Tueringi - Gunter Becker - E-Book

Tueringi E-Book

Günter Becker

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Beschreibung

Das 4. Jahrhundert: Zeit des Umbruchs. Klimaveränderung, beginnender Hunnensturm, Auflösung des Römischen Reiches, germanische Völker verlassen ihre bisherigen Stammplätze. So auch die Goten. Evrald, Amaler und Heerführer der Greutungen, einem Teilstamm der Ostgoten, zieht mit Teilen seines Volkes nicht in den römischen Siedlungsbereich sondern sucht sich neues Land. Adelgundis, seine Jugendliebe und spätere Gemahlin, Freunde aus alter und neuer Zeit und die Amazonen unterstützen ihn dabei. Tücke und Hinterlist, Kämpfe und Blutvergießen sind ihre Begleiter, aber auch Freundschaft und Liebe. Zwischen Elbe und Main werden sie heimisch und gründen ihr Reich Tueringi. Familiäre Eifersucht und äußere Feinde bringen es oft in Gefahr, aber es überlebt. Tueringi übersteht sogar die Hunnenherrschaft wegen ihrer engen Bindung zu Attila. Blutige Aufgaben sind aber der Preis für dieses Entgegenkommen: die Vernichtung der Burgunden und die Teilnahme an der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern. Nach dem Tode Attilas lassen Bündnisse mit den Ostgoten in Ravenna das Land aufblühen - bis die Franken kommen. Diese haben ein Leichtes: Gier nach Macht und Reichtum zerstören Tueringi von Innen; ihr König wird ermordet und Tueringi wird Teil des Frankenreiches.

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Tueringi

Das gotische Reich der Thüringer

INHALT

1. Buch

Die Amaler

EVRALD

ANNO CCCLXXV

ANNO CCCLXXVI

ANNO CCCLXXVII

ADELGUDIS

ANNO CCCLXXVIII

ANNO CCCLXXVIX

ANNO CCCLXXX

ANNOS CCCLXXXI - CCCLXC

INTER ANNIS

2. Buch

Thüringer und Hunnen

EDEKON

ANNO CDXXXIV

ANNO CDXXXVI

ANNO CDXLIX

ANNOS CDLI - CDLIII

3. Buch

Thüringer und Franken

BASENA

INTER ANNIS

BISINUS

ANNO DVII

FINIS TUERINGIS

ANNOS DX - DXXVI

ANNO DXXXI

ANNO DXXXIII

EPILOG

Genealogische Abfolge

Im gotische Reich der Thüringer: Die Amaler und deren Nachfolger

INDEX

Tueringi

Das gotische Reich der Thüringer

Die Personen

1. Buch

Die Amaler

EVRALD

Die Amaler:

Ernulf, der Vater

Sona, die Mutter

Evermud, Everwulf, Evrald, deren Söhne

Alani, sarmatischer Sklave, Freund Evralds

Die „Gänse“, die Töchter

Der Großvater

Ermanarich, König der Goten*

Winithar,Withimi, seine Söhne*

Herald, ein Bote vom Königshof

Die Greutungen:

Adila, Häuptling der Greutungen auf der Krim

Adelgudis, seine Tochter und Nachfolgerin

Sif, Schwester von Tanngnjostr und Tanngrisnir, den Anführern einer Seeräubersippe von der Krim

Skythia, Anführerin der Amazonen

FrÌigundia, Freie im Gesinde von Adelgudis

Die Terwingen

Fritigern, Richter der Terwingen*

Athanarich, sein Bruder*

Munderich und Lagariman, Befehlshaber unter Athanarich*

Die Gepiden

Usdibar, Heerführer der Gepiden

Guda, angenommenes Kind

Die Römer

Gutius, Centurio und Befehlshaber in Florentia

Brandolf, römischer Legionär

Weitere Personen

ADELGUDIS

Am Hof der Amaler:

Helvi, Skythias Nachfolgerin

Rikr, Evralds Sohn

Aili, Evralds Tochter

Teemu, Skythias Sohn

Die Waren und Angeln:

Ermerich und Richela, Häuptlinge der Waren und Angeln

Sybill, griechische Sklavin

Die Legionäre:

Godomar, Ottar, Rungnir, Steen

Die Einwohner der Siedlung Friggstêdt:

Sigurd, der Älteste

Rangold, der neue Älteste

Runa, das stumme Mädchen aus der Asche

Die Langobarden:

Gundolf, langobardischer Fürst

Gambara, seine Tochter

INTER ANNIS

Am Hof der Amaler:

Rikr, König der Tueringi

Senja, seine erste Frau

Salgard, seine zweite Frau

Arkyn, Arneot, ihre Söhne

Aira, ihre Tochter

Die Hunnen:

Uldin, hunnischer Heerführer*

2. Buch

Thüringer und Hunnen

EDEKON

In der Nachfolge der Amaler:

Edekon, Rikrs Sohn*

Salgard, seine Mutter und zweite Frau Rikrs

Lennja, gotische Sklavin bei den Sachsen

Sikra, Edekons Frau

Onoulf und Odoaker, Söhne Edekons*

Agil, Sohn Teemus, Graf von Reuptal

Die Hunnen und deren Gefolge

Rua, hunnischer Heerführer*

Oktar, dessen Bruder*

Attila, sein Neffe*

Bleda, sein Bruder*

Ellac, ältester Sohn Attilas*

Ernak, ein weiterer Sohn Attilas*

Onegesios, auch Hunigais genannt, Berater Attilas*

Orestes, Sekretär und Gesandter Attilas*

Beric und Blidin, Vertraute Edekons

Engard, gotischer Krieger

Ardarich, König der Gepiden*

Die Römer:

Flavius Aëtius, römischer Heerführer*

Tajumas, Kanzler in Ostrom (Byzanz)*

Maximinus, oströmischer Gesandter*

Chrysaphios, Eunuch in Byzanz*

Valentinian III., weströmischer Kaiser*

Galla Placida, seine herrschsüchtige Mutter*

Justa Grata Honoria, seine Schwester*

Eudoxios, Anführer der Bagauden in Gallien*

Markian, Kaiser des Oströmischen Reiches*

3. Buch

Thüringer und Franken

BASENA

Bysinus, König der Tueringi*

Basena, seine Frau und Mutter von Bisinus*

Childerich, Heerführer der Salfranken*

BISINUS

Bisinus, König von Tueringi*

Menia, seine Frau*

Raicunda, deren Tochter*

Herminafried, ihr ältester Sohn*

Zenon, Kaiser Ostroms*

Berthachar, der Zweitälteste*

Baderich, der Jüngste*

Theoderich, König der Ostgoten*

Amalaberga, seine Nichte*

FINIS TUERINGIS

Ardarich dominus montis (Ardarich, der Herr des Berges)

Amalafried, Sohn von Herminafried*

Athalarich, kindlicher Nachfolger Theoderichs*

Amalasuntha, seine Mutter und Regentin*

Theuderich I., Merowingerkönig, ältester Sohn Clodwigs*

Childebert I., Merowingerkönig*

Chlothar I., jüngster Sohn Chlodwigs*

Radegundis, Tochter Berthachars*

Die Personen mit einem * sind historisch belegt

1. Buch Die Amaler

EVRALD

ANNO CCCLXXV

Es war heiß – sehr heiß. Ich lag im Schatten des Vordaches. Alle anderen – Eltern, Geschwister, Großeltern und weitere Anverwandte, Knechte, Sklaven hatten sich irgendwo verkrochen: Im Haus, in der Scheune, im Stall, im Garten, unter den Bäumen.

Die Luft sirrte. Sie verwischte die Umrisse unseres Hauses und der Hütten. Die Palisaden – die das Gehöft schützten – waren kaum zu erkennen. Das Tor stand offen – als sollte frische Luft herein kommen, von draußen, von der Ebene am Schwarzen Meer.

Dort lebten wir schon lange – so erzählten es die Alten. Von Norden wären wir gekommen, dort wo das andere Meer ist, das grausame Meer, das alles überflutet hatte. Die Felder wurden unfruchtbar und alle haben Hunger leiden müssen, viele starben, Männer, Weiber, Kinder – die Alten und die Jüngsten zuerst. Dann waren sie aufgebrochen und hatten hier in der fruchtbaren Ebene des Südens eine neue Heimat gefunden. Niemand musste dafür wegziehen, aber es waren schon vor uns Menschen hier gewesen: Gebeine, Scherben und anderes wurden beim Hausbau gefunden. Aber sie waren nun weg und wir hier.

Wir waren schon viele Winter und Sommer hier, so erzählten es die Alten. Wir – das ist unser Stamm, und wir sind ein Zweig der Amaler. Damit gehörten wir zu Familie des Königs Ermanarich. Aber dessen Sitz war weit von uns entfernt, und Großvater hatte auch nie das Bedürfnis gehabt, dort zu erscheinen. Es sei denn, es war Krieg oder es sollten Raubzüge zu den Sarmaten, Heruler oder Alanen hin sein; dann zog er mit seinem Gefolge zum König und brachte immer reiche Beute mit. Nun hatte Großvater meinem Vater alle Rechte übertragen, denn er fühlte sich nicht mehr stark genug, das Schwert zu führen.

Mein Kopf sank nach vorn, ich wurde müde. Ich drehte mich um und blickte nach oben zum Gebälk des Daches. Schwalben flitzten hin und her und versorgten ihre frische Brut. Die Hitze schien ihnen nichts auszumachen.

Ich legte mich um zu meiner Einschlafseite – aber was war das? Ein leichtes Summen und Brummen lag in der Luft, aber keine Biene oder Wespe war zu sehen. Ich presste mein Ohr auf den Boden: Das Summen und Brummen wurde zum vibrierenden Dröhnen! Ruckartig schreckte ich hoch, blickte zum offenen Tor und sah es: Eine Staubwolke am Horizont! Und diese näherte sich – immer schneller, immer dichter. Wie gelähmt starrte ich darauf, mein Mund stand offen, aber kein Schrei war zu hören! Ich sprang auf, schüttelte mich wie ein nasser Hund, und dann brach aus mir heraus: „Alarm! Die Hunnen kommen!“

Die Hunnen! Schon seit geraumer Zeit waren sie zu einer Gefahr geworden. Von jenseits der Berge waren sie zu uns vorgedrungen und hatten sich dort, wo die Sonne aufging, bei den großen Flüssen nieder gelassen.

Wie ein Unwetter brachen sie von dort aus immer wieder über uns herein, raubten Mensch und Vieh und töteten alles, was sich ihnen in den Weg stellte. Und diese Gefahr kam nun direkt auf uns zu.

Das Tor! Ich rannte dorthin, um es zu schließen. Zwei Knechte eilten vorm Stall herbei, um mir zu helfen. Aufatmend ließen wir den schweren Verschlussbalken in die Halterungen fallen. Das Tor war zu!

„Auf den Wall!“ brüllte Vater vom Haus her. „Vergesst nicht eure Waffen! Die Kinder ins Haus! Weiber, haltet Wasser bereit!“

Meine älteren Brüder rannten an mir vorbei und warfen mir meinen Bogen und den Köcher mit den Pfeilen vor die Füße.

Ich eilte zum Wall. Hochaufgeschüttet mit einem Graben davor sicherte dieser unser Gehöft. Palisaden auf dem Kamm verstärkten den Schutz. Beiderseits des Tores hatte bereits Großvater Türme errichten lassen, auf diesen warteten die Männer des Hofes, Vater sowie meine beiden Brüder auf die anstürmenden Reiter.

Die Palisaden überragten mich um Kopflänge, aber ich wusste um eine Stelle, durch die ich blicken konnte. Ich konnte sogar einen Pfeil durch den Spalt abschießen, denn ich hatte die Öffnung im Laufe der Zeit etwas erweitert. Das war mein Protest gegen die Älteren, denn auf die Türme durfte ich noch nicht: Ich wäre ja noch ein Kind! Aber schießen konnte ich wie ein Mann! Davon war ich überzeugt! Und das nicht nur ich sondern auch Alani – so nannte ich meinen sarmatischen Sklaven. Er gehörte zu den vielen Gefangenen, die Vater und Großvater nach einem Raubzug — den sie zusammen mit König Ermanarich gegen die Sarmaten unternommen hatten — zu uns brachten. Viele wurden verkauft, aber Alani behielten wir und Vater schenkte ihn mir. Er wurde mein bester Freund, denn er hatte mir den Bogen hergestellt und mir das Schießen mit demselben beigebracht.

Der Dunst vermischte sich mit der Staubwolke, die die Reiter aufwirbelten. Sie waren in diesem Gemisch kaum zu erkennen: Sie wirkten wie Schemen aus einer anderen Welt. Das Trommeln der Hufe dröhnte auf dem harten Steppenboden: Es war wie Musik böser Geister! Mein Herz klopfte bis zum Hals. Meine Augen begannen zu tränen.

„Sei ganz ruhig! Atme tief durch!“ flüsterte mir eine Stimme ins Ohr. Es war eine vertraute Stimme: Alani hatte sich hinter mich gekniet. Beruhigend legte er seine Hand auf meine Schulter.

„Lass sie kommen. Sie können dir nichts anhaben. Du bist geschützt – und außerdem bin ich bei dir“, lächelte er mich an.

Ich mochte dieses Gesicht, die braunen Augen, die mich nun irgendwie zwingend anschauten. Mein Herzschlag normalisierte sich. Ich wischte mir die Tränen von den Augen.

„Leg den Pfeil mit den drei Federn auf den Bogen! Spann den Bogen ein bisschen vor!“ befahl er mir.

Ich tat es und legte den langschäftigen Pfeil auf den Bogen und spannte diesen. Durch den Spalt konnte ich die Angreifer nun sehen. Sie hoben sich jetzt von dem Dunst und Staub ab. Klein und struppig waren ihre Pferde, deren Hufe auf den Boden trommelten. Im vollen Galopp rasten sie auf unser Gehöft zu.

„Wenn sie sich aufrichten, spann den Bogen! Ziel auf den vordersten Reiter! Er ist der Anführer! Bevor er sich ganz aufrichtet, musst du schießen!“

Ich spannte meinen Bogen. Es war ein Reflexbogen aus dem Holz der Eibe, vielfach geleimt, deshalb mit guter Durchschlagskraft. Lange hatte ich damit geübt, meine Muskeln waren stark geworden und ich fühlte meine Kraft.

Über die Pfeilspitze zielte ich auf den ersten Reiter. Er ritt nicht frontal auf mich zu, sondern seitlich in Richtung Tor; ich bewegte meinen Bogen mit ihm mit.

Der Reiter war nicht groß; seine Hände ließen die Zügel los. Er nahm seinen Bogen und zog einen Pfeil aus dem Köcher, der seitlich am Sattel hin. Er legte diesen auf seinen Bogen. Er hob den Bogen und richtete sich im Sattel auf.

Ich schoss.

Ich glaubte Erstaunen im Gesicht des hunnischen Reiters zu sehen. Es konnte aber auch Einbildung sein.

Aber das war keine Einbildung: Der Reiter kippte seitlich um und fiel vom Pferd. Ich hatte ihn getroffen!

Alani klopfte mir anerkennend auf die Schulter.

Weitere Reiter fielen vom Pferd! Auch die Männer auf dem Turm hatten geschossen und getroffen.

Aber der Angriff ging weiter! Die Hunnen hatten zwar ihren Anführer verloren, aber sie waren mitten im Sturm und brachen ihn auch nicht ab. Ein Pfeilregen ging auf das Gehöft nieder. Er konnte den Männern auf dem Turm nichts anhaben, denn das Dach schützte sie. Und im Hof war niemand. Auch Hund und Katze hatten sich verkrochen.

Die Hunnen teilten sich: Rechts und Links strömten sie am Gehöft vorbei. Und wieder ging ein Pfeilregen auf uns nieder. Ich drückte mich dicht an die Palisade. Alani ebenso. Ein Pfeil schlug neben mir im Boden ein. Hui, das war knapp! Ich sah mir den Pfeil an. Er hatte ein scharfkantige Knochenspitze, die sich mit Widerhaken behaftet tief ins Fleisch bohren konnte.

Die Hunnen verschwanden in einer Staubwolke, aufgewirbelt von den trommelnden Hufen ihrer schnellen Pferde. Sie ritten zum nächsten Gehöft, um vielleicht dort Beute zu machen. Wir waren sie los. Vorerst!

Knarrend wurde das Tor geöffnet. Männer, Frauen und Kinder strömten hinaus. Vater schritt vorn weg. Mit ihm meine Brüder, zögernd folgten ihnen die anderen.

Da lagen sie nun in ihrem Blut: die Hunnen.

Es waren nicht viele, die von unseren Pfeilen getroffen waren. In unserem Gehöft waren wir ihnen überlegen, aber auf freiem Feld hätten wir keine Chance gehabt: So schnell, wie sie auf ihren Pferden waren und von dort aus schießen konnten.

Ich rannte vom Wall hinunter und den anderen hinter her. Ich wollte meinen Mann sehen. Er lag auf dem Rücken, der Pfeil steckte noch in seinen Rippen. Blut sickerte aus der Wunde und verteilte sich über das gepolsterte Wams. Fliegen umschwirrten Toten, krabbelten über das Gesicht. Tiefliegende dunkle Augen starrten in den blauen Himmel. Tiefe Narben verunzierten das Gesicht: Er war hässlich!

Ich zog meinen Pfeil aus dem toten Körper. Mein Vater nahm ihn mir aus der Hand und schaute mich an.

„Du warst das also!“ Schallend landete seine große Hand auf meiner Wange. „Du schießt erst dann, wenn ich das Kommando dazu gebe! Hast du das verstanden!“ donnerte er mich an.

Beschämt senkte ich den Kopf und rieb meine Wange. Ich nickte und ärgerte mich.

„Aber sonst war das ein guter Schuss, mein Sohn!“ Da war kein Donner mir in seiner Stimme, sondern dieser dunkle väterliche Ton, den ich so liebte. Vaters schwere Hand klopfte mit auf die Schulter – und mein Ärger war verschwunden.

„Begrabt die Toten dahinten, bevor die Geier kommen! Falls ihr etwas Brauchbares findet, dürft ihr es behalten.

Ich schaute auf den Hals des Toten vor mir. Eine Schnur war dort zu sehen. Ich zog daran und ein Schmuckstück kam zum Vorschein. Golden glänzten die ausgebreiteten Flügel eines Adlers in der Sonne. Mit meinem Messer trennte ich den Schmuck von der Schnur. „Meine erste Beute!“ dachte ich und rannte zurück zum Haus.

Mein Schritt verlangsamte sich. Auf einmal war ich ganz traurig. Mir kamen die Tränen. Ich hatte einen Menschen getötet. Gut, sie hatten uns angegriffen und hätten uns wahrscheinlich auch umgebracht. So viel Schlimmes wird über die Hunnen berichtet. Aber jetzt hatte ich einen von ihnen getötet. Da draußen lag er; wird er mich jetzt des Nachts heimsuchen? Wird er zu einem Untoten und mich verfolgen? Laut schluchzte ich auf. Eine Hand legte sich auf meine Schulter, ich schreckte hoch: War er schon da?

„Bleib ruhig, ich bin‘s“, beruhigte mich Alani. Ich warf mich an seine breite Brust.

„Verfolgt er mich?“ fragte ich ihn unter Tränen.

„Nein! Du brauchst keine Angst zu haben. Er ist tot. Er wird nicht aus dem Grab auferstehen. Diese Geschichten sind Ammenmärchen; sie sollen kleine Kinder erschrecken, damit sie brav sind. Wer tot ist, lebt nicht mehr, und ist auch keine Gefahr mehr für die Lebenden. Du hast deine Sache gut gemacht. Üb weiter, damit du perfekt bist, denn wer weiß, was alles noch auf uns zukommt. Das heute war meiner Ansicht nach nur ein kleiner Vorgeschmack von dem, was kommt. Es wird ein Sturm kommen, der uns frisst, wenn wir nichts unternehmen!“

Meine Tränen versiegten, aber seine letzten Worte machten mir Angst.

„Was meinst du mit ‚Sturm kommen‘“, fragte ich Alani.

Er schaute mir in die Augen, tief und unergründlich.

„Es sind viele – so viele. Das heute war nur ein kleiner Teil von dem Großen. Ich habe gelauscht. Dein Vater hatte Gesandte des Königs empfangen; sie sprachen über die große Gefahr: Es sind die Hunnen. Viele, viele Tausend und Abertausende sind aus der Morgenröte in das Land zwischen den großen Flüssen geströmt; und von dort aus werden sie uns wie eine Flut überschwemmen. Diese wird schlimmer sein als die Flut der Nordmeere, von der eure Ahnen erzählten, denn diese Flut bringt uns den Tod. Die Hunnen werden uns töten, weil sie unser Land brauchen – für ihre Pferde, damit sie was zu fressen haben. Sie sind wie Heuschrecken, die alles wegfressen. Nein – sie sind schlimmer: Sie sind gierig – mordgierig. Sie lechzen nach unserem Blut!“

Klatsch! Klatsch! Vater klatschte in die Hände. „Hei! Hei! Hei! Übertreibst du das nicht ein bisschen? Oder willst du meinem Jungen Angst machen?“

Es klang sarkastisch, aber etwas vibrierte in seiner Stimme.

„Verzeiht, Herr, ich will niemanden Angst machen. Aber ich sehe es so: Wir haben in diesem Jahr kaum unser Vieh hinaus treiben können, ohne es dauernd zu bewachen. Wir mussten immer befürchten, dass wir überfallen werden. Das war heute der zehnte Angriff – oder der zwölfte – ach, ich weiß es nicht mehr so genau – und morgen kommt der nächste. Noch sind es nur kleine Gruppen, aber bald wird die Woge kommen: die große Flut! Wir müssen das jeden Tag befürchten, und dann werden sie unser Gehöft stürmen und – uns umbringen. Herr – ich will niemanden Angst machen – aber ich habe Angst! Sie haben eine Art zu kämpfen, die wir nicht kennen. Ich habe keine Angst im Kampf – aber ich habe Angst vor diesem heimtückischen Pfeilregen, dem wir nicht gewachsen sind.“

Schweigend hatte mein Vater zugehört. Ich sah ihn an, diesen großen starken Mann. Ich sah in sein sonnengebräuntes Gesicht und sah, wie sich seine Lider senkten, als wollte er verhindern, dass man seine Gedanken lesen sollte.

Er blickte zu mir, nickte kurz mit dem Kopf und ging schweigend davon.

***

Blitz um Blitz erhellte den Raum, den ich mit meinen Brüdern teilte. Donner um Donner hallte von allen Seiten. Der Himmel grollte – und wir hatten Angst. Da war es wieder: Das Unwort ‚Angst‘! Wie oft ist uns eingehämmert worden: „Ein Amaler hat keine Angst! Mädchen dürfen Angst haben, aber ein Junge, der aus dem stolzen Geschlecht der Amaler stammt, hat keine Angst!“

„Aber bei Odin, man darf doch Angst haben, wenn Thor über den Himmel rast und dieser dann einstürzt!“

Ich bebte vor Angst, und meine älteren Brüder ebenso. Evermud, der Älteste von uns, hatte sich die Decke über die Ohren gezogen und verkroch sich bei jedem Donnerschlag tiefer hinein.

Everwulf, der Zweite, hatte sich in die Ecke seiner Bettstatt gekauert und wimmerte leise vor sich. Bei jedem Donnerschlag zuckte er zusammen und wimmerte noch lauter.

Ich, der Jüngste, hätte mich am liebsten unter dem Lager verkrochen. Ich versprach mir von einem festen Bettkasten mehr Schutz, falls der Himmel zusammen brechen sollte.

Grell leuchtete der Blitz, der Donner folgte auf dem Fuße! Das war bei uns!

„Feuer! Feuer!“ schallte es im Haus. Auf einmal war sie weg: die Angst! Jetzt ging es um uns: Das Feuer griff uns an: Das war gegenwärtig! Und hier – auf der Erde. Das war ein Feind, den man bekämpfen konnte!

Ein Grubenhaus stand in Flammen.

„Lasst es brennen! Er ist sowie nur Unrat drinnen! Aber achtet darauf, dass die Flammen nicht übergreifen!“ befahl Vater mit seiner donnernden Stimme.

Ein dicker Tropfen traf meine Stirn. Ein zweiter – und dann brach es los: Der Himmel stürzte ein!

Im Nu war das Feuer im Grubenhaus erloschen. Wir flüchteten ins Hausinnere.

Das Langhaus bot uns allen Platz: Männer, Frauen, Kinder, Knechte, Mägde, Sklaven, jeder hatte seinen Platz … auch die Hunde und die Katzen, denn diese mussten die Ratten und Mäuse jagen. Das Vieh, wenn es nicht auf der Weide war, hatte einen gesonderten Stall. Das hatte Großvater so angeordnet, er wollte den Gestank nicht im Haus. „Es genügt, wenn wir stinken!“, pflegte er zu sagen, sobald er von den Nachbarn darauf angesprochen wurde, warum er sich nicht an die Tradition hielt, Mensch und Vieh unter einem Dach zu beherbergen.

Wir, also meine Brüder und ich und die ‚Gänse‘, das waren meine beiden Schwestern, sowie unsere Eltern und Großvater hatten getrennt voneinander unsere Schlafstätten im hinteren Teil des Hauses, hinter der Feuerstätte. Das Gesinde hatte seinen Platz hinter den Stützpfeilern am Rande der großen Halle, dort am Feuer hatten wiederum die Haussklaven ihre Schlafstatt. Die Pferdeknechte und die Viehhirten schliefen im Stroh bei ihren Tieren; aber jetzt waren sie alle in der großen Halle versammelt.

Der Regen trommelte aufs Dach. Ganz hinten tropfte es durch. Vater blickte skeptisch dorthin, aber es schien ihn nicht sonderlich zu beunruhigen.

Die Haussklaven trugen Böcke und Platten herein, die Küchenweiber kamen mit Brot und Speck hinterher. Eilig wurden noch die Bänke an die Tische gerückt, denn keiner wollte zu kurz kommen, wenn es etwas zu essen gab. Das war im Laufe der Zeit immer weniger geworden. Die Schuld lag nicht nur beiden Hunnen, die uns bedrängten. Es war das Wetter: Schon seit zwei Jahren plagte uns sengende Hitze mit darauf folgenden schweren Unwettern wie heute Nacht. Heftige Regenfälle rissen den trockenen Boden auf und die Pflanzen mit. Die Ernten fielen immer spärlicher aus. Das Vieh hatte nicht mehr genug zu fressen. Unsere Vorräte gingen zur Neige. Die Alten machten sich Sorgen – große Sorgen. Woher ich das weiß?

Auch ich habe gelauscht – nicht nur Alani. Ich habe gehört, wie ernst Vater die Lage im Kreise der Älteren beschrieb, wenn sie in der großen Halle versammelt waren. Sie kamen von den Nachbargehöften, alle gehörten zu unserem Stamm. Vater war ihr Anführer, aber alle hatten Stimmrecht. Und alle blickten gedankenvoll in die Zukunft – und das nicht nur wegen der Hunnen. Nein – auch wegen des Hungers! Denn der drohte uns allen, wenn weiter die Ernte ausfiel und das Vieh nichts mehr zum Fressen hatte.

Vater stand langsam auf. Die Gespräche verstummten.

Sona, meine Mutter blickte zu ihm auf.

Schweigend blickte Vater in die Runde; alle sahen ihn voller Erwartung an.

„Der Himmel gibt uns ein Zeichen: Blitz und Donner haben uns geweckt und hier zusammen geführt. Ihr seid alle da, so kann ich jeden von euch ansprechen.“

Vater machte eine Pause. Alle reckten ihre Hälse und warteten auf die nächsten Worte.

„Seit Generationen sind wir nun hier, haben das Land urbar gemacht, das Gehöft gebaut und gesichert, unseren Wohlstand vermehrt. Wir alle hatten unser Auskommen – uns ging es gut.

Nun sind die Götter uns nicht mehr wohl gesonnen: So haben uns daran erinnert, dass nach Höhen auch Tiefen kommen, sie haben uns Plagen geschickt: Hitze und Regen! Und obendrein noch eine Geißel, die uns den Tod bringt: die Hunnen!“

Tiefes Atmen strömte durch die Halle.

„Deshalb: Wir werden das Land verlassen!“

Ein Stöhnen ging durch die Reihen; Münder öffneten sich und schlossen sich wieder, betroffen blickten sich die Versammelten an. Meine Schwestern schluchzten laut auf. Mutters Augen wurden feucht.

„Wir haben hier keine Zukunft mehr“, fuhr Vater fort. „Es sind nicht nur die Horden der Hunnen, die uns täglich bedrohen, es ist auch das sich immer weiter verschlechternde Wetter. Das Getreide auf dem Feld ist heute Nacht wieder weggeschwemmt worden, das Vieh findet kein Fressen mehr in der Steppe, alles ist verdorrt. Und wenn wir es hinaustreiben, kommen die Hunnen und jagen es uns ab – und nachher bringen sie uns um. Also: Wir müssen hier weg!“

Großvater, der neben Vater saß, nickte bedächtig mit dem Kopf.

Viele Raubzüge hatte er mit König Ermanarich und dessen Söhnen unternommen und somit auch deren Besitz vergrößert, in den nun die Hunnen eindrangen. Nun war Ermanarich alt, zu alt, um sich gegen diese Horden zu wehren. So konnten wir von dieser Seite auch nicht mehr mit Unterstützung gegen die Eindringlinge rechnen. Wir waren also auf uns allein gestellt – und mussten deshalb selbstständig handeln.

„Ich habe mit den Ältesten des Stammes gesprochen. Wir werden aufbrechen und gen Westen ziehen. Dort sind unsere Brüder, die Terwingen, dann ein großer Fluss und dahinter das Reich der Römer. Diese werden wir überzeugen, dass wir gute Leute sind, die gutes Land bearbeiten können und damit werden wir auch deren Reichtum mehren.“

Alle nickten, Beifall erhob sich, erst zögernd, dann fielen alle ein. Es war schwer, eine Heimstatt zu verlassen, aber man musste in die Zukunft blicken und die Hoffnung haben, das alles gut werden wird.

Großvater erhob sich, sein weißes Haar leuchtete im Schein der Fackeln.

„Glaubt mir, es ist für mich nicht einfach zu gehen, nachdem ich Jahrzehnte hier gelebt habe. Aber in jedem Ende steckt ein Anfang: Deshalb seid frohgemut, denn wir sind in der Gemeinschaft stark und werden alles schaffen, was wir gemeinsam lösen können. Ich vertraue auf euch, denn wir sind Amaler – die Stolzen und Erhabenen!“

Donnernd trommelten die Fäuste auf die Tische: Es war eine gewaltige Beifallskundgebung. Großvater hatte den Anwesenden mit seinen Worten die Angst vor dem Ungewissen genommen und ihnen Kraft für das Künftige gegeben.

Die Tische wurden abgeräumt und alle begaben sich zu ihren Plätzen, um sich wieder zum Schlafen nieder zu legen.

Alani wartete bereits vor dem Durchlass zu unserer Schlafstätten auf mich. Als mein persönlicher Sklave hatte ich durchgesetzt, dass er immer bei mir sein sollte. Somit hatte er seinen Platz am Fuße meines Bettkastens. Meinen Brüdern war es egal, sie hatten keine Einwände erhoben. Meinen Vater, der mir Alani geschenkt hatte, überzeugte ich damit, dass man ein Geschenk immer bei sich haben sollte. Lachend hatte er mir danach meinen Wunsch gewährt

Ich setzte mich zu Alani, meinem Freund und Vertrauten. Wir hockten uns auf den Boden und lehnten uns an die Wand. Schaffelle minderten die Bodenkälte, Alanis Schnappsack, in dem er seine Habseligkeiten aufbewahrte, diente uns als Rückenstütze. Wir legten uns eine Wolldecke um die Schultern, denn der Regen hatte auch Kälte gebracht.

„Die Entscheidung deines Vaters ist richtig und gut. Wir haben hier keine Zukunft mehr.“

„Aber welche Zukunft haben wir in den fernen Ländern des Westens?“, fragte ich Alani.

„Ich weiß es nicht – um ganz ehrlich zu sein. Aber das, was ich gehört habe, klingt gut. Die Römer besitzen dort viel Land, das größtenteils nicht bearbeitet werden kann, weil ihnen die Menschen fehlen.

Sie besitzen ein so großes Reich, das von einem Meer zum nächsten reichen soll. Deshalb meine ich, dass dort genügend Platz für uns sein sollte.“

Beruhigt sah ich Alani an, und seine Augen übermittelten die Zuversicht, die ich dringend benötigte.

Ich stand auf und suchte meinen Bettkasten auf, kuschelte mich unter die Wolldecke und schlief gleich ein.

***

Am Morgen hatte der Regen nachgelassen. Im Osten zeigte sich ein Silberstreif am Horizont. Die Luft war frisch und klar, so klar, dass man den einzelnen Reiter schon früh erkennen konnte. Er preschte auf unser Tor zu.

„Schnell, öffnet das Tor!“ rief eine Stimme vom Haus her.

Seit dem Überfall vor Tagen hielten wir unser Tor dauernd geschlossen, um nicht überrascht zu werden.

Schmutz klebte an Ross und Reiter. Der lang anhaltende Regen der Nacht hatte die Steppe in eine Schlammwüste verwandelt.

Außer Atem sprang der Reiter vom Pferd und eilte zum Haus.

Vater und Großvater standen unterm Vordach und erwarteten ihn. Ich stand hinter der Tür und beobachtete sie.

„Ich grüße euch, Herald! Was ist so eilig?“, begrüßte Vater den Reiter. Sie kannten sich von den Raubzügen her. Herald gehörte zum Gefolge Königs Ermanarich.

Herald neigte kurz sein Kopf zu Begrüßung. „Ich bringe schlechte Kunde: Der König ist tot. Winithar ist sein Nachfolger.“

„Oh!“, brummten Vater und Großvater gemeinsam. „Dass Ermanarich einmal stirbt, war klar. Er hatte schließlich schon ein sehr hohes Alter erreicht. Aber das Winithar, sein Nachfolger würde, und nicht Withimi, ist nicht gut. Kommt herein und stärkt euch.“

Ich sah zu, dass ich von der Tür wegkam, denn Vater hatte es nicht gern, wenn man lauschte. Er tat zu mindestens so, denn manchmal hatte ich den Eindruck, dass er wusste, dass ich den Gesprächen zuhörte und es auch duldete, damit ich über alles Bescheid wusste. Warum er mir das erlaubte und nicht meinen Brüdern, war mir allerdings ein Rätsel.

Herald setzte sich, streckte die Beine von sich und schlürfte genüsslich den ihm dargebotenen gewürzten warmen Wein.

„Ermanarich ist nicht so einfach gestorben: Er hat sich ins Schwert gestürzt!“

Vater und Großvater starrten erschrocken auf Herald.

„Aber warum?“

„Er fühlte sich nicht mehr in der Lage, einen Sieg herbei zu führen. Er – der über Venethi, Meriver, Mordwinen und Heruler gesiegt und viele erfolgreiche Beutezüge bei der Sarmaten durchgeführt hatte, sah das große Unheil am Horizont – und kapitulierte. Die Hunnen haben die Alanen überrannt und diese gezwungen, sich zu unterwerfen und mit ihnen zu ziehen.

Ermanarich – der Siegreiche – wollte sich nicht unterwerfen und Knecht dieser Höllenbrut werden! So hat er sich eben umgebracht.“

„Das ist ja schrecklich!“ Vater, Großvater und ich hatten mit großen Augen dem Bericht Heralds gelauscht.

„Und was hat nun Winithar vor?“

„Er wird klein beigeben und sich mit den Hunnen verbünden!“

„Dann ist also unsere Entscheidung richtig, von hier wegzuziehen!“ murmelte Großvater vor sich hin.

„Ja! Du kannst es ruhig laut sagen“, ergänzte Vater das Gemurmel, „bis jetzt waren es nur kleine Verbände der Hunnen, die uns überfielen. Es waren geringe Stiche, die aber mehr werden zu einer großen Walze – und diese wird uns überrollen!“

Herald hatte aufmerksam zugehört.

„Ihr habt also schon beschlossen, das Land zu verlassen. Das ist gut so, ich hätte euch den gleichen Rat gegeben. Zieht nach Westen – zu den Terwingen. Und – zieht los – bevor der große Strom aufbricht. Denn der wird kommen, wenn die Pferde in der Alanensteppe sich satt gefressen haben, die Reiter aber wieder hungrig auf Beute sind. Dann werden sie kommen und voller Mordlust sein.“

Voller Bitternis waren die Worte Heralds, aber er hatte Recht. Vater und Großvater nickten dazu, und auch ich hinter Tür nickte.

„Ruht euch aus, Herald! Ich sende nun Boten zu den Ältesten unseres Stammes. Wir dürfen nicht mehr warten. Es könnte sonst zu spät für uns werden.“

Ich hatte genug gehört, ich trollte mich davon und suchte Alani.

Er saß am Feuer in der großen Halle und schnitzte neue Pfeile für mich.

Als ich auf ihn zukam, blickte er kurz auf und nickte mir zu.

„Ich weiß schon, was du mir sagen willst: Es wird ernst!“

„Ja“, antwortete ich, „ein Bote des Königs hat uns geraten, so schnell wie möglich gen Westen aufzubrechen, bevor der große Sturm auf uns zukommt. Wir sollten vorerst bei den Terwingen Unterschlupf suchen.“

„Na“, spöttelte Alani und verzog sein Gesicht, „die werden ja nicht gerade begeistert sein.“

„Aber dahinter ist das Land der Römer!“ protestierte ich. „Und das ist unendlich groß! Das hast du selber gesagt!“

„Das ist richtig. Aber zuerst müssen wir durchs Land der Terwingen. Und diese haben selber nicht genug zu essen, denn auch dort werden Dürre und Hitze geherrscht haben. Und deren Tiere haben bestimmt schon die Weiden kahl gefressen, sodass für unsere Pferde, Rinder, Schafe und Ziegen kaum etwas übrig geblieben ist.“

„Warum sagst du das alles? Nach dem Unwetter klang alles von dir Gesagte so zuversichtlich, und jetzt …“, traurig guckte ich Alani an.

Alani nahm mein Kinn in seine Hand und blickte mir in die Augen.

„Du warst aufgewühlt. Ich wollte dich beruhigen. Aber jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dir zu sagen, wie es wirklich ist. Wir werden nicht mit Freuden empfangen, und darauf will ich dich vorbereiten. Wir werden kämpfen müssen. Nur Dummköpfe rennen in Ungewisse – und du bist kein Dummkopf! Bald bist du ein Mann, deshalb musst du wissen, was auf dich zukommt und auf der Hut sein. Und ich werde dir beistehen!“

Aufmerksam hatte ich Alani zugehört und meine Aufregung legte sich. Er hatte Recht, wir mussten auf alles gefasst sein.

Dazu gehörte eine gute Vorbereitung, und die leistete auch mein Vater, wie ich am nächsten Morgen feststellen konnte.

Er musste die ganze Nacht über gearbeitet haben, um den Abzug zu organisieren. Das Leben vieler war in seiner Hand.

Ich erinnerte mich, öfters in der Nacht Hufgetrappel gehört zu haben. Er hatte Boten zu den Ältesten des Stammes geschickt, und am Morgen kamen diese.

Bevor Austrô, die Göttin der Morgenröte, den Himmel im Osten blutrot färbte, donnerten schon die ersten Reiter durchs Tor. Schnell sprangen sie ab und eilten zur großen Halle.

Flugs sprang ich aus meinem Bettkasten, um das Spektakel zu sehen und – natürlich wie immer – zu lauschen.

Ich eilte zur Tür und konnte gerade noch sehen, wie ein weibliches Wesen – aber gekleidet wie ein Mann – schnellen Schrittes zur Halle eilte. Das blonde Haar wehte frei im Wind, sie ging aber wie ein Mann oder wie ein Jüngling, denn so alt war sie noch nicht. Ich war fasziniert von dieser Person: Eine junge Frau in dieser Männergesellschaft! Unfassbar!

„Alani! Alani!“

Alani war bereits hinter mir. Ich sah ihn fragend an und zeigte auf die vorbei Eilende. „Das ist Adelgudis, die Tochter von Adila. Dessen Familie wohnt am großen Meer, damit am weitesten von euch entfernt“, gab er mir zu verstehen.

Alani wusste alles.

„Ihre Vorfahren sind über das große Meer gefahren und haben viel erobert, dann sich aber darauf besonnen, dass es besser ist, Handel zu betreiben. Der Gewinn ist höher und die Verluste geringer! Ihr größter Gewinn waren – meiner Meinung nach – die griechischen Sklaven, denn diese haben den Töchtern Adilas Lesen und Schreiben beigebracht. Adila hat nur Töchter – der Arme! Aber sie können alle Lesen und Schreiben, vielleicht noch mehr!

Adelgudis ist die Älteste; und Adila ist so mächtig, dass er im Ältestenrat durchsetzen konnte, dass Adelgudis seine Nachfolgerin sein wird. Damit hat sie das gleiche Recht wie alle Anderen – und deshalb ist sie heute dabei!“

Ich war neidisch: Dieses Mädchen darf bei den Ratsversammlungen teilnehmen und ich nicht. Nur, weil sie Lesen und Schreiben konnte! Ob sie auch gut ist im Bogenschießen?

„Alani? Kannst du Lesen und Schreiben?“

Alani verzog sein Gesicht. „Nein, das kann ich nicht.“

Seine Stimme sank herab und er klang traurig: „Ich war ein Krieger. Dein Vater hat mich besiegt. Und jetzt bin ich hier. Ich kann dir vieles beibringen: das Bogenschießen, den Schwertkampf … und anderes – aber nicht Lesen und Schreiben.

Ich umarmte Alani. „Du bist mein Freund, Alani. Ich bin glücklich, dass du bei mir bist. Sei bitte nicht traurig. Irgendwann wird es sich ergeben – wenn ich Lust dazu habe – dass mir jemand Lesen und Schreiben beibringt.“

Alani lächelte und ich sah ein Leuchten in seinen Augen.

***

Staub wirbelte auf. Räder furchten den wieder trockenen Boden auf. Pferdehufe stampften und trommelten; Reiter umkreisten das Vieh, damit es zusammen blieb. Rinder muhten, Schafe blökten und Ziegen meckerten. Hundegebell übertönte alles. Es schien wie ein Inferno – aber es war der Beginn: Es war der Aufbruch in die Zukunft.

Ich hatte mich auf einen der Tortürme begeben und beobachtete, wie Wagen um Wagen sich näherte. Alle waren Vaters Ruf gefolgt und sammelten sich bei uns. Ochsen wurden abgespannt, Joche abgenommen, aus Wassersäcken bekamen sie zu saufen.

Auch ich bekam Durst und wollte gerade vom Turm herab steigen, aber das ging nicht: Es kam mir jemand entgegen. Ein Blondschopf mit langen wehendem Haar: Es war Adelgudis!

Mein Herz pochte! Ich stand dicht an der Stiege, so musste sie zu mir aufblicken, als sie oben ankam. Bei Odin! War sie schön! Ihr blondes Haar umrahmte ein schmales Gesicht mit hoher Stirn. Graugrüne Augen blickten mich erstaunt an. Ihr voller Mund öffnete sich, gerade weiße Zähne blitzten mich an.

„Geh mir aus dem Weg – oder hilf mir hoch! Steh nicht da wie ein Tölpel!“

Bei Odin! Das war eine Stimme! So hell und klar! Und gewohnt zu befehlen!

Ich reichte ihr die Hand. Ihr Griff war fest, sie zog mich nach vorn. Aber ich stand ehern – dank meiner Bogenschießkräfte.

Dicht stand sie vor mir.

Sie war etwas größer als ich.

Ich blickte ihr in die Augen: Kleine braune Sprengel verzierten ihre graugrüne Iris. Ich sah Zornesröte in ihr Gesicht steigen – so trat ich einen Schritt zurück.

„Ich bin Evrald – mein Vater ist Ernulf, Herr dieses Gehöfts“, stellte ich mich vor. Nur ganz leicht beugte ich meinen Kopf nach vorn – bloß nicht zu viel – dachte ich, sonst meint sie noch, ich wär ihr Untertan.

Prüfend glitt ihr Blick an mir herunter. Nun ja, ich sah nicht gerade aus wie der Sohn eines Reiks – eines Häuptlings und kommenden Heerführers – eher wie ein Stallbursche. Bisher hatte ich meinen braungrauen Kittel und meine Bundhosen immer für ausreichend gehalten – man konnte gut darin arbeiten und brauchte nicht darauf achten, ob sie schmutzig wurden oder gar Löcher bekamen. Schuhe hatte ich heute Morgen auch nicht an, und meine Füße waren auch nicht die saubersten. Wie mein Gesicht aussah, wusste ich nicht, aber ich hatte es nach dem Aufstehen gewaschen.

Spöttisch sah sie mich an. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln.

„Ich bin Adelgudis. Mein Vater ist Adila; der Reiks der Greutungen auf der Krim“, tröpfelte es leicht aus ihrem Mund – so ein bisschen von oben herab.

„Aha!“ tat ich unwissend. Und widerlegte mich gleich: „Ich habe gehört, du kannst Lesen und Schreiben.“

„So – so, das hast du gehört – und sonst nichts?“ versuchte Adelgudis mich aus der Reserve zu locken.

Ich schüttelte den Kopf – und wurde rot dabei.

Adelgudis lachte laut auf. Es war ein wunderschönes perlendes Lachen.

„Also gut, ich kann Lesen und Schreiben; beherrsche auch Griechisch und ein bisschen Latein. Aber warum fragst du?“

Ich druckste ein bisschen herum.

„Nun komm schon – ich sehe doch, dass du etwas auf dem Herzen hast.“

Irgendwie kam ich mir klein vor. Ich: Ein Krieger! Ich – einer der schon im Kampf war! Ich nestelte an meinem dabei erworbenen Amulett, dem goldenen Adler. Er gab mir die Kraft, das zu sagen, was ich wollte.

Treuherzig sah ich Adelgudis in die Augen: „Kannst du mir Lesen und Schreiben beibringen?“

Erstaunt hoben sich ihre Augenbrauen wie zwei Schwalben vor dem Davonfliegen, um sich dann wieder zu einer Zornesfalte herab zu senken.

„Warum sollte ich das? Du bist der Sohn Ernulfs – sagst du zu mindestens. Nun gut, ich will das mal glauben, obwohl du wie ein Viehtreiber aussiehst. Als sein Sohn bist du einer seiner Kämpfer – lerne also mit Pfeil und Bogen und dem Schwert umgehen. Und sieh zu, dass du das so gut beherrschst, dass du ein paar Jahre älter wirst als viele andere großmäulige Kämpfer. Ich hasse eure Kämpfe! Immer dieses Draufschlagen ohne Sinn und Verstand! Als ob es nicht anders ginge! Also, das heißt: Ich werde dir kein Lesen und Schreiben beibringen. Das ist vergeudete Zeit!“

Zornig drehte sie sich um und stieg die Leiter hinab.

Wie vom Blitz getroffen stand ich da. Solch eine Abfuhr hatte ich in meinem ganzen bisherigen Leben noch nicht erlebt.

Wut kam in mir hoch. „Was bildet sich diese blöde Kuh ein? Na warte, dir werde ich es zeigen! Und ob du mir Lesen und Schreiben beibringst!“

„Evrald! Evrald!“ schallte es von unten herauf. Es war Alani. „Komm sofort herunter. Dein Vater will dich sprechen!“

Ich stieg herab.

Mein Zorn war verraucht; aber im Innern spürte ich noch die Flamme der Demütigung.

Mein Vater stand inmitten einer Gruppe Männer und gab Anweisungen. Er sah zu mir und winkte mich zu ihm.

„Geh ins Haus, wasch und zieh dich um!“ befahl er mir. „Danach kommst du in die große Halle!“

Erstaunt sah ich ihn an; folgte aber seinen Anweisungen.

Die Halle füllte sich. Alle waren sie gekommen und dem Ruf meines Vaters gefolgt.

Mein Vater, den ich bewunderte. Stolz stand er am Kopfende des Saales, rechts neben ihm Großvater und Sona, seine Frau und meine Mutter, und meine Schwestern; auf der linken Seite standen meine Brüder Evermud und Everwulf. Dahinter die Anführer der einzelnen Gefolgschaft des Hofes, flankiert von den Hauptleuten der Panzerreiter, die uns Herald geschickt hatte. Sie wollten uns begleiten, und sie waren als militärischer Schutz sehr willkommen.

Langsam ging ich zu meiner Familie. Im Saal erblickte ich Adelgudis neben ihrem Vater. Ich grinste sie an. Ich sah nun nicht mir aus wie ein Viehhirte: Frisch gewaschen roch ich gut und hatte meinen besten Kittel und mein neues Lederwams angezogen. Ein breiter Gürtel mit meinem Messer an der Seite hielt meine Hose, deren Beine von den Riemen meiner Sandalen umgürtet waren.

Ich stellte mich neben meine Brüder.

„Sieh her – du blöde Kuh – hier stehe ich! Ich bin ein Amaler!“ dachte ich und hob mein Haupt noch höher.

Ich sah Adelgudis lächeln.

„Männer und Frauen der Sippe der Amaler!“ Vater hob seine Stimme.

„Ihr seid meinem Ruf gefolgt und wollt mit mir nach Westen ziehen – fort vor Hunger und Durst – und fort von den Bestien der Steppe! Fort von den Hunnen!“

Zustimmung schallte aus der Masse der Anwesenden.

„Es wird nicht leicht sein. Entbehrungen sehen uns bevor. Wir müssen ständig gewappnet sein. Die Hunnen werden uns verfolgen und immer wieder angreifen. Deshalb hat der Ältestenrat beschlossen, dass ich euch euer Drauhtins – euer Heerführer – sein soll. Zu diesem Beschluss bitte ich um eure Zustimmung.“

Beifall erhob sich. „Wir sind dafür!“ schallte es vielstimmig aus der Tiefe der Halle.

Adila, der Vater Adelgudis, schob sich nach vorn. „Ich bin dagegen!“ brüllte er.

Mit Stolz erhobenem Haupt schritt er auf Ernulf zu. Sein kostbarer Brokatmantel umwehte ihn.

Der Reichtum dieses Mannes war für alle sichtbar. Er hob die Hand, um Ruhe im Saal einkehren zu lassen.

„Wer ist schon Ernulf? Er ist ein kleiner Reiks der Steppe! Nun gut – er ist ein Amaler. Aber ich bin ein Nachkomme des Königs Filimer! Und als solcher stehe ich über Ernulf, der sich nur als Amaler bezeichnen darf, selbst aber keine königliche Würde hat! Aber ich habe sie: Ich Adila, Reiks der Krim! Also, ich erhebe den Anspruch euer Heerführer zu sein!“

Jubel kam von der Truppe, die Adila mit sich führte.

Mein Vater ging auf ruhigen Schritts auf Adila zu. Dieser trat etwas zurück.

„Wie ein Köter, der seinen Schwanz einkneift!“ murmelte Everwulf neben mir.

Vater sah Adila direkt an. „Du erhebst also Anspruch, Heerführer zu sein? Wieviel Kämpfe hast du schon bestanden? Wie oft das Schwert geführt? Soviel ich weiß: Kein mal! Denn du hast es verlernt. Du bist ein großer Handelsfahrer, ein erfolgreicher zugleich – aber du bist erstens kein Amaler und zweitens ein Großmaul! Da meinst, alles mit deinem Geld kaufen zu können – aber da irrst du dich. Warum bist du denn vom großen Meer zu uns gekommen? Weil du Angst hast! Angst vor den Hunnen! Angst davor, alles zu verlieren! Aber Angst ist ein schlechter Ratgeber, wenn man Krieg führen will, und den werden wir führen! Darauf kannst du gefasst sein!“

Laute Rufe kamen aus der Menge. „Verschwinde! Adila – hau ab!“

Vater hob seine rechte Hand. Ruhe kehrte ein.

„Ihr habt es gehört: Adila erhebt Anspruch, euer Drauhtins zu sein. Wer dafür ist, möge es durch Handaufheben zeigen.“

Einige Hände, vor allem aus Adilas Gefolgschaft, reckten sich in die Höhe, ein paar kamen zögerlich hinterher. Adelgudis Hand blieb unten.

„Und wer nun dafür ist, dass ich euer Heerführer sein soll, der hebe jetzt die Hand!“, bat Vater die Anwesenden.

Unübersehbar waren die Arme, die sich in erhoben. Jubel brach aus. „Ernulf – wir brauchen dich!“ tönte es aus vielen Ecken.

Vater sah Adila an. Der wandte sich mit gesenkten Haupt ab. Nun hatten wir einen Widersacher in unseren Reihen.

Ich sah Adelgudis an. Sie blickte erschrocken zurück und verließ mit ihrem Vater und dem Gefolge die große Halle. Buhrufe der Zurückgebliebenen begleiteten sie.

Mein Vater blickte hinterher; Sorgenfalten kräuselten seine Stirn. Er hob beide Hände und lenkte damit wieder die Aufmerksamkeit auf sich.

„Morgen verlassen wir unser Land und ziehen ins Ungewisse. Wir werden kämpfen müssen. Dazu brauchen wir jeden Mann. Deshalb erkläre ich heute hiermit meinen Sohn Evrald zum Mann! Tritt hervor, Evrald!“

Überrascht starrte ich meinen Vater an. Everwulf gab mir einen Schubs, sodass ich mehr nach vorn stolperte als ging.

Angekommen bei meinem Vater ging ich vor ihm in die Knie. Ich hatte die Zeremonie schon öfters mit verfolgt, zuletzt bei meinen Brüdern.

Mit leichter Hand erteilte Vater mir rechts und links Backenstreiche. „Die Kindheit mit ihren Dummenstreichen ist hiermit abgegolten“, sprach er, nahm ein bereit liegendes Schwert und legte es mit der Breitseite auf meinen Haarschopf. „Jetzt bist du ein Mann und Kämpfer. Nimm dieses Schwert, schütze damit dich und dein Volk vor allem Argen! Steh auf und reih dich ein in unsere Streitschar!“

***

Unruhig wälzte ich mich hin und her. Aufgeregt zum einen von den Ereignissen des Abends, zum anderen wegen der morgigen Abreise. Na ja, und zum Dritten wegen Adelgudis. Wie sie das Verhalten ihres Vaters aufgenommen hat, und wie sie sich mir gegenüber auf dem Turm benommen hatte.

„Mensch, nun lieg endlich ruhig!“ grollte Evermud von seiner Schlafstatt her. „Du bist nicht alleine hier!“

Ich murmelte in mich hinein, dass er mich sonst wo besuchen kommen könnte, aber ich blieb nun ruhig liegen, und irgendwie war ich auch eingeschlafen.

„Steh auf, die Schlaftratte!“ schüttelte mich Everwulf wach.

Ich fuhr hoch und rieb mir die Augen. Ich hatte so einen schönen Traum gehabt, es war Irgendetwas mit Adelgudis und mir – und da weckt er mich!

„Steh auf! Es geht los!“ befahl Evermud mir.

Alani stand am Durchlass zu unserer Kammer und hielt alles in seinen Händen: den Schnappsack mit meiner Kleidung, meinen Bogen und den Köcher mit Pfeilen, das neu erworbene Schwert sowie ein Schild.

„Was soll ich denn damit?“ und blickte fragend auf den Schild. „Ein Bogenschütze braucht kein Schild.“, sagte ich zu Alani. „Wie soll ich denn schießen und gleichzeitig ein Schild halten? Nimm du den Schild; du bist mein Schutz im Kampf, ich schieß und du schützt mich! Und dazu brauchst du noch ein Schwert, das werde ich dir besorgen!“

„Aber – Evrald – ich darf kein Schwert tragen!“ entgegnete Alani. „Sklaven ist es verboten, Waffen zu tragen.“

„Das war bis jetzt so“, stellte ich klar, „von nun ab sind wir im Krieg! Und ich bin ein Krieger!

Ich ernenne dich zu meinem Schildträger!“ fügte ich großspurig hinzu.

Alani lachte. „Du Angeber! Hoffentlich bekommen wir keinen Ärger. Aber nun sollten wir uns sputen!“

Wir eilten noch draußen – mit einem Umweg für mich zur Latrine. Schließlich sollte man sich vor großen Aufgaben erleichtern!

Wagen um Wagen standen in breiter Front bereit, los zu ziehen; umschwärmt von bewaffneten Reitern. Auch Alanen mit ihrer leichten Reiterei waren zu uns gestoßen. Sie hofften wie wir, dass uns Besseres bevor stand als hunnische Unterjochung.

Vater hatte die Reihenfolge der Wagen festgelegt. Einen ärgerte das: Adila! Er stand vor Vater und gestikulierte wild mit seinen Händen.

Im ruhigen aber bestimmten Ton teilte er Adila mit, dass an der Reihenfolge der Wagen nichts geändert würde.

„Du hast eine starke Truppe bei dir, deshalb bist unsere Schutzschild nach hinten!“ fügte Vater noch besänftigend dazu. „Wir verlassen uns ganz auf dich!“ verstärkte Vater seine Aussage und ließ einen zornig vor sich hinstarrenden Adila stehen.

Vater schwang sich auf sein Pferd und gab mit der linken Hand ein Zeichen.

„Was soll das?“ fragte ich mich. Kurz darauf bekam ich die Antwort: Unser Gehöft brannte! Lichterloh schossen die Flammen in die Höhe. Von allen Seiten war es angezündet worden. Vater gab damit das Zeichen: Es gibt jetzt kein Zurück mehr! Von nun ab gibt es nur Eines: Vorwärts! Nach Westen!

Der Zug setzte sich in Bewegung. Die Ochsen brüllten, aber sie legten sich ins Joch. Angetrieben von den Wagenknechten mit ihren langen Peitschen. Wagen um Wagen rollte an und zogen am niederbrennenden Gehöft vorbei. Vielfach sah ich Tränen rollen, als ich zur Spitze des Zuges ritt.

Reiter preschten davon, nach vorn und rechts und links des Zuges. Es waren Späher, die Vater ausgesandt hatte, um die Wagenkolonne zu sichern.

Vater blickte mit starrem Blick gerade aus. Ich gesellte mich zu ihm, Alani auf seinem Pferd hinter mir. Evermud und Everwulf blickten mich vorwurfsvoll an, als sie sahen, dass Alani mein Schild trug.

Vater hatte alles aus dem Augenwinkel mitbekommen.

Nun sah er mich an. „Evrald! Überschreitest du nicht deine Grenzen? Habe ich einen Schildträger?“

„Nein, Vater“, versuchte ich ganz ruhig zu erklären, „ du hast keinen Schildträger. Du brauchst auch keinen, denn du bist ein Schwertkämpfer. Ich hingegen bin ein Bogenschütze – ein guter sogar – wie du schon erfahren hast, und als solcher kann ich kein Schild halten. Aber ich brauche jemanden, der mich damit schützt. Und dafür ist Alani besten geeignet: Er ist ein erfahrener Kämpfer, und ich bitte dich, dass er mein Schildträger sein darf.“

Vater schaute mich lange an, dann wanderte sein Blick zu Alani.

Kleine Lachfältchen zeigten sich an seinen Augen. Listig fragte er: „Ein Schildträger benötigt aber noch ein Schwert, wenn er dich schützen soll. Oder?“

„Ja, er braucht ein Schwert.“, sagte ich ganz fest und sah meinen Vater direkt an.

„Dann besorg ihm eines!“ klang es befehlend, aber seine Augen lächelten.

„Ich danke dir, Vater!“ und machte auf der Hinterhand kehrt. Alani folgte mir unverzüglich und bekam vom Waffenmeister sein Schwert. Er war für mich nun kein Sklave mehr sondern mein Schildträger.

Die Kolonne erschien mir endlos. Es dauerte seine Zeit, bis ich am Ende des Zuges ankam. Ich sah sie sofort: Ihr blondes Haar wehte im Wind, kerzengerade saß sie auf ihrem Pferd, nicht wie andere Frauen auf einem der Wagen: Sie war die Herrscherin dieser Truppe. Adila hingegen hing wie ein Sack auf seinem Ross. Es war ein schönes Pferd, aber mit diesem Reiter kein schöner Anblick.

„Na, beehrt uns einer der amalischen Großmäuler mit seinem Anblick!“ knurrte er mich an.

„Es freut mich, dass ihr so guter Laune seid, hoch verehrter Herr!“ entgegnete ich ihm leutselig und grinste in mich hinein.

Adelgudis blickt mich böse an; sie hatte mein Spiel durchschaut.

„Was willst du hier?“ rief sie mir zu.

„Zum einen wollte ich mich über alles informieren – und anderen wollte ich mit dir reden.“

„Mit meiner Tochter gibt es nichts zu bereden!“ brüllte Adila mich an.

Adelgudis sah ihren Vater lang an. Ganz leise sagte sie zu ihm: „Wer mit mir redet und wer nicht, entscheide ich! Ich bin zwar deine Tochter, aber ein selbstständiger Mensch. Und deshalb rede ich jetzt mit Evrald.“

Adelgudis trieb ihr Pferd an und ließ einen betroffen drein blickenden Adila zurück.

Ich folgte ihr. Langsam ritten wir nebeneinander.

Adelgudis sah mich ernst an. „Was willst du?“

„Bitte sag mir, warum du mir nicht Lesen und Schreiben beibringen willst!“

„Weil du ein Krieger bist – oder besser sein wirst!“, erwiderte Adelgudis etwas sarkastisch.

„Das verstehe ich überhaupt nicht. Darüber hinaus werde ich kein Krieger sein: Ich bin schon einer!“ verkündigte ich stolz.

„So, so … na, lassen wir diese Feinheiten“, kam es von oben herab, „ich möchte nicht jemanden Lesen und Schreiben beibringen, der morgen schon tot sein wird. Krieger neigen dazu, sich kopfüber in jedes Gefecht zu stürzen – sie müssen sich ja ständig beweisen.“

Im gewissen Sinne stimmte das, was Adelgudis sagte, aber ich musste es widerlegen.

„Es stimmt, Krieger müssen kämpfen, und das kann tödlich enden. Wenn nun aber ein Krieger lesen und schreiben kann, dann kann er vielleicht vor einem Kampf einiges über seinen Gegner erfahren. Das könnte zur Folge haben, dass es gar nicht erst zum Kampf kommt, weil man ihm schreiben könnte, dass das Streitobjekt verhandelbar sei. Und schon gibt es keinen Kampf, und alle bleiben am Leben.“

Adelgudis schaute mich mit großen Augen an.

„Für dein Alter kannst du schon ganz gut reden“, antwortete sie, allerdings nicht mehr so herablassend wie zuvor.

Das mit Alter fand ich doch wieder unangebracht, aber ich riss mich zusammen und sagte nichts. Schließlich hatte ich gesagt, was ich sagen wollte. Jetzt war es an ihr, die richtige Antwort zu finden.

„Gut“, kam es ein bisschen tröpfelnd aus ihren Mund, „ich werde dir Lesen und Schreiben beibringen. Ich behalte mir aber vor, das jederzeit abzubrechen, wenn ich der Meinung bin, dass du dafür ungeeignet bist.“

Sagte es, drehte ihr Pferd auf der Hinterhand und ritt im Galopp zu ihrem Tross zurück.

Ich jubelte. „Deine Hochnäsigkeit werde ich dir noch austreiben!“, war aber mein nächster Gedanke. Ich hatte schließlich gegen sie einen Etappensieg errungen. Alles andere wird sich noch erweisen.

***

Plötzlich waren sie da. Dunkel war die Wand am Horizont, die auf uns zurollte. Das Donnern der Hufe erfüllte die Luft mit Getöse.

Wir waren allerdings darauf vorbereitet. Auch nach hinten hatte Vater Späher als Nachhut ausgesandt, die uns rechtzeitig vor allem warnen sollten, was uns irgendwie gefährlich werden könnte. So hatten die rückseitigen Kundschafter sehr früh die dunkle Wolke im Osten gesehen, die uns verfolgte.

Schnell kamen Vaters Befehle, die flott weiter gegeben wurden. Die Wagen fuhren auf und bildeten eine Wagenburg. Zugtiere wurden abgespannt und nach innen zum übrigen Vieh gebracht. Über alles wurde eine große Plane gespannt, um die Pfeile, die von oben kommen würden, abzufangen. So sollten größere Verluste an Vieh verhindert werden. Frauen und Kinder verkrochen sich unter die Wagen, auch hier wurden Planen herab gelassen, um sie vor direkten Pfeilschüssen zu schützen.

Die Männer bezogen ihre Stellungen, die ihnen zugewiesen worden waren. Die Panzerreiter und die leichte Reiterei der Alanen waren auf einmal nicht mehr zu sehen. „Haben die sich etwa aus dem Staub gemacht?“ dachte ich. „Aber das glaube ich nicht! Nein, das will ich nicht glauben!“

Ich bezog zwischen zwei Wagen meine Stellung. Alani baute den Schild so vor mir auf, dass ich noch gutes Schussfeld hatte, aber auch so, dass mein Körper geschützt war.

Neben mir hatte noch weitere Bogenschützen Stellung bezogen, und so auch bei den weiteren Wagen. Hinter uns hatten die anderen Schwertkrieger dicht an den Wagen Platz genommen, denn alle wussten, als erstes wird ein Pfeilregen über uns hernieder gehen.

Und der kam schneller als wir dachten. Bereits auf großer Distanz beschossen sie uns: die Hunnen. Schreie im Innern der Wagenburg verrieten mir, dass einige Pfeile ihr Ziel gefunden hatten.

Wir warteten ab. Im Gegensatz zu damals war ich eigentümlich ruhig. Langsam zog ich die Sehne mit dem aufgelegten Pfeil zu mir hin.

Ein schriller Pfiff gellte durch die Luft. Das war das Zeichen: Mein Pfeil schnellte von der Sehne. Mit diesem viele andere. Der nächste Pfeil flog davon. Ich hatte mir meine Ziele gut ausgesucht, und schon schoss ich den nächsten ab.

„Drei Treffer!“ schrie mir Alani zu. „Weiter so!“

Und das war auch nötig, denn nun deckten uns die Hunnen mit ihren Pfeilen ein. Neben mir schrie der Mann auf und fiel lang nach hinten über. Blut strömte aus seinem Hals, in dem der Pfeil steckte. Er wurde von den anderen Kriegern nach hinten gezogen.

„Rums!“ machte es. Ein Pfeil steckte in meinem Schild. Unwillkürlich duckte ich mich. Ein Pfeil flog über mich und blieb im Holz des Wagens stecken.

„Hui! Das war knapp!“ dachte ich und nahm den Schützen ins Auge. Kurz darauf kippte er vom Pferd.

Sie kamen immer näher, als wollten sie zwischen uns durchspringen. Die Schwertkämpfer machten sich bereit, das zu verhindern.

Aber es kam nicht dazu: In ihre nördlichen Flanke stießen die Panzerreiter mit ihren tödlichen Lanzen vor, von Süden her griffen die Alanen an und traktierten die hunnische Reiterei mit ihren Pfeilschüssen.

Der Angriff kam ins Stocken. Wildes Durcheinander erfasste die Reiter, die sich wie ein Strudel drehten. Sie wussten auf einmal nicht mehr wohin. Wir beschossen sie weiterhin und sahen, dass viele vom Pferd fielen. Panik brach aus, der Angriff fiel nun endgültig in sich zusammen. Wer konnte, ergriff die Flucht. Wir schossen hinter ihnen her, so lang es noch möglich war. Ein schriller Pfiff beendete den Kampf.

Das Feld vor unserer Wagenburg war übersät mit Hunnen, mit Toten und Verwundeten.

Wir verließen unseren Schutz und gingen langsam zu ihnen hin. Die Panzerreiter waren bereits da und töteten alle, die sich noch rührten, um sich dann ans Plündern zu machen.

Vater ließ sie gewähren und erlaubte auch den Kriegern der Wagenburg, sich daran zu beteiligen.

Ich ging mit Alani zu einzelnen Toten und sah sie mir an.

„Wie fremd sie aussehen“, ertönte eine Stimme hinter mir, die ich sehr wohl erkannte. Auch Adelgudis war aufs Schlachtfeld gekommen.

„Ja“, antwortete ich und sah sie an. Sie schien sich nicht vor dem Anblick der vielen Toten zu scheuen. Mit wachem Blick ließ sie ihre Augen schweifen. Sie nahm alles wahr, auch das Grauen, das vorhanden war.

Geier kreisten über uns. Auch Raben und Krähen hockten schon am Rande des Schlachtfeldes und hüpften aufgeregt hin und her in Vorfreude auf das Festmahl, das ihnen bevor stand.

„Was passiert jetzt?“ fragte Adelgudis leise. Ihre Stimme klang belegt. Also ging das Ganze doch nicht so einfach an ihr vorbei.

„Wir ziehen weiter – wir verlassen ganz schnell das Schlachtfeld. Die Geister der Toten würden uns sonst bedrängen“, erwiderte ich.

„Und was geschieht mit ihnen?“, blickte sie mich fragend an. Es war ein Blick, der mich beinahe dahin schmelzen ließ. Schnell raffte ich mich zusammen.

„Schau umher: Die Totengräber warten schon!“, antwortete ich und zeigte herum. Dort hockten sie: Schwarz wie Hels Boten hockten sie aufgeregt am Rand des Leichenfeldes, die Krähen und Raben. Einige wagten sich schon hervor. Noch aber waren die Plünderer unterwegs, um sich das wenige, das die Toten hatten, an sich zu nehmen.

Ein Pfiff schreckte uns alle auf. Ein weiterer folgte. Es war das Zeichen zum Aufbruch.

Adelgudis sah mich lange an, bevor sie ging. Danach habe ich sie tagelang nicht mehr gesehen.

Die Ochsen wurden angespannt. Wir hatten ein paar Tote zu beklagen, ebenso einige Verletzte. Die Toten waren bestattet worden, die Verwundeten versorgt; wir konnten weiter ziehen.

Und wir zogen weiter – Tag um Tag verging. Die Sonne brannte auf uns hernieder.

***

Dunst stand über dem Fluss. Träge floss er dahin.

Die Sonne brach die Wolken und lenkte ihre Strahlen direkt an das gegen überliegende Ufer – und da verharrten sie: Eine lange Reihe Krieger. Schild an Schild standen sie da. Eine Mauer der Abwehr.

Wir hatten das Reich der Terwingen erreicht.

„Werden Sie uns aufnehmen?“ fragte Alani mich leise.

„Ich weiß es nicht“, antwortete ich ihm und zuckte mit den Schultern.

Der Schildwall öffnete sich. Ein Reiter auf einem prächtigen Ross ritt hindurch. Neben ihm ein Gefolgsmann, die Hände umklammerten fest eine zwölf Ellen lange Lanze, von deren Spitze ein breites goldgelbes Band leicht im Wind flatterte: Es war das Feldzeichen von Fritigern, dem Reiks der Terwingen. Knapp dreißig Jahre alt, aber schon Richter und bald auch Heerführer. Und in dieser Würde kam er auch daher: Ein goldroter Mantel umhüllte ihn, darunter trug er einen metallenen goldglänzenden Harnisch, wie ich noch nie gesehen hatte, auch an seinen Beinen waren Schienen aus hellem Metall befestigt … er war ein Herrscher, und so trat er auch auf.

Er ritt auf den Fluss zu. Sieben Männer folgten ihm, die Ältesten seines Stammes.

Nun sah ich die Furt im Fluss. Fritigern ritt bis zu Mitte des Flusses und wartete.

Vater und die Männer unseres Ältestenrates ritten dem Richter der Terwingen entgegen.

Ich ritt ein paar Schritte zum Flussufer vor, um zu verstehen, was gesagt wurde.

In der Mitte des Flusses trafen die beiden Trupps aufeinander.

„Ich bin Fritigern, Reiks der Terwingen. Ich grüße euch. Ich weiß, was euch hierher führt, deshalb seid willkommen. Wir werden zusammen kämpfen müssen, denn die Hunnen haben bereits den Borysthenes überschritten. Winithar, der Nachfolger Ermanarich ist tot, er wurde von Balamir, dem jetzigen Anführen der Hunnen, im Kampf getötet. Deshalb, seid willkommen!“

„Ich danke euch, Fritigern, für euer Entgegenkommen. Ich bin Ernulf, Reiks und Drauhtins der Menschen hinter mir. Deine Mitteilungen sind neu für uns und erschüttern uns. Aber wir sind fest in unserem Kampfeswillen und deshalb reihen wir uns ein in deine Reihen und erkenne dich an als unseren Drauhtins.“

Sagte es und ritt direkt auf Fritigern zu und reichte diesem den Arm und die Hand. Dieser umschloss beides; damit war das Bündnis zwischen Terwingen und uns Amaler aus dem Osten geschlossen.

Unser Tross setzte sich in Bewegung. Wagen um Wagen durchquerte den Fluss. Später erfuhr ich, dass er den Namen Tyras hatte.

Der Schildwall am anderen Ufer öffnete sich und ließ uns ins Hinterland. Die Gesichter der Männer waren verschlossen, aber sie sahen uns nicht feindselig an.

Ein Trupp von Fritigerns Männern wies uns eine große Lichtung zu; dort sollten wir vorerst bleiben.

Die Ochsenkarren wurden wieder zu einer Wagenburg aufgefahren. Zwar waren wir nicht unbedingt im Feindesland, aber wir waren es gewohnt, auf der Hut zu sein. Außerdem war da noch die Bedrohung durch die Hunnen; sie hatte uns auf dem ganzen Weg bis hierher begleitet, aber außer dem einen Angriff zu Beginn unseres Auszuges hatten wir keinen weiteren erlebt.

Vater ritt auf mich zu. Meine Brüder begleiteten ihn.

„Komm mit!“, befahl er mir.

„Wir sind in Fritigerns Haus eingeladen, um das Kommende zu besprechen.“

Das Palisadentor zu Fritigerns Gehöft war weit geöffnet. Gefolgsleute des Hofherrn warteten auf uns, gekleidet mit Lederjacken und bestickten Leinenkitteln. Die Riemen ihrer Ledersandalen umwickelten die Waden ihrer ungefärbten Leinenhosen. Sie stützten sich auf ihre hohen mit Erz beschlagenen Lindenholzschilder. Als wir kamen, hoben sie ihre Schwerter und schlugen damit auf ihre Schilder: Damit begrüßten sie uns und andere, die Fritigerns Ruf der Einladung folgten. Und dieser wusste, dass wir kamen.

Wir schritten durch den hölzernen Säulenvorbau des stattlichen Langhauses. Blaues Gewölk stieg aus dem Rauchfang hinter dem hohen Giebel mit den gekreuzten Balken.