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Ein schicksalhaftes Treffen, ein Pakt geschmiedet auf einer Serviette und eine Liebe für die Ewigkeit
Für Rory fühlt es sich wie Schicksal an, als sie in Irland dem Straßenmusiker Mal begegnet. Sofort spüren die beiden eine tiefe Verbindung und verbringen eine leidenschaftliche Nacht miteinander. Doch eine gemeinsame Zukunft scheint unmöglich, denn am nächsten Morgen muss Rory nach New York zurückkehren. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie sich wiedertreffen, schließen sie einen Pakt auf einer Pub-Serviette: Sollten sie sich je wiedersehen, werden sie für immer zusammen sein, komme, was wolle. Acht Jahre später stehen sie sich plötzlich erneut gegenüber: Mal als erfolgreicher Singer und Songwriter und Rory in einer festen Beziehung. Werden sie sich an den Pakt von damals halten und ihrer Liebe eine Chance geben?
»Die perfekte Mischung aus Herzschmerz, Humor und einer warmherzigen Liebesgeschichte.« Helena Hunting, USA-TODAY-Bestseller-Autorin
Sexy, emotionale Rockstar-Romance von SPIEGEL-Bestseller-Autorin L. J. Shen
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Seitenzahl: 558
Titel
Zu diesem Buch
Leser:innenhinweis
Widmung
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Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von L. J. Shen bei LYX
Impressum
L. J. SHEN
Unlikely Love
Roman
Ins Deutsche übertragen von Larissa Bendl
Für Rory fühlt es sich wie Schicksal an, als sie in Irland dem Straßenmusiker Mal begegnet. Sofort spüren die beiden eine tiefe Verbindung und verbringen eine leidenschaftliche Nacht miteinander. Doch eine gemeinsame Zukunft scheint unmöglich, denn am nächsten Morgen muss Rory nach New York zurückkehren. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie sich erneut treffen, schließen sie einen Pakt auf einer Pub-Serviette: Sollten sie sich je wiedersehen, werden sie für immer zusammen sein, komme, was wolle. Acht Jahre später stehen sie sich plötzlich erneut gegenüber: Mal als erfolgreicher Singer und Songwriter und Rory in einer festen Beziehung. Werden sie sich an den Pakt von damals halten und ihrer Liebe eine Chance geben?
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!
Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Gewidmet Kristina Lindsey, einer der gütigsten Seelen auf diesem Planeten, die uns zu früh verlassen hat, während ich dieses Buch schrieb. Bei jeder Schneeflocke, die fällt, jedes Mal, wenn eine Glühbirne flackert, denken wir an dich.
Gegenwart
Mein Leben ist gefangen in einer wunderschönen runden Schneekugel.
Eine, die seit Jahren niemand mehr aus dem staubigen Regal geholt hat. Unerschütterlich steht sie da. Ruhig und still. Von außen sieht das darin eingeschlossene gepflegte Schweizer Dorf perfekt aus. Und das ist es auch. Irgendwie. Mit sechsundzwanzig scheine ich mein Leben im Griff zu haben.
Perfekter Job.
Perfekte Wohnung.
Perfekte Mitbewohnerin.
Perfekter Freund.
Perfekte Lügen.
Nun ja, es sind keine Lügen per se. All meine Errungenschaften sind echt. Ich habe hart für sie gearbeitet. Das Problem ist nur, dass ich vor acht Jahren versprochen habe, sie alle von einem Augenblick auf den nächsten aufzugeben, sollte ich ihm erneut begegnen. Aber damals war ich nicht dieselbe Person, die ich heute bin.
Ich war verloren. Habe getrauert. War gebrochen. Verwirrt.
Nicht, dass das wichtig wäre, denn damals war damals und heute ist heute, und es ist nicht er, den ich anstarre. Nope. Auf keinen Fall.
Nicht er.
… warum kann ich meinen Blick dann nicht von dem mysteriösen Fremden lösen, der durch die Türen des Ballsaals des The Beerchman Hotels geht und dabei die Blicke aller auf sich zieht?
Gerötete, vom unbarmherzigen Winter gezeichnete Wangen, ein aristokratisches, kantiges Kinn, eine römische Nase und Lippen, die für die dunkelsten Sünden und die schmutzigsten Vergnügen gemacht sind – alles eingerahmt von zerzaustem kohlschwarzen Haar, das sich an den Ohren in tausend verschiedene Richtungen kräuselt. Seine mandelförmigen, grüblerischen Augen, seine breiten Schultern und die schmalen Hüften lassen ihn mehr als nur gut aussehen. Er ist perfekt. Zu perfekt.
Wie bei allen grausamen Märchenprinzen sehne ich mich danach, etwas zu entdecken, das auf seine Unsterblichkeit, auf seine fehlende Menschlichkeit hinweist. Etwas, das beweisen würde, dass seine Vollkommenheit wirklich ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Spitz zulaufende Ohren. Lange Reißzähne. Ein kleiner Schwanz.
Komm schon, Gott, gib mir etwas, womit ich arbeiten kann. Irgendetwas.
Er ist groß, aber nicht groß genug, um besonders hervorzustechen. Nein, Malachy Doherty braucht keine außergewöhnliche Statur, schicke Kleidung oder Millionen auf dem Konto, um die ehrfürchtige Bewunderung zu rechtfertigen, die er bei den Menschen auslöst. Allein seine Existenz reicht aus, um Frauen in die Knie zu zwingen. Ich habe es damals erkannt. Ich erkenne es heute.
Die Aufmerksamkeit aller auf dem Ball Anwesenden ist auf diesen rätselhaften Mann gerichtet, so auch meine.
Hör auf, Rory. Er ist es nicht.
Wenn ich nur seine Augen sehen könnte. Dann könnte ich dem Ganzen ein Ende bereiten, endlich gewiss sein. Niemand sonst hat diese Augen. Ein seltener violetter Farbton, wie zersplitterte Kristallbonbons.
»Melaninmangel, gemischt mit Licht, das von roten Blutgefäßen reflektiert wird«, erklärte Mal in der Nacht, als er mir im selben Atemzug meine Unschuld, mein Herz und mein Höschen nahm.
Ich beobachte, wie der Mann, ohne mit der Wimper zu zucken, an der Security vorbei in den VIP-Bereich schreitet. Dabei ignoriert er die neugierigen Blicke und weiblichen Bewunderinnen, die sich vor Aufregung auf die Lippen beißen. Sogar Prominente stürzen sich auf ihn, folgen ihm und versuchen, ein Gespräch vom Zaun zu brechen, während der große glatzköpfige Türsteher die rote Samtkordel aushakt, die die Sterblichen von den Gottheiten trennt.
Der Mann, der nicht Mal sein kann, schlendert auf die Bar zu, den Blick auf etwas Bestimmtes fixiert. Oder besser gesagt, auf jemand Bestimmtes: den Plattenfirmen-Tycoon Jeff Ryner, der den aufstrebenden R&B-Liebling Alice Christensen, auf der Bühne als Alicious bekannt, auf seinem Schoß sitzen hat. Jeffs Gesicht ist von übermäßigem Alkoholkonsum und Koks rosa verfärbt.
Als der Mann sich ihm nähert, steht Ryner auf und schiebt dabei Alicious von seinem Schoß. Mit einem dumpfen Aufprall landet sie mit dem Hintern auf dem Boden. Ryner steigt über sie hinweg und eilt zu dem Unbekannten, fällt vor ihm theatralisch auf die Knie, zieht ein großes Bündel Scheine aus seiner Brusttasche und wedelt dem Mann damit vor dem Gesicht herum.
Der Mann, der nicht Mal ist, grinst kalt, reißt Ryner das Geld aus den Wurstfingern, steckt es in seine Manteltasche und sagt etwas, das Ryner eilig aufstehen lässt.
Nun, das schiebt meiner Befürchtung einen Riegel vor.
Mal würde lieber sterben, als einen Deal mit einem hohen Tier wie meinem Chef einzugehen. Eher sich selbst anzünden, als an einer glamourösen Gala teilzunehmen. Oder Zyanid direkt aus der Flasche trinken, bevor er sich mit Leuten wie Jeff Ryner einlässt.
Mal ist weder arrogant noch kalt noch hochnäsig. Er schneidet sich selbst die Haare, gibt Fremden High Fives und glaubt, dass braune Soße die Lösung für alle Probleme auf der Welt ist. Mal hasst verschwenderische Veranstaltungen, Klatschzeitschriften, Mainstream-Plattenlabels und vornehmes Essen. Er liebt seine Mammy, er liebt es, Spaß zu haben, sich zu betrinken und Songs zu schreiben, während er in seinem Garten unter dem makellosen Nachthimmel liegt. Er lehnte einen Sechzehntausend-Dollar-Scheck ab, den ihm ein Pop-Sternchen geben wollte, um einen seiner Songs zu kaufen, einfach weil er sich darüber amüsierte, wie ihr verwirrter Manager und ihr Agent versuchten, das Wort Nein zu entziffern.
Aber das war vor acht Jahren, gibt eine leise Stimme in mir zu bedenken. Für einen Zeitraum von vierundzwanzig Stunden.
Was weiß ich schon über den heutigen Malachy Doherty?
Was wusste ich jemals über ihn?
»Hier steckst du.«
Callum schlingt die Arme um meine Taille. Ich zucke überrascht zusammen, für einen Moment von seinem vornehmen englischen Akzent irritiert.
»Die Ballkönigin.« Seine Lippen, noch kalt von der Abendluft, streifen mein Ohr.
»Du hast es hergeschafft.« Ich drehe mich um, schlinge die Arme um seinen Hals und küsse ihn so kurz und knapp auf den Mund, als würde ich nach der Arbeit meine Zeitkarte stempeln. Er trägt immer noch seinen blassgrauen Büro-Anzug.
»Tue ich das nicht immer?« Er rümpft die Nase.
Das stimmt. Callum ist der akkurateste, vertrauenswürdigste Mann, mit dem ich je zusammen war. Er ist das genaue Gegenteil vom immer leicht abwesend wirkenden, unzuverlässigen Mal. Als ich ihn erneut anschaue, bemerke ich, dass mein Freund daran gedacht hat, meine Lieblingskrawatte zu tragen. Dunkelgrün, durchzogen mit goldenen Fäden. Als wir sie etwa zwei Wochen nach Beginn unserer Beziehung in einem Laden entdeckt haben, sagte ich ihm, sie erinnere mich an Irland, und er kaufte sie sofort.
Ich hole die Nikon D18, die er mir zum Geburtstag geschenkt hat, aus meiner Handtasche und schieße ein Foto von ihm, um sein schmollendes Rich-Boy-Lächeln einzufangen, während er mir auf der Suche nach Zustimmung ins Gesicht schaut.
Seit ich vor vier Jahren mein Kunststudium abgeschlossen habe, arbeite ich freiberuflich als Fotografin für Blue Hill Records. Ich verdiene dabei so gut wie nichts, aber so gut wie nichts ist immer noch besser als gar nichts, wie es während der ersten drei Jahre meines Praktikums der Fall war. Ich habe einen Teilzeitjob als Barkeeperin, um mir meine astronomisch hohe Miete in Manhattan leisten zu können.
Es ist nicht so, dass ich das Klischee des armen Manhattan-Mädchens leben muss. Mein Vater hat mir Geld vererbt, aber ich weigere mich, es anzurühren. Es zu verwenden, kam mir nie in den Sinn. Ich würde das Geld verbrennen, wenn ich könnte, aber dann bekäme meine Mutter einen Herzinfarkt, und das will ich nicht auf dem Gewissen haben.
Ich wollte nie das Geld. Ich wollte immer nur, dass mein Vater Teil meines Lebens ist.
»Du siehst umwerfend aus, Love.« Callum legt den Daumen unter mein Kinn und hebt meinen Kopf an.
Tue ich das wirklich? Ich bin das Gegenteil von dem, worauf ein Mann wie Callum normalerweise abfahren würde. Ich habe beinahe krankhaft blasse Haut, große grüne Augen, die von einer Unmenge an Eyeliner umrahmt sind, einen Nasenring und eine unsterbliche Liebe für alles, was mit Punkrock zu tun hat, woraus ich in meinem reifen Alter von bald siebenundzwanzig wahrscheinlich langsam herausgewachsen sein sollte.
Im Moment sind bei meinem langen Haar im silbernen Ombre-Look die rotblonden Ansätze sichtbar. Erdbeeren im Schnee, nennt Callum es, wenn mein Ansatz herauswächst. Ich habe mein Haar zu einem unordentlichen Pferdeschwanz gebunden und trage ein rot-weiß gestreiftes Kleid, zu dem ich Toms und ein Nietenhalsband kombiniert habe. Einfach ausgedrückt, könnte ich als viktorianischer Geist durchgehen, der sich bei Spencer’s verirrt hat.
Manchmal denke ich, es war das, was Callum zuerst zu mir hingezogen hat: diese exzentrische, vor Leben pulsierende Hülle, die seinen Status mehr aufwertet, als es eine aufgestylte Trophäenfrau jemals könnte.
»Sieh nur, wie aufgeschlossen und hip Callum ist, mit seiner Hipster- und Künstlerinnen-Freundin, die tatsächlich einen richtigen Job hat. Ihre Brüste sind echt, und sie ist nicht per Du mit den Verkäuferinnen bei Neiman Marcus.«
»Ich sehe aus, als würde ich zum Cast von Beetlejuice gehören.« Ich grinse und küsse ihn auf den Hals. Sein leises Lachen vibriert an meinem Körper.
Callum streicht mit dem Handrücken eine Haarsträhne zurück, die sich aus meinem Haargummi gelöst hat, und presst seine Lippen auf die Haut, die er soeben an meinem Hals entblößt hat.
»Ich mag Beetlejuice.«
Er hat den Film nie gesehen. Das hat er mir bei unserem ersten Date erzählt, aber es erscheint mir überflüssig, ihn darauf hinzuweisen, so als würde ich versuchen, in unserer Beziehung nicht vorhandene Probleme zu finden.
»Weißt du, wen ich noch mag?« Er neigt den Kopf für einen weiteren Kuss nach unten. »Dich, mit der Halskette von Tiffany’s, die ich dir gekauft habe.«
Äh, ja. Die, die er mir zusammen mit einem anständigen Kleid geschenkt hat, weil ich cool bin, aber nicht immer cool genug, um neben seinen Freunden auszusehen, wie ich nun mal aussehe.
»Vorsicht. Ich werde in ein paar Monaten siebenundzwanzig. Du bringst mich auf Ideen«, necke ich ihn. Die Worte fühlen sich leer an auf meiner Zunge, aber ich weiß, wie viel Freude es ihm bereitet, sie zu hören.
»Mein Vater hat mir gesagt, dass man einer Hure nicht mit einem Schwanz drohen solle. Weißt du, was das bedeutet, Aurora Belle Jenkins?«
Das ist mein hochgewachsener Börsenmakler-Freund, mein Wolf of Wall Street. Mit seiner Eton- und Oxford-Ausbildung. Mit seinen tadellosen Manieren und seinem dreckigen Mundwerk.
Der Mann, dessen einziger Makel darin besteht, genau das zu sein, was meine Mutter sich für mich gewünscht hat.
Reich. Mächtig. Wohlerzogen.
Beständig. Süß. Langweilig.
Was Mom nicht weiß, ist, dass ich Callum trotz all dieser Dinge mag, nicht wegen ihnen. Ich habe sechs Monate gebraucht, um seinen Überredungskünsten nachzugeben, weil ich wusste, dass sie ihn mögen würde, und die Dinge, die meine Mutter mag, sind normalerweise künstlich und oberflächlich.
Er war mir seit Monaten hinterhergelaufen. Schließlich tauchte er in der Bar unter seiner Wohnung auf – zufälligerweise die, in der ich arbeite – und schlug mit der Handfläche auf den Tresen.
»Sag mir, was ich tun muss, um dich für mich zu gewinnen«, lallte er in dieser Nacht.
»Hör auf, so geschniegelt auszusehen und als befändest du dich auf dem Spektrum der geistigen Gesundheit ganz weit oben«, sagte ich todernst. »Du erinnerst mich an alles, was meine Mutter will. Und meine Mutter will nur das Falsche.«
»Lässt du mich deshalb ständig abblitzen?« Er runzelte verwirrt die Stirn. »Ich komme jeden Abend hierher und bettle um eine Chance, und du lehnst mich ab, weil deine Mutter mich mögen könnte, Gott bewahre?«
Ich zuckte mit den Schultern, griff nach einem weiteren dampfend heißen Glas und wischte das Kondenswasser ab.
»Ich bin ein einziger Clusterfuck, Love. In meinem ersten Jahr in Oxford bin ich durchgefallen. Gnadenlos. Und nicht, weil ich mich nicht angestrengt habe.«
Ich zog eine Augenbraue hoch und schenkte ihm ein Ernsthaft?-Lächeln. Da musste er mir schon etwas mehr bieten.
Callum stieß die Luft aus und schüttelte seine Arme, als würde er sich auf einen Marathon vorbereiten.
»Alles klar, mal sehen. Ich habe ein faustgroßes Muttermal auf meinem Hintern. Ich esse immer noch Lucky Charms zum Frühstück. Jeden. Einzelnen. Tag. Mein Personal Trainer sagt, ich habe die Arme von Rhys Ifans, auch bekannt als Hugh Grants Mitbewohner in Notting Hill. Ich … ich … ich kann nicht schwimmen!« Er warf die Arme in die Luft, triumphierte, als alle um uns herum ihm zusahen und lächelten.
Ich gluckste und schüttelte den Kopf. Vielleicht hatte er seine Macken, aber er war weit entfernt von der Art Chaos, zu der ich mich normalerweise hingezogen fühlte. Debbie, alias Mom, hatte sich immer darüber beschwert, dass ich nur auf die verkümmertesten Exemplare der Männerwelt abfuhr. Die gebrochenen, missverstandenen, verkorksten, die mir nicht mehr bieten konnten als Liebeskummer und Geschlechtskrankheiten.
Sie hatte nicht unrecht. Ich zog nicht viele Männer in Betracht, aber wenn, dann hatten sie immer mehr Probleme als die Vogue Ausgaben.
Callum hatte sich vorgebeugt, den ganzen Oberkörper auf den Tresen gelegt, mit den Händen einen Trichter um seinen Mund geformt und so getan, als würde er mir ins Ohr flüstern.
»Kann ich dir ein Geheimnis anvertrauen?«
»Ich habe so ein Gefühl, dass du dich nicht davon abhalten lässt.«
»Ich glaube, du wurdest auf diese Erde gesandt, um mich zu zerstören.«
Ich lachte und trat einen Schritt zurück. Das Gespräch mit Mal vor all den Jahren drängte sich mir ins Gedächtnis und erinnerte mich daran, dass ich diese Worte schon einmal gehört hatte. Dinge, die Mal und ich zueinander gesagt hatten, lauerten immer in den Untiefen meiner Gedanken.
Mal hatte mir gesagt, dass ich ihn umbringen könnte.
Er wusste nicht, dass er mich in gewisser Weise auch getötet hatte.
Jeder Tag, den ich ohne ihn lebte, kroch wie eine Schnecke dahin und hinterließ eine Spur aus schmierigem Schleim.
»Okay, Kumpel. Es wird Zeit, dass ich dir ein Taxi rufe.« Ich tätschelte Callums Handrücken.
Da wusste ich noch nicht, dass ihm das Penthouse im oberen Stockwerk gehörte.
»Ich meine es ernst«, schmollte er erneut.
Er wusste, dass er attraktiv war, kannte seine Schokoladenseite, seinen Charme und wusste, wie er ein Mädchen dazu bringen konnte, ihm seine Nummer zu geben. Leider war ich dagegen immun.
Während ich ein weiteres sauberes Glas beiseitestellte, warf ich mir das Geschirrtuch über die Schulter.
»Darf ich dir noch ein Geheimnis verraten?« Er strich mit dem Daumen über seine Lippen.
In dem Moment bemerkte ich, dass seine Lippen auf geradezu unfaire Weise zum Küssen einluden, sogar ohne den Schmollmund.
»Fragst du immer nach Erlaubnis, bevor du etwas sagst?« Ich legte den Kopf schief.
Er lachte. »Ob du es glaubst oder nicht, normalerweise bin ich derjenige, den man um Erlaubnis bittet. Außerdem bin ich nicht mal betrunken. Dieses Bier? Es ist das einzige Glas, das du mir heute Abend serviert hast, und es ist noch voll. Ich komme nicht hierher, um mich abzuschießen, Aurora. Ich bin deinetwegen hier.«
Ich hielt inne, mein Blick klebte an seinem Glas. Er hatte die Wahrheit gesagt. Ich wusste es, weil ich ihn jeden Abend bediente. Mir kam in den Sinn, dass er das genaue Gegenteil von Mal war – die schicken Klamotten, die Korrektheit, die Nüchternheit. Vielleicht war er genau das, was ich brauchte, um mich von den Gedanken an den irischen Dichter zu befreien.
Was bedeutete, dass Callum auch das genaue Gegenteil von meinem Vater war.
Was bedeutete, dass ich ihm um meiner geistigen Gesundheit willen zumindest eine Chance geben sollte.
Er war mein Zweitversuch. Meine zweite Chance. Meine Erlösung.
»Also? Würdest du mir ein Date zugestehen?«, bettelte er. »Ich verspreche, mich als wunderbar labil zu erweisen, mit einer Prise Inkompetenz, und dir viel Unberechenbarkeit zu bieten.«
»Von mir aus.« Amüsiert verdrehte ich die Augen.
»Ha!« Er schlug triumphierend auf die Theke. »Der Part mit der Labilität hat dich überzeugt, stimmt’s?« Er ließ sich wieder auf dem Barhocker nieder und schob sein Bier weg, als hätte er ewig darauf gewartet, das tun zu können, als widerte es ihn an. »Damit kriegt man die Frauen immer rum«, sagte er.
Ich hole tief Luft und erwidere Callums Blick. »Ich bin sicher, du wirst mich gleich über die Sache mit den Huren und den Schwänzen aufklären«, sage ich, während seine Erektion durch seine Zigarettenhose und mein Kleid hindurch zwischen meinen Beinen pulsiert.
Fürs Protokoll: Callum hat an dem Abend in der Bar gelogen. Mit keiner Zelle seines Körpers ist er unordentlich, risikofreudig oder unüberlegt. Und was das Muttermal angeht? Seine Haut ist so unversehrt wie ein leeres Blatt Papier.
Callum Brooks ist mit seinen hochgezogenen weißen Socken, seinem sandfarbenen Haar, seiner beeindruckenden Größe und dem Körper eines Läufers auf eine Art attraktiv, die an ein Sommerhaus in Nantucket erinnert, an zwei Komma fünf Kinder und Polohemden und Golfturniere. Meine beste Freundin Summer macht gern Witze darüber, dass er wie David Dukes Traumkandidat aussehe.
Er sieht mir in die Augen. »Ich bin chronischer Monogamist, zweiunddreißig und seit fast einem Jahr mit dir zusammen. Bindungen machen mir keine Angst, Rory. Wenn es nach mir ginge, würdest du morgen früh bei mir einziehen.«
Ich knöpfe seinen Blazer auf und löse seine Krawatte, nur um meinen Händen etwas zu tun zu geben. Ich mag Callum auch, aber nach einem Jahr ist das noch zu früh in unserer Beziehung.
Du hast vierundzwanzig Stunden gebraucht, um Mal ein Versprechen für immer zu geben, sagt die Stimme in meinem Kopf.
Da hatte ich auch noch keine Erfahrung mit Schwänzen und nicht selbst herbeigeführten Orgasmen. Noch immer denke ich mir für mein achtzehnjähriges Ich Ausreden aus.
Callum führt mich zu unserem Tisch. Wir setzen uns neben einige Anzugträger aus der Buchhaltung und dem Marketing, die ihre Ceviche, den ersten Gang, mampfen und über Hedgefonds und die beliebten neuen Strandorte sprechen, die die Leute aus den Hamptons vertreiben. Callum fügt sich mühelos in die Unterhaltung ein und belässt es getränketechnisch bei einer Club-Soda – wie immer ohne einen Tropfen Alkohol. Ich konzentriere mich auf meine Kollegen und versuche, den Mann im VIP-Bereich hinter mir auszublenden.
Wie ich bereits sagte, es ist nicht Mal. Und okay, von mir aus. Lassen wir uns auf den verrücktesten Teil meines Gehirns ein, der behauptet, dass er es doch ist – na und? Er hat mich nicht gesehen. Und ich werde mich ihm auch nicht nähern. Er ist wahrscheinlich für ein paar Tage in der Stadt. Mal ist seiner Familie, seiner Farm und seinem Land treu ergeben. Das wusste ich, als ich ihn kennenlernte. Dieser Mann würde nicht nach Amerika ziehen. Nicht einmal für eine Frau.
Vor allem nicht für eine Frau.
Auf keinen Fall für diese Frau.
Und was das Geld angeht? Er interessiert sich nicht dafür. Hat er nie.
Ich knabbere an einer Brotstange, trinke zwei Gläser Wein und bin in ein hitziges Gespräch vertieft, das von Strandhäusern bis hin zu den besten öffentlichen Toiletten in Manhattan reicht (Crate and Barrel an der Ecke Houston und Broadway hat die Nase vorn), als Whitney, Ryners der Hölle entsprungene Assistentin, mit schwingenden Hüften an unseren Tisch stolziert kommt. Ihr kurzer platinblonder Bob ist mit einer Präzision geschnitten, als hätte ihr Friseur ein Lineal benutzt. Sie trägt eine Art BDSM-Kleid aus Lederstreifen, die ihre Brustwarzen und ihren Unterleib bedecken, aber nicht viel mehr. Sie legt den Kopf schief und schürzt die scharlachroten Lippen.
Alle hören auf, zu reden, denn Whitney ist so gut darin, ein Geheimnis für sich zu bewahren, wie ich es darin bin, mich von Kohlenhydraten fernzuhalten. Beweisstück A: Brotstangen und Wein.
»Aurora«, säuselt sie, eine manikürte Hand in die Hüfte gestemmt.
Alle nennen mich Rory, aber Whitney nennt mich Aurora. Ich habe einmal den Fehler begangen, während eines Fotoshootings mit einem Popstar, an dem sie mit Ryner teilnahm, meine Abneigung gegen meinen Namen zu äußern. Seitdem bin ich für sie Aurora. Würde ich ihr sagen, dass ich allergisch gegen Geld bin, würde sie sofort das gesamte Firmenbudget auf mein Konto überweisen.
Das wäre doch mal eine Idee.
»Whit.« Ich stecke mir das letzte Stück Brot in den Mund und mache mir nicht die Mühe, ihr in die Augen zu sehen.
»Mr Ryner möchte sich mit dir auf dem Balkon unterhalten.« Sie blickt mich unter zusammengezogenen Augenbrauen an. Ich schwöre, Whitney hat ein orgasmisches Vergnügen daran, sich zu räuspern und vielsagend hinzuzufügen: »Allein.«
Ich straffe die Schultern, recke das Kinn und gehe auf die Terrasse des VIP-Bereichs zu, während ich mein drittes Glas Wein trinke, um mir Mut zu machen. Ryner ist zu jeder Tageszeit sexuelle Belästigung auf zwei Beinen, aber besonders, wenn er high und betrunken ist. Was im Moment definitiv der Fall ist. Ich stecke die Serviette mit dem Hotellogo in die Tasche meines Kleides. Als ich mich umdrehe, sehe ich, wie Whitney auf meinen Platz rutscht, ihre rot lackierten Krallen auf Callums Schulter legt und ihm ein zuckersüßes Lächeln schenkt. Whitney würde nichts lieber tun, als zu beweisen, dass sie besser ist als ich. Und das ist sie auch, wenn man nach dem Kriterium »beste Desperate-Housewives-Imitatorin aus künstlicher Vorstadtnachbarschaft« bewertet.
Das Letzte, was ich mitbekomme, ist, wie sie Callum etwas ins Ohr flüstert. Er runzelt die Stirn und schüttelt den Kopf. Was auch immer sie zu ihm gesagt hat, es scheint ihn zu verärgern.
Als ich den Balkon betrete, ist er menschenleer. Hier ist es kälter als im Herzen meiner Mutter. Ich reibe mir die Arme, verfluche mich dafür, meinen Mantel drinnen gelassen zu haben, und gehe zum Geländer, um die Aussicht zu bewundern.
Es ist nicht nur hier draußen eiskalt, sondern mir ist auch immer kalt. Seit meiner Geburt, seit ich mich erinnern kann, trage ich immer und überall Pullover und flauschige Jacken. Es ist, als läge jederzeit eine unsichtbare Eisschicht über meiner Haut.
Ich hebe den Blick, blinzle den Sternen zu und bewundere ihre Schönheit, selbst bei diesem Wetter.
Hinter mir sind Schritte zu hören, die sich nähern. Etwas Schweres legt sich auf meine Schultern. Ein dicker Wollmantel, noch warm vom Tragen. Er riecht männlich und teuer: nach sauberer Erde, Kiefern, Rauch und der Art von Parfüm, die für den Massenmarkt zu teuer ist. Ein Schatten taucht an meiner Seite auf. Er stellt ein Glas Whiskey auf das breite Marmorgeländer, sein Arm dicht neben meinem, sodass sie sich fast berühren, aber nicht ganz.
In der Erwartung, Ryner zu sehen, wende ich den Kopf und sehe mich … Mal gegenüber.
Mein Mal. Er ist es doch.
Malachy Doherty mit den violetten Augen. Mit dem hypnotischen Lächeln. Mit dem Vertrag, den ich auf der Serviette unterschrieben habe.
Mit dem Teil meines Herzens, den er nie zurückgegeben hat.
Nur, dass er jetzt nicht lächelt. Es wirkt nicht so, als würde er sich freuen, mich zu sehen.
Er sagte, sollten wir uns jemals wiedersehen, würde er mich heiraten, egal was passiert. Aber das war vor fast einem Jahrzehnt – unter dem Einfluss von Alkohol, Lust und jugendlichem Leichtsinn. Von unendlichen Möglichkeiten.
Mal öffnet den Mund. »Hallo, Darlin’.«
Bei seinem rauen irischen Akzent werden mir die Knie weich, und ich muss mich am Geländer festhalten.
Um uns herum fallen die ersten Schneeflocken. Auf meine Nase. Meine Wimpern. Meine Schultern. In meiner Schneekugel braut sich ein Sturm zusammen.
Acht Jahre zuvor
Ich lehne mich mit dem Rücken an den Grabstein meines Dads und zupfe ein Paar Grashalme ab, um sie in die Luft zu werfen und dabei zuzusehen, wie sie auf meine dreckigen Toms herabschweben. Die Kirchenglocken läuten, die Sonne versinkt hinter grünen Hügeln.
»Du hättest warten können, weißt du. Ein oder zwei Monate auf den Alkohol verzichten, damit ich dich hätte kennenlernen können«, murmele ich und ziehe meine Ohrhörer heraus. One von U2 läuft weiterhin verzerrt, bis ich die Musik-App auf meinem Handy abwürge und es neben mich werfe. »Sorry. Das war unhöflich. Ich bin launisch, wenn ich müde bin, was … du wahrscheinlich gewusst hättest, wenn du dich entschieden hättest, mich kennenzulernen. Gott, Dad, du bist scheiße.«
Doch obwohl ich die Worte sage, glaube ich sie nicht. Er war nicht scheiße. Er war wahrscheinlich der Beste.
Ich lehne den Kopf gegen seinen Grabstein und schließe die Augen.
Wie immer friere ich mitten im Sommer, und ich bin erschöpft von dem langen Flug von Newark nach Dublin. Und davon, dass ich mich fünfundvierzig Minuten lang mit der Rezeptionistin des Hotels gestritten habe, weil meine Reservierung in den Untiefen den Internets verloren ging und es keine freien Zimmer mehr gab. Nachdem ich meinen kleinen Koffer in einem Hotel in der Nähe des Temple Bar Square abgeladen hatte, duschte ich, aß eine halbe Tüte abgelaufener Minibar-Chips und ärgerte mich über die Rechnung, die ich für meine unvorhergesehene Unterkunft zahlen sollte, was zweifellos meinen Traum zunichtemachen würde, vor meinem Studienbeginn eine neue Kamera zu kaufen.
Dann rief meine Mutter an und teilte mir auf ihre höchst diplomatische Art mit, dass ich für sie gestorben sei, weil ich nach Irland gereist war.
»Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte sie. »Erstens: Er ist tot. Zweitens: Du warst ohne ihn besser dran. Das kannst du mir glauben, Süße.«
»Das sagst du, Mom. Du hast mir nie die Chance gegeben, es selbst herauszufinden.«
»Er war ein fauler Säufer und ein schrecklicher Weiberheld.«
»Er war auch talentiert und witzig und hat mir jedes Jahr zu Weihnachten und meinem Geburtstag Geschenke geschickt. Dinge, die viel interessanter waren als deine Sephora-Gutscheine und Augenbrauen-Verschönerungscremes«, murmelte ich.
»Tut mir leid, dass ich wollte, dass du dir ein paar schöne Dinge kaufst. Du hättest dir damit besseres Make-up leisten können, um dein Geburtsmal abzudecken. Es ist leicht, der coole Elternteil zu sein, wenn man sich nicht um die eigentliche Erziehung kümmert«, schimpfte sie. »Suchst du nach deiner Halbschwester? Ich wette, sie lebt in einem Schickimicki-Haus. All das Geld hätte in irgendwas Sinnvolles fließen sollen.«
Mit irgendwas Sinnvolles meinte sie wahrscheinlich nicht zur dir.
Ich möchte nach meiner Halbschwester suchen, aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Um ehrlich zu sein, habe ich diese Reise nicht wirklich geplant. Ich wollte nur den Ort sehen, an dem mein Vater begraben wurde. In der Erwartung, dass … was? Ich irgendeine magische Verbindung zu dem kalten Stein unter mir spüre? Wahrscheinlich. Nicht, dass ich das jemals zugeben würde.
»Sonst noch was, Mom?«
»Komm mir nicht mit dieser Einstellung, junge Dame. Nicht, wenn ich mein Bestes getan habe, dich zu erziehen, und er nur dein Erbe versoffen hat.«
Ich schnaubte.
Geld, Geld, Geld. Es ging immer nur ums Geld.
»Ich kann nicht glauben, dass sie ihn in der Nähe einer Kirche begraben haben«, sinnierte sie. »Hoffentlich wird das Gras nicht schwarz wie sein Herz.«
Sie legte auf, nachdem sie sich über ihre zu auffälligen neuen Strähnchen beschwert und mir das Versprechen abgerungen hatte, ihr auf der Rückreise eine Stange zollfreier Parliament-Zigaretten mitzubringen.
Jetzt sitze ich hier auf einem Friedhof im Zentrum von Dublin und starre ein graues Eichhörnchen an, das die Tüte mit den Chips beäugt, die aus meinem Rucksack herausschaut. Ich beneide es um seinen Pelzmantel. Ich würde tatsächlich in Erwägung ziehen, mit einem Fell am ganzen Körper herumzulaufen, um mich vor der ständigen Kälte zu schützen.
»Die sind nicht mal besonders gut. Wer macht schon Essig auf Chips? Das ist barbarisch.« Ich ziehe die Tüte aus meinem Rucksack, hole einen Chip heraus und werfe ihn dem Eichhörnchen zu. Es springt erschrocken zurück, nähert sich dann aber vorsichtig dem Snack. Es schnuppert an dem Chip, schnappt ihn sich mit seinen winzigen Pfoten und rennt einen nahe gelegenen Baum hinauf.
»Da, wo ich herkomme, kommt man ins Gefängnis, wenn man einem Mörder Beihilfe leistet«, durchbricht eine Stimme hinter mir die Stille.
Mit einem Ruck schaue ich mich um. Ein Priester steht ein paar Schritte hinter dem Grab meines Vaters – schwarzes Gewand, großes Kreuz, Alle-Sünder-sind-dem-Untergang-geweiht-Ausdruck, die volle Montur. Ich springe auf, schnappe mir meine Tasche und mein Handy und drehe mich zu ihm um.
Okay, er sieht nicht sonderlich gefährlich aus, aber da ich ganz allein in einem fremden Land bin, bin ich mir meiner Verletzlichkeit nur allzu bewusst.
»Aber, aber.«
Der Mann geht langsamen Schrittes den sanften grünen Hügel hinunter, auf dem mein Vater begraben ist, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Er sieht aus, als hätte er beide Weltkriege, die Renaissance … und Hannibals Invasion Italiens erlebt.
»Kein Grund, sich zu fürchten. Ich denke, du bist extrem uninformiert, was die grauen Eichhörnchen und ihre geheimen Pläne angeht.«
Er bleibt hinter dem Grabstein meines Vaters stehen und starrt auf das markante Geburtsmal an meiner Schläfe. Ich hasse es, wenn die Leute das tun – so offen starren. Vor allem, weil es wie eine Narbe aussieht. Es ist halbmondförmig und irgendwie noch blasser als mein sonstiger Todesteint. Mom ermutigt mich immer, etwas dagegen zu tun. Es mit Make-up abzudecken. Es mit einer Laserbehandlung entfernen zu lassen.
In den Augen des Priesters flackert etwas auf, als er mein Geburtsmal sieht. Er hat fluffiges weißes Haar und ein vom Alter gezeichnetes Gesicht. Seine Augen sind klein und so sehr von runzliger Haut umgeben, dass ich nicht einmal ihre Farbe erkennen kann.
»Die grauen Eichhörnchen gefährden die roten und vertreiben sie aus deren Revier. Die roten waren zuerst hier. Aber die grauen sind besser im Lösen von Problemen. Sie sind schlau. Die grauen sind außerdem Träger einer Krankheit, die nur die roten Eichhörnchen befällt.« Er nimmt seine Lesebrille ab und säubert sie mit dem Saum seines Gewandes.
Ich schlucke und verlagere mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Er setzt seine Brille wieder auf.
»Natürlich fressen die grauen auch das Futter der roten und sind besser darin, sich zu vermehren. Rote Eichhörnchen bekommen unter Druck keinen Nachwuchs.«
Ich starre ihn an und bin mir nicht sicher, ob er ein engagierter Umweltschützer, ein ungeschickter Gesprächspartner oder einfach nur verrückt ist. Warum erzählt er mir was von Eichhörnchen?
Noch viel wichtiger: Warum höre ich ihm zu?
»Ich, ähm, danke für die Info.« Ich spiele mit dem Piercing in meiner Nase.
Geh weg, Rory. Lauf in die andere Richtung, bevor er dir einen Vortrag über Ameisen hält.
»Nur eine interessante Anekdote über Eichhörnchen. Und vielleicht darüber, wie ungebetene Gäste manchmal ein Gebiet an sich reißen, nur weil sie besser sind als die Einheimischen.« Er lächelt und legt den Kopf schief. »Und du bist?«
Verwirrt und übermäßig emotional. »Rory.« Ich räuspere mich. »Rory Jenkins.«
»Du kommst nicht von hier, Rory.«
»Amerika.« Ich trete gegen einen kleinen Stein zu meinen Füßen und fühle mich irgendwie wie ein gescholtenes Kind, obwohl ich keinen Grund dazu habe. »Ich komme aus New Jersey.«
»Deshalb hast du es gefüttert.« Er nickt. »Soll ich raten, warum du hier bist, oder bist du in Gesprächslaune?«
Ich schäme mich zu sehr, um ihm zu sagen, dass ich hierhergekommen bin, um einen Schlussstrich zu ziehen, bevor ich aufs College gehe und dabei mein ganzes Geld, das ich in den letzten zwei Jahren durch meinen Job bei Applebee’s angespart habe, praktisch das dreckige Klo runterspüle.
»Weder noch.« Ich werfe mir den Rucksack über die Schulter. Es ist Zeit, ins Hotel zurückzukehren. Dieser blöde Ausflug wird nichts bringen. »Aber danke für die Eichhörnchen-Funfacts.«
Dafür hat sich die Reise über den Ozean auf jeden Fall gelohnt.
Ich bin schon auf dem Weg zum Friedhofstor, als ich seine Stimme hinter mir höre.
»Du bist die Tochter von Glen O’Connell.«
Ich bleibe stehen und spüre, wie sich meine Schultern anspannen. Mein ganzer Körper ist wie versteinert. Langsam drehe ich mich zu ihm um, meine Muskeln fühlen sich an wie eingefroren.
»Woher wissen Sie das?«
»Du bist die dritte seiner Nachkommenschaft, die sein Grab besucht. Ich hatte gehört, dass die letzte angeblich Amerikanerin ist. Wir haben auf dich gewartet.«
»Wir?«
»Nun, ich.«
»Wo sind die anderen beiden?« Ich sehe mich um, als würden sie sich hinter den Grabsteinen verstecken.
»Eine lebt nur eine kurze Autofahrt von hier entfernt. Ich kenne sie, seit sie ein Baby war. Sie geht immer noch jeden Sonntag mit ihrer Mammy in diese Kirche. Glen war, so gut es in Anbetracht seiner … äh, Einschränkungen ging, Teil ihres Lebens.«
Übersetzung: Alkoholabhängigkeit. Seltsamerweise beneide ich sie trotzdem. »Und der andere?«
»Lebte im Norden. Grafschaft Antrim.«
»Warum die Vergangenheitsform?«
»Er ist vor ein paar Wochen verstorben. Leukämie, kannst du dir das vorstellen? So ein junger Bursche. Er hat seinen Da ein paarmal getroffen, aber er hat ihn nie richtig kennengelernt.«
Mir sinkt das Herz in der Brust wie ein Anker, der sich in meinem Magen festkrallt. Ich hatte einen Bruder, der gestorben ist, und jetzt werde ich ihn nie zu Gesicht bekommen, niemals kennenlernen. Ich habe hier eine potenzielle Familie. Dieser Mann … ich hätte ihn in den Arm nehmen, ihn in seinen letzten Tagen trösten können.
Ich weiß so gut wie nichts über meinen Vater. Nur, dass er im Alter von fünfzig Jahren an einem Herzinfarkt starb, der angesichts seiner Vorliebe für schnelle Autos, wechselnde Partnerinnen, das Rauchen und Trinken sowie arterienverstopfendes Essen nicht aus dem Nichts kam. Er wurde in Tolka als Sohn eines Metzgers und einer Lehrerin geboren und quasi über Nacht berühmt, als er Belle’s Bells schrieb, ein Weihnachtslied, das in Irland, im Vereinten Königreich und in den USA die Charts stürmte und Mariah Carey und George Michael den Rang ablief. Der Weihnachtssong war sein erster und letzter Versuch, zu arbeiten oder gar so etwas wie Karriere zu machen, aber es reichte aus, um sich ein Haus in Dublin und ein jährliches Budget für Essen und Alkohol zu sichern.
Er war ein Frauenheld. Der Typ, der mit allem schlief, was sich bewegte. Er lernte Mom in einer Bar in Paris kennen, als sie mit Freunden auf Backpacking Tour war und er versuchte, seine Muse wiederzufinden. Sie hatten einen One-Night-Stand, und er gab ihr seine Adresse, damit sie ihm schreiben konnte, sollte sie je in Irland sein und Spaß haben wollen. Als sie ihm dann schrieb, um ihm mitzuteilen, dass sie einen Braten in der Röhre hatte, lud er sie dazu ein, bei ihm zu leben, doch Mom lehnte ab. Stattdessen schickte er ihr jeden Monat Unterhaltsgeld. Mir schickte er Geschenke, Briefe … aber alles wurde immer sorgfältig von meiner Mutter überwacht. Ich hasste es, dass sie unsere Beziehung kontrollierte.
Also rebellierte ich. Schon als ich noch jung war.
Ich versuchte im Laufe der Jahre, auf eigene Faust mit ihm in Kontakt zu treten.
Ich schrieb ihm Briefe, von denen meine Mutter nichts wusste – schickte ihm Bilder, E-Mails, Gedichte, die ich aus Bibliotheksbüchern herausgerissen hatte. Ich bettelte meine Mutter um Informationen über meinen mysteriösen Samenspender an. Ich hörte nie etwas von ihm und dachte, ich wüsste, warum. Er wusste, was für eine herrische Bitch Mom war, und er hatte Angst, dass sie seinen Kontakt zu mir komplett kappen würde, fände sie heraus, dass wir hinter ihrem Rücken miteinander redeten.
Dad war damit einverstanden, nur durch Mom mit mir zu sprechen und niemals am Telefon, aus Respekt vor ihr. Er schrieb mir einmal, dass er sich für seine Stimme schäme, für das, was aus ihm geworden sei. Er sagte, er lalle jetzt sogar, wenn er nicht betrunken war, und seine Stimme zittere die ganze Zeit.
Mir war egal, wie er klang. Ich wollte nur seine Stimme hören.
Ich wollte einen Dad.
Nicht einmal einen besonders guten.
Im Ernst, jede Art von Vater hätte gereicht.
Mein Vater starb zwei Monate, bevor ich die Highschool abschloss. Ich war gerade auf dem Weg in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen, als Mom den Anruf erhielt. Ich drückte mich mit dem Rücken an die Wand des Flurs, damit sie mich nicht sehen konnte.
Sie war nicht traurig. Oder wütend. Oder gebrochen. Sie schnappte sich einfach das alte kabelgebundene Telefon, steckte sich eine Zigarette an und setzte sich an den Esstisch, wobei sie sich das Haar über die Schulter warf.
»Er hat also endlich ins Gras gebissen, hm?« Sie hustete. »Das einzig Traurige daran ist, dass ich es Rory sagen muss. Sie hat diesen Herzschmerz nicht verdient.«
Ich wusste nicht, mit wem sie sprach, aber ich wollte mich übergeben. Er war mein Vater, und er war ein Teil von mir – vermutlich ein Teil von mir, den sie nicht so toll fand.
Hätte Glen nur ein wenig länger gewartet, hätte ich ihn von Angesicht zu Angesicht treffen können. Jetzt treffe ich ihn von Grab zu Angesicht und irgend so ein Geistlicher erzählt mir was über Glens uneheliche Kinder.
Klasse Leistung, Dad.
»Pater …?« Ich betrachte das riesige Kreuz auf seiner Brust.
»Doherty«, ergänzt er.
»Pater Doherty, hat er jemals etwas über mich gesagt?«
In der Zeitspanne zwischen meiner Frage und seiner Antwort spüre ich, wie die Last der Welt auf meine Schultern drückt und droht, mich unter sich zu begraben.
»Ja. Natürlich. Er hat ständig von dir gesprochen. Du warst sein Augapfel. Er gab mit deinen Fotografien an. Wann immer er das Haus verließ, drückte er den Leuten Bilder von dir in die Hand und sagte: ›Das hier ist meine Tochter.‹«
Wann immer er das Haus verließ.
Seine Situation war so furchtbar. Mom hat nicht mal versucht, ihm zu helfen. Warum?
»Wie kommt es, dass er mich nie sehen wollte?«
Ich weiß nicht, warum ich mich entschließe, all diese Fragen bei diesem Fremden abzuladen. Er kann meinen Vater nicht allzu gut gekannt haben. Es ist ja nicht so, dass Glen regelmäßig in die Kirche gegangen wäre … glaube ich zumindest nicht.
»Er hat dir jeden Monat Geld geschickt und dich aus der Ferne geliebt, weil er wusste, dass es besser ist, wenn du ihn nicht kennenlernst.« Pater Doherty weicht der schmerzhaften Frage aus. »Manche Menschen sind schwach, aber nicht unbedingt schlecht. Er hatte mit Depressionen und Alkoholsucht zu kämpfen und war nicht in der Lage, sich um ein Kind zu kümmern.«
Vielleicht hat Dad mich ja vor sich selbst gerettet. Das Wichtigste ist doch, dass er von mir erzählt hat, oder? Dass er sich auf seine eigene verquere Art und Weise um mich gekümmert hat? Ja, damit kann ich leben. Aber ich werde das nagende Gefühl nicht los, dass Mom etwas damit zu tun hatte, dass wir uns nie getroffen haben.
Ein Hauch von Wärme schleicht sich in meine Brust. »Kann ich meine Schwester kennenlernen? Wissen Sie, wo sie wohnt?«
Ich klammere mich mittlerweile an jeden Strohhalm. Ich kann die Verzweiflung aus meiner Stimme heraushören, was dafür sorgt, dass ich eine Abneigung mir selbst gegenüber entwickle. Reiß dich zusammen. Er hat dir nicht mal einen Brief hinterlassen, bevor er starb.
»Ah, das arme Ding ist in einem schlimmen Zustand. Ich fürchte, sie will nicht kontaktiert werden. Aber …« Er streicht sich übers Kinn und denkt über etwas nach. »Ich kenne jemanden, der dir helfen könnte. Folge mir.«
Ich begleite Pater Doherty in die Kirche, bis in das Hinterzimmer, wo er sich an einen schweren Eichenschreibtisch setzt und eine Adresse auf ein Stück Papier kritzelt. Er redet, während er schreibt.
»Mein Enkel ist Straßenmusiker in der Drury Street. Er kannte deinen Da gut genug. Glen hat ihm das Gitarrespielen beigebracht. Ich bin sicher, Mal kennt viele Geschichten über Glen. Warum redest du nicht mit ihm bei ein paar Pints, hm? Aber nicht zu viele, es sei denn, du willst, dass die Geschichten unerwartete bizarre Wendungen nehmen.« Er kichert und schiebt mir die Adresse zusammen mit einem Fünfzigeuroschein über den Tisch zu.
»Danke, aber ich kann Ihr Geld nicht annehmen.« Ich schnappe mir die Adresse, um sie in die Tasche meiner Cordhose zu stecken, und lasse den Schein unangetastet.
»Warum?«
»Weil Sie mir nichts schuldig sind.« Ich ziehe eine Schulter hoch. »Und Sie haben schon genug getan.«
Er sieht auf, und die Zärtlichkeit in seinem Blick lässt mich auf dumme Gedanken kommen – Gedanken wie den Wunsch, er würde mich adoptieren. Ich wünschte, er wäre mein Großvater. Es gibt nichts Vergleichbares zu dem Gefühl, nicht dazuzugehören. Wurzellos über den Planeten zu schweben, ohne jemanden, der um einen kämpft. Na ja, es gibt noch Mom, aber sie hat eine seltsame Art, ihre Liebe zu zeigen.
»Und willst du nicht, während ich noch lebe, des Herrn Güte an mir erzeigen, dass ich nicht sterbe? Samuel 20:14. Wir alle schulden einander ein wenig Güte, Rory. Ein bisschen Güte kann viel bewirken.«
Seine Zähne sind so gelb wie die Lichtstrahlen, die durch die hohen Kirchenfenster fallen. Ich schlucke, mache keine Anstalten, mir das Geld zu nehmen.
»Jetzt geh, bevor mein Enkel fertig ist. Malachy bleibt selten an einem Ort. Es lauern immer ein oder zwei Damen auf ihn, die ihn Gott weiß wohin schleppen, um Gott weiß was mit ihm zu tun.«
Ich habe eine ziemlich klare Vorstellung davon, was sie tun. Wie auch immer, das Sexleben seines Playboy-Enkels ist nichts, worüber ich in einer Kirche sprechen möchte. Oder, na ja, jemals.
»Woher soll ich wissen, wer er ist? Es muss doch mehr als einen Sänger in der Drury Street geben.«
»Oh, du wirst ihn erkennen.« Er faltet den Schein zwischen seinen Fingern und reicht ihn mir.
Ich zögere, nehme ihn aber an. »Und wenn ich es nicht tue?« Ich runzle die Stirn.
»Ruf einfach seinen Namen. Er wird sofort alles stehen und liegen lassen. Malachy konnte noch nie einem hübschen Mädchen oder einem starken Drink widerstehen.«
Ich verspüre jetzt schon eine Abneigung gegen diesen Malachy, aber wenn er mir dabei helfen kann, einen Schlussstrich zu ziehen, kann ich die Tatsache ignorieren, dass er sich genau wie mein Vater anhört: nach einem Aufreißer, einem Säufer und einem Mann, der Verantwortung meidet wie die Pest.
»Kann ich ein paar Fotos von seinem Grab machen, bevor ich gehe?«
Er nickt und sieht mich voller Mitleid an, die Art, die einem unter die Haut kriecht und sich dort festsetzt. Die Art, die einen definiert.
»Du wirst stärker daraus hervorgehen, Aurora.«
Aurora. Ich habe ihm nie meinen Namen genannt. Nur Rory.
»Aurora?« Ich ziehe eine Augenbraue hoch.
Sein Lächeln verblasst, und er räuspert sich. »Dein Vater hat mir von dir erzählt, erinnerst du dich?«
Ja. Natürlich. Aber warum sieht er dann so … schuldbewusst aus?
In diesem Moment, in dem ich Pater Doherty ansehe, kommen mir zwei Erkenntnisse:
Die Augen des Mannes sind faszinierend – ein seltsamer, in Blau getauchter Violettton, der sofort eine Wärme in mir auslöst.Ich werde ihn eines Tages wiedersehen. Und wenn es so weit ist? Dann wird er mein Leben verändern. Für immer.Ich schiebe mich an der Wand aus Frauenkörpern vorbei, die einen Halbkreis um den Straßenkünstler bilden. Die Drury Street ist eine Explosion aus Farben, Gerüchen und Sehenswürdigkeiten. Rote Backsteingebäude, bedeckt mit lebhaften Graffiti. Ein Asiamarkt schaut hinter einer Ecke hervor, ein Parkhaus, eine Bushaltestelle und kleine Hipsterläden. Es sieht aus wie auf einem Bild, und ich kann nicht anders, als anzuhalten und es zu einem zu machen, indem ich die Schönheit der Straße mit meiner alten Kamera festhalte.
Ein Bus, der so schnell vorbeirauscht, dass er nur als verschwommener Fleck zu erkennen ist, durchschneidet die Farben wie ein Pinselstrich.
Klick.
Zwei Männer in Anzügen gehen an einer Wand mit der Aufschrift FUCK CAPITALISM vorbei.
Klick.
Eine einsame Bierflasche liegt auf dem Bürgersteig, eingeklemmt zwischen Fast-Food-Verpackungen wie ein bemitleidenswerter Betrunkener.
Klick, klick, klick.
Als ich schließlich dem Straßenkünstler gegenüberstehe, der am Bürgersteig steht, den Gitarrenkoffer offen und voll mit zusammengerollten Scheinen und Kleingeld, verstehe ich, warum sein Großvater mir mit der Selbstsicherheit eines frommen Gläubigen gesagt hat, dass ich ihn erkennen würde.
Ich habe noch nie jemanden wie ihn gesehen.
Er ist wunderschön, sicher, aber das fällt mir nicht als Erstes auf. Er strahlt.
Es ist, als hätte seine Ausstrahlung eine Ausstrahlung. Er raubt allem in seiner Nähe den Sauerstoff und macht es unmöglich, ihn nicht anzusehen. Malachy ist wie geschaffen dafür, einem auf kolossale Weise das Herz zu brechen. Alles an ihm – seine zerschlissenen Jeans, seine schmutzigen Stiefel, sein weißes Shirt und seine Lederjacke, die bereits vor Jahrzehnten eingetragen wurde – schreit nach Ärger. Er sieht aus wie ein Frauenschwarm der Siebzigerjahre. Eine Ikone. Eine Muse von Terry Richardson. Bruce Springsteen, bevor er berühmt wurde.
Seine Stimme ist wie würziger Honig. Sie lullt mich ein und transportiert mich an einen Ort in meinen Gedanken, an dem ich noch nie war, obwohl sie alles andere als schön ist. Sie ist rau, kehlig und rauchig. Als jemand mich an der Schulter anrempelt, um näher an ihn heranzukommen, werde ich aus meiner Träumerei gerissen und bemerke, was ich mir da anhöre.
One von U2.
Der Zufall ist seltsam. Ich versuche, mir einzureden, dass es nichts Besonderes ist. Wir sind hier in Irland. U2 ist ein Nationalheiligtum.
Er hat die Augen geschlossen, während er singt. Es ist, als gäbe es niemanden außer ihm und seiner Gitarre. Etwas Warmes strömt über meine Haut wie eine Hitzewelle, und ich erschaudere vor Freude.
Wärme.
Ich fand schon immer, dass Straßenkünstler etwas Melancholisches an sich haben – die Art, wie die Leute an ihnen vorbeigehen und ihre Musik, ihre Kunst, ihre Leidenschaft ignorieren. Aber das Blatt hat sich gewendet: Dieser Typ ignoriert sie. Er hat die Menge dazu gebracht, ihm aus der Hand zu fressen. Jede Frau hier steht unter einem undurchdringlich süßen Bann. Er hat diese Harry-Styles-Eigenschaft, die Mädchen dazu bringt, mit ihm ins Bett gehen zu wollen, und ältere Frauen, ihn adoptieren zu wollen. Die Männer sind eine Mischung aus ungeduldig, genervt und eifersüchtig. Man erkennt es daran, wie sie auf den Füßen wippen, auf ihre Uhren schauen und ihre Frauen und Freundinnen anstoßen, damit sie weitergehen.
Das Lied endet, und Malachy Doherty reißt die Augen auf und starrt mich direkt an, als hätte er gewusst, dass ich hier bin. Als hätte er durch die geschlossenen Augen hindurch mich dabei beobachtet, wie ich ihn beobachtet habe. Verwirrt – und mit dem seltsamen Drang, etwas zu tun, irgendetwas – werfe ich einen Geldschein in seinen Gitarrenkoffer und schaue weg, wobei ich zu meinem Entsetzen feststelle, dass es die fünfzig Euro waren, die sein Großvater mir gegeben hat. Alle um mich herum raunen und pfeifen. Sie denken, es war Absicht. Mein Gesicht glüht. Ich wette, er denkt, ich will mit ihm schlafen.
Will ich das? Wahrscheinlich. Aber sollte er das wissen? Auf keinen Fall.
Allerdings ist es jetzt zu spät, das Geld zurückzunehmen, ohne wie eine Verrückte dazustehen. Und zwischen verrückt und leicht zu haben entscheide ich mich wohl für Letzteres.
Mit roten Wangen weiche ich zurück. Malachy beugt sich vor, packt mein Handgelenk und zieht daran. Eine elektrische Hitze fließt durch meine Adern, als hätte mich eine Schlange gebissen. Ich schnappe nach Luft.
Ich starre auf meine Schuhe, aber er geht in die Hocke und schaut mir ins Gesicht, wobei ein freches, schiefes Grinsen seine Lippen umspielt.
»Irgendwelche Wünsche, Glücksfee?«, fragt er gedehnt.
Kann ich mein Geld zurückhaben? Ich muss dir damit Drinks ausgeben, damit du mir von meinem Vater erzählen kannst, versuche ich ihm mit einem Süß-aber-ernsthaft-psychotisch-Blick zu vermitteln.
»Da fällt mir nichts ein.« Ich sehe zur Seite, um auf lässig zu tun, will aber innerlich sterben.
Das Gute daran: Ich denke nicht mehr an meinen toten Vater. Man muss ja über jeden Lichtblick froh sein.
»Copacabana!«, schlägt jemand vor.
»Cavan Girl!«, ruft jemand anders.
»Dick in a Box!«
Malachy schaut sich um und lacht, und in dem Moment, in dem er den Blick von meinem Gesicht abwendet, wird mir die Wärme entrissen. Dennoch sickert mir sein schallendes Lachen wie heißes Wachs in den Magen.
Er richtet sich auf. »Welcher unverschämte Bulgare hat das vorgeschlagen?«
Ein Typ mit grüner Baskenmütze und orangefarbener Tweedjacke hebt die Hand und winkt mit den Fingern.
»Kein Bulgare, Engländer.« Er grinst süffisant.
»Gott, noch viel schlimmer«, sagt Malachy mit todernster Stimme, und alle um uns herum brechen in Gelächter aus.
Ich nutze die Gelegenheit, um meinen Puls wieder zu beruhigen, und lächle ebenfalls. Genau, haha.
Malachy schlendert zu seinem Platz zurück und legt sich den Gitarrengurt über die Schulter. Er hat den schlanken, aber muskulösen Körper von jemandem, der auf dem Feld arbeitet und nicht im Fitnessstudio trainiert. Mit dem Plektrum zeigt er auf mich, und alle drehen sich um, um zu sehen, wen er meint.
»Ich bin nicht scharf auf Mädchen, die nicht wissen, was sie wollen.« Er zieht eine dunkle, dichte Augenbraue hoch. »Aber ich habe das Gefühl, du bist hier, um das zu ändern.«
Er fängt an zu spielen, und vielleicht liegt es daran, dass ich mich klein und verletzlich und gebrochen fühle, doch ich erlaube mir, dem Klang seiner Stimme nachzugeben, die Augen zu schließen und mich gehen zu lassen. Es muss sich um seinen eigenen Song handeln, denn ich kenne den Text nicht. Er ist zu gut, um kein Hit zu sein. Er singt ihn ganz anders als One. Als ob jedes einzelne Wort ihm ins Fleisch schneidet. Ein Striemen, eine Narbe, ein brennendes Etwas.
Weakness, hate, desire,
How I’d love to light your soul on fire,
In a room full of pretty lost girls and bad broken boys,
You will find me, dip me in ice, and drown all the white noise,
I want to see the world through your eyes and fall in love,
But most of all, I am frightened you don’t really exist,
Because then my fairytale has no beauty,
Just a sad, lonely beast.
Dieser Kerl schafft es, mich zu bewegen, ohne mich zu berühren, und berührt mich, ohne mich anzufassen. Sein Großvater hatte recht. Er bedeutet Ärger.
Alle sind so still, dass ich anfange, daran zu zweifeln, ob dieser Moment real ist. Ich höre auf, mich zu wiegen, und öffne die Augen. Zu meinem Erstaunen stelle ich fest, dass die ganze Straße ihn anstarrt. Sogar Kellnerinnen stehen auf den Türschwellen von Restaurants und vor den Eingängen von Cafés, um seine Stimme zu bewundern.
Und Malachy? Er starrt mich an.
Ich schnappe mir meine Kamera und mache ein Foto von ihm, während er singt.
Als er das Lied beendet hat, verbeugt er sich kurz und wartet, bis das Klatschen und Rufen verstummt. Er wackelt mit den Brauen und schenkt mir ein Grinsen, das mir sagt, wir werden miteinander schlafen, was bescheuert ist, da ich gerade mal achtzehn bin und niemand, der durch die Betten hüpft.
Ich habe in meinem Leben nur mit einer Person geschlafen: Taylor Kirshner, im Abschlussjahr, da wir schon eine Weile zusammen gewesen waren und beide nicht als unbeholfene Jungfrauen aufs College hatten gehen wollen.
Aber ich glaube Malachy. Wir werden es tun.
Ich glaube ihm, weil er dieser spezielle Typ Mann ist. Jemand, dem mein Dad ähnlich gewesen sein muss. Ein völlig aus dem Gleichgewicht geratener, verdorbener Romeo mit Taifun-Seele, der dein Bett, dein Herz und deine Entschlossenheit zerstört, wenn du ihn lässt.
Nicht böswillig, nein. Und auch nicht absichtlich. Er kann einfach nicht anders. Er würde alles kaputt machen, was ihm in die Quere kommt. Dieser unverstandene, schöne, brillante Junge, der mit Begabungen gesegnet wurde, die er sich nie gewünscht, derer er sich jedoch trotzdem angenommen hat. Sein Talent, sein Charme und seine Schönheit sind eine Waffe, die gerade auf mich gerichtet ist.
Ich beobachte, wie er das Geld aus seinem Gitarrenkoffer nimmt und es in seine Tasche steckt. Der Kreis aus Menschen um ihn herum lichtet sich und löst sich schließlich ganz auf. Zwei Mädchen im College-Alter kommen auf ihn zu und streichen sich dabei das Haar hinter die Ohren. Er flirtet schamlos mit ihnen und wirft mir ab und zu einen Blick zu, um sich zu vergewissern, dass ich noch da bin.
Ich bin nur wegen meines Vaters hier, möchte ich klarstellen. Das werde ich ihm sagen, sobald er fertig ist.
Da Malachy kein Problem damit hat, mich warten zu lassen, habe ich kein schlechtes Gewissen, meine Kamera wieder hervorzuholen und ein Foto von ihm zu schießen, als er sich den Gitarrenkoffer über die Schulter wirft und einem der Mädchen einen Handkuss gibt.
»Ich fühle mich geschmeichelt, aber wisst ihr, ich habe diesem großzügigen, wenn auch anhänglichen Mädchen versprochen, dass sie mir ein Bier ausgeben darf.«
Ich lasse meine Kamera sinken und ziehe eine Augenbraue hoch. Er strahlt mich an, während die beiden anderen sich atemlos kichernd und sich gegenseitig schubsend zu einer Bushaltestelle aufmachen.
»Ich glaube, alles in allem könntest du es dir leisten, dem großzügigen, wenn auch anhänglichen Mädchen einen Drink zu spendieren.« Ich stecke meine Kamera zurück in meinen Rucksack und ziehe mir die Kapuze meiner Jacke über den Kopf.
»Nur wenn sie mir einen Abzug von dem Bild schickt.« Er reckt das Kinn in Richtung meines Rucksacks und zeigt mir ein schiefes Grinsen.
»Wozu?«
Er tastet nach dem Riemen seines Gitarrenkoffers, während er herüberschlendert. Hält an, als wir den Duft des jeweils anderen einatmen können. »Damit ich ihre Adresse habe.«
»Wer ist jetzt der Anhängliche?« Ich verschränke die Arme vor der Brust.
»Ich.« Er grinst, und durch seine hypnotisierenden Augen sieht er die Welt wahrscheinlich in einem dramatischen Mauve-Ton. »Auf jeden Fall ich. Bist du Amerikanerin?«
Ich nicke. Er mustert mich.
Violette Augen, wie die seines Großvaters. Aber irgendwie anders. Klarer, mit Tiefen, die einen hinabziehen, wenn man nicht aufpasst.
Ich drehe mich um und gehe weiter, denn ich weiß, er wird mir folgen. Und genau das tut er. »Also was suchst du hier?«
»Können wir uns wo hinsetzen?« Ich ignoriere seine Frage und sehe mich um.
Ich könnte einen Drink und etwas zu essen vertragen. Ich schätze, jeder normale Mensch hätte tausend Fragen dazu, was ich von ihm will, aber es scheint nicht so, als würde Mal sich auf dem Spektrum der Normalität bewegen. Er macht eine Kopfbewegung in die andere Richtung, und wir drehen uns um. Jetzt bin ich diejenige, die ihm folgt.
Den Spieß umdrehen. Darin ist dieser Straßenmusiker gut.
»Hast du einen Namen?«, fragt er.
Ich halte mit ihm Schritt. Gerade so.
»Aurora.«
»Aurora! Prinzessin von …?«
»New Jersey.« Ich rolle mit den Augen. Was für ein Charmeur.
»New Jersey. Natürlich. Bekannt für sein verarbeitetes Fleisch, Goldzeisige und Jon Bon Jovi, obwohl ich dir Letzteren nicht zur Last legen kann.«
»Wie unglaublich rücksichtsvoll.«
»Was soll ich sagen? Ich bin eben auch eine wohltätige Seele. Aber alles, was ich über New Jersey weiß, habe ich aus einer kleinen Serie namens Jersey Shore. Mam ist dem verfallen, der so viel Gel in den Haaren hat, dass er damit einen Pool füllen könnte.«
»Pauly D.« Ich nicke lächelnd.
Plötzlich wird mir heiß. Ich muss raus aus meiner Militärjacke, vielleicht sogar aus meinem Hoodie. Mich entzwiebeln. Meine Kleiderschichten abstreifen.
»Genau der.« Er schnippt mit den Fingern. »Obwohl ich mir sicher bin, dass du und deine Familie nicht wie seine orangen Freunde sind.«
Ich kaue an der Seite meines Daumennagels. »Eigentlich ist meine Mutter so ziemlich die Königin dieser Leute. Sie besteht zu fünfundzwanzig Prozent aus Selbstbräuner, zu fünfundzwanzig Prozent aus Haarspray und zu vierzig Prozent aus knappen Klamotten und Haarfarbe. Sie ist also sehr leicht entzündlich.«
»Was ist mit den anderen zehn Prozent?« Er gluckst und wirft mir einen Blick zu, den ich nicht deuten kann.
»Sie ist nicht besonders gut in Mathe«, sage ich trocken.
Malachy wirft den Kopf zurück und lacht so ausgelassen, dass ich spüre, wie es in meinem Magen vibriert. Bei uns zu Hause würde ein Junge wie er sein Aussehen irgendwie zu seinem Vorteil nutzen – er würde Schauspieler, Model oder Social-Media-Star werden oder irgendeinem anderen ausgedachten Job nachgehen. Meine Mutter bekäme einen Herzinfarkt, sähe sie Malachy jemals lachen. Er lacht mit seinem ganzen Gesicht, womit er es geradezu darauf anlegt, Falten zu bekommen. Jeder Zentimeter seiner Haut zieht sich zusammen.
»Ich bin Mal«, sagt er.
Da wir mitten im Gehen sind und er mir nicht die Hand schütteln kann, stößt er mit seiner Schulter gegen meine und zieht mir die Kapuze herunter, damit mehr von meinem Gesicht zu sehen ist.
»Was ist mit dir? Wirst du mit irgendwelchen irischen Klischees aufräumen?«, frage ich.
Mal biegt scharf an einer Straßenecke ab. Ich folge ihm.
»Ich fürchte nicht. Ich bin katholisch, ein Muttersöhnchen und ein meist funktionsfähiger Alkoholiker. Mein Großvater … eigentlich ist er gar nicht mein Großvater. Pater Doherty ist ein katholischer Priester, aber der Vater meiner Mam starb früh und Pater Doherty, sein Bruder, kümmerte sich um sie, als wäre sie sein eigenes Kind. Jedenfalls hat er mir beigebracht, wie man Eintopf kocht, was bis heute das einzige Essen ist, das ich zubereiten kann. Ich lebe auf einer Farm mit einer Unmenge an Schafen, die alle Arschlöcher sind. Ich mag Stout lieber als Lagerbier, die Missionarsstellung lieber als Doggy, glaube, dass George Best ein Gott war, und bin der Meinung, dass braune Soße alles außer Krebs heilen kann, einschließlich, aber nicht beschränkt auf Kater, ein schlecht zubereitetes Essen und möglicherweise Hepatitis C.«
»Wir sind … unglaublich klischeehafte Vertreter der Orte, aus denen wir kommen.« Ich drehe an meinem Nasenring. Das tue ich immer, wenn ich nervös bin. Gibt meinen Händen was zu tun.
»Klischees existieren, weil sie einen Funken Wahrheit enthalten.« Er hält an, dreht sich um und klopft auf das Dach eines alten Fords, der die Farbe ungepflegter Zähne hat. »Jetzt komm. Es gibt Orte zu besuchen, Dinge zu sehen, und ich fürchte, du musst das Fahren übernehmen.«
»Hm?«
»Hast du denn keine anständigen Liebesfilme gesehen, Prinzessin Aurora von New Jersey? Bei jeder der besten romantischen ersten Begegnungen der Filmgeschichte fährt die Frau den Mann irgendwohin. Harry und Sally, Du sollst mein Glücksstern sein, Thelma & Louise …«
»Bei Letzterem war es keine romantische erste Begegnung. Und Geena Davis ist kein Mann.« Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. Wie kann er es wagen, mich dazu zu bringen, aufzutauen, bevor ich bereit dafür bin?
»Haarspalterei.« Er wirft mir einen Schlüsselbund zu, den ich instinktiv auffange. »Eure Kutsche erwartet Euch, Fräulein Erbsenzählerin.«
Dieser Typ ist aalglatt, charmant. Die schlimmste Art von Herzensbrecher – nicht gnädig genug, einem zu zeigen, dass er ein Arschloch ist, indem er sich tatsächlich wie eines verhält. Ich wette, er hinterlässt überall, wo er hingeht, eine Reihe kaum noch schlagender, blutender, gebrochener Herzen – so wie Hänsel und Gretel Brotkrumen hinterlassen haben, um der Spur folgend den Weg nach Hause zu finden. Nur weiß ich, wohin dieser Weg führt: ins Verderben.
»Warte. Bevor wir irgendwo hingehen, muss ich dich noch etwas fragen.« Ich hebe eine Hand. Besser, wir klären jetzt gleich unsere Erwartungen.
»In Ordnung.« Er reißt die Beifahrertür auf und gleitet in den Wagen. Ich stehe noch immer auf dem Gehweg, als er die Tür schließt, das Fenster herunterkurbelt, seinen Arm auf den Rahmen stützt und seine Pilotensonnenbrille aufsetzt.
»Kommst du?«
»Willst du nicht fragen, was, bevor du mich reinlässt?« Ich runzle die Stirn.
Er schiebt seine Pilotenbrille hoch und schenkt mir ein Lächeln, dessen Strahlkraft das ganze Universum mit Strom versorgen könnte.
»Was soll das bringen? Ich gebe dir so oder so, was du willst. Sei es Geld, ein Kuss, ein Fick, eine Niere, eine Leber. Gott, ich hoffe, du bist nicht hinter meiner Leber her. Meine hat leider schon einiges mitgemacht. Komm jetzt, Aurora.«
»Rory.«
»Rory«, korrigiert er sich und fährt sich mit den geraden Zähnen über die Unterlippe. »Das passt viel besser. Du siehst überhaupt nicht wie eine Prinzessin aus.«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Ich weiß nicht, warum mich seine Aussage nervt. Er hat recht. Ich sehe nicht aus wie die Prinzessin, die meine Mutter in mir sehen wollte. Meine beste Freundin Summer sagt, ich sehe aus wie eine selbstmordgefährdete Elfe.
»Du siehst aus wie die schönere Stiefschwester in einem Disney-Film. Die Außenseiterin, die am Ende den Prinzen bekommt. Diejenige, die nicht mit dem Titel geboren wurde, sondern ihn sich verdient hat«, erklärt er.
Ich spüre, wie ich rot werde, weil das ziemlich ironisch ist in Anbetracht dessen, dass ich gerade erfahren habe, wirklich eine Halbschwester zu haben.