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Als Vegan-Straight-Edge bezeichnet sich eine kleine und bislang in der Forschung wenig beachtete Gruppe Jugendlicher, die hauptsächlich in der Hardcoreszene verankert sind. Es werden zwei schon einzeln betrachtet extreme Lebensweisen miteinander vermischt. Straight-Edge beinhaltet sowohl die Ablehnung aller legalen und illegalen Drogen als auch promiskuitiven Verhaltens. Veganismus lehnt wiederum die Ausbeutung der nichtmenschlichen Tiere und somit jeglichen Konsum tierischer Produkte ab. Wie kommt diese Verbindung zustande? Worin liegt der Anreiz einer solch abstinenten Lebensweise im Jugendalter? Welche Auswirkungen hat dies auf die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben? Die Arbeit geht diesen fragen nach.
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Seitenzahl: 138
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Wissenschaftliche E-Book-Reihe, Band 19
Originalausgabe
© 2018 Hirnkost KG (vormals Archiv der Jugendkulturen Verlag KG), Berlin und bei den AutorInnen
Alle Rechte vorbehalten
Hirnkost KG
Lahnstr. 25–27
12055 Berlin
E-Mail: [email protected]; www.jugendkulturen-verlag.de
Ansprechpartner für die Wissenschaftliche Reihe: Klaus Farin
Vertrieb: www.shop.jugendkulturen.de und alle einschlägigen Anbieter
eISBN: 978-3-945398-74-6
Lektorat: Gabriele Vogel
Die Wissenschaftliche Reihe
Alljährlich entstehen an Universitäten und Fachhochschulen Hunderte von wissenschaftlichen Arbeiten, die zumeist nur von zwei GutachterInnen gelesen werden und dann in den Asservatenkammern der Hochschulen verschwinden. Dabei enthalten viele dieser Arbeiten durchaus neues Wissen, interessante Denkmodelle, genaue Feldstudien. Das Archiv der Jugendkulturen, Fachbibliothek und Forschungsinstitut zugleich zu allen Fragen rund um Jugendkulturen, hat deshalb damit begonnen, wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Jugend zu sammeln. Mehr als 800 solcher Arbeiten enthält die Präsenzbibliothek des Archivs inzwischen – für jedermann kostenlos und frei zugänglich.
In der Wissenschaftlichen Reihe publiziert der 2003 aus dem Archiv der Jugendkulturen heraus entstandene Verlag (seit Oktober 2015 in Hirnkost KG umbenannt) zudem qualitativ herausragende wissenschaftliche Arbeiten zu jugendkulturellen Zusammenhängen. Die Arbeiten werden von fachkundigen GutachterInnen gelesen und für die Veröffentlichung professionell lektoriert und gestaltet. Da pro Jahr von ca. 50 eingereichten Arbeiten nur maximal zwei veröffentlicht werden, kann bereits die Aufnahme in den Verlagskatalog als Auszeichnung verstanden werden. Doch für die AutorInnen lohnt sich die Veröffentlichung auch materiell. Wir verlangen grundsätzlich keinerlei Kostenbeteiligungen! Im Gegenteil: Unsere AutorInnen erhalten bereits für die Erstauflage ein Garantiehonorar von 1.000 Euro!
Seit 2011 wird diese Reihe durch eine elektronische Schwester ergänzt. Denn immer wieder mussten wir hervorragende Manuskripte ablehnen, da ein kleiner Verlag wie der unsrige sich nicht mehr als zwei wissenschaftliche Titel mit den gesetzten Qualitätsstandards und dem bewusst niedrig angesetzten Ladenpreis (um möglichst viele Menschen zu erreichen) leisten kann. Die E-Book-Reihe soll dieses Manko ausgleichen. Was für die Printreihe gilt, gilt auch für unsere E-Books: Sie werden ebenfalls sorgfältig ausgewählt und lektoriert, die AutorInnen erhalten ein kleines Garantiehonorar und werden am Umsatz beteiligt.
AutorInnen einer unveröffentlichten wissenschaftlichen Arbeit zum Fokus Jugendkulturen können sich um den Respekt!-Preis zur Förderung wissenschaftlicher Arbeiten über Jugendkulturen bewerben: www.respekt-stiftung.de.
Vegan-Straight-Edge
Einblicke in eine extreme Jugendkultur
Staatsexamensarbeit
zur Erlangung des 1. Staatsexamens für das höhere Lehramt an Gymnasien in den Fächern Geschichte/Gemeinschaftskunde
an der
Universität LeipzigHöheres Lehramt an Gymnasien der FächerGemeinschaftskunde/Geschichte
eingereicht von
Oliver LeskoMatrikelnummer: 9369409
wohnhaft in
Friesickestraße 2713086 Berlin
eingereicht bei
Betreuerin: PD Dr. Uta StarkeZweitgutachter: Prof. Dr. Kurt Mühler
eingereicht am
25.10.2012
1 EINLEITUNG
2 FORSCHUNGSSTAND
3 GRUNDLAGEN UND BEGRIFFSKLÄRUNG
3.1 JUGEND
3.1.1 Lebensphase Jugend
3.1.2 Jugendkultur
3.2 ENTWICKLUNGSAUFGABEN
3.3 SZENE
3.4 SUBKULTUR
3.5 LEBENSSTIL
3.6 INDIVIDUALISIERUNG
4 STRAIGHT-EDGE-HARDCORE
4.1 STRAIGHT-EDGE
4.1.1 Vom Punk zum Hardcore
4.1.2 Straight Edge – die Gegenbewegung zur Gegenbewegung
4.1.3 Die Musik
4.1.4 Drogenabstinenz und Promiskuität
4.1.5 PMA – Positiv Mental Attitude
4.1.6 Radikale Tendenzen innerhalb der Szene
4.1.7 Do it yourself
4.1.8 Zeichen und Symbole
4.2 ORTE
4.3 SZENEINTERNE AUSDIFFERENZIERUNGEN BZW. STRÖMUNGEN
4.3.1 Krishnacore
4.3.2 Vegan-Straight-Edge (als Strömung innerhalb von Straight-Edge)
4.3.3 Hardline
4.3.4 Posis
4.4 ZWISCHENZUSAMMENFASSUNG
5 DIE IDEE DES VEGANISMUS UND DAS RECHT DER TIERE
5.1 HISTORISCHER ABRISS
5.1.1 Antike – Neuzeit
5.1.2 Das 19. und 20. Jahrhundert
5.2 TIERSCHUTZBEWEGUNG VS. TIERRECHTSBEWEGUNG
5.2.1 Tierschutzbewegung
5.2.2 Tierrechtsbewegung
5.3 VEGANISMUS HEUTE
7 UNTERSUCHUNG
7.1 TEILNEHMENDE BEOBACHTUNG
7.1.1 Fluff-Fest
7.1.2 Verse-Show im Bi Nuu
7.1.3 Edge-Day Berlin
7.1.4 Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtung
7.2 LEITFADENGESTÜTZTES EXPERT_INNENINTERVIEW
7.2.1 Der Fragenkatalog
7.2.2 Auswahl der Expert_innen
7.2.3 Transkription der Interviews
7.2.4 Vorstellung der Interviewpartner_innen
7.3 DARSTELLUNG UND ANALYSE DER INTERVIEWS
7.3.1 Individuelle Definition von Straight-Edge
7.3.2 Drogenkonsum im Jugendalter
7.3.3 Drogenverzicht im Alltag
7.3.4 Zugang und individuelle Bedeutung des Veganismus
7.3.5 Veganismus im Alltag
7.3.6 Verbindung Veganismus und Straight-Edge
7.3.7 Analyse und Ergebnisse
8 FAZIT UND AUSBLICK
QUELLENVERZEICHNIS
ANHANG: INTERVIEWS
INTERVIEW I, JENNI
INTERVIEW II, BASTI
INTERVIEW III, SUSI
In einer fortschreitend entgrenzten Gesellschaft, in der sich Jugendliche mangels offener Räume hauptsächlich in verinselten Lebenswelten wiederfinden, sind subkulturelle Jugendszenen oftmals wichtige Orte der Sozialisation und Identitätsbildung. Jugend(sub)kulturen stellen einen bedeutsamen Teil der juvenilen Lebenswelt dar. Sie helfen Jugendlichen dabei, sich in einer stark ausdifferenzierten Gesellschaft zu orientieren, Werte und Normen zu erarbeiten, Ideale zu finden und somit den Prozess der Individuation und Integration erfolgreich zu bewältigen. Dass dazu Risikoverhalten quasi zwingend notwendig ist, scheint im wissenschaftlichen Mainstream anerkannt zu sein.1
Viele Ausdrucksformen dieser Jugendkulturen begegnen uns im Alltag in Form von Graffiti an den Wänden, szenetypischen Kleidungsstilen oder sich versammelnden Jugendgruppen an zentralen Plätzen. Hinter den oberflächlichen und von der Industrie gewinnbringend vermarkteten Produkten dieser Jugendkulturen stecken jedoch vielfältige Prozesse der Kommunikation und Distinktion sowie interne Veränderungstendenzen und Gegenbewegungen.
Als Vegan-Straight-Edge bezeichnet sich eine kleine und bislang in der Forschung wenig beachtete Gruppe Jugendlicher, die hauptsächlich in der Hardcoreszene verankert sind. Es werden zwei schon einzeln betrachtet extreme Lebensweisen miteinander vermischt. Straight-Edge beinhaltet sowohl die Ablehnung aller legalen und illegalen Drogen als auch promiskuitiven Verhaltens. Veganismus lehnt wiederum die Ausbeutung der nichtmenschlichen Tiere und somit jeglichen Konsum tierischer Produkte ab.
Nach Hurrelmann/Quenzel stellen die Auseinandersetzung mit dem Thema Drogen, das Austesten von Grenzen, das Finden einer eigenen Identität und die Aneignung einer politischen Position wichtige Entwicklungsaufgaben in der Lebensphase Jugend dar, bei deren Bewältigung die Gleichaltrigengruppe eine entscheidende Rolle spielt.2
Daraus ergeben sich für die Jugendkultur Vegan-Straight-Edge folgende Fragen: Wie kommt diese Verbindung zustande? Worin liegt der Anreiz einer solch abstinenten Lebensweise im Jugendalter? Welche Auswirkungen hat dies auf die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben?
Um diese Fragen zu beantworten, habe ich mich im Bearbeitungsverlauf für eine Zweiteilung der Arbeit entschieden. Im ersten Teil wird in einem Kapitel die Entwicklung und Ausformung der Straight-Edge-Bewegung beleuchtet. In einem weiteren Kapitel werde ich mich mit der Entstehung des Veganismus in der für die Vegan-Straight-Edge-Szene wichtigen Form beschäftigen. Der zweite Teil der Arbeit gliedert sich in eine Beschreibung der Durchführung von leitfadenorientierten Interviews und deren Analyse sowie in die Auswertung gewonnener Erkenntnisse aus teilnehmenden Beobachtungen szenerelevanter Events. Außerdem werde ich an verschiedenen Stellen Songtextauszüge in die Arbeit einfließen lassen, da die Kommunikation der szeneinternen Thematiken hauptsächlich über Musik vonstattengeht.
1 Vgl. Hurrelmann/Quenzel 2012, S. 187.
2 Vgl. ebd., S. 77–78.
Wie eingangs angesprochen, erfuhr die Jugendkultur Vegan-Straight-Edge in der Forschung bislang wenig Beachtung. Es gibt allerdings einige wenige Ausführungen zu dieser Gruppierung im Rahmen anderer Arbeiten. Diese stellen die Grundlagen meiner Ausarbeitung dar. Mit der Jugendkultur Hardcore beschäftigte sich auf wissenschaftlicher Ebene im deutschen Sprachraum vor allem Marc Calmbach mit seiner 2007 erschienenen Dissertation More than Music – Einblicke in die Jugendkultur Hardcore. Im Fokus dieser Studie steht der charakteristische Szeneaktivismus nach dem Prinzip des do it yourself. Martin Büsser zeichnete im Jahr 2000 die Entwicklungen im Punk und Hardcore in seinem Buch If the kids are united – von Punk zu Hardcore und zurück nach. Thomas Schwarz setzte sich in der Monographie Eine Einführung in Jugendkulturen – Veganismus und Tattoos (2005) mit seinem Beitrag „Veganismus und das Recht der Tiere“ mit dem Veganismus in Jugendkulturen auseinander. Dabei geht er auch auf die Vegan-Straight-Edge-Bewegung ein. Zum Phänomen Straight-Edge gibt es zwei amerikanische Publikationen, die sich mit dieser Subkultur beschäftigen. Zum einen ist Ross Haenflers Dissertation Straight Edge – Hardcore Punk, Clean Living Youth, and Social Change (2006) zu nennen und zum anderen Robert T. Woods Straightedge Youth – Complexity and Contradictions of a Subculture (2006). Beide setzen sich mit der historischen Entwicklung und den szeneinternen Ausdifferenzierungen auseinander, wobei sie auch die Vegan-Straight-Edge-Bewegung einbeziehen. Im deutschen Sprachraum beschäftigte sich Gabriel Kuhn in seinem Buch Straight Edge – Geschichte und Politik einer Bewegung (2010) mit eben diesen Themen, und Merle Mulder stellte 2009 in ihrer Diplomarbeit Straight Edge – Subkultur, Ideologie, Lebensstil? die Frage, was Straight Edge eigentlich sei. Bei beiden wird die Vegan-Straight-Edge-Bewegung kurz thematisiert. Zum Veganismus ganz allgemein ist vor allem Günther Stolzenbergs Publikation Weltwunder Vegetarismus – Lebensschutz, Ernährung zu nennen, welche die historische Entwicklung des Vegetarismus und Veganismus von der Antike an nachzeichnet. In seiner 2012 erschienenen Publikation Veganismus – Ein postmoderner Anarchismus bei Jugendlichen?, ebenfalls eine Dissertation, beschäftigt sich Bernd-Udo Rinas mit der Verbindung von Anarchismus und Veganismus bei Jugendlichen in der Postmoderne.
Für die folgenden Teile der Arbeit ist es unabdingbar, mit Begriffen zu arbeiten, die zum Teil aus umgangssprachlichen Kontexten bekannt sind. Naturgemäß werden diese häufig inflationär gebraucht und sind daher für eine wissenschaftliche Arbeit ohne klare Eingrenzungen nicht nutzbringend. Ebenso unterliegen fachspezifische Begriffe verschiedenen Modellen und somit verschiedener inhaltlicher Bedeutung. Es ist daher notwendig, die wesentlichen Arbeitsbegriffe vorab zu definieren. Weitere Begriffe, beispielsweise nur szeneintern genutzte oder anders als im Allgemeinen verstandene, werden aus Platzgründen gegebenenfalls in den Anmerkungen erläutert. Darüber hinaus soll in diesem Kapitel auf Grundlagen eingegangen werden, die zur Einordnung der Arbeit angeführt werden müssen.
Wie in der Einleitung deutlich wurde, geht es in der vorliegenden Arbeit um eine spezielle, bis jetzt wenig beachtete Jugendkultur. Demnach ist zuvor auf das der Arbeit zugrunde liegende Verständnis von Jugend und Jugendkultur einzugehen.
Durch die Verlängerung der Lebensdauer der Menschen hat sich im Zeitrahmen von drei Generationen die gesellschaftliche Struktur tiefgreifend verändert. Zu den beiden ursprünglichen Lebensphasen Kindheit und Erwachsenenalter treten seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts das Jugend- sowie das Seniorenalter. Seither haben sich diese neuen Lebensabschnitte auf Kosten der klassischen weiter ausgedehnt. „Das Erwachsenenalter verliert seine dominierende Rolle im Lebenslauf“3, so Hurrelmann/Quenzel, und der Lebensphase Jugend wird heute eine besondere Rolle im Entwicklungsprozess des Menschen zugeschrieben. Dabei „ist es nicht möglich, eine für alle Menschen verbindliche und fest erwartbare Reife- oder Altersschwelle“4 für den Übergangspunkt in das Erwachsenenalter festzulegen. In der Lebensphase Jugend kommt es zu entscheidenden psychobiologischen Veränderungen des Individuums. Darüber hinaus stellen sich besondere soziokulturelle Anforderungen an die Jugendlichen.5
„Die Jugend gibt es nicht.“6 Dieser viel zitierte Satz Erwin K. Scheuchs stellt klar, dass die vermeintliche Eindeutigkeit des Begriffs nicht zutrifft. Vielmehr müsste man von Jugend im Plural sprechen, also Jugenden. Daraus folgt eine Differenzierungsnotwendigkeit des Jugendbegriffs. Unter dem Begriff Jugend verstehen die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen jeweils etwas anderes. Das ist durchaus legitim, da sie jeweils andere Gesichtspunkte zum Untersuchungsgegenstand haben. Nach Albert Scherr ist Jugend aus soziologischer Sicht nicht ausreichend als ein biologisches oder psychologisches Entwicklungsstadium im Lebenslauf definiert. Jugendtypische Verhaltensweisen und Probleme werden im Kontext der gesellschaftlichen Gegebenheiten, Zwänge und Möglichkeiten betrachtet.7 Scherr führt dazu aus:
Jugend ist eine gesellschaftlich institutionalisierte und intern differenzierte Lebensphase, deren Abgrenzung und Ausprägung wesentlich durch soziale (sozialstrukturelle, ökonomische, politische, kulturelle, rechtliche, institutionelle) Bedingungen und Einflüsse bestimmt ist. Jugend ist keine homogene Lebenslage oder Sozialgruppe, sondern umfasst unterschiedliche, historisch veränderliche, sozial ungleiche und geschlechtsbezogen differenzierte Jugenden.8
Jugendkulturen haben sich infolge der modernen und postmodernen Veränderungen in den Sozialisationsstrukturen entwickelt. Sie sind, so Dieter Baacke, die „Konsequenz der unzureichend gewordenen Gesellschafts- und Erziehungskultur.“9
In dieser Arbeit werde ich mich an der These von Roland Hitzler orientieren:
Die These, die wir im weiteren vertreten wollen, lautet deshalb, dass in den selbstgewählten Erlebniswelten von Jugendlichen immer auch, wahrscheinlich sogar vor allem, Kultur-Werte, allerdings zumeist recht eigen-willige Kultur-Werte produziert werden, dass in diesen Kontexten also keineswegs nur Hedonismen gepflegt, sondern dass hier auch vielfältige, lebenspraktisch relevante Kompetenzen entwickelt, vermittelt und angeeignet werden.10
Jugendkultur wird unter diesem Blickwinkel also als eine wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste Sozialisationsinstanz angesehen.
Das Konzept der Entwicklungsaufgaben hat sich interdisziplinär durchgesetzt und beschreibt die Umsetzung von körperlichen, psychischen, sozialen und ökologischen Anforderungen in individuelle Verhaltensprogramme.11 Nach Hurrelmann/Quenzel werden vier zentrale Entwicklungsaufgaben unterschieden, von denen für die hier vorliegende Arbeit zwei besondere Relevanz besitzen. Zum einen ist es die der Partizipation: „Die Entwicklung eines individuellen Werte- und Normensystems und der Fähigkeit zur politischen Partizipation, um die gesellschaftliche Mitgliedsrolle des Bürgers zu übernehmen.“12 Und zum anderen ist es die des Konsumierens: „Die Entwicklung von sozialen Kontakten und Entlastungsstrategien und die Fähigkeit zum Umgang mit Wirtschafts-, Freizeit- und Medienangeboten, um die gesellschaftliche Mitgliedsrolle des Konsumenten zu übernehmen.“13 Diese Kompetenz schließt den gesamten Bereich der Genussmittel und Drogen explizit mit ein.14
Der hier verwendete Szenebegriff orientiert sich an dem von Hitzler, wie in dessen Publikation Leben in Szenen – Formen juveniler Vergemeinschaftung beschrieben. Dort wird eine Szene als ein im Prinzip globales Netzwerk angesehen, welches zum Teil starke regionale Färbungen aufweist und eine eher lockere Verbindung von Individuen darstellt, die gleiche oder sehr ähnliche Interessen miteinander teilen und ausleben.15
Der Begriff Subkultur stammt ursprünglich aus der US-amerikanischen Kriminologie. Dieser Zweig untersuchte Klassenstrukturen, Gruppenbildung jugendlicher Migrant_innen und Krimineller.16 Ganz generell unterstellt das Subkulturkonzept die Existenz einer Hauptkultur, was angesichts gesellschaftlicher Pluralisierungs- und Individualisierungstendenzen schwer haltbar ist. Dennoch findet man auch in der aktuellen Literatur zum hier bearbeiteten Thema diesen Begriff häufig. Er dient in diesem Zusammenhang der Abgrenzung von einer jeweils kontrastierten Hauptkultur und ist daher im Folgenden so zu verstehen.
Subkultur beschreibt in dieser Arbeit also eine von einer jeweils bestimmten Kultur abweichende Gemeinschaft von relativ stark miteinander verbunden Individuen, die ein eigenes Normen- und Wertesystem entwickelt haben und danach leben.
Der in dieser Arbeit verwendete Lebensstilbegriff orientiert sich an dem von Werner Georg beschriebenen. Mulder stellte in ihrer Diplomarbeit Straight Edge – Subkultur, Ideologie, Lebensstil verschiedenste Lebensstilbegriffe gegenüber und kam zu dem Schluss, dass das Lebensstilkonzept Georgs am ehesten zum Phänomen Straight-Edge passt. Dies führt Mulder auf zwei zentrale Annahmen Georgs zurück. Zum einen schließt sein Lebensstilkonzept die Jugend explizit mit ein, zum anderen wird das Vorhandensein von Wahlmöglichkeiten vorausgesetzt. Georg unterscheidet drei Ebenen und ihre Merkmale: Die erste Ebene betrifft die soziale Lage, also soziale Ressourcen und Restriktionen. Auf der zweiten Ebene liegen mentale Präferenzen, also Lebensziele, Wertorientierung und Einstellungen. Die dritte Ebene behandelt das ästhetisch-expressive Verhalten und schließt somit Kulturkonsum, Freizeit, Ernährungsgewohnheiten und auch den Kleidungsstil mit ein.17
In den hochentwickelten Gegenwartsgesellschaften verlangen es die posttraditionellen Strukturen und damit auch die Verlagerung der traditionellen Sozialisationsinstanzen vom Individuum, neue Wege im Prozess der Individuation und Integration zu beschreiten. Die westlichen Gesellschaften in der zweiten Moderne haben sich von den verfestigten Institutionen abgelöst und wurden zu mehr und mehr entgrenzten, flexiblen und dynamischen Gesellschaften, die neue Freiheiten, aber auch neue Risiken entwickelten.18 Das kann für das Individuum nicht ohne Folgen bleiben. Der hier verwendete Begriff der Individualisierung nimmt diese Entwicklungen auf und beschreibt die gesellschaftlichen Veränderungen bezüglich der Differenzierung, Liberalisierung und Globalisierung, welche an Einzelne wiederum enorme Ansprüche hinsichtlich höherer Kompetenzen, steigender Flexibilität und Mobilität stellen.19 Die Vegan-Straight-Edge-Bewegung kann einerseits als Nische, andererseits als wichtiger Ankerpunkt für die Jugendlichen dienen, die sich diesen Entwicklungen stellen müssen.
3 Hurrelmann/Quenzel 2012, S. 19.
4 Ebd., S. 31.
5 Vgl. Hurrelmann/Quenzel 2012, S. 31.
6 Scheuch 1975, S. 54.
7 Vgl. Scherr 2009, S. 17–19.
8 Ebd., S. 24f.
9 Baacke 1999, S. 127.
10 Hitzler/Pfadenhauer 2007, S. 53 (Hervorheb. i. Org.).
11 Vgl. Hurrelmann/Quenzel 2012, S. 27.
12 Hurrelmann/Quenzel 2012, S. 28.
13 Ebd.
14 Vg. ebd., S. 30.
15 Vgl. Hitzler 2010, S. 15–16.
16 Vgl. Korte/Schäfers 2010, S. 116.
17 Vgl. Georg (1998) nach Mulder 2010, S. 154–156.
18 Vgl. Litau 2011, S. 16–17.
19 Vgl. Hitzler 2010, S. 10–12; Scherr 2009, S. 36–37.
Straight-Edge als Lebensstil und die Hardcorebewegung waren von Beginn an eng miteinander verbunden und die Grenzen sind bis heute fließend. Da sich die Hardcorebewegung wiederum aus der Punkbewegung entwickelt hat, ist es notwendig, diese in angemessenem Umfang zu thematisieren. Durch die musikalische Auseinandersetzung mit den szenerelevanten Themen wird außerdem auf die Synthese einer veganen Lebensweise und Straight-Edge aus einer musikzentrierten Jugendkultur eingegangen.20
Straight-Edge hat sich in den 1980er Jahren innerhalb der Hardcorepunkszene in vielen Städten der USA als ein Gegenentwurf zu dieser etabliert. Um diesen Prozess und somit die Gründe derer Entstehung zu verstehen, muss zuerst die Entstehung der Hardcorebewegung skizziert werden.
Der Begriff Hardcore wird im Allgemeinen für eine Verschärfung eines dargestellten Sachverhalts benutzt. Ganz ähnlich trifft dies auch auf die hier vorgestellte Jugendkultur des Hardcorepunk zu. Hardcore hat sich als Musik und Szene aus und mit dem Punk entwickelt und hieß dementsprechend zu Beginn Hardcorepunk. Dabei sind, wenn auch nicht mehr im früheren Ausmaß, die Grenzen zwischen den beiden Szenen oft fließend. Die Szenegänger_innen sind nicht immer trennscharf zu unterscheiden und häufig nur durch das geschulte Auge zu erkennen. Musikalisch gesehen galt anfangs alles als Hardcore, was härter, schneller oder lauter war als der gewohnte Punksound.21 In diesem Zusammenhang kann man den Hardcorebegriff also als die Verschärfung verstehen. „