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Michel Ende, der Schöpfer von »Momo« und der »unendlichen Geschichte«, hat in »Trödelmarkt der Träume« seine Lieder und Balladen zusammengetragen, die wie kunterbunte Flicken sind in unserem grauen Alltagskleid. Sie sind mal ernst, mal heiter, mal spöttisch, mal naiv, aber immer voll Poesie und Bildhaftigkeit. Angeregt durch die Balladenkultur Frankreichs und Italiens verfasste Michael Ende Texte, zu denen jeder seine eigene Melodie finden kann. Und wer weiß? Vielleicht sind sie uns eines Tages ja so vertraut, dass wir uns nicht mehr erinnern können, woher sie stammen.
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Seitenzahl: 75
Michael Ende
Mitternachtslieder und leise Balladen
Das Lied hat seine eigene Geschichte, ist geprägt von der Zeit und von den Ländern, in denen es entstanden ist, und ist dennoch zeitlos, unvergänglich, immer gültig. Es wurzelt in den Wirklichkeiten der Menschen, von alters her, es drückt aus, was Menschen leben, lieben, leiden, ihre Sehnsüchte und Träume, ihre großen und kleinen Hoffnungen und Wünsche, Sorgen und Kümmernisse, es singt und sagt von Empörung und Schmerz, Widerstand und Ergebung: von Liebe, von Leben und Tod.
In Deutschland ist das Lied seit der Romantik in die Salons abgewandert und Bestandteil einer bürgerlichen Kultur geworden. Es fehlt ihm heute sein wesentlichstes Merkmal: Dass es lebendig unter uns ist.
Das Lied gehört in unseren Alltag, wie es in unseren Nachbarländern der Fall ist, da gibt es das chanson in Frankreich, den canto in Spanien, den song in England und Irland und die canzone in Italien, wo die Liedermacher cantautori heißen. Seit alters her werden dort die Lieder auch von den Dichtern geschrieben. Und ist, was hier entsteht, nicht oft interessanter und lebendiger als das, was in so manchen esoterischen Lyrikbändchen enthalten ist?
Liedertexte sind keine Gedichte. Sie halten einen Freiraum offen für die Musik, sie provozieren Musik geradezu. Das Lied singt und sagt – in dieser Reihenfolge –, das meint, es rankt sich beim Lied das Wort um die Melodie. Ein Gedicht zu vertonen, ist schwierig, weil es bereits eine Wortmelodie enthält, so erübrigt sich oft die Vertonung. Liedertexte dagegen erzählen manchmal eine Geschichte, leben aber hauptsächlich von Stimmungen und Bildern, die absichtlich vieles offen und unausgesprochen lassen, das man erraten muss. Es bleibt ein merkwürdiges Geheimnis, etwas Träumendes, Schwebendes, das die Musik gleichsam hervorruft.
In diesem Band werden fünfzig Liedertexte Michael Endes vorgestellt – Texte, die lustig, seltsam, bitter und versöhnlich sind.
Voraus ging der melodische Einfall, danach entstand der Text. Endes Lieder haben alle ihre Melodie, die sie trägt, nur soll sie nicht verbindlich sein, vielmehr soll jeder, der kann und mag, eine eigene Melodie erfinden.
Ende hat unterschiedliche Liedarten zusammengestellt: die Ballade, das Chanson, das Lied mit Volksliedcharakter, den Choral, das Couplet, das Spielchanson; und es steht die traditionelle Liedform neben der ganz freien. Die entscheidende Rolle spielt hier der Rhythmus – vom 3/4- bis zum 7/8-Takt, von der Samba über den Tango bis zur Polka. Liest man die Texte rhythmisch, versteht man ihre Form und kann die Melodie vernehmen.
Michael Ende hat seine Lieder im Laufe einiger Jahre geschrieben, für verschiedene Auftraggeber, hauptsächlich Komponisten, zu ganz unterschiedlichen Anlässen. Sicher wäre es wünschenswert, könnte die Veröffentlichung der vorliegenden Sammlung dazu beitragen, unsere Liedkultur zu beleben. Vielleicht haben wir uns diese Lieder eines Tages so zu eigen gemacht, dass sie Allgemeingut geworden sind. Dann wäre das Lied lebendig unter uns wie ehedem.
Vor Fortunas Zauberbudesteht ein magerer Kumpan.Halb ein Magier, halb ein Lude,preist er seine Wunder an.Schief der Hut des Herzbezwingers.Rostig klingt sein Redeschwall.Auf der Spitze seines Fingerskreiselt unser Erdenball.
Ihr Damen und Herren, hier könnt ihr mal sehen,wie Dinge verschwinden und wieder entstehen.Dort drin ist schon alles parat.Das Kinderspiel von der Liebe und Treue,das Sünderspiel von der Schuld und der Reue – und alles im Taschenformat!Ernst und heiter sind die Spiele,bitter oder zärtlich auch.
Für besondere Kunden viele,andre für den Hausgebrauch.Schattenspiele sind darunter,dunkel wie die Nacht der Welt,andre sind vergnügt und munter,alles das für wenig Geld.
Der König, die Dame, der Bube, der Weise,die Liebespaare, die Narren und Greise,der Teufel und auch der Soldat:Gemischt ist das Spiel nach Fortunas Launen.Ein Abrakadabra – wer will, der mag staunen!Und alles im Taschenformat.
Fragt sich auch der Kompetente:Ist der Zauber nicht Beschiss?Schreit nicht gleich nach der Polente!Nichts im Leben ist gewiss.Darum kann es auch geschehenund der Fall liegt umgekehrt:Mancher kauft aus Versehenschon ein echtes Stück von Wert.
Und zieh ich euch wirklich ein Ei aus den Nasenund aus dem Zylinder lebendige Hasen,dann glaubt eben, dass ich es tat!Uns bleibe der Spielverderber gestohlen!Ihn soll gleich ein Teufel mit Doktorhut holen –natürlich im Taschenformat.
Kluge Herrn und schöne Damen,steinarm oder bettelreich,kommt in unsre Taschendramen!Unser Spiel beginnt sogleich.Eure Tränen, euer Lachensind des Gauklers höchstes Ziel.Ohne euch – was soll er machen?Tretet ein ins Taschenspiel!
Und sind denn die Spiele der Träume hieniedenso sehr von den Wirklichkeitsspielen verschiedenums Geld und die Macht und den Staat?Ihr glaubt nur zu spielen mit Tricks und mit Tourenund dient in dem größeren Spiel als Figuren –und alle im Taschenformat.
So der magre Kerl dort oben,der vor jener Bude steht.Doch man muss den Bürger loben,der geschwind vorübergeht.Hört nur nicht auf seine Reden,lasst euch lieber nicht drauf ein!Denn zum Partner macht er jedenseiner Taschenspielerein.
Die Mysterienspiele vom besseren Leben,die Mysterienspiele vom Fortschrittsstreben,ihr glaubt dann daran nicht mehr.Dann zeigt sich Fortuna euch nackt, ohne Hüllen,dann spielt ihr das Spiel um des Spieles willenals Taschenspieler wie er.
Es war ein Mädchen aus Papier,ganz weiß und zum Verlieben.Es hatte keiner noch auf ihrdas kleinste Wort geschrieben.
Das gibt es, glaubt es mir!Sie war nur aus Papier.Das gibt es, glaubt es mir!
Da kam ein Junge aus Papier,ein brauner, weit gereister,ganz voll Adressen dort und hier,gestempelt und voll Kleister.
Verzeiht ihm das Geschmier,er war aus Packpapier.Verzeiht ihm das Geschmier!
Auch Liebespaare aus Papier,die können wahrhaft lieben.Sie hat auf ihm, er hat auf ihrmit eigner Hand geschrieben:
»Mein Herz gehört nur dir,bin ich auch aus Papier.Mein Herz gehört nur dir!«
Doch eines Tags das Unheil naht,sie litten unaussprechlich:Ihn rief ein ferner Adressatund auf ihm stand »Zerbrechlich!«
»Ich kehr zurück zu dir,mein Mädchen aus Papier!Ich kehr zurück zu dir!«
Nun wartete sie jahrelangund wurde langsam gelber.Und war ihr einmal gar zu bang,dann las sie auf sich selber:
»Mein Herz gehört nur dir,bin ich auch aus Papier!Mein Herz gehört nur dir!«
Ein Greis aus einem Zeitungsblatt,zerknittert und voll Lügen,der schrecklich viel Papiergeld hatt’,der wollt sie zum Vergnügen.
Sie widerstand der Gierund war nur aus Papier.Sie widerstand der Gier!
Das nahm der Alte ihr sehr krumm,und voller böser Tückemit einer Scher’ bracht er sie umund schnitt sie in zwei Stücke.
Worüber lächelt ihr?Ihr seid nicht aus Papier,worüber lächelt ihr?
Und als der Liebste aus Papierzurückkam wie versprochen,da fand er sie und stand vor ihrund hat kein Wort gesprochen,
weint keine Träne ihr.Er war nur aus Papier,weint keine Träne ihr.
So stand er, bis es dunkel war.Sein Herz fing an zu brennen.Und er verbrannte ganz und garund war nicht mehr zu kennen.
Dies schwarze Flöckchen hierwar Liebe und Papier.Dies schwarze Flöckchen hier!
Es war ein Tänzer auf dem Seilmit Namen Felix Fliegenbeil,der größte aller Zeiten,das kann man nicht bestreiten.Ihm lag nicht viel an Gut und Geld,nichts an der Menge Gunst,ihm ging’s nicht um den Ruhm der Welt,ihm ging es um die Kunst.
Schon in der Seiltanzschule warer bald der Beste in der Schar,und als ein Jahr vorüber,war er dem Lehrer über.Da sagte der in mildem Ton:»Du Wunderkind, ade!Ich kann dich nichts mehr lehren, Sohn,drum geh mit Gott – doch geh!«
So zog er in die Welt hinaus,wohin er kam, erscholl Applaus.Die ganze Welt bereist’ erund suchte seinen Meister.Doch keiner tanzte so genialdie Sprünge des Ballettshoch droben auf dem Seil aus Stahlund immer ohne Netz!
Da er den Meister nirgends fand,beschloss er endlich kurzerhand,statt andre zu begeistern,sich selber zu bemeistern.»Mein Tanz«, sprach Felix Fliegenbeil,»ist noch kein Meisterstück.Zwar kann ich alles auf dem Seil,doch ist das Seil zu dick!«
Drum spannte er von Haus zu Hausnun einen Draht anstatt des Tausund übte drauf zu springen.Das sollte bald gelingen.Dann nahm er einen dünnern Drahtund einen dünnsten noch –es dauerte zwei Jahre grad,dann konnte er’s jedoch.
Und schließlich kam das siebte Jahr,da tanzte er auf einem Haar,gespannt von Turm zu Turme,dort schritt er hin im Sturme.Das Publikum sah schweigend zuund hielt die Hüte fest.Dann aber kam der letzte Clou,der sich kaum glauben lässt:
Denn eines Tags um acht Uhr früh,da spannt er nichts mehr zwischen sie:Er tanzte auf der Leere,als ob dort etwas wäre!Hoch überm Abgrund ging er zwarmit leichtem Tänzerschritt,doch weil er ohne Halt nun war,nahm ihn ein Windstoß mit.
Wer weiß, wohin der Wind ihn trieb?Ein Astronom allein beschrieb,