zeiten und Orte und lehnte sich zurück. Mit einem eleganten Satz sprang die Katze auf seinen Schoß und rollte sich träge zusammen. Während seine Finger durch das seidige Fell glitten, schaute er in die aufgehende Sonne.
Tony Braun war schlechter Laune. Das Laufen hatte nicht die gewünschte Entspannung gebracht, im Gegenteil. Ständig musste er an seinen Sohn Jimmy denken. Ist eigentlich noch Schule oder sind schon Ferien, fragte er sich, als er mit dem Lift in sein Büro fuhr. Natürlich war Mitte Juni noch Unterricht und der Urlaub mit seinem Sohn musste noch warten.
Auf dem Bildschirm seines Computers klebte unübersehbar eine Notiz: Kommissar Hajek in Prag anrufen!
Wer zum Teufel ist Hajek, dachte er und strich sich den modischen Kinnbart. Entfernt erinnerte er sich dann an seinen tschechischen Kollegen Pavel Hajek aus dem EUROPOL-Team. Als er die angegebene Nummer gewählt hatte, hob Hajek sofort ab.
„Danke für deinen Rückruf, Chefinspektor. Es freut mich, wieder einmal von dir zu hören. Von jenem Mann, der die Babyface-Operation zum Erfolg geführt hat, das wissen wir ja seit unserer EUROPOL-Zeit“, nuschelte Hajek bewundernd mit einem starken Akzent, um dann sofort auf sein eigentliches Anliegen zu kommen.
„Ich bearbeite einen bizarren Mordfall hier in Prag, bei dem es mit ziemlicher Sicherheit eine Verbindung nach Österreich, genauer gesagt nach Linz, gibt!“
Hajek machte eine bedeutungsvolle Pause und bei Braun stellte sich plötzlich ein vertrautes Gefühl ein. Er spürte es deutlich, dieses Kribbeln im Bauch, das unmissverständliche Signale an sein Gehirn funkte – dieser Mord war etwas anderes als die Fälle, die er sonst bearbeitete.
„Kennst du das Unternehmen Royal International?“, fragte Hajek.
„Natürlich, die Kollegen von der Drogenfahndung und vom Glücksspiel beißen sich daran die Zähne aus. Im Zentrum dieser Ermittlungen steht immer ein und derselbe Mann: Bogdan Drakovic. Er ist Vorsitzender und bezeichnet sich als Finanzchef von Royal International. Bisher gibt es allerdings keine Beweise, nur Mutmaßungen und eingeschüchterte Zeugen. Und er hat einen cleveren Anwalt.“ Er fuhr sich energisch durch die zu langen schwarzen Haare und rief die ihm bekannten Informationen aus seinem Gedächtnis ab.
„Die Europazentrale befindet sich in Linz und wird von Bogdan Drakovic und seiner Schwester Tatjana geleitet. Beide sind die Kinder von Igor Drakovic, dem obersten Firmenchef. Dieser wohnt allerdings in Palma de Mallorca, angeblich in einem riesigen Palast. Es gab einige Untersuchungen zu Drogenhandel und Geldwäsche gegen ihn, aber die Ermittlungen verliefen im Sand. Offiziell produziert Royal International Haushaltsartikel, meinen Informationen nach drängen sie aber im großen Stil in das Immobiliengeschäft. Mehr weiß ich im Augenblick auch nicht. – Wer ist das Opfer? Kennt man die Identität?“, fragte er interessiert.
„Der Tote heißt Milan Drakovic, Ostgeschäftsführer von Royal International, Neffe von diesem Igor Drakovic, er wurde in der letzten Nacht in seinem Büro ermordet. Der Sicherheitschef von Royal International, Slobodan Petrovic, ist schon unterwegs, um den Tathergang persönlich zu rekonstruieren.“
Irritiert runzelte Braun die Stirn. „Ungewöhnlich, dass Außenstehende direkt in die Ermittlungen einbezogen werden!“ Dieser Mord störte wohl gewisse Kreise, die sich ganz oben wähnten. Er war sich grundsätzlich sicher, dass immer noch eine andere, düstere Wirklichkeit existierte, ein Schattenspiel mit Darstellern, die der festen Überzeugung waren, alles sei erlaubt – bis hin zum Mord. Hajeks Nuscheln riss ihn zurück in die Gegenwart.
„Ich habe Anweisungen von ganz oben, dass dieser Petrovic in alle Ermittlungen einbezogen wird und wir ihn auch bei seiner Arbeit unterstützen müssen.“ Er räusperte sich kurz, bevor er hinzufügte: „Es wurde übrigens eine totale Nachrichtensperre verhängt, keine Mitteilung an die Presse, der Mord wurde überhaupt nicht begangen.“
Hajeks Worte fraßen sich wie Würmer durch Brauns Hirn. Das war seine Chance. Endlich konnte er ausbrechen aus seinem Gedankengefängnis, das sich nur noch um seine Familie, seinen Sohn und sein privates Chaos drehte. Mit diesem Fall konnte er vielleicht ein für alle Mal beweisen, dass er der Beste war!
„Also, Hajek“, er verhaspelte sich beinahe beim Reden, so schnell schossen Gedanken und Ideen durch seinen Kopf und Adrenalin durch seinen Körper, „ich maile dir umgehend alle mir zugänglichen Informationen über Royal und den Drakovic-Clan. Ich zapfe alle meine privaten Quellen an, um etwas über sie herauszufinden.“
„Tony Braun, noch immer der Beste!“ Hajeks Stimme drückte Bewunderung aus. „Alle aus dem damaligen EUROPOL-Team sprechen noch über deine Leistungen!“
Hajek machte eine kurze Pause und fügte dann leise hinzu: „Schick mir alles an meine private Mail-Adresse. Natürlich streng vertraulich! Ich will meine Vorgesetzten nicht unnötig verärgern. Dieser Drakovic-Clan scheint einen beträchtlichen Einfluss zu haben.“
„Ich weiß, auch ich habe schon meine Erfahrungen mit ihnen gemacht. Aber ich sage dir schon jetzt, Hajek, alle Fäden laufen bei Bogdan Drakovic zusammen – er ist unser Mann! Ich bin sicher!“ Um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen, schlug er mit der flachen Hand auf die Schreibtischplatte.
Hajek lachte leise in das Telefon.
„Du hast Blut geleckt und verbeißt dich, Braun, stimmt’s? Ich denke, wir werden den Fall gemeinsam lösen, auf unsere Art. Wie früher!“ Und nach einer kurzen Pause fuhr er fort:
„Wie geht es übrigens deinem Sohn? Er muss doch schon zwölf Jahre alt sein. Unternehmt ihr viel gemeinsam?“
„Wir verbringen jede freie Minute zusammen. In den Sommerferien fahren wir alle gemeinsam ans Meer“, antwortete Braun, verabschiedete sich einsilbig und legte schnell auf.
Aufgewühlt starrte er auf das Telefon, riss vollgekritzelte, schmierige Blätter von seiner Schreibtischunterlage, zerknüllte diese wütend und feuerte sie an die Wand.
Das Telefonat hatte alles wieder an die Oberfläche gespült. Alles schien wieder gegenwärtig. Er erinnerte sich an seine Zeit als Polizist bei der Drogenfahndung. Er hatte einen Tipp bekommen: Drogenparty unten am Fluss im High Tower Hotel – mit angeschlossenem Nachtclub inklusive moldawischer Nutten für hyperaktive Geschäftsleute. Mit seinem Partner fuhr er nach oben in die Suite, eine der Nutten, die sie mitgenommen hatten, flötete „Room Service“. Die Tür wurde aufgerissen und er sah zum ersten Mal Bogdan Drakovic: ein großer dunkler Typ mit teigigem Gesicht. Er registrierte sofort die glasigen Augen, weißes Pulver klebte noch an einem Nasenloch. Drinnen ging es hoch her, Politiker, Agenturchefs, Manager, dazwischen nackte Mädchen, zu jung, um zu begreifen, was hier geschah.
Überall auf den Tischen lagen die Spiegel und Euroscheine, die Kreditkarten und Röhrchen, das Koks in kleinen Häufchen zwischen Whiskey und Champagner. Die Aktion hätte so einfach ablaufen können, wäre nicht Bogdan Drakovic gewesen. Vollkommen zugedröhnt grinste er die beiden Polizisten an, drehte sich um, griff sich sein Nadelstreifsakko. Dann rief er „The Party is over!“ in die Runde, fixierte Braun mit seinen dunklen Augen und sagte: „Wir wollten gerade melden, dass vor uns jemand hier eine Drogenparty veranstaltet hat.“ Lässig drehte er sich mit einer weit ausholenden Geste zu der Runde:
„Das sind alles Zeugen. Und jetzt verschwinde, du kleiner, blöder Bulle!“ Bei der späteren internen Untersuchung musste Braun zugeben, dass er überreagiert hatte, aber in jenem Moment schaltete sein Hirn aus und er handelte reflexartig: Seine Faust schoss nach vorn, traf Bogdan Drakovic in den Bauch, sodass ihm die Luft wegblieb und er in die Knie ging. Ehe Braun noch einen Fußtritt nachsetzen konnte, packte ihn sein Partner, riss ihn weg und schob ihn hinaus auf den Gang.
„Körperverletzung! Das hat ein Nachspiel! Ich habe Zeugen!“, brüllte ihm Bogdan Drakovic hinterher. „Jetzt kannst du wieder den Verkehr regeln, Bulle!“
Es kam zu keiner Festnahme, denn die Politiker drinnen telefonierten hektisch und als ihn sein Chef persönlich anrief und augenblicklich ins Präsidium zurückbeorderte, wusste Braun, dass er diese Runde verloren hatte.
Die Konsequenzen für ihn waren eine langwierige interne Untersuchung, Termine beim Psychologen, ein schwarzer Punkt in der Personalakte und seine sofortige Versetzung zuerst in den Innendienst, dann – auf Grund seiner früheren Erfolge – zur Mordkommission. Nach einer längeren Telefonkonferenz zwischen Polizeichef, Bürgermeister und Igor Drakovic wurde das Verfahren gegen dessen Sohn Bogdan und die übrigen Beteiligten eingestellt.
Jetzt war Bogdan Drakovic plötzlich wieder in sein Leben getreten. Doch diesmal würde er sich zusammenreißen, diesmal würde er besonnen agieren, diesmal würde er etwas finden. Diesmal würde er Bogdan Drakovic zur Strecke bringen!
Auf der Suche nach einer bestimmten Telefonnummer blätterte Tony Braun sein zerfleddertes Adressbuch durch. Auf dem Bildschirm seines Computers waren Bilder einer perfekten Familienidylle zu sehen, die sich in sanftem Rhythmus abwechselten. Er achtete nicht darauf, im Augenblick war die Polizei seine Familie und Pavel Hajek aus Prag gehörte dazu. Ihn musste er mit Informationen über Royal International und Bogdan Drakovic versorgen, das war er Hajek schuldig.
Endlich fand er die gewünschte Nummer und konnte loslegen.
Als Richard Marx, der langjährige Artdirector von „The White Elephant“ und grenzgeniale Computerfreak sich meldete, nutzte er den Überraschungseffekt.
„Hallo Richard, ich bin’s, Tony Braun.“
„Hallo … Tony“, stotterte ein völlig entgeisterter Richard Marx.
„Du erinnerst dich doch noch an mich?“
„Klar doch, ist aber schon eine Zeit lang her.“
Er hörte, wie Richard hektisch an einer Zigarette zog.
„Richtig“, stimmte er zu. „Erinnerst du dich auch noch an dein Versprechen von damals?“
„Du hast doch alles bekommen, was du wolltest! Wir sind quitt.“
„Quitt sind wir, wenn ich es sage“, konterte Braun und setzte nach: „Ich brauche Informationen über ein Linzer Unternehmen – Royal International. Aber nicht das übliche Gewäsch, sondern die dunklen Geheimnisse, die Unregelmäßigkeiten, die jedes Unternehmen hat, die in irgendeiner Datenbank verzeichnet sind und nur darauf warten, von dir gehackt zu werden.“
„Ich bin im Augenblick etwas im Stress“, blockte Richard ab.
„Der einzige Stress, den du jetzt hast, bin ich!“, sagte er aufgebracht.
„Ist ja gut. Ist ja gut“, beschwichtigte ihn Richard. „Geht es ein wenig genauer? Welche Informationen soll ich besorgen? In welche Richtung soll ich recherchieren?“
„Zunächst einmal alles knapp unter der Oberfläche. Ich sichte dann das Material und entscheide, wo wir tiefer graben. Jeder hat eine Leiche im Keller, das weißt du doch aus eigener Erfahrung.“
„Musst du immer die alte Geschichte ausgraben? Das ist nicht fair“
„Du hast ja recht“, lenkte Braun ein. „Aber ich bewundere deine Intelligenz, wenn es um Computer geht. Deshalb habe ich auch angerufen.“
„Ich werde sehen, was sich machen lässt“, antwortete Richard geschmeichelt und er hörte das Klacken eines Feuerzeuges, als dieser sich erneut eine Zigarette anzündete.
„Weiß meine Chefin darüber Bescheid?“, fragte Richard nach einem tiefen Zug.
„Nein, nein! Das bleibt ganz unter uns! Kein Wort zu Anna Lange! Ich melde mich wieder“, sagte Braun hektisch und legte schnell auf, ohne sich zu verabschieden.
* * *
Nachdenklich blies Richard Marx elegante Rauchringe an die Decke. Wie ein böser Schatten aus der Vergangenheit war Tony Braun plötzlich wieder aufgetaucht. Jener Tony Braun, der ihn vor Jahren bei einer jugendlichen Hackerattacke auf den Server der Kunstuniversität aufgespürt und ohne Protokoll befragt hatte. Er hatte nicht nur den Server gehackt, sondern mit seinem Programm auch alle Prüfungsergebnisse verbessert. Sämtliche Kunststudenten schlossen ihre Prüfungen mit Auszeichnung ab, der Rektor war ratlos, das Chaos wurde zum Politikum und er musste zurücktreten.
Als er damals die Ablehnung seiner Bewerbung an der Kunstuniversität als Grund für seinen Computerangriff angab, lachte Tony Braun schallend und ließ ihn ohne Anzeige laufen. Allerdings musste er als Gegenleistung dafür im Zuge einer Mordermittlung von Braun den verschlüsselten Mailverkehr zwischen Anwalt und Täter aufdecken und dieser konnte mit den Informationen einen Mörder hinter Gitter bringen. Das alles geschah, bevor er bei der Werbeagentur „The White Elephant“ anheuerte.
Die jetzige Aufgabenstellung war nicht sonderlich anstrengend, doch es gab ein Problem: Anna Lange.
Er war absolut loyal zu seiner Chefin. Er bewunderte ihre positive Energie, mit der sie sich nach jedem Rückschlag wieder aufrappelte und verbissen weiterkämpfte. Es herrschte zwar ein chronischer Mangel an Aufträgen, aber er mochte trotz mieser Bezahlung die Atmosphäre in der Agentur. Dass er jetzt hinter dem Rücken von Anna Lange Informationen einholen sollte, behagte ihm gar nicht.
„Richard soll kommen!“ Das Gebrüll von Stefan Szabo riss ihn aus seinen Gedanken. Die Layouts unter den Arm geklemmt und die Zigarette im Mund, schlurfte er im Takt des basslastigen Hip-Hop-Sounds in die Creation Zone, wo ihn Szabo, wie immer mit weißen iPod-Stöpseln in den Ohren, bereits erwartete.
Stefan Szabo, der Kreative, der sich nirgends fix anstellen ließ und seine Freiheit über alles liebte, war zwar ein begnadeter Ideenentwickler, doch sein kreativer Enthusiasmus konnte auch in destruktive Lethargie umschlagen. Das kam in letzter Zeit häufig vor. Heute scheint er einen guten Tag zu haben, dachte Richard und schnippte die bis zum Filter abgerauchte Zigarette in ein Wasserglas, das auf dem Tisch stand.
Für die Katzenkampagne hatte er Dutzende von Entwürfen layoutet, die jetzt als Computerausdrucke vor ihnen und der staunenden Productmanagerin auf dem Tisch lagen. Richard waren Katzen immer egal gewesen, aber jetzt konnte er sie einfach nicht mehr ausstehen. Goldene Schleife hier, kleines Sternchen auf den Krallen dort, aber durfte eine Katze in einer Katzenfutter-Werbung eigentlich Krallen zeigen? Schreckte das nicht potenzielle Käufer ab? Raubtiereffekt, ja, aber es konnte auch sein, dass der Kunde deswegen die Kampagne in den Müll kippte und seine Idee sinnlos war. Musste man der Katze ihre Krallen ziehen, um sie zu lieben?, philosophierte er in Gedanken, während Szabo die Kundin bei guter Laune hielt.
Auf jeden Fall kreativ war die Idee von Szabo, eine Katze vor einen Fernseher zu setzen, wie einen Couch-Potato, und kluge Sprüche klopfen zu lassen. Das war ein Kampagnenansatz, den ihr Kunde erst einmal verdauen musste. Ohne die Minikopfhörer aus den Ohren zu nehmen, überzeugte Szabo die sich windende Produktmanagerin schnell von der Genialität der Kampagne. Doch nach diesem positiven Feedback wurden statt der beim Briefing so groß angekündigten Plakatkampagne nur ein Flyer und zwei Etiketten in Auftrag gegeben. Produktmanagerinnen waren zwar die Domäne von Stefan Szabo und dem kettenrauchenden Richard Marx, der mit seinen Ohrringen, dem Grunge Look, gelben Nikotinfingern und einer charmant-überheblichen Kunstattitüde bei den immer in blauen Kostümen auftretenden, gestressten Frauen sehr gut ankam. Doch diesmal half alles nichts, das Werbebudget fürs Katzenfutter war aufgrund von Sparmaßnahmen gnadenlos gekürzt worden und die Agentur rutschte immer tiefer in die roten Zahlen.
* * *
Gewinn war derzeit ein Fremdwort für Anna Lange und ihre Werbeagentur „The White Elephant“. Im Gegenteil, die Verluste nahmen besorgniserregende Dimensionen an und sie musste dringend handeln. Deshalb hatte sie auch ihren schwarzen Mini mit Aktenordnern vollgestopft, um später mit ihrem Steuerberater doch noch die eine oder andere Geldquelle zu erschließen.
Anna Lange schüttelte ihr rotes Haar und verfluchte innerlich die widerlichen Locken, die auch durch den exzessiven Einsatz des Glätteisens nicht verschwanden und sie wie eine irische Farmerin aussehen ließen. Ihre grünen Augen funkelten, als sie in der Agentur von ihrer Assistentin Mary die Post entgegennahm. Sie ahnte bereits, dass sich in dem Postberg jede Menge Rechnungen befanden, die nur darauf warteten, ihr den Tag zu verderben. Mit einem bitteren Lächeln schnappte sie sich den Stapel und dachte einen kurzen Moment daran, alles ungelesen in den Papierkorb zu werfen.
In ihrem Büro warf sie ihren Ledermantel achtlos auf eine schwarzbezogene Couch, fuhr den weißen Apple Computer hoch und checkte wie jeden Tag ihre Mails. Wie immer war sie von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet: schwarze Jeans, schwarze Bluse, gerade so weit aufgeknöpft, dass man die Spitzen ihres schwarzen BHs noch sehen konnte.
Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und knallte mit elegantem Schwung ihre Füße in den karierten Converse Sneakers auf den Schreibtisch. Diese Haltung hatte ihren Vater, der auf Erziehung so viel Wert legte, rasend gemacht. Doch mit Anfang dreißig waren ihr die Benimmregeln ihres Vaters vollkommen egal und außerdem hatte er trotz aller guten Manieren eine Tragödie verursacht, die sie ihm auch in zehn Leben nicht verzeihen konnte.
Wohltuende Ruhe umgab sie. Kein Wunder, war doch ihr Büro im ruhigeren Ostteil der Etage angesiedelt. Hier gab es auch die einzige Tür aus Milchglas mit Holzstangen anstelle der Türklinken zum Öffnen – übrigens ein Gag des Innendesigners, der bei Kunden ziemlich gut ankam. Ansonsten sah es ziemlich trostlos aus. Der Warhol-Kuh-Aktenschrank hatte zwei Beine verloren und wurde jetzt von einem fragilen Holzprovisorium in der Waagrechten gehalten. In den Ecken gammelte der Staub vor sich hin, da sie die Reinigungsfirma nicht mehr bezahlen konnte und einfach keinen Nerv hatte, selbst zu putzen.
In den anderen Räumen sah es nicht besser aus: Die Glasfläche des Empfangstresens war gesprungen und mit Klebeband dilettantisch fixiert, die Schreibtische standen schief und die Computer waren nicht mehr auf dem neuesten Stand. Durch die Halle hämmerte dröhnender Hip-Hop aus großen Lautsprechern, die ihr Artdirector Richard Marx auf eigene Kosten angeschleppt hatte. Im Augenblick waren die wenigen Freelancer der Werbeagentur „The White Elephant” mit einem Projekt eingedeckt, das bei Weitem nicht die Kosten deckte, aber viel Arbeit verursachte.
Deprimiert verließ sie ihr Büro und lehnte sich nachdenklich an die Rostbar, die an der Längsseite der Recreation Zone stand. Auch diese war das Werk eines Designers, allerdings hatte dieser nicht bedacht, dass der attraktive Rost auf der Vorderseite abfärbte und Hosen, Röcke, Strumpfhosen, einfach alles mit einer dünnen Rostschicht bedeckte. Deshalb wurde die Bar auch nie benutzt, sondern diente als verstaubte Ablagefläche für die ausrangierte Design-Kaffeemaschine, leere Weinflaschen, Verpackungen, Displays und immer öfter als Klagemauer für sie.
Die finanzielle Situation der Agentur war echt beschissen, dazu noch die verdammten Sparmaßnahmen der Unternehmen, überall Stopp bei den Werbeausgaben und Nullbudgets, nur die Bank verdiente sich dumm und dämlich an den Überziehungszinsen. So hätte sie endlos über ihr Schicksal jammern können, doch eine nur zu bekannte Stimme riss sie aus diesen trüben Gedanken.
„Du machst so ein trauriges Gesicht, Anna! Komm, lass deine Augen strahlen!“, rief ihre Schwester Larissa und taxierte sie von oben bis unten. „Noch immer derselbe Existentialistenlook“, fügte Larissa gehässig hinzu und deutete auf Annas schwarzes Outfit. „Dieses Oberteil, hattest du das nicht auch an, als wir uns das letzte Mal gesehen haben?“
Anna rang sich mühsam ein gequältes Grinsen ab und beobachtete ihre Schwester, die durch den Raum wirbelte, beim Anblick der Katzenlayouts auf der Pinnwand gekünstelt auflachte, um ihre unnatürlich weißen Zähne optimal zur Geltung zu bringen: Larissa, die Prinzessin ihres Vaters, die brave Tochter, die nie etwas falsch machte und die auch noch ungewöhnlich hübsch war. Larissa, das Traumkind, das sich Eltern wünschen. Anna hingegen war ein Albtraumkind, vorlaut und frech, mit schlechten Noten in der Schule und der No-Future-Attitüde als Teenager, unangepasst, trieb sie sich in Pseudokünstlerkreisen herum – so oder ähnlich war das Bild, das ihr Vater von ihr hatte. Larissa hingegen hatte sich als Model einen internationalen Namen gemacht und im Gegensatz zu ihr prallten an Larissa die Schicksalsschläge einfach ab. Oft beneidete sie ihre jüngere Schwester, die blendend aussah, schlank wie eine Elfe war, aber knallhart sein konnte, wenn es um ihren eigenen Vorteil ging. In ihrer Gegenwart fühlte sie sich zu weich, zu direkt, zu nachtragend, zu abgründig, zu rothaarig, einfach minderwertig, einfach überflüssig, einfach als zweite Wahl.
Wie eben auch für ihren Vater. Dieser hatte Larissa ihr immer vorgezogen. Für ihn war Larissa einfach die perfekte Tochter, egal, was sie tat, er vergötterte sie. Dass sich diese perfekte Tochter aber nach der familiären Katastrophe recht schnell von ihm distanziert hatte, wollte er nicht wahrhaben.
„Cooler Mantel, findest du nicht?“, drang die Stimme ihrer Schwester wieder in ihr Bewusstsein und versetzte sie zurück ins Hier und Jetzt.
„Ja, echt super. Steht dir gut“, rang sich Anna mühsam ein Kompliment ab und musste an die Mail denken, die sie Larissa vor einer Woche geschickt hatte, um ihr klarzumachen, dass ihr Fotojob für die Gothic-Kampagne von Alastair Adlon aus Kostengründen gestorben war.
„Wie sieht es denn nun aus mit dem Job für Adlon?“, fragte Larissa, als könnte sie Gedanken lesen. „Ich bin im Moment ein wenig knapp bei Kasse ...“ Den Rest des Satzes ließ sie unausgesprochen in der Luft hängen.
„Der Job ist gecancelt, Larissa. Ich habe dir doch eine Mail geschickt“, bemühte sich Anna um einen sachlichen Ton. „Es ist wenig Budget vorhanden und du bist einfach zu teuer.“
„Na, da kann man nichts machen“, schwenkte Larissa sofort um, als sie merkte, dass nichts zu holen war. „Ich bin übrigens nächsten Monat für eine tolle Kampagne für Custo Barcelona gebucht! Das Honorar von Adlon wäre ja nur als Überbrückung gedacht.“ Mit unschuldig blauen Augen fixierte sie ihre Schwester, als wollte sie ihr suggerieren: Gib mir das Geld! Gib es mir! Ich bin die Prinzessin und ich habe ein Recht darauf, dass mich alle unterstützen.
„Ich kann dir nichts borgen, Larissa. Ich bin fast pleite“, seufzte Anna und zuckte mit den Schultern.
Ihre Schwester kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und eine dünne senkrechte Falte wurde auf ihrer glatten Stirn sichtbar. Trotzdem klimperte sie mit den Wimpern und fragte unschuldig und beiläufig:
„Wie läuft’s mit Marc, alles okay?“
Als sie Annas feuchte Augen bemerkte, konnte sie ein Grinsen nicht unterdrücken. Dennoch umarmte sie ihre Schwester und flüsterte ihr mit scheinbarem Mitgefühl ins Ohr:
„Du weißt doch, wie er ist, Anna. Er ändert sich nie.“
„Ich weiß, er ändert sich nie“, seufzte Anna, krallte die Finger in den tintenblauen Mantel ihrer Schwester und wollte sich gerade bei ihr über Marc ausweinen, aber Larissa hatte bereits wieder auf Partygirl umgestellt und tippte sich auf ihre schmale Stupsnase.
„Meine Nase hat er jedenfalls toll hingekriegt“, sagte Larissa. Dann umarmte sie Anna beinahe zärtlich, drückte ihr einen Kuss auf die Wange, ihr seidigweiches blondes Haar berührte ihre Haut, und ihr Ton wurde flehentlich: „Du weißt, Anna, ich bitte dich um nichts. Aber ich brauche das Geld! Ich habe Schulden bei meinem Arzt und brauche unbedingt noch eine Behandlung. Sonst bin ich den Job für Custo Barcelona los!“ Melodramatisch fügte sie hinzu: „Mein weiteres Leben hängt von dir ab!“
Angewidert stieß Anna ihre Schwester weg.
„Was für Schulden und was für ein Arzt?“, fragte sie gereizt. Sie wollte sich von Larissas Unschuldsmiene nicht weich klopfen lassen.
„Botox, Anna. Ich bin siebenundzwanzig! Glaubst du wirklich, da bekommt man noch ganz leicht die guten Jobs? Wie naiv bist du eigentlich? Ich bekomme einmal im Monat eine Spritzenkur und die kostet ziemlich viel.“
Für einen kurzen Moment ließ Larissa die Maske des schönen und erfolgreichen Models fallen und offenbarte ihre Angst vor dem Alter, den Falten, dem Konkurrenzdruck und der Erfolglosigkeit. Doch schnell hatte sie sich wieder unter Kontrolle und spielte ihren Nummer-eins-Status gegenüber Anna aus.
„Muss ich dich jetzt auf Knien anflehen, damit du mir das Geld borgst?“, fragte sie schnippisch und ihre blauen Augen verloren mit einem Mal ihre Unschuld. „Du hast mir Marc ausgespannt, vergiss das nicht, Schwesterchen! Ich habe dir den Lover serviert, da kannst du schon was dafür zahlen!“
„Du wolltest bei Marc doch nur gratis eine Schönheits-OP!“, schoss Anna zurück. Doch sie wollte mit ihrer Schwester keinen Streit vom Zaum brechen, deshalb lenkte sie ein: „Also gut, ich überweise dir was. Aber du musst es mir zurückzahlen!“
„Versprochen!“, jubelte Larissa und drückte ihr erneut einen Kuss auf die Wange. „Versprochen. Du erhältst alles zurück. Mit Zinsen!“
„Warum bittest du eigentlich unseren Vater nicht um Geld? Ihr redet doch miteinander?“, fragte Anna spontan.
„Vater? Dass ich nicht lache! Der ist doch ein Totalversager und ständig pleite“, war alles, was Larissa darauf erwiderte. Dann griff sie nach ihrer Tasche, beim Eingang drehte sie sich noch einmal um.
„Wer modelt jetzt eigentlich das Gothic Shooting?“, fragte sie neugierig.
„Yurika Mekas, die Lettin“, antwortete Anna.
„Yurika? Mein Gott, die ist doch voll auf Drogen“, spielte Larissa die Entsetzte.
„Ich weiß“, entgegnete Anna müde. „Ich weiß. Aber sie ist billig.“
„Mach gefälligst die Zigarette aus“, schnauzte Tony Braun, langte über den Tisch, zog dem verdutzten Richard Marx die Kippe aus dem Mund und warf sie quer durch die Küche in das Abwaschbecken, wo sie in einer Tasse mit schimmligen Kaffeeresten zischend ausging.
Wie vereinbart war Richard am frühen Morgen in Brauns Wohnung gekommen, um ihm über seine Internetrecherchen über Royal International zu berichten. Er hatte allerdings nicht erwartet, Braun so übelgelaunt anzutreffen, aber das war kein Wunder, bei all dem Dreck. Während Braun nach sauberen Kaffeetassen suchte, sah er sich unauffällig in der schmierigen Küche um, die ihn unangenehm an den verkommenen Bauernhof seiner Eltern erinnerte.
Er hatte längere Zeit bei einem Grafikstudio in London gearbeitet, war aber dann wieder nach Linz zurückgekehrt. Obwohl es fast nicht zu glauben war, stammte er aus einem kleinen Kaff nahe an der tschechischen Grenze, wo seine Eltern und drei seiner sechs Geschwister noch immer einen Hippie-Bauernhof führten. Der alternative Lebensstil seiner Eltern ging so weit, dass der Bauernhof weder Strom noch sonst irgendwelche technischen Errungenschaften besaß und alle Mitbewohner sich ausschließlich von dem ernährten und sich sogar damit anzogen, was ihnen Natur, Kühe, Schafe und andere Tiere zu bieten hatten. Er hatte rechtzeitig die Notbremse gezogen, beim Sozialamt sein Recht auf Ausbildung durchgesetzt und sich bei der erstbesten Jobgelegenheit nach London abgesetzt. Für Anna Lange hatte er nach seiner Rückkehr einige Freelancer Jobs erledigt, sich ein bisschen in sie verliebt, war dann in der Agentur hängen geblieben und zu einem guten Freund und genialem Artdirector geworden.
Jetzt saß er in der versifften Küche von Braun, ließ den Blick angewidert über das schmutzige Geschirr auf der Küchenzeile, die Bierdosen in den verstaubten Regalen, die schwarzen Müllsäcke neben der Tür gleiten.
„Erinnert mich ziemlich stark an meine Eltern“, meinte er mit einer ausholenden Bewegung, „der ganze Dreck. Wie bei meiner Familie. Die sind wohl mittlerweile in ihrem Müll ersoffen. Habe jedenfalls nie wieder etwas von ihnen gehört.“
„So spricht man nicht über seine Familie!“, fauchte Braun. „Die Familie ist wichtig, sie gibt einem Halt.“
„Na, da bin ich wohl eine Ausnahme“, sagte Richard betont gleichgültig. Er deutete auf drei schwarze Anzüge, die an einem Kleiderständer im Flur hingen, den Stapel weißer T-Shirts auf einer danebenstehenden Kommode und zwei Paar abgetragene, grobe schwarze Schnürstiefel, die mehr oder weniger herumlagen.
„Trägst du immer das Gleiche? Weißes T-Shirt und schwarzer Anzug? Dazu diese unmöglichen Boots?“
„Ja, ist am einfachsten. Dann muss ich mir über mein Outfit nicht jeden Tag den Kopf zerbrechen.“
„Was machst du im Winter?“
„Ich hasse den Winter! Aber was soll’s. Fangen wir an!“
Auf dem mit Krümeln übersäten Tisch stand Richard Marx’ weißes, leuchtendes MacBook, der Deckel war hochgeklappt und das Apple-Logo leuchtete auf, als er das Notebook hochfuhr.
„Außer den üblichen Informationen war nicht viel Neues dabei“, begann er und spielte nervös mit seinem Feuerzeug. „Das Meiste kennst du ja sicher! Firmengeschichte, Lebensläufe und dergleichen.“
„Bist du deswegen so früh gekommen, um mir zu sagen, dass du nichts gefunden hast und dass du deine Familie hasst?“, unterbrach ihn Braun.
„Hör mal!“, fuhr Richard hoch. „Lass deine üble Laune beim Laufen raus! Aber nicht bei mir! Ich versuche bloß, dir zu helfen. Verschone mich mit deinem ganzen Familienscheiß!“
„Tut mir leid, tut mir leid“, entschuldigte sich Braun und schob ihm mit einer aufmunternden Geste eine abgeschlagene Kaffeetasse hin. „Du kannst jetzt ruhig rauchen.“
„Danke.“ Richard inhalierte tief, seufzte, als hätte das Nikotin soeben sein Leben gerettet, und fuhr dann fort: „Ich bin aber auf einen interessanten Blog gestoßen, der sich mit Fight Clubs beschäftigt.“ Er machte eine wohldosierte Pause und sah Braun erwartungsvoll an, der nur mit den Achseln zuckte.
„Blogs? Fight Clubs? Was soll das sein?“
„Blogs sind Internet-Plattformen, auf denen registrierte Mitglieder ihre Kommentare abgeben können. Zum Beispiel zu sogenannten Live Fights. Dort prügeln sich Arbeitslose mit den bloßen Fäusten zu Tode. Der Gewinner erhält eine Riesengage, der Verlierer ist halb oder ganz tot - das soll es auch schon gegeben haben. Das Publikum besteht in der Mehrzahl aus Leuten mit viel Geld, die Unsummen wetten. Bei diesen Live Fights werden oft bis zu einer Million Euro an einem Abend umgesetzt. Das musst du dir einmal vorstellen! Widerlich! Menschenverachtend!“ Er schnippte wütend die Asche in die Kaffeetasse, sagte dann beschwörend: „Versprich mir Tony, dass du diesen Schweinen das Handwerk legst! Versprich es mir!“
„Natürlich verspreche ich es dir“, versicherte ihm Braun und nickte bekräftigend mit dem Kopf. „Aber ich brauche mehr Infos und vor allem, was haben diese Fight Clubs mit Bogdan Drakovic zu tun?“
„Abwarten, es kommt noch besser!“ Richard war in seinem Element, tippte schnell diverse Befehle in das Notebook.
„Habe alles heruntergeladen“, murmelte er mit einer neuen, heftig qualmenden Zigarette im Mundwinkel. „Du hast doch gesagt, dass dieser Drakovic mit illegalen Wetten zu tun hat. Na ja, so bin ich auf den Blog gekommen und eins hat das andere ergeben.“
„Eins und das andere! Verstehe ich nicht! Bist du high?“, murrte Braun, riss sich aber dann zusammen. „Sorry, war nicht so gemeint. Ist einfach meine ruppige Art.“
Richard überhörte das generös und redete weiter.
„Ich habe den Blogschreiber lokalisiert und seine Festplatte gescreent. Killingiseasy.info heißt die Homepage, um die es geht. Allerdings ist die Site nur einmal am Tag online und das auch nur für Mitglieder. Aber ich habe den Server gehackt - war ein Kinderspiel!“ Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah Tony Braun triumphierend an.
„Mach es doch nicht so spannend!“, drängte Braun.
„Die Rechnungen für die Domain werden von der Stiftung Thanatos mit Sitz in Gibraltar bezahlt.“ Er machte wieder eine wohldosierte Pause. Um Braun noch ein wenig länger auf die Folter zu spannen, zündete er sich an der Kippe umständlich eine weitere Zigarette an.
„Im Vorstand der Stiftung sitzen drei Personen“, fuhr er nach einem tiefen Zug fort. „Ein gewisser Claude Berger, ein Türke namens Üzkül Bordar und – Bogdan Drakovic!“
Tony Braun pfiff leise durch die Zähne.
„Bogdan Drakovic und ein illegaler Fight Club. Das ist gut, das ist sogar sehr gut!“
Braun dachte einen Augenblick nach und wandte sich dann wieder zu Richard. „Wenn die Homepage das nächste Mal online ist, logge ich mich ein. Du musst mir ein Passwort besorgen!“
„Warum interessierst du dich so für diesen Bogdan Drakovic und diese Royal-Firma?“, fragte Richard, während er aufstand und sein MacBook sorgfältig in seiner Computertasche verstaute.
„Ich habe es meinem Kollegen Hajek in Prag versprochen! Er zählt auf mich“, erwiderte Braun und zögerte kurz, ehe er weiterredete. „Er hat sich nach meinem Sohn Jimmy erkundigt, verstehst du? Er glaubt, wir sind noch immer eine glückliche Familie! Er weiß nicht, wie es ist, plötzlich keine Familie mehr zu haben!“
Richard Marx sah Braun fragend an.
„Er ist der Einzige, der sich wirklich für mich interessiert!“ Wütend drückte Tony Braun eine Bierdose mit seinem Stiefel platt und kickte sie durch die Küche.
* * *
In seinem muffigen Büro in der Prager Altstadt rückte Kommissar Pavel Hajek seine altmodische Brille zurecht und betrachtete die Fotos des ermordeten Milan Drakovic, die er in seinem Büro an die Pinnwand geheftet hatte. Aufmerksam studierte er eine Aufnahme, welche die Leiche in einer Totalen zeigte. Der Tote lag mit den Füßen zur Wand, die Arme seitlich von sich gestreckt und der nur noch von ein paar Sehnen und Hautfetzen gehaltene Kopf war seitlich nach hinten geklappt. Hajek trat einige Schritte zurück, kniff die Augen zusammen. Aus dieser Perspektive erweckte die Leiche von Milan Drakovic Assoziationen mit einem auf den Kopf gestellten Kreuz.
War das nur Zufall oder steckte etwas anderes dahinter?, fragte sich Hajek und strich sich vorsichtig über seine schütteren Haare, die eine beginnende Glatze verdeckten. Das umgedrehte Kreuz war, wie er sich dunkel erinnern konnte, das Zeichen des Teufels. Wollte der Mörder diese Botschaft hinterlassen? Milan Drakovic, ein Teufel, der in die Hölle raste? Die Geschäfte von Royal International in Tschechien und die Rolle von Milan Drakovic mussten wirklich dringend näher beleuchtet werden.
Doch zunächst galt es, die Pressestelle zu informieren, damit diese einen Zeugenaufruf im Fernsehen und in den Prager Zeitungen brachte. Hajek war gerade dabei, die Fakten für die Pressemitteilung zusammenzufassen, als der stellvertretende Polizeipräsident Kohuth ohne anzuklopfen die Tür aufriss und sich vor die Wand mit den Tatortfotos stellte.
„Der arme Milan Drakovic“, murmelte Kohuth mit dem Rücken zu ihm. „Noch letzte Woche habe ich ihn auf einem Wirtschaftsempfang getroffen! Und jetzt ist er tot!“
Argwöhnisch musterte Hajek seinen Chef. Dass Vaclav Kohuth das Büro eines Kommissars betrat, kam so gut wie nie vor. Kohuths Tagesablauf bestand im Allgemeinen aus Politikerbesuchen, Geschäftsessen und abendlichen Exkursionen mit ausländischen Wirtschaftsdelegationen ins Prager Nachtleben. Für eine laufende Ermittlung hatte er sich laut Hajeks Wissen noch nie interessiert.
„Wie ist der Stand der Ermittlungen?“ Kohuth stellte die Frage bewusst beiläufig, während er hinter Hajek trat und neugierig über seinen Rücken auf den Bildschirm schaute.
„Was schreiben Sie da?“
„Wir suchen Zeugen für den Mord und brauchen dafür die Mithilfe der Presse.“ Hajek spürte den Pfefferminzatem seines Chefs im Nacken.
Kohuth zuckte zurück, als wären die Worte Hajeks eine giftige Substanz, die im Begriff war, die Luft im Büro zu verpesten. „Sind Sie verrückt! Keine Presse!“, rief Kohuth, holte tief Luft und sagte betont amtlich: „Kommissar Hajek! Es wurde doch eine Nachrichtensperre angeordnet! Schon vergessen?“
„Ich dachte, das gilt nur für den Tag des Mordes?“, stotterte Hajek, nahm seine Brille ab und begann, sie umständlich mit seiner Krawatte zu putzen.
„Was ist das für ein Unsinn!“, brüllte Kohuth.
„Wir wollen ausländische Investoren doch nicht mit einem Mord beunruhigen! Deshalb auch die Nachrichtensperre. Ich habe übrigens mit Bogdan Drakovic, dem Vorsitzenden von Royal International in Linz, telefoniert und ihm meine volle Unterstützung zugesichert. Die Prager Niederlassung von Royal International wird vorübergehend von Österreich aus geleitet. Bogdan Drakovic kommt in den nächsten Tagen nach Prag. Dann bespreche ich alles Nähere direkt mit ihm!“
„Wie soll ich diesen Fall bearbeiten, wenn ich die Öffentlichkeit nicht einschalten darf?“, muckte Hajek auf, kniff ein Auge zusammen, um die geputzten Gläser seiner Brille, die er Richtung Fenster hielt, zu kontrollieren.
„Ihr Problem!“, schnauzte ihn Kohuth an. „Ab sofort leite ich persönlich die Ermittlungen im Mordfall Milan Drakovic. Alle neuen Erkenntnisse landen sofort ohne Umweg auf meinem Schreibtisch und ich entscheide die weitere Vorgangsweise! Haben Sie mich verstanden?“
„Natürlich, Vize-Polizeipräsident, alle Informationen landen sofort ohne Umwege auf Ihrem Schreibtisch.“ Hajek drehte die Brille in den Händen, kniff die stark kurzsichtigen Augen zusammen und konnte die Miene Kohuths nur sehr verschwommen erkennen, doch intuitiv merkte er, dass sich dieser langsam entspannte.
„Ich verlasse mich auf Sie, Hajek!“ Gönnerhaft klopfte der Stellvertretende Polizeipräsident Hajek noch auf die Schulter, ehe er das Büro verließ.
Mit hängenden Schultern stand Pavel Hajek lange vor dem Fenster, starrte hinaus in die trübe Prager Altstadt mit dem nebelverhangenen Hradschin im Hintergrund und dachte angestrengt nach. Als seine Sekretärin mit einer Mappe hereinkam, drehte er sich nicht um, sondern blickte weiterhin in den Nebel.
„Was gibt es?“, fragte er ins Leere.
„Ein rechtsradikaler Anschlag im ehemaligen Roma-Viertel. Ein Toter, verbrannt“, gab sie die Faktenlage nüchtern wieder.
„Wer bearbeitet den Fall?“
„Kommissar Dubcek. Er möchte, dass Sie einen Blick auf die Unterlagen werfen.“
In diesem Moment schrillte sein Telefon. Seine Mutter war am Apparat.
„Dein Computer hat so komisch gebimmelt, Junge!“, krächzte sie.
„Das ist eine E-Mail, Mama, die ich bekommen habe“, klärte Hajek sie auf und dachte, dass diese wahrscheinlich von Tony Braun war. Auf ihn konnte er sich eben verlassen.
Der Schlag traf Flash God völlig unvorbereitet direkt auf die Augenbraue, die aufplatzte wie eine reife Tomate und einen Blutvorhang über sein linkes Auge schob. Dem nächsten Schlag konnte er knapp ausweichen, denn jetzt hatte er sich auf den Rhythmus eingestellt, ein, zwei Rippen waren vielleicht angeknackst, aber er hatte noch nicht die Kontrolle verloren. Er brachte seine mit dünnen Gazestreifen umwickelten Fäuste in Stellung, gab eine Serie von Schlägen ab, links, rechts, links, rechts, ein echtes Trommelfeuer, hörte Knochen trockenspröde knacken, Haut schmatzend aufreißen, aber die Kraft, seine Kraft wollte einfach nicht für den nötigen Druck sorgen und er spürte, dass er schneller ermüdete als früher.
Dann erwischte es ihn voll an der Backe, klatsch, klatsch, von beiden Seiten, der Kopf flog von einem Schlag zum nächsten, hin, her, immer wieder hin, her, die Backenknochen breiweich, die Zähne lockerten sich, knackten und knirschten, das spürte er, aber keinen Schmerz, keine Angst, nur Gier nach dem Geld.
„Was mach ich bloß hier“, dachte der Zuschauer entsetzt und fasziniert zugleich.