Unser 100. Abenteuer - Walther Kabel - E-Book

Unser 100. Abenteuer E-Book

Walther Kabel

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Beschreibung

Es war am 28. Juni 1922 nach jener Nacht, in der die Verbrecherin Jane Brack als Postbeamter verkleidet der polizeilichen Einkreisung entkam, in der wir ihren Vater, der jahrelang als harmlose Witwe uns gegenüber in der Mansarde des Hauses Blücherstraße 68 gewohnt hatte, der Polizei übergeben konnten. Antonie Lenk hatte er sich genannt. Anton Lenk hieß er in Wirklichkeit.

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Der Detektiv

Kriminalerzählungen

von

Walther Kabel.

Band 100

Unser 100. Abenteuer

© 2023 Librorium Editions

ISBN : 9782385741303

 

 

Inhalt

Unser 100. Abenteuer

Die Tochter des Ministers.

Wie Harst eingriff.

Das Aeffchen und der Papagei.

Jane Bracks Ansinnen.

Die Abrechnung.

Der Zettel mit den Zahlen.

Die zehn Zahlen.

Um den Anlay Pokal.

Das Rätsel der Zahlen.

Der Spielklub.

Wo das Kreuz stand...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Kapitel.

Die Tochter des Ministers.

Es war am 28. Juni 1922 nach jener Nacht, in der die Verbrecherin Jane Brack als Postbeamter verkleidet der polizeilichen Einkreisung entkam, in der wir ihren Vater, der jahrelang als harmlose Witwe uns gegenüber in der Mansarde des Hauses Blücherstraße 68 gewohnt hatte, der Polizei übergeben konnten. Antonie Lenk hatte er sich genannt. Anton Lenk hieß er in Wirklichkeit.

Noch mehr war ja in dieser Nacht geschehen. Für den von Jane Bracks Bande gefangen gehaltenen Deutschamerikaner Stuart Dramar hatte die Befreiungsstunde geschlagen. Und die drei Männer, die dem jungen Weibe blindlings ergeben gewesen, waren nun gleichfalls sorgsam behütete Gäste des Berliner Polizeipräsidiums.

Nach dieser Nacht hatten wir beide, Harald und ich, versäumten Schlaf am Tage nachgeholt und saßen gegen drei Uhr nachmittags nun bei einer Tasse Mokka in Haralds Arbeitszimmer.

Harst hatte sich soeben an seinen Schreibtisch gesetzt und machte einige Eintragungen in sein Tagebuch, sagte dann plötzlich:

»Weißt Du auch, mein Alter, daß unser nächstes Detektivabenteuer hier in meinem Buche unter Nummer hundert verzeichnet werden wird? Hoffentlich wird dieses Erlebnis der Jubiläumszahl Hundert entsprechend etwas Besonderes!«

Er lehnte sich im Schreibtischsessel zurück und führte die Zigarette zum Munde.

Ich sah von meinem Sessel aus sein scharfes Profil, freute mich wieder einmal über die kraftvolle und doch so durchgeistigte Schönheit dieses Männergesichts und…

Ja — und wunderte mich, daß Harald sich allmählich immer mehr vorbeugte und starr geradeaus auf das Fenster blickte.

Dann stand er auf, schlug den handgeknüpften Vorhang beiseite und sagte leise:

»Ein Gruß von Jane Brack, mein Alter, eingeritzt von außen in die rechte untere Scheibe…

Sie werden noch heute in meiner Gewalt sein.

Sie beide! — Jane. 28. 6. 1922.

Eingeritzt mit einem Diamanten — unauslöschbar! Man müßte denn gerade die Scheibe zertrümmern. Und das werden wir nicht tun. Wir werden nur sehr vorsichtig sein. Jane hat diesen Gruß fraglos in der verflossenen Nacht kurz nach ihrer Flucht hier in die Scheibe eingegraben. Sie wird wohl bereits einen bestimmten Plan ihrem erfinderischen Köpfchen ausgebrütet…«

Er schwieg. Draußen war ein Auto vor dem Harstschen Familienhause vorgefahren.

Harald trat schnell vom Fenster zurück.

»Du, ein Klient! Und — rate, wer es ist, der jetzt durch den Vorgarten auf die Haustür zueilt? Es ist der Minister Thomas Melmer, vor sechs Jahren noch Vorarbeiter in der Eisengießerei von Pinkes und Kompagnie, — ein Mann der neuen Zeit! — Da läutet es schon.«

Die Köchin Mathilde stampfte durch den Flur. Wir hörten ihr rauhes Fortissimo-Organ…

»Ne, Herr, das ist hier nicht erlaubt…!«

Dann schon ein kurzes hartes Pochen an die Tür.

Die Tür flog auf. Thomas Melmer trat ein — groß, hager, mit dem bekannten finsteren Gesicht…

Man behauptete von Melmer, daß ihm selbst das leiseste Lächeln unbekannt sei. Man erzählte sich mancherlei über diesen Mann, der vierzehn Stunden arbeitete und nur vier Stunden Schlaf brauchte.

»Entschuldigen Sie,« sagte er kalt. »Ich habe keine Zeit, Ihnen erst noch eine Karte durch Ihre Bedienung hereinzuschicken, Herr Harst.«

Dann warf er die Tür ins Schloß und machte uns eine knappe Verbeugung.

»Ich bin der Minister Melmer, Herr Harst. Haben Sie Zeit, mich anzuhören?!«

»Gewiß. Wollen Sie bitte Platz nehmen, Herr Minister. — Hier mein Freund Schraut,« stellte er mich vor.

Wir setzten uns gleichfalls.

Melmer saß kerzengerade im Sessel und stützte die Hände gegen die Tischkante. Es sah aus, als müßte er sich festhalten um nicht zu schwanken. Sein Gesicht war vor mühsam zurückgedrängter Erregung leichenfahl geworden.

»Meine Tochter, mein einziges Kind, ist entflohen und hat eine Mappe mit Papieren von höchster Wichtigkeit mitgenommen,« stieß er hervor.

»Politische Papiere?« fragte Harald sehr gedehnt.

»Ja…!«

»Dann muß ich leider davon Abstand nehmen, Ihnen zu helfen, Herr Minister. Ich mische mich grundsätzlich nicht in Politik ein.«

»Das weiß ich. Trotzdem werden Sie diesmal eine Ausnahme machen. Regierungsrat Queißner schickt mich zu Ihnen. Er als Leiter der Abteilung R der Kriminalpolizei sieht sich dieser Aufgabe nicht gewachsen. Es spielen da Begleitumstände mit hinein, die selbst ein so nüchterner Verstandesmensch wie Queißner als rätselhaft bezeichnet.«

Das helle Tageslicht ließ jede Linie dieses faltigen, bleichen Asketengesichts klar hervortreten. Die Stirn bedeckte sich mit immer dickeren Schweißperlen. Die Lippen zuckten, konnten die Worte kaum formen.

»Wenn Sie mit Politik nichts zu schaffen haben wollen, dann … dann suchen Sie eben lediglich meine Tochter, Herr Harst,« fügte er ebenso eisigen Tones hinzu.

»Das wäre etwas anderes,« meinte Harald.

Melmer erhob sich schnell.

»Begleiten, Sie mich. Jede Minute Zeitverlust ist hier vielleicht…«

Er taumelte plötzlich, sank in den Sessel zurück, raffte sich wieder auf.

»Der Diener Hallmark ist erschossen worden — anscheinend von Helene…« erklärte er rauh, als wollte er uns verständlich machen, daß er mit seiner Kraft am Rande sei.

»Wir begleiten Sie,« sagte Harald kurz.

Und drei Minuten später glitt das geschlossene Auto des Ministers mit uns davon.

»Ich will Ihnen nun sofort einen Ueberblick über die Geschichte geben,« begann Melmer mit sichtlicher Anstrengung. »Ich wollte mit Frau und Kind heute abend nach Hamburg reisen — auf Urlaub. Als ich um drei Uhr nach Hause kam, hörte ich im Salon einen Schuß fallen. Der Salon liegt der Flurtür gegenüber. Ich fand die Salontür verschlossen, warf mich dagegen, sprengte sie auf und stolperte über Hallmarks Leiche. Im Salon standen die beiden Koffer, die Helene mit auf die Reise nehmen wollte. Da ich hier niemand außer dem aus einer Stirnwunde blutenden Diener sah, eilte ich durch die übrigen Zimmer bis in die Küche, wo ich das Stubenmädchen und die Köchin, die den Schuß nicht vernommen hatten, antraf. Sie sagten nur, daß meine Frau vor einer halben Stunde ausgegangen sei und daß sich Helene in der Wohnung außer ihnen und Hallmark allein befände. Ich hatte meine Aktenmappe, die mir vor Schreck im Salon entfallen war, dort auf ein Tischchen gelegt. Als ich nun Helene suchte, war auch die Aktentasche verschwunden. Die beiden Mädchen behaupteten, meine Tochter sei noch vor wenigen Minuten im Hauskleid in der Küche gewesen. Und — nun war sie nicht mehr da. Das Haus konnte sie nicht verlassen haben. Der Pförtner stand ja vor der Tür. Er hat Helene nicht gesehen. Einen zweiten Ausgang hat das Haus nicht. — Ich telephonierte die Polizei, Abteilung R, an. In fünfzehn Minuten waren acht Beamte da, auch Queißner. Die Polizei konnte nur feststellen, daß Hallmark durch Nahschuß getötet und Aktentasche und meine Tochter sich nicht mehr im Hause befanden.«

»Und die Mordwaffe?« fragte Harald.

»Ist ebenfalls nicht entdeckt worden.«

»Haben Sie nur das eine Kind, Herr Minister?«

»Ja.«

»Haben Sie im Benehmen Ihrer Tochter in letzter Zeit Veränderungen bemerkt?«

»Nichts. — Helene ist eine sehr frostige Natur, stets sich gleichbleibend, sehr menschenscheu und verschlossen.«

»Wie alt?«

»Vierundzwanzig.«

»Was können Sie über Hallmark angeben, Herr Minister?«