Traumtörtchen - Julia Simon - E-Book
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Julia Simon

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Beschreibung

Zum Glück braucht man nur Liebe und Törtchen


Ein eigener Törtchenladen, davon hat Nina schon immer geträumt. Dass die Liebe zum Backen ihr Leben derart auf den Kopf stellen würde, hätte sie jedoch niemals gedacht: Ihr neuer Nachbar, der Kinderzahnarzt Matthias, bringt ihr Herz gehörig zum Rasen - eigentlich etwas Wunderbares, wäre da nicht ihr Freund Sören, mit dem sie eine Familie gründen wollte. Doch als die Eröffnung ihres Ladens immer näher rückt, wächst auch Ninas Herzensnot - denn Matthias ist stets zur Stelle, während Sören sich zurzeit vor allem für seine Karriere zu interessieren scheint. Soll sie es wagen, alles auf eine Karte zu setzen und auch der Liebe eine neue Chance geben?



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Seitenzahl: 354

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Inhalt

TitelZu diesem BuchWidmungProlog123456789101112131415161718192021222324252627282930313233343536EpilogRezepteZitronen-Mohn-Muffins im WaffelbecherMarmelinas Möhren-Walnuss-TorteWhite-Chocolate-Kürbiskern-CookiesWindbeutelchen mit roter GrützeMini-Gugelhupf mit Sahnequarkfüllung und Himbeeren obendraufDanke!Die AutorinImpressum

JULIA SIMON

Traumtörtchen

Roman

Zu diesem Buch

Ein eigener Laden, in dem sie ihre köstlichen Backkreationen verkaufen kann und eine kleine Familie: Davon hat Nina schon immer geträumt. Der erste Punkt auf der Liste soll nun endlich wahr werden, denn ihr Job als Unternehmensberaterin macht sie schon lang nicht mehr glücklich. Doch dass dieser Entschluss ihr Leben derart auf den Kopf stellen würde, hätte sie im Traum nicht gedacht. Ihr neuer Nachbar, der charmante Kinderzahnarzt Matthias, lässt die Schmetterlinge in ihrem Bauch gehörig tanzen, und das obwohl sie liiert ist. Allerdings scheint ihr Freund Sören sich zurzeit vor allem für seine Karriere zu interessieren, während Matthias sie unterstützt, wo er kann und sich damit unaufhörlich weiter in ihr Herz schleicht. Je näher die Eröffnung ihres Törtchenladens rückt, desto größer wird Ninas Seelennot. Denn so gern sie sich einfach mit fliegenden Fahnen auf eine neue Liebe einlassen würde, es gibt einen Haken: Matthias hat bereits zwei Kinder aus einer früheren Ehe und will keinen weiteren Nachwuchs mehr. Ein Leben ohne Kinder kann sich Nina aber nicht vorstellen …

Das Schöne an Träumen ist, dass sie manchmal

wirklich in Erfüllung gehen.

Prolog

Das erste freie Wochenende seit Langem. Nina ging mit federnden Schritten die Hauptstraße ihrer Heimatstadt Bad Treibach entlang. Dort reihten sich frisch herausgeputzte Fachwerkhäuser wie Perlen an einer Schnur. In den unteren Etagen luden kleine Läden zum Shoppen ein, und neben den Eingangsstufen blühten Osterglocken und Narzissen in hübschen Terracottatöpfen. Nina war so lange nicht hier gewesen. Die Fleischerei war noch an der gleichen Stelle, nur dass sie heute eine breitere, automatisch öffnende Tür hatte und drinnen Stehtische aufgestellt waren. Nina erinnerte sich noch daran, wie sie hier früher eine Scheibe Fleischwurst oder ein Puppenwürstchen über die Theke gereicht bekam. Die italienische Eisdiele wurde inzwischen in der zweiten Generation von einer türkischen Familie geführt. Wie es aussah, war sie noch immer ein beliebter Treffpunkt. An diesem lauen Frühlingsabend hatten sich einige Jugendliche mit Mofas und Fahrrädern vor dem Eingang versammelt. Das kleine Café mit der efeubewachsenen Pergola war neu, ebenso der Wollladen und das Teegeschäft. Vielleicht schaffte sie es morgen, mit ihren Eltern hier noch einmal entlangzubummeln. Jetzt hatte sie dafür keine Ruhe, denn sie war auf dem Weg zum Klassentreffen. Sie feierten das fünfzehnjährige Jubiläum ihrer Konditorausbildung.

Nina war ein wenig aufgeregt. Sie war lange nicht mehr bei diesen Treffen gewesen, und heute würde sie ihre ehemaligen Klassenkameradinnen endlich wiedersehen. Mit einigen war sie über Facebook lose in Kontakt geblieben, mit ihrer besten Freundin Beatrix hatte sie wenigstens noch ab und zu telefoniert. Bei Beas Hochzeit war sie Trauzeugin gewesen, aber zu ihren Geburtstagspartys hatte sie es nie geschafft. Immerhin wusste sie, dass Bea inzwischen zwei Kinder, ein Haus und ein kleines Café auf dem Land hatte. Auf das Wiedersehen mit ihr freute sie sich am meisten.

Die Ausbildung hatte Spaß gemacht, auch weil sie so eine tolle Truppe waren. Natürlich war ihr nicht jede ans Herz gewachsen, und auf eine konnte sie sogar gut verzichten: auf Annabelle, denn die betrachtete sie alle nur als Rivalinnen. Als Nina knapp vor ihr als Jahrgangsbeste abschloss, hatte Annabelle kein Wort mehr mit ihr gesprochen, ihr nicht mal gratuliert. Was aus der wohl geworden ist? Nina war gespannt. Sie konnte Annabelle jedenfalls selbstbewusst gegenübertreten.

Ihre Pfennigabsätze klackten über das Kopfsteinpflaster der stillen Straße. Bis auf das Knattern der Mofas vor der Eisdiele gab es hier keinen Verkehrslärm.

Nina hatte sich mit ihrem Outfit besondere Mühe gegeben und eines ihrer Lieblingskleider angezogen: ihr rotes Boss-Kleid mit plissiertem Rock. Damit sie nicht nach Business aussah, trug sie dazu eine weiße wollene Strickjacke und rote Pumps im Ton des Kleides.

Sie sah das Gasthaus von Weitem. Vor der Tür hatte sich ein Pulk schicker junger Frauen versammelt, die noch eine Zigarette rauchten und auf Nachzügler warteten. Am liebsten wäre Nina die letzten hundert Meter gerannt, zumal sie Beatrix schon ausmachen konnte. In freudiger Erwartung ging sie auf die Gruppe zu.

»Ninaaa!« Beatrix rannte ihr entgegen und umarmte sie stürmisch.

»Wenn du diesmal nicht gekommen wärst, hätten wir dich von der Polizei abholen lassen.«

Nina begrüßte auch die anderen, und es gab ein großes Hallo.

»He, gut siehst du aus!«

»Und du erst!«

»Tolles Kleid!«

»Schicke Frisur!«

»Endlich sieht man dich wieder!«

Alle waren elegant bis partytauglich gekleidet, nur Annabelle trug ein dunkelblaues Kostüm, als käme sie aus einer Vorstandssitzung, und Birgit war in Jeans und Pullover. Anders hatte Nina sie auch noch nie gesehen. Irgendjemand drückte ihr ein Glas Prosecco in die Hand, und sie stießen miteinander an, bevor sie endgültig hineingingen.

Drei Stunden später waren sie leicht beschwipst. Im Raum lag ein feiner Bratenduft. Das warme Buffet wurde abgeräumt, die Desserts blieben noch stehen.

Plötzlich kamen wie auf Kommando die Fotoalben auf den Tisch. Zu dritt und zu viert steckten sie die Köpfe zusammen, und bald hatte Nina gefühlte fünfhundert Kinderfotos bestaunt.

»Das ist in unserem letzten Urlaub am Bodensee, da hat Ben sein Seepferdchen gemacht.«

»Mit fünf, toll, herzlichen Glückwunsch!«

Das Lob galt einem knuffigen blonden Jungen in grüner Badehose, der stolz vor dem Schwimmbecken posierte und ein aufblasbares Krokodil hochhob. Stolz und glücklich schaute er zu seiner Mama, die auf den Auslöser drückte. Nina spürte ein Ziehen in der Brust: Würde ein Kind sie jemals so anschauen?

»Die nächste Runde Prosecco, Mädels!«

Katrin stellte ein Tablett auf den Tisch und verteilte die Gläser.

»Für mich kam bei beiden Kindern nur eine natürliche Geburt infrage.« Sigrid streichelte über ihren gewölbten Bauch und schob ihr Prosecco-Glas zu Nina. »Beim dritten machen wir jetzt eine Hausgeburt. Das ist ein einmaliges Erlebnis. Es soll ganz entspannt und ohne technische Hilfe auf die Welt kommen.«

»Meine Große hat zwanzig Stunden gebraucht, bis sie draußen war«, warf Katrin ein. »Und zum Schluss ist bei mir alles aufgerissen. Ich lag danach noch eine Stunde im OP und wurde wieder zugenäht.« Erschrocken schaute sie Sigrid an: »Entschuldige, ich will dir natürlich keine Angst machen, das vergisst man ja alles auch schnell wieder.«

Nina wurde flau im Magen. Sie war eine der Wenigen unter ihnen, die noch keine Kinder hatten, und mit Mitte dreißig die Älteste, weil sie vor der Ausbildung Abitur gemacht hatte.

»Genießt es, solange eure noch klein und kuschelig sind. Wenn sie erst mal in der Pubertät sind, reden sie kaum noch mit einem. Ich sag’s euch.« Birgit kippte ihr Glas Prosecco in einem Zug hinunter. Sie hatte gleich nach der Gesellenprüfung das erste Kind bekommen und arbeitete seitdem stundenweise in der Bäckerei ihrer Eltern. »Nina, du hast es richtig gemacht. Du hast wenigstens was von der Welt gesehen und eine steile Karriere hingelegt.« Birgit seufzte. »Das werde ich in diesem Leben nicht mehr schaffen.«

»Du bist Anfang dreißig.« Nina verdrehte die Augen.

»Ach trotzdem, der Zug ist abgefahren.« Birgit stupste sie an. »Erzähl mal. In welchen Metropolen hast du denn gearbeitet, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben? New York, Rio, Tokio?«

Nina schüttelte den Kopf.

»Ach komm, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Lass mich mal ein bisschen Flair der großen weiten Welt schnuppern. Ich sehe dich vor mir, wie du nach einem harten Arbeitstag in einer Großstadt mit deinen High Heels in eine Hotelbar stöckelst, dich auf einen Barhocker setzt, dein Haar zurückwirfst und dir von schicken Anzugträgern einen Martini nach dem anderen spendieren lässt.«

»Sag mal, wie viele Gläser hast du denn heute schon getrunken?«

»Och, ich habe nicht mitgezählt. Ich komme ja kaum mal abends raus. Also muss ich die paar Gelegenheiten ordentlich nutzen.« Birgit schaute auf ihre Uhr. »Da fällt mir ein, ich muss kurz zu Hause anrufen. Ich höre lieber mal nach, was die Jungs so treiben, wenn sie heute sturmfrei haben.«

Nina nahm ihr Glas, schob sich an Sigrid, Katrin und Birgit vorbei und schlenderte zum anderen Ende der langen Tafel. Denn da war bei Beatrix ein Platz frei geworden, weil Mia sich zu Carolin gesellt hatte. »Von euch habe ich heute noch nicht so viel mitbekommen«, sagte Nina lächelnd.

»Du kommst gerade richtig. Ich zeige die Fotos von unserem Anbau.« Wiebke gab eines zu Nina. »Beas Haus hast du jetzt verpasst.«

»Das bekommst du nachher noch zu sehen.« Beatrix klopfte auf den Platz neben sich.

»Ähm, prima.« Nina schob sich auf den leeren Stuhl.

»Und das hier ist das Foto von unserer Rosenhochzeit.«

Wann feiert man denn Rosenhochzeit? Nina überlegte fieberhaft und schaute auf das Bild, das ihr Wiebke stolz hinhielt. Darauf sah sie ein glückliches Paar mit zwei Kindern im Grundschulalter, umringt von Großeltern, Onkel, Tanten, Nichten und Neffen. »Herzlichen Glückwunsch noch! Toll, wenn man eine so große Familie hat.«

»Ach manchmal nerven sie auch, aber dann mache ich einfach die Tür zu.«

Wiebke legte den Arm um Nina. »Jetzt erzähl du mal von deiner tollen Karriere. Wir sind alle so stolz auf dich.«

Beatrix legte die Fotos zur Seite, die sie gerade in der Hand hatte. »Ja genau. Wir wollen alles wissen.«

Birgit krähte vom anderen Ende des Tisches: »Genau, erzähl doch endlich, was in New York, Rio, Tokio abgeht.« Nina spürte alle Blicke auf sich.

Im Raum war es plötzlich mucksmäuschenstill, und ihre Klassenkameradinnen sahen sie erwartungsvoll an. Sie holte tief Luft. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Nach dem BWL-Studium habe ich in einer Beratungsfirma angefangen, aber das wisst ihr ja noch. Die Arbeit ist unheimlich anstrengend, macht aber Spaß. Ich bin andauern unterwegs. Allerdings nicht in New York, Rio, Tokio, sondern eher im Schwarzwald, in Stuttgart oder in Niedersachsen.

Das Aufregendste war ein zweimonatiger Einsatz in London, doch da habe ich von der Stadt praktisch nichts gesehen, nur das Büro und das Hotelzimmer.«

»Bist du schon im Management? Schließlich muss sich dein Studium ja bezahlt machen.« Annabelle saß schräg gegenüber von Nina und schaute sie nun fragend an. »Du hast es ja jetzt noch nicht gehört, aber ich werde nächstes Jahr in die Geschäftsleitung berufen. Und das hat nichts damit zu tun, dass die Großbäckerei meiner Familie gehört. Das musste ich mir alles hart erarbeiten.«

Nina hätte am liebsten die Augen verdreht, stattdessen lächelte sie und beglückwünschte Annabelle. »Mal schauen. Ich soll dieses Jahr auch befördert werden, aber ob es dazu kommt, hängt von mehreren Faktoren ab.«

Beatrix stupste Nina an. »Jetzt erzähl uns doch mal die wirklich wichtigen Dinge: Was machen denn die Männer?«

Nina dachte an Sören, und ihre Mundwinkel gingen automatisch nach oben. Schade, dass er dieses Wochenende nicht gemeinsam mit ihr in Bad Treibach verbringen konnte. Er war gestern zu einem Mammut-Projekt nach München gefahren. Sie öffnete auf ihrem Smartphone die Fotodatei und suchte ihr Lieblingsfoto heraus, das Selfie von Sylt. Am Anfang ihrer Beziehung waren sie für drei Tage spontan nach Westerland geflogen. Auf dem Bild saßen sie im Strandkorb und stießen gerade mit Champagner auf das perfekte Wochenende an. Sören sah trotz der vom Wind zerzausten Haare smart aus, smart und erfolgreich. Er war ein bis zwei Zentimeter größer als sie und hatte blondes, volles Haar und braune Augen. Sie vermisste ihn.

»Ich bin seit drei Jahren mit meinem Freund Sören zusammen, wir haben uns bei der Arbeit kennengelernt.« Genau genommen war Sören ihr Chef, weshalb sie ihre Beziehung bei der Arbeit nicht an die große Glocke hängten. Die Heimlichtuerei störte sie oft, aber das Wichtigste war, dass sie blendend zueinander passten und das beide wussten.

Wiebke zeigte auf den Strandkorb. »In der Mitte habt ihr noch ein bisschen Platz. Da zwischen euch würde so ein kleines Dötzchen gut hinpassen.«

»Genau! Wann sehen wir Familienfotos von euch? Oder willst du warten, bis du vierzig bist?«

Nina schossen die Tränen in die Augen. Wiebke und Birgit meinten es nicht böse, das war ihr klar. Der Umgangston war schon in der Lehrzeit hart aber herzlich gewesen.

»Wir haben uns noch nicht festgelegt. Im Moment sind wir zu zweit ganz glücklich.« Ganz glücklich? Sie drehte den Kopf und sah, was sie erwartet hatte: Beas prüfenden Blick. Aber ehe die etwas sagen konnte, hob Annabelle ihr Glas in Richtung Nina. »Auf uns Karrierefrauen! An deiner Stelle würde ich mit der Familiengründung warten, bis du Teilhaberin bist. Dann kannst du dich mal ein Jahr zurücklehnen. Ich werde auf jeden Fall nicht schwanger, bevor ich in der Geschäftsleitung sitze.«

Nina hatte mehr Prosecco getrunken, als sie eigentlich vertrug. Annabelle und ihr Glas sah sie schon leicht verschwommen. Sie stieß mit ihr an, schüttelte aber energisch den Kopf. »Ich werde meine Familienplanung sicher nicht von der nächsten Beförderung abhängig machen.«

»Aber als Frau musst du schon planen, wann ein Kind am besten passt. Du willst ja schließlich weiterkommen.«

»Was bringt mir denn die nächste Beförderung oder die übernächste? Ein bisschen mehr Geld, das ich nicht ausgeben kann, weil ich Tag und Nacht arbeite. Und danach halten sie mir die nächste Möhre vor die Nase, und ich muss noch mehr arbeiten, um eine Leitersprosse aufzusteigen.«

Nina bekam einen Kloß im Hals. Und irgendwann ist es dann zu spät fürs Kinderkriegen. Aber das sprach sie nicht laut aus. Sie hatte schon viel zu viel gesagt: Eigentlich hatten ihre Freundinnen von den Zweifeln, die sie in letzter Zeit beschäftigten, gar nichts erfahren sollen.

Beatrix nahm sie in den Arm. »Hört sich ganz so an, als ob du nicht mehr total auf dem Karrieretrip bist.«

Nina überlegte. So ablehnend hatte sie sich noch nie über ihr Berufsleben geäußert. Aber so empfand sie tatsächlich. Am Anfang ihrer Karriere war alles sehr aufregend gewesen. Da fand sie es cool, in Vier-Sterne-Hotels zu übernachten und Business-Class zu fliegen. Die vielen Überstunden nahm sie damals gern in Kauf. Aber inzwischen brauchte sie das nicht mehr, im Gegenteil, sie fand es eher ermüdend. Sie hatte auch keine Lust mehr darauf, stundenlang mit ihren Kollegen zu spekulieren, wer wohl als Nächstes befördert wird – und wer nicht.

»Weißt du, am liebsten hätte ich einen ganz normalen Alltag, ein geregeltes Leben und eine eigene Konditorei. Ich würde so gern wieder in der Backstube stehen, statt im Büro zu sitzen.«

Beatrix sah sie forschend an. »Und was hindert dich daran?«

Direkt wie immer. Obwohl sie sich zehn Jahre nicht gesehen hatten, erfasste sie mit einem Blick, wie es Nina ging, und konnte mit einer Frage herauskitzeln, was sie beschäftigte. »Oh Mann, du hast mir gefehlt. Ich plane heimlich seit einem Jahr alles bis ins Einzelne, aber ich traue mich nicht, es durchzuziehen.«

Nina merkte jetzt, dass die anderen Gespräche verstummt waren und sie alle anschauten.

»Ehrlich?«

»Und deine Karriere?«

»Ach komm.«

»Wir helfen dir auch, wenn du uns brauchst.«

»War ja auch echt schade um dein Talent.«

»Du hast immer die leckersten Törtchen gebacken.«

Alle schnatterten durcheinander. Nur Annabelle verdrehte die Augen, holte ihr Smartphone heraus und checkte ihre Mails.

Nina freute sich über die muntere Anteilnahme und das freundschaftliche Wohlwollen. Jetzt merkte sie, wie sehr ihr solch eine Atmosphäre gefehlt hatte. In der Firma war vieles, was wie Freundschaft aussah, nur Taktik. »Kann ich dich bald in deinem Café besuchen?«, fragte sie Beatrix. »Vielleicht brauche ich ein paar Tipps.«

Ihre letzten Worte wurden vom DJ übertönt, der sein Publikum begrüßte und anbot, Musikwünsche zu erfüllen.

»Abba, Abba, Abba!« Birgit sprang auf, klatschte im Takt und wackelte mit den Hüften. Schon die ersten Töne von »Gimme! Gimme! Gimme!« versetzten alle in Tanzlaune.

Als um zwei Uhr die letzten Feiernden aufbrachen, war Nina wieder nüchtern. Beim Tanzen hatte sie den Alkohol komplett ausgeschwitzt. Fröstelnd knöpfte sie sich an der frischen Luft die weiße Strickjacke zu. Beatrix umarmte sie. »Wir sollten nicht wieder zehn Jahre vergehen lassen, bis wir uns wiedersehen.«

»Auf keinen Fall. Ich komme so bald wie möglich bei dir vorbei.«

»Oder ich bei dir.«

Beatrix und Nina quetschten sich mit vier anderen ins Großraumtaxi, alle plapperten durcheinander und konnten sich nicht darauf einigen, welche Strecke die beste wäre, um alle in möglichst kurzer Zeit nach Hause zu bringen.

Nachdem Nina vor dem Haus ihrer Eltern ausgestiegen war, winkte sie den anderen hinterher, bis die Rücklichter des Taxis in der Nacht verschwanden. Ihre Eltern hatten die Laterne im Garten für sie brennen lassen, so wie früher, wenn sie Samstagabend tanzen war. Sie ging ins Haus und lehnte sich von innen gegen die Tür. Es war so schön gewesen, alle wiederzusehen. Aber das Treffen hatte ihr schmerzlich vor Augen geführt, was sie in ihrem Leben vermisste: eine eigene Familie. Und eine wirklich erfüllende Arbeit.

Sie wollte sich nicht mehr mit der Karotte vor der Nase durch die deutschen Provinzen treiben lassen. Aber durfte sie es wirklich wagen, sich selbstständig zu machen? Konnte sie mit dem finanziellen Risiko leben? Sollte sie ihre hart erarbeitete Karriere bei McCarter wirklich hinwerfen?

1

»Bling!« Die Backuhr klingelte. Die kleinen Bananen-Walnuss-Gugelhupfs waren fertig. Nina öffnete die Ofentür. In dem Moment schellte es an der Wohnungstür. Das kann doch noch nicht Bea sein? Hastig zog sie das Blech heraus und stellte es mit einem Ruck zum Abkühlen auf die Edelstahlfläche vor dem Fenster, dann rannte sie zur Tür. Arturo, ihr Postbote, wartete mit einem Lächeln und einem Brief in der Hand. Und hinter ihm stand tatsächlich Bea und bedeutete ihr, erst mal die Post anzunehmen.

Arturo hielt Nina ein Einschreiben sowie das Lesegerät hin. »Ich habe gerochen, dass Sie da sind.« Er sog mit geschlossenen Augen den Duft ein, der aus der Wohnung in den Flur wehte. »Ich hätte auch noch eine Stunde länger vor dieser Tür gestanden. Hmmm … Vanille, Nuss und … Karamell?«

Nina lachte. »Stimmt. Sie können auch gern was davon probieren.« Sie eilte in die Küche und hielt ihm kurz darauf eine Schachtel hin. »Erzählen Sie mir einfach beim nächsten Mal, wie es Ihnen geschmeckt hat.«

Arturo schaute ehrfürchtig auf die kleinen, noch unverzierten Gugelhupfs, schloss den Deckel und legte die Hand aufs Herz. »Bella, wollen Sie mich heiraten?«

Nina neigte den Kopf zur Seite und musterte den sechzigjährigen Italiener scheinbar abwägend.

»Tja, ich würde ja gern. Aber abgesehen von Ihrer Frau, den vier Kindern und acht Enkeln, ist es einfach so, dass ich seit drei Jahren mit meinem Freund Sören zusammen bin.«

Arturo legte die Stirn in Falten. »Pah, Freund. Seit drei Jahren! Hat er Sie denn endlich gefragt, ob Sie ihn heiraten?«

Sie zog ihm den Stift aus der Hand und unterschrieb. »Nein, aber das macht er bestimmt bald.«

Arturo schüttelte den Kopf. »Was ist nur mit den deutschen Männern los? Eine Frau wie Sie: jung, schön, erfolgreich, die soooo gut backen kann, darf man nicht warten lassen. Oder was meinen Sie?« Er drehte sich kurz zu Beatrix um. »Wenn nichts daraus wird, Bella, mein Giuseppe ist noch ledig. Und er ist ein Traummann!«

Beatrix trat interessiert näher und lehnte sich neben Nina an die Wand. »Wie kommt es, dass er noch zu haben ist?«

In dem Moment ging die Tür gegenüber auf, und die Gräfin, der früher das ganze Haus gehört hatte, bevor sie es in mehrere Wohnungen aufteilen ließ, schritt in ihrem beigen Gucci-Kleid in den Flur. »Ich versuche gerade, mit meiner Enkelin Mittagsruhe zu halten, und hoffe, Sie haben Ihre Versammlung bald beendet.«

Sie musterte zuerst Arturo und seine Kuchenschachtel, dann Ninas gerötete Wangen und mehlbestäubte Backschürze und schließlich die ihr fremde junge Frau, angefangen bei den Clogs über den Cordrock und den kurzen, kastigen Pullover bis zu den großen Silberkreolen. Ein Outfit, das sie zu befremden schien.

»Und im Übrigen kann ich Herrn Arturo nur zustimmen: Es gehört sich nicht, eine Dame so lange hinzuhalten. Zu meiner Zeit wusste sich ein Mann nach drei Monaten zu erklären.«

»Na bitte, sag ich doch!« Arturo trat neben die Gräfin, und beide blickten Nina herausfordernd an. Die nahm ihm das Einschreiben aus der Hand, und ehe womöglich auch Bea noch der Front beitrat, zog Nina sie in die Wohnung und machte die Tür zu.

Allein im Wohnungsflur kicherten sie los. »Du hast ja witzige Nachbarn«, meinte Bea. Sie zog sich die Jacke aus und legte ihre große Stofftasche ab. »Ich hoffe, ich bringe deinen Zeitplan nicht durcheinander. Ich konnte einfach nicht bis zum Nachmittag warten.«

»Nein, alles gut. Schön, dass du da bist.« Nina führte sie in die Küche. »Ich habe für uns gebacken und gerade das Blech aus dem Ofen gezogen, als es klingelte. Setz dich. Ich mache uns gleich noch einen Milchkaffee.« Jetzt erst schaute sie auf das Einschreiben. Absender: Gewerbeamt. Sie holte ein Messer aus der Besteckschublade und schob sie mit einem seitlichen Hüftschwung zu. Mit zitternden Händen ritzte sie den Umschlag auf, nahm den Brief heraus und las die Nachricht, auf die sie so lange hingearbeitet hatte: »Sehr geehrte Frau Seiler, alle zur Anmeldung des Gewerbes erforderlichen Unterlagen sind bei uns eingegangen, sodass Sie Ihr Gewerbe nun zum gewünschten Zeitpunkt anmelden können.«

»Was ist das? Du wirkst auf einmal so nervös?«, fragte Beatrix.

Nina kribbelte es im Magen. Jetzt konnte sie Ernst machen. Jetzt konnte sie ihren Job in der Unternehmensberatung kündigen und sich endlich ihren lang gehegten Traum erfüllen. Als gelernte Konditorin und Betriebswirtin brachte sie die besten Voraussetzungen mit. Aber würde ihr Geschäft genügend Gewinn abwerfen? Würde sie davon leben können?

»Der Bescheid vom Gewerbeamt ist gekommen«, antwortete sie.

Beatrix strahlte sie an. »Du machst tatsächlich Nägel mit Köpfen.«

»Ach, ich schwanke noch.« Sie schaute auf den Brief und seufzte. »Jetzt, wo das Ding da ist, weiß ich nicht mehr, ob ich es wirklich durchziehen soll.«

»Ich kann mich noch sehr gut an deine tollen Kreationen erinnern. Vor allem an meine Hochzeitstorte, die war sensationell. Alle wollten deine Visitenkarte haben und waren enttäuscht, weil du keine Aufträge annehmen konntest.«

Ja, die Torte war ein echtes Meisterstück gewesen, auf der einen Seite in Weiß gehalten und mit wunderschönen Hochzeitsornamenten verziert, auf der anderen Seite in Rosa mit Motiven aus dem Alltag.

»An meinem Können zweifle ich nicht. Trotzdem kann es ein finanzieller Reinfall werden.«

Beatrix hakte sich bei Nina unter und zog sie durch die Küche ins Wohnzimmer. »Zeig mir doch erst mal alles. Ich bin total gespannt auf deine Wohnung.«

Sie schaute auf Ninas Hängelampe mit dem riesigen Glockenschirm. »Ist das die Lampe, die du aus London mitgebracht hast?«

»Mir kribbeln immer noch die Arme, wenn ich das Ding anschaue. Die habe ich eine Stunde lang im Flieger mit beiden Armen nach oben gestreckt transportiert.« Nina lächelte, als sie an diesen Flug dachte. Auch ihr Rücken hatte damals etwas gelitten, weil sie sich halb auf den Gang beugen musste, um nicht an die Gepäckablage zu stoßen.

Nina seufzte. »Weißt du, ich liebe meine Wohnung über alles.« Hier im idyllischen Burgstädtchen Kronstein, vor den Toren der Finanzmetropole Frankfurt, hatte sie in einer kleinen Villa aus dem 19. Jahrhundert eine große, lichtdurchflutete Zweizimmerwohnung gefunden. Das Wohnzimmer war ein Traum in Weiß und sanften Pastelltönen. Die Einrichtung hatte sie nach und nach zusammengetragen. Wann immer sie in den letzten Jahren auf ihren Geschäftsreisen an einem Flohmarkt oder Secondhandgeschäft vorbeigekommen war, hatte sie nach einzigartigen Stücken gesucht. Und sie hatte die besten Vermieter der Welt: Philipp und Antonia, mit denen sie Tür an Tür wohnte. Und die versnobte Gräfin, Philipps Mutter, die auf derselben Etage lebte, hatte einen gewissen Unterhaltungswert.

»Aber was ist, wenn meine Selbstständigkeit ein Flop wird? Kann ich mir dann noch eine Wohnung leisten?«

»Warum solltest du denn scheitern?« Beatrix neigte verständnisvoll lächelnd den Kopf zur Seite. »Kronstein ist bestimmt das richtige Pflaster für eine erstklassige Patisserie.«

»Ja, könnte man meinen. Aber vielleicht mag keiner meine Törtchen oder nebenan eröffnet die Filiale einer Bäckereikette und greift mit billigen Teilchen die Kundschaft ab. Du wärst überrascht, wie geizig gerade die Wohlhabenden oft sein können.« Nina merkte erst jetzt, dass sie noch das Gewerbeamtsschreiben in der Hand hielt. Sie hatte gerade gar nicht das Gefühl, als wäre der Bescheid ein Grund zur Freude, und legte ihn auf dem Esstisch ab.

Sie strich über das glatte, hellrosa Holz des Esstischs. »Den habe ich vom Flohmarkt geholt und ein Wochenende lang abgeschliffen. Und die Rattanstühle habe ich bei ebay ersteigert, danach abgeschliffen und weiß angestrichen. Ich hänge an diesen Dingen.«

»Ich hatte auch Schiss, bevor ich mein Café eröffnet habe. Eine Garantie hast du nie.«

»Siehst du, sag ich doch.«

»Mir haben damals zwei Fragen bei der Entscheidung geholfen. Erstens: Was ist das Schlimmste, was mir passieren kann? Und zweitens: Was ist das Beste, was passieren kann?«

Bei der ersten Frage musste Nina keine Minute überlegen. Die Antwort darauf geisterte als Schreckensversion durch ihre Albträume. »Also das Schlimmste für mich wäre es, unter der Brücke zu landen. Wenn ich finanziellen Schiffbruch erleide, am Ende hoch verschuldet den Laden schließen muss und auf Sozialhilfe angewiesen bin.« Und an ihre Rentenversicherung wollte sie gar nicht denken.

»Wie realistisch ist das denn für eine hoch qualifizierte Unternehmensberaterin?« Beatrix zwinkerte auffällig mit dem rechten Auge.

Nina lachte. »Eventuell könnte ich dann wieder bei McCarter anklopfen – oder mich als Unternehmensberaterin selbstständig machen.«

»Und das Beste, was dir passieren kann?«

Nina legte den Kopf schief und schaute Beatrix an. »Da würden schon einige Wünsche zusammenkommen.«

Beatrix nahm ihre Freundin an die Hand und zog sie Richtung Küche. »Und die will ich jetzt alle hören. Komm lass uns endlich diese Teilchen probieren, nach denen die ganze Wohnung duftet.«

In der Küche schaltete Nina die Espressomaschine ein. »Trinkst du deinen Kaffee immer noch mit einem halben Löffel Zucker?«

Beatrix nickte und stand ehrfürchtig vor Ninas nostalgisch anmutendem Profiherd, der zwei Backöfen, vier Gasbrenner und einen Edelstahlgrill hatte. Sie öffnete neugierig prüfend eine Backofentür. Dann schaute sie sich in Ninas Küche um. »Von so einer Küche habe ich immer geträumt. Hier kann man sich richtig austoben – und mit diesem Herd kannst du gleich anfangen zu backen und schon mal die haltbaren Waren produzieren.«

Nina füllte die aufgeschäumte Milch in zwei große Tassen und goss den Espresso darauf, trug sie zum Küchentisch und füllte eine Etagere mit den Bananen-Walnuss-Gugelhupfs, um sie dazuzustellen.

Die beiden setzten sich. Beatrix nahm sich sofort ein Teilchen und biss hinein. »Wahnsinn, ich brauche unbedingt das Rezept von dir.« Beide kauten in einvernehmlichem Schweigen. Nina nahm einen Schluck von ihrem Milchkaffee und dachte über Beas Frage nach. Was wäre der Idealfall? Oder aus der Beraterperspektive gefragt: Was ist das Best-Case-Szenario?

Sie seufzte leise. »Weißt du, ich würde so gern wieder jeden Tag backen, und natürlich möchte ich damit erfolgreich sein. Und außerdem hätte ich gern eine Familie. Am liebsten sofort, aber damit werde ich wohl warten müssen, bis das Geschäft angelaufen ist und ich mir Personal leisten kann.«

»Und du willst das als Alleinerziehende durchziehen?«

Wie kommt sie denn darauf? Nina schaute verwundert auf. »Den richtigen Mann dazu habe ich doch. Sören und ich planen praktisch schon von Anfang an eine Familie. Du musst ihn unbedingt bald kennenlernen.«

Bea schaute sie prüfend über den Rand ihrer Kaffeetasse an. »Es ist aber schon komisch, dass ihr noch nicht mal zusammen wohnt – nach drei Jahren. Da muss ich deiner Nachbarin leider recht geben.«

»Er ist einfach beruflich so eingebunden. Wir kommen nicht mal dazu, uns Wohnungen anzugucken.«

»Was sagt er denn zu deinen Plänen?«

»Sören steht voll und ganz hinter mir. Wir haben schon oft darüber gesprochen. Er weiß, dass das mein Traum ist.«

»Aber jetzt mal ganz praktisch gedacht: Wird er dich auch unterstützen, wenn du mal eine Durststrecke hast? Als ich mich selbstständig gemacht habe, hat Marcus das von Anfang an mitgetragen. Wenn es finanziell eng geworden wäre, hätten wir eine Weile allein von seinem Gehalt gelebt.«

Nina überlegte: So konkret hatten sie das noch nie durchgespielt. Aber klar, sie würden sich in Ruhe zusammensetzen und alles besprechen müssen, am besten gleich morgen. Montag wäre dann der letzte Termin, um fristgerecht zum Quartalsende zu kündigen. Sie mussten unbedingt morgen nach seiner Rückkehr von München miteinander reden.

Ihr kam ein Gedanke: Dies ist nicht nur die Chance für einen beruflichen Neuanfang. Es könnte auch der Startschuss für die nächste Phase ihrer Beziehung mit Sören sein. Wenn sie keine Rücksicht mehr auf berufliche Verwicklungen und den Bürotratsch zu nehmen brauchten, würde er vielleicht endlich mit ihr auf Wohnungssuche gehen. Und wenn Sören das nicht von sich aus vorschlug, würde sie die Sache in die Hand nehmen. Sie würde ihm einfach ein wenig auf die Sprünge helfen.

Nina nahm ihr Smartphone und tippte mit klopfendem Herzen: »Können wir uns Sonntagabend sehen? Muss dich unbedingt sprechen! Kuss.«

2

Das Klappern der Tastaturen hatte in einen Rhythmus gefunden, der sich wie eine leise Hintergrundmelodie über das Großraumbüro legte.

Es war fünf vor halb zehn. Gleich würde Sören ins Büro kommen. Nina fiel es schwer, sich auf ihren Bericht zu konzentrieren, an dem sie seit einer Stunde tippte. Sie war aufgeregt. Sie freute sich darauf, mit Sören ihre Pläne zu besprechen. Natürlich ließe sich für das neue Projekt so schnell kein Nachfolger finden, trotzdem würde ihr Liebster voll und ganz hinter ihr stehen. Und sobald sie offiziell gekündigt hatte, durften Sie sich endlich auch als Paar outen. Vielleicht könnten sie heute mal zusammen Feierabend machen und gleich anschließend essen gehen. Am besten ins Bellinis, wo man zwischen vielen Zimmerbäumen auf hochlehnigen Sofas saß. Sie merkte, wie ihr warm wurde. Ihre heißesten Nächte hatten im Bellinis angefangen. Nina seufzte und stellte sich vor, in Sörens Armen zu liegen.

Als sie aufschaute, stand er vor der Glastür, die Hand an der Klinke. Wow. Zu seinem anthrazitgrauen Anzug trug er eine Krawatte in strahlendem Magenta. Sie lächelte stolz. Auch nach drei Jahren konnte sie manchmal gar nicht glauben, dass er sich wirklich für sie entschieden hatte. Er hätte viele haben können – im Büro bemerkte sie oft, wie ihm die Kolleginnen heimlich bewundernd hinterhersahen. Manche himmelten ihn auch offen an, aber damit konnte sie umgehen. Sie war nicht der eifersüchtige Typ.

Außerdem konnte sie sich seiner sicher sein. Er hatte schon in ihrer ersten gemeinsamen Nacht gesagt, er könne sich vorstellen, mit ihr eine Familie zu gründen. Sie selbst träumte schon als kleines Mädchen von einem Haus auf dem Land mit vielen Kindern, einer großen Küche und einem Hund. Und Sören wollte das auch.

Gerade während der ersten Verliebtheit hatten sie sich oft Namen für ihre gemeinsamen Kinder ausgedacht. Beim Mädchennamen waren sie sich relativ schnell einig geworden. Es sollte eine Greta werden. Für einen Jungen hatten sie noch keinen Namen, der beiden gleich gut gefiel. Sören wollte ihn unbedingt Kasimir nennen, aber das kam für Nina auf keinen Fall infrage. Sie fände Gustav schön, oder einen kurzen Namen wie Tom oder Tim. Sie seufzte. In letzter Zeit hatten sie nicht mehr über Kinder gesprochen. Genau genommen sahen sie sich kaum noch, denn Sören arbeitete sehr hart für den nächsten Karriereschritt: Er wollte Partner in der Beratungsfirma werden, und diesen Schritt schafften nur ganz wenige.

Unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her, während er zu seinem Schreibtisch ging. Wie immer schaltete er zuerst den Rechner ein und hängte in den zwei Minuten, die der zum Hochfahren brauchte, seinen Mantel auf und holte sich einen Espresso. Dies alles geschah möglichst leise. Sie saßen mit vierzig Kollegen in einem Raum. Gespräche waren unerwünscht. Wer mit dem anderen reden wollte, chattete ihn an oder verabredete sich per Chat für ein längeres Gespräch in einem Meetingraum. Schon ein »Guten Morgen« störte die Konzentration, zumal es sich dann vierzigfach potenzierte.

Als im firmeninternen Chatroom hinter seinem Namen das grüne Lämpchen für »verfügbar« aufleuchtete, klickte sie ihn an.

»Schatz, ich müsste dringend mit dir reden. Ich hab dir deswegen schon am Samstag eine SMS geschickt.«

»Sorry, bin gestern erst mitten in der Nacht zurückgekommen. Ich muss zwar gleich in eine Besprechung und dann zum Kunden, aber ich habe eine Überraschung für dich. In einer halben Stunde im Meetingraum?«

Sie schaute über die Köpfe der Kollegen hinweg zu Sören hin, der kurz bedauernd die Hände hob und sofort weitertippte. Sie wusste natürlich, dass er jeden Morgen über fünfzig Mails im Posteingang hatte und dass die meisten davon schnell beantwortet werden mussten. Auf einmal schwitzte sie und fluchte innerlich, weil sie den Entschluss so lange aufgeschoben hatte – bis zum letzten Tag ihrer Kündigungsfrist.

Statt zu antworten, starrte sie versonnen zu ihm hinüber. Dann hob er kurz den Kopf und zeigte fragend auf den Meetingraum. Nina nickte.

Nachdem sie eine Weile unkonzentriert an dem Bericht herumkorrigiert hatte, sah sie Sören hinausgehen und folgte ihm. Als sie den Raum betrat, legte er sein Smartphone aus der Hand. Nina fühlte ein so starkes Bedürfnis nach Nähe, dass sie die Arme verschränken musste. Sie widerstand dem Drang, ihn mit Küsschen zu begrüßen, und wahrte den offiziellen Höflichkeitsabstand.

Sören setzte sich halb auf die Tischkante. »Sorry, heute ist bei mir die Hölle los«, sagte er. »Geht es um das neue Projekt? Ich habe die Teamaufstellung noch nicht abgeschlossen.«

»Nein, also nicht direkt, aber plan mich dort bitte gar nicht ein.«

»Weißt du, dass es um die Lieferkette des deutschen Supermarktgiganten geht? Ich dachte, die Lebensmittelbranche liegt dir besonders.«

»Ja, das stimmt, aber ich habe jetzt andere Pläne.« Nina hatte vor Aufregung Herzklopfen. Wenn Sören einfach nur ihr Teamleiter wäre, hätte sie kein Problem damit, zu kündigen. Aber er war nun mal auch ihr Freund.

»Hat dich Claus etwa für das Bankenprojekt abgeworben?« Er drehte sich von der Glaswand des Großraumbüros weg und setzte sich mit dem anderen Oberschenkel auf die Tischkante. Nina spürte seinen Blick auf ihrem Busen.

Der Abend ist gesichert, dachte sie. Offenbar hatte er sie in den zwei Wochen München sehr vermisst.

»Was hast du gerade gefragt?«

Er schmunzelte. »Hat dich Claus etwa für das Bankenprojekt abgeworben?«

»Äh nein. Ich will mich selbstständig machen.«

Sören wirkte verblüfft. Dann sagte er zögernd: »Schatz, es gibt so viele selbstständige Unternehmensberater. Das hat doch keinen Sinn.«

»Nein, natürlich nicht. Ich will mich als Konditorin selbstständig machen.« Sieh an, das war ihr viel leichter gefallen als gedacht. Sie wunderte sich bloß, weil Sören so begriffsstutzig war. Schließlich hatten sie ständig darüber gesprochen, dass dies ihr Traum wäre.

Stirnrunzelnd verschränkte er die Arme und sah plötzlich wie der Chef aus, der er war. »Du willst deine Stunden reduzieren und einen Nebenjob anmelden?«

Stand er denn heute total auf dem Schlauch?

»Nein, ich will ganz aus der Beratung aussteigen und zurück in meinen alten Lehrberuf.«

»Du willst doch wohl nicht jeden Morgen um drei Uhr aufstehen und für andere Leute backen?«

Doch, genau das will ich, dachte sie, und sein ungläubiger Ton brachte sie völlig aus dem Konzept. Sie setzte sich neben ihn auf den Tisch und verschränkte ebenfalls die Arme. Sprachlos starrte sie auf das weiße Regal und registrierte, dass der Papierstapel dort verrutscht war. Die oberen Blätter bildeten eine Schräge nach unten. Und in den Ecken lag Staub. In dem Fach darüber hatte jemand seinen Kuli vergessen. Nina drehte den Kopf zur Glaswand. Einige Kollegen schauten neugierig zu ihnen. Langsam wandte sie sich wieder ab. »Ich habe dir schon so oft erzählt, dass ich davon träume, mich mit einer Konditorei selbstständig zu machen.«

Er sagte nichts. Nina fuhr fort: »Als wir letztens in Frankfurt in dem kleinen Schokoladen-Café waren, habe ich dir vorgeschwärmt, dass dieser Laden mein absoluter Traum wäre.«

Sören sagte immer noch nichts. Sie schauten zusammen auf den schiefen Papierstapel. Plötzlich sprang er vom Tisch. »Ja, mein Gott, was denkst du denn, wovon ich alles träume. Ich würde zum Beispiel auch lieber als Golfprofi arbeiten, aber ich weiß, dass das illusorisch ist.«

»Das kann man ja wohl überhaupt nicht vergleichen. Ich bin eine Konditormeisterin, die dazu noch einen BWL-Abschluss hat.«

»Das rechnet sich doch überhaupt nicht. Da schuftest du nur für die Steuer. Und hast du mal an die Rentenversicherung gedacht?«

»Natürlich! Seit einem Jahr rechne ich alles durch.« Sie würde den Teufel tun und zugeben, dass gerade diese Punkte ihr lange Angst gemacht hatten. Und wie sie das mit den geplanten Kindern vereinbaren sollte, war ihr auch noch nicht so ganz klar.

»Also wenn es dir um eine kreative Auszeit geht, dann nimm doch einen oder meinetwegen zwei Monate Sabbatical, um einen Dessert-Kurs in Frankreich zu belegen oder dergleichen.«

»Nein, ich will kein Hobby betreiben, sondern eine eigene Konditorei.« Wieso musste sie das überhaupt verteidigen?

Sören ging nun in dem kleinen Meetingraum auf und ab, wobei er immer drei Schritte weit kam und dann umdrehen musste. »Und was ist mit uns? Für mich sind das völlig neue Voraussetzungen für unsere Partnerschaft – und für eine gemeinsame Zukunft.«

»Ach, haben wir eine gemeinsame Zukunft? Schön, dass wir mal darüber sprechen. Bis jetzt konntest du dich ja noch nicht mal zu einer gemeinsamen Wohnung durchringen.«

Am Anfang ihrer Beziehung hatten sie einander Makleranzeigen von Häusern geschickt und überlegt, ob dieses oder jenes Haus zu ihrer künftigen Familie passte. Meinst du, der Garten ist groß genug für Greta? Ha, Kasimir hat dort bestimmt Spaß. Irgendwann hatten sie damit aufgehört. Und immer wenn Nina das Thema Zusammenziehen ansprach, hatte Sören den Stress mit seinem aktuellen Projekt vorgeschoben: In den nächsten drei Monaten werde ich keine Zeit zum Umziehen haben.

»Ja, und anscheinend war das auch gut so. Stell dir vor, wir würden zusammenwohnen und ich stünde jetzt mit der Miete und allen Kosten ganz allein da, weil du dein Geld in einen Laden steckst, der nichts abwirft.«

Nina stürmte zur Tür, drehte sich dort aber noch mal um. »Hast du mir eigentlich schon mal irgendwas zugetraut?«

»Jetzt sei nicht albern! Immerhin habe ich dich zur Mutter meiner Kinder erwählt.«

Zur Mutter seiner Kinder. Das schlug dem Fass den Boden aus. »Du bist so was von herablassend!« Sie riss die Tür auf und ging.

»Nina, ich … warte doch mal …«

Sie hörte nicht mehr hin.

An ihren Schreibtisch zurückgekehrt, tippte sie ihre formelle Kündigung. Nach ihrem Arbeitsvertrag hatte sie eine Kündigungsfrist von drei Monaten. Aber sie hatte seit zwei Jahren fast keinen Urlaub genommen – sie konnte praktisch sofort aufhören.

Sie wählte die Nummer des Büromateriallagers. »Hallo, haben Sie zufällig Umzugskisten vorrätig?«

»Ja, zum Quartalsende werden die bei uns immer gut nachgefragt.«

Nina holte sich eine kleine Kiste und fing an, ihren Schreibtischcontainer auszuräumen. Das einzige persönliche Stück darin war das Foto von der Bäckerei ihrer Großeltern, das sie wie ein Talisman durch ihre Laufbahn bei McCarter begleitet – und immer an ihren großen Traum erinnert hatte. Sie wickelte es sorgfältig in die Wirtschaftszeitung der letzten Woche ein und steckte es in die Handtasche. Die meisten Management-Ratgeber würde sie dalassen, die Büroutensilien, Stifte, Schreibblocks, Klebestreifen, Tacker etc., gingen zurück an das Materiallager.

Die Unterlagen zu den abgeschlossenen Projekten lagen alle digital auf einem gemeinsamen Laufwerk. Ihr letztes Projekt war so gut wie beendet. Eigentlich hatte sie mit Sören die Übergabe besprechen wollen, das würde sie jetzt mit der Personalabteilung regeln.

Alle, die heute nicht beim Kunden waren, saßen vor ihren Rechnern und tippten. Doch die Melodie der Tastaturen war aus dem Rhythmus geraten. Nina merkte, dass viele Kollegen innehielten und zu ihr schauten. Wahrscheinlich gaben sich Martin und Andrea gerade schulterzuckend zu verstehen, dass sie auch nicht wüssten, was los sei.

Nina blickte nicht über die halbhohen Trennwände hinweg, denn auf keinen Fall wollte sie jetzt Sörens Gesicht sehen. Lieber klaubte sie mit Feuereifer Büroklammern unter den drei Ablagekörben hervor. Aber bei dieser heiligen Aufgabe wurde sie erst einmal unterbrochen. In ihrem Chat-Fenster blinkte ein Bombardement von Nachrichten auf:

»Alles klar bei dir?«

»Nina, was ist los?«

»Gehst du?«

»Darf man gratulieren?«

»Bekommen wir das nächste Bürobaby?«

»Geht es dir gut?«

»Kann ich dir irgendwie helfen?«

Sie setzte sich an ihren Rechner und setzte eine E-Mail an ihre Kollegen auf. Auch wenn der Kontakt oberflächlich geblieben war, mit den meisten von ihnen hatte sie gern zusammengearbeitet. »Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist mein letzter Tag …« Sie schüttelte den Kopf und löschte den Satzanfang wieder. Währenddessen gingen weiter besorgte bis neugierige Chat-Nachrichten bei ihr ein.

»Ach was soll’s.« Sie schloss ihr E-Mail-Programm und kletterte auf den Schreibtisch. »Alle mal kurz herhören. Ich möchte mich von euch verabschieden, ich habe gerade gekündigt.«

Ein vielstimmiges »Ohhhh« verschiedenster Klangfärbung ging durch den Raum.

»Ich werde mich mit einer Patisserie selbstständig machen, und ihr seid alle herzlich eingeladen, auf einen Espresso und ein Törtchen vorbeizukommen. Die Adresse schicke ich herum, sobald der Eröffnungstermin feststeht.« Die Kollegen applaudierten und johlten zustimmend.

Nun sah sie doch zu Sören hinüber, der energisch tippend auf seinen Bildschirm starrte, als ginge ihn das alles nichts an. Sie holte tief Luft. »Und vielen Dank für die netten Nachfragen und Hilfsangebote. Macht euch keine Gedanken. Mir geht’s gut.« Sören ließ das Geschehen offenbar weiter an sich abgleiten.

Nina hob das Kinn. »Es ging mir nie besser.«

3

Weinen kann ich zu Hause! Mit diesem Mantra im Kopf hatte Nina den Bürotag durchgestanden, ohne Tränen zu vergießen. Auch auf dem Heimweg hatte sie sich verbissen auf den Straßenverkehr konzentriert, und ihre Augen waren trocken geblieben. Aber in dem Moment, als sie ihre Wohnungstür aufschloss, gab es kein Halten mehr. Die Tränen strömten.

Ohne im Wohnzimmer das Licht anzuschalten, warf sie sich auf die Couch, knuffte wütend die drei Kissen zurecht, um sich bequem in die Ecke zu lehnen, und kuschelte sich in das hellblaue Plaid. Eine Weile starrte sie aus dem Fenster in die Baumkronen im Garten. Eigentlich sollte sie glücklich sein: Sie stand am Anfang eines neuen Weges, würde ihren lang gehegten Traum verwirklichen. Warum glaubte Sören so wenig an sie? Von einem Mann, der mit ihr sein restliches Leben verbringen wollte, hätte sie erwartet, dass er sie bestärkt und unterstützt.

Sollte sie Bea anrufen und ihr das Desaster schildern? Sie zog das Handy aus der Rocktasche und sah auf dem Display die Uhrzeit: Viertel vor sieben. Nein, Bea aß wahrscheinlich gerade mit ihrer Familie zu Abend oder las ihren Kleinen etwas vor. Mit dem Anruf würde sie mindestens bis acht warten müssen.