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Auch Schriftsteller*innen diskutieren seit einiger Zeit verstärkt über den Umgang mit AfDMitgliedern und -Sympathisanten und anderen Rechtspopulisten in der Gesellschaft – und auch in ihren eigenen Reihen. Zum Beispiel in diesem Buch Rudolph Bauer, Zoë Beck, Carlos Collado Seidel, Lena Falkenhagen, Klaus Farin, Nina George, Werner Schlegel, Leonhard F. Seidl, Sophie Sumburane, Michael Wildenhain.
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Seitenzahl: 142
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Originalausgabe
© 2018 Hirnkost KG
Lahnstraße 25
12055 Berlin
www.jugendkulturen-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage Mai 2018
Vertrieb für den Buchhandel:
Runge Verlagsauslieferung: [email protected]
Privatkunden und Mailorder:shop.hirnkost.de
ISBN:
PRINT: 978-3-947380-13-8
PDF: 978-3-947380-14-5
EPUB: 978-3-947380-15-2
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Vorwort
Die Mitwirkenden
Wir sollten wesentlich tiefer graben
Einer von „uns“?
Politik in der ersten Person Einzahl oder: Ein Hoch auf die Meinungsfreiheit
Einige Anmerkungen zur bisherigen Debatte
Wir schaffen das!
Statt einer Erwiderung
Es geht um mehr als um die kulturelle Hegemonie
Die AfD und wir.
Wenn die Rechten den Diskurs bestimmen, haben wir ihn bereits verloren
Meinung & Freiheit
Am 8. März 2018 erregte der Dresdener Autor Uwe Tellkamp viel Aufsehen, als er im Vorfeld der Leipziger Buchmesse bei einer Talkshow u. a. äußerte:
„Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent.“
Eine Woche später, am 15. März 2018, taucht sein Name erneut auf – als Erstunterzeichner einer von Vera Lengsfeld initiierten „Gemeinsamen Erklärung 2018“, in der es heißt:
„Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“
Sowohl Tellkamps Statement als auch die „Erklärung 2018“ lösten ein unerwartet breites Echo aus. Kaum ein relevantes Feuilleton, das nicht darüber berichtete; sowohl einzelne Persönlichkeiten als auch ganze Verbände und andere Organisationen sahen sich genötigt, sich selbst zu positionieren; in den Sozialen Netzwerken brach sowieso ein Sturm der Entrüstung aus. Dabei ging es nicht immer um Fakten, oder eigentlich sogar eher weniger. Schon Uwe Tellkamps Statement zitierte lediglich die Schlagzeile einer Boulevardzeitung und war von keinerlei Sachkenntnis getrübt (wie spiegel.de in einer Gegenrecherche belegte: www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/uwe-tellkamp-im-faktencheck-wie-ein-schriftsteller-die-wirklichkeit-ausblendet-a-1198274.html). Deshalb dringen auch kritische Stimmen, die zum Beispiel darauf hinweisen, dass 1990 – 1993 schon einmal so viele Asylanträge in Deutschland gestellt wurden wie 2015/16, ohne dass das Land spürbaren Schaden davongetragen hat, dass nicht wenige Kommunen in Deutschland sogar darum werben, mehr Geflüchtete zugewiesen zu bekommen, weil sie diese dringend für ihren Arbeitsmarkt und zur Aufrechterhaltung wichtiger Infrastrukturen (z. B. Schulen) benötigen, bei den „besorgten Bürgern“ kaum durch. Es geht bei der Geflüchteten-Debatte im Kern nicht um Fakten, sondern um Emotionen: Xenophobie, Neid, Hass, Ängste, Empathie oder eben: fehlendes Empathievermögen.
Neu an der jüngsten Debatte ist allerdings, dass sie die Erkenntnis befördert, dass Rassismus und Rechtspopulismus nicht nur ein Problem marginalisierter Bevölkerungsschichten und ostdeutscher Regionen sind. Die Spuren der neoliberalen Entwertungslogik, nach der nur zählt, was sich rechnet, und alles andere „entsorgt“ werden muss, haben in allen Milieus der deutschen Gesellschaft fruchtbaren Boden gefunden. Nicht nur „die da unten“ sind anfällig für die rechtspopulistischen Vereinfacher, sondern gerade auch die Eliten und Privilegierten.
Zu diesen gehören zweifellos auch Schriftsteller*innen, auch wenn die meisten von ihnen – entgegen dem Mythos vom schriftstellerischen Bonvivant – für ihren Lebensunterhalt einen Zweitjob benötigen oder manche sogar in der reichen Bundesrepublik Deutschland in Armut leben.
So gab es auch schon ab Februar 2018 im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) bei ver.di Diskussionen darüber, wie man mit der AfD und vor allem mit deren Mitgliedern umgehen solle, die gleichzeitig Mitglied bei ver.di sind. Bereits im Herbst 2017 hatte sich unter #verlagegegenrechts eine Initiative aus Indie-Verlagen gegründet, die versuchte, im Rahmen der Buchmessen von Frankfurt und Leipzig nicht nur die dortige Präsenz neorechter Verlage kritisch aufzugreifen, sondern vor allem auch die von den Rechtspopulisten und Neuen Rechten aufgegriffenen Themen differenziert zu diskutieren und in den Fokus des Publikums zu rücken. Im Januar 2018 formulierten der Berliner Schriftsteller Michael Wildenhain und einige Kolleg*innen schließlich einen Unvereinbarkeitsantrag für den Berliner VS-Landesverband, nach dem die Mitgliedschaft in „AfD und ähnlichen“ Gruppen mit der im VS bzw. ver.di nicht kompatibel sei. Daraufhin startete in einer kleineren Gruppe von Autor*innen eine Diskussion über Unvereinbarkeiten, aber auch den generellen Umgang von Schriftsteller*innen mit Rechtspopulismus und Rassismus. Die Beiträge dieser Diskussion dokumentiert dieses Buch.
Am 29. März 2018 ging schließlich eine Antwort zur rechtspopulistischen „Erklärung 2018“ online:
„Die Menschenrechte enden an keiner Grenze dieser Welt. Wir solidarisieren uns mit allen Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Armut in unserem Land Zuflucht suchen, und wenden uns gegen jede Ausgrenzung.“
Innerhalb von wenigen Tagen unterzeichneten mehrere hundert Schriftsteller*innen, Literaturübersetzer*innen, Buchhandlungen und Verlage diesen Aufruf – bis zum Redaktionsschluss dieses Buches waren es bereits weit über fünftausend. Auch dieser Gegen-Aufruf argumentiert nicht, stellt keine Ursachen dar und politischen Zusammenhänge her, will gar nicht Fakes durch Fakten widerlegen, sondern „nur“ positionieren, illustrieren, dass die immer aggressiver präsentierten rechtspopulistischen Behauptungen, „wir sind das Volk“ und „wir sprechen nur aus, was alle denken, aber sich nicht zu sagen trauen“ (weil in Deutschland angeblich alles ‚Nonkonforme‘ zensiert wird), Mythen und Selbstinszenierungen von Menschen sind, die sich offenbar überwiegend in Gleichgesinnten-Kreisen und -Netzwerken bewegen. Die Realität sieht anders aus: Noch nie gab es so viele Menschen in Deutschland, die sich mit und für Geflüchtete(n) engagiert hätten, noch nie gab es auch in der Gesamtbevölkerung so hohe Zustimmungsraten zu den Statements, „Deutschland ist ein Einwanderungsland“ und Geflüchteten in Not müsse geholfen werden. Die Liste der Unterzeichner*innen – siehe http://antwort2018.hirnkost.de/ – dokumentiert beispielhaft und in ihrer Vielfalt eindrucksvoll dieses ‚andere‘ Deutschland, das sich von den Neid- und Hasstiraden der radikalisierten „Wutbürger“ nicht hat infizieren lassen. Wann immer Rechtspopulist*innen öffentlichkeitswirksam von ihrem monokulturellen Paradies schwadronieren und dabei den Eindruck erwecken wollen, dass ihre kruden Ängste und Träume „das Volk“ repräsentieren, genügt ein Blick in dieses Zeitdokument aus dem Frühjahr 2018, um die Absurdität ihrer Behauptung zu begreifen.
Dass der (ver)öffentlich(t)e Eindruck oft ein anderer ist, mag auch daran liegen, dass die Mehrheit zumeist eine schweigende ist und auch in der Medienlandschaft sehr präsente Menschen – wie Wissenschaftler*innen und Künstler*innen – sich in den letzten Jahren zu wenig offensiv zu Wort meldeten. Schon länger wird auch darüber unter Schriftsteller*innen diskutiert: Ist die Zeit, in der Wortmeldungen von Autoren wie Heinrich Böll oder Günter Grass noch in den Feuilletons und sogar in der Politik breit diskutiert wurden, endgültig vorbei? Oder müssen Autor*innen (und andere Künstler*innen) vielleicht nur wieder selbstbewusst in die Offensive gehen, sich einmischen, um gehört zu werden? Müssen wir in Zeiten immer kürzerer Themenkonjunkturen und schnelllebigerer und oberflächlicherer Mediendebatten unsere Empörung über Missstände, aber auch unsere Visionen einer besseren – gerechteren, toleranteren, friedlicheren, demokratischeren – Gesellschaft nur lauter platzieren? Dieses Buch ist auch – darin sind sich alle Beteiligten bei ansonsten sehr kontroversen Meinungen zum Thema einig – ein Schritt in diese Richtung. Wir Autor*innen werden uns auch zukünftig – wieder – stärker einmischen!
Rudolph Bauer, Jahrgang 1939; 1972 bis 2002 Prof. für Wohlfahrtspolitik und Soziale Dienstleistungen an der Universität Bremen. Bildender Künstler, Autor; Mitglied im Landesvorstand des VS Niedersachsen-Bremen. www.rudolph-bauer.de
Zoë Beck, Jahrgang 1975, Schriftstellerin, literarische Übersetzerin, Verlegerin (Culturbooks). Sie ist Mitinitiatorin von #verlagegegenrechts und dem feministischen Zusammenschluss Herland, Mitglied des PEN und der Litprom. www.zoebeck.net, www.culturbooks.de.
Carlos Collado Seidel, geb. 1966, außerplanmäßiger Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Marburg; seit 2017 Generalsekretär des PEN-Zentrums Deutschland.
Lena Falkenhagen, 1973 geboren, studierte Germanistik und Anglistik an der Universität Hannover und arbeitet seitdem als freischaffende Autorin, Lektorin, Übersetzerin und Computerspiele-Autorin. Sie ist Mitgründerin und 2. Vorstandsvorsitzende des Phantastik-Autoren-Netzwerks (PAN) e.V. und stellvertretende Vorsitzende des VS Berlin. Für PAN zeichnet sie auch verantwortlich für die politische Ausrichtung und gründete u.a. mit Nina George und Eva Leipprand 2016 das Netzwerk Autorenrechte, in dem sich mittlerweile elf Autorenvereinigungen zur politischen Arbeit zusammengeschlossen haben.
Klaus Farin, geboren 1958, Begründer des Archiv der Jugendkulturen, Vorsitzender der Stiftung Respekt!, Vortragsreisender, Autor und Lektor in Berlin; seit 1981 Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller und Schriftstellerinnen (VS); letzte Veröffentlichung: Über die Jugend und andere Krankheiten, Hirnkost 2018. http://klausfarin.de/
Nina George, internationale Bestsellerautorin, Journalistin und Wortaktivistin (*1973). George schreibt seit 1992 Romane, Thriller, Sachbücher, Kolumnen, Portraits, Reports und Essays. Ihr bisher größter Erfolg war der Roman „Das Lavendelzimmer“ / The Little Paris Bookshop (70 Wochen Spiegel-Bestsellerliste Top-Ten, New York Times Bestseller, Indie-Book-Bestseller No. 1), der in 36 Sprachen erschien. Am 2. Mai 2018 erschien ihr neuer Roman „Die Schönheit der Nacht“. George gründete 2011 die Initiative „JA zum Urheberrecht“, 2014 die Initiative Fairer Buchmarkt, 2016 das Netzwerk Autorenrechte mit inzwischen elf angeschlossenen Schriftstellerverbänden. George wirkt u. a. im Präsidium des PEN Deutschland, des Bundesvorstand im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) als Beirätin für Urheberrecht, digitales Leben und Diversität im Literaturbetrieb, und ist Mitglied im Verwaltungsrat der VG Wort. Sie war Initiatorin des AutorInnenprotests gegen Amazon 2014.
Werner Schlegel, geboren 1951. Autor, Journalist und Ex-Kabarettist. Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (als Bezirkssprecher Mitglied im erweiterten Landesvorstand NRW) seit 1981. Bis 2011 fast zehn Jahre Mitglied im ver.di-Bezirksvorstand Emscher-Lippe Süd. Neueste Publikation: Denken um zu leben (mit M. Rullmann), Marix 2018.
Leonhard F. Seidl, geb. 1976, Dozent für Kreatives Schreiben, Sozialarbeiter und Schriftsteller. Zahlreiche Preise und Stipendien, u. a. für seine Arbeit „Beschriebene Blätter – kreatives Schreiben mit straffälligen Jugendlichen“. Seidl schreibt Romane, für Zeitungen und Zeitschriften. Mitglied im Verband der Schriftstellerinnen und Schriftsteller in ver.di und des PEN-Zentrums Deutschland. Sein vielbeachteter vierter Roman Fronten erschien 2017 in der Edition Nautilus. www.textartelier.de.
Sophie Sumburane, geboren 1987 in Potsdam, lebt und arbeitet auch heute wieder dort – als freie Kulturjournalistin und Autorin – und promoviert an der Universität Klagenfurt zur forensischen Linguistik. Bekannt wurde sie vor allem durch ihren Artikel „Die Sächsische Schweiz und die AfD“, in dem sie über ihre Erfahrungen mit dem alltäglichen Rassismus schreibt.
Michael Wildenhain, geb. 1958, lebt in Berlin. Er hat diverse Theaterstücke und vor allem eine Reihe von Romanen veröffentlicht, u. a. zum beispiel k. (Rotbuch 1983), Die kalte Haut der Stadt (Rotbuch 1991), Russisch Brot (Klett-Cotta 2005), Träumer des Absoluten (Klett-Cotta 2008).
Neben anderen Auszeichnungen (z. B. das Villa-Massimo-Stipendium in Rom) erhielt er 1988 den Ernst-Willner-Preis (in Klagenfurt) und 1997 den Alfred-Döblin-Preis (für Erste Liebe Deutscher Herbst, S. Fischer). Sein Roman Das Lächeln der Alligatoren (Klett-Cotta) war im Frühjahr 2015 für den Leipziger Buchpreis nominiert. Sein jüngster Roman Das Singen der Sirenen (Klett-Cotta 2017) stand auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Seit 2004/05 war Michael Wildenhain mehrfach Gastprofessor am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig sowie Leiter verschiedener Romanwerkstätten, insbesondere im Literaturforum im Brecht-Haus.
Klaus Farin: Du forderst einen Unvereinbarkeitsbeschluss für den VS bzw. ver.di mit der AfD. Warum? Welche Wirkung versprichst Du Dir davon?
Michael Wildenhain: Zunächst und vor allem: Ein Unvereinbarkeitsbeschluss einer großen Gewerkschaft wie der ver.di mit nationalistischen und rechtsradikalen Parteien wäre ein ungeheures Signal für die Gesellschaft insgesamt. Ein mächtiger Akteur mit Millionen Mitgliedern hätte sich nicht nur theoretisch positioniert, sondern praktisch zum Ausdruck gebracht, dass eine Mitgliedschaft in einer Partei wie der AfD unverträglich und daher unvereinbar mit einer Mitgliedschaft in einer Organisation seinmuss, die aus der internationalen Arbeiterbewegung hervorgegangen ist, sich auf deren Grundüberzeugungen beruft und dafür eintritt: Freiheit, Toleranz und Solidarität in sozialen Belangen.
Der Berliner VS, als winzige Gruppierung innerhalb der ver.di, könnte mit einem derartigen Beschluss den notwendigen Anstoß geben, um einen entsprechenden Prozess innerhalb des Bundes-VS – und so der ver.di – auf den Weg zu bringen.
Bei einem solchen Beschluss handelt es sich weder um eine Zensurmaßnahme noch um ein Verbot, es handelt sich um einen klaren Trennungsstrich gegenüber den Nationalisten.
Für den Umgang mit dem Problem, das die AfD und ähnliche Gruppierungen darstellen und das sich so schnell nicht erübrigen wird, gibt es nur zwei denkbare Möglichkeiten: Entweder man räumt diesen Gruppen und damit auch der AfD einen Platz innerhalb des DGB ein – und insofern auch innerhalb der ver.di und des VS – oder man erklärt die eine Mitgliedschaft mit der anderen für eben unvereinbar. Egal, wie sehr man sich gedanklich windet: Eine dritte Position gibt es nicht.
Die AfD als bei weitem stärkste explizit nationalistische Gruppierung wird alles daran setzen, Einfluss in sämtlichen Sektionen der ver.di zu gewinnen.
Wenn es der Partei nicht versagt ist, wird sie ihre Positionen innerhalb der Gewerkschaften ausbauen. Argumente, Gesprächsangebote, Veranstaltungen, was an Aktivitäten auch immer denkbar ist – all das wird nichts daran ändern, solange der parlamentarische Einfluss der AfD weiter wächst und die DGB-Gewerkschaften den Einfluss mehr oder weniger widerspiegeln.
Die Einheitsgewerkschaft als Versicherung gegen nationalistische und neonazistische Kräfte, wie mit der Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg beabsichtigt, könnte sich im schlechtesten Fall ins genaue Gegenteil verkehren. Der DGB würde dann zum Transmissionsriemen einer gesellschaftlichen Wende nach rechts. Ein Unvereinbarkeitsbeschluss könnte eine solche Entwicklung wirkungsvoll verhindern. Die Gewerkschaften hätten gezeigt, dass sie in der Lage sind, aus der Geschichte zu lernen. Statt ein zweites Mal kläglich vor ihr zu versagen. Ein entsprechender Beschluss wäre nicht zwangsläufig eine Suspendierung des Gedankens der Einheitsgewerkschaft und sollte keinesfalls so verstanden werden.
Ob es zu Gründungsversuchen nationalistischer Gewerkschaften käme, bliebe abzuwarten. Dass notwendig minoritäre Versuche der Art Erfolg haben und Wirkung zeigen könnten, darf als unwahrscheinlich gelten. Immerhin hätten sie den Vorteil, dass der politische Gegner so kenntlich wäre und auch die Betriebe explizit wüssten, mit wem sie es zu tun haben und sich darauf einstellen könnten.
Rechte Betriebsräte bzw. Betriebsratskandidaten gibt es längst (vgl. z.B. Süddeutsche Zeitung vom 12. Februar 2018, Stefan Mayr/Antonie Rietzschel: „Rechtsextreme Betriebsräte beunruhigen Daimler“; www.sueddeutsche.de/wirtschaft/daimler-betriebsrat-rechtsextreme-1.3862923). Daran wird ein solcher Beschluss zunächst nichts ändern. Aber die fraglichen Leute könnten nicht mehr unter dem Deckmantel der Mitgliedschaft in einer DGB-Gewerkschaft aktiv werden. Das wäre ein enormer Vorteil.
Ungeschickt, wie sie oft genug agiert, hat es die deutsche Sozialdemokratie nach der Wahl im vergangenen September geschafft, die für sie schlechteste aller denkbaren Möglichkeiten herbeizuführen. Die eh haltlosen Hoffnungen auf eine vielleicht halbwegs linke Mehrheit sind damit obsolet; die verzweifelte Anrufung eines „neuen New Deal“ an irgendeinem politischen Horizont hat sich als endgültig obskur erwiesen. Und die seit jeher vor allem staatstreue SPD ist dort, wo sie aktuell hingehört: am Boden.
In einer solchen Situation braucht es nicht nur ein Bollwerk gegen nationalistische und extrem rechte Bestrebungen; es braucht einen Raum, in dem die Diskussion für einen notwendigen Neuanfang linker Politik bzw. des korrespondierenden Gesellschaftsbildes organisiert werden kann (vgl. auch: Matthias Greffrath, Le monde diplomatique/Deutsche Ausgabe, Januar 2018: „Mit uns wird’s nur langsam schlimmer“; www.taz.de/!5476419/).
Die Gewerkschaften wären ein dafür prädestinierter Ort.
In einer von der AfD durchsetzten Gewerkschaft wäre eine solche Diskussion von vornherein lächerlich.
Zur Begründung: Es gibt eine Menge an Gründen, die im Hinblick auf einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der AfD angeführt werden können. Die zentralen Punkte sind: die Programmatik der Partei und ihre Stärke.
Das Programm der AfD geht aus von einem zugrunde gelegten und stringent ausformulierten Konstrukt, das sich in zwei Begriffen fassen lässt: Nation und Volk. Prägnanter: Deutschland und Deutsche zuerst. Diese politische Axiomatik kann man teilen oder nicht; argumentativ widerlegen lässt sie sich kaum. Einem Nationalisten bezeichnen die beiden Begriffe keine geschichtlich gewordenen Phänomene, die überholt sein können und vergänglich sind, sondern unhintergehbare geistige Entitäten einer unmittelbaren Evidenz. Argumente sind gegen derartige Grundannahmen ohne Wirkung.
Im Falle eines umfassenderen Erfolgs der AfD würde die Politik der Partei zwingend zu einer Erosion Europas führen, die nicht bloße Begleiterscheinung anderer politischer Maßnahmen wäre, sondern nationalistisch intendiert ist. Daraus ergäben sich zwangsläufig neue nationale Konkurrenzen – bis hin zu kriegsähnlichen oder kriegerischen Auseinandersetzungen, wie sie an den Rändern des Kontinents (Ukraine) nach wie vor zu finden sind.
Der Axiomatik inhärent ist zudem eine Interpretation bzw. Überformung sozialer Konflikte durch ethnische und kulturalistische Kategorien. Nicht nur weist ein solches Begreifen sozialer Kämpfe eine erhebliche Nähe zu rassistischen Mustern auf. Es zementiert auch die Spaltung der Gesellschaft, indem es eine Zugehörigkeit zum – deutschen – „Volk im eigentlichen Sinne“ zu etablieren versucht, sowie, dem folgend, eine (vermeintliche) Nichtzugehörigkeit.
Für die Gewerkschaften kann das nur heißen: sich erneut der eigenen Wurzeln zu erinnern und international – und das heißt zunächst: in europäischem Maßstab – wirkmächtig zu werden. Nicht aber: sich den Nationalisten, schon gar nicht ihrer stärksten Fraktion, feige anzudienen. Wichtig wäre es im Gegenteil, wieder der eigenen Kraft zu vertrauen.
Wenn schon in Fußballvereinen wie dem Hamburger SV oder Eintracht Frankfurt ernsthaft darüber diskutiert wird, AfD-Mitgliedern gerade keinen Raum zu gewähren, sollte das für eine Gewerkschaft keine utopische Forderung sein, sondern selbstverständlich. Der Berliner VS könnte dafür einen ersten Anstoß geben.
Klaus Farin: Wie soll das praktisch funktionieren? Müssen Autor*innen, die dem VS beitreten wollen, ihre eventuelle Parteimitgliedschaft offenlegen? Werden Mitglieder ausgeschlossen, wenn bekannt wird, dass sie Mitglied der AfD geworden sind?
Michael Wildenhain: Relevant ist an dem geforderten Unvereinbarkeitsbeschluss das unmissverständliche Zeichen in die Gesellschaft hinein, die Praxis eines harten Trennungsstrichs. Weniger relevant ist der Ausschluss einzelner Mitglieder.
Ein entsprechender Beschluss, z. B. in Form einer Selbstverpflichtung, wäre Neumitgliedern vorzulegen, die zu versichern hätten, weder der AfD noch extrem rechten Parteien anzugehören noch vorzuhaben, Vereinigungen der Art beizutreten.
Sollte sich bei Funktionären herausstellen, dass sie sich der AfD oder einer ähnlichen Gruppe zuordnen, können sie zum Rücktritt veranlasst werden. Oder vor die Wahl gestellt werden: Austritt aus der AfD – oder Austritt aus der Gewerkschaft.