Trump - ein amerikanischer Traum? - Wolfgang Fach - kostenlos E-Book

Trump - ein amerikanischer Traum? E-Book

Wolfgang Fach

0,0
0,00 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Donald Trump als Präsident - das war bis zu seinem Triumph unvorstellbar. Noch mehr erstaunt, dass halb Amerika ihn wiederwählen will, darunter ein erheblicher Anteil, für den sich diese Treue nicht einmal »rechnet«. Wenn gerade dort, wo die westliche Demokratie ihren Siegeszug angetreten haben soll, einer wie er so viel Zustimmung erhält, dann fragt man sich, ob 200 Jahre politische Kultur einfach entsorgt werden können. Eigentlich nicht. Was den Verdacht nahelegt, Amerikas demokratische Tradition habe so, wie man sie feiert, womöglich nie existiert. Wer dieser Spur nachgeht, stößt auf des Rätsels Lösung: Es ist nicht zuletzt ein zeit- und zielloser Traum vom »starken Mann«, der Trumps Triumph erklärt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 149

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



WOLFGANG FACH

Trump – ein amerikanischer Traum?

Warum Amerika sich verwählt hat

Die freie Verfügbarkeit der E-Book-Ausgabe dieser Publikation wurde ermöglicht durch den Fachinformationsdienst Politikwissenschaft POLLUX

und ein Netzwerk wissenschaftlicher Bibliotheken zur Förderung von Open Access in den Sozial- und Geisteswissenschaften (transcript, Politikwissenschaft 2020)

Die Publikation beachtet die Qualitätsstandards für die Open-Access-Publikation von Büchern (Nationaler Open-Access-Kontaktpunkt et al. 2018), Phase 1 https://oa2020-de.org/blog/2018/07/31/empfehlungen_qualitätsstandards_oabücher/

Karl-Franzens-Universität Graz | Universität Wien Bibliotheks- und Archivwesen | Bergische Universität Wuppertal | Carl von Ossietzky-Universität (University of Oldenburg) | Freie Universität Berlin (FU) (Free University of Berlin) | Georg- August-Universität Göttingen | Goethe- Universität-Frankfurt/M (University of Frankfurt am Main) | Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek | Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover | Humboldt- Universität zu Berlin | Justus-Liebig- Universität Gießen (University of Giessen) | Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) | Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg | Max Planck Digital Library | Ruhr-Universität Bochum (RUB) | Sächsische Landesbibliothek Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) | Staatsbibliothek zu Berlin (Berlin State Library) | ULB Darmstadt | Universität Bayreuth | Universität Duisburg-Essen | Universität Hamburg (UHH) | Universität Potsdam (University of Potsdam) | Universität Vechta | Universität zu Köln| Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf (University and State Library Düsseldorf) | Universitäts- und Landesbibliothek Münster (University of Munster) | Universitätsbibliothek Bielefeld (University of Bielefeld) | Universitätsbibliothek der Bauhaus- Universität Weimar (University of Weimar) | Universitätsbibliothek Erlangen- Nürnberg (FAU University Erlangen- Nürnberg) | Universitätsbibliothek Hagen (Fernuni Hagen) (University of Hagen) | Universitätsbibliothek Kassel | Universitätsbibliothek Koblenz-Landau | Universitätsbibliothek Konstanz (University of Konstanz) | Universitätsbibliothek Leipzig (University of Leipzig) | Universitätsbibliothek Mainz (University of Mainz) | Universitätsbibliothek Marburg | Universitätsbibliothek Osnabrück (University of Osnabrück) | Universitätsbibliothek Passau | Universitätsbibliothek Siegen | Universitätsbibliothek Würzburg | Zentralund Hochschulbibliothek Luzern (ZHB) (Central and University Library of Lucerne) | Zentralbibliothek Zürich (Central Library of Zurich) | Bundesministerium der Verteidigung | Landesbibliothek Oldenburg (State Library of Oldenburg) | Leibniz- Institut für Europäische Geschichte | Stiftung Wissenschaft und Politik

Wolfgang Fach, geb. 1944, war bis 2011 Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Leipzig. Er befasst sich mit Geschichte und Genealogie politischer Ideen seit dem Mittelalter.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz (BY). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell. (Lizenztext:https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

Erschienen 2020 im transcript Verlag, Bielefeld

© Wolfgang Fach

Covergestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Print-ISBN 978-3-8376-5068-6 PDF-ISBN 978-3-8394-5068-0 EPUB-ISBN 978-3-7328-5068-6 https://doi.org/10.14361/9783839450680

Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Einleitung
1.Die Einsicht: An idiot
2.Träumer
2.1Moments of madness
2.2This most perfect society
3.Farmer
3.1A situation so singularly terrible
3.2The commercial expansionist
4.Gründer
4.1His Highness, the President
4.2Unfriendly passions
5.Jäger
5.1A government out of sight
5.2To meet his fate like a hero
6.Retter
6.1The people’s tribune
6.2To win souls
7.Lehrer
7.1Success secrets
7.2The gospel of wealth
8.Herrscher
8.1Boss Tweed
8.2A feudal baron
9.Macher
9.1Patching the state
9.2No sense of the state
10.Führer
10.1Spokesman of the nation
10.2The ultimate disruptor
11.Die Aussicht: Global idiocy
Literaturverzeichnis

Einleitung

Wir wissen auch drei Jahre nach

Trumps Wahl nicht, was damals

eigentlich passiert ist

(Jill Lepore)

»They won’t be laughing if I’m President«. Mit dieser Drohung schließt eine vierteilige Dokumentation über die Entwicklung des Donald Trump vom halbseidenen Casino-Magnaten und Partylöwen zum – wie sich herausstellen sollte – 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten.1 »Freunde, Geschäftspartner und Kritiker«, heißt es in der Ankündigung, »gewähren Einblicke in das Leben des Vollblutamerikaners Donald Trump«.

Als Vollblutamerikaner qualifiziert sich, den filmischen Eindrücken nach zu schließen, wer sein Leben als Event anlegt, jederzeit viel Spaß hat, eine Menge Alkohol verträgt, sich vor Blondinen kaum retten kann und nebenher noch Geld wie Heu macht. Dass man die Drohung des Paradiesvogels, der Welt werde das Lachen bald vergehen, ernst nehmen würde, war eigentlich nicht zu erwarten.

Doch über den Präsidenten Trump lacht keiner. Sein Aufstieg mochte »traumhaft« gewesen sein, doch ist ein Alptraum daraus geworden, über Amerika hinaus. Man fragt sich, wie es dieser Kandidat mit diesen Qualifikationen derart weit bringen konnte. Bis dahin galt die Vermutung, dass westliche Demokratien gegen riskante »Ausreißer« gefeit seien. Nicht von ungefähr hatte kein einziger Experte Donald Trump auf der Rechnung. Anscheinend ist etwas übersehen worden.

Eine Gesellschaft, schreibt Hegel, sei »für um so vollkommener zu achten«, je weniger der einzelnen Person zu tun bleibe – verglichen damit, was auf »allgemeine Weise«, also organisiert, geschieht (Hegel 1986: 388f.). Er weiß auch, welches Gegenmodell besondere Aufmerksamkeit verdient: Amerika.

Mit der Diagnose, Amerikaner würden »anders« ticken, befindet sich Hegel in guter Gesellschaft (allen voran Goethes). Und er trifft den springenden Punkt: Amerikanisch sein heißt, aufs Individuum zu setzen. Nicht nur der Grundsatz, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied sein muss, gilt weiterhin als eine Selbstverständlichkeit, auch die Überzeugung, für das Glück aller sorge am besten einer. Da zwischendrin ebenfalls vieles für viele »glücken« muss, sind große oder kleine Helden vielerorts gefragt.

So kommen auch »Amerikaner zu ihren Heroen« (Wecter 1969: 476). Auf den zweiten Blick zeigt sich dann, dass ihre Traumarbeit zwei Typen in die Welt gesetzt hat: einerseits »Vorbilder«, denen jeder, der persönliche Probleme bewältigen muss, nacheifern soll und kann; andererseits »Anführer«, deren persönliches Potenzial sie dafür prädestiniert, Gemeinschaften bis hin zur Nation aus irgendeiner Verlegenheit zu befreien (Kap. 2).

Angebot und Nachfrage sind auf dem Heldenmarkt nicht immer zusammengefallen, doch was sich sagen lässt, ist: dass es keinen »heldenfreien« Augenblick gegeben hat, in dem Heroen nicht entweder gesucht worden sind oder ihre Dienste angeboten haben. Das gilt selbst für jene Anfangszeit, da das Land noch von umfassend selbstgenügsamen Farmern bevölkert war (Kap. 3). Immerhin haben die Erfindernaturen unter ihnen den löblichen Vorsatz gefasst, ihren Landsleuten etwas Neues und Nützliches zu hinterlassen.

Dass dieser Ehrgeiz ohne »Ehre« bleiben würde, sollte sich rasch zeigen – während auf dem »Feld«, wo etwas zu holen gewesen wäre, nichts gelaufen ist: Farmer waren, wie ihr Anführer (General Washington) feststellen musste, in der Wolle gefärbte Feiglinge. Diese Erkenntnis hat Amerikas legendäre Gründer, Wortführer wie Thomas Jefferson oder James Madison, dazu gebracht, ihre Verfassung hauptsächlich auf den effektiven Umgang mit Gewalt hin auszurichten: Präsidenten sollten primär dafür sorgen, dass Kriege gewonnen werden, innere wie äußere. Eine Verwaltung im herkömmlichen Sinn hat es dazu nicht gebraucht (Kap. 4).

In dem notdürftig gesicherten Raum konnte sich gesellschaftliches Leben entwickeln – kein einheitliches und beruhigtes, wie anfangs geglaubt, weil Enge und Ehrgeiz viele Menschen dahin gebracht haben, neue Wege zu gehen. Es begann das lange Jahrhundert der Jäger nach Erfolg, dem Glück des Tüchtigen (Kap. 5). Bekanntlich hat Benjamin Franklin als erster gewusst »Wie«; das »Was« war indessen vom »Wo« abhängig: Wer sein Heil als Siedler im »wilden Westen« suchen wollte, hat kaum mehr erreicht, als Stoff für Legenden (wie »Lederstrumpf«) zu liefern.

Franklin hatte es darauf abgesehen, seinen Landsleuten Tipps für ein erfolgreiches Leben zu geben: »Gott« und »Staat«, die puritanischen Erbstücke, haben dabei nur eine randständige Rolle gespielt. Wie sich herausstellen sollte, wurden sie von vielen vermisst, die ihre materiellen Sorgen oder spirituellen Nöte alleine nicht bewältigen konnten. Selbsternannte Retter nahmen diese Gelegenheit wahr, um fremde Bedürfnisse in eigene Karrieren zu verwandeln (Kap. 6).

Alles in allem waren das Muster ohne ewigen Wert, hatte doch Amerikas galoppierende Industrialisierung neue Lagen geschaffen, die nach neuen Lektionen verlangt haben. Als Lehrer sind einerseits Tugendapostel aufgetreten, die Arbeit und Anstand unters Volk bringen wollten (Carnegie gehört dazu); andererseits sollten fahrende Glücksbringer in Mode kommen, deren frohe Botschaft vom leichten Erfolg gläubige Hörermassen anlocken würde (Kap. 7).

Gerade solche seichten Apostel verdanken ihre phänomenalen Erfolge nicht zuletzt dem Faktum, dass Amerikas politische Elite kein soziales Netz (»Versicherungsstaat«) für Notleidende organisiert hat. Aus dieser Lücke sollten auch selbsternannte Volksfürsorger Kapital (Macht, Profit) schlagen: Herrscher über »politische Maschinen« oder paradiesische »Fabrikstädte«, die Wohlverhalten (Parteidienst, Arbeitseinsatz) mit Wohltaten bezahlt haben – Geld, Job, Wohnung und manches mehr (Kap. 8).

Dass solche Experimente auf wenig Gegenliebe gestoßen und eher früher als später gescheitert sind, legt die Frage nahe, wie es denn um den amerikanischen Staat bestellt war. Würde er sich nachholend modernisieren, also institutionell »aufholen« können? Trend (Industrialisierung) und Trauma (Bürgerkrieg) sollten allerdings weder Zeit noch Raum für systematische Reformen lassen; stattdessen sind Lücken füllende Macher zum Zug gekommen, die es verstanden haben, das Notwendige mit dem Möglichen abzugleichen (Kap. 9).

Noch nicht aus der Welt war damit freilich das amerikanische Faible für heroische Führer, deren Persönlichkeit die desorganisierte Welt des Politischen mit Glanz und Gloria füllt – getreu dem Motto: »America first« (Kap. 10). Woodrow Wilson hat diese Parole ausgegeben, Donald Trump ist ihr verfallen. Bei allen Unterschieden sind sich beide darin einig, wie die Vision Wirklichkeit werden kann: »Amerika braucht Helden« (Mitt Romney).

Eingerahmt wird das Figuren-Kabinett von zwei Kapiteln (1, 11), die skizzieren, welche Verwerfungen dadurch schon entstanden sind oder noch entstehen könnten, dass sich Amerika »verwählt« hat. Die Rahmenhandlung, sozusagen.

1 Trump: An American Dream (Netflix 2018).

1.Die Einsicht: An idiot

Um das Jahr 2010 herum hat Donald Trump schon einmal politische Ambitionen entwickelt. Und Steve Bannon, sein späterer Chefstratege, war damals bereits ein gefragter Mann. Trump, wurde ihm seinerzeit hinterbracht, sei beratungsbedürftig, weil er Präsident werden wolle. Bannons spontane – und bezeichnende – Gegenfrage: »Von welchem Land?« (Woodward 2018: 2)

Davon, dass der Möchtegern-Kandidat in den Jahren danach an seiner Eignung gearbeitet hätte, um beim zweiten Anlauf fitter zu sein, ist nichts bekannt. Bannon sieht immer noch dramatische Defizite: Trump benehme sich wie »ein elfjähriges Kind«. Andere Kenner der Personalie, ebenfalls aus dem engsten Sympathisantenkreis, urteilen nicht schmeichelhafter: »a fucking moron« (Rex Tillerson, Trumps zeitweiliger Außenminister), »dumb as shit« (Gary Cohen, Trumps zeitweiliger Wirtschaftsberater) oder, ganz einfach und daher besonders häufig zu hören, »an idiot« (John Kelly, Trumps zeitweiliger Stabschef u.a.).1

Bei jemandem wie Trump muss man sich fragen, ob seine Machtergreifung nicht schlicht ein Un- oder Zufall war: ein accidental President – wie andere vor ihm auch schon, wenngleich insofern doch einzigartig, als es selbst im Nachhinein schwerfällt, seine Machtergreifung zu erklären:

»Bei den Republikanern hat 2016 völlig überraschend ein Präsidentschaftskandidat reüssiert, dessen Aufstieg alles annulliert hat, was vorher als gesichertes Wissen gegolten hat. Etwa: welche Qualifikationen ein Bewerber mitbringen müsste oder wie ein erfolgversprechender Wahlkampf auszusehen hätte. Mehr als zwei Jahre danach stehen wir immer noch vor einem Rätsel.«2

Wer da meint, dass Angebot und Nachfrage etwas miteinander zu tun haben, der kommt nicht umhin, einem doppelten Verdacht nachzugehen: Is Trump mentally ill? Or is America?3

Welche Defekte der Person zu schaffen machen mögen, ist vielleicht nicht abschließend, aber doch ausführlich diagnostiziert worden (Lee 2017). Was die geistige Verfassung des ganzen Landes angeht, bleibt das eine oder andere offen. Herausgestellt hat sich immerhin, dass »Verrücktheit« viele Formen annehmen kann und hinter manchem Irrsinn auch Methode steckt. Das Potenzgehabe weißer Männer, die ihre Schusswaffen vergöttern; der Glaube einfältiger Frauen, Trump sei ihnen von Gott geschickt worden, um die Abtreibungssünde auszurotten; das Frustgefühl von Menschen, deren sozialer Status unter Druck geraten ist, weil »andere« Andere (mal Immigranten, mal Farbige) an ihnen vorbeiziehen könnten – diese Motivlagen sind insofern randständig rational, als sie sich etwas ausrechnen. Es muss nicht a priori verrückt sein, einem Verrückten hinterherzulaufen. In anderen Fällen wird noch deutlicher, dass Trump als nützlicher Idiot gehandelt wird: wenn etwa die High Society für Steuersenkungen oder Bohrlizenzen oder Rüstungsaufträge leichten Herzens bereit ist, ihre Vernunft dauerhaft abzuwürgen.

Weder Frust noch Kalkül entstehen aus dem Augenblick heraus. Sie haben eine ebenso lange wie verwickelte Vorgeschichte, in deren Verlauf sich ideologische, institutionelle und ökonomische Faktoren auf mannigfache Weise überkreuzen. So rekurriert, um »Donald Trumps Aufstieg« zu enträtseln, die komplexeste aller vorgelegten Analysen auf rund 30 miteinander verschränkte Faktoren (Campbell 2018). Das letzte Wort in dieser Sache scheint damit gesprochen. Und doch bleibt ein Rest: die merkwürdige Erscheinung nämlich,

»dass immerhin 60 Millionen Amerikaner ihr Schicksal einem Schaumschläger anvertrauen, der ihnen versichert, die kaputte Nation im Alleingang reparieren zu können: I alone can fix it – und dafür nichts als das abgewetzte Motto parat hat, den Regierungsapparat kurzerhand stillzulegen: Drain the swamp!«4

Dass er seit diesen Ankündigungen unvorstellbar viel Porzellan zerschlagen hat, ist dem Elefanten keineswegs schlecht bekommen. In seinem Falle korrelieren Destruktion und Devotion sogar positiv: »Millions of Americans who did not like the president in 2016 now say they do.«5 Wer das Geschehen die ganze Zeit über beobachtet hat, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus:

»Es ist einigermaßen verrückt, dass jemand wie Trump, der sich während seiner Amtszeit derart daneben benommen hat, ein Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen mehr Rückhalt bei seiner Parteibasis findet als beim ersten Mal.« (Alberta 2019: 1f.)

Kurzum: Donald Trump ist, aus diesem Blickwinkel betrachtet, kein ausgefallenes Produkt des seltenen Zusammentreffens unglücklicher Umstände, sondern der bisher größte anzunehmende Unfall eines amerikanischen Personen- und Heldenkults, dem es nachzuspüren gilt.6

 

1 https://qz.com/1267508/all-the-people-close-to-donald-trump-who-called-him-an-idiot/

2 http://nymag.com/intelligencer/2018/12/did-trumps-win-mean-anybody-can-be-president.html

3 https://www.washingtonpost.com/news/book-party/wp/2017/09/22/is-trump-mentally-ill-or-is-america-psychiatrists-weigh-in/?utm_term=.7734681325a5. Die Alternative, das sei wenigstens am Rande erwähnt, vereinfacht die Sachlage insofern, als sie von dem komplexen Vermittlungsprozess zwischen »oben« und »unten« abstrahiert. Aufschlussreiche Einblicke in diese Sphäre vermittelt Alberta (2019).

4 https://www.nytimes.com/2016/07/22/us/politics/trump-transcript-rnc-address.html; https://www.americanprogress.org/issues/democracy/reports/2017/01/05/295947/drain-the-swamp/. Dass es Trump mit seiner Überheblichkeit ernst war, hat niemand deutlicher zu spüren bekommen als Chris Christie, der Chef des 140-Mann-starken Übergangsteams, das dem politischen Novizen eine Art road map mit auf den steinigen Weg des Regierens geben sollte. Sein voluminöses Vademecum ist umgehend und ungelesen im Müll gelandet.

5 https://www.nytimes.com/2019/08/07/upshot/trump-approval-rating-rise.html?action=click&module=News&pgtype=Homepage

6 Wer Donald Trump unter der Rubrik »amerikanische Krankheit« führt, muss mit dem Einwand rechnen, die Deutschen hätten schließlich »ihren Hitler« gehabt. An Vergleichen herrscht denn auch kein Mangel – was allerdings nichts daran ändert, dass sie samt und sonders hinken. In erster Linie deshalb, weil Adolf Hitler eine »totale Organisation« zusammengebaut hat (Hannah Arendt), die ihm, ihrer Risse ungeachtet, gute Dienste leisten konnte.

 

2.Träumer

2.1Moments of madness

Filme seien Träume, sagt man, und dieser Film war ein Kassenschlager: »The Russians Are Coming, the Russians Are Coming«. 1966 herausgekommen, veralbert er den Heldentraum nach amerikanischer Art.

Worum geht es? Das idyllische Leben einer amerikanischen Gemeinde wird schlagartig gestört, als russische Matrosen, deren U-Boot vor der Küste Neu-Englands havariert ist, notgedrungen an Land gehen, um nach Pannenhilfe Ausschau zu halten. Die verschreckten Einwohner deuten diese Aktion als Angriff; ihr geliebtes Vaterland schwebt in größtmöglicher Gefahr. Ein moment of madness (Aristide Zolberg) kündigt sich an.

Verteidigung ist angesagt, aber irgendjemand muss diesen patriotischen Schwung »operationalisieren«. Zum Helden und Anführer schwingt sich Fendall Hawkins auf, ein großmäuliger Alt-Milizionär, der alle Anstalten macht, seine zusammengewürfelte Bürgerwehr säbelschwingend ins Gefecht zu führen. Auf verlorenem Posten steht derweil die reguläre Staatsmacht in Gestalt eines einsamen Ordnungshüters, dessen verzweifelter Mahnruf ungehört verhallt: »We got to get organized«.1

Der Staat ist zur Stelle, aber nicht gefragt – im Zweifel traut man dem »starken Mann«, einfach weil er führt, mehr zu. Dessen flagrante Unfähigkeit spielt keine Rolle. Die Vernunft kollabiert, sie ist dem verrückten Augenblick nicht gewachsen.

Noch ein Patriot kommt ins Spiel: Walt Whittaker, der mit Familie inmitten von Dünen den Urlaub genießt und dort auch, weit weg vom übrigen Geschehen, seine eigene Feindberührung hat. So schwingt er sich dazu auf, heldenmütig Land, Weib und Kind auf eigene Faust zu verteidigen. Seine Frau hält das für Selbstmord, aber er zieht die Sache durch, lenkt den bewaffneten Bewacher ab, springt ihn von hinten an (»I got’m, I got’m«), verheddert sich mit ihm zusammen im störrischen Gardinenschmuck – und bemächtigt sich am Ende dessen Gewehrs. Alles in allem: keine Heldentat für die Ewigkeit, aber immerhin hält der Filius seinen Vater nicht mehr für einen Feigling.

Wahre Amerikaner, lernt man, sind Helden, ob (An-)Führer oder Vorbilder.2 Dass ihr Heroismus »ungleichzeitig« ist und schnell komisch wird, fällt ihnen selbst auf. Fendall Hawkins findet irgendwann seinen gesunden Menschenverstand wieder, erinnert sich daran, dass militärische Konflikte eigentlich Sache des Staates sind, alarmiert das Pentagon. Der Konflikt wird dadurch angemessen hochgezont und in professionelle Hände gelegt. Walt Whittaker findet seinerseits zu einer anderen Normalität zurück: als ihm klar wird, welche fatalen Irrtümer sich in den lokalen Köpfen festgesetzt haben, geht sein ganzes Bestreben dahin, die aufgeschreckte Gemeinde mental wieder abzurüsten. Der Ordnungshüter schließlich waltet wieder seines Amtes. Er möchte den schießwilligen U-Boot-Kommandanten verhaften und, als daraus nichts wird, wenigstens seine Personalien aufnehmen. Selbst die Routine schafft Helden.

Was soll man davon halten? Mit nichts als Hegel im Kopf fällt das Fazit leicht: typisch Amerika. Einerseits kann sich auch diese Nation dem »Weltgeist« nicht entziehen, der Heldentum aussortiert und durch Staatsaktionen ersetzt: »Im Staat kann es keine Heroen mehr geben: diese kommen nur im ungebildeten Zustande vor.« Denn der »öffentliche Zustand«, notiert Hegel weiter, »ist für um so vollkommener zu erachten, je weniger dem Individuum für sich nach seiner besonderen Meinung, im Vergleich mit dem, was auf allgemeine Weise veranstaltet wird, zu tun übrigbleibt.« (Hegel 1986a, 180f.). Der Staat ist ein Profi und kann seine Qualitäten am besten dort ausspielen, wo ihm niemand ins Zeug pfuscht.

Andererseits hinkt das Land dem Geist eben merklich hinterher:

»Was nun das Politische in Nordamerika betrifft, so ist der allgemeine Zweck noch nicht als etwas Festes für sich gesetzt, und das Bedürfnis eines festen Zusammenhaltens ist noch nicht vorhanden, denn ein wirklicher Staat und eine wirkliche Staatsregierung entstehen nur, wenn bereits ein Unterschied der Stände da ist, wenn Reichtum und Armut sehr groß werden und ein solches Verhältnis eintritt, dass eine große Menge ihre Bedürfnisse nicht mehr auf eine Weise, wie sie es gewohnt ist, befriedigen kann.« (Hegel 1986b, 113)