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Die große Philip K. Dick-Reihe bei Fischer Klassik Philip K. Dick war der besessene Visionär der letzten und einfachsten Fragen. In der Romantrilogie ›Valis‹, seinem Hauptwerk, das er erst kurz vor seinem Tod abschloss, nimmt er seine eigenen gnostischen Offenbarungen als Ausgangspunkt. Die Welt ist eine repressive Matrix, die es zu sprengen gilt, damit man die Wahrheit erblickt. Im Roman ist so das Römische Reich nie untergegangen, es erscheint eine Sophia als Verkörperung der himmlischen Weisheit und Dicks alter Ego Horselover Fat spricht in vielerlei Zungen und Sprachen. Ein Schlüsseltext zu seiner Welt.
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Seitenzahl: 1116
Philip K. Dick
Valis-Trilogie
Valis Die göttliche Invasion Die Wiedergeburt des Timothy Archer
FISCHER E-Books
Aus dem Amerikanischen von Thomas Ziegler,
durchgesehen und ergänzt von Alexander Martin
Für Russell Galen, der mir den richtigen Weg gezeigt hat
VALIS (Akronym für Voluminöses Aktives Lebendes Intelligenz-System, aus einem amerikanischen Film): eine Störung des Realitätsgefüges, durch die ein spontanes, sich selbst kontrollierendes, negantropisches Wirbelfeld erzeugt wird, das immer mehr dazu tendiert, seine Umwelt in sein Informationsmuster einzuordnen. Charakteristika sind Quasi-Bewusstsein, Zielstrebigkeit, Intelligenz, Wachstum und eine bemerkenswerte Stabilität.
Großes Sowjetisches Wörterbuch Sechste Ausgabe, 1992
Horselover Fats Nervenzusammenbruch nahm seinen Anfang an jenem Tag, an dem ihn Gloria anrief und ihn um einige Nembutal bat. Er fragte sie, was sie damit vorhätte, und sie sagte, sie wolle sich damit umbringen. Sie hatte bereits jeden angerufen, den sie kannte. Inzwischen besaß sie schon fünfzig Stück, aber sie brauchte noch dreißig oder vierzig mehr, um sicherzugehen, dass auch alles klappte.
Augenblicklich kam Horselover Fat zu dem Schluss, dass dies ihre Art war, um Hilfe zu bitten. Seit Jahren lebte Fat in dem Wahn, dass er den Menschen helfen könne. Sein Psychiater hatte ihm einst gesagt, dass er, um gesund zu werden, zwei Dinge tun müsse: die Finger vom Dope zu lassen (was er nicht getan hatte) und aufzuhören, anderen Menschen helfen zu wollen (was er noch immer versuchte).
Wie auch immer, er hatte keine Nembutal. Er hatte nicht eine einzige Schlaftablette im Haus. Er nahm nie Schlaftabletten. Er nahm Upper. Daher war er nicht in der Lage, Gloria Schlaftabletten zu geben, damit sie Selbstmord begehen konnte. Allerdings hätte er es auch dann nicht getan, wenn es ihm möglich gewesen wäre.
»Ich habe zehn Stück«, erklärte er, denn sonst hätte sie aufgelegt.
»Ich komme zu dir«, sagte Gloria mit vernünftiger, ruhiger Stimme, im gleichen Tonfall, in dem sie ihn um die Tabletten gebeten hatte.
Dann wurde ihm klar, dass sie keine Hilfe wollte. Sie wollte sterben. Sie war vollkommen verrückt. Wäre sie gesund, hätte sie erkannt, dass sie ihre wahre Absicht verbergen musste, denn so machte sie ihn der Mittäterschaft schuldig. Half er ihr bei ihrem Selbstmord, bedeutete dies, dass er ihren Tod wollte. Aber weder er noch jemand anders hatte ein Interesse daran. Gloria war eine freundliche, gebildete Person, die große Mengen Acid nahm. Es war offensichtlich, dass in den sechs Monaten, in denen er nichts von ihr gehört hatte, ihr Gehirn von dem Acid zerstört worden war.
»Was hast du die ganze Zeit über getrieben?«, fragte Fat.
»Ich bin im Mount Zion Hospital in San Francisco gewesen. Ich habe einen Selbstmordversuch gemacht, und meine Mutter hat für meine Einweisung gesorgt. Vorige Woche bin ich entlassen worden.«
»Bist du wieder in Ordnung?«, wollte Fat wissen.
»Ja«, sagte sie.
Das war der Moment, in dem Fat den Verstand zu verlieren begann. Zu dieser Zeit wusste er noch nichts davon, aber er wurde in ein schreckliches psychologisches Spiel verwickelt. Es gab nichts, das ihn davor bewahren konnte. Gloria Knudson hatte ihn, ihren Freund, zusammen mit ihrem eigenen Gehirn zerstört. Wahrscheinlich hatte sie sechs oder sieben andere Männer, alles Freunde, die sie liebten, ebenfalls zugrunde gerichtet, und das allein durch derartige Telefongespräche. Zweifellos waren auch ihr Vater und ihre Mutter nicht davon verschont geblieben. Fat entdeckte hinter ihrem vernünftigen Tonfall den Missklang des Nihilismus, die Leere des Vakuums. Er sprach nicht mit einer Person. Am anderen Ende der Leitung befand sich ein rein von Reflexen angetriebenes Ding.
Allerdings wusste er noch nicht, dass der Wahnsinn manchmal die einzig vernünftige Antwort auf die Realität ist. Indem er sich Glorias Bitte anhörte, ihr bei ihrem Selbstmord zu helfen, nahm er die Krankheit in sich auf.
Es war wie eine chinesische Fingerfalle: Je heftiger man sich zu befreien versuchte, desto fester wurde die Umklammerung.
»Wo bist du jetzt?«, fragte er.
»In Modesto. Im Haus meiner Eltern.«
Da er in Marin County lebte, war sie mehrere Autostunden von ihm entfernt. Es gab nur wenig, das ihn hätte bewegen können, eine derartige Fahrt zu unternehmen. Dies war ein weiteres Indiz für ihren Wahnsinn – drei Stunden hin und drei Stunden zurück, und das für zehn Tabletten Nembutal. Warum fuhr sie nicht einfach mit ihrem Wagen gegen einen Baum? Gloria wollte ihre unvernünftige Tat nicht einmal auf vernünftige Weise durchführen. Danke, Tim Leary, dachte Fat. Du und dein Werbefeldzug für das Glück, das die Bewusstseinserweiterung durch Drogen bringt.
Er wusste nicht, dass es um sein eigenes Leben ging. Jetzt schrieb man das Jahr 1971. 1972 würde er hoch im Norden sein, in Vancouver, British Columbia; einsam, mittellos, voller Furcht in einer fremden Stadt. Dort würde er versuchen, Selbstmord zu begehen. Im Augenblick aber lag die Zukunft in gnädigem Dunkel. Er wollte nur Gloria dazu bringen, nach Marin County zu kommen, damit er ihr helfen konnte. Eine von Gottes größten Gnaden ist, dass er uns diese Unwissenheit schenkt. 1976, vor Kummer vollkommen verrückt, würde Horselover Fat seine Pulsadern aufschneiden (der Selbstmordversuch in Vancouver war misslungen), neunundvierzig Digitalis nehmen und dabei in einer verschlossenen Garage sitzen, während der Motor seines Autos lief – und auch dieser Versuch würde fehlschlagen. Nun, der Körper verfügt über Kräfte, die dem Verstand unbekannt sind. Glorias Verstand allerdings besaß die totale Kontrolle über ihren Körper – sie war auf rationale Art verrückt.
Zumeist verrät sich Geisteskrankheit durch bizarres oder theatralisches Verhalten. Man kann sich eine Pfanne auf den Kopf setzen, ein Handtuch um die Hüfte binden, sich purpurn anmalen und so nach draußen gehen. Gloria war so ruhig wie immer – höflich und gebildet. Hätte sie im alten Rom oder in Japan gelebt, wäre sie nicht aufgefallen. Vermutlich waren auch ihre Fähigkeiten als Autofahrerin nicht in Mitleidenschaft gezogen. Sie würde an jeder roten Ampel anhalten und die Geschwindigkeitsbegrenzungen genau beachten – auf ihrer Fahrt, um sich die zehn Tabletten Nembutal zu holen.
Ich bin Horselover Fat und schreibe dies der dringend erforderlichen Objektivität wegen in der dritten Person. Ich habe Gloria Knudson nicht geliebt, aber ich habe sie gemocht. In Berkeley hatten sie und ihr Mann elegante Partys gegeben, und meine Frau und ich wurden jedes Mal dazu eingeladen. Gloria verbrachte Stunden mit der Zubereitung kleiner Appetithappen und kredenzte stets verschiedene Sorten Wein, und immer war sie gut gekleidet und sah süß aus mit ihrem sandfarbenen, kurzgeschnittenen, lockigen Haar.
Um es kurz zu machen: Horselover Fat besaß keine Nembutal, die er ihr hätte geben können, und eine Woche später stürzte sich Gloria aus einem Fenster im zehnten Stock des Synanon Buildings in Oakland, Kalifornien, und starb auf dem Bürgersteig des MacArthur Boulevards. Und Horselover Fat setzte seinen schleichenden, langen Abstieg fort, der in Kummer und Wahnsinn endete, in jener Art Chaos, von dem die Astrophysiker behaupten, dass es das Schicksal des gesamten Universums ist. Fat war dem Universum weit voraus. Möglicherweise vergaß er, welches Ereignis seinen Abstieg in die Entropie eingeleitet hatte. Gottes Gnade verhüllt die Vergangenheit ebenso wie die Zukunft. Nachdem er von Glorias Selbstmord erfahren hatte, weinte er zwei Monate lang, sah fern und nahm noch mehr Dope – auch sein Gehirn versagte immer mehr, doch er wusste es nicht. Unendlich ist die Gnade Gottes.
Zudem war ein Jahr zuvor Fats Frau dem Wahnsinn verfallen. Es war wie eine Seuche. Niemand wollte einsehen, in welchem Maße die Drogen dafür verantwortlich waren. In jener Zeit – von 1960 bis 1970 – waren Amerika und insbesondere die Bay Area, Kalifornien, total im Arsch. Es tut mir leid, dies so hart ausdrücken zu müssen, doch es ist die Wahrheit. Blasiertes Gerede und kunstvolle Theorien verwischen nur die tatsächlichen Verhältnisse. Die Behörden wurden genauso psychotisch wie jene, die von ihnen gejagt wurden. Sie wollten alle Personen vertreiben, die nicht den bürgerlichen Maßstäben entsprachen. Die Behörden waren voller Hass. Fat war Polizisten begegnet, die ihn mit der Grausamkeit von wilden Hunden angestarrt hatten. An dem Tag, an dem sie Angela Davis, die schwarze Marxistin, aus dem Gefängnis von Marin County entließen, hatten die Behörden das gesamte Rathaus lahmgelegt. All das, um Radikale zu verwirren, die womöglich Ärger machen wollten. Die Aufzüge wurden abgeschaltet, die Türen mit falschen Schildern versehen, und der Distriktstaatsanwalt versteckte sich an einem geheimen Ort. Fat hatte das alles miterlebt. Er war an diesem Tag zum Rathaus gefahren, um ein Buch zurückzubringen, das er sich in der Bibliothek ausgeliehen hatte. Am elektronisch gesicherten Eingang des Rathauses hatten zwei Polizisten das Buch aufgeschlitzt und die Papiere durchwühlt, die Fat bei sich trug. Er war völlig irritiert. Der ganze Tag irritierte ihn. In der Cafeteria beobachtete ein bewaffneter Polizist die Gäste bei ihrer Mahlzeit. Fat war mit einem Taxi nach Hause zurückgekehrt, aus Furcht, sein eigenes Auto zu benutzen, und er hatte sich gefragt, ob er verrückt geworden war. Er war tatsächlich verrückt, aber allen anderen erging es ebenso.
Ich bin Science-Fiction-Autor. Ich verkaufe Träume. Mein Leben ist ein Traum. Und doch liegt Gloria Knudson in einem Sarg in Modesto, Kalifornien. In meinem Fotoalbum befindet sich ein Foto von ihren Begräbniskränzen. Es ist ein Farbfoto, und man kann gut erkennen, wie wunderschön die Kränze sind. Im Hintergrund ist ein VW zu sehen. Ich bin ebenfalls auf dem Foto – ich steige in den VW, obwohl die Trauerfeier noch nicht zu Ende ist. Ich kann es nicht mehr ertragen.
Nach der Beerdigung war ich mit Glorias ehemaligem Mann Bob und einem Freund der Knudsons in Modesto in einem netten Restaurant, nicht weit vom Friedhof entfernt, zum Essen. Die Kellnerin wies uns einen Platz irgendwo hinten zu, weil wir drei trotz unserer Anzüge und Krawatten wie Hippies aussahen. Aber das interessierte uns einen Scheiß. Ich weiß nicht mehr, worüber wir uns unterhalten haben. In der Nacht davor waren Bob und ich – ich meine Bob und Horselover Fat – nach Oakland gefahren, um sich den Film Patton anzuschauen. Kurz vor der Beerdigung traf Fat zum ersten Mal mit Glorias Eltern zusammen. Wie ihre tote Tochter, so behandelten auch sie ihn mit vollendeter Höflichkeit. Eine Anzahl von Glorias Freunden hatten sich in dem kitschigen, im Stil der Gründerväter eingerichteten Wohnzimmer versammelt und hielten die Erinnerung an die Person wach, die sie miteinander verband. Natürlich hatte Mrs. Knudson zu viel Make-up aufgetragen. Frauen tragen immer zu viel Make-up auf, wenn jemand stirbt. Fat streichelte die Katze des toten Mädchens, ein Tier namens Vorsitzender Mao. Er entsann sich der wenigen Tage, die Gloria mit ihm verbracht hatte, nachdem sie zu ihm gekommen war, um sich die Nembutal-Tabletten zu holen, die er gar nicht besaß. Sie nahm die Enttäuschung gelassen, fast gleichgültig auf. Wenn man sterben will, kümmert man sich nicht um Kleinigkeiten.
»Ich habe sie genommen«, erklärte ihr Fat und fügte der einen Lüge noch eine weitere hinzu.
Sie entschlossen sich, zur Küste zu fahren, zur Halbinsel von Point Reyes. Sie nahmen Glorias VW, Gloria fuhr (ihm kam es nicht in den Sinn, dass sie, aus einem Impuls heraus, ihn und sich selbst mit dem Auto umbringen würde), und eine Stunde später saßen sie am Strand und rauchten Dope.
Am meisten interessierte Fat die Frage, warum sie Selbstmord begehen wollte.
Gloria trug verwaschene Jeans und ein T-Shirt, auf dem Mick Jaggers lüsternes Gesicht prangte. Da sich der Sand gut anfühlte, zog sie ihre Schuhe aus. Fat bemerkte, dass ihre Zehennägel rosa lackiert und sorgfältig gepflegt waren. Im Stillen sagte er sich, dass sie starb, wie sie gelebt hatte.
»Sie haben mein Bankkonto geplündert«, sagte Gloria.
Ihr bedächtiger, klarer Tonfall verriet ihm, dass »sie« nicht existierten. Gloria lebte in einer vollkommen und gnadenlos verrückten Welt. Alle Details dieser Welt hatte sie mit Werkzeugen geschaffen, die so präzise waren wie chirurgische Instrumente. In ihrem Wahnsystem gab es keine leere Stelle, keinen Fehler – abgesehen natürlich von ihrer grundlegenden Überzeugung, dass jeder sie hasste, jeder sie verfolgte und dass sie vollkommen wertlos war. Während sie redete, begann sie zu verschwinden. Er sah zu, wie sie sich auflöste – es war faszinierend. Auf ihre bedächtige Art redete sich Gloria Wort für Wort aus dem Dasein heraus. Sie stellte ihre Vernunft in den Dienst – nun, dachte er, in den Dienst des Nichtseins. Ihr Verstand war von einem großen, geschickten Radiergummi fortgewischt worden. Von ihr war nur noch die Hülle übriggeblieben, ihr unbeseelter Körper.
Sie ist bereits tot, erkannte er an diesem Tag am Strand.
Nachdem sie ihr Dope aufgeraucht hatten, gingen sie spazieren und sprachen über den Seetang und die Höhe der Wellen. Über ihren Köpfen krächzten Möwen und glitten wie Frisbees durch die Luft. Hin und wieder trafen sie auf einige Menschen, sonst war der Strand leer. Schilder warnten vor tückischen Meeresströmungen. Fat zerbrach sich den Kopf, warum sich Gloria nicht einfach in die Brandung stürzte. Er verstand nicht, was in ihrem Inneren vor sich ging. All ihre Gedanken kreisten um das Nembutal, das sie noch immer brauchte – zumindest glaubte sie dies.
»Mein Lieblingsalbum der Dead ist ›Workingman’s Dead‹«, erklärte Gloria unvermittelt. »Aber ich finde es nicht gut, dass sie Kokain verherrlichen. Viele Kids hören Rockmusik.«
»Sie verherrlichen es nicht. Das Lied handelt nur von jemandem, der es nimmt. Und indirekt tötet es ihn – er wirft sich vor einen Zug.«
»Aber deshalb habe ich mit den Drogen angefangen«, sagte Gloria.
»Wegen der Grateful Dead?«
»Weil«, erwiderte Gloria, »jeder wollte, dass ich es tue. Ich bin es leid, immer das zu tun, was andere Leute von mir verlangen.«
»Bring dich nicht um«, bat Fat. »Bleib bei mir. Ich bin ganz allein. Versuch es zumindest für einige Zeit. Wir werden dich schon wieder hinkriegen, meine Freunde und ich. Wir können zusammen eine ganze Menge unternehmen – so wie heute hier am Strand. Es ist schön hier, nicht wahr?« Gloria sagte nichts. »Ich würde es wirklich furchtbar bedauern«, fuhr Fat fort. »Ich würde mir für den Rest meines Lebens Vorwürfe machen, wenn du Selbstmord begehst.« Wie ihm später klar wurde, hatte er mit völlig falschen Argumenten versucht, sie zu überzeugen. Auf diese Art würde sie nur weiterleben, um anderen einen Gefallen zu tun. Er hätte es nicht dümmer anstellen können. Ebenso gut konnte er sie mit dem VW überfahren. Wer zum Selbstmord bereit ist, lässt ihn sich nicht von Amateuren ausreden. Fat begriff dies erst später, als er in Vancouver war und, dem Selbstmord nahe, mit der städtischen Telefonseelsorge sprach und von dort sachkundige Hilfe erhielt. Damit war das, was er Gloria an diesem Tag am Strand gesagt hatte, überhaupt nicht zu vergleichen.
Gloria schwieg einen Moment, um einen kleinen Stein aus ihrem Fuß zu ziehen, und sagte dann: »Ich würde gern heute Nacht in deiner Bude schlafen.«
Als er das hörte, wurde Fat von schwindelerregenden sexuellen Visionen überwältigt.
»Alles paletti«, sagte er in dem Jargon, den er in jener Zeit benutzte. Die Gegenkultur verfügte über ein ganzes Arsenal von Phrasen, die so gut wie nichts bedeuteten. Fat hatte es sich angewöhnt, einer Floskel einen ganzen Rattenschwanz weiterer Belanglosigkeiten folgen zu lassen. Und so auch jetzt, wo er sich in seiner Geilheit zu dem Wahn verstieg, seiner Freundin das Leben gerettet zu haben. Sein Urteilsvermögen, mit dem auch sonst nicht viel los war, erreichte einen neuen Tiefpunkt. Das Leben eines guten Menschen hing an einem seidenen Faden, hing von Fats Reaktion ab, und der dachte nur daran, sie in sein Bett zu bekommen. »Ist gebongt«, faselte er, während sie weitergingen. »Nur keine Panik.«
Einige Tage später war sie tot. Sie verbrachten die Nacht zusammen, ohne sich auszuziehen. Sie schliefen nicht miteinander. Am nächsten Nachmittag fuhr Gloria fort, angeblich, um ihre Sachen aus dem Haus ihrer Eltern in Modesto zu holen. Er sah sie nie wieder. Tagelang wartete Fat auf ihre Rückkehr. Dann klingelte eines Nachts das Telefon, und Bob, ihr Exmann, war am Apparat.
»Wo bist du jetzt?«, fragte Bob.
Die Frage verwirrte ihn. Er war zu Hause, in der Küche, wo auch das Telefon stand. Bob klang ganz ruhig. »Ich bin hier«, sagte Fat.
»Gloria hat sich heute umgebracht«, erklärte Bob.
Ich habe ein Foto, auf dem Gloria den Vorsitzenden Mao im Arm hält. Gloria kniet und lächelt, und ihre Augen glänzen. Die Katze versucht sich aus ihrer Umarmung zu befreien. Links kann man einen Weihnachtsbaum sehen. Auf die Rückseite hat Mrs. Knudson mit winzigen Buchstaben einen Satz geschrieben:
Wie wir sie dazu gebracht haben, dankbar für unsere Liebe zu sein.
Ich habe nie erfahren, ob Mrs. Knudson dies vor oder nach Glorias Tod geschrieben hat. Die Knudsons schickten mir – schickten Horselover Fat – das Foto einen Monat nach Glorias Begräbnis. Fat hatte sie um ein Foto gebeten. Zuvor hatte er Bob danach gefragt und im barschen Ton zur Antwort erhalten: »Was willst du mit einem Bild von Gloria?« Darauf wusste Fat nichts zu erwidern. Als er mich dazu brachte, dies hier niederzuschreiben, fragte er mich, wieso Bob Langley so empfindlich auf seine Bitte reagiert hatte. Ich weiß es nicht. Es ist mir auch egal. Vielleicht wusste Bob, dass Gloria und Fat eine Nacht zusammen verbracht hatten, und war eifersüchtig. Fat hielt Bob Langley für schizoid. Er behauptete, Bob habe ihm das selbst gestanden. Ein Schizoider leidet unter einem Mangel an Einfühlungsvermögen – ihm fehlt die Fähigkeit tiefen Empfindens. Ein Schizoider würde keinen Grund sehen, seinen Zustand vor anderen zu verheimlichen. Andererseits hatte sich Bob während der Beerdigung niedergekniet und eine Rose auf Glorias Grab gelegt. Zu dieser Zeit war Fat bereits in den VW geflohen. Welche Reaktion ist angemessener? Die von Fat, der in dem parkenden Auto allein vor sich hin weinte, oder die des Exmannes, der sich mit der Rose niederkniete, nichts sagte, kein Gefühl verriet, aber der etwas tat …? Fat hatte außer einem unterwegs gekauften Strauß Blumen nichts zum Begräbnis mitgebracht. Er hatte ihn Mrs. Knudson überreicht, und sie war gerührt gewesen. Bob hatte die Blumen später weggeworfen.
Nach der Beerdigung, in jenem teuren Restaurant, wo die drei von der Kellnerin in die hinterste Ecke verbannt worden waren, fragte Fat Bob, was Gloria in Synanon gemacht hatte, wo er doch der Meinung gewesen war, sie würde nur ihre Sachen holen und dann zurück nach Marin County fahren, um mit ihm zusammenzuleben.
»Carmina hat ihr geraten, nach Synanon zu gehen«, erklärte Bob. Carmina war Mrs. Knudson. »Wegen ihrer Drogenabhängigkeit.«
Timothy, der Freund, den Fat nicht kannte, bemerkte: »Sie haben ihr dort nicht sehr geholfen.«
Folgendes war geschehen: Gloria hatte Synanon durch den Haupteingang betreten und war sofort in die Mangel genommen worden. Jemand war absichtlich an ihr vorbeigegangen, als sie dasaß und auf das Aufnahmegespräch wartete, und hatte ihr beiläufig mitgeteilt, wie hässlich sie doch sei. Der Nächste, der an ihr vorbeiging, hatte behauptet, dass ihr Haar wie ein Rattennest aussähe. Gloria war, was ihr lockiges Haar betraf, schon immer sehr empfindlich. Sie wünschte es sich lang und glatt wie das Haar so vieler anderer Menschen. Über die mögliche Bemerkung des dritten Mitarbeiters von Synanon kann es nur Mutmaßungen geben, denn bevor er erschien, war Gloria schon hinauf in den zehnten Stock gestiegen.
»So arbeitet man in Synanon?«, fragte Fat.
»Es ist eine Technik, um die Persönlichkeit zu zerstören«, erläuterte Bob. »Eine faschistische Therapie, die dem Menschen den eigenen Willen nimmt und ihn von der Gruppe abhängig macht. Dann kann man beginnen, eine neue Persönlichkeit aufzubauen, die nicht mehr auf Drogen fixiert ist.«
»Wussten sie nicht, dass sie selbstmordgefährdet war?«, wollte Timothy wissen.
»Natürlich«, versicherte Bob. »Sie hat angerufen und mit ihnen gesprochen. Sie kannten ihren Namen und den Grund für ihr Kommen.«
»Hast du nach ihrem Tod mit ihnen geredet?«, fragte Fat.
»Ich habe sie angerufen und mich mit einem ihrer hohen Tiere verbinden lassen. Habe ihm gesagt, sie hätten meine Frau getötet. Der Mann meinte, ich solle doch herkommen und ihnen beibringen, wie man mit Selbstmördern umgeht. Er war total aus dem Häuschen. Er hat mir leidgetan.«
Als Fat das hörte, wusste er, dass Bob nicht ganz richtig im Kopf war. Bob fühlte Mitleid für Synanon. Bob war vollkommen im Arsch. Jeder war vollkommen im Arsch, Carmina Knudson eingeschlossen. In ganz Nordkalifornien gab es keinen normalen Menschen mehr. Es wurde Zeit, dass er von hier verschwand. Er saß da und aß seinen Salat und fragte sich, wohin er gehen konnte. Er musste das Land verlassen. Nach Kanada fliehen, wie die Kriegsdienstverweigerer. Er kannte persönlich zehn Burschen, die sich nach Kanada abgesetzt hatten, statt in Vietnam zu kämpfen. Vermutlich würde er in Vancouver ein halbes Dutzend Bekannte treffen. Vancouver galt als eine der schönsten Städte der Welt. Wie San Francisco besaß sie einen großen Hafen. Er konnte dort ein neues Leben beginnen und die Vergangenheit vergessen.
Während er dasaß und in seinem Salat stocherte, kam ihm zu Bewusstsein, dass Bob bei seinem Anruf nicht »Gloria hat sich umgebracht« gesagt hatte, sondern »Gloria hat sich heute umgebracht«. Als sei ihr Selbstmord unvermeidbar gewesen. Vielleicht war dies der Grund – Glorias Überzeugung, unter Zeitdruck zu stehen, wie bei einer Mathematik-Prüfung. Wer war eigentlich der Verrückte? Gloria, er selbst (wahrscheinlich er selbst), ihr Exmann oder alle Menschen, die in der Umgebung der Bay lebten? Und zwar verrückt im strikten klinischen, nicht im verschwommenen Sinn dieses Begriffes? Lassen Sie mich Ihnen sagen, dass es eines der ersten Symptome einer Psychose ist, wenn sich jemand zu fragen beginnt, ob er psychotisch wird. Eine weitere Form der chinesischen Fingerfalle. Man kann nicht darüber nachdenken, ohne davon betroffen zu werden. Indem Horselover Fat über den Wahnsinn nachdachte, wurde er nach und nach selbst wahnsinnig.
Ich wünschte, ich hätte ihm helfen können.
Obwohl ich nichts tun konnte, um Horselover Fat zu helfen, entging er dem Tod. Zwei verschiedene Einflüsse retteten ihn. Der erste erschien in Gestalt einer achtzehnjährigen Highschool-Schülerin, die in seiner Straße wohnte, und der zweite war Gott. Von beiden hatte das Mädchen mehr Erfolg.
Ich bin mir nicht sicher, ob Gott ihm überhaupt in irgendeiner Weise geholfen hat. Um die Wahrheit zu sagen: Gott verstärkte seine Krankheit noch. Allerdings waren Fat und ich in diesem Punkt verschiedener Meinung. Er war überzeugt, dass Gott ihn vollständig geheilt hatte. Das ist unmöglich. Im I Ging gibt es einen Vers, der lautet: »Immer krank, doch niemals tot.« Das trifft genau auf meinen Freund zu.
Stephanie trat als Dope-Dealerin in Fats Leben. Nach Glorias Tod nahm er so viel Dope, dass er es aus jeder Quelle beziehen musste, die für ihn erreichbar war. Dope von Highschool-Schülern zu kaufen, ist eine knifflige Angelegenheit. Mit dem Dope selbst hat das nichts zu tun, sondern mit dem Gesetz und der Moral. Wenn man erst einmal beginnt, von Kindern Dope zu kaufen, dann ist man gezeichnet. Ich hoffe, der Grund dafür ist für jeden offensichtlich. Aber ich wusste etwas, was die Behörden nicht wussten: Horselover Fat war im Grunde nicht an dem Dope interessiert, das Stephanie verkaufte. Sie dealte mit Hasch und Gras, aber nie mit Upper. Sie mochte keine Upper. Stephanie verkaufte nie etwas, das sie nicht mochte. Sie verkaufte auch keine psychedelischen Drogen, egal, wie sehr man sie bedrängte. Hin und wieder verkaufte sie Kokain. Niemand konnte sich einen vernünftigen Grund dafür vorstellen, aber es gab einen. Im normalen Sinne dachte Stephanie eben nicht. Doch sie traf Entscheidungen, und sobald sie sie getroffen hatte, konnte niemand sie davon abbringen. Fat mochte sie.
Das ist es. Er mochte sie und nicht das Dope, aber um eine Beziehung zu ihr aufzubauen, musste er ihr Kunde sein, und das bedeutete, dass er Hasch nehmen musste. Für Stephanie war Hasch Anfang und Ende des Lebens – jedenfalls das, was das Leben lebenswert machte.
Falls sich Gott in einer schwachen Stunde einmischte, so unternahm er zumindest nichts Illegales wie Stephanie. Fat war überzeugt, dass Stephanie vor Gericht enden würde. Er erwartete jeden Tag, dass man sie verhaftete. Und alle Freunde Fats erwarteten jeden Tag, dass man ihn verhaftete. Wir machten uns Sorgen um ihn, weil wir sahen, wie er immer deprimierter, psychotischer und isolierter wurde. Fat machte sich um Stephanie Sorgen. Stephanie machte sich um den Preis für Hasch Sorgen. Noch mehr Sorgen machte sie sich um den Preis für Kokain. Wir stellten uns vor, wie sie mitten in der Nacht auffuhr, sich kerzengerade hinsetzte und erklärte: »Koks kostet jetzt hundert Dollar pro Gramm!« Sie machte sich Sorgen um den Preis für Dope, wie sich normale Frauen um den Kaffeepreis Sorgen machen.
Wir waren überzeugt, dass es Stephanie vor den sechziger Jahren gar nicht hätte geben können. Dope hatte ihr zur Existenz verholfen, sie aus dem Nichts erschaffen. Sie war der Koeffizient des Dopes, Teil einer Gleichung. Und dennoch war sie es, die Fat zu Gott führte. Nicht ihr Dope – es hatte nichts mit Dope zu tun. Dope bahnt nicht den Weg zu Gott; das ist eine Lüge, die von skrupellosen Elementen verbreitet wird. Nein, Stephanie brachte Fat durch einen kleinen Tonkrug zu Gott, den sie auf ihrer Töpferscheibe geformt hatte, einer Töpferscheibe, zu deren Bezahlung Fat einen Teil beigesteuert hatte, als Geschenk zu ihrem achtzehnten Geburtstag. Als er nach Kanada floh, nahm er den Krug mit, eingewickelt in Shorts, Socken und Hemden, verstaut in seinem einzigen Koffer.
Er sah aus wie ein ganz gewöhnlicher Krug: klein, hellbraun, mit einer dünnen blauen Glasur verziert. Stephanie war keine geübte Töpferin. Dieser Krug war ihr erstes Werk, abgesehen von den Arbeiten, die sie im Keramikkurs an der Oberschule gemacht hatte. Es war klar, dass Fat einen ihrer ersten Krüge bekommen würde. Zwischen ihr und ihm bestand eine enge Beziehung. Wenn er sich aufregte, beruhigte Stephanie ihn mit ihrer Haschpfeife. Aber in einer Hinsicht war der Krug ungewöhnlich. In ihm schlummerte Gott. Er schlummerte lange Zeit in dem Krug, fast zu lange. In einigen Religionen herrscht die Überzeugung vor, dass sich Gott erst fünf Minuten vor zwölf einmischt. Vielleicht stimmt das, ich weiß es nicht. In Horselover Fats Fall meldete sich Gott erst drei Minuten vor zwölf, und was er unternahm, war wenig genug – und im Grunde zu spät. Man kann nicht Stephanie dafür verantwortlich machen. Sobald sie die Töpferscheibe hatte, formte sie den Krug, glasierte und brannte ihn. Sie tat ihr Bestes, um ihrem Freund Fat zu helfen, der, wie Gloria vor ihm, zu sterben begann. Sie half ihrem Freund, so wie damals Fat versucht hatte, seiner Freundin zu helfen, nur hatte Stephanie mehr Erfolg. Genau das war der Unterschied zwischen ihr und Fat. In einer Krise wusste sie, was zu tun war. Fat wusste dies nicht. Deshalb ist Fat heute noch am Leben und Gloria nicht. Fat hatte einen besseren Helfer bekommen, als er es damals für Gloria hatte sein können. Vielleicht wäre es ihm umgekehrt lieber gewesen, doch die Entscheidung lag nicht bei ihm. Es ist das Universum, das sich der Menschen bedient. Das Universum trifft bestimmte Entscheidungen, und auf der Basis dieser Entscheidungen leben die einen, während die anderen sterben. Das ist ein hartes Gesetz. Aber jede Kreatur muss sich dem zwangsläufig fügen. Fat bekam Gott, und Gloria Knudson bekam den Tod. Es ist ungerecht – und Fat wäre der Erste, der das zugeben würde. Rechnen Sie ihm das an.
Nachdem er Gott begegnet war, entwickelte Fat zu ihm eine Liebe, die nicht normal war. Sie war nicht zu vergleichen mit dem Gefühl, das man meint, wenn man sagt, jemand »liebt Gott«. Bei Fat war sie ein regelrechter Hunger. Er erklärte uns, dass Gott ihn verletzt habe, und dennoch war er süchtig nach ihm wie ein Trinker nach dem Schnaps. Gott, fuhr er fort, hatte einen rosa Lichtstrahl auf ihn abgefeuert, direkt in seinen Kopf, in seine Augen. Vorübergehend war Fat blind gewesen, tagelang hatte er Kopfschmerzen gehabt. Es ist leicht, sagte er, den rosa Lichtstrahl zu beschreiben; er war exakt mit den optischen Phänomenen zu vergleichen, die durch ein Blitzlicht erzeugt werden, in das man hineinsieht. Fat wurde von dieser Farbe verfolgt. Manchmal sah er sie auf einem Fernsehschirm. Er lebte nur für dieses Licht, für diese eine bestimmte Farbe.
In Wahrheit begegnete er ihr nie wieder. Nichts außer Gott konnte diese Farbe erzeugen. Anders ausgedrückt: Im normalen Licht war diese Farbe nicht vorhanden. Fat hatte sich eine Farbtafel besorgt, eine Tafel des sichtbaren Spektrums. Die Farbe fehlte. Er hatte eine Farbe gesehen, die niemand sehen kann.
Was kommt im Frequenzbereich nach dem Licht? Hitze? Radiowellen? Ich sollte es wissen, aber ich weiß es nicht. Fat sagte mir (ich weiß nicht, ob das stimmt), dass das, was er gesehen hatte, im Sonnenspektrum eine Frequenz von siebenhundert Millimikrons besaß, im Sinne der Fraunhofer’schen Linien an B vorbei in Richtung A.
Machen Sie damit, was Sie wollen. Ich halte es für ein Symptom von Fats Zusammenbruch. Menschen, die einen Nervenzusammenbruch erleiden, versuchen oft irgendeine Erklärung dafür zu finden, was mit ihnen geschieht. Natürlich ohne Erfolg.
Ohne Erfolg in Bezug auf andere, aber eine unerfreuliche Tatsache ist, dass dem gestörten Bewusstsein selbst dadurch gelegentlich eine falsche Rationalisierungsmöglichkeit geboten wird – wie Glorias »sie«. Ich habe mir die Fraunhofer’schen Linien angesehen und kein A gefunden. Die früheste Buchstabenbezeichnung ist B. Sie reichen von G bis B, vom Ultravioletten bis zum Infraroten. Das ist alles. Was Fat sah oder glaubte gesehen zu haben, war kein Licht.
Nach seiner Rückkehr aus Kanada – nachdem er Gott begegnet war – verbrachten Fat und ich viel Zeit zusammen. Wir gingen jeden Abend aus, auf der Suche nach Ablenkung, und eines Nachts, als ich gerade meinen Wagen einparkte, entstand auf meinem linken Arm unvermittelt ein rosa Lichtfleck. Ich wusste, um was es sich handelte, obwohl ich nie zuvor so etwas gesehen hatte: Jemand hatte einen Laserstrahl auf uns gerichtet.
»Das ist ein Laser«, sagte ich zu Fat, dem das nicht verborgen geblieben war, denn der Fleck wanderte ziellos umher, tanzte über die Telefonmasten und die Betonwand der Garage.
Zwei Halbwüchsige standen unten an der Straße und hielten einen viereckigen Gegenstand fest.
»Sie haben das gottverdammte Ding gebaut«, bemerkte ich.
Die beiden kamen grinsend näher. Sie hätten den Laser, erklärten sie uns, aus einem Werkzeugkasten zusammengebaut. Wir sagten ihnen, wie beeindruckt wir seien, und sie gingen davon, um andere Leute zu narren.
»Dieses Rosa?«, fragte ich Fat.
Er sagte nichts. Aber ich hatte den Eindruck, dass meine Vermutung stimmte. Ich hatte das Gefühl, seine Farbe gesehen zu haben. Warum er es nicht zugab, wenn dem so war, weiß ich nicht. Vielleicht hatte die Bemerkung eine ausgefeilte Theorie zerstört. Geistesgestörte haben nichts für das Prinzip wissenschaftlicher Sparsamkeit übrig, das verlangt, eine gegebene Anzahl Fakten durch die denkbar einfachste Theorie zu erklären. Für sie gilt: je komplizierter, desto besser.
Unser Interesse an Fats Bericht über sein Erlebnis mit dem rosa Lichtstrahl, der ihn verletzt und geblendet hatte, wurde vor allem durch eines geweckt: Er behauptete, dass er von einem Moment zum anderen – sobald er von dem Strahl getroffen worden war – Dinge wusste, die er vorher nicht gewusst hatte. Zum Beispiel wusste er, dass sein fünfjähriger Sohn an einem unentdeckten Geburtsfehler litt, und konnte bis ins kleinste anatomische Detail diesen Geburtsfehler beschreiben. Und das mit medizinischen Ausdrücken, von denen er glaubte, dass sie den Arzt überzeugen würden.
Ich wollte dabei sein, wenn er dem Arzt davon berichtete, wenn er erklären wollte, woher er die medizinischen Details kannte. Sein Gehirn hatte alle Informationen gespeichert, die ihm von dem rosa Lichtstrahl übermittelt worden waren – aber wie wollte er das jemandem beibringen?
Später entwickelte Fat die Theorie, dass das Universum aus Informationen besteht. Er begann ein Tagebuch zu führen – in der Tat hatte er insgeheim schon vor längerer Zeit damit angefangen, eine typische Handlungsweise einer gestörten Persönlichkeit. Seine Begegnung mit Gott war dort in seiner – Fats, nicht Gottes – Handschrift zu Papier gebracht.
Der Ausdruck »Tagebuch« stammt von mir, nicht von Fat. Er benutzte das Wort »Exegese«, einen theologischen Begriff für ein Schriftstück, das ein religiöses Dokument erklärt oder interpretiert. Fat war überzeugt, dass die Informationen, die er erhalten hatte und die in fortwährenden Wellen an die Oberfläche seines Bewusstseins gespült wurden, göttlichen Ursprungs waren und deshalb diese Bezeichnung verdienten, auch wenn sie nur den bisher unentdeckten Bruch der rechten Leiste seines Sohnes betrafen, durch den der Hodensack in Mitleidenschaft gezogen war. Das waren die Neuigkeiten, die Fat für den Arzt hatte. Seine Behauptung stellte sich als richtig heraus, als Fats Exfrau Christopher erneut untersuchen ließ. Die Operation wurde für den nächsten Tag angesetzt. Der Chirurg informierte Fat und seine Exfrau darüber, dass Christophers Leben seit Jahren in Gefahr gewesen war. Christopher hätte noch in der Nacht vor der Operation sterben können. Es war ein Glück, erklärte der Chirurg, dass sie es noch rechtzeitig festgestellt hatten. Da waren wieder Glorias »sie«, nur dass »sie« in diesem Fall wirklich existierten.
Die Operation verlief erfolgreich, und von diesem Moment an waren Christophers Beschwerden verschwunden. Seit seiner Geburt hatte er Schmerzen gehabt. Danach suchten Fat und seine Exfrau für ihren Sohn einen anderen Hausarzt, einen, der Augen im Kopf hatte.
Einer der Einträge in Fats Tagebuch beeindruckte mich genug, um ihn abzuschreiben und hier zu veröffentlichen. Er handelt nicht von Leistenbrüchen, sondern ist allgemeiner Natur und bezieht sich auf Fats zunehmende Überzeugung, dass das Universum eine Ansammlung von Informationen ist. Er glaubte dies, weil sich für ihn das Universum – sein Universum – tatsächlich mit wachsender Geschwindigkeit in Informationen verwandelte. Sobald Gott begonnen hatte, zu ihm zu sprechen, schien er nicht mehr aufhören zu wollen. Ich glaube nicht, dass davon etwas in der Bibel steht.
Tagebucheintragung Nr. 36. Wir erfahren die Gedanken des Geistes als Ordnung und Neuordnung – Veränderung – in einem physikalischen Universum, aber in Wirklichkeit handelt es sich dabei um Informationen und Informationsverarbeitung, die wir substanzialisieren. Wir sehen Seine Gedanken nicht nur als Objekte, sondern sogar als die Erschaffung oder – präziser – die Sinnwerdung von Objekten, die sich uns als Zusammenhang der Dinge darbietet. Doch wir können das Muster dieser Ordnung nicht deuten, wir können uns nicht der Informationen bedienen, die darin verborgen sind – d.h. das, was uns als Ding erscheint, ist Information. Die Gruppierung und Umgruppierung von Objekten durch den Geist ist tatsächlich eine Sprache, aber keine Sprache wie die unsrige (da sie nur an sich selbst und nicht an jemanden oder etwas außerhalb Seines Selbst gerichtet ist).
Fat arbeitete unablässig an diesem spezifischen Problem, in seinem Tagebuch und in den Gesprächen mit seinen Freunden. Er war überzeugt, dass das Universum begonnen hatte, mit ihm zu reden. Ein anderer Eintrag lautet folgendermaßen:
Nr. 37. Wir müssten in der Lage sein, diese Informationen zu verstehen oder sie zumindest als neutrale Stimme in unserem Inneren wahrzunehmen. Aber irgendetwas ist schiefgegangen. Die ganze Schöpfung ist Sprache und nichts als Sprache, die wir aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen in der äußeren Erscheinungsform nicht entziffern und im Inneren nicht hören können. Deshalb behaupte ich, dass wir Idioten geworden sind. Etwas ist mit unserer Intelligenz geschehen. Dies ist meine Schlussfolgerung: Die zu einem Muster geordneten Teile des Geistes stellen eine Sprache dar. Wir sind Teil des Geistes, deshalb sind auch wir die Sprache. Aber wieso wissen wir das dann nicht? Wir wissen nicht einmal, was wir sind, ganz zu schweigen von der äußeren Realität, zu der auch wir zählen. Der Ursprung der Idiotie ist in der Einsamkeit zu suchen. Wir alle sind einsam und von den Gedanken des Geistes getrennt. Nur noch im unterbewussten Bereich besteht Kontakt. Deshalb findet unser wirkliches Leben und Streben unterhalb der Bewusstseinsschwelle statt.
Was mich persönlich zu der Bemerkung verlockt: Du sprichst wohl von dir, Fat.
Lange Zeit (oder, wie Fat es ausgedrückt hätte: »eine Sekunde der Ewigkeit«) verbrachte Fat mit der Entwicklung zahlloser ungewöhnlicher Theorien, in denen er seine Begegnung mit Gott und den Erhalt der Informationen zu erklären versuchte. Eine erschien mir besonders interessant, da sie sich erheblich von den anderen unterschied. Sie postulierte eine Art seelischen Zusammenbruch, den Fat erlitt. Diese Theorie besagte, dass Fats mystisches Erlebnis im Grunde nichts zu bedeuten habe. Teile seines Gehirns waren selektiv durch gebündelte Energiestrahlen stimuliert worden, die ihren Ursprung in einer Entfernung von Abermillionen Kilometern besaßen. Diese selektive Stimulation seines Gehirns erschuf in seinem Kopf die Vorstellung, dass er Worte hörte und Bilder, menschliche Gestalten, Schriftstücke, kurz Gott und Gottes Botschaft sah oder, wie Fat es bezeichnete, den Logos. Aber (so diese eine Theorie) er glaubte nur, diese Dinge zu erfahren. Sie glichen Hologrammen. Was mich besonders berührte, war die eigenartige Tatsache, dass ein Verrückter seine Halluzinationen auf derart sophistische Weise rationalisierte. Fat hatte sich rein intellektuell aus dem Labyrinth des Wahnsinns befreit, obwohl er die irrealen Visionen nach wie vor genoss. Er behauptete nicht mehr, dass das, was er erlebte, wirklich existierte. Bedeutete dies, dass er sich auf dem Weg der Besserung befand? Schwerlich. Nun war er eben der Überzeugung, dass »sie« oder Gott oder irgendjemand über einen weitreichenden, scharf gebündelten, informationsgesättigten Strahl aus Energie verfügte und ihn auf Fats Kopf fokussiert hatte. Für mich war das kein Fortschritt, aber es bedeutete eine Veränderung. Fat konnte nun seine Halluzinationen rational betrachten, was bedeutete, dass er sie als solche erkannte. Er glaubte jetzt allerdings – wie Gloria – an »sie«. Es schien mir ein Pyrrhussieg zu sein. Fats Leben war exakt nichts weiter als eine Kette von Pyrrhussiegen – wie beispielsweise sein scheinbar erfolgreicher Versuch, Gloria vor dem Selbstmord zu retten.
Die Exegese, die Fat monatelang fortführte, war das Paradebeispiel eines Pyrrhussieges – in diesem Fall der Versuch eines heimgesuchten Bewusstseins, das Unerklärliche zu erklären. Vielleicht ist dies das Hauptmerkmal der Geisteskrankheit: Unbegreifliches geschieht, das Leben wird zu einer närrischen Tretmühle, und mit jeder Drehung verändert sich die Realität. Und als ob dies nicht schon genug wäre, versucht man verzweifelt, wie Fat, diese Veränderungen in ein verständliches System einzuordnen, obwohl ihr einziger Sinn aus der Bedeutung besteht, die man ihnen gibt. Dies allein aus der Notwendigkeit heraus, alles in ein vertrautes Muster einzuordnen, um so Sicherheit zu erlangen. Wahnsinn zerstört zuerst das Vertraute. Und das Neue, das an seine Stelle tritt, ist schlecht, denn man kann es weder verstehen noch anderen Menschen mitteilen. Der Verrückte macht Erfahrungen, deren Ursprung und Sinn er nicht kennt.
Als die Zerstörung seines Weltbildes ihren Höhepunkt erreichte – und dieser Prozess lässt sich bis zu Gloria Knudsons Tod zurückverfolgen –, glaubte Fat, dass Gott ihn geheilt habe. Seit die Pyrrhus-Siege begonnen haben, scheinen sie kein Ende mehr zu nehmen.
Es erinnert mich an ein Mädchen, das ich einst gekannt habe, ein Mädchen, das an Krebs litt. Ich besuchte sie im Krankenhaus und erkannte sie nicht wieder. Wie sie da in ihrem Bett saß, ähnelte sie einem kleinen, alten, glatzköpfigen Mann. Die Chemotherapie hatte sie aufgeschwemmt. Der Krebs und die Therapie hatten sie blind und fast taub gemacht, und sie litt unter regelmäßig auftretenden Anfällen. Als ich mich zu ihr hinunterbeugte, um mich nach ihrem Befinden zu erkundigen, da antwortete sie, nachdem sie meine Frage verstanden hatte: »Ich fühle, dass Gott mich gesund macht.« Sie war ein religiöser Mensch und hatte vorgehabt, einem kirchlichen Orden beizutreten. Auf dem Nachttisch neben ihrem Bett lag ein Rosenkranz. Meiner Meinung nach wäre ein Schild mit der Aufschrift GOTT IST EIN ARSCHLOCH passender gewesen.
Nun, um fair zu sein, muss ich zugeben, dass Gott – oder jemand, der sich als Gott bezeichnet, alles nur eine semantische Frage – Horselover Fat mit präzisen Informationen versorgt hatte, durch die das Leben seines Sohnes Christopher gerettet worden war. Gott heilt die einen und verdirbt die anderen. Fat bestreitet, dass Gott irgendjemanden verdirbt. Fat sagt, Gott fügt niemandem Schaden zu. Krankheit, Schmerz und unverdientes Leid haben ihren Ursprung nicht in Gott, sondern sie entstehen durch andere Einflüsse. Worauf ich erwidere: Woher stammen diese anderen Einflüsse? Gibt es zwei Götter? Oder steht ein Teil des Universums nicht unter Gottes Herrschaft? Fat zitierte dann Plato. In Platos Kosmologie zwingt Noös – der Allgeist – Ananke – Symbol für blinde Notwendigkeit beziehungsweise den blinden Zufall, wie die Interpretation einiger Gelehrter lautet – zur Unterwerfung. Noös erschien, und zu seiner Überraschung entdeckte er den blinden Zufall, mit anderen Worten das Chaos, das Noös dann in Ordnung verwandelte (obwohl Plato verschweigt, wodurch diese »Verwandlung« erfolgt). Was Fat betrifft, bestand das Leiden meiner Bekannten aus der Unordnung, die noch kein wahrnehmbares Muster angenommen hatte. Noös oder Gott hatte sich noch nicht darum gekümmert. Worauf ich bemerkte: »Nun, als er sich darum kümmern wollte, war es zu spät.« Darauf wusste Fat keine Antwort, zumindest keine, die sich in Worte fassen ließ und meine Behauptung widerlegte. Vielleicht drückte er sich auch nur davor und schrieb sie in sein Tagebuch. Jede Nacht stand er um vier Uhr auf und führte seine Aufzeichnungen fort. Ich nehme an, irgendwo in seinem wüsten Gekritzel liegen alle Geheimnisse des Universums verborgen.
Es machte uns Spaß, Fat zu theologischen Diskussionen zu verführen, denn er wurde jedes Mal wütend, hielt er doch das, was wir zu diesem Thema zu sagen hatten, für wichtig – für ihn war das Thema an sich wichtig. Zumeist begannen wir jedes Gespräch mit irgendeiner dahingeworfenen Bemerkung wie: »Übrigens, Gott hat mir heute im Zug eine Fahrkarte verkauft« oder etwas in dieser Richtung. Sofort war Fat dabei. Auf diese Weise vertrieben wir uns die Zeit und spielten unsere Spielchen mit Fat. Wenn wir seine Wohnung verließen, waren wir davon überzeugt, dass er alles in sein Tagebuch eintrug. Natürlich behielt in dem Tagebuch stets seine Ansicht die Oberhand.
Es bestand kein Grund, Fat mit albernen Fragen zu reizen, wie: »Wenn Gott alles kann, kann er dann einen Graben schaffen, der zu breit für ihn ist, um ihn zu überspringen?« Wir hatten genug vernünftige Fragen, auf die Fat keine Antwort wusste. Unser Freund Kevin provozierte ihn immer auf die gleiche Art. »Was ist mit meiner toten Katze?«, fragte Kevin stets. Vor Jahren war Kevin eines Abends mit seiner Katze spazieren gegangen. Kevin, dieser Narr, hatte seine Katze nicht an die Leine gebunden, die Katze war auf die Straße gelaufen und von einem Auto überfahren worden. Als er die Überreste der Katze aufhob, lebte sie noch, erbrach Blut und starrte ihn voller Entsetzen an. Kevin erzählte oft: »Wenn man mich am Jüngsten Tag vor das große Gericht stellt, dann werde ich sagen: ›Eine Sekunde bitte‹, und meine tote Katze aus meinem Mantel wickeln. ›Was hast Du dazu zu sagen?‹, werde ich fragen.« Dann malte er sich aus, dass die Katze steif wie eine Bratpfanne sein würde und wie er die Katze am Pfannengriff, dem Schwanz, hochhielt und auf eine befriedigende Antwort wartete.
»Keine Antwort würde dich zufriedenstellen«, meinte Fat.
»Es gibt keine Antwort«, höhnte Kevin. »Wenn Gott deinem Sohn das Leben gerettet hat, wieso konnte er dann nicht meine Katze dazu bringen, fünf Sekunden später über die Straße zu laufen? Drei Sekunden später! Hätte das zu viel Mühe gemacht? Aber vermutlich ist eine Katze nicht wichtig.«
»Aber Kevin«, bemerkte ich bei einer Gelegenheit, »du hättest die Katze doch an die Leine nehmen können.«
»Nein«, widersprach Fat. »Er hat recht. Und es quält mich. Für ihn ist die Katze ein Symbol für all das, was er an diesem Universum nicht versteht.«
»Ich verstehe genug«, sagte Kevin verbittert. »In meinen Augen ist alles Scheiße. Gott ist entweder machtlos, dumm oder ihn interessiert das Ganze einen Dreck. Vielleicht trifft alles zu. Er ist böse, blöd und schwach. Ich glaube, ich werde meine eigene Exegese schreiben.«
»Aber Gott hat nicht zu dir gesprochen«, warf ich ein.
»Weißt du, wer zu Horse gesprochen hat?«, entgegnete Kevin. »Wer wirklich mitten in der Nacht zu Horse gesprochen hat? Bewohner das Planeten Dummheit. Horse, wie nennt man die Weisheit Gottes noch? Sankt was?«
»Hagia Sophia«, antwortete Horse bedächtig.
»Was hältst du von Hagia Dummheit?«, meinte Kevin. »St. Dummheit?«
»Hagia Moron«, sagte Horse. Er verteidigte sich immer, indem er nachgab. »Moron ist wie Hagia ein griechisches Wort. Das ist mir aufgefallen, als ich nachschlug, wie Oxymoron buchstabiert wird.«
»Abgesehen davon, dass das on die sächliche Form ist«, stellte ich fest.
Das mag Ihnen eine Vorstellung davon geben, wohin uns unsere theologischen Dispute führten. Drei schlecht informierte Leute, die sich miteinander stritten. Dazu kamen noch David, unser römisch-katholischer Freund, und das Mädchen, das an Krebs erkrankt war, Sherri. Sie hatte sich erholt und war aus dem Krankenhaus entlassen worden. Zwar waren ihr Seh- und ihr Gehörsinn irreparabel geschädigt, doch ansonsten wirkte sie gesund.
Natürlich sah Fat darin einen Beweis für Gott und Gottes heilende Liebe. David und Sherri stimmten ihm zu. Für Kevin war ihre Erholung auf die Strahlungs- und Chemotherapie und auf Glück zurückzuführen. Düster deutete Kevin an, dass es beim nächsten Mal, wenn sie erkrankte, keine Heilung geben würde. Manchmal glaubten wir, dass er das sogar hoffte, würde dies doch seine Meinung über das Universum bestätigen.
In Kevins verbaler Trickkiste nahm seine Überzeugung, dass das Universum aus Unglück und Feindseligkeit bestand und am Ende jeden fertigmachte, eine herausragende Stellung ein. Für ihn war das Universum wie eine unbezahlte Rechnung: Irgendwann würde man ihm den Zahlungsbefehl präsentieren. Das Universum spie einen aus, ließ einen hängen, dann fallen, und schließlich wurde man wieder aufgesogen. Kevin wartete ständig darauf, dass es ihn, mich, David und vor allem Sherri erwischte. Was Horselover Fat betraf, so war Kevin überzeugt, dass er kein Anwärter auf die Verdammung war, sondern zweifellos bereits verdammt.
Zum Glück sprach Fat in Kevins Gegenwart niemals über Gloria Knudson und ihren Tod. In Kevins Augen hätte Gloria wunderbar zu seiner toten Katze gepasst. Vermutlich hätte er dann in seiner Vision vom Jüngsten Tag außer der Katze auch noch Gloria aus seinem Mantel gewickelt.
Als Katholik führte David alles Schlechte auf den freien Willen des Menschen zurück. Das ärgerte sogar mich. Einmal fragte ich ihn, ob Sherris Krebserkrankung eine Folge ihres freien Willens war, wobei ich darauf spekulierte, dass David – vertraut mit den neuesten Theorien auf dem Gebiet der Psychologie – den Fehler machen und behaupten würde, dass Sherri unterbewusst Krebs bekommen wollte und so ihr Immunsystem geschwächt hatte, eine Meinung, die zu dieser Zeit von fortschrittlichen Psychologen vertreten wurde. Natürlich biss David an und behauptete genau dies.
»Und warum ist sie dann wieder gesund geworden?«, fuhr ich fort. »Weil sie es unterbewusst gewollt hat?«
David sah verdutzt drein. Wenn er ihre Krankheit auf ihre Seele zurückführte, dann musste er auch eingestehen, dass für ihre Gesundung irdische und keine übernatürlichen Ursachen verantwortlich waren. Gott hatte damit nichts zu tun.
»Um mit C.S. Lewis zu sprechen …«, begann David und versetzte damit den ebenfalls anwesenden Fat in Rage. Es machte ihn verrückt, dass David C.S. Lewis missbrauchte, um seine verknöcherte orthodoxe Überzeugung zu verteidigen.
»Vielleicht hat Sherri Gott besiegt«, sagte ich. »Gott wollte sie krank sehen, und sie hat um ihre Gesundheit gekämpft.« Natürlich hatte David einwenden wollen, dass Sherri neurotisch, total im Arsch und deshalb an Krebs erkrankt sei und dass Gott eingegriffen und sie gerettet hatte, aber ich hatte den Spieß rechtzeitig umgedreht.
»Nein«, wehrte Fat ab. »Es ist genau andersherum. So wie er mich geheilt hat.«
Glücklicherweise war Kevin nicht anwesend. Er hielt Fat keineswegs für geheilt (und da waren wir ganz seiner Meinung), und im Übrigen hatte Gott sowieso nichts damit zu tun. Das ist eine Logik, gegen die sich, nebenbei bemerkt, Freud gewandt hat: ein Satz, in dem zwei Behauptungen aufgestellt werden, die sich gegenseitig aufheben. Freud betrachtete einen derartigen Satz als Offenbarung des Rationalismus. Jemand wird verdächtigt, Pferde zu stehlen, und er entgegnet darauf: »Ich stehle keine Pferde, und im Übrigen haben Sie sowieso ein schäbiges Pferd.« Wenn Sie sich diesen Satz näher ansehen, stoßen sie auf seine wahre Bedeutung. Die zweite Behauptung stützt keinesfalls die erste. Es scheint nur so zu sein. In den Begriffen unserer endlosen theologischen Diskussionen – die durch Fats angebliche Begegnung mit dem Göttlichen ausgelöst wurden – würde ein entsprechender Satz mit zwei sich selbst annullierenden Behauptungen so aussehen:
1. Gott existiert nicht.
2. Und im Übrigen ist er sowieso dumm.
Analysiert man Kevins zynisches Gerede mit der gebotenen Sorgfalt, stößt man dauernd auf derartige Sätze. David zitierte ständig C.S. Lewis; in seinem Eifer, Gott zu diffamieren, verstrickte sich Kevin unablässig in logische Widersprüche; Fat berief sich auf die obskuren Informationen, die ihm durch einen Strahl aus rosa Licht übermittelt worden waren; Sherri, die schrecklich gelitten hatte, brabbelte gottesfürchtig vor sich hin; und je nachdem, mit wem ich mich gerade unterhielt, wechselte ich meine Meinung. Keiner von uns hatte die Situation im Griff, aber wir hatten genug freie Zeit, die wir auf diese Weise verbrachten. Inzwischen lag die Zeit der Drogen hinter uns, und jeder war auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung. Dank Fat verfielen wir auf die Theologie.
Eines von Fats Lieblingszitaten lautet:
»Und glaubst du denn, dass Jehova ruht
Wie Shemosh und die ganze Götzenbrut?
Ah! Nein! Der Himmel hörte meine Gedanken
und schrieb sie nieder …
So muss es sein.«
Fat zitierte den Schluss nur ungern.
»Das ist’s, was mein Gehirn zermahlt
Und meine Brust erfüllt mit tausendfacher Qual,
Die mich in den Wahnsinn treibt …«
Das stammt aus einer Arie von Händel. Fat und ich haben oft gemeinsam meine Seraphim-LP angehört, auf der Richard Lewis singt. Tiefer und immer tiefer.
Einmal sagte ich zu Fat, dass eine andere Arie auf der Platte seinen Geisteszustand perfekt beschrieb.
»Welche Arie?«, fragte Fat vorsichtig.
»Vollkommene Finsternis«, antwortete ich.
»Vollkommene Finsternis! Keine Sonne, kein Mond,
Nur Dunkelheit dem Mittags glänz zum Hohn!
Oh, herrliches Licht! Kein glänzender Strahl
Erfreut meine Augen mit dem ersehnten Tag!
Warum so beraubt Deines obersten Gebots?
Sonne, Mond und Sterne sind für mich tot!«
Worauf Fat bemerkte: »In meinem Falle trifft genau das Gegenteil zu. Ich bin erleuchtet vom heiligen Licht einer anderen Welt. Ich sehe, was kein anderer Mensch sieht.«
Davon ließ er sich nicht abbringen.
Ein Problem, mit dem wir während unserer Dope-Zeit fertig werden mussten, war: Wie bringt man jemandem bei, dass er den Verstand verloren hat? Im Falle Horselover Fats gesellte sich zu diesem Problem auch noch sein religiöser Wahn hinzu, und wir – seine Freunde – mussten uns irgendetwas einfallen lassen.
Es wäre einfach gewesen, einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Dingen zu sehen: Das Dope, das Fat in den sechziger Jahren genommen hatte, war verantwortlich für die Geisteskrankheit, an der er in den siebziger Jahren litt. Wäre es mir möglich gewesen, hätte ich diesen Schluss gezogen – ich mag Erklärungen, die gleichzeitig mehrere Probleme lösen. Aber ich glaubte nicht daran. Fat hatte keine psychedelischen Drogen genommen, zumindest nicht sehr oft. Einmal, im Jahr 1964, als LSD-25 noch erhältlich war – vor allem in Berkeley –, hatte Fat eine große Dosis eingeworfen und war in die Vergangenheit oder in die Zukunft oder ganz aus der Zeit herauskatapultiert worden. Jedenfalls hatte er Lateinisch gesprochen und geglaubt, dass der Dies Irae, der Tag des Zorns, gekommen war. Er hatte Gott in schrecklicher, wahnwitziger Raserei wüten hören. Acht Stunden lang hatte Fat lateinisch gebetet und gejammert. Später behauptete er, auf diesem Trip gar keine andere Möglichkeit gehabt zu haben, als lateinisch zu denken und zu reden. Er hatte ein Buch mit lateinischen Zitaten gefunden, die er so leicht lesen konnte, wie er im normalen Zustand englische Sätze las. Nun, vielleicht liegt hier der Ursprung seines späteren Gotteswahns. 1964 gefiel seinem Gehirn dieser Acid-Trip, und es hatte ihn zur späteren Verwendung gespeichert.
Andererseits verlegt diese Schlussfolgerung das Problem nur in das Jahr 1964 zurück. Soweit ich es beurteilen kann, ist die Fähigkeit, Lateinisch zu lesen, zu denken und zu sprechen, keine normale Folge eines Acid-Trips. Fat kann kein Latein. Auch jetzt kann er es nicht. Und er beherrschte es nicht, bevor er diese große Dosis LSD-25 zu sich nahm. Später, als seine religiösen Erfahrungen begannen, bemerkte er, dass er in einer fremden Sprache dachte, die er nicht verstand (’64 hatte er sein Latein verstanden). Einige der Wörter, die ihm zufällig im Gedächtnis haften geblieben waren, hatte er anhand ihres phonetischen Klangs niedergeschrieben. In seinen Augen stellten sie nicht einmal eine Sprache dar, und er zögerte, jemandem zu zeigen, was er zu Papier gebracht hatte. Seine Frau – seine spätere Frau Beth – hatte ein Semester Griechisch studiert, und sie erkannte in dem, was Fat fehlerhaft aufgezeichnet hatte, eine Version des Griechischen, die Koine genannt wird. Zumindest irgendeine Art Griechisch, attisches oder eben Koine.
Koine war nichts anderes als die Umgangssprache der hellenistischen Welt. Zur Zeit des Neuen Testaments war es die Lingua franca des Mittleren Ostens geworden und hatte das Aramäische verdrängt, das zuvor das Akkadianische ersetzt hatte. (Ich weiß dies alles, weil ich ein professioneller Schriftsteller und naturgemäß in Sprachen bewandert bin.) Die Schriftrollen des Neuen Testaments wurden im Koine-Griechisch verfasst, obwohl Q, die Quelle der Synoptiker, vermutlich auf Aramäisch geschrieben wurde, eine Form des Hebräischen. Jesus sprach Aramäisch. Als Horselover Fat in Koine-Griechisch zu denken begann, dachte er in der Sprache, die die beiden engen Freunde Lukas und Paulus benutzt hatten – zumindest für die Niederschrift ihrer Manuskripte. Die Schriftform bietet einen wunderlichen Anblick, da sie zwischen den einzelnen Wörtern keine Abstände lässt. Dies kann zu einer ganzen Reihe unterschiedlicher Übersetzungen führen, denn der Übersetzer muss an den passenden Stellen oder an den Stellen, die er für richtig hält, die Zwischenräume einbauen. Nehmen wir nur dieses Beispiel:
Gottes Furcht ist menschlich
Gottesfurcht ist menschlich
Beth – die Fats religiöse Erfahrungen nie sehr ernst genommen hatte – erzählte mir von jenem Tag, an dem sie Zeuge wurde, wie Fat mehrere Wörter Koine niederschrieb, obwohl sie wusste, dass er diese Sprache weder beherrschte noch sie als solche erkannte. Fat behauptete … Nun, Fat behauptete viel. Ich brauche nicht jeden Satz mit »Fat behauptete …« zu beginnen. Im Laufe der Jahre – und es ging wirklich jahrelang so! –, in denen er an seiner Exegese arbeitete, muss Fat mehr Theorien aufgestellt haben, als es Sterne im Universum gibt. Jeden Tag entwickelte er eine neue, die scharfsinniger, erregender und wahnwitziger als die jeweils letzte war. Gott ließ ihn nicht los. Fat erforschte Gott, wie mein verstorbener Hund meinen Vorgarten erforscht hatte. Beide machten zuerst nur einen Schritt, dann einen zweiten, dann vielleicht einen dritten, um dann ängstlich den Schwanz einzuziehen und flink wieder in vertrautes Gebiet zurückzukehren. Für Fat war Gott ein Gebiet, dessen Grenzen er bereits abgesteckt hatte. Unglücklicherweise hatte er den Weg, der dorthin führte, vergessen.
Es scheint die allgemeine Auffassung zu herrschen, dass man Gott nicht mehr loslassen darf, wenn man ihm einmal begegnet ist. Fats Begegnung mit Gott (sofern es eine solche gegeben hat) entpuppte sich als Blindgänger, als eine mehr und mehr versiegende Quelle der Freude, so vergänglich wie ein Vorrat an Aufputschmitteln. Wer verkauft Gott? Fat wusste, dass ihm die Kirche nicht helfen konnte, und trotzdem suchte er einen von Davids Priestern auf. Vergeblich. Nichts funktionierte. Kevin schlug Dope vor. Da ich mich mit Literatur beschäftigte, riet ich ihm zur Lektüre der Werke einiger metaphysischer Dichter des siebzehnten Jahrhunderts wie Vaughan und Herbert:
»Er weiß, er hat ein Heim, doch weiß er nicht den Ort,
Er sagt, es ist so weit,
Daß er den Weg vergaß von hier nach dort.«
Das ist ein Vers aus Vaughans Gedicht »Der Mensch«. Soweit ich feststellen konnte, bewegte sich Fat auf der Ebene dieser Dichter und war dadurch, für die heutige Zeit, zu einem Anachronismus geworden. Das Universum hat die Gewohnheit, Anachronismen auszulöschen. Fat würde dieses Schicksal erleiden, wenn er sich nicht bald zusammenriss.
Von allen Vorschlägen, die Fat erhielt, schien der vielversprechendste der von Sherri zu sein, die während der Zeit ihrer Rekonvaleszenz bei uns blieb. »Vielleicht«, sagte sie zu Fat in einer seiner depressiven Phasen, »vielleicht solltest du dich mit den Eigenschaften des T-34 beschäftigen.«
Fat fragte, was ein T-34 sei. Es stellte sich heraus, dass Sherri ein Buch über die russischen Panzermodelle während des Zweiten Weltkriegs gelesen hatte. Der T-34 war die Rettung der Sowjetunion und damit auch die der Alliierten gewesen – und, indirekt, auch Horselover Fats, denn ohne den T-34 hätte er weder Englisch noch Latein oder Koine gesprochen, sondern Deutsch.
»Der T-34«, erklärte Sherri, »konnte hohe Geschwindigkeiten erreichen. In Kursk ließen sie sogar die ›Elefanten‹ von Porsche hinter sich zurück. Du kannst dir nicht vorstellen, was sie mit der Vierten Panzerarmee gemacht haben.« Dann skizzierte sie die Situation, wie sie sich 1943 um Kursk dargeboten hatte. »Es war Schukow, der den Spieß umdrehte und der deutschen Panzerarmee eine Niederlage beibrachte. Walutin schöpfte neue Hoffnung. Später wurde er von pronazistischen Partisanen ermordet. Und dann schau dir im Vergleich dazu die Tiger- und Panther-Panzer der Deutschen an.« Sie zeigte uns Fotos von verschiedenen Panzern und erzählte genüsslich, wie General Konjew am 26. März den Dnjepr und den Pruth überquert hatte.
Im Grunde lief Sherris Idee darauf hinaus, Fat von den kosmischen und abstrakten Gedanken abzulenken und ihn mit den Realitäten zu konfrontieren. Auf ihre praktische Art war sie zu der Überzeugung gelangt, dass es wenige Dinge gab, die realer waren als ein großer sowjetischer Weltkriegspanzer. Sie wollte Fats Wahnsinn mit einem Gegengift bekämpfen. Doch ihr Vortrag samt Karten und Fotografien erinnerte ihn nur an die Nacht, in der er mit Bob den Film Patton gesehen hatte, bevor sie zu Glorias Begräbnis gegangen waren.
»Ich glaube, er sollte zu nähen anfangen«, sagte Kevin. »Hast du keine Nähmaschine, Sherri? Du kannst es ihm beibringen.«
Starrköpfig, wie Sherri war, fuhr sie fort: »In die Panzerschlacht um Kursk waren über viertausend gepanzerte Fahrzeuge verwickelt. Es war die größte Panzerschlacht der Geschichte. Jeder kennt Stalingrad, aber niemand weiß etwas über Kursk. In Wirklichkeit nahm der Sieg der Sowjetunion in Kursk seinen Anfang. Wenn man bedenkt …«
»Kevin«, unterbrach David, »weißt du, was die Deutschen hätten tun sollen? Sie hätten den Russen eine tote Katze zeigen und sie fragen sollen, was sie dazu zu sagen haben.«
»Das hätte die russische Offensive gestoppt«, stimmte ich zu. »Schukow würde noch immer versuchen, den Tod der Katze zu rechtfertigen.«
Sherri wandte sich an Kevin. »Angesichts des überwältigenden Sieges des Guten in Kursk, wie kannst du dich da über eine Katze beklagen?«
»In der Bibel steht etwas über sterbende Spatzen«, entgegnete Kevin. »Dass sein Auge auch auf ihnen ruht. Das ist der Ärger mit Gott – er hat nur ein Auge.«
»Hat Gott die Schlacht um Kursk gewonnen?«, fragte ich Sherri. »Das muss für die Russen eine interessante Neuigkeit sein – vor allem für jene, die die Panzer gebaut und gesteuert haben und die dabei getötet wurden.«
Geduldig entgegnete Sherri: »Gott benutzt uns als Werkzeuge und wirkt durch uns.«
»Nun«, brummte Kevin, »was Horse betrifft, so hat Gott in ihm ein beschädigtes Werkzeug. Oder vielleicht sind beide beschädigt – wie eine achtzig Jahre alte Oma, die einen Pinto mit einem lecken Benzintank fährt.«
»Die Deutschen hätten Kevins tote Katze hochhalten müssen«, sagte Fat. »Nicht irgendeine tote Katze. Kevin interessiert nur diese eine Katze.«
»Diese Katze«, merkte Kevin an, »hat während des Zweiten Weltkrieges noch nicht gelebt.«
»Hast du damals um sie getrauert?«, fragte Fat.
»Wie konnte ich?«, antwortete Kevin. »Sie hat nicht existiert.«
»Dann ist ihre damalige Lage mit der heutigen identisch«, meinte Fat.
»Falsch«, widersprach Kevin.
»Wieso falsch?«, ereiferte sich Fat. »Wieso besteht zwischen ihrer damaligen Nichtexistenz und ihrer heutigen Nichtexistenz ein Unterschied?«
»Kevin besitzt jetzt ihren Kadaver«, erklärte David. »Damit er ihn hochhalten kann. Das war der einzige Grund für die Existenz der Katze. Sie lebte nur, um ein Kadaver zu werden, mit dem Kevin die Güte Gottes widerlegen konnte.«
»Kevin«, sagte Fat, »wer hat deine Katze erschaffen?«
»Gott«, entgegnete Kevin.
»Also hat Gott eine Widerlegung seiner eigenen Güte erschaffen«, bemerkte Sherri. »Nach deiner Logik zu urteilen.«
»Gott ist dumm«, behauptete Kevin. »Wir haben eine dumme Gottheit. Das habe ich schon einmal erklärt.«
»Erfordert es viel Geschick, eine Katze zu erschaffen?«, fuhr Sherri fort.
»Man braucht nur zwei«, erwiderte Kevin. »Eine männliche und eine weibliche.« Aber offensichtlich war ihm klar, worauf sie hinauswollte. »Es erfordert …« Er brach ab und lächelte. »In Ordnung, es erfordert Geschick – aber das bedeutet noch lange nicht, dass das Universum einen Sinn hat.«
»Du siehst in ihm keinen Sinn?«, bohrte Sherri weiter.
Kevin zögerte. »Lebewesen haben einen Sinn.«
»Wer verleiht ihnen ihren Sinn?«, fragte Sherri.
»Sie …« Kevin zögerte erneut. »Sie gewinnen ihren Sinn durch ihre Existenz. Sie und ihr Sinn bilden eine Einheit.«
»Somit ist ein Tier Ausdruck eines Sinns«, sagte Sherri. »Und folglich hat das Universum einen Sinn.«
»Nur in winzigen Teilen.«
»Und Sinnlosigkeit verleiht dem Sinn noch mehr Größe.«
Kevin starrte sie an. »Leck mich am Arsch«, meinte er.