... und die Liebe siegt doch - Deidree C. - E-Book

... und die Liebe siegt doch E-Book

Deidree C.

4,3

Beschreibung

Die Wege der alleinerziehenden Teenagermutter Victoria und des bekannten Filmstars und Frauenlieblings Mark kreuzen sich nach zwei Jahren Gefühlschaos zufällig wieder. Wird sie ihm vom gemeinsamen Sohn erzählen? Sind beide reif genug ihre Verletzungen und Scham - resultierend aus ihrer ersten Begegnung - hinter sich zu lassen und ihrer Liebe eine wirkliche Chance zu geben?

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Die Wege der alleinerziehenden Teenagermutter Victoria und des bekannten Filmstars und Frauenlieblings Mark kreuzen sich nach zwei Jahren Gefühlschaos zufällig wieder. Wird sie ihm vom gemeinsamen Sohn erzählen?

Sind beide reif genug ihre Verletzungen und ihre Scham – resultierend aus ihrer ersten Begegnung - hinter sich zu lassen und ihrer Liebe eine wirkliche Chance zu geben?

Deidree C. wurde 1970 am Traunsee im oberösterreichischen Salzkammergut geboren und lebt hier mit ihren beiden, mittlerweile erwachsenen Kindern. Da sie ihre Kinder alleine großzog, kennt sie fast alle Fragen die sich auch die Protagonistin ihres Erstlingswerkes stellt.

Deidree C. kam die Idee zu diesem Buch schon vor fast 30 Jahren, doch erst ein beruflicher Wendepunkt brachte ihr die notwendige freie Zeit um diese schlummernden Gedanken niederzuschreiben.

Für Richard

Danke, dass du mir in meinen Jugendjahren Inspiration für dieses Buch warst und mich viele Jahre in Gedanken begleitet hast.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Oktober 1988

Victorias Elternhaus, Traunsee

November 1988: Kilkee, Irland

Villa am See, Traunsee

L.A., Kalifornien

Anfang April 1989: Victorias Elternhaus, Traunsee

13. April 1989

Juni 1989

Juli 1989

Dezember 1989: Kilkee, Irland

21. Dezember 1989

Weihnachtsfest, 1989: Kilkee, Irland

Weihnachtsfest 1989: Victorias Elternhaus, Traunsee

Anfang April 1990: Traunsee

13. April 1990: Victorias Elternhaus, Traunsee

Ende April 1990: Kilkee, Irland

Mitte Mai 1990: Limerick, Irland

Ende Mai 1990: Kilkee, Irland

Anfang Juni 1990

Anfang Juli 1990

August 1990

Limerick, Irland

Kilkee, Irland

17. August 1990: Limerick, Irland

Kilkee, Irland

19. August 1990

20. August 1990

Anfang September 1990: Victorias Elternhaus, Traunsee

Anfang September 1990: Kilkee, Irland

Villa am See, Traunsee

Epilog

PROLOG

Traunsee, 1988

Der See liegt so friedlich vor ihr. Die aufgehende Sonne zaubert goldene Sterne auf die Oberfläche. Klar und deutlich zeichnen sich die Berge auf der gegenüberliegenden Seite ab.

Es ist ein ruhiger, aber kühler Herbsttag. Der Wind bläst durch ihr schulterlanges, braunes Haar und sucht sich seinen Weg unter die viel zu dünne Jacke. Aber sie spürt die Kälte nicht. Sieht nicht die Schönheit, der sie umgebenden Berge mit dem klaren See davor.

Der Traunstein erhebt sich vor ihr, hoch und mächtig, wie ein Beschützer über das ganze Land. Wird er auch sie beschützen?

In einem leichten Bogen zieht sich die Bergkette vom Nordosten, über das gesamte Ostufer, bis zum Südufer des Traunsees. Es ist "ihr" See, wie sie manchmal scherzhaft behauptet.

Hierher zieht sie sich zurück, wenn sie mit ihren Gedanken alleine sein will. Auf eine einfache kleine Holzbank. Ein alter knorriger Baum dahinter, vor ihr der See, links und rechts halbhohe Sträucher, die etwas vor neugierigen Blicken schützen. Hier findet sie die so dringend benötigte Ruhe.

Wie war sie nur in diese Situation geraten? Eigentlich scheint alles völlig unrealistisch. Wann hatte das alles seinen Lauf genommen? Fragen, die in ihrer jetzigen Lage keine Bedeutung haben und doch tauchen sie immer wieder auf. Auch, da sie ihr in nächster Zukunft von anderen gestellt werden würden. Was soll sie darauf antworten? Will sie überhaupt darauf antworten?

Victorias Gedanken wandern zurück:

Vor gut zwei Jahren war es, dass sie IHN das erste Mal gesehen hatte. Gesehen ist gut. Sie hat sich mit ihren Freundinnen einen Film von ihm angesehen. Und schon war es um die damals 14jährige Victoria geschehen.

Ein Mann groß, schlank, verführerisches Lächeln, höflich, zuvorkommend, immer verständnisvoll und hilfsbereit in seiner Filmrolle. Aber diese Augen!!!! Was hat der Mann nur für Augen! Victoria konnte sie nicht vergessen. Ob sie wach war oder schlief. Ganz besonders wenn sie ihre Augen schloss. Seine Hände, diese langen, schlanken Finger! Wie würde es sich wohl anfühlen, wenn sie von diesen Händen berührt werden würde?

Sie wusste all die Monate, dass diese Schwärmerei aufhören musste. Er lebte auf der andern Seite ihrer Welt, nicht nur geographisch gesehen, auch gesellschaftlich. Da würde sie nie dazugehören. Nie auch nur in die Nähe kommen. Sich auch nicht wohl fühlen. Sie würde ihn wahrscheinlich sogar niemals persönlich aus der Nähe sehen. Also, was wollte sie überhaupt?

Immer wieder sagte sich Victoria das in den letzten beiden Jahren vor. Es half nichts. Sein Bild war bei ihr, sobald sie alleine war; ja, oft auch in Gesellschaft anderer.

Und dann kam dieser, alles verändernde, heurige Sommer.

Oktober 1988

Wäre sie doch nur nie auf dieses Sommerfest gegangen! Hätte sie sich doch nie mit ihm getroffen! Hätte sie doch wenigstens …......., ach, was sollen all diese „hätte“ und „wäre“? Es war nun einmal nicht so.

Vor drei Monaten trafen sich Victoria und ihre Freundinnen an einem Samstag Abend am Seeufer zum Sommerfest.

Es war ein wunderschöner Tag, der Abend herrlich warm. Die Stimmung am See fröhlich ausgelassen. So einen Juliabend konnte man einfach nur genießen.

Die Freundinnen lachten und erzählten einander Wichtiges und Unwichtiges. Sie gingen am See spazieren, trafen sich mit Jungs. Ja, sie tanzten zur Musik einer relativ unbekannten Band.

Das Sommerfest fand jedes Jahr im Juli am Seeufer ihres Heimatortes statt. Hier trafen sich Jung und Alt, Reich und Arm, um ein paar Stunden gemeinsam zu verbringen und mit einem großen Feuerwerk über dem See den Abend abzuschließen.

Die Älteren saßen vor dem Pavillon, in dem die Musik spielte, unterhielten sich und tanzten. Die Jugend versammelte sich meist am nahen Spielplatz, um etwas außerhalb der Blicke der Eltern die ersten, zweiten, oder doch schon routinierteren Schritte aufeinander zuzugehen.

Eine Idylle am Land, die für Victoria und auch für ihre Familie ein jähes Ende finden würde.

An den Spielplatz schloss sich die Promenade an. Mit alten Kastanienbäumen und Bänken dazwischen, die für Pärchen, oder solche die es werden wollten, nur allzu einladend im Schatten standen.

Der frühe Abend strich dahin. Die Dämmerung begann schon ganz leicht einzusetzen, als sich zwei Mädchen aus der Gruppe am Spielplatz lösten. Victoria und ihre Freundin Rebecca spazierten die Promenade entlang und besprachen, wie Rebecca sich ihrem Schwarm am besten und doch nicht aufdringlich nähern konnte.

Zwei junge, 16jährige, unbeschwert plaudernde und lachende Mädchen. Rebecca, die nicht den Mut hatte, den Jungen, der ihr so sehr gefiel anzusprechen. Und vor allem gehörte es sich ja als Mädchen nicht. Da musste schon er den ersten Schritt machen. Victoria lächelte immer wieder über Rebeccas so alt hergebrachte Einstellung.

Rebecca hingegen verstand einfach nicht, warum Victoria jeden noch so kleinen Versuch der Jungs, ihr näher zu kommen, von Anfang an schon unterband. Es war, als wäre sie eiskalt. Doch Rebecca wusste, dass Victoria eine fröhliche, lebenslustige Freundin sein konnte, die ein Herz voller Nächstenliebe besaß, allerdings für ihr Alter ruhiger und verschlossener war, als andere. Könnte sie nur diese dumme Schwärmerei für diesen ewig weit entfernten Schauspieler endlich aufgeben!

So gingen sie zusammen bis ans Ende der Promenade, setzten sich auf eine der Bänke und unterhielten sich lange. Da sie nicht auf Zweisamkeit aus waren, wählten sie eine freie Bank unter einer Laterne. Sie saßen im Licht, konnten gesehen werden, aber selbst sahen sie in die beginnende Dunkelheit.

Nach einiger Zeit hatte Victoria das Gefühl, dass sie beide beobachtet wurden. Es war kein unangenehmes, eher ein warmes, sie einhüllendes Gefühl.

Von fern hörten sie die Stimmen ihrer Freunde immer näher kommen und wussten, dass es langsam Zeit wurde zum Fest zurückzukehren, um das Feuerwerk gemeinsam sehen zu können.

So standen sie auf und gingen gemütlich aus dem Licht in den Schatten zurück. Was war das? Ihre Augen hatten sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt. Aber stand da nicht jemand unter den Bäumen?

Lässig am Wegrand, an den Stamm einer großen alten Kastanie gelehnt, war eine schlanke Gestalt zu sehen. Offensichtlich hatte diese Gestalt die beiden Mädchen wirklich schon länger beobachtet.

„Komm, lass uns über den Rasen gehen.“ Rebecca wollte ganz schnell über die Wiese verschwinden, um nicht an dieser Gestalt vorbeigehen zu müssen. Solche Situationen mochte sie gar nicht. Aber Victoria hielt sie zurück. Irgendetwas an der Gestalt dort faszinierte sie. Sie wollte den Weg entlang gehen und sehen wer dort stand.

Betont langsam schlugen sie also den Weg in Richtung des Festes ein.

Geschickterweise hatte sich dieser Jemand so an den Baum neben dem Weg gelehnt, dass sich sein Gesicht im noch dunkleren Schatten befand und er somit völlig unerkannt blieb.

Als die beiden Mädchen sich ihm näherten, löste er sich jedoch vom Baum und trat die zwei Schritte auf den Weg. Seine Hände hatte er in den Hosentaschen versteckt.

Da er jetzt etwas vor ihnen am Weg stand und sich ihre Augen an die hier herrschende Dunkelheit gewöhnt hatten, war es Victoria, die kurz einmal Luft holen musste.

Das konnte nicht sein! Träumte sie? Wo kam er her? Warum war er überhaupt hier? Und dann fiel es ihr ein: die Premiere seines neuen Filmes nächste Woche in der Nachbarstadt! Mark Chromwell! Er war tatsächlich hierher gekommen, so weit abseits des ganzen Hollywood-Glanzes.

Längst war Victoria stehen geblieben und starrte ihn nur an. Rebecca an ihrer Seite erkannte den berühmten Schauspieler ebenfalls, war aber viel weniger fasziniert als ihre Freundin und beobachtete die Szene als unbeteiligte Dritte. Da sie ja genau wusste wie Victoria für diesen Schauspieler schwärmte, und sie sich auch öfter darüber lustig machte. Sie hatte trotzdem gerne zugesagt mitzugehen, als Victoria ihr letzten Monat eine Karte für die Premiere besorgt hatte. Das war doch mal ein Ereignis, wo sich sonst nicht viel Außergewöhnliches tat.

Ja, die Freundinnen hatten überlegt, ob und welche der Schauspieler zur Premiere kommen würden. Aber niemand von ihnen glaubte wirklich daran, die, oder wenigstens einen der Hauptdarsteller auch nur aus der Ferne zu sehen. Und jetzt stand er hier vor ihnen, es war schon irgendwie kurios.

Für Victoria stand die Zeit still. Sie sah nur mehr diese, seine, blauen Augen, und hatte das Gefühl, dass er ihr bis in die Seele damit schauen konnte. Der Blick, der sie umfing, zog sie magisch an.

Plötzlich fragte sie sich, ob sie in ein Ameisennest getreten sei. Ihre Haut prickelte am ganzen Körper. Es fiel ihr schwer ruhig zu atmen. Und wie laut ihr Herz klopfte! Das war doch für den ganzen Ort zu hören. Wie peinlich.

Hatte er was gesagt? Oder war es der Wind in den Blättern? Oder das Blut, das in ihren Ohren rauschte? Was war nur los?

In dem Moment trat er einen Schritt auf sie zu. Es war Victoria, als würde er sie mit einem einzigen Blick umfassen. Ihre Knie waren wie Butter. Hätte sie um ihr Leben laufen müssen, sie hätte es nicht gekonnt. 'Wie eine Schlange ihr Opfer hypnotisiert.', kam es ihr in den Sinn und sie musste lächeln.

„Ein wunderschönes Fleckchen Erde, dieser Ort. Lebt ihr hier?“, wie ein Donnerhall durchbrach seine Stimme die Stille der Nacht. Der tiefe Klang traf Victoria tief ins Mark. Nie würde sie diese Stimme vergessen. Viel voller, erotischer, als in jedem seiner Filme.

Da Victoria immer noch nicht fähig war zu sprechen, übernahm Rebecca diesen Teil.

„Hallo, ja, das ist unsere Heimat. Und du bist zur Premiere hier? Von uns hat niemand gedacht, dass du wirklich kommen würdest.“

'So als würde sie sich mit einem Schulfreund unterhalten,' dachte Victoria, 'wie schafft sie das nur?'

Mark wandte langsam den Kopf zu Rebecca und sah sie erstmals direkt an. Dadurch hatte Victoria die Chance sich von seinen Augen zu lösen und sich etwas zu fangen.

„Da nächste Woche die erste Aufführung ist, muss ich doch selber hier sein. Und die Landschaft hat mir schon bei den Dreharbeiten sehr gefallen.“ Noch während er sprach, überlegte Mark bei sich: 'Wie alt werden die beiden wohl sein? Zwei schöne junge Frauen, so um die 19 oder 20 Jahre, und doch so unterschiedlich.'

„Sehr lange warst du bei den Dreharbeiten aber laut Presse nicht hier.“, stellte Rebecca nüchtern fest.

Sein leichtes Lachen war wie eine zärtliche Berührung für Victoria.

„Für den Film hätte ich wirklich nicht lange hier sein müssen, da hast du schon recht.“ Er blickte wieder zu Victoria und erklärte weiter: „Doch ich konnte mich von hier nicht trennen. Es war, als hielte mich etwas fest und so blieb ich ein paar Wochen länger, heimlich.“

„Aber man hat dich nie irgendwo gesehen!“, endlich hatte auch sie ihre Stimme wieder gefunden.

Mark wandte sich mit lockerem Plauderton an Victoria und fuhr fort: „Mit den Jahren bekommt man die einen oder anderen Tricks raus, wie man sich unsichtbar macht. Obwohl, immer klappt auch das nicht, muss ich schon zugeben. Doch damals hatte ich Glück. Oder auch nicht, vielleicht wäre ich dir früher begegnet, wenn ich mich mehr gezeigt hätte.“

Hatte da ein leichtes Bedauern in seiner Stimme mitgeschwungen? 'Nein, er ist Schauspieler, vergiss das nicht.', schalt sich Victoria im Stillen. Trotzdem, ihr Herz wollte einfach keinen normalen Rhythmus finden.

„Vicky, wir müssen langsam.“ Rebecca sah über Victorias Schultern in Richtung des Festes und nahm ihre Freundin am Arm.

„War nett dich zu treffen.“, sagte sie zu Mark, doch dieser schien sie nicht wahrzunehmen. „Vicky! Komm!“

„Schade, dass du schon gehen musst. Ich hätte mich gerne noch ein paar Minuten mit dir unterhalten.“, unterbrach Mark das Drängen von Rebecca.

'Der tut ja so, als ob ich gar nicht hier wäre.', dachte Rebecca wütend. 'So ein arroganter Kerl!' Und noch einmal versuchte sie ihre Freundin zum Gehen zu bewegen.

Victoria wandte sich jetzt endlich ihrer Freundin zu. „Einen Moment, bis zum Feuerwerk bin ich bei euch. Du kannst ruhig schon vorgehen.“

Da Rebecca das Strahlen in den Augen von Victoria sah, war ihr klar, dass diese unbedingt einen Augenblick mit ihrem großen Schwarm alleine sein wollte.

„Ok, wie du meinst. Aber bleibe hier, ich schaue nach dir.“ Mit einem Seitenblick auf Mark verabschiedete sie sich von ihm und ging zu ihrer Gruppe zurück.

Lächelnd sah Victoria zu Mark.

„Manchmal ist sie schon übervorsichtig.“, meinte sie entschuldigend. Mark sah ihr direkt in die Augen, als er ihr antwortete.

„Aber vielleicht hat sie ja gar nicht so unrecht. Könnte ja sein, dass ich dich entführen will.“

Ein verhaltenes Lachen bahnte sich seinen Weg. „Hier? Eine Entführung? Unter den Augen des ganzen Ortes? Das möchte ich sehen.“ Und entgegen ihrer sonst zurückhaltenden Art setzte Victoria noch nach: „Und zu einer Entführung kann es nur kommen, wenn ein Teil nicht freiwillig mitkommen will.“

Mark zog eine Augenbraue ganz kurz und leicht nach oben. Diese junge Frau vor ihm überraschte ihn. So unnahbar und doch die Aussage so bestimmt und eindeutig, wie er zu verstehen glaubte.

Da er selten eine sich bietende und verlockende Gelegenheit ungenützt verstreichen ließ, ging er darauf ein. „Dann würdest du dich morgen mit mir zu einem Kaffee treffen?“

Für Victoria war es wie ein Lottogewinn. Nicht nur, dass sie ihrer heimlichen Liebe wirklich begegnet war, nein, er wollte sogar einen Kaffee mit ihr trinken. Unmöglich, dass sie „nein“ sagen konnte. Sie konnte gar nichts sagen, ihre Stimme war wieder einmal verschwunden. So sah sie nur in diese faszinierenden Augen und nickte leicht.

„Passt es dir morgen Nachmittag?“ Mark nahm lächelnd ihr Nicken wahr und fuhr fort: „14.00 Uhr in der Villa am See. Dort findest du mich.“

Endlich zog Victoria wieder Luft ein. Wie lange hatte sie nicht geatmet? Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor.

„Die Villa am See ist doch unbewohnt.“, brachte sie schließlich mühsam über ihre Lippen.

Gleichzeitig jagte ein Gedanke den anderen. Kaffee mit IHM. Und offensichtlich nicht in der Öffentlichkeit! Keine Frage, sie würde hingehen, auch wenn ihr Verstand sie jetzt schon warnte. War er nur halb so ein Frauenliebhaber wie die Presse schrieb, war es kein guter Rat mit ihm alleine zu sein. Doch Victoria hatte sich schon lange vorher entschieden. Sie wollte so viel Zeit wie möglich mit ihm verbringen, egal wo das war. Außerdem würde er ja Personal haben. So ein Mann lebt sicher nicht alleine, beruhigte sie sich selbst.

Seine Stimme riss sie von ihren Gedanken los. „Ja, bis vor Kurzem stand die Villa völlig leer. Als ich zu den Dreharbeiten hier war, ist sie mir aufgefallen und ich überlege, sie aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwecken.“

Mark öfter hier in ihrem Heimatort! Ein Weihnachtsgeschenk im Juli für Victoria.

„Aber es wäre hilfreich, wenn das unter uns bliebe.“ Charmant umgarnte er Victoria, auch wenn das längst nicht mehr nötig gewesen wäre.

„Gut, ich komme morgen Nachmittag vorbei. Ich werde allerdings nicht allzu lange bleiben können. Doch für einen Kaffee habe ich Zeit.“

„Vielleicht wäre auch noch ganz nett zu wissen, mit wem ich mich zu einem Kaffee verabrede? „Vicky“ hat deine Freundin dich genannt, oder?“ Da erst wurde Victoria bewusst, dass sie sich nicht vorgestellt hatte. Sie errötete bis unter den Haaransatz.

„Entschuldigung, das hatte ich ganz vergessen. Ja, Victoria Kreupl.“

„Victoria.“ Unendlich langsam und zärtlich sprach er ihren Namen aus. Victoria spürte das Kribbeln auf ihrer Haut. Die Augen, in denen sie sich zu verlieren drohte. Merkte, wie sich seine Hand hob, er sich ihr näherte und dabei seinen Blick über ihr Gesicht wandern ließ. Genussvoll wie ihr schien.

Die Berührung seiner Hand, leicht und locker auf ihrem Rücken, schien ihr doch als würde ihre Haut durch die Kleidung verbrennen. Die kurze, aber herzliche Umarmung ließ sie seine Muskeln unter dem gut sitzenden Hemd erahnen. Victoria wollte so für den Rest ihres Lebens stehen bleiben, aber da löste er sich auch schon von ihr.

„Bis morgen dann. Ich freue mich.“ Ein Zwinkern seiner Augen, dann wandte er sich um und verschwand geschmeidig im dunkleren Schatten.

Wie lange hat sie so gestanden und in die ihn umschlingende Dunkelheit gestarrt? Sie hätte es nicht sagen können. Als aber die ersten Feuerwerkskörper den Himmel erhellten, begannen auch die Sinne von Victoria wieder zu reagieren wie sie sollten. Sie suchte die Gruppe ihrer Freunde und ging darauf zu.

Wie war der restliche Abend verlaufen? Heute konnte Victoria das nicht mehr ganz genau sagen. Ihr war bewusst, dass Rebecca sie immer wieder musterte. Aber sie stellte keine Fragen. Die Freundinnen verrieten den andern auch nicht, wen sie getroffen hatten. Wie im Traum vergingen die nächsten Stunden für Victoria.

"Vicky?", die besorgte Stimme ihrer Freundin und deren Hand auf ihrer Schulter reißen Victoria aus ihren Gedanken.

Erst jetzt bemerkt sie selbst, dass ihre Wangen tränennass sind. Rebecca sieht sie verdutzt an. Was ist mit ihrer Freundin nur los? Schon seit zwei oder drei Wochen benimmt sie sich eigenartig. Heute, früh am Morgen, dann der Anruf mit der Bitte sie hier zu treffen. Und jetzt sitzt sie hier und heult?

Langsam setzt sie sich an Victorias Seite, legt ihren Arm um sie und sagt erst einmal nichts. Victoria wird schon reden, wenn sie so weit ist.

Lange sitzen die beiden so nebeneinander. Während Victoria die Tränen nun ungehindert übers Gesicht laufen und sie lautlos vor sich hin schluchzt, hält Rebecca sie einfach nur fest und überlegt, was ihre Freundin so aus ihrer sonst so ruhigen Gemütsverfassung bringen konnte. Sie weiß, dass Victoria schon länger ein Geheimnis hat, dieses aber nicht einmal ihr - ihrer besten Freundin - verraten wollte. Jetzt dürfte wohl einiges schief gelaufen sein.

Rebecca war auf vieles gefasst, aber nicht darauf, was sie gleich zu hören bekommen würde.

Allmählich beruhigt sich Victoria. Sie trocknet umständlich ihr Gesicht. Doch als Rebecca leise fragt: „Na, raus damit, was ist so schlimm?“, kämpft sie schon wieder mit einem neuen Schwall Tränen.

Rebecca streicht mit ihrer Hand über Victorias Haar und zieht sie wieder an ihre Schulter.

„Schhhhh.... Hey, na komm, lass es mich wissen, dann ist alles gleich halb so tragisch.“

Die beruhigend gemeinten Worte von Rebecca verfehlen ihre Wirkung bei der Freundin und diese schüttelt nur mühsam den Kopf, während sie krampfhaft versucht sich unter Kontrolle zu bringen.

Es scheint eine kleine Ewigkeit zu vergehen, bis Victoria sich zu ihrer Freundin dreht und tonlos zu flüstern beginnt.

„Ach Becki, ich schäme mich so. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie dumm ich bin.“

Diese verfluchten Hormone, schon wieder drängen sich heiße Tränen um die sonst so strahlend grün, mit Gold gesprenkelter und schwarz umrandeter Iris, in Victorias Augen.

Rebecca sieht das Gesicht ihrer Freundin vor sich und staunt. Hatte sie immer schon so dunkle Ringe unter den Augen? Gut, durch das viele Weinen sind sie jetzt dick geschwollen, aber die tränennassen Augen scheinen die sonst so typische unbeugsame Lebenslust sehr stark eingebüßt zu haben, die kleine Stupsnase wie im tiefsten Winter rot, trotzdem wirken die vollen, schön geschwungenen Lippen noch voller als sonst. Im Ganzen war sie so anders. Was hatte diese Veränderung in Victorias Gesicht bewirkt?

„Wenn ich könnte, würde ich bis ans Ende der Welt laufen und mich irgendwo verstecken.“, hört sie ihre Freundin flüstern. „Aber meine Schwierigkeit würde mitkommen, egal wohin und wie weit ich verschwinden würde.“

Mit einem Mal ist Rebecca wie vom Donner gerührt und ihr ist klar, was los ist. Sie reißt ihre Augen und ihren Mund auf, formt ein entsetztes, aber vollkommen tonloses „Nein!!!“. Trotz aller Verzweiflung muss Victoria über ihren überraschten Gesichtsausdruck lächeln.

Rebecca ist die beste Freundin, die sie sich nur wünschen kann. Sie kann blind darauf vertrauen, dass nichts von ihr weitererzählt werden wird, dass sie ihr so gut sie kann helfen und sie unterstützen wird. Irgendwie hat Victoria sogar ein schlechtes Gewissen, was sie ihrer Freundin da zumuten muss. Aber ganz alleine kann sie es nicht schaffen. Sie braucht eine Vertraute. Das ist ihr in den letzten Wochen klar geworden. Noch gibt es ihrer Ansicht nach zu viele Mauern, die ihren Weg versperren. Rebecca wird bei jedem Kampf an ihrer Seite sein. Und dieses Wissen tut unheimlich gut.

„Vicky?“ Ihr Mund ist, wie nach einem stundenlangen Marsch durch eine Wüste, staubtrocken. Das Sprechen fällt ihr so schwer. Und doch will, und muss, sie es jetzt endlich hören.

„Vicky, sag´s mir, damit ich´s glaube.“

Plötzlich und ohne Vorwarnung spürt Victoria die Kälte auf ihrem Körper. Was, wenn auch alle Hilfe von Rebecca umsonst ist? Wenn sich jeder und die ganze Weltgegen sie stellen würde? Als würde sich eine kalte Hand um ihr Herz legen, zuckt sie zusammen. Nein, nicht daran denken, es muss einfach gut werden. Ich schaffe das. Ich kann das. Ich mache das. Wie oft hatte sie sich in den letzten Wochen diese Sätze wohl vorgesagt? Sie weiß es nicht. Es ist auch egal.

Jetzt, jetzt ist es soweit. Sie muss es zum ersten Mal laut aussprechen. Und die Angst kriecht von ihrem Herz in ihre Kehle. Ihre Stimme will ihr nicht gehorchen. Trotzdem, sie muss ihrer Freundin so viel wie möglich erzählen.

„Becki, ich weiß nicht was ich machen soll. Ja, es ist so. Ich bin schwanger.“

So! Es ist gesagt. Oder eher geflüstert. Aber irgendwie ist die Welt rundum so unheimlich still, dass es Victoria vorkommt, als habe sie es laut über den See gerufen.

Rebecca zieht ihre Freundin wortlos an sich. Stirn an Stirn sitzen sie eine Weile am See, während die Wellen gegen die Steine am Ufer rollen und leise gurgelnd wieder zurück laufen.

„ER? Wann?“ Nur zwei kleine Worte, von Rebecca geflüstert. Doch die Tragweite der Antwort, unvorstellbar groß. Victoria will ihre Freundin nicht anlügen. Das würde sie bei vielen anderen Menschen machen müssen. Aber nicht bei Rebecca.

„Am Tag nach dem Sommerfest.“, flüstert sie und wartet auf die Vorwürfe, die da ja kommen müssten.

Aber nichts. Rebecca verliert kein anklagendes Wort. Victoria kann nur eine stumme Frage in ihren Augen lesen, deswegen beginnt sie zu erzählen.

„Am Sommerfest warst du ja dabei, als wir Mark kennengelernt haben. Ich blieb noch bei ihm stehen, als du schon zu den anderen zurückgingst. Und da haben wir uns für den nächsten Tag auf einen Kaffee bei ihm verabredet.“

„Und du hast wirklich gedacht, nur für einen Kaffee??“ Diese Frage kann sich Rebecca nun doch nicht verkneifen.

„Ja. Nein. Becki, ich weiß nicht. Wahrscheinlich nicht. Aber ich dachte darüber auch nicht nach. Ich wollte ihn einfach treffen.“

Wie ein Häufchen Elend sitzt Victoria ihrer Freundin gegenüber.

„Ok, was war weiter?“

Jetzt ist Rebecca wirklich neugierig. Ihre Freundin ist doch klug. Wie konnte Mark sie nur so weit bringen. War Gewalt im Spiel? Sie muss es wissen, deswegen drängt sie mehr zu erfahren.

„Wir trafen uns in der Villa am See.“

„In der Bruchbude!!!“, bricht es aus Rebecca überrascht heraus. „Entschuldige, erzähl weiter.“ Sie versteht Victoria immer weniger. Wie konnte sie sich überreden lassen, in so ein unbewohntes, altes Haus zu gehen? Alleine!!!

Victoria streckt ihren Rücken, setzt sich ganz nah an ihre Freundin und beginnt weiter zu erzählen, sieht dabei aber auf den See, um die Scham, die in ihr hochsteigt, etwas verbergen zu können. Details wird sie ihr nicht erzählen. Aber ihre Gedanken sind wieder einmal, wie so oft in den letzten Wochen und Monaten, bei diesen zwei Stunden mit dem geliebten Mann:

Die Villa am See lag als letztes Haus an der Promenade. Der verwilderte Garten beherbergte einige große, uralte Bäume. Der Weg zum Haus war teilweise von Sträuchern zugewachsen. Doch sah man, dass hier in letzter Zeit Menschen ein- und ausgingen.

Das Haus war alt, die Fassade an verschiedenen Stellen abgeblättert, genauso wie die Fensterrahmen. Am Dach wuchs teilweise Gras. Ein trauriger Anblick.

Als sie so auf die Villa zuging, beschlich Victoria das Gefühl beobachtet zu werden. Aber von wo? Die Fenster waren teilweise ohne Vorhang, teilweise sah es aus, als wären ganz dicke Stoffe vorgezogen.

Die Sonne schien durch die Blätter der alten Bäume auf den Weg und Victoria ins Gesicht, das erleichterte ihr nicht unbedingt, sich ihre Umgebung genauer anzusehen. Von Außen sah man nicht in den Garten, dafür sorgte eine hohe, das Grundstück an drei Seiten umschließende, Hecke. So kannte sie zwar die Ansicht der Villa teilweise, nicht aber das Grundstück.

Victoria spürte ihr Herz im Hals klopfen, als sie sich der Haustür näherte. Ja, hier war vor Kurzem erst geputzt worden. Die Spinnweben, die den Großteil des Hauses bedeckten, waren beim Eingang sorgfältig entfernt worden. Die Türe vom Schmutz der vergangenen Jahre gereinigt.

Was würde sie hinter der Türe erwarten? Wusste Mark, dass sie kam? Oder hatte er das gestern nur so dahin gesagt? Sollte sie kehrt machen und wieder gehen? Was machte sie nur wirklich hier? Er würde sie auslachen! Sie kam sich so dumm vor. Wie ein Schulmädchen, das ihren Schwarm anhimmelte. Aber genau so war es ja auch. Peinlich. Sie wollte nur noch im Boden versinken.

Gerade als sie sich umdrehen und wieder gehen wollte, hörte sie den Schlüssel im Schloss. Jemand hatte sie kommen sehen und öffnete die Türe. Zum heimlich Verschwinden war es nun zu spät.

Wer würde ihr öffnen, ein Butler, eine Haushälterin? Victorias Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Unendlich langsam, wie es ihr schien, öffnete sich die Haustüre. Der Flur dahinter war dunkel. Sie konnte nichts und niemanden erkennen.

„Victoria. Schön, dass du gekommen bist. Ich habe schon befürchtet, du hast meine Einladung nicht wirklich ernst genommen.“

Mark! Er öffnete ihr selbst die Türe. Jetzt erkannte sie auch seine Umrisse. Er trat zur Seite, damit sie an ihm vorbei ins Haus gehen konnte. Doch als sie über die Schwelle getreten war und neben ihm stand, zog er sie einfach an sich und umarmte sie. Überrascht und überfordert versteifte sich Victorias Rücken und zu ihrer eigenen Verwunderung löste sie sich aus seinem Arm. Trat weiter in das Haus hinein.

„Na, so sehr zu spät bin ich aber nun auch nicht!“ Victoria versuchte locker und ungezwungen zu erscheinen. Aber sie hatte das Gefühl, dass ihr das vollkommen misslang.

Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die hier herrschende Düsterheit, ihre Sinne waren hellwach. Sie hatte seinen Duft wahrgenommen. So betörend sexy und verwirrend männlich. Der immer stärker werdende Wunsch in ihr, sich einfach an ihn zu lehnen, seine starken Arme wieder um sich zu spüren, wo kam der nur her? Sie kannte ihren Körper viel zu wenig. Hatte sie doch keinerlei Erfahrung im Umgang mit Männern. Noch weniger, wie ihr Körper reagieren würde.

Hinter ihr hörte sie, wie Mark die Türe schloss. Mit einem Lächeln in der Stimme meinte er: „Mir kam es seit gestern Abend ewig lange vor.“ Hörte sie da Unsicherheit, ein Zittern in seiner Stimme? Nein, schalt sie sich selbst, da bildest du dir jetzt aber sehr viel ein.

„Komm, Victoria, hier ist es viel zu dunkel. Leider ist das Haus nur zum Teil bewohnbar gemacht. Und der Flur gehört nicht unbedingt dazu.“

Wie zufällig legte er seinen Arm um ihre Schulter und führte sie zu einer Treppe, die in den oberen Stock des Hauses führte.

Es fiel ihr schwer, die alten Stufen einigermaßen würdevoll zu bewältigen. Immer mit dem Wissen, dass Mark nur einen Schritt hinter ihr war. Sie spürte seinen Blick auf ihrem Rücken, wie er ihn wandern ließ, kurz auf ihrem Nacken verweilte, um ihn dann nach unten zu lenken und ihren jugendlichen festen Hintern lange und genussvoll zu studieren. Victorias Mund war trocken. So heiß war der heutige Tag doch gar nicht. Es ist eine Verabredung zum Kaffee, sagte sie sich immer und immer wieder.

Oben angekommen zeigte Mark wortlos in Richtung eines Raumes zu ihrer Rechten.

Victoria war kurz geblendet. Im Gegenteil zum Flur, war es hier hell und sonnig. Die Fenster öffneten sich nach Süden, mit Blick in den Garten und nach Osten Richtung See. Es war ein wunderschöner, alter Raum. Die Möbel sahen edel, der Blumenschmuck frisch aus.

„Ich dachte, wir trinken den Kaffee in der Loggia. Was denkst du?“

Victoria war überwältigt. Der Blick auf den See beeindruckte sie schon dermaßen, und dann noch Mark hinter ihr, der ihr mit lockender Stimme ins Ohr flüstert. Wie eine Welle, spürte sie Hitze über ihren Körper laufen.

Mark ging zwei Schritte auf eine Balkontür zu und trat in die Loggia. Dort war ein Tisch mit Kaffee und Kuchen gedeckt. Erst jetzt fiel Victoria auf, dass sie bisher noch niemanden sonst gesehen hatte. Lebte er hier allein? Hatte er wirklich keine Angestellten?

„Wer hat hier so schön gedeckt?“, hörte sie sich fragen.

„Das war meine Wenigkeit. Ich habe privat nicht gerne viele Menschen um mich. Solche Dinge und manche Kleinigkeit kochen, kann ich auch selbst machen.“

Sie waren also wirklich ganz alleine hier im Haus. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Ein angenehmer Schauer, keiner wie sie ihn bei Horrorfilmen, oder Ähnlichem erlebte. Nein, ein warmer wohliger, lustvoller Schauer.

Victoria folgte Mark, trat hinaus und genoss den Blick. Hier könnte sie ewig stehen bleiben. Sonne, See, Berge und der Mann ihrer Träume. Bitte, irgendjemand da im Universum, haltet bitte die Zeit an. Doch diesen Gefallen tat ihr niemand.

So wählte sie einen Stuhl, der die Sonne im Rücken hatte. Sie wollte ihn ungehindert ansehen können. Als Mark ihr, ganz Gentleman, den Stuhl zurecht gerückt hatte, streiften seine Finger wie zufällig über ihre Schulter und ihren Nacken. Die Wirkung war verheerend. Victorias Gefühlswelt brach endgültig zusammen. Wie mehrere elektrische Schläge kurz hintereinander, durchzuckte es ihren Körper. Der Treffpunkt und das Ziel sämtlicher Erregung war zwischen ihren Beinen zu spüren. Aber nicht nur dort. Sie merkte auch ganz deutlich wie sich ihre Brustwarzen unter dem T-Shirt abzuzeichnen begannen. Und offensichtlich blieb auch Mark das nicht verborgen. Er stand immer noch hinter ihr. Sein Blick über ihre Schulter nach unten auf ihre festen, straffen Brüste und ihre sich jetzt immer mehr abzeichnenden Knospen geheftet. Es war ein erregendes Schauspiel für ihn. Er konnte seinen Blick nicht abwenden.

Victoria war in einer gefährlichen Stimmung. Sie war erregt, wie noch nie zuvor und wurde immer neugieriger. Was würde geschehen? Wie würde sich eine weitere, zärtliche Berührung von ihm anfühlen? Ihr warnender Verstand konnte sich gegen die brennenden, unbekannten, neuen Gefühlswellen in ihrem Schoß nicht durchsetzen.

Langsam wandte sie ihren Kopf, sah über ihre Schulter zu Mark hoch und bemerkte seinen Blick auf ihren Brüsten. Hitze stieg von ihnen auf und breitete sich auf ihrem Dekolleté, über ihren Hals, hin zu ihrem Gesicht aus und färbte ihre Haut tiefrot. Seine Wirkung auf sie konnte ihm unmöglich verborgen bleiben.

Seine Augen waren so dunkel geworden. Sein Blick wanderte jetzt zu ihren Lippen und ein Finger seiner Hand fuhr zärtlich ihre Konturen nach. Victoria genoss die Berührung. Ihre Blicke hatte sich verfangen, sie verstrickten sich regelrecht ineinander. Einem inneren Impuls nachgebend, küsste Victoria den Finger, der ihre Lippen berührte. Nicht wissend, dass dies von Mark als letztes Zeichen ihres Einverständnisses gewertet wurde.

Der Kaffee würde wohl kalt werden.

Mit einer kleinen, geschickten Handbewegung zog er Victoria von ihrem Stuhl hoch. Die andere Hand strich über ihre Wange und legte sich in ihren Nacken. Fest und bestimmend drückte er ihren straffen, jungen Körper an sich. Victoria wollte ihn nur spüren, ganz nah an sich spüren.

Seine Hände die so ungeahnte Gefühle in ihr weckten. Seine Augen, die ihren Blick gefangen nahmen. Seine Lippen, die sich so qualvoll langsam den ihren näherten. Ein schneller, erschreckender Gedanke drängte sich ihr an die Oberfläche. Wie küsst man richtig? Was musste sie machen? Was durfte sie nicht machen? Da spürte sie seine Lippen, fest, fordernd, und doch so unendlich zart und behutsam, wie sie ihren Mund suchten.

Erst nur eine kurze Berührung, Lippe an Lippe, dann länger und länger. So, als würde er jeden Augenblick auskosten. Victoria bebte und wurde von Sekunde zu Sekunde mutiger. Sie spürte seine rechte Hand ihren Rücken entlang wandern, sich ihrem Hintern nähernd. Die Linke in ihrem Nacken mit ihren Haaren spielend, ihre Brüste fest an seinen muskulösen Brustkorb gepresst. Sein Mund, der jetzt mit ihrem spielte, ihn immer mehr bedrängte.

Da fühlte sie an ihren heißen vollen Lippen, ganz zart, seine kleine, feuchte Zungenspitze, die sich trotz ihrer Zartheit, so fordernd und lockend ihren Weg bannte und gekonnt ihre, ach so verheißungsvollen Lippen teilte. In der Sekunde war Victorias, wenn noch gering vorhandener, Widerstand vollkommen gebrochen.

Sie ließ sich von ihm in sein Schlafzimmer führen und widersprach nicht, als er begann sie langsam auszuziehen. Offensichtlich genoss er jede Sekunde und jeden Quadratzentimeter ihrer Haut, den er zu sehen bekam.

Neugierig, und überwältigt von der Erfahrung der Erregung, begann sie es ihm gleichzutun und schob ihre Hand langsam unter sein Hemd. Die Hitze seiner Haut schoss durch ihre Finger, brannte sich in jede Faser ihres Körpers.

Ein Stöhnen entfuhr ihrer Kehle als Mark ihre Brüste berührte und diese so verführerischen Knospen zu küssen begann.

Spätestens jetzt war jede Hemmung vergessen und sie ließ ihren Händen freien Lauf seinen Körper zu erkunden. War dann aber doch überrascht und kurz irritiert als er schnell und gewandt aus seiner Hose stieg.

Wie sollte sie damit umgehen? Wie berühren? War ihr ein nackter, erregter Mann doch nur aus den Schulbüchern und Zeitschriften bekannt. Aber die Wirklichkeit sah irgendwie erschreckend groß aus.

Die Gedanken der Vorsicht flogen durch Victorias Gehirn, fanden keinen Halt im Strudel der Gefühle und verschwanden fast so schnell wie sie gekommen waren.

Sie lag neben Mark und begann langsam, zögernd ihre Finger über seinen Hintern nach vorne wandern zu lassen. Es schien ihr, als wüsste er ganz genau, wo er sie wie zu berühren hatte, um eine neue Hitzewelle in ihr auszulösen. Sie hingegen tappte vollkommen im Dunkeln.

Victoria musste ihn sich einfach ansehen, den Mann da neben ihr, seinen Körper, seinen erigierten Penis. Spürte, wie er sich ihrer Hand entgegen drängte, als sie ihn berührte. Fühlte das Blut darin pulsieren und seinen heißen Atem auf ihrer Brust.

Zart und vorsichtig begann sie die neu entdeckte Umgebung zu erkunden. Merkte aber schnell, dass sein Atem immer schneller ging, je forscher sie wurde. Es war ein Tanz, heiß wie Vulkanlava. Abwechselnd durchfuhren ein Schauer und ein blitzartiger Schlag ihren Körper. Die Wellen der Erregung trugen sie immer weiter und höher, je mehr Mark mit ihren Brüsten spielte, seine Zunge um ihre so empfindliche Spitze gleiten ließ, daran zu saugen und leicht zu knabbern begann. Die andere Hand hatte er längst zwischen ihre Beine wandern lassen. Suchte und fand ihre Knospe der Lust. Mit der ersten Berührung seiner Finger entlockte er Victoria einen tiefen und auch überraschten Laut, der ihn nur noch mehr aufzufordern schien, sein Werk fortzusetzen.

Victoria war gefangen in ihrem Gefühl und der Wirkung, die sie offenbar bei ihm hervorrief.

Mark hob seinen Kopf und sah ihr in die Augen. So einen Blick hatte sie noch nie gesehen. Seine Augen so dunkel wie die Nacht, erfüllt mit etwas, das Victoria nicht zu benennen wusste. Hätte sie gewusst, dass tiefe, animalische Lust sich darin spiegelte, wäre sie wahrscheinlich erschrocken aufgesprungen. So aber lächelte sie ihren Geliebten nur an, und forderte ihn damit noch weiter heraus.

Er konnte das Spiel nicht mehr lange spielen, senkte seine Lippen auf ihren Mund, während er sich mit seinen Armen abstützte um ihr nicht sein gesamtes Gewicht aufzulasten.

Sein Kuss war süß, lockend und verführerisch. Victoria genoss die immer vertrauter werdende Berührung, ließ ihre Hände über seinen Rücken Richtung seiner Schultern wandern, als ganz plötzlich und völlig unerwartet ein brennender Schmerz ihren Unterleib durchfuhr. Sie bäumte sich Mark entgegen, krallte ihre Finger regelrecht in seine Schultern, sah ihn mit großen Augen an und konnte nur mühsam eine Träne zurückhalten.

„Oh Gott!!“ Mehr gehaucht als gesprochen brachen diese Worte aus Mark heraus. Er sah sie mit einem ungläubigen Blick an, unfähig sein Tun zu stoppen, bevor seine Leidenschaft ihn überrollte und er sich in ihr ergoss.

Victoria war plötzlich und unerwartet aus ihrem Gefühlschaos gerissen worden. Die Erregung wollte nicht mehr zurückkommen. Trotzdem fühlte sie sich glücklich. Glücklich, Mark in ihren Armen halten zu können, ihm alles Wichtige schenken zu dürfen. Und zu spüren, dass auch er sie genoss.

Für sie war es ein Akt der Liebe. Völlig klar, dass sie zusammengehörten und es aller Welt – wenn auch wahrscheinlich erst etwas später – erzählen würden. Daran würde niemand rütteln können. Ihre Liebe war felsenfest. So dachte sie jedenfalls, als Mark sich langsam neben ihr aufs Laken gleiten ließ.

Sein Atem kam noch unregelmäßig und stoßweise, als die letzte Erregung in ihm abklang. Einfach an ihn kuscheln, ihn berühren und von ihm gehalten werden, das war der kleine Wunsch von Victoria, den ihr Mark so grässlich zerstören würde.

Diese Wolke aus Glück umschloss sie noch wie ein schützender Mantel, der nichts Störendes von außen durchdringen lassen würde.

Doch irgendetwas war nicht so, wie sie sich das vorstellte. Sie streckte die Hand aus um Mark zu streicheln, suchte seinen Blick und erstarrte mitten in der Bewegung.

„Warum hast du es mir nicht gesagt?“ Er bellte ihr die Frage mehr entgegen, als er sie sprach. „Wie alt bist du eigentlich wirklich?“

Victoria verstand nicht, worum es ihm ging. Sie sah nur seinen Blick. War da Wut? Verzweiflung? Trauer? Enttäuschung?

Tränen sammelten sich in ihren Augen. Was hatte sie falsch gemacht?

Mit einem Satz war Mark aus dem Bett und in seine Hose gesprungen. „Na, wie alt bist du? Sag schon!“ Längst hatte sie das Laken um ihren nackten Körper gezogen. Zögernd, als trüge sie die Schuld an der Situation, antwortete Victoria: „Sechzehn.“

„Großartig!“ Er sah sie immer noch mit dem für sie unklaren Blick an, als er schneidend fortfuhr: „Hoffentlich hast du an Verhütung gedacht?“

'Was geschieht da gerade?', fragte sich Victoria ungläubig. So sollte das doch wirklich nicht sein. Ihre Stimme wollte ihr nicht gehorchen und so schüttelte sie nur den Kopf.

Mit einem lauten Fluch durchquerte Mark das Zimmer, setzte sich an einen kleinen Tisch in der Ecke und begann etwas auf ein Stück Papier zu schreiben.

„Zieh dich an!“, fuhr er über seine Schulter hinweg die verängstigte und zutiefst verletzte kleine Gestalt in seinem Bett an.

Unfähig auch nur Irgendetwas zu erwidern, tat Victoria wie er ihr befohlen, suchte ihre Kleidung und war in kürzester Zeit angezogen.

Mark trat vor sie hin, hielt ihr das Papier hin und versuchte möglichst unbeteiligt zu klingen: „Ich will keine Probleme, dass das klar ist. Sollten doch welche auftauchen, dann rufe diese Nummer an. Gerry weiß immer wo ich gerade zu finden bin! Verstanden?“

Im schlimmsten Albtraum ihres Lebens gefangen, nahm Victoria das Papier und steckte es ein. Sie wollte etwas sagen, sah Mark an, aber dieser hob nur abwehrend die Hand und deutete ihr, zu gehen.

Die Welt um sie herum war in dichten Nebel getaucht, oder war es ihr Tränenschleier, der ihr die Sicht nahm? Wie lange sie danach am See gesessen hatte, den Schmerz im Herzen zu ersticken versucht hatte, könnte sie nicht mehr sagen.

Immer wieder schalt sie sich, dass es ihr recht geschähe, wie dumm sie auch gewesen sei. Sie kannte seinen Ruf aus den Medien. Hieß es doch, dass er mal mit jener, mal mit einer anderen gesehen worden sei, obwohl er angeblich seit einiger Zeit mit Irina Lewis zusammen sein sollte. Irgendwann schaffte sie es, sich soweit zu beruhigen, dass sie nach Hause gehen konnte, ohne Gefahr zu laufen, dass man ihr ansah, was sie gerade erlebt hatte.

Und schon begann ihr Herz eine Mauer aufzubauen, damit niemand sie je wieder so verletzen und auch nie wieder ihr jemand so nahe kommen konnte.

„Du musst es ihm sagen.“, hört Victoria die Stimme ihrer Freundin leise, fürsorglich an ihrem Ohr, und sie dadurch wieder in die Gegenwart bringend.

„Nein, Becki! Versprich mir bitte, dass er davon nie erfährt! Er wollte kein Problem. Es würde aussehen, als hätte ich das so geplant. Bitte! Bitte, sag niemandem wer der Vater ist!“ Flehend und bittend sieht Victoria ihre Freundin an.

Die ist aber zu Recht entrüstet und entgegnet wütend: „Sag, geht es dir noch gut? Er ist der Vater! Zumindest brauchst du Geld von ihm. Wie willst du das Kind großziehen? Wir gehen noch zur Schule!“

„Nein, genau das will ich nicht. Er soll alles behalten was er hat. Ich muss das ohne ihn schaffen.“

Trotzig und fest sieht sie Rebecca ins Gesicht.

„Was war da noch? Du hast mir nicht alles erzählt, oder? Was war mit der Nummer, die dir Mark gegeben hat? Wer ist dieser Gerry?“ Rebeccas Wut kühlt sich rasch ab, merkt sie doch, dass hinter Victorias Wunsch, den Vater zu verheimlichen, noch mehr, als sein Verhalten in der Villa, stecken muss.

Beschämt sieht Victoria zu Boden. Sie hat das Gefühl ertappt worden zu sein.

„Ich habe die Nummer schon angerufen. Gerry ist sein Manager.“

„Er gibt dir die Nummer seines Managers???? Warum nicht seine?“

Rebecca versteht die Welt nicht mehr. Was ist das für ein Mann, in den sich ihre Freundin da verliebt hat?

Aber als sie deren traurigen Blick sieht, fährt sie fort: „Entschuldige Vicky. Erzähl weiter.“

„Als ich anrief, war Gerry gerade im Begriff abzureisen; von Los Angeles über Deutschland nach Wien. Ich musste ihm sagen warum ich Mark sprechen will und daraufhin meinte er, dass er einen Zwischenstopp machen würde, um mich zu treffen. Mark sei am anderen Ende der Welt und könne nicht kommen.“

„Aber er hätte dir doch seine Nummer geben können!“

„Das will Mark angeblich nicht. Becki, ist auch egal. Jedenfalls habe ich Gerry getroffen und weißt du, was er meinte?“

Rebecca ahnt, dass es nichts Nettes sein wird und schüttelt nur den Kopf.

Ein erstickter Schluchzer entfährt Victoria, als sie weiterspricht: „Er meinte, dass Mark solche Probleme immer auf die selbe Weise löse. Dafür braucht er nicht extra anzureisen. Gerry gab mir eine Adresse und einen Scheck. Mit dem Geld solle ich das Problem beseitigen und dann bleibe sogar noch Einiges für mich über. Einfach, geschwind und problemlos lässt sich das regeln.“

Wort- und sprachlos sieht Rebecca in die tränennassen Augen ihrer Freundin.

„Das ist ein schlechter Witz. Oder?“

Stumm schüttelt Victoria den Kopf und sieht über den See. Rebecca weiß, dass weder für Victoria, noch für sie selbst je so eine Lösung auch nur ansatzweise akzeptabel wäre. Sie braucht ihre Freundin nicht erst nach ihrer Entscheidung zu fragen. Die ist klar. Victoria wird das Kind von Mark bekommen.

Aber eine Frage muss Rebecca dennoch stellen: „Vicky, glaubst du im Ernst, dass Mark öfter Frauen für eine Abtreibung bezahlt? Vielleicht geht das ja alles nur von diesem Gerry aus, um keine schlechte Presse zu bekommen. Mit unehelichem Kind und so weiter.“

„Ich weiß es nicht sicher. Aber Becki, kannst du dich an die Filmpremiere erinnern?“

„Ja, klar kann ich.“

„Weißt du noch, als wir nach dem Film noch länger blieben und uns Autogramme holten? Da hörte ich Mark zu seiner Filmpartnerin sagen, wie sehr ihn das störe, wenn so viele kleine Mädchen um ihn herum tanzen und glauben, er hätte nur Augen für sie. Die sollen doch erst mal erwachsen werden, meinte er. Lauter so abfälliges Zeug. Ich stand schräg hinter ihr und er sah mich dabei immer wieder an, als würde er das zu mir sagen.“

„Und jetzt denkst du, er handhabt das immer so. Ok, verstehe.“ Rebecca zieht Victoria an ihre Schulter und beide verfallen in ein nachdenkliches Schweigen.

Doch nach kurzer Zeit wendet sich Victoria an Rebecca: „Becki, bitte versprich mir jetzt und hier, dass du das alles für dich behältst. Ich werde niemandem sagen wer der Vater ist. Bitte, hilfst du mir dabei? Ich schaffe das nicht ganz alleine. Wenn ich nur daran denke, was meine Eltern sagen werden. Bitte.“

Ihr Blick ist herzerweichend und trifft Rebecca tief. Kurz hat sie die tiefe Traurigkeit und den unermesslichen Schmerz im Herzen ihrer Freundin sehen dürfen. Wie sollte sie da auch „nein“ sagen?

„Ja, ich helfe dir, wo ich nur kann und werde auch vergessen wer der Vater ist. Versprochen. Aber, wie willst du das schaffen? Was hast du vor? Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht?“

„Ich denke an fast nichts anderes mehr. Auf alle Fälle will ich die Schule abschließen. Ich hoffe, dass mir meine Mutter dabei hilft. Und dann muss ich schauen, dass ich irgendeine Arbeit bekomme. Die Ausbildung zur Krankenschwester kann ich vergessen. Dafür müsste ich zu lange lernen, ohne wirklich Geld zu verdienen. Aus der Traum.“

Lange haben die Kirchenglocken schon Mittag geschlagen, als die beiden sich endlich auf den Weg nach Hause machen. Verabredet für den nächsten Tag, um gemeinsam mit Victorias Mutter zu sprechen.

Das Herz von Rebecca, schwer mit all den Gedanken wie sie ihrer Freundin helfen soll, ist voller Wut auf diesen Mistkerl Mark. Er war um so vieles älter, konnte er da nicht ein bisschen Verantwortung zeigen? Konnte nicht er mitdenken und sich im Griff haben?

Und Victoria ist traurig über die Verschwiegenheit, die sie Rebecca abverlangt, aber doch sieht sie einen kleinen Hoffnungsstrahl für die Zukunft.

Victorias Elternhaus, Traunsee

Als Rebecca bei ihrer Freundin ankommt, ist nur deren Mutter zuhause. Victorias Vater musste unvorhergesehen zu einem Termin fahren. Das wiederum ist für ihr Vorhaben nicht das Schlechteste, da es sich mit Monika Kreupl doch viel besser sprechen lässt, wie Rebecca weiß. Sie ist eine herzensgute Frau, die für ihre Kinder alles nur Menschenmögliche auf die Füße stellen kann. Auch weiß sie dem, sehr schnell aufbrausenden, Vater geschickt jede Neuigkeit so ruhig und verständnisvoll wie möglich darzulegen. Das wird ihrem Gespräch zugutekommen.

„Wie geht es dir?“, besorgt sieht Rebecca in das blasse Gesicht ihr Freundin und spürt die zitternden Hände in den ihren. Stumm umarmen sie sich und klammern sich beinahe an den andern. Die Angst sitzt Victoria tief im Magen. Ihr Herz schlägt unruhig und laut.

„Komm rein.“ Leise und unsicher ist Victorias Stimme. „Becki ich habe so große Angst. Kann ich das überhaupt schaffen?“

„Weißt du, ich habe heute Nacht viel nachgedacht. Deine Mutter ist eine tolle Frau. Sie wird dir helfen, wo sie kann. Da bin ich mir sicher. Wahrscheinlich versteht sie nicht warum du ihr den Vater verschweigen willst, aber im Stich lässt sie dich sicher nicht. Und, dass es nicht leicht wird, darüber haben wir gestern schon gesprochen. Trotzdem. Du bist selbst stärker, als du denkst, und hast Familie und Freunde, die dich unterstützen. Gehen wir, du musst es ihr sagen. Je früher, desto besser. Ok? Komm, du machst das.“

Wie eine kleine Schwester nimmt Rebecca sie an der Hand und gemeinsam setzen sie sich zu deren Mutter an den Küchentisch.

„Becki, hallo. Schön dich wieder einmal zu sehen.“ Forschend sieht Monika von ihrer Schüssel Äpfel auf, die sie gerade zu schälen im Begriff ist. Sie sieht zuerst Rebecca und dann ihrer Tochter ins Gesicht. Was ihr die beiden wohl sagen werden? Schon seit Tagen ist Victoria so unruhig und beängstigend still.

Keines der beiden Mädchen findet den Mut den ersten Satz zu sprechen. Monika legt den Schäler zur Seite: „Na los. Raus damit. Was habt ihr auf dem Herzen?“

Victoria sieht auf ihre Hände, die gefaltet vor ihr am Tisch liegen, versucht blinzelnd die Tränen zurückzuhalten und atmet tief ein.

„Mami, es tut mir so leid.“

Und mit einem Mal bricht ein ganzes Meer aus ihren Augen.

'Oh mein Gott,', denkt Monika nur, 'das muss schlimmer sein, als ich mir eingestanden habe.' Sie rückt näher an Victoria und zieht ihre Tochter in den Arm, wie sie es so oft mit dem kleinen Mädchen vor Jahren gemacht hatte.

„Schhhhhh..... Kleines. Was ist los? Sag´s mir.“

Zärtlich und beruhigend spürt Victoria die Hand ihrer Mutter über ihr Haar streichen. Die tröstende Stimme leise an ihrem Ohr.

Monika sieht Rebecca an ihrer Unterlippe kauen. Eine Geste, die sie nur noch wachsamer werden lässt. Aber erklären kann sie sich die Angst in den Augen der beiden immer noch nicht.

Da Victoria jetzt ungehemmt schluchzt und zu keinem Satz fähig ist, richtet sie ihr Wort an die Freundin ihrer Tochter: „Becki, sag du mir worum es geht.“

Diese schüttelt leicht den Kopf, sieht Monika an und meint ganz leise: „Das kann ich nicht.“ Und zu Victoria gerichtet: „Komm, Vicky, du kannst es ihr sagen.“

Mit tränenblinden, verzweifeltem Blick sieht Victoria ihre Mutter jetzt an. Monika hat das Gefühl irgendetwas drücke ihr die Kehle zu, ihr Herz beginnt sich schmerzhaft zu verkrampfen. Hier geht es um wirklich mehr als nur Jugendprobleme, das wird ihr mit diesem einen Blick ihrer Tochter schlagartig klar.

„Mami, ich …..“, stockend und mit all ihrer Kraft versucht Victoria ihrer Mutter die Neuigkeit mitzuteilen, „ich...“ Immer wieder bricht ihre Stimme und sie beginnt von Neuem, „Ich... oh, Mami, ich bin schwanger.“

Wumm... ein Erdbeben, ein Felssturz, eine Flutwelle, jede Art von Katastrophe hatte sich Victoria ausgemalt, nicht aber die Reaktion ihrer Mutter.

Wie erstarrt blickt sie ins Gesicht ihrer Tochter. Hat sie verstanden, was sie gesagt hat? Wie eingefroren scheint das ganze Zimmer. Kein Ton, kein Hauch bewegt sich.

Lange sieht Monika ihre Tochter an. So viele Fragen. So viele Vorwürfe. So viel Schelte hat sie auf der Zunge. Und doch verlässt nicht ein Wort davon ihren Mund.

Ist es nicht erst vor Kurzem gewesen, als sie ihre Tochter zum ersten Mal in den Arm gelegt bekommen hatte? So klein, so zerbrechlich, so voller Leben.

Und jetzt? Sie hat die schönsten, unbeschwertesten Jahre doch gerade vor sich. Warum soll sie sich die selbst kaputt gemacht haben? Ihre Tochter ist doch viel zu klug, um das auf´s Spiel zu setzen. Was ist nur geschehen? Wo ist ihre kleine Tochter?

Neben ihr sitzt ein Häufchen Elend, das bald selbst ein Kind zur Welt bringen wird und Verantwortung für ein hilfloses Menschenleben übernehmen muss.

Monika spürt den Schmerz in ihrem Herz. Wie anders hat sie sich das Leben für Victoria vorgestellt.

Ein Gedanke jagt den anderen. Welche Frage soll sie zuerst stellen? Wie viel wird ihr ihre Tochter sagen wollen? Denn eines ist klar: Mit dem Vater des ungeborenen Kindes gibt es Probleme, sonst wäre er heute hier und nicht nur Victoria. Viel zu sehr ist Monika Realistin um sich etwas vor zu machen.

Langsam beginnt sie wieder das Haar ihrer Tochter zu streicheln, als sie sich durchringt ruhig und verständnisvoll die erste Frage zu stellen.

„Vicky, sieh mich an und sei ganz ehrlich. Wolltest du mit ihm schlafen, oder wurdest du gezwungen?“ Durch den Tränenschleier sieht Victoria ihre Mutter etwas irritiert an. Keine Schelte, keine Wut, keine Vorhalte liegen in ihrer Stimme, nur ihre Augen zeigen so viel Traurigkeit. Das schmerzt viel mehr als jede andere Zurechtweisung.

Sie schüttelt kaum merklich den Kopf. „Nein, es gab keine Gewalt. Ich war selber so blöd. Mami, es tut mir so leid.“

Trotz der ganzen Tragweite der Situation, ist Monika unendlich erleichtert. Zumindest so eine schlimme Erfahrung blieb ihrer Tochter erspart.

„Ok. Dann erzähl mal. Wer ist der Vater, wann kann es passiert sein und wie stellst du dir die Zukunft vor? Dann sehen wir weiter.“

Dann sehen wir weiter...... Victoria hört nur diesen letzten Satz ihrer Mutter. Ein Blick auf Rebecca bestätigt ihr, dass diese den Satz ebenso beunruhigt aufgenommen hat, aber am Tisch wie ein gespanntes Gummiband sitzt, um schnell an Victorias Seite sein zu können, falls das nötig ist. Was meint ihre Mutter damit? Es gibt für Victoria gar keine Frage. Eigentlich nur die eine, aber dafür ganz riesengroße: wird ihre Mutter ihr helfen?

„Nein, Mami, ich werde das Problem nicht aus der Welt schaffen lassen. Das wäre doch Mord. Das kann ich nicht. Bitte, bitte, hilf mir. Alleine komme ich damit aber auch nicht klar.“ Verzweiflung und Hilflosigkeit sprechen aus ihrer Stimme und ihren Augen.

„Meine Kleine, ich habe doch nicht von Abtreibung gesprochen. Wie du sagst, hast du freiwillig mitgemacht. Dieses kleine Wesen in dir hat ein Recht auf sein Leben. Du hast dir deines um Vieles schwerer gemacht und trotzdem würde ich dich nie zu einem Abbruch drängen. Wir schaffen das.“

Mit diesen Worten hat Monika bei ihrer Tochter eine Flutwelle der Erleichterung ausgelöst. Von Neuem beginnen ihre Tränen ungehindert über das Gesicht zu laufen. Mit ihrer Mutter an der Seite wird sie alles schaffen. Egal, was da auf sie zukommt. Jetzt muss sie nur noch verstehen, dass der Name des Vaters nicht wichtig ist.

Genau das will Monika aber jetzt von Victoria wissen. Sind doch auch die finanzielle Seite und rechtliche Lage zu klären. „So, und jetzt beantworte meine Fragen.“

Drängend und fordernd besteht Monika auf Aufklärung. Wie soll sie ihrer Mutter verständlich machen, dass sie zwar Hilfe braucht und annimmt, aber vom Vater nichts haben will? Es ist ihr selbst klar, dass für alle anderen dieser Standpunkt nicht zu verstehen ist.

„Mutti.“ Oh je, wenn Victoria mit Mutti beginnt, dann weiß Monika, dass ihre Tochter sich etwas in den Kopf gesetzt hat und davon keinen Millimeter abweichen wird. Innerlich muss sie über den Mut ihrer Tochter lächeln.

„Ich war noch bei keinem Arzt, aber es ist jetzt drei Monate her.“ Victoria versucht die andere Frage zu ignorieren. Doch ihre Mutter lässt ihr keine Wahl als zu antworten: „Gut. Und der Vater? Wer ist es?“

Das Schlucken fällt so schwer. Als hätte sie einen ganzen Apfel im Hals stecken, der Mund ist viel zu trocken. Rebecca bemerkt es und holt ein Glas Wasser für ihre Freundin, die es dankbar annimmt und ein paar Schlucke davon trinkt.

Monika ist überrascht, dass die Stimme ihrer Tochter noch dünner werden kann. So unruhig, wie in diesem Moment, hat sie Victoria noch nie erlebt.

Kaum hörbar ist ihr Flüstern.

„Der Vater ist nicht wichtig. Ich werde ihn wahrscheinlich nie mehr sehen.“

Die Verletzung, die aus den Augen ihrer Tochter spricht, lässt Monika sämtliche Wut auf diesen ihr – noch - unbekannten Jungen vergessen. Mühsam hält sie sich zurück, um weitere Details zu erfahren. Irgendwie muss doch das Kind einen Vater bekommen.

„Dann ist er nicht aus unserem Ort oder aus der Umgebung?“

„Nein, er war im Sommer nur kurz zu Besuch hier.“

Ein kurzes Schweigen legt sich über die drei Frauen. Doch für Monika ist noch viel zu viel ungeklärt.

„Du kennst aber seinen Namen und wo er lebt?“

„Ja klar, was denkst du von mir?“

Fast entrüstet sieht Victoria ihre Mutter an, merkt aber im selben Moment, dass die Frage nicht unberechtigt ist.

„Entschuldige, hast ja recht. Ich war nicht gerade die Klügste.“

„Ist er so alt wie du?“

Monika sieht forschend ins Gesicht ihrer Tochter. Was kann sie noch heraushören? So verschlossen wie diese gerade ist, wahrscheinlich nicht sehr viel. Mehr ungenau, als informativ kommt die Antwort.

„Nein, er ist um Einiges älter als ich.“

Das war es, denkt Monika und fragt auch gleich direkt: „Ist er also verheiratet und hat schon Familie?“

Victoria will ihrer Mutter eine wütende Antwort entgegnen, als sie die Hand von Rebecca spürt.