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An einem heißen Sommerabend brechen die Zwillinge Ulla und Britta auf, um im Böhmerwald die Sommersonnenwende zu feiern. Doch in dieser Nacht passiert etwas Schreckliches, und am nächsten Morgen ist eines der Mädchen tot und das andere verschwunden. Zur selben Zeit erwacht das junge Medium Olin aus einem dreimonatigen Koma und sieht beunruhigende Bilder … Inspektor Tony Braun und sein knapp vor dem Ruhestand stehender Chef Greg Keller beginnen zu ermitteln und jagen den mysteriösen Mörder des toten Sommermädchens …
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Impressum
Anmerkung
Über die Autoren B.C. Schiller
Bücher von B.C. Schiller
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Prolog
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73. 73
74. 74
Epilog
Danksagung
Sämtliche Figuren und Ereignisse dieses Romans sind der Fantasie entsprungen. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist zufällig und von den Autoren nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung der Blue Velvet Management GmbH urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.
7. Auflage, Juli 2024
Copyright Blue Velvet Management e.U.,
A – 4020, Linz, Derfflingerstrasse 14, 2015, 2022, 2024
Lektorat: Wolma Krefting, bueropia.de
Korrektorat: Sybille Weingrill
Covergestaltung: www.afp.at
Bildmaterial: Rote Blume mit welken Blättern: 20240612160544, Adobe Firefly KI-Tool
Hintergrund: Authors own
Wir haben uns erlaubt einige Namen und Örtlichkeiten aus Spannungsgründen neu zu erfinden, anders zu benennen und auch zu verlegen. Sie als Leser werden uns diese Freiheiten sicher nachsehen.
Barbara und Christian Schiller leben und arbeiten in Wien und auf Mallorca mit ihren beiden Ridgebacks Calisto & Emilio. Gemeinsam waren sie über 20 Jahren in der Marketing- und Werbebranche tätig und haben ein totales Faible für spannende Krimis und packende Thriller.
B.C. Schiller gehören zu den erfolgreichsten Spannungs-Autoren im deutschsprachigen Raum. Bisher haben sie mit ihren Krimis über 3.000.000 Leser begeistert.
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TONY-BRAUN-THRILLER:
TOTES SOMMERMÄDCHEN – der erste Tony-Braun–Thriller –
»Wie alles begann«
TÖTEN IST GANZ EINFACH – der zweite Tony-Braun-Thriller
FREUNDE MÜSSEN TÖTEN – der dritte Tony-Braun-Thriller
ALLE MÜSSEN STERBEN – der vierte Tony-Braun-Thriller
DER STILLE DUFT DES TODES – der fünfte Tony-Braun-Thriller
RATTENKINDER – der sechste Tony-Braun-Thriller
RABENSCHWESTER – der siebte Tony-Braun-Thriller
STILLER BEOBACHTER – der achte Tony-Braun-Thriller
STRANDMÄDCHENTOD – der neunte Tony-Braun-Thriller
STILLES GRABESKIND – der zehnte Tony-Braun-Thriller
Alle Tony-Braun-Thriller waren monatelang Bestseller in den Charts. Die Thriller sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
GRETCHEN LARSSEN UND DAS OSTSEEMÄDCHEN: der erste Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DAS DÜNENOPFER: der zweite Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DER OSTSEEZORN: der dritte Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DIE OSTSEESCHULD: der vierte Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DER KÜSTENMÖRDER: der fünfte Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DER OSTSEEMORD: der sechste Band mit Gretchen Larssen
MALLORCA-INSELKRIMI:
MÄDCHENSCHULD – ist der erste Band der neuen spannenden Mallorca-Inselkrimi-Reihe mit der Inspectora Ana Ortega und dem Europol-Ermittler Lars Brückner. Die Krimis sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
SCHÖNE TOTE – der zweite Band mit Ana Ortega und Lars Brückner.
FAMILIENBLUT – der dritte Band mit Ana Ortega und Lars Brückner.
DUNKELSTEIG – Trilogie:
DUNKELSTEIG: der erste Band mit Felicitas Laudon
DUNKELSTEIG – SCHULD –der zweite Band mit Felicitas Laudon
DUNKELSTEIG – BÖSE: der dritte und letzte Band mit Felicitas Laudon
Psychothriller:
DIE FOTOGRAFIN
DIE SCHWESTER
DIE EINSAME BRAUT
Die TARGA-HENDRICKS-Thriller:
DER MOMENT, BEVOR DU STIRBST – der erste Fall mit Targa Hendricks
IMMER WENN DU TÖTEST – der zweite Fall mit Targa Hendricks
DUNKELTOT, WIE DEINE SEELE – der dritte Fall mit Targa Hendricks
Die DAVID-STEIN-Thriller:
DER HUNDEFLÜSTERER – David Steins erster Auftrag
SCHWARZER SKOPRION – David Steins zweiter Auftrag
ROTE WÜSTENBLUME – David Steins dritter Auftrag
RUSSISCHES MÄDCHEN – David Steins vierter Auftrag
FREMDE GELIEBTE – David Steins fünfter Auftrag
EISIGE GEDANKEN – David Steins sechster Auftrag
TODESFALTER – David Steins siebter Auftrag
LEVI-KANT-Cold Case-Krimi:
BÖSES GEHEIMNIS – der erste Cold Case
BÖSE TRÄNEN – der zweite Cold Case
BÖSES SCHWEIGEN – der dritte Cold Case
Tauchen Sie ein in die B.C. Schiller Thriller-Welt.
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Es ist so weit.
Meine Großmutter, das Medium, holt mich zurück und schickt mir ein Bild: Ich sehe meine Liebsten blutüberströmt auf dem Boden liegen.
Nachdem ich mit eiskaltem Wasser geduscht und mir die letzten Reste von diesem Todesbild aus dem Kopf gespült habe, gehe ich nach unten, wo mein Mann Theo und meine Tochter Sarah bereits am Frühstückstisch sitzen und mich mit bedeutungsvollen Blicken anstarren, als wäre ich ein seltenes Tier.
„Hast du schon wieder die schrecklichen Bilder gehabt, Mama?“ Sarah beißt in ihr Brot und ihre dunklen Augen leuchten. Mit ihren fünf Jahren ist das alles für sie nur ein großes Abenteuer und sie findet meine Albträume spannend. Anders Theo, der mich mit sorgenvoller Miene betrachtet.
„Du solltest wirklich einmal zum Arzt gehen“, meint er leise und stiert in seine Tasse, als würde in dem Kaffeesatz die Lösung all meiner Probleme liegen.
„Mir fehlt nichts“, sage ich wie immer und stehe kurze Zeit später vor den verschlossenen Türen des Tankstellenshops und atme tief durch. Theo bringt Sarah in den Kindergarten und nichts ist passiert. Ein Knoten in meinem Magen löst sich, und das Todesbild, das sich wie ein ungebetener Gast in meinem Inneren eingenistet hat, verschwindet langsam, als ich die Tür aufsperre. Während ich die Tageszeitungen auf dem Tresen ordne, fährt draußen ein Auto vor. Es ist ein Lieferwagen mit schmutzigen Scheiben und einer zerkratzten Aufschrift, die ich nicht entziffern kann, da das Türblech die Sonne reflektiert.
Ein kühler Luftzug weht herein, als die Tür aufgestoßen wird, und es ist, als wäre damit eine Schleuse geöffnet worden, durch die das Todesbild mich wieder ungehindert heimsuchen kann.
„Überfall“, höre ich eine gedämpfte Stimme und sehe eine Gestalt mit einem Motorradhelm, dessen Visier das Gesicht verdeckt. Dahinter taucht eine zweite Person auf, auch sie trägt einen Helm und ist schwarz gekleidet, wirkt düster wie meine Träume. Aber diese Gestalt hat eine große klobige Waffe in der Hand, eine Waffe, die ich in den Bildern des Mediums genau gesehen habe.
„Kohle her!“
„Dort hinten ist die Kasse“, krächze ich. Mein Mund ist plötzlich so trocken, dass ich kein weiteres vernünftiges Wort hervorbringe. Wie in Trance gehe ich zum Tresen und öffne die Geldlade, lege die paar Scheine und Münzen auf das Pult.
„Hallo, Mama!“, höre ich plötzlich meine kleine Tochter Sarah fröhlich rufen und gleich darauf die brummige Stimme von Theo:
„Wir haben was vergessen!“
„Ja, was Süßes für die Pause!“, kreischt Sarah und läuft zum Regal.
Das Medium holt mich zurück und schickt mir erneut das Todesbild.
„Was ist hier los?“ Theo ballt die Fäuste, als er die Situation erfasst. „Haut bloß ab!“ Die Gestalt mit der Waffe dreht sich um und feuert ohne Vorwarnung. Theo wird von dem Schuss zurückgeworfen, doch er geht nicht zu Boden, erst nach einer zweiten Kugel fällt er rücklings gegen die Schaufensterscheibe, die zerbirst und in unzähligen winzigen Splittern wie Diamantenstaub auf ihn herabregnet.
Sarah kreischt entsetzt und die Gestalt dreht sich schnell zu ihr um und feuert sofort los. Der Schuss trifft Sarah, sie schlittert über den Boden und ihr Blut breitet sich auf dem Boden aus wie eine leuchtend rote Blume.
Das Medium hat mich jetzt fest in der Gewalt, und ich sehe nur noch Todesbilder, die sich mit der Realität decken. Die Uhr an der Wand zeigt sieben Uhr, als es mich erwischt. Die Kugel schlägt knapp oberhalb meines Herzens durch den Pullover, zerreißt die dünne Haut, bleibt irgendwo in meinem schmalen Körper stecken. Der zweite Schuss trifft mich mitten in die Brust und ich falle in ein tiefes Koma.
Es ist sieben Uhr, und die Todesbilder, die mir meine Großmutter, das Medium, geschickt hat, wurden Wirklichkeit.
Die Mutter der Zwillinge Britta und Ulla Walek wurde im Zuge eines heftigen Streits von ihrem Mann erschlagen, der anschließend Selbstmord beging. Die beiden fünfjährigen Mädchen lebten noch einige Monate in dem abgeschiedenen Waldhaus neben den Leichen der Eltern und wurden als die Waldmädchen in ganz Österreich bekannt.
Doch weder Ulla noch Britta wollten an diese Zeit denken und auch nicht an die folgenden Jahre, die sie in verschiedenen Heimen und bei Pflegefamilien verbracht hatten, wo sie als nicht vermittelbar weitergereicht wurden, bis sie schließlich mit siebzehn Jahren endlich in eine eigene Wohnung mit anderen Mädchen ziehen konnten. In dieser Wohngemeinschaft in Linz wurden sie von einem Sozialarbeiter betreut, der sich auch darum kümmerte, dass sie einem regelmäßigen Job nachgingen, was bei Britta kein Problem war, bei Ulla hingegen fast unmöglich schien. Bei einem psychologischen Test wurde bei Ulla ein latentes dissoziatives Verhalten festgestellt, das mit ihrer überdurchschnittlichen Intelligenz eine unheilvolle Verbindung einging. Nachdem Ulla beinahe jeden verfügbaren Job durchprobiert und es nie länger als maximal eine Woche ausgehalten hatte, warf auch Magnus Herzfeld, der engagierte Sozialarbeiter, entnervt das Handtuch und sorgte dafür, dass Ulla einen Pseudojob in einer sozialen Einrichtung bekam, wo sie kommen und gehen konnte, wie es ihr passte.
Es war der 21. Juni und es war der Tag der Sommersonnenwende. Die Mädchen waren gemeinsam mit ihrem Freund Manuel, einem zwanzigjährigen Mechaniker, aufgebrochen, um die Nacht der Sommersonnenwende auf einem einsamen Hügel mitten im Böhmerwald an der tschechischen Grenze zu feiern. Der Nachmittag war drückend schwül, die Luft flirrte und mit den Hunderten von Insekten schwirrten auch Tausende von Gedanken durch die heiße Luft, bereit, sich wie ein reinigendes Gewitter zu entladen. Ulla und Britta trugen abgeschnittene Jeans, hatten beide ihre blonden Haare zu ähnlichen Zöpfen geflochten und waren auf den ersten Blick nicht voneinander zu unterscheiden. Auf den zweiten Blick wäre einem scharfen Beobachter allerdings die schwarze Wand hinter den blauen Augen von Ulla aufgefallen, die ein unüberwindliches Hindernis darstellte und den Blick in das Innere von Ulla und in ihre Gedankenwelt versperrte.
Die Sonne stand bereits tief, als sie den Hügel erreicht hatten, und blendete Ulla. Mit der Hand schirmte sie ihre Augen ab und bemerkte den Blick von Manuel, der dieser aufregenden Spur der Schweißtropfen folgte, die sich zwischen ihren Brüsten angesammelt hatten und ihr T-Shirt durchnässten. Sie ignorierte diesen Blick und konzentrierte sich auf das Zelt, das ausgepackt vor ihnen auf dem Boden lag. Während Manuel und Britta sich kichernd abmühten, das Gestänge in der richtigen Reihenfolge zusammenzustecken, stand Ulla abseits und sah in die Ferne, wo Hinweistafeln die Grenze zu Tschechien markierten. Ein sanfter Wind kam auf, der aber keine Abkühlung brachte, sondern, im Gegenteil, die schwüle Hitze noch verstärkte. Ulla hasste diese Hitze, die sich wie ein schmieriger Film auf die Haut legte, die Poren verstopfte und in der sie sich wie in einer Taucherglocke tief unter der Wasseroberfläche fühlte, wo sie keine Chance hatte, Luft zu holen und die Beklemmung zu lindern. Diese Beklemmung, die sie seit ihrer Kindheit heimsuchte und die sich mit den Jahren zu einem fixen Bestandteil ihres Lebens entwickelt hatte.
„Weshalb stehst du so herum?“, riss sie die Stimme von Britta aus ihren düsteren Gedanken. „Hilf uns doch, das Zelt aufzustellen!“
„Bin ja schon dabei. Ich habe nur etwas nachgedacht.“
„Ulla denkt immer so viel nach“, lachte Britta und knuffte Manuel in die Seite.
„Aber das ist doch schön, wenn man sich über das Leben Gedanken macht“, antwortete Manuel leise. Britta warf ihm einen schnellen Blick zu, und Ulla wusste, was sie dachte. Manuel war in sie verknallt und nahm sie daher grundsätzlich in Schutz, egal was sie sagte oder tat.
Versonnen betrachtete sie Manuel, der mit nacktem Oberkörper versuchte, die Zeltstangen in eine Ordnung zu bringen.
Manuel sah gut aus, und er hatte einen schwarzen Humor, den sie mit ihm teilte. Außerdem konnte er Motorräder zusammenbauen und nahm sie manchmal auf eine Spritztour mit. Aber Manuel war kein Typ, auf den man sich verlassen konnte, das hatte Ulla sofort bei ihrer ersten Begegnung festgestellt. Sie brauchte jedoch jemanden, von dem sie wusste, dass er immer für sie da war, ganz gleich, was passieren würde. Und dieser Mann existierte. Es war ihr heimlicher Geliebter, von dem niemand etwas wissen durfte. Sie nahm einen Anlauf und sprang Manuel direkt auf den Rücken.
„Hey, spinnst du?“ Beinahe wären sie gemeinsam in das halb fertige Zelt gestürzt, aber Manuel war stark und hielt sich mit Ulla auf dem Rücken aufrecht. Als er seine Balance wiedergefunden hatte, begann er sich wie rasend zu drehen, und Ulla musste die Arme fest um seine Brust schlingen, um nicht von ihm abgeworfen zu werden.
„Mein starker Held“, schnurrte Ulla und drückte Manuel einen spielerischen Kuss auf den Hals. Er stoppte abrupt, schüttelte Ulla ab und drehte sich mit dem Gesicht zu ihr. Sein Mund war leicht geöffnet und die Lippen glänzten einladend. Doch wieder schob sich die schwarze Wand vor Ullas Denken und sie strich ihm nur zärtlich über die Schulter.
„Ich mag dich“, sagte sie leichthin, drehte sich weg und zog Britta, die noch immer vor dem halb fertigen Zelt kniete, in die Höhe. „Aber Britta liebe ich!“
„Aus euch soll einer schlau werden“, lachte Manuel, den nichts verstimmen konnte, und umarmte die Zwillinge. „Dann nehme ich eben euch beide.“
„Das könnte dir so passen“, kreischten die Mädchen und tauchten unter Manuels Armen weg, verschwanden im hohen Gras der Wiese, um Sekunden später mit erhitzten Gesichtern und leuchtenden Augen wieder aufzutauchen.
Als sie endlich das Zelt aufgebaut hatten, schlenderten Ulla und Britta Hand in Hand zum Waldrand, um Holz für ihr Sonnenwendfeuer zu suchen. Während sich Britta zu einem Ast hinunterbeugte, bemerkte Ulla zum ersten Mal, dass sich ihre Schwester verändert hatte.
„Hast du zugenommen?“
„Wie kommst du darauf?“ Britta schoss in die Höhe und strich sich mit den Händen über die Hüften. „Findest du wirklich?“
„Nein, ich habe mich getäuscht“, beschwichtigte sie Ulla. Die Figur war natürlich ein wichtiges Thema bei den Mädchen und sie wollte Britta auf keinen Fall beleidigen. Doch ihre Schwester reagierte ganz anders, als sie erwartet hatte.
„Möglich wäre es schon“, sagte Britta kryptisch, und als ein Sonnenstrahl durch die dichten Äste des Waldes drang und ihr blondes Haar golden aufleuchtete, da wirkte sie sehr glücklich. „Es ist mein großes Geheimnis, aber du wirst es als Erste erfahren.“
„Na los, sag schon“, hakte Ulla nach. Doch Britta hatte sich bereits umgedreht und war in einen schmalen Waldweg eingebogen.
„Ich habe nur Spaß gemacht“, rief Britta zurück. „Vielleicht, vielleicht aber auch nicht“, schränkte sie sofort wieder ein. „Warte, bis es dunkel wird.“
Ulla wollte noch etwas darauf erwidern, da bemerkte sie ein Blitzen, das aus dem Wald kam, dort, wo die Bäume eng beisammenstanden und die Sonne nur vereinzelt bis auf den Boden dringen konnte. Es war ein Blitzen, als hätte ein verirrter Sonnenstrahl ein Stück Metall gestreift und es zum Leuchten gebracht.
„Hast du das Blitzen dort hinten bemerkt?“, fragte sie ihre Schwester, doch Britta zuckte nur mit den Schultern.
„Was soll da gewesen sein?“
„Ich habe ein Leuchten gesehen, als würde die Sonne auf Metall oder Glas scheinen.“
„Du irrst dich bestimmt, wahrscheinlich ist es nur eine leere Glasflasche, die am Boden liegt und die Sonne reflektiert.“
„Ja, kann sein“, meinte Ulla, obwohl sie diese Erklärung nicht so recht glauben wollte. Schweigend sammelten sie weiter abgebrochene Äste zusammen, doch Ulla riskierte immer wieder einen Blick in den dichten Wald.
„Ich hab’s schon wieder gesehen“, sagte sie plötzlich und richtete sich auf. „Ganz deutlich. Und es war kein Metall oder eine Glasscherbe. Es war rund, wie das Glas von einem Fernrohr.“
Jetzt drehte sich auch Britta zum Wald und schirmte ihre Augen mit der Hand ab, um etwas zu erkennen.
„Ich sehe noch immer nichts.“
„Aber wenn ich es dir sage. Jemand beobachtet uns mit einem Fernrohr. Ich schaue mir das einmal an.“
„Ulla, bleib hier“, sagte ihre Schwester. „Da gibt es nichts zu sehen. Wir brauchen doch noch mehr Holz für das Feuer. Los, hilf mir.“
Aber Ulla kümmerte sich nicht um die Worte ihrer Schwester, sondern ging mit schnellen Schritten auf den dunklen Wald zu. Mit einem Mal wurde es kühl und feucht und ein modriger Hauch zog zwischen den Baumstämmen zu ihr herüber. Als sie die Stelle erreichte, wo sie das Leuchten gesehen hatte, fand sie nur Gestrüpp und auf dem Boden liegende Äste.
„Siehst du, hier ist niemand.“
Britta stand plötzlich hinter ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Los, komm schon, sonst wird Manuel wieder nervös, wenn wir nicht genügend Holz gesammelt haben. Er will doch, dass unser Feuer am höchsten brennt.“
Widerstrebend ging Ulla zurück zum Waldrand, sah sich aber mehrmals um. Der Wald wirkte wie eine schweigende Wand, ein schwarzes Loch, das alles in sich aufsaugt und keine Spuren zurücklässt. Trotzdem wurde Ulla das Gefühl nicht los, als würde jede ihrer Bewegungen genau beobachtet, als würde jemand nur darauf warten, dass die Dunkelheit hereinbrach und er sein Ziel erreichte.
Ein Blick auf ihre seidigen blonden Haare genügte und er war dem Mädchen rettungslos verfallen. Er folgte dem Schwung der langen Zöpfe, die vom Wind umhergepeitscht wurden und im Sonnenlicht glänzten wie Goldschnüre. Nervös leckte er sich über die Lippen und wetzte auf dem Holzbalken herum, konnte einfach nicht aufhören, sie zu beobachten. Er drehte an den verschiedenen Rädern des alten Feldstechers und zoomte sie näher, holte sie zu sich, bis sie direkt vor ihm stand und er jede Pore in ihrem schönen Gesicht erkennen konnte. Er japste leise, als eine lose Haarsträhne über ihr Gesicht fiel und es wie eine goldene Klinge zerteilte. Vorsichtig streckte er den Arm aus, um ihr die Strähne aus der Stirn zu streichen, vielleicht noch näher an sie heranzurücken und im Duft dieser Haare zu versinken. Sie waren weich wie Seide und rochen nach frischen Blüten und Mädchenlachen. Tief atmete er das Mädchen ein, verschlang ihren Geruch und verirrte sich in diesem goldenen Haarlabyrinth.
Plötzlich begann sein Hund in der Ferne zu bellen und er ließ den Feldstecher sinken. Er wurde wieder zu Leo Hauser, der mit seiner Hündin Ginger durch die Wälder streifte und mit seiner Mutter und dem gewalttätigen Bruder in einer stillgelegten Mühle nahe der tschechischen Grenze lebte. Leo hatte acht Jahre eine Sonderschule besucht. Das war schon eine Zeit lang her und seither war Leo ziellos mit seinem Bogen durch die Wälder gezogen und hatte Hasen, Füchse und andere Tiere lautlos getötet. Sein einziger Freund war sein Jagdhund Ginger, denn Menschen überforderten ihn. Aber Leo hatte eine geheime Leidenschaft: Er beobachtete gerne junge Mädchen.
„Was ist los, Ginger?“
Der Hund wedelte im Laufen mit dem Schwanz und blickte ihn treuherzig an. Leo hatte schon einige Stunden auf dem Hochstand verbracht und die beiden Mädchen zunächst beim Zeltaufbau, dann beim Holzsammeln genau studiert. Sie sahen sich so ähnlich! Wahrscheinlich waren sie Zwillinge und er hatte die Qual der Wahl. Welche von den beiden würde ihm gehören? War es das Mädchen, das immerzu lachte und gerne in die Luft sprang, oder doch die andere, die einen leicht umwölkten Blick hatte und mit ihren aufgeworfenen Lippen immer ein wenig trotzig wirkte?
Welches dieser Mädchen würde ihm gehören? Das war eine schwierig zu beantwortende Frage. Er musste sich entscheiden. Doch Leo hasste Entscheidungen, dafür musste er überlegen, und das Denken fiel ihm so schwer, dass er Kopfschmerzen bekam oder wütend wurde. Dann pfiff er nach Ginger und hetzte hinaus in den Wald, schoss Pfeil um Pfeil auf die flatternden Vögel, die sich in lichte Höhen schwangen, während er mit seinem Verstand nur unter der Erde kriechen konnte.
Als er Ginger nach den Mädchen fragte, blickte ihn die Hündin nur verständnislos an und begann zu gähnen. Das tat sie immer, wenn sie verwirrt war oder Stress hatte. Er packte sie am Halsband und zog sie ganz nahe an sein Gesicht heran, spürte ihre kalte Schnauze auf seiner Stirn.
„Welches der Mädchen soll mir gehören?“, flüsterte er und der Hund leckte ihm über die Wange. „Wir nehmen das lachende Mädchen“, gab er sich selbst die Antwort. „Ja, ihr Lachen bringt Farbe und Licht in den Wald.“
Leo ließ sich rücklings ins Gras fallen und schloss die Augen, dachte an die blonden Haare, die ihn wie ein kostbarer Vorhang aus Begierden und Versprechungen kaskadengleich umfangen würden, wenn sich das Mädchen über ihn beugte. Er würde dieses Mädchen mitnehmen, sie würde sein kostbarer Schatz sein, den er vor fremden Blicken verstecken würde, den er hegen und pflegen musste. Ja, täglich würde er diesem Mädchen die Haare waschen, sodass sie immer glänzten und funkelten wie kostbare Seide.
Aber die beiden Mädchen waren ja nicht allein auf den Hügel gekommen, sondern hatten einen Begleiter dabei. Er vertröstete seinen Hund und stieg missmutig wieder auf den Hochstand. War das ihr Bruder oder ihr Freund? Wollte ihm dieser Mann die Mädchen streitig machen? Vielleicht wollte dieser Mann das lachende Mädchen, genauso wie er? Er hob den Feldstecher und beobachtete den Mann. Er war jung und hatte ein hübsches Gesicht. Die schwarzen Locken hingen ihm ins Gesicht und jetzt umarmte er eines der Mädchen. Sein Mädchen!
Konzentriert griff Leo in seinen unförmigen Rucksack, zog ein Eisengestell hervor, das er sich wie eine Grubenlampe über den Kopf stülpte. Daran befestigte er das Fernglas und tastete nach seinem Bogen. Er legte einen Metallpfeil ein, einen Taiga Arrow aus russischen Armeebeständen, und spannte den Bogen. Die Nylonsehne sirrte leicht und das klang wie Musik in seinen Ohren. Manchmal zupfte er einfach an der Sehne herum wie auf einer Harfe und komponierte Melodien, aber jetzt hatte er anderes zu tun.
Durch den Feldstecher visierte er die Kehle des Mannes an, hielt die Luft an, konzentrierte sich auf den Schuss. Es war wie bei einem Kaninchen, man musste eins werden mit dem Opfer, der Pfeil wurde zum verlängerten Arm des Schützen. So entstand diese Verbindung, und der Pfeil raste lautlos wie auf einer unsichtbaren Schnur entlang, bis er auf sein Ziel traf und es durchbohrte. Als er gerade eins wurde mit dem Mann drüben auf dem Hügel, trat eines der Mädchen plötzlich lachend ins Bild und ihr Lachen wirkte auf ihn so befreiend, dass seine trüben Gedanken verschwanden. Sie trug jetzt eine rote Jacke und wirkte in dem satten Grün der Wiese wie ein loderndes Feuer. Wie das lodernde Sonnenwendfeuer, das sie in der Nacht entzünden würden. Leo ließ den Bogen sinken, zog sich das Eisengestell vom Kopf und wusste, dass er das Feuer abwarten musste, ehe das Mädchen ihm gehören würde.
Die Flammen schossen in den Himmel und erleuchteten die Dunkelheit. In dem flackernden Feuer wirkten die tanzenden Mädchen wie Feen, die aus einem Märchenbuch entsprungen waren. Das Gefühl, beobachtet zu werden, war verschwunden und Ulla fühlte sich so leicht wie schon lange nicht mehr.
„Wir haben das höchste Feuer“, sagte Manuel stolz und deutete auf die zahlreichen Feuer, die auf den anderen Hügeln loderten. „Und natürlich habe ich die schönsten Mädchen“, fügte er grinsend hinzu.
„Aber wir gehören dir nicht“, antwortete Ulla. „Wir sind bloß Erscheinungen, die du nie besitzen wirst.“
„Das wollen wir doch sehen!“ Manuel sprang nach vorn und packte Ulla. Durch den Schwung stürzten sie beide zu Boden, und für einen kurzen Moment stieg Panik in Ulla auf, als Manuels Körper schwer auf ihr lag. Doch genauso schnell rollte er sich wieder zur Seite und stand auf.
„Habe ich dir wehgetan?“, fragte er und hielt ihr die Hand hin.
„Lass nur, es geht schon“, murmelte Ulla und griff nach der Wodkaflasche, die Britta ihr hinhielt.
„Komm“, sagte Britta und nahm ihren Arm. „Gehen wir ein Stück. Ich muss dir jetzt mein Geheimnis erzählen.“ Sie nahm Ulla die Wodkaflasche aus der Hand und zögerte plötzlich: „Nein, Alk ist nicht gut für mich.“
„Wie du meinst.“
„Du kannst dich doch noch an den Abend erinnern, als wir in der Wohnung zu dritt waren und du diese merkwürdige Idee gehabt hast. Wir haben ihn damit überrascht und er hat natürlich nichts bemerkt“, begann Britta und redete weiter. „Jetzt habe ich eine Überraschung für ihn.“ Nachdem Britta ihre Geschichte zu Ende erzählt hatte, fühlte sich Ulla traurig und trank still ihren Wodka.
„Was ist mit dir?“, fragte Britta besorgt, doch Ulla winkte ab.
„Ach nichts! Ich brauche noch Wodka, so wird mir wieder warm ums Herz.“ Dann umarmte sie ihre Schwester. „Es gibt für alles eine Lösung“, flüsterte sie noch, während beide einträchtig zurückgingen.
Als sie abends gemeinsam rund um das Feuer saßen und Joints kreisen ließen, war das meiste von Brittas Geschichte bereits weit hinten in Ullas Gedächtnis gestrandet, und je höher das Feuer loderte, desto glücklicher fühlte sie sich wieder. Sie lag mit dem Kopf im Schoß von Manuel und blickte hinauf zu den Sternen, während Britta auf ihrer Gitarre leise Lagerfeuersongs spielte.
Ulla hatte keine Ahnung, wie sie in ihren Schlafsack gelangt war, aber als sie erwachte, war es finstere Nacht, und Manuel schnarchte an ihrer Seite, eine leere Wodkaflasche wie ein Kuscheltier im Arm. Der Wind blähte die Zeltbahnen und von überallher waren die Geräusche des Waldes zu hören. Äste knackten und Gräser raschelten und eine flüsternde Stimme war zu vernehmen.
Eine Stimme? Wieso war hier im Wald eine Stimme zu hören? Ulla schreckte hoch, presste die Augen zusammen und konzentrierte sich auf die Geräusche. Sie versuchte alles, was zur Natur und zum Wald gehörte, einfach auszublenden, bis nur noch das fremde Geräusch übrig blieb. Genau, zwischen all dem Knacken und Rascheln und Flattern und Rauschen war ganz deutlich eine leise Stimme wahrzunehmen. Worte, die vom Wind zu ihr getragen wurden, die sie aber nicht verstand, da sie durch die aufgewühlte Luft in bedeutungslose Buchstaben aufgelöst worden waren. Dazwischen leises Hecheln und Schnauben, als würden Wölfe oder Hunde um das Zelt streichen.
„Britta, los, wach auf!“ Sie rüttelte ihre Schwester, die unter heftigem Gestöhne endlich die Augen aufschlug.
„Was ist denn los?“, murrte sie verschlafen.
„Da draußen ist jemand.“
„Nein, da ist niemand.“ Britta drehte sich wieder auf die Seite.
„Doch, eine Stimme ist da draußen. Weiter weg, aber sie ist da! Der Wind hat sie bis zu uns herübergetragen.“
„Du hast dich getäuscht. Los, lass uns weiterschlafen.“
„Nein. Konzentriere dich!“ Wieder zog sie ihre Schwester in die Höhe und hielt ihr die Hand wie einen Trichter hinter das Ohr. „Hörst du sie?“
„Ja, kann sein. Vielleicht hast du recht“, sagte Britta auf einmal zweifelnd.
Wahrscheinlich will sie mir nur einen Gefallen tun, dachte Ulla.
„Und wenn schon. Mit Manuel kann uns doch nichts passieren“, redete Britta verschlafen weiter.
„Wir müssen nachsehen, was da draußen los ist!“
„Alleine gehen wir da nicht raus. Es ist mitten in der Nacht. Weck doch Manuel auf.“
„Manuel ist zu besoffen. Er hat den ganzen Wodka leer getrunken.“
„Oh nein“, seufzte Britta.
„Was tun wir jetzt?“, ließ Ulla nicht locker. „Wir vergewissern uns doch nur, ob draußen alles in Ordnung ist. Kommst du mit? Sonst gehe ich alleine.“
„Okay, ich komme mit“, seufzte Britta gottergeben, schlüpfte aus ihrem Schlafsack und griff nach ihrer roten Strickjacke.
„Immer zusammen, niemals allein“, flüsterte Ulla und ballte ebenso wie Britta die Faust. Beide stießen ihre Fäuste gegeneinander und krochen aus dem Zelt. Immer zusammen, niemals allein … das ist unser Leitspruch, solange ich mich erinnern kann, dachte Ulla. Stimmt, sie war von ihrer Zwillingsschwester noch nie länger als einen Tag getrennt gewesen und konnte sich das auch nicht anders vorstellen. Niemand würde sie ihr wegnehmen.
Das Feuer war bereits zu einem glühenden Haufen niedergebrannt, in dem noch vereinzelte Flammen züngelten und von der Klinge des Jagdmessers reflektiert wurden, das Manuel mitgebracht hatte.
Rasch drehte sich Ulla zur Seite und presste die Fingerspitzen an die Schläfen, um die beginnenden Kopfschmerzen in Schach zu halten. Teile des Gesprächs, das sie mit Britta geführt hatte, flogen als leuchtende Sätze durch ihren Kopf, Worte blinkten verhängnisvoll, aber sie war zu müde und zu betrunken, um den Sinn dieser Botschaften zu erfassen.
Der Wind hatte sich ein wenig gelegt, aber das Knacken und Flattern war lauter geworden. Angestrengt lauschte Ulla, horchte auf die Stimme, hörte plötzlich einen leisen Pfiff am Waldrand, so, als würde jemand nach einem Hund pfeifen.
„Von den Bäumen dort, von dort kommt das Geräusch. Am Rand der Lichtung ist es“, flüsterte sie aufgeregt. „Da hat jemand gepfiffen!“
„Das ist doch die Grenze!“ Die Stimme von Britta klang ein wenig ängstlich. „Dort drüben ist Tschechien.“
„Na und? Du fürchtest dich doch nicht, oder?“
„Nein, natürlich nicht. Da haben wir schon Schlimmeres erlebt“, gab sich Britta mutig. „Mir ist nur furchtbar schlecht. Was hast du denn da bei dir?“
„Ach, nichts weiter.“
Hand in Hand schlichen die Mädchen über die Lichtung. Plötzlich hatte Ulla wieder das Gefühl, als würde sie beobachtet. Aber sie wollte ihre Schwester nicht erschrecken, deshalb sagte sie nichts, sondern starrte nur angestrengt in den Wald. Für einen kurzen Moment bildete sie sich ein, auf einem Baum ein Gesicht mit einer unförmigen dicken Brille zu sehen, doch als sie genauer hinschaute, war dort nur der undurchdringliche schwarze Wald.
Der Mond leuchtete still auf sie herab, und als sich Ulla kurz umdrehte, war noch das Glimmen des niedergebrannten Feuers zu erkennen. Die Glut war rot, und dieses Rot verstärkte sich noch, als eine Wolke den Mond verdeckte und sich die Lichtung schlagartig verfinsterte. In der Schwärze der Nacht schien die rote Glut die Mädchen wie ein Auge zu beobachten, jeden ihrer Schritte zu verfolgen, und als ein glühender Zweig zur Seite rollte, schien es, als würde Blut über den Boden rinnen.
Fünf Männer und eine Frau warteten bereits seit einer Woche in einer abgeschiedenen Hütte auf der tschechischen Seite der Grenze auf ihren Einsatz. In der Nacht der Sommersonnenwende war es endlich so weit und sie erhielten das Signal zum Aufbruch. Während sie den Anweisungen zuhörten, sich Details einprägten, schwärzten sie mit Farbe ihre Gesichter und überprüften ihre Sturmgewehre mit den Zielfernrohren. Sie mieden die Forstwege und bewegten sich im Schutz der hohen Bäume weiter, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Dort sammelten sie sich und krochen bis an den Rand des Waldes. Auf einem nahen Hügel war ein Sonnenwendfeuer fast niedergebrannt, glühte aber immer noch wie ein Höllentor in der Finsternis. Plötzlich tauchten zwei Schatten aus dem Dunkel auf. Sie huschten über eine Lichtung, die sich von dem Hügel bis zum Waldrand erstreckte. Durch die Nachtsichtgeräte wirkten die beiden Personen, die durch das Gras schlichen, wie Schatten aus einer anderen Welt. Sie mussten jung sein, denn ihre Silhouetten waren schmal und sie bewegten sich geschmeidig. Zügig strebten sie auf den Wald zu, und die Einsatztruppe wusste, dass jede weitere Verfolgung zwecklos sein würde, wenn die beiden den Wald erreichten. Im Dickicht würden sie zwischen Gestrüpp und Geäst verschwinden und sich in der Dunkelheit auflösen wie Spukgestalten, die sich nur zur Sommersonnenwende materialisieren.
„Ich schneide ihnen mit Francesca den Weg ab. Überall auf den Hügeln waren die Sonnenwendfeuer. Da fällt ein Pärchen auf der Lichtung nicht weiter auf“, flüsterte einer der Männer, der mittelgroß war und seine längeren schwarzen Haare zurückstrich. Als das Mondlicht auf sein kantiges Gesicht fiel, konnte man sehen, dass seine braunen Augen vor Energie leuchteten.
Wortlos hielt ein anderer Mann seinen Daumen nach oben und die beiden machten sich auf den Weg.