Traummänner gibt's hier nicht - Malu Mertins - E-Book

Traummänner gibt's hier nicht E-Book

Malu Mertins

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Beschreibung

Romantische Komödie mit frechen Dialogen vor der farbenprächtigen Kulisse des Indian Summers in Vermont.

Wenn du plötzlich zur Hauptdarstellerin in deiner eigenen romantischen Komödie wirst…

Journalistin Eva ist alles andere als begeistert von ihrem neuesten Auftrag, für den sie ihr Hamburger Großstadtleben gegen den ländlichen Charme Vermonts tauschen muss. Dort angekommen, wird sie nicht nur für eine Betrügerin gehalten. Sie darf sich auch ständig bissige Bemerkungen von einem ungehobelten Naturburschen anhören, der Großstadtbewohnerinnen nicht ausstehen kann. Doch wenn Citygirl auf Countryboy trifft, fliegen außer den Fetzen auch mächtig die Funken. Und schon steckt Eva mittendrin in ihrer ganz eigenen Liebeskomödie. Das sollen zumindest ihre Leserinnen glauben. Gefährlich für Evas Herz wird die Schummelei, als sich unter die inszenierte Romantik echte Gefühle mischen. Kann sie verhindern, dass aus ihrer romantischen Komödie ein Liebesdrama wird?

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Seitenzahl: 222

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ISBN: 978-3987560071 

© 2022 Kampenwand Verlag

Raiffeisenstr. 4 · D-83377 Vachendorf

www.kampenwand-verlag.de

Text: Malu Mertins

Coverdesign: Patricia Daniela Brenner, deincoverdesign.de

Bildnachweis: ©designloverstudio/Envato Elements

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

Herzlich willkommen in Bluberrywoods!

Die Kleinstadt in Vermont, in die es eine Hamburger Journalistin auf den kommenden Seiten verschlägt, habe ich schlichtweg erfunden. Daher auch der etwas blumig klingende Name.

Bluberrywoods hat allerdings reale Vorbilder. Das zauberhafte Städtchen Woodstock in Vermont, die Dörfer Peacham und Grafton, die allesamt zu den schönsten Orten des US-Bundesstaats zählen. Grafton hält sogar nach wie vor traditionelle ›Town Meetings‹ ab, wie sie auch in der Serie Gilmore Girls zu sehen sind.

Ich habe versucht, den Charme dieser realen Orte auf Bluberrywoods zu übertragen und hoffe sehr, dass dir die Bewohner und Gäste der Kleinstadt genauso ans Herz wachsen werden wie mir.

Viel Spaß mit den romantischen Eskapaden in den Wäldern des Green Mountain State!

Herzlichst

Malu

PS: Wie es zur Idee für Evas Geschichte kam, verrate ich dir in der Danksagung am Ende des Buchs.

Kapitel 1

»Das könnte doch Eva übernehmen.«

Eriks Stimme und der Klang meines Namens wecken mich aus meinem Entspannungsritual, in das ich während unserer montäglichen Redaktionskonferenz unwillkürlich abgetaucht bin. Nur widerwillig wende ich meinen Blick von den unzähligen Regentropfen ab, die sich an den bodentiefen Fenstern des Verlagshauses in der Hamburger HafenCity zu kleinen Rinnsalen verbinden. Die Monotonie des Regens vor dem grauen Hintergrund des Himmels wirkt angenehm beruhigend auf mich. Kein Wunder, dass ich mich nach langen Jahren der Abwesenheit in meiner Geburtsstadt so wohlfühle. Denn die Perle an Alster und Elbe hat das Thema tagelanger Nieselregen perfektioniert. Liest man nicht immer wieder, dass im Jahresschnitt in Hamburg weniger Wasser vom Himmel fällt als zum Beispiel in München? Das mag zusammengerechnet zwar stimmen, aber die Regenmenge, die in München bei einem Voralpengewitter innerhalb einer Stunde runterrauscht, verteilt sich in Hamburg gerne über zwei Wochen. Den Beweis dieser Behauptung habe ich seit vier Tagen vor Augen – und bin sozusagen dauerentspannt.

»Richtig«, ruft Janina, die Chefredakteurin unserer monatlich erscheinenden Frauenzeitschrift, als ich meine Aufmerksamkeit der Runde widme, die um den großen Tisch aus massivem Holz sitzt. Mich befällt eine leise Vorahnung, dass es mit meiner Entspannung gleich vorbei sein könnte. Meine Chefin thront auf ihrem Platz am Kopfende des hölzernen Monstrums, das wohl die Sterilität des minimalistischen Designs unserer Redaktionsräume aufbrechen soll. Ihre Lippen kräuseln sich nachdenklich, während sie mich eingehend mustert.

»Eva, unsere Anti-Romantikerin. Unser überzeugter Single«, sagt sie schließlich und tippt mit ihrem Zeigefinger auf eine Seite in ihrem aufgeschlagenen Notizbuch. »Eine Artikelserie über die Manipulationsmacht völlig abwegiger RomComs, Schnulzen und Liebesromane ist genau deine Kragenweite. Außerdem bist du quasi englische Muttersprachlerin und ich muss mir keine Sorgen machen, dass du in den USA nicht klarkommst.« Janina runzelt das, was das Botox in ihrer Stirnmuskulatur aktuell zulässt. »Ich frage mich, wieso ich nicht sofort an dich gedacht habe …«

Meine sieben anwesenden Kollegen sehen mich erwartungsvoll an. Erik, begnadeter Modefotograf und seit zwei Jahren mein Arbeitsehemann, hat ein breites Grinsen aufgesetzt.

»Leute«, ich schaue ungläubig in die Gesichter der übrigen Redakteure, »ich schreibe über erfolgreiche Frauen in der Wirtschaft. Was an romantischer Komödie oder Liebesschnulze klingt denn bitte schön nach mir?!« Mein Blick schnellt zu Janina. »Es ist also kein Wunder, dass du nicht an mich gedacht hast. Und was genau meinst du mit ›in den USA klarkommen‹?«

Janinas grau-blaue Augen fixieren mich. Mit einer grazilen Handbewegung streicht sie ihren akkurat geschnittenen, kinnlangen Bob zurecht. »Du wirst für dieses Projekt mehrere Wochen in den USA verbringen müssen. Das ist schließlich das Mutterland der Romance-Industrie und somit auch das Zentrum der Lügen und Manipulationen. Und genau die wirst du aufdecken.« Ihre flache Hand knallt auf die Tischplatte und lässt alle im Raum zusammenzucken. »Seit Jahrzehnten, ach was, seit Jahrhunderten wird uns suggeriert, dass es für jede von uns ein Happy End gibt. Der Traumprinz ist da draußen und durch einen irrwitzigen Zufall stolpert er in unser Leben. Das hässliche Entlein hat die Chance auf das große Glück mit dem Quarterback. Ein trotteliger Wissenschaftler kann die Cheerleaderin kriegen. Zwei Menschen, die sich zwar unausstehlich finden, sich aber dennoch zueinander hingezogen fühlen, retten gemeinsam eine kleine Pension an der Küste Neuenglands? Pah! So etwas passiert nie im echten Leben. Workaholic und Straßenmusikerin stoßen aus Versehen zusammen. Zack! Verliebt, verlobt, verheiratet! Das ist doch komplett unrealistisch! Sexy alleinerziehender Milliardär lernt durch die Nanny seiner Kinder wieder die Lust am einfachen Leben? Niemals! Und wir werden das beweisen.«

Mit jedem Wort von Janina wird mir ein wenig flauer im Magen.

»Das ziehen wir richtig groß auf. Tägliche Berichterstattung online – wie in den Anfangstagen des Bloggings –, natürlich Posts und Storys für unsere Social-Media-Kanäle und das große Finale bildet ein vierseitiger Artikel für unsere diesjährige Winterausgabe. Pünktlich zu den übertrieben romantischen und völlig unglaubwürdigen Liebesfilmchen, die zu Weihnachten von großen Sendern und den Streamingdiensten produziert und ausgestrahlt werden.«

Die Wangen meiner Chefin sind gerötet, an ihrem Hals haben sich hektische Flecken gebildet. »Nur um uns Frauen zu suggerieren, dass Prince Charming schon an der nächsten Ecke auf uns wartet. Dass ›happily ever after‹ keine Illusion ist. Dass die Liebe auf den ersten Blick mit einem attraktiven, wohlhabenden Mann, der dir jeden Wunsch von den Augen abliest, jeden treffen kann.« Mit ausladenden Gesten unterstreicht sie ihre Worte, während ich tief durch die Nase ein- und ausatme, um meine Übelkeit im Zaum zu halten. O Gott, das kann sie doch nicht ernst meinen?

Seit vor etwa einem halben Jahr Janinas Ehe mit einem Finanzberater in einer sehr unschönen Scheidung endete, ist sie den Themen Liebe und Romantik gegenüber eher abweisend eingestellt. Die Wunden sind immer noch frisch und alles, was nur ansatzweise nach ›Happy End‹ oder ›für immer und ewig‹ klingt, ist ihr ein Dorn im Auge. Als große Unterstützerin starker und unabhängiger Frauenpersönlichkeiten befürworte ich die Haltung, dass Frauen nach Beziehungen auf Augenhöhe streben sollten und sich nicht in die Abhängigkeit zu ihrem Partner begeben. Doch Janinas Vorhaben, romantische Roman- und Filmgenres zu zerpflücken, geht meiner Meinung nach nicht nur zu weit, sondern auch deutlich an den Interessen unserer Leserinnen vorbei. Wer sind wir denn, jemandem erzählen zu wollen, was er ab sofort nicht mehr gut zu finden hat, weil es nicht ganz der Realität entspricht?

Obwohl ich es nie vor irgendjemandem zugeben würde: Insgeheim stehe ich auf romantische Komödien und heiße männliche Helden in einem Liebesroman. Ich mag die zarten Annäherungen, genieße das Prickeln, wenn die Charaktere herausfinden, dass sie sich wie magisch zueinander hingezogen fühlen. Bei jedem Stein, der ihnen von Drehbuchschreibern und Autorinnen in den Weg gelegt wird, fiebere ich mit und bei den großen Gesten wünsche ich mir regelmäßig, dass sich auch um mich einmal jemand so sehr bemühen würde.

Meine Freunde, meine Kollegen, sogar mein Vater glauben, dass ich nur deshalb keine Beziehung habe, weil meine Karriere für mich an erster Stelle steht – und ich lasse sie gern in diesem Glauben. Es ist jedoch nur ein Teil der Wahrheit. Ja, mein Erfolg als Redakteurin ist mir wichtig und ich arbeite täglich auf eine Beförderung hin. Aber der Grund, wieso ich nicht häufig auf Dates gehe und seit Jahren keine Beziehung hatte, ist nicht mein Karrierestreben. Es ist eher die Angst davor, jahrelang in einer halb garen Beziehung zu versauern. Ist doch ganz in Ordnung, der Typ. Es prickelt zwar schon lange nicht mehr und eigentlich nervt mich auch, dass er nur zwei Gesprächsthemen kennt, aber hey, besser so als ganz allein. Nein danke, kann ich da nur sagen.

Vor einigen Jahren war monatelang ein deutscher Song in den Charts, in dem es darum ging, lieber eine mittelmäßige Beziehung zu wählen, als sich nach einem Absturz von Wolke sieben einsam zu fühlen. Für mich könnte nichts weiter entfernt von meiner Überzeugung sein, und so lautet mein Motto: Lieber glücklich als Single-Lady als auf einer beschissenen Pärchen-Wolke, die nur vier Zentimeter über dem Boden schwebt.

Einen weiteren großen Vorteil hat das Singleleben: Es meckert niemand an meinen Vorlieben herum. Was in meinem Fall so manches Winterwochenende mit nicht viel mehr als einigen Liebesromanen, etlichen Tassen Tee und einer dicken Wolldecke auf meinem Sofa einschließt.

Romantische Bücher und Filme lassen mich die Horrordates vergessen, die ich mit Männern hatte, und geben mir Zuversicht, dass es den einen für mich irgendwo da draußen gibt.

Janina und viele weitere Personen tun dies sicherlich als naive und realitätsfremde Vorstellung ab, aber tief in meinem Inneren gebe ich die Hoffnung auf ein ›happily ever after‹ für mich nicht auf.

Meiner Chefredakteurin spiele ich selbstverständlich weiterhin die Rolle der taffen Wirtschaftsjournalistin vor, die keinen Sinn für Romantik hat und diese Geschichte aus ganz anderen Gründen nicht machen möchte.

Als nach dem Ende der wöchentlichen Redaktionskonferenz meine Kollegen bereits den Raum verlassen, blockiere ich kurzerhand den Weg meiner Chefin zur Tür. Mit hochgezogener Augenbraue kommt sie langsam auf mich zu. Zum Glück trage ich hohe Schuhe, sonst würde ich mich noch kleiner fühlen, als ich es eh gerade tue.

»Ich bitte dich, Janina!« Flehentlich sehe ich sie an. »Das kann nicht dein Ernst sein. Mein Spezialgebiet sind Business-Ladies. Frauen, die wirklich etwas bewegen. Nicht irgendwelche Charaktere in Liebesgeschichten. Egal, ob völlig an den Haaren herbeigezogen oder realistisch«, schnaufe ich und hoffe, möglichst verächtlich zu klingen.

Janinas Blick ist durchdringend. Mit einer kurzen Handbewegung bedeutet sie mir, Platz zu nehmen, und zieht sich dann selbst einen Stuhl heran. »Eva«, sagt sie bestimmt, »du wirst diese Geschichte machen.« Fast unmerklich entspannt sich ihr Gesichtsausdruck und sie beugt sich ein wenig näher zu mir. Kurz legt sie ihre Hand auf meinen Arm. »Wie du weißt, leite ich seit Sonjas Weggang interimsweise das Ressort Reportage. Sollten wir diese Stelle intern besetzen, bist du meine erste Wahl. Aber das bedeutet auch, dass ich mich zu einhundert Prozent auf dich verlassen können muss. Du musst in der Lage sein, deine journalistische Komfortzone zu verlassen. Diese Berichterstattung ist deine Gelegenheit, mir genau das zu beweisen. Und meine Aufgabe an dich ist klar: Decke Manipulationen in diesem Geschäft auf, die zu völlig unrealistischen Erwartungshaltungen führen, und zeige, was das mit den Konsumentinnen macht.«

Mein Herzschlag beschleunigt sich und mir wird plötzlich sehr warm. Wow, Ressortleitung. Das wäre die Beförderung, auf die ich hinarbeite, seit ich vor zwei Jahren zur Zeitschrift gekommen bin. Mit dieser Artikelserie rückt sie plötzlich in greifbare Nähe. Wäre Janina nur nicht so verdammt überzeugt von ihrer Idee. Denn ich bin es leider nicht und ich kann mich auch nicht dazu überwinden, ihr das vorzugaukeln.

»Ich verstehe dich, Janina«, sage ich behutsam. »Aber ist es nicht auch so, dass viele Leserinnen von Liebesromanen und Fans romantischer Komödien es gut finden, dass diese nicht realistisch ihr Leben abbilden? Mögen sie vielleicht diese kleine Flucht aus dem Alltag, das Eintauchen in ein modernes Märchen, das Schwärmen für einen Book-Boyfriend ganz gerne? Und ist ihnen beim Zuklappen eines Romans nicht klar, dass der heiße Cowboy oder der dominante Milliardär nicht in ihrem Bett auf sie warten?«

Ich zögere, bevor ich meinen nächsten Gedanken ausspreche, denn er könnte dafür sorgen, dass Janina mich als potenzielle Ressortleitung direkt wieder streicht.

»Ehrlicherweise sehe ich nicht, wie wir bei unseren Leserinnen einen Blumentopf gewinnen können, indem wir romantische Storys verteufeln.«

Ein Augenmuskel in Janinas Gesicht zuckt für eine Millisekunde, ansonsten bleibt ihr Ausdruck völlig entspannt. »Ich denke, wir treffen damit den Zeitgeist.« Ihre Stimme klingt beherrscht. »Frauen haben es satt, dass man ihnen ständig irgendwelchen absurden Quatsch vorsetzt. Und mach mir nicht weis, dass du das nicht genauso siehst. Also setz dich in Bewegung und finde eine gute Story.«

Damit verlässt Janina den Raum.

Obwohl ich sie in diesem Moment nicht so gerne mag wie sonst, mache ich mir Sorgen um Janina. Bis vor etwa zwölf Monaten war sie eine wirklich angenehme Vorgesetzte mit sehr viel Erfahrung, von der wir alle in der Redaktion enorm profitiert haben. Nun befürchte ich, dass ihre persönlichen Erlebnisse aus dem letzten Jahr stark ihr Urteilsvermögen als Chefredakteurin beeinflussen. Dies dürfte auch der Verlagsleitung nicht verborgen geblieben sein. Spätestens seit Janina die Mai-Ausgabe unseres Magazins mit dem seit Monaten geplanten, sehr aufwendig gestalteten Hochzeitsspecial quasi über Nacht komplett umgekrempelt hat, behält das Management sie etwas mehr im Auge. Vielleicht befindet sie sich sogar auf einer möglichen Abschussliste des Verlagsmanagements.

Die gesamte Redaktion war entsetzt, als Janina, dreieinhalb Wochen bevor das Magazin in den Druck gehen sollte, verkündete, dass sie die fünfzig Sonderseiten zum Thema Hochzeit streiche und wir uns gefälligst ein anderes Special überlegen sollen. Dabei steckten in diesen Seiten unzählige Stunden an Arbeit. Ich hatte für den Themenschwerpunkt Interviews mit einer Fachanwältin für Familienrecht geführt, um die zehn wichtigsten Tipps für Eheverträge zusammenzustellen. Gemeinsam mit einer Steuerberaterin habe ich für unsere Leserinnen einen Mini-Ratgeber für die Wahl der optimalen Steuerklasse erarbeitet. Dank Janina versauert beides bis heute in einem Ordner auf unserem Redaktionsserver.

Die Vehemenz, mit der unsere resolute Chefin alles Positive zu Liebe, Romantik oder Ehe ausklammert, könnte dafür sorgen, dass sie schon in naher Zukunft nicht mehr als Chefredakteurin des SHINE Magazins die Zügel in der Hand hält. Was in diesem Fall auch bedeuten würde, dass meine potenzielle Beförderung in weite Ferne rückt.

Kapitel 2

Auf dem Weg zurück in mein Büro fängt Erik mich an der Kaffeeküche ab. Noch immer trägt er ein breites Grinsen im Gesicht.

»Schadenfreude steht dir nicht«, zische ich und schiebe mich an ihm vorbei zum Wasserkocher, den ich befülle und einschalte. Ich brauche unbedingt einen Beruhigungstee. Meine Kolleginnen aus dem Health Resort haben glücklicherweise immer einen großen Vorrat an Produktproben aller neuen, hippen Teesorten und so habe ich die Auswahl zwischen ›Atme Tief‹, ›Achtsamer Morgen‹ und ›Seelenreiniger‹.

Erik lehnt sich an den Türrahmen und beobachtet mich lächelnd.

Aus den Augenwinkeln schieße ich ihm einen möglichst fiesen Blick zu. »Du kannst dir schon mal überlegen, wie du das bei mir wiedergutmachen willst.«

Vorsichtig gieße ich den Beutel ›Achtsamer Morgen‹ in meiner Tasse mit heißem Wasser auf. Während der Tee zieht, gehe ich die zwei Schritte zu meinem Arbeitsehemann rüber und bohre ihm den Fingernagel meines rechten Zeigefingers in die Brust. »Was hat dich nur geritten, ausgerechnet bei diesem Thema meinen Namen ins Spiel zu bringen?«, knurre ich.

Abwehrend hebt Erik beide Hände. »War nur so ein Impuls. Ich dachte wirklich, das könnte dir Spaß machen.«

Kopfschüttelnd gehe ich zu meiner Tasse zurück, deren Inhalt die kleine Teeküche mit den Aromen von Ingwer, Orange und Zitronengras füllt. »Manchmal denke ich, du kennst mich gar nicht«, murmele ich in Eriks Richtung. Dabei kennt er mich vermutlich viel zu gut, schießt es mir durch den Kopf. Ahnt Erik, dass ich seit Jahren erfolgreich meine Sehnsucht nach Romantik verberge?

»Vielleicht weiß ich aber auch einfach viel besser als du, was du wirklich brauchst«, sagt er just in diesem Moment und zwinkert mir zu. »Pass auf, ich habe ein Friedensangebot für dich. Wieso kommst du nicht heute Abend zu uns und wir verwöhnen dich mit einem Drei-Gänge-Menü? Mit passender Weinbegleitung. Marco hat dich schon so lange nicht mehr gesehen und du weißt, wie gern er den Gastgeber spielt.«

Erik ist sich natürlich darüber im Klaren, dass ich zu einem von Marco gekochten Abendessen niemals Nein sagen würde. Und es stimmt: Den letzten weinseligen Abend zu dritt haben wir irgendwann im Frühjahr verbracht.

»Wann soll ich da sein?«

Bis zum frühen Abend hat nicht nur das Wetter aufgeklart. Nachdem ich es mental geschafft habe, mich in dieser Romantik-Sache meinem Schicksal zu ergeben, gelang es mir über den Nachmittag, einen interessanten Ansatzpunkt für eine Story zu finden. Gut gelaunt mache ich mich bei strahlendem Sonnenschein auf zur Wohnung von Erik und Marco. Am Baumwall steige ich in die U-Bahn, die an dieser Stelle eine Hochbahn ist, und wieder einmal wird mir klar, dass Hamburg die schönste Stadt der Welt ist. Links von mir glitzert die Elbe im Licht der Abendsonne, während die Waggons der Bahn an Bürofenstern und Balkonen vor schicken Altbauwohnungen vorbeirattern. Hier brechen Menschen auf in den Feierabend, dort hat er für einige Familien bereits begonnen. Sonnenstrahlen fallen durch die Häuserlücken und die Luft, die bei jedem Halt entlang der Hochbahnstrecke in den Waggon strömt, riecht nach Sommer.

Seit zwei Jahren ist meine Geburtsstadt Hamburg wieder mein Wohnort. Ich scheue mich davor, die Hansestadt mein Zuhause zu nennen, denn trotz meiner Begeisterung für die Perle an der Elbe fühlt es sich noch nicht danach an. Vielleicht bin ich einfach zu viele Male in meinem Leben umgezogen, um mich irgendwo heimisch fühlen zu können. Durch den frühen Tod meiner Mutter und das unstete Leben meines Vaters, der als Kunsthändler rund um den Globus unterwegs war, entwickelte ich schon früh eine Art Nomadenmentalität und habe mir irgendwann nicht mehr erlaubt, zu viele sentimentale Bindungen an einen Ort zuzulassen.

Nach der Zeit des Herumgeschlepptwerdens durch meinen Vater als Vorschulkind, den vier Grundschuljahren bei meiner Oma in Heidelberg, der Gymnasialzeit auf einem Schweizer Internat und dem Studium an drei Universitäten auf drei Kontinenten hatte ich auch als angestellte Redakteurin nie ein Problem, für ein interessantes Stellenangebot die Stadt zu wechseln.

Möglicherweise ist meine Rastlosigkeit auch einer der Gründe dafür, dass ich mich so schnell mit dem neuen Auftrag von Janina anfreunden konnte. Ich war schon lange nicht mehr in den USA und hatte beim Gedanken daran, dort einige Wochen verbringen zu dürfen, direkt ein wenig Reisefieber.

Am Eppendorfer Baum steige ich aus, um dort, ganz am Ende der Isestraße, in einen unscheinbaren Hinterhof einzubiegen. Verdeckt von den weißen Prachtbauten nach altenglischem Vorbild, die entlang der Straße mit dem bekannten Wochenmarkt über die Jahre hinweg vermutlich hunderttausende Touristenfotos zieren, liegt ein Betonbau aus den späten Sechzigerjahren. Inzwischen vollständig renoviert und modernisiert, beheimatet dieser erstaunlich schöne Wohnungen. Das Penthouse mit einer spektakulären Dachterrasse bewohnen meine Freunde Erik und Marco.

Schon als ich aus dem Aufzug steige, kann ich die Vorboten von Marcos Kochkünsten riechen, denn die Wohnungstür der beiden steht sperrangelweit offen.

»Hallo«, rufe ich und klopfe an die geöffnete Tür. Von links wandert ein Sektglas in mein Blickfeld, in dem einige Himbeeren schwimmen, und schon steht Erik vor mir.

»Aperitif, die Dame?«

Dankbar greife ich zu. »Da sage ich nicht Nein.« Wir prosten uns zu. »Vielen Dank für die Einladung!«

Erik schließt die Wohnungstür und geht dann voraus zur Dachterrasse, die einen fantastischen Ausblick über die umliegenden Häuserreihen mit ihren geschwungenen Dachgiebeln bietet.

»Du siehst übrigens gar nicht mehr so niedergeschlagen aus wie heute Vormittag«, sagt mein Arbeitsehemann, nachdem wir auf der Loungegarnitur zwischen einem kleinen Urwald an Pflanzen Platz genommen haben.

»Nur keine falsche Hoffnung, du hast dennoch etwas gutzumachen«, gebe ich grinsend zurück und nippe an meinem Prosecco. »Aber ich habe tatsächlich festgestellt, dass Janinas Vorschlag vielleicht doch nicht so abwegig ist, wie ich zunächst dachte.«

»Soso«, kommentiert Erik mit einem zufriedenen Zug um den Mund.

»Ich war ganz erstaunt, dass meine Recherchen ergeben haben, dass Liebesgeschichten ein Milliardengeschäft sind. Ob im Kino, im Fernsehen, bei den großen Streamingdiensten oder im Buchmarkt. Und sowohl die Konsumentenseite als auch die Produzenten sind überwiegend weiblich. Das ist in einem so großen und durchaus umkämpften Markt wirklich außergewöhnlich. Es gibt unzählige extrem spannende Autorinnen, Lektorinnen, Verlegerinnen, Regisseurinnen und Filmproduzentinnen. Allein dies wäre für mich schon eine Story wert. Eine, die auch heute in mein Portfolio passen würde. Aber ich habe mich natürlich darum bemüht, einen Ansatzpunkt für eine Story zu finden, die Janina gefällt und die gleichzeitig zu SHINE passt – und ich denke, ich bin fündig geworden.«

»Dass du ihre Idee von heute Morgen nicht gut fandst, war für alle in der Redaktion deutlich zu sehen.«

Zerknirscht sehe ich zu ihm rüber. »Das war nicht meine Absicht. Ich finde, Janina ist eine großartige Chefredakteurin. Sie muss nur ihr Mojo wiederfinden. Seit der Scheidung ist sie einfach aus dem Takt, was Liebe und Romantik betrifft. Ihr Konzept für die Story passt nicht zu SHINE. Unser Magazin steht für positive Energie, für starke Weiblichkeit und Empowerment. Da können wir nicht aus einer Laune heraus hingehen und die komplette Romance-Industrie in Grund und Boden schreiben. Janina wird das ganz sicher erkennen.«

»Was hab ich verpasst?« Eriks Ehemann Marco tritt mit einem großen Tablett in den Händen auf die Terrasse. Gekonnt platziert er eine Tapas-Auswahl auf dem kniehohen Tisch, der sich zwischen den beiden Outdoor-Sofas befindet, und lässt sich dann neben Erik nieder. Die beiden lächeln sich an und tauschen einen vertrauten Blick. Es sind Momente wie diese, in denen ich mich nach einem Partner sehne, wie er auch in meinen Lieblingsromanen und -filmen vorkommt. Einen Mr. Right, nicht nur einen Mr. Right Now. Einen Vertrauten, der mir ebensolche Blicke zuwirft, wie sie sich gerade zwischen Marco und Erik abgespielt haben. Jemanden, mit dem graue Tage weniger grau wirken, mit dem sich der Alltag mühelos anfühlt und gemeinsame Wochenenden wie ein Kurzurlaub. Mit dem mir der Gesprächsstoff nie ausgeht, weil wir uns für die Gedanken des jeweils anderen interessieren. Einen Mann, mit dem ich mich als Teil eines Teams fühle.

Häufig frage ich mich, ob meine romantischen Vorstellungen völlig realitätsfremd sind. Aber dann treffe ich auf Paare, wie das, mit dem ich den heutigen Abend verbringen darf und schöpfe wieder Hoffnung.

»Neben Inspirationen für neue Möbel habe ich auch einige Rezepte aus Barcelona importiert. Die musste ich heute natürlich gleich ausprobieren. Ihr seid sozusagen meine Versuchskaninchen«, erklärt Marco, während Erik uns einen Rioja einschenkt. Marco ist ein erfolgreicher Möbel-Designer, der schon für etliche internationale Marken gearbeitet hat. Gerade ist er frisch zurück von einer großen Möbelmesse in der katalanischen Metropole.

»Bei deinen phänomenalen Kochkünsten darfst du mich jederzeit als Versuchsobjekt einsetzen«, sage ich mit einem hungrigen Blick auf die Auswahl an Köstlichkeiten vor mir.

Während wir uns an den Tapas bedienen, kommt Erik auf unser Gespräch von vorhin zurück. »Ist es dir gelungen, einen positiven Aufhänger für die Geschichte zu finden?«

Nachdenklich schwenke ich mein Rotweinglas und lasse die Flüssigkeit darin kreisen. »Ich habe mich gefragt, wie es wäre, wenn wir die Klischees, die den Leserinnen und Zuschauerinnen in romantischen Komödien immer und immer wieder präsentiert werden, auf unterhaltsame Weise in der realen Welt testen.«

Marco und Erik schauen mich verständnislos an.

»Na, ihr wisst schon, so etwas wie: Naives Mädchen vom Lande will es in der großen Stadt schaffen. Natürlich passieren ihr jede Menge Missgeschicke, aus denen sie schließlich von einem extrem gut aussehenden und extrem erfolgreichen Typen gerettet wird.«

Erik krümmt sich vor Lachen. »Entschuldigt«, keucht er schließlich. »Ich habe mir nur gerade vorgestellt, wie Eva verzweifelt versucht, das Mädchen vom Lande zu spielen.« Liebevoll sieht er mich an. »Sorry, aber du bist nun einmal durch und durch eine Stadtpflanze.«

Nachdenklich sehe ich auf mein schwarzes Etuikleid und meine nudefarbenen Velourslederpumps hinunter. Ich liebe es, mich zurechtzumachen und meine wasserhellen Augen mit entsprechendem Make-up zu betonen. Ich mag schöne Kleider und besondere Accessoires. Ein Tag, an dem meine dunkelbraunen Haare ein Eigenleben führen wollen und nicht glänzend in leichten Wellen über meine Schultern fallen, ist kein besonders guter Tag für mich.

»Okay, okay«, wiegele ich ab. »Dann bin ich eben die Lady aus der Stadt, die das Dorfleben aufmischt.«

Ein erneuter Lachanfall schüttelt Erik. »Hast du überhaupt ein einziges Paar flache Schuhe? Warst du jemals wandern – oder was man auf dem Land sonst so Langweiliges macht?«

Marco und ich sehen uns augenrollend an. »Ja, ja, zugegeben, hier und da habe ich es noch nicht zu Ende gedacht. Natürlich steht jede Menge Recherche auf dem Plan, aber ich denke, so in die Richtung könnte das klappen, ohne dass Janina für ihre Idee gefeuert wird.« Erik kichert erneut los. »Sehr witzig«, sage ich und werfe meine Serviette nach ihm. »Pass bloß auf, wenn ich nächsten Montag ein Konzept für die Artikelserie präsentiere, das die komplette Redaktion aus den Socken haut.«

Kapitel 3

»Vermont«, verkünde ich eine Woche später um neun Uhr dreißig gleich zu Beginn unserer Redaktionskonferenz. Meine Kollegen, einschließlich Janina, sehen mich ratlos an.

»Die kleine Stadt Bluberrywoods in Vermont, um genau zu sein.« Ich schließe meinen Laptop an das Projektor-System des Konferenzraums an und Sekunden später flimmert eine Slideshow über den großen Monitor, die baumbedeckte Hügel zeigt, deren Blätter in herbstlichen Farben leuchten, einsam liegende Farmhäuser, eine pittoreske Innenstadt mit kleinen Läden und Lokalen, die berühmten überdachten Brücken aus Holz und schnuckelige Häuschen an einem See.

»Bluberrywoods war Vorbild für etliche fiktive Orte in romantischen Komödien, Weihnachts-Lovestorys und Romanen, die in Vermont angesiedelt sind. Ihr könnt es euch ähnlich vorstellen wie Stars Hollow in der Serie Gilmore Girls. Nur dass es diese Kleinstadt tatsächlich gibt. Sie nutzen sogar die Anspielung auf Stars Hollow in ihrem Ortsmarketing.«

Einige begeisterte »Ahs« und »Ohs« erklingen im Raum. Auch mir ging es so, als ich vergangene Woche meine Recherche startete. In Vermont scheint es an optischen Highlights nicht zu mangeln.

Bevor ich weiter auf mein Konzept eingehen kann, fliegt die Tür des großen Meetingraums auf und Jakob Noster tritt mit energischen Schritten ein. Obwohl er schon aufgrund seiner Größe von über einem Meter neunzig die Aufmerksamkeit auf sich zieht, liebt er den großen Auftritt. Er ist einer der Topmanager im Verlag und bekannt dafür, Projekte, Konzepte und manchmal auch Menschen in der Luft zu zerreißen, wenn sie nicht zu einhundert Prozent seinen Vorstellungen entsprechen. Angeblich hat er schon gestandene Männer zum Weinen gebracht. Für mein eigenes Nervenkostüm hoffe ich, das ist nur ein Gerücht.

Wie immer akkurat gekleidet, trägt er auch heute einen anthrazitfarbenen Dreiteiler mit Krawatte und farblich abgestimmten Schuhen. Seine Haare sind streng nach hinten gegelt. Es fehlt nur noch eine verspiegelte Sonnenbrille und er würde als Mafioso in einem Hollywoodfilm durchgehen. Genau aus diesem Grund wird er heimlich Cosa Nostra genannt. Der Spitzname wurde ihm vor Jahren wohl von einem Praktikanten verpasst und hält sich seither hartnäckig, ohne dass der Träger davon weiß. Mit der einen Hand einen Kaffeebecher auf einem dicken Notizbuch balancierend, schmeißt er mit seiner anderen Hand die Tür hinter sich zu und lässt sich am Kopfende des Tisches nieder. Kaffeetasse und Notizbuch platziert er mit einem lauten Klack vor sich. »Lassen Sie sich von mir nicht stören. Ich möchte mir nur kurz einen Überblick zu den geplanten Themen im SHINE Magazin verschaffen.« Er sieht mit einem durchdringenden und nicht gerade freundlichen Blick zunächst Janina an, dann wandern seine stahlgrauen Augen zu mir. Wie ein König seinem Hofnarren bedeutet er mir mit einer schnellen Geste seiner rechten Hand weiterzumachen.