Unverhofftes Glück - Isabella Lovegood - E-Book + Hörbuch
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Unverhofftes Glück E-Book und Hörbuch

Isabella Lovegood

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Beschreibung

Für Max Flink bedeutet der Advent vor allem eines: viel Arbeit. Als Gemeindebediensteter von Funkelstein, einem kleinen (fiktiven) Ort im österreichischen Salzkammergut, kämpft er mit Lichterketten, Marktständen und überraschenden Schneemengen. Überall, wo Not am Mann ist, wird er zu Hilfe gerufen. Umso mehr genießt er es, wenigstens in der Freizeit Ruhe zu haben. Weil er aber seiner Tochter Kitty, die in der Landeshauptstadt Graz studiert, keinen Wunsch abschlagen kann, nimmt er ihr zuliebe deren Freundin als Hausgast auf. Sandra Glück ist nicht nur attraktiver, als es für seinen Seelenfrieden gut ist. Mit ihrer herzlichen Art und ihrer Hilfsbereitschaft macht sie sich schnell in Funkelstein beliebt. Auch Max bleibt davon nicht unberührt, aber sich mit der besten Freundin seiner Tochter einzulassen, ist für ihn ein No-Go, auch wenn nur acht Jahre Altersunterschied zwischen ihnen liegen. Als auch noch überraschend seine Exfrau in Funkelstein auftaucht, ist es mit der Ruhe endgültig vorbei. Ein weihnachtlicher Wohlfühlroman mit viel Liebe, Romantik und einer Prise Humor. Das Taschenbuch umfasst 359 Seiten.

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Seitenzahl: 382

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Zeit:10 Std. 15 min

Sprecher:Natalie Lantos
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1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
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15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
Sandras Vanillekipferl-Rezept
Danksagung

Unverhofftes Glück

Liebesroman

von

Ingrid Fuchs

(Isabella Lovegood)

Band 2 der Reihe »Sweet Christmas«

ACHTUNG!

Der Roman wurde ursprünglich unter dem Titel GLÜCKLICHE HERZEN veröffentlicht!

Leider wurde er von Amazon beanstandet und musste geändert werden.

Copyright © 2021 Ingrid Fuchs

Alle Rechte vorbehalten. Jede Weitergabe, Kopie oder sonstige Vervielfältigung verletzt das Urheberrecht und fügt der Autorin finanziellen Schaden zu.

[email protected]

Covergestaltung: Michael Troy MT-Design Bildnachweis: © Natti85, © Kristsina Yakubovich, © Rustic, © Nikolai Kazakov,© Canadastock, alle www.shutterstock.com © dominikhladik www.123rf.com

Lektorat und Korrektorat: Elisabeth Lackner, Reingard Wöss Sandra Pulletz, Danielle A. Patricks

Schauplätze, Personen und Handlungen in diesem Roman sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten sind rein zufällig und ungewollt.

♥♥♥

Die fünf Autorinnen der Reihe »Sweet Christmas« wünschen eine wundervolle Adventszeit, bezaubernde Lesestunden und ein herzerwärmendes Weihnachtfest!

♥♥♥

1. Kapitel

Vogelgezwitscher bahnte sich hartnäckig einen Weg in seinen Traum, wo es allerdings überhaupt nicht hineinpasste. Mit langsam anschwellender Lautstärke holte es Max unbarmherzig aus dem Schlaf. Seufzend wandte er sich zum Nachttisch und tippte auf das Display seines Smartphones, um die Snooze-Funktion zu aktivieren. Noch fünf Minuten – oder höchstens zehn – dann musste er seine Morgenroutine beginnen, um rechtzeitig zum Dienst zu erscheinen.

Noch während er sich ausgiebig streckte und genüsslich gähnte, fing sein Gehirn an, sich mit den anstehenden Aufgaben zu beschäftigen. Der Funkelsteiner Advent startete an diesem Wochenende.

Seit fünfundzwanzig Jahren war Max Flink in Funkelstein als Gemeindebediensteter beschäftigt. Obwohl er gelernter Elektriker war, hatte er sich nach und nach zum Allrounder entwickelt. Er liebte Herausforderungen und hatte sich im Laufe der Jahre zahlreiche Kompetenzen erarbeitet. Nicht alles erledigte er selbst, behielt aber immer den Überblick. Das wusste der Bürgermeister als sein direkter Vorgesetzter zu schätzen. Deshalb lag es auch in seiner Verantwortung, dass am nächsten Tag alles für den Funkelsteiner Advent bereit war.

Wie jedes Jahr waren daher die letzten beiden Novemberwochen besonders anstrengend gewesen. Noch einmal dehnte Max seine müden Glieder und stöhnte leise. ›Mir scheint, ich werde langsam alt‹, dachte er und verzog spöttisch den Mund, ›gerade mal dreiundvierzig und schon eingerostet.‹ Er schaltete die Nachttischlampe ein, schlug energisch die Bettdecke zur Seite und schwang die Beine aus dem Bett, als wollte er sich selbst vom Gegenteil überzeugen. Schwungvoll öffnete er die Tür zum Flur und fiel beinahe über Lucky, die kleine weiß-braune Mischlingshündin, die ihn schwanzwedelnd erwartete.

»Hey, du Frühaufsteherin!« Er beugte sich hinunter und streichelte sie liebevoll.

Im Bad strich er sich prüfend über das Kinn und beschloss, dass die nächste Rasur noch mindestens einen oder zwei Tage Zeit hatte. Mit allen zehn Fingern fuhr er sich durch die Haare. Das reichte ihm an Styling für einen langen, arbeitsreichen Tag.

Argwöhnisch betrachtete er seine Schläfen. Waren tatsächlich schon wieder graue Haare dazugekommen? Seit er den Vierziger überschritten hatte, tauchten immer mehr davon auf, doch eigentlich war ihm das ohnehin egal. Mit einem Achselzucken verließ er das Badezimmer.

Während die Kaffeemaschine sein Lebenselixier in eine Tasse tröpfeln ließ, schlurfte er noch in Schlafanzug und Bademantel zur Haustür. Lucky tänzelte um seine Füße und sobald die Tür einen Spaltbreit offen stand, sauste sie hinaus in den noch im Dunkeln liegenden Garten.

Eiskalte Luft schlug ihm entgegen und ein paar einzelne Schneeflocken wirbelten im Schein der Außenbeleuchtung, die sich automatisch einschaltete.

Den Plattenweg zum Gartentor, wo die Zeitungsrolle befestigt war, hatte er gründlich mit Kies bestreut, der nun unter seinen Sohlen knirschte. Bei den tiefen Temperaturen, die schon seit Tagen herrschten, rechnete er jederzeit mit Eisglätte.

Max griff über das Türchen und zog die Tasche von ihrem Haken. Wie jeden Morgen hatte der Bäcker sie auf seiner Lieferrunde mit frischem Gebäck befüllt. Mit der anderen Hand angelte er nach der Zeitung. Sie steckte nicht tief genug in der Röhre, deshalb war sie zur Hälfte mit einer hauchdünnen Schneeschicht bedeckt. Max schüttelte sie ab, dabei rieselten die feinen Flocken auf seine nackten Knöchel und in die Hausschuhe. Ihn fröstelte. Der Winter war definitiv nicht seine Jahreszeit und dummerweise lebte er auch noch in einem Gebiet, in dem er fast ausnahmslos lang und streng ausfiel.

Trotzdem wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, von Funkelstein wegzuziehen. Seine Familie lebte seit Generationen hier und wenn es nach ihm ging, würden das auch die Folgenden tun.

Bevor er sich an den Tisch setzte, um zu frühstücken, befüllte er Luckys Napf. Sie würde von selbst durch ihre Klappe zur Hintertür hereinschlüpfen, wenn sie genug im Garten herumgelaufen war.

Als Erstes fischte er eine Scheibe Wurst aus der Verpackung, rollte sie zusammen und schob sie sich in den Mund. Erst danach strich er Butter auf eine Hälfte des knusprigen Roggenweckerls, legte einige Scheiben Wurst und Käse darauf und klappte es zu. Genussvoll biss er hinein. Dann faltete er die Zeitung auseinander und vertiefte sich in die aktuellen Lokalnachrichten.

Auf Seite zwei fand er einen Bericht darüber, worauf man sich in diesem Jahr beim traditionellen Funkelsteiner Advent freuen durfte. Weil er damit bestens vertraut war, überflog Max die einzelnen Punkte des Programms nur oberflächlich, bevor er weiterblätterte.

Er war eben dabei, sein zweites Weckerl zu belegen, als sein Handy klingelte. Irritiert las er den Namen auf dem Display. Da er zu allen möglichen technischen Notfällen gerufen wurde, hatte er die Telefonnummern von halb Funkelstein im Speicher. Dass er zu so früher Stunde angerufen wurde, deutete darauf hin, dass es sich tatsächlich um etwas Dringendes handeln musste.

»Guten Morgen, Christl, was gibt’s?«

Einen Moment war es still, dann hörte er das Geräusch von schwerem Atem und sein Herz fing an, schneller zu klopfen. Eine männliche Stimme sprach undeutlich und er verstand nur »... Christl ruft ... Kellertür zu.«

Das genügte, ihn von seinem Sessel aufspringen zu lassen. »Ist gut, Franz, beruhige dich! Ich bin gleich bei euch.«

Max steckte sein Frühstück in einen Frischhaltebeutel, leerte die Kaffeetasse auf einen Zug und beeilte sich, in seine Arbeitskleidung zu schlüpfen, die aus Jeans, einem warmen Hemd und einem Sweater bestand. Dazu noch Daunenjacke, Haube, Schal und Stiefel, dann war er abfahrbereit.

Fünf Minuten später hielt er vor dem Haus des Anrufers und hier wartete bereits das erste Problem: Das Gartentor ließ sich öffnen, aber die Haustür war verschlossen. Er klopfte, doch nichts rührte sich.

Gedämpfte Rufe einer Frau durchbrachen die morgendliche Stille. Das musste Christl sein. Er umrundete das Gebäude und entdeckte, dass ein Kellerfenster halb offen stand. Nach den Rauchspuren rund um die Öffnung zu schließen, musste das der Heizungskeller sein. Er hockte sich davor, konnte jedoch nichts erkennen. Drinnen war es noch dunkler als im Freien.

»Christl?«, rief er hinein. »Ich bin’s. Max Flink.«

»Max? Di schickt da Himmel! I kriag die Tür net auf und hab ka Licht.« Er musste sich konzentrieren, um sie zu verstehen.

»Ganz ruhig, wir kriegen das hin. Ich versuche, durch das Kellerfenster einzusteigen.«

Max lief zurück zu seinem Wagen und schnappte sich die starke Stabtaschenlampe, die er immer dabei hatte. Eilig durchsuchte er seinen Werkzeugkasten nach etwas, mit dem er eine blockierte Tür öffnen konnte. Er steckte einiges in eine Umhängetasche. Bedauernd zog er die dicke Jacke aus und ließ sie im Auto. Damit würde er garantiert nicht durch die enge Öffnung passen. Sofort kroch ihm die Kälte bis unter die Haut.

Max leuchtete den Kellerraum aus. Zum Glück lag nichts unter dem Fenster, an dem er sich hätte verletzen können. Er legte die Tasche auf dem Plattenweg ab, dann ließ er sich vorsichtig mit den Füßen zuerst hineingleiten. Er war zwar schlank, aber mit beinahe einem Meter neunzig Körpergröße und breiten Schultern war doch einiges Geschick vonnöten, sich durch die kleine Öffnung zu schlängeln.

Erleichtert spürte er den Betonboden unter seinen Sohlen und holte die Werkzeugtasche und die Taschenlampe herein. Er drückte den Lichtschalter, doch nichts geschah. Nun machte er sich auf die Suche nach der Hausherrin.

»Christl? Ich bin jetzt im Heizungskeller.«

»Wunderbar! Den Gang entlang und die zweite Tür, gleich gegenüber der Treppe.«

Im Schein der Taschenlampe war es leicht, die besagte Tür zu finden. Er drückte die Klinke nieder, doch sie bot keinen Widerstand. Offenbar war im Inneren des Drückers eine Feder gebrochen.

»Max? Von mir aus kannst die Tür eintreten, i will nur da raus!« In der Stimme schwang Verzweiflung mit und die alte Dame tat ihm von Herzen leid.

»Geh auf die andere Seite des Raums. Ich versuche, jetzt reinzukommen«, warnte er sie vor, nachdem er einen Plan gefasst hatte. Glücklicherweise handelte es sich nicht um eine massive Brandschutztür aus Metall, sondern um eine simple Innentür aus Holz.

Max setzte bereits an, Schwung zu holen, um sich dagegen zu werfen, als ihm eine andere Idee kam. Die Tür war zwar alt, trotzdem wollte er versuchen, sie zu öffnen, ohne sie komplett kaputtzumachen.

Er zog die Brieftasche aus der Gesäßtasche seiner Jeans und holte die Kundenkarte des Supermarkts heraus. Vorsichtig schob er sie zwischen Türblatt und Stock und führte sie mit Gefühl nach unten. Er stieß auf Widerstand, doch mit einem leisen Klacken glitt der Riegel zurück und gab das Schloss frei. Das Scharnier knarzte, als er die Tür öffnete, und Max stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.

Im Schein der Taschenlampe tappte Christl Binder auf den Flur. Sie war in einen geblümten Morgenmantel gehüllt. Die grauen Haare standen ihr ungekämmt in allen Richtungen ab und auf ihrem Gesicht zeigten sich die Spuren des ausgestandenen Schreckens. Mit beiden Händen umklammerte sie ein Glas mit dunkelroter Marmelade.

»Du bist mei Schutzengel, Max!« Sie strahlte ihn an. »Vielen Dank! Koa Ahnung, wie i da des vergelten soll!«

»Ich helf dir doch gern, Christl. Was ist mit dem Strom?«, lenkte er ab.

»I woaß es net. Schau ma?« Sie ging voraus zur Treppe, die nach oben führte.

Max leuchtete an ihr vorbei die Stufen an und stieg hinter ihr ins Erdgeschoss hoch.

»Hat di der Franz ang’rufen?«, fiel ihr plötzlich ein.

»Ja. Gut, dass er an dein Handy herankam.«

»Jo, hätt i ihm gar net zuagetraut. Er liegt no im Bett.«

Von früheren Einsätzen wusste Max, wo sich der Sicherungskasten befand, und schnell war der Schutzschalter gefunden, der ausgelöst und damit den Stromkreis im Keller unterbrochen hatte.

»Habt ihr das öfter, dass unten der Strom ausfällt?«

»Ja, hin und wieder. Aber das mit der Tür is a neue Flausen von dem alten Haus.« Christl konnte schon wieder lachen.

»Da muss man kontrollieren, ob mit den Leitungen und Geräten alles in Ordnung ist. Wenns dir recht ist, mach ich das die Tage mal. Und die Tür schau ich mir auch an. Da brauchst du sicher einen neuen Drücker.«

»Was a immer! I sag’s ja, du bist a Engel. Schad nur, dass i das deiner Oma nimmer erzählen kann! Sie war so stolz auf di!«

Gleichermaßen erfreut wie verlegen winkte Max ab. »Schon gut, Christl. Soll ich dir noch helfen, den Franz in den Rollstuhl zu setzen, wenn ich schon mal da bin?«

»Danke, is net notwendig. Unsere Hilfe kommt dann eh glei für die Morgentoilette. Hast no Zeit für an Kaffee und a Marmeladesemmel?« Sie deutete auf das Glas, das sie aus dem Keller mit nach oben genommen hatte.

»Nein, leider. Ich muss jetzt zur Arbeit. Das nächste Mal komm ich zur Tür herein und dann trink ich gerne einen Kaffee mit euch.« Er zwinkerte der alten Dame amüsiert zu, was ihr ein kleines Lachen entlockte.

Normalerweise frühstückte Max gerne gemütlich. Deshalb traf er trotz des unplanmäßigen Einsatzes noch beinahe pünktlich auf dem Funkelsteiner Hauptplatz ein. Im fahlen Morgenlicht erwarteten ihn bereits einige dick vermummte Gestalten.

»N’Morgen«, grüßte er halblaut. »Hallo, Wickie!« Sein bester Freund und Kollege Ludwig verabscheute seinen Vornamen, deshalb war es ihm nur recht, dass er bei vielen den Spitznamen aus Kindertagen behalten hatte.

Ihr jüngster Kollege bog soeben um eine Ecke auf den Platz. Er erkannte Thomas an der orangeroten Sicherheitsweste mit den reflektierenden Streifen, die sie alle bei der Arbeit trugen, und seiner Haltung, die verriet, dass er, während er ging, wie üblich auf sein Smartphone starrte. Max wunderte sich immer wieder, wie er es schaffte, fast nie irgendwo gegenzulaufen. Max’ Cousin Siegmar kam als Letzter an und damit waren sie vollzählig.

»Guten Morgen allerseits«, grüßte er nun noch einmal laut und verschaffte sich dadurch die Aufmerksamkeit der Wartenden. »Dann geh’n mas an! Selbe Einteilung wie gestern!«

Die Stände für den Christkindlmarkt waren bereits zur Hälfte aufgestellt, heute ging es in den Endspurt: Gemeindearbeiter und freiwillige Helfer bauten den Rest der Buden auf. Danach würden Max und seine beiden Kollegen die elektrische Verkabelung vornehmen und alles noch einmal überprüfen, damit der feierlichen Eröffnung am Freitag nichts mehr im Wege stand.

Die hübschen Häuschen mit Giebeldach, offener Front und Verkaufstresen bestanden aus Holzelementen, deren geniales Steck- und Schraubsystem ein rasches Auf- und Abbauen ermöglichte.

Max, Wickie und Siegmar, der als Bautischler die Buden entworfen und angefertigt hatte, arbeiteten jeweils mit zwei Helfern. Sie waren bereits gut aufeinander eingespielt und so waren die restlichen Stände bis zum späten Vormittag aufgestellt.

»Wie sieht’s aus, setzen wir uns ins Café Fröhlich, um uns aufzuwärmen, bevor wir uns um die Feinarbeiten kümmern?«, fragte Max in die Runde.

»Warum ausgerechnet zu Rosi und nicht zum Kirchenwirt? Weil du süchtig nach der Funkelsteiner Torte bist?«, fragte Thomas frech und alle lachten. Max stimmte gutmütig mit ein. Leugnen wäre ohnehin zwecklos gewesen, denn seine Begeisterung für Rosis Spezialität war allgemein bekannt.

»Das auch, aber zum Kirchenwirt gehen wir doch zum Mittagessen, oder? Bis dahin brauche ich unbedingt noch einen Energieschub.« Dass er nicht mehr dazu gekommen war, sein zweites Frühstücksweckerl zu essen, rächte sich nun mit einem heftig knurrenden Magen. Das lag noch immer in seinem Auto. Und wenn er hungrig war, verflüchtigte sich seine sonst so gute Laune ziemlich schnell. Eine Schwäche, der er einfach nicht Herr wurde und die er zu seinem eigenen Leidwesen an seine Tochter vererbt hatte.

Wickie wechselte einen bedeutsamen Blick mit Thomas, dann nickte er zustimmend. »Also, auf zu Rosi.«

Einige der Helfer schlossen sich ihnen an, andere kehrten nach Hause zurück, um verspätet mit ihrem üblichen Tagewerk anzufangen.

Heimelige Wärme und der Duft nach Kaffee empfingen sie, als sie das gemütliche Café betraten. Rosi lächelte ihnen erfreut entgegen.

»Grüß euch, was darf ich euch bringen?«, erkundigte sie sich, kaum dass ihre Gäste die warme Kleidung abgestreift und sich auf den Stühlen niedergelassen hatten.

»Für mich einen Verlängerten und ein Stück von deiner herrlichen Torte.« Max lächelte sie erwartungsvoll an und Rosi machte sich eine Notiz auf ihrem Block.

»Was hast du denn heute für Kuchen?«, fragte Ludwig.

»Schokoladeschnitten mit Kirschen, Marmorgugelhupf und einen Apfelkuchen kann ich euch anbieten.« Sie wies vage zur Vitrine hin, in der die süßen Verführungen lauerten, die Rosi mit viel Liebe selbst backte.

»Apfelkuchen, bitte.«

»Gern. Und für euch?« Freundlich wandte sich die etwas mollige Frau an die anderen Männer, bis alle ihre Bestellungen aufgegeben hatten. Max war nur zu bewusst, dass er es hauptsächlich seinen Genen verdankte, dass er nicht selbst etliche überflüssige Kilos mit sich herumschleppte, die von seiner Leidenschaft für flaumige Kuchen und cremige Torten herrührten.

»Hoffentlich hält das Wetter.« Ludwig warf einen besorgten Blick aus dem Fenster hinauf in den wolkenverhangenen Himmel. »Schnee können wir heute keinen gebrauchen.«

»Laut Vorhersage stehen die Chancen gut, dass es trocken bleibt«, gab Max zurück. »Mit den Stromanschlüssen der Buden sind wir noch einige Stunden beschäftigt. Die neue Weihnachtsbeleuchtung macht sich gut, was meint ihr?«

»Nachdem Funkelstein so berühmt ist für seine Action im Advent, müssen wir den Leuten ja auch was bieten«, stellte Thomas trocken fest, dann gab sein Handy ein Signal von sich und fesselte seine Aufmerksamkeit erneut.

»Die energiesparende LED-Technik wird sich bestimmt positiv auf den Verbrauch auswirken«, stellte Max fest. »Es war ohnehin längst fällig, dass wir auch die letzten Elemente umrüsten.«

»Die Sterne und die zarten Lichternetze in den Blumentrögen sehen wunderschön aus«, lobte Rosi, die sich mit einem vollen Tablett näherte.

»Und darunter sind die Blumenzwiebeln der Frühlingsblüher hoffentlich sogar vor den Zigarettenkippen geschützt.« In diesem Bereich hatte Wickie als gelernter Gärtner das Sagen.

»Alle sind begeistert.« Rosi stellte die Tassen und Teller vor ihre Gäste, während sie weiterredete. »Der ganze Hauptplatz ist eine wahre Pracht. Ob wir wohl heuer wieder so viel Zulauf haben werden?«

Einer der Männer nickte. »Ganz sicher. Wir haben in unserer Frühstückspension jetzt schon mehr Buchungen als im vorigen Jahr. Und der alten Scheiderbauer in der Pension Seeblick geht es ebenso, hat sie meiner Frau erzählt.«

»Gut für die Kasse, aber ob sie das noch schafft?«, gab Max zu bedenken. »Sie redet schon seit Jahren davon aufzuhören. Ist doch ein Jammer, dass sie niemanden findet, der den Betrieb übernehmen will. So ein gemütliches Haus voller Geschichten.«

»Es wird sich schon alles fügen, so oder so«, brummte der alte Luis und schlürfte lautstark von seinem Kaffee.

Max zog irritiert eine Augenbraue hoch und fing Wickies amüsierten Blick auf, der genau wusste, wie sehr ihn solche Geräusche nervten. Als ob er ihn ablenken wollte, richtete sein Freund nun das Wort an ihn.

»Wie geht’s denn Kitty?«

»Gut, so viel ich weiß. Da fällt mir ein, dass sie noch nicht Bescheid gegeben hat, wann sie kommt.« Er runzelte nachdenklich die Stirn. Seit seine Tochter in Graz studierte, sahen sie sich für seinen Geschmack viel zu selten. Es war ihm schwergefallen, sie gehen zu lassen, aber natürlich hätte er niemals versucht, ihr den Traum vom Studium auszureden. Seine Katharina war immer eine gute, zielstrebige Schülerin gewesen und auch jetzt konnte er sich darauf verlassen, dass sie fleißig lernte und keinen Unfug machte. Vor Kurzem hatte sie ihren zwanzigsten Geburtstag gefeiert. Trotzdem beruhigte es ihn, dass sie mit zwei weiteren jungen Frauen in einer Wohngemeinschaft lebte, die nach ihrer Beschreibung ebenfalls vernünftig und bodenständig waren.

»Ich würde sagen, der Wetterbericht hat versagt. So eine Scheiße!« Die derbe Ansage von Thomas riss ihn aus seinen Gedanken. Alle Köpfe ruckten Richtung Fenster. Dicke Flocken tänzelten durch die Luft und binnen weniger Minuten war der Asphalt von einer hauchdünnen Schneeschicht bedeckt.

Doch sie hatten Glück: So plötzlich, wie der Schauer gekommen war, hörte er auch wieder auf.

2. Kapitel

Sandra schloss mit Nachdruck ihre Wohnungstür und lehnte sich für einen Moment von innen dagegen. Sie atmete tief durch, dann stieß sie sich vom Türblatt ab und zog die Handschuhe aus. Sie breitete sie auf der Kommode aus, wo bereits zwei Paare lagen. Danach schlüpfte sie aus ihrem grünen Mantel und hängte ihn ordentlich auf einen Kleiderbügel.

Kitty tauchte im Türrahmen ihres Zimmers auf. »Hallo Sandra, wie war es heute?«

»Gott, bin ich froh, dass das mein letzter Tag war.«

Mit drei schnellen Schritten war ihre junge Mitbewohnerin bei ihr und legte ihr mitfühlend den Arm um die Taille, um sie ins Wohnzimmer zu führen. »So schlimm?«

Sandra nickte und spürte, wie die Tränen, die sie die ganze Zeit zurückgehalten hatte, machtvoll nach außen drängten. Sie ließ sich auf das weiche Sofa sinken, setzte ihre Brille ab und legte die Hände vor die Augen. Eine Mischung aus Trauer, Wut, Enttäuschung und Ärger über sich selbst kochte in ihr hoch.

»Es ist so verdammt unfair.« Nur mit Mühe quetschte sie die Worte hervor, weil sich ihre Kehle unangenehm eng anfühlte. »Sie ist schon wieder schwanger!«

»Nein, wirklich? Wie alt sind die anderen Kids jetzt?«

»Oliver ist etwas über drei, Simon ist zwei und der Kleine noch nicht mal ein Jahr. Heute hat sie meiner Chefin freudestrahlend verkündet, dass sie einen weiteren Platz im Kindergarten reservieren wollen. Es ist natürlich Blödsinn, aber für mich fühlt es sich an, als würde sie das machen, um mich zu ärgern.«

Manja, ihre zweite Mitbewohnerin, trat soeben ein und klinkte sich in die Unterhaltung. »Das Kinderkriegen wohl nicht, aber dass sie es dir extra unter die Nase reibt, traue ich dem Miststück zu. Meine Schwester kennt Ramona aus der Schulzeit. Sie hat schon immer gern auf scheinbar Schwächeren herumgehackt.« Sie ließ sich an Sandras anderer Seite nieder und streichelte ihr tröstend über den Rücken. »Sieh es positiv: Du hast am letzten Tag noch mal die Bestätigung bekommen, dass es richtig war zu kündigen.«

Sandra nickte und wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen. »Du hast ja recht, trotzdem tut es mir leid. Ich hatte mich dort so wohl gefühlt, bevor das mit Michael den Bach runterging.«

»Trauerst du dem Idioten noch immer nach?«, fragte Manja entrüstet.

Die roten Locken wogten um ihre Schultern, als Sandra den Kopf schüttelte. »Nein, nicht ihm als Person. Dass er mich monatelang mit meiner Freundin und Kollegin betrogen hat, hätte ich ihm nicht leicht vergeben können. Es ist wohl eher meine Vision, der ich nachtrauere. Der Familie, die er nun mit Ramona hat. So ein verdammter Mist!« Erneut musste sie gegen Tränen ankämpfen. »Als ob ich nicht weiß Gott genug geheult hätte in den letzten Jahren. Dass sie jetzt mit meinem Mann zusammen ist, hätte ich ja noch irgendwie verdaut, aber ein Kind nach dem anderen ...«

»Ich habe den großen Crash ja nicht miterlebt, doch wie du das ausgehalten hast, mit der Frau zusammenzuarbeiten, die dir den Mann ausgespannt hat ... Ehrlich, ich hätte das nicht gekonnt.« Katharina war erst seit knapp eineinhalb Jahren Mitglied ihrer Wohngemeinschaft.

»Ich hätte ihr wahrscheinlich irgendwas in den Kaffee getan«, stellte Manja in unheilvollem Ton fest. »Vielleicht hätte ich sie nicht gleich vergiftet, aber ein paar Stunden auf dem Klo hätte ich ihr schon vergönnt.«

Sandra musste lachen. »Ihr habt recht, ich bin ein gutmütiges Schaf, aber so bin ich nun mal.«

»Und deshalb lieben wir dich!« Manja drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Was haltet ihr von einem Mädelsabend mit Prosecco, Pizza und einem kitschigen Film?«

»Klingt gut, mir ist ohnehin nach Chillen. Wenn ich jetzt noch in meine Unterlagen schaue, bringe ich nur alles durcheinander. Aber mit dem Prosecco halte ich mich zurück. Für die Prüfung morgen muss ich frisch und fit sein«, verkündete Kitty.

»Ja stimmt, aber du schaffst das.« Sandra drückte ihr bestätigend den Arm.

Während sie auf den Lieferservice ihrer Lieblingspizzeria warteten, meinte Manja zu Sandra: »Dass du mit Kitty in ihr Adventsdorf fährst, wird dir guttun. Du brauchst dringend einen Tapetenwechsel. Am liebsten würde ich auch mitkommen. Ihr wisst ja, ich liebe Weihnachtskitsch!«

»Dann tu es doch! Eine schläft bei mir und die andere im Gästezimmer.« Kitty war sofort Feuer und Flamme, aber Manja schüttelte bedauernd den Kopf.

»Nicht dieses Wochenende, keine Chance! Meine Mama hat Geburtstag und das bedeutet große Familienfeier. Da muss ich dabei sein, sonst gibt es Stunk.«

»Vielleicht das Nächste? Da ist Krampus und viele Männer des Orts verkleiden sich mit geschnitzten Holzmasken und Kostümen aus Zottelfell. Es ist richtig gruselig, auch die Geräusche, die sie mit Schellen und Ketten machen, wenn sie den Hauptplatz umrunden. Sie heißen ›die Passen‹ und sind eine ganz alte Tradition bei uns.«

»Klingt spannend, obwohl ich eher an Männern ohne Pelz interessiert bin.« Manja grinste anzüglich.

»Und du bist sicher, dass dein Vater nichts dagegen hat, wenn ich einfach so bei ihm hereinschneie?« Sandra machte sich darüber Sorgen, schließlich kannte sie ihn überhaupt nicht.

Kitty rollte gespielt genervt mit den Augen. »Ganz sicher. Das haben wir doch schon mehrfach durchgekaut. Warum solltest du für ein Hotelzimmer bezahlen, wenn wir Platz genug haben? Noch dazu, wo du dein Geld ohnehin zusammenhalten musst.«

»Du hast ja recht, aber ich will ihm nicht zur Last fallen. Morgen Früh muss ich mich gleich beim Arbeitsmarktservice als Jobsuchende melden. Zu kündigen, ohne eine neue Stelle zu haben, war schon gewagt, aber ich hätte es nicht länger ausgehalten.«

»Mach dir keine Sorgen, du findest bestimmt bald wieder etwas!«

Auch wenn sich Manja sehr zuversichtlich gab, war Sandra selbst nicht so sicher. Sie suchte schon seit einigen Wochen, aber es hatte sich noch kein passender Job gefunden. Die Erleichterung, die sich langsam in ihrem Inneren ausbreitete, zeigte ihr jedoch einmal mehr, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Der Pizzabote klingelte und als sie es sich mit ihren Freundinnen vor dem Fernseher gemütlich machte, gelang es ihr tatsächlich, ihren Ex mitsamt seiner ständig wachsenden Familie zu verdrängen.

Erst als sie allein im Dunkeln in ihrem Bett lag, stiegen die Gedanken wieder in ihr hoch. Nicht einmal der Prosecco, den sie getrunken hatte, ließ sie zur Ruhe kommen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie keine klare Vision, wie es weitergehen sollte. Trotzdem war die Erleichterung, die sie verspürte, die Bestätigung, dass es höchste Zeit für eine Veränderung gewesen war, und es richtig war, den ersten, entscheidenden Schritt gemacht zu haben. Sie fühlte sich seltsam zuversichtlich und gelassen, auch wenn noch kein neuer Job in Sicht war.

Als Michael sie verlassen hatte und ihr die Wohnung überließ, weil er ohnehin bei Ramona einzog, musste sie sich gleichzeitig auch zur Rückzahlung des Kredits verpflichten, mit dem sie die Eigentumswohnung gekauft hatten. Um das zu schaffen, suchte sie nach zwei Mitbewohnerinnen. Was aus der finanziellen Notwendigkeit entstanden war, entpuppte sich bald als sehr glückliche Fügung.

Mit Manja hatte sie sich auf Anhieb super verstanden, die andere zog nach zwei Jahren aus und machte dadurch Platz für Kitty. Trotz eines Altersunterschiedes von fünfzehn Jahren war sie zu ihrer besten Freundin geworden.

Sandra lächelte in die Dunkelheit, als sie an das bevorstehende Wochenende dachte. Katharina hatte ihr das vorweihnachtliche Treiben in dem kleinen Ort im steirischen Salzkammergut so anschaulich geschildert, dass sie richtig gespannt darauf war, es tatsächlich zu erleben. Kittys Vater war allerdings ein Punkt, der sie verunsicherte. Auch wenn ihre Freundin ihn heiß liebte, hieß das noch lange nicht, dass er über einen ungeladenen Gast erfreut sein würde.

Schon sehr früh hatte sie gelernt, dass man schlecht gelaunten Männern besser aus dem Weg ging, und war froh, dass sie im Kindergarten meistens mit den Müttern zu tun hatte. Doch nun hatte sie zugesagt und Kitty wäre enttäuscht, wenn sie einen Rückzieher machen würde.

Sie beschloss, sollte Herr Flink tatsächlich ungehalten reagieren, würde sie sich trotz ihrer unsicheren finanziellen Situation einfach ein Zimmer nehmen. Schließlich konnte das in einem kleinen Ort wie Funkelstein kein Vermögen kosten, nicht einmal in der Vorweihnachtszeit. Dieser Vorsatz beruhigte sie so sehr, dass sie endlich einschlafen konnte.

Sie träumte, dass sie mit Kitty unterwegs nach Funkelstein war, doch dann kamen sie an einem Lebkuchenhaus inmitten eines Winterwunderlandes an. Der Vater ihrer Freundin erschien als Weihnachtsmann mit dickem Bauch und langem, weißem Bart auf der Türschwelle, aber er war nicht so freundlich wie die legendäre Gestalt. Während des Traums verwandelte er sich und zeigte plötzlich die Gesichtszüge ihres eigenen Vaters. Eilig trat Sandra den Rückzug an, stolperte und fiel in den Schnee, der über ihr zusammenschlug und sich mit ihr in Bewegung setzte wie eine Lawine, obwohl das Gelände eben war. Sie konnte sich nicht daraus befreien, fand keinen Halt, rang nach Luft, während die wohlbekannte, wütende Stimme sie verfolgte.

Schweißgebadet wachte Sandra auf und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Erleichterung durchflutete sie, als sie feststellte, dass sie sich geborgen im sicheren Bett und in ihrer eigenen Wohnung befand.

Sollte das ein Hinweis sein, besser daheimzubleiben? Eine Warnung? Sie lauschte in sich hinein, doch nur das heftige Klopfen ihres Herzens antwortete ihr. Sie rief sich ihren Vorsatz in Erinnerung, sich notfalls ein Zimmer zu nehmen, um einer möglichen Aggression auszuweichen. So liebevoll wie Kitty von ihrem Vater sprach, konnte sie sich allerdings beim besten Willen nicht vorstellen, dass Herr Flink ein unangenehmer Mensch sein könnte.

Langsam beruhigte sich ihr Puls und sie atmete bewusst ruhig und tief. Sie hatte immer lebhafte Träume und wünschte sich vor dem Einschlafen, diesmal von Engeln, Sternen oder ähnlich angenehmen Bildern durch den Schlaf geleitet zu werden.

3. Kapitel

Am Freitagvormittag half Max dabei, den Ständen des Christkindlmarktes den allerletzten Schliff zu verleihen. Die Betreiber hatten ohnehin alle Hände voll damit zu tun, darin ihre vielfältigen Waren ansprechend zu präsentieren. Er achtete darauf, Lichterketten und Dekomaterial gründlich zu befestigen, damit ihnen auch ein Sturm nichts anhaben konnte. Gewissenhaft zu arbeiten, entsprach seinem Naturell. Deshalb checkte er die Steuerung ein weiteres Mal durch, die die Weihnachtsbeleuchtung im Ortskern und auf dem Seerundweg regelte. Sie sollte sich erst in der Dämmerung einschalten, damit sie richtig zur Geltung kam.

Kurz vor vierzehn Uhr verließ Max den Kirchenwirt, wo er mittaggegessen hatte. Oft kochte er selbst, aber als Kitty ihm Bescheid gegeben hatte, dass sie erst am nächsten Tag kommen würde, war ihm die Lust schlagartig vergangen, sich an den Herd zu stellen.

Nun wurde es Zeit, sich auf dem Hauptplatz einzufinden. Der leichte Wind, der vom See her wehte, bewegte die Zweige der mehrere Meter hohen Tanne und mit ihnen die Sterne, die daran befestigt waren. Er ging an dem Christbaum vorbei und ließ den Blick über den Platz schweifen. Zufrieden stellte er fest, dass sich die Arbeit der letzten Tage und Wochen gelohnt hatte. Alles funkelte, was sogar bei Tageslicht festlich wirkte, doch besonders am Abend würde es seinen Zauber entfalten, daran bestand kein Zweifel.

Er schlenderte an einigen Ständen vorbei, bis er zwischen zweien hindurchging, um den Kiosk seines Vaters zu erreichen, der sich ungefähr in der Mitte des Hauptplatzes befand. Am Vorabend, nach Dienstschluss, hatte Max ihm geholfen, ihn zu schmücken. Der Lichtervorhang, den er dafür besorgt hatte, war nun am Dach befestigt und hing fast einen halben Meter von der Traufe herab. Max musste sich bücken, aber sein Vater konnte darunter stehen, ohne die zarten LED-Lämpchen zu berühren. Eigentlich hätte er längst in Pension sein können, doch er liebte es, mitten im Zentrum der Aktivitäten zu sein, und der hölzerne, halbrunde Kiosk war sein ganzer Stolz.

»Na, alles bereit?«

Alfred Flink beantwortete die Frage seines Sohnes, indem er den Deckel eines der vier riesigen Edelstahltöpfe hob, die von Gaskochern warmgehalten wurden. Sofort trug der hochsteigende Dampf das herrliche Aroma des Glühweins an seine Nase, was Max umgehend das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.

»Glühwein, rot und weiß, Orangenpunsch und alkoholfreier Beerenpunsch«, antwortete sein Vater nun und schnalzte genüsslich mit der Zunge.

Normalerweise stand Fredl, wie er von den Ortsbewohnern meist genannt wurde, im Inneren des Holzbaues. Nun hatte er davor Stellung bezogen und auf dem Tresen warteten Stapel von Tassen darauf, mit einem Heißgetränk nach Wahl befüllt zu werden. Außerdem hatte Max einige Stehtische aufgestellt, damit sich Besucher für einen gemütlichen Tratsch zusammenfinden konnten.

»Brauchst du Hilfe?«, erkundigte er sich besorgt, doch sein Vater winkte ab.

»Deine Mama und Claudia kommen gleich. Hoffe ich zumindest.« Er reckte den Hals, um nach ihnen Ausschau zu halten. Auf dem Hauptplatz tummelten sich mittlerweile sowohl Einheimische als auch erste Gäste aus den umliegenden Gemeinden. Eine kleine Gestalt trotzte dem Gedränge und bahnte sich resolut ihren Weg, gefolgt von einer zweiten, bis sie vor ihnen standen.

»Hey, Claudia, hallo Mama.« Max beugte sich hinunter, um seine Cousine und seine Mutter auf die Wangen zu küssen.

»Grüß dich, mein Großer!« Seine Mutter lachte liebevoll zu ihm auf und ihm kam einmal mehr zu Bewusstsein, wie sehr er das fröhliche Funkeln in ihren Augen liebte. Seine Mutter war ein Mensch, dem nichts so leicht die gute Laune verderben konnte. Die Aussicht auf einen langen Nachmittag in der Kälte, zusammen mit ihrem Mann und einigen hundert Leuten, schien etwas zu sein, auf das sie sich regelrecht freute. »Der Platz sieht einfach bezaubernd aus, anders kann ich es nicht sagen.«

»Stimmt, ihr habt euch in diesem Jahr selbst übertroffen«, bestätigte Claudia. Das Lob schloss alle Beteiligten mit ein und Max nahm sich vor, es bei Gelegenheit an seine Mitarbeiter weiterzugeben.

»Freut mich, dass es euch gefällt. War auch eine Menge Arbeit«, antwortete er. »Ich habe ja für den ganzen Kram nicht so viel übrig, aber sogar ich muss zugeben, die Beleuchtung entlang des Sees ist wirklich schön.« Er zwinkerte ihnen zu. »Genau das Richtige für einen romantischen Abendspaziergang.«

Seine Mutter stupste ihren Mann mit dem Ellenbogen in die Seite. »Hast du gehört?«

»Aber sicher, Conny, ich bin ja nicht taub. Noch nicht.« Fredl grinste sie an. »Dann werden wir uns irgendwann mal auf den Weg machen und um den See marschieren.«

Max ertappte sich dabei, dass er seine Eltern ein wenig um ihr Eheglück beneidete, obwohl er wusste, dass es ihnen auch nicht in den Schoss gefallen war, sondern Einsatz und besten Willen von beiden Seiten erforderte.

Trotz der guten Vorbilder war das bisher weder ihm noch seinem Bruder Patrick gelungen. Er unterdrückte ein Seufzen und nahm freudig eine Kostprobe des Glühweins entgegen, die ihm seine Mutter reichte. »Hmm, herrlich.«

Vor dem Christbaum hatte sich ein dichter Halbkreis aus Schaulustigen gebildet. Ohne sie erkennen zu können, wusste Max, dass sich dort nun Bürgermeister Hans Hochruck, seine Frau Anita, die das Weihnachtskomitee leitete, und einige andere versammelt hatten, die für den Funkelsteiner Advent verantwortlich waren.

Max sah keine Notwendigkeit, näher zu treten. Er und seine Kollegen waren zwar zu einem maßgeblichen Teil am Gelingen des Vorhabens beteiligt, aber auf eine öffentliche Nennung konnte er gut verzichten. Die Reden schallten außerdem dank der Lautsprecher, die er installiert hatte, gut verständlich über den ganzen Platz.

Wie gewohnt fasste sich der Bürgermeister kurz und herzlich, danach übergab er das Mikrofon seiner Frau Anita. Max und sein Vater zwinkerten sich zu. So bodenständig Hans Hochruck war, so abgehoben gab sich seine werte Gattin. Nachdem sie die wichtige Rolle des Weihnachtskomitees hervorgehoben hatte, dessen Vorsitzende sie war, würdigte sie mit einigen wenigen Worten auch diejenigen, die tatkräftig und zum großen Teil ehrenamtlich die eigentliche Arbeit erledigt hatten. Als der Schlussapplaus verebbte, verteilte sich die Menschenmenge rasch wieder über den Platz.

Nachdem sich Max davon überzeugt hatte, dass seine Eltern den Andrang mit Claudias Hilfe gut bewältigten, schlenderte er durch die Reihen, um sich in Ruhe umzusehen. An einem Stand kaufte er ein Säckchen mit gemischten Keksen, deren Erlös für einen guten Zweck gespendet wurde. Gleichzeitig war es auch ein Wettbewerb und jeder Käufer konnte für seine Lieblingssorte abstimmen. Er ging weiter und fing sofort an, sie zu verspeisen. Sie erinnerten ihn an die vielen Jahre, in denen er mit seiner Tochter Kekse gebacken hatte. Anfangs hatte er sich dazu gezwungen, weil sie es sich gewünscht hatte, doch irgendwann war es für sie beide zum festen Bestandteil der Vorweihnachtszeit geworden. Sogar im vergangenen Jahr, als sie bereits in Graz studierte und nur an den Wochenenden heimgekommen war, hatten sie diese lieb gewonnene Tradition fortgeführt. Wie würde es heuer sein? War die Tatsache, dass sie zum ersten Mal die Eröffnung versäumte, der nächste Schritt von ihm weg in ein eigenes Leben? Auch wenn er wusste, dass sie für ihr Fernbleiben einen wichtigen Grund hatte, wurde ihm die Brust eng bei diesem Gedanken. Bevor er jedoch in Schwermut versinken konnte, legte jemand den Arm um seine Schultern und griff gleichzeitig in seine Keks-Packung.

»Hey, kauf dir selber welche«, protestierte Max und versuchte vergeblich, den Angriff abzuwehren. Sein Bruder Patrick war nicht nur fünf Jahre jünger, sondern auch ein Stück kleiner, aber dafür wendiger.

»Hmm, lecker«, stellte der fest und kaute genüsslich. »Woher hast du die?«

»Na, rate mal!«

Sie drehten sich gemeinsam um und blickten an den Buden entlang. »Vom Sweet-Christmas-Stand?«

»Genau. Heute ist Veronika dort eingeteilt und sie freut sich bestimmt, dich zu sehen.« Max grinste seinen Bruder vielsagend an, doch der zuckte mit keiner Wimper. Stattdessen hob er bereits die Hand, um sich einen weiteren Keks zu stibitzen. Diesmal war Max schneller und zog sie aus seiner Reichweite.

»Geizhals«, murrte Patrick.

Max ging darauf nicht ein, sondern wechselte das Thema. »Wie sieht es mit dem See aus? Ist das Eis bald dick genug?«

»Langsam wird es. Wenn es weiter so kalt bleibt, ist es in ein paar Tagen befahrbar.« Patrick war seit einigen Jahren der Eismeister des örtlichen Eislaufvereins und dafür zuständig, die Eisdicke zu messen und den See zum Eislaufen zu präparieren, sobald das Eis trug. »Falls es dann schneit, geht der Stress richtig los.«

»Ach komm, du stehst doch drauf, mit dem Quad über den See zu düsen und den Schnee wegzuschieben.« Max grinste breit. »Aber wenn es dir zu viel wird, helfe ich dir gerne!« Es war ein Heidenspaß und so richtig was für große Jungs.

»Ich komme darauf zurück«, versprach Patrick lachend. »Wo ist denn Kitty? Die Eröffnung hat sie sich bisher noch nie entgehen lassen.«

»Sie hat leider gerade heute eine Prüfung und kommt deshalb erst morgen.«

»Schade, aber ein Tag früher oder später ist ja im Prinzip egal. Du kannst stolz auf deine Tochter sein. Und auf dich. Hast du prima hingekriegt.« Patrick legte ihm die Hand locker auf die Schulter und klopfte sie aufmunternd.

»Sie bringt eine Freundin mit.« Max versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr es ihm missfiel, Kitty nicht nur mit den Leuten hier, sondern auch noch mit einer weiteren Person teilen zu müssen.

»Könnte es sein, dass du klammerst?«

Den prüfenden Blick, den ihm Patrick zuwarf, quittierte er mit einem Schulterzucken. »Wir sind nun mal ein Team.«

»Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber sie ist mit ihren zwanzig Jahren eben erwachsen. Auch wenn du ihr wichtig bist, spielst du nicht mehr die erste Geige in ihrem Leben. Das ist der Lauf der Dinge.«

»Meinst du, das weiß ich nicht selbst?« Frustriert rieb sich Max mit dem Handrücken über die Stirn und verschob dabei die dunkelblaue Strickmütze, die er immer trug. »Lassen wir das Thema, okay?«

Er stoppte bei einem Stand, an dem verschiedene Strickwaren und bunte Kleinigkeiten aus Wolle auf dem Tresen ausgebreitet lagen. »Ja Lukas, was machst du denn hier?« Der Sohn des Bürgermeisters war einige Jahre in Amerika gewesen. Er wusste bereits von seiner Heimkehr, aber dass er ihn ausgerechnet im Verkaufsstand von ›Hannas Wollstadl‹ traf, überraschte ihn.

»Ich helfe aus, damit Hanna in ihrem geheizten Laden bleiben kann. Schaut euch ruhig um, bei den vielen tollen Sachen findet ihr bestimmt etwas, das euch gefällt.«

Max schmunzelte über seinen Eifer. Lukas Hochruck und Hanna Hammerl? Nun, warum nicht?

Interessiert wandte er sich den Strickwaren zu. Dicke Wollsocken mit bunten Ringeln fielen ihm sofort ins Auge. Er sah sein Mädel vor sich, wie sie die Beine auf das Sofa legte und lustig mit den Zehen wackelte. »Die nehm ich«, sagte er zu Lukas.

»Gerne.«

Während er darauf wartete, dass er die Socken in eine der Papiertragetaschen steckte, die mit dem Logo ›Funkelsteiner Advent‹ bedruckt war, bemerkte er, wie sein Bruder prüfend über einen flauschig aussehenden blaugrünen Schal strich und ihn dann ergriff.

»Ich will den hier.«

»Feinste Alpakawolle. Die kratzt garantiert nicht«, erteilte der Aushilfsverkäufer eifrig Auskunft.

»Für wen ist der?«, erkundigte sich Max neugierig. Ihre Mutter war eine passionierte Strickerin, weshalb es eigentlich keiner der Familie nötig hatte, etwas in dieser Richtung für sich zu kaufen.

»Weihnachtsgeschenk.« Patricks ungewöhnlich verschlossener Gesichtsausdruck warnte ihn davor, weiter zu bohren.

Obwohl die Brüder sonst kaum eine Gelegenheit ausließen, einander zu triezen, spürte der Ältere, dass hier etwas lauerte, das Patrick für sich behalten wollte, deshalb ließ er es auf sich beruhen. Vielleicht hatte er ja eine neue Freundin und es war noch zu früh, es an die große Glocke zu hängen? Sie hatten selten Geheimnisse voreinander, doch er wusste, wenn sein kleiner Bruder reden wollte, würde er von selbst kommen. Patrick bezahlte, ergriff seine Papiertasche und nickte Lukas grüßend zu, bevor er sich an Max wandte.

»Mir wäre nach einem Glühwein. Hattest du schon einen?«

»Eine kleine Kostprobe, da geht also noch was. Scheißkalt heute.«

Ihre Eltern hatten alle Hände voll zu tun und die gebrauchten Henkelbecher stapelten sich bereits in zwei Kisten. Max beäugte sie skeptisch.

»Wo spült ihr die denn? Wieder bei Rosi im Café?«

»Ja, aber wir sind noch nicht dazugekommen, sie rüber zu tragen. Heute ist ja die Hölle los.« Trotz dieser Worte lächelte sie vergnügt und genoss den Trubel sichtlich. Sein Vater setzte besorgt hinzu: »Dabei gehen uns die Sauberen bald aus.«

»Ich bringe sie rasch ins Café«, bot Max an und bückte sich bereits, um beiden Boxen auf einmal hochzuheben. »Himmel, die sind ja echt schwer! Hey, Kleiner, hilf mir mal.« Gemeinsam schleppten sie die Kisten die gut hundertfünfzig Meter quer über den Hauptplatz. Rosi sah sie kommen und öffnete ihnen die Tür. Rasch schlichteten sie den Spüler voll, in dem nur ungefähr die Hälfte der Tassen Platz fand.

»Und, wie ist es?«, fragte Rosi und reckte den Hals, um durch das Schaufenster hinauszuschauen.

»Voll, das siehst du ja. Viele hübsche Sachen an den Ständen.« Max entging ihr sehnsüchtiger Blick nicht, Sie hielt das Café offen, falls sich jemand aufwärmen wollte, doch jetzt waren gerade keine Gäste da. Deshalb schlug er vor: »Geh mal eine Runde, ich halte hier die Stellung und warte das Ende des Expressprogramms ab.«

Ihr Gesicht erhellte sich schlagartig. »Ehrlich? Du bist ein Schatz, das lasse ich mir nicht zweimal sagen! Im Moment ist ohnehin nichts los. Anscheinend probieren jetzt alle erst einmal durch, was die Stände so anbieten.«

Es dauerte keine dreißig Sekunden, bis sich die Tür hinter ihr schloss. Max wandte sich an seinen Bruder: »Geh ruhig deinen Glühwein trinken. Nimm eine leere Box mit und sag ihnen, sie sollen sie nicht so vollmachen, sonst bricht noch der Boden durch.« Er hielt Patrick eine hin. »Ich halte hier die Stellung. Da ist es ruhig und warm.« Er grinste. »Du weißt ja, aus dem Weihnachtstrubel mache ich mir nicht viel.«

Patrick zögerte einen Moment, dann nahm er die Kiste und ging. Max ließ sich auf einem der Stühle mit den dicken Sitzpolstern nieder und streckte behaglich die Beine aus. Es stimmte. Auch wenn er sich seiner Tochter zuliebe bemüht hatte, ihr eine schöne Adventszeit und ein Weihnachtsfest mit allem, was dazu gehörte, zu bereiten, für sich selbst hätte er das nicht gebraucht. Für ihn bedeutete die Zeit von Mitte November bis zwei Wochen nach den Festtagen nur eine Menge zusätzlicher Arbeit in der Kälte. Dass sich das Weihnachtskomitee jedes Jahr noch weitere Angebote ausdachte, mündete meistens ebenso in Mehraufwand für ihn. Diesmal waren es die Blumentröge auf dem Weg zum See und niemand konnte wissen, was es kommende Weihnachten sein würde. Dabei glitzerte und blinkte es ohnehin schon an allen Ecken. Dazu kamen die Eisskulpturen, die am See entstehen würden, der Adventskalender, für den vierundzwanzig Fenster in Privathäusern geschmückt wurden, der Keksbackwettbewerb und die Lebkuchenausstellung.

Was ursprünglich vor allem als Highlight für die Bevölkerung gedacht war, hatte sich als ›Geheimtipp‹ herumgesprochen. Seither besuchten immer mehr Weihnachtssüchtige Funkelstein und kurbelten die Nächtigungszahlen des kleinen Ortes an.

Max tauchte aus seinen grüblerischen Gedanken auf und schnupperte. Ein verführerischer Duft hatte sich in seine Nase geschlichen und automatisch wanderte sein Blick zur Kuchenvitrine. Die Funkelsteiner Torte! Konnte es tatsächlich sein, dass er sie auf zwei Meter Entfernung roch, oder rief sie ihn auf telepathischem Weg? Wie magnetisch angezogen näherte er sich dem Objekt seiner Begierde und umrundete die Theke. Drei Stücke waren noch da. Er zählte die Münzen für eines aus seiner Geldtasche und legte sie neben der Registrierkasse auf den Tresen.

Danach nahm er sich einen Teller vom Stapel und bugsierte das eine Stück, bei dem die Spitze abgebrochen war, mit der Tortenschaufel darauf. Er hob es vor sein Gesicht, schloss die Augen und sog den Duft nach Schokoladenbiskuit und Vanillecreme genießerisch ein.

Vorsichtig stach er mit der Kuchengabel ein Stück ab und ließ sich den ersten Bissen auf der Zunge zergehen. Die Granatapfel-Perlen, mit denen die Torte großzügig bestreut war, platzten, als er darauf biss, und gaben ihr fruchtiges süß-säuerliches Aroma frei. Ein Stückchen nach dem anderen wanderte so in seinen Mund.

Max kratzte gerade die Reste vom Teller, als die Tür aufging und zwei Frauen unterschiedlichen Alters eintraten. Er begrüßte sie freundlich. Möglicherweise waren sie Mutter und Tochter. Sie kamen ihm bekannt vor, doch ihre Namen fielen ihm nicht ein. Sie schälten sich umständlich aus ihren Mänteln und setzten sich an einen der Tische, von denen man einen guten Blick über den Hauptplatz hatte. Offensichtlich wollten sie etwas konsumieren und Max hoffte, dass er das hinbekam.

»Ich vertrete die Besitzerin nur kurz«, erklärte er zur Vorsicht, als er zu ihnen an den Tisch trat. »Was möchten Sie denn gerne?«

»Ich hätte Lust auf einen Kräutertee. Was haben Sie denn da?«

Max zog die Getränkekarte aus dem Ständer, der auf dem Tischchen stand und klappte sie auf, bevor er sie der älteren Frau hinhielt. »Hier, bitteschön.«

»Na, wenn Sie nur zur Aushilfe hier sind, dann nichts zu Kompliziertes.« Die Jüngere blinzelte ihm fröhlich zu. Max fiel auf, dass sie hübsch war. Vor allem ihr Lächeln gefiel ihm, weil es auch ihre Augen erreichte und zum Strahlen brachte. »Den Früchtetee mit Schuss, bitte. Der wärmt bestimmt gut.«

»Und für mich den Weihnachts-Chai«, entschied die ältere Dame. »Der klingt interessant.«

»Möchten Sie vielleicht auch einen Kuchen dazu? Oder ein Stück von der Funkelsteiner Torte? Das ist mein absoluter Favorit.« Er zwinkerte ihnen verschwörerisch zu.

»War es das, was Sie vorhin gegessen haben?«, fragte die Jüngere nach und als Max grinsend nickte, bestellte sie für sich auch ein Stück, ihre ältere Begleiterin wählte einen Schokolademuffin.

Max servierte gerade, als Rosi zurückkam und den Gästen freundlich zunickte.

»Du bist wirklich ein Schatz«, flüsterte sie ihm zu, als sie abgelegt hatte und zu ihm hinter den Tresen kam. »Vielen Dank.« Sie entdeckte die Münzen. »Wofür sind die?«

»Ich konnte nicht widerstehen.« Schuldbewusst deutete Max auf den Teller mit den letzten Krümeln der Torte.

Rosi schob ihm die Geldstücke zu. »Steck das wieder ein. Als Dankeschön für dich.« Sie wies mit einem Nicken des Kopfes zu den beiden Frauen hin, die zufrieden an ihrem Tee nippten.

»Darüber werden wir uns jetzt aber nicht streiten, oder?«, gab Max lächelnd zurück und wandte sich ab, ohne die Geldstücke anzunehmen. Die erste Ladung Tassen war fertig. Heißer Dampf quoll ihm entgegen, als er die Klappe des Spülers öffnete. Hastig trat er einen Schritt zurück. Mit spitzen Fingern räumte er das Geschirr aus und befüllte ihn erneut.