Vermischte Schriften - Heinrich Heine - E-Book

Vermischte Schriften E-Book

Heinrich Heine

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Beschreibung

Unter dem Titel "Vermischte Schriften" sind unterschiedliche Werke von Heinrich Heine zusammengefasst, die er noch in seinen letzten Lebensjahren schuf, bevor er 1856 nach langer Krankheit in Paris verstarb. Der Band enthält unter anderem verschiedene Gedichte, Zeitungsberichte und Erzählliteratur des bedeutenden deutschen Schriftstellers, Dichters und Journalisten, sowie Reflexionen des Autors zu seinem Leben. -

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Heinrich Heine

Vermischte Schriften

 

Saga

Vermischte Schriften

 

Coverbild/Illustration: Moritz_Daniel_Oppenheim_Portrait_Heinrich_Heine

Copyright © 1854, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726997811

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Einleitung zu »Kahldorf über den Adel, in Briefen an den Grafen M. von Moltke«

(1831)

Der gallische Hahn hat jetzt zum zweiten Male gekräht, und auch in Deutschland wird es Tag. In entlegene Klöster, Schlösser, Hansestädte und dergleichen letzte Schlupfwinkel des Mittelalters flüchten sich die unheimlichen Schatten und Gespenster, die Sonnenstrahlen blitzen, wir reiben uns die Augen, das holde Licht dringt uns ins Herz, das wache Leben umrauscht uns, wir sind erstaunt, wir befragen einander: – Was taten wir in der vergangenen Nacht?

Nun ja, wir träumten in unserer deutschen Weise, d. h., wir philosophierten. Zwar nicht über die Dinge, die uns zunächst betrafen oder zunächst passierten, sondern wir philosophierten über die Realität der Dinge an und für sich, über die letzten Gründe der Dinge und ähnliche metaphysische und transzendentale Träume, wobei uns der Mordspektakel der westlichen Nachbarschaft zuweilen recht störsam wurde, ja sogar recht verdrießlich, da nicht selten die französischen Flintenkugeln in unsere philosophischen Systeme hineinpfiffen und ganze Fetzen davon fortfegten.

Seltsam ist es, daß das praktische Treiben unserer Nachbarn jenseits des Rheins dennoch eine eigene Wahlverwandtschaft hatte mit unserem philosophischen Träumen im geruhsamen Deutschland. Man vergleiche nur die Geschichte der französischen Revolution mit der Geschichte der deutschen Philosophie, und man sollte glauben: die Franzosen, denen so viel' wirkliche Geschäfte oblagen, wobei sie durchaus wach bleiben mußten, hätten uns Deutsche ersucht, unterdessen für sie zu schlafen und zu träumen, und unsere deutsche Philosophie sei nichts anders als der Traum der französischen Revolution. So hatten wir den Bruch mit dem Bestehenden und der Überlieferung im Reiche des Gedankens, ebenso wie die Franzosen im Gebiete der Gesellschaft, um die Kritik der reinen Vernunft sammelten sich unsere philosophischen Jacobiner, die nichts gelten ließen, als was jener Kritik standhielt, Kant war unser Robespierre. – Nachher kam Fichte mit seinem Ich, der Napoleon der Philosophie, die höchste Liebe und der höchste Egoismus, die Alleinherrschaft des Gedankens, der souveräne Wille, der ein schnelles Universalreich improvisierte, das ebensoschnell wieder verschwand, der despotische, schauerlich einsame Idealismus. – Unter seinem konsequenten Tritte seufzten die geheimen Blumen, die von der Kantischen Guillotine noch verschont geblieben oder seitdem unbemerkt hervorgeblüht waren, die unterdrückten Erdgeister regten sich, der Boden zitterte, die Konterrevolution brach aus, und unter Schelling erhielt die Vergangenheit mit ihren traditionellen Interessen wieder Anerkenntnis, sogar Entschädigung, und in der neuen Restauration, in der Naturphilosophie, wirtschafteten wieder die grauen Emigranten, die gegen die Herrschaft der Vernunft und der Idee beständig intrigiert, der Mystizismus, der Pietismus, der Jesuitismus, die Legitimität, die Romantik, die Deutschtümelei, die Gemütlichkeit – bis Hegel, der Orleans der Philosophie, ein neues Regiment begründete oder vielmehr ordnete, ein elektrisches Regiment, worin er freilich selber wenig bedeutet, dem er aber an die Spitze gestellt ist, und worin er den alten Kantischen Jakobinern, den Fichte'schen Bonapartisten, den Schelling'schen Pairs und seinen eignen Kreaturen eine feste, verfassungsmäßige Stellung anweist.

In der Philosophie hätten wir also den großen Kreislauf glücklich beschlossen, und es ist natürlich, daß wir jetzt zur Politik übergehen. Werden wir hier dieselbe Methode beobachten? Werden wir mit dem System des Comité de salut publique, oder mit dem System des Ordre légal den Kursus eröffnen? Diese Fragen durchzittern alle Herzen, und wer etwas Liebes zu verlieren hat, und sei es auch nur den eigenen Kopf, flüstert bedenklich: Wird die deutsche Revolution eine trockene sein oder eine naßrote –?

Aristokraten und Pfaffen drohen beständig mit den Schreckbildern aus den Zeiten des Terrorismus, Liberale und Humanisten versprechen uns dagegen die schönen Szenen der großen Woche und ihrer friedlichen Nachfeier; – beide Parteien täuschen sich oder wollen andere täuschen. Denn nicht weil die französische Revolution in den neunziger Jahren so blutig und entsetzlich, vorigen Juli aber so menschlich und schonend war, läßt sich folgern, daß eine Revolution in Deutschland ebenso den einen oder den andern Charakter annehmen müsse. Nur wenn dieselben Bedingnisse vorhanden sind, lassen sich dieselben Erscheinungen erwarten. Der Charakter der französischen Revolution war aber zu jeder Zeit bedingt von dem moralischen Zustande des Volks, und besonders von seiner politischen Bildung. Vor dem ersten Ausbruch der Revolution, aber doch nur in den höheren Ständen und hie und da im Mittelstand; die unteren Klassen waren geistig verwahrlost, und durch den engherzigsten Despotismus von jedem edlen Emporstreben abgehalten. Was aber gar politische Bildung betrifft, so fehlte sie nicht nur jenen unteren, sondern auch den oberen Klassen. Man wußte damals nur von kleinlichen Manövers zwischen rivalisierenden Korporationen, von wechselseitigem Schwächungssysteme, von Traditionen der Routine, von doppeldeutigen Formelkünsten, von Maitresseneinfluß und dergleichen Staatsmisère. Montesquieu hatte nur eine verhältnismäßig geringe Anzahl Geister geweckt. Da er immer von einem historischen Standpunkte ausgeht, gewann er wenig Einfluß auf die Massen eines enthusiastischen Volks, das am empfänglichsten ist für Gedanken, die ursprünglich und frisch aus dem Herzen quellen, wie in den Schriften Rousseau's. Als aber dieser, der Hamlet von Frankreich, der den zürnenden Geist erblickt und die argen Gemüter der gekrönten Giftmischer, die gleißende Leerheit der Schranzen, die läppische Lüge der Hofetikette und die gemeinsame Fäulnis durchschaute und schmerzhaft ausrief: »Die Welt ist aus ihren Fugen getreten, weh' mir, daß ich sie wieder einrichten soll!« als Jean Jacques Rousseau halb mit verstelltem, halb mit wirklichem Verzweiflungswahnsinn seine große Klage und Anklage erhob; – als Voltaire, der Lucian des Christentums, den römischen Priestertrug und das darauf gebaute göttliche Recht des Despotismus zugrunde lächelte; – als Lafayette, der Held zweier Welten und zweier Jahrhunderte, mit den Argonauten der Freiheit aus Amerika zurückkehrte und die Idee einer freien Konstitution, das goldene Fließ, mitbrachte; – als Necker rechnete und Sieyès definierte und Mirabeau redete, und die Donner der konstituierenden Versammlung über die welke Monarchie und ihr blühendes Defizit dahinrollten, und neue ökonomische und staatsrechtliche Gedanken, wie plötzliche Blitze, emporschossen: – da mußten die Franzosen die große Wissenschaft der Freiheit, die Politik, erst erlernen, und die ersten Anfangsgründe kamen ihnen teuer zu stehen, und es kostete ihnen ihr bestes Blut.

Daß aber die Franzosen so teures Schulgeld bezahlen mußten, das war die Schuld jener blödsinnig lichtscheuen Despotie, die, wie gesagt, das Volk in geistiger Unmündigkeit zu erhalten gesucht, alle staatswissenschaftliche Belehrung hintertrieben, den Jesuiten und Obskuranten der Sorbonne die Bücherzensur übertragen, und gar die periodische Presse, das mächtigste Beförderungsmittel der Volksintelligenz, aufs lächerlichste unterdrückt hatte. Man lese nur in Mercier's Tableau de Paris den Artikel über die Zensur vor der Revolution, und man wundert sich nicht mehr über jene krasse politische Unwissenheit der Franzosen, die nachher zur Folge hatte, daß sie von den neuen politischen Ideen mehr geblendet als erleuchtet, mehr erhitzt als erwärmt wurden, daß sie jedem Pamphletisten und Journalisten aufs Wort glaubten, und daß sie von jedem Schwärmer, der sich selbst betrog, und jedem Intriganten, den Pitt besoldete, zu den ausschweifendsten Handlungen verleitet werden konnten. Da ist ja eben der Segen der Preßfreiheit, sie raubt der kühnen Sprache des Demagogen allen Zauber der Neuheit, das leidenschaftliche Wort neutralisiert sie durch eben so leidenschaftliche Gegenrede, und sie erstickt in der Geburt schon die Lügengerüchte, die, von Zufall oder Bosheit gesäet, so tödlich frech emporwuchern im Verborgenen, gleich jenen Giftpflanzen, die nur in dunklen Waldsümpfen und im Schatten alter Burg- und Kirchentrümmer gedeihen, im hellen Sonnenlichte aber elendig und jämmerlich verdorren. Freilich, das helle Sonnenlicht der Preßfreiheit ist für den Sklaven, der lieber im Dunkeln die allerhöchsten Fußtritte hinnimmt, ebenso fatal wie für den Despoten, der eine einsame Ohnmacht nicht gern beleuchtet sieht. Es ist wahr, daß die Zensur solchen Leuten sehr angenehm ist. Aber es ist nicht weniger wahr, daß die Zensur, indem sie einige Zeit dem Despotismus Vorschub leistet, ihn am Ende mitsamt dem Despoten zugrunde richtet, daß dort, wo die Ideenguillotine gewirtschaftet, auch bald die Menschenzensur eingeführt wird, daß derselbe Sklave, der die Gedanken hinrichtet, späterhin mit derselben Gelassenheit seinen eigenen Herrn ausstreicht aus dem Buche des Lebens.

Ach! diese Geisteshenker machen uns selbst zu Verbrechern, und der Schriftsteller, der wie eine Gebärerin während des Schreibens gar bedenklich aufgeregt ist, begeht in diesem Zustande sehr oft einen Gedankenkindermord, eben aus wahnsinniger Angst vor dem Richtschwerte des Zensors. Ich selbst unterdrücke in diesem Augenblick einige neugeborene unschuldige Betrachtungen über die Geduld und Seelenruhe, womit meine lieben Landsleute schon seit so vielen Jahren ein Geistermordgesetz ertragen, das Polignac in Frankreich nur zu promulgieren brauchte, um eine Revolution hervorzubringen. Ich spreche von den berühmten Ordonnanzen, deren bedenklichste eine strenge Zensur der Tagesblätter anordnete und alle edle Herzen in Paris mit Entsetzen erfüllte – die friedlichsten Bürger griffen zu den Waffen, man barrikadierte die Gassen, man focht, man stürmte, es donnerten die Kanonen, es heulten die Glocken, es pfiffen die bleiernen Nachtigallen, die junge Brut des toten Adlers, die École polytechnique, flatterte aus dem Neste mit Blitzen in den Krallen, alte Pelikane der Freiheit stürzten in die Bajonette und nährten mit ihrem Blute die Begeisterung der Jungen, zu Pferde stieg Lafayette, der Unvergleichliche, dessengleichen die Natur nicht mehr als einmal erschaffen könnte, und den sie deshalb in ihrer ökonomischen Weise für zwei Welten und für zwei Jahrhunderte zu benutzen sucht – und nach drei heldenmütigen Tagen lag die Knechtschaft zu Boden mit ihren roten Schergen und ihren weißen Lilien; und die heilige Dreifarbigkeit, umstrahlt von der Glorie des Sieges, wehte über dem Kirchturm Unserer lieben Frauen von Paris! Da geschahen keine Greuel, da gab's kein mutwilliges Morden, da erhob sich keine allerchristlichste Guillotine, da trieb man keine gräßlichen Späße, wie z. B. bei jener famosen Rückkehr von Versailles, als man, gleich Standarten, die blutigen Köpfe der Herren von Deshuttes und von Varicourt voraustrug und in Sèvres still hielt, um sie dort von einem Citoyen-Perruquier abwaschen und hübsch frisieren zu lassen. – Nein, seit jener Zeit, schaurigen Angedenkens, hatte die französische Presse das Volk von Paris für bessere Gefühle und minder blutige Witze empfänglich gemacht, sie hatte die Ignoranz ausgejätet aus den Herzen und Intelligenz hineingesäet, die Frucht eines solchen Samens war die edle, legendenartige Mäßigung und rührende Menschlichkeit des Pariser Volks in der großen Woche – und, in der Tat! wenn Polignac späterhin nicht auch physisch den Kopf verlor, so verdankt er es einzig und allein den milden Nachwirkungen derselben Preßfreiheit, die er törichterweise unterdrücken wollte.

So erquickt der Sandelbaum mit seinen lieblichsten Düften eben jenen Feind, der frevelhaft seine Rinde verletzt hat.

Ich glaube mit diesen flüchtigen Bemerkungen genugsam angedeutet zu haben, wie jede Frage über den Charakter, den die Revolution in Deutschland annehmen möchte, sich in eine Frage über den Zustand der Zivilisation und der politischen Bildung des deutschen Volks verwandeln muß, wie diese Bildung ganz abhängig ist von der Preßfreiheit, und wie es unser ängstlichster Wunsch sein muß, daß durch letztere bald recht viel Licht verbreitet werde, ehe die Stunde kommt, wo die Dunkelheit mehr Unheil stiftet als die Leidenschaft, und Ansichten und Meinungen, je weniger sie vorher erörtert und besprochen worden, um so grauenhaft stürmischer auf die blinde Menge wirken und von den Parteien als Losungsworte benutzt werden.

»Die bürgerliche Gleichheit« könnte jetzt in Deutschland, ebenso wie einst in Frankreich, das erste Losungswort der Revolution werden, und der Freund des Vaterlandes darf wohl keine Zeit versäumen, wenn er dazu beitragen will, daß die Streitfrage »über den Adel« durch eine ruhige Erörterung geschlichtet oder ausgeglichen werde, ehe sich ungefüge Disputanten einmischen mit allzuschlagenden Beweistümern, wogegen weder die Kettenschlüsse der Polizei, noch die schärfsten Argumente der Infanterie und Kavallerie, nicht einmal die Ultima ratio regis, die sich leicht in eine Ultimi ratio regis verwandeln könnte, etwas auszurichten vermöchten. In dieser trüben Hinsicht erdachte ich die Herausgabe gegenwärtiger Schrift für ein verdienstliches Werk. Ich glaube, der Ton der Mäßigung, der darin herrscht, entspricht dem angedeuteten Zwecke. Der Verfasser bekämpft mit indischer Geduld eine Broschüre, betitelt:

»Über den Adel und dessen Verhältnis zum Bürgerstande. Von dem Grafen M. v. Moltke, königl. dänischem Kammerherrn und Mitgliede des Obergerichts zu Gottorff. Hamburg, bei Perthes und Besser. 1830.«

Doch wie in dieser Broschüre, so ist auch in der Entgegnung das Thema keineswegs erschöpft, und die Hin- und Widerrede betrifft nur den allgemeinen, sozusagen dogmatischen Teil der Streitfrage. Der hochgeborene Kämpe sitzt auf seinem Tournierroß und behauptet keck die mittelalterliche Zote, daß durch adlige Zeugung ein besseres Blut entstehe als durch gemein bürgerliche Zeugung, er verteidigt die Geburtsprivilegien, das Vorzugsrecht bei einträglichen Hof-, Gesandtschafts- und Waffenämtern, womit man den Adligen dafür belohnen soll, daß er sich die große Mühe gegeben hat, geboren zu werden, und so weiter; – dagegen erhebt sich ein Streiter, der Stück vor Stück jene bestialischen und aberwitzigen Behauptungen und die übrigen noblen Ansichten herunterschlägt, und die Wahlstätte wird bedeckt mit den glänzenden Fetzen des Vorurteils und den Wappentrümmern altadliger Insolenz. Dieser bürgerliche Ritter kämpft gleichsam mit geschlossenem Visier, das Titelblatt dieser Schrift bezeichnet ihn nur mit erborgtem Namen, der vielleicht späterhin ein braver Nom de guerre wird. Ich weiß selbst wenig mehr von ihm zu sagen, als daß sein Vater ein Schwertfeger war und gute Klingen machte.

Daß ich selbst nicht der Verfasser dieser Schrift bin, sondern sie nur zum Druck befördere, brauche ich wohl nicht erst ausführlich zu beteuern. Ich hätte nimmermehr mit solcher Mäßigung die adeligen Prätensionen und Erblügen diskutieren können. Wie heftig wurde ich einst, als ein niedliches Gräfchen, mein bester Freund, während wir auf der Terrasse eines Schlosses spazieren gingen, die Besserblütigkeit des Adels zu beweisen suchte! Indem wir noch disputierten, beging sein Bedienter ein kleines Versehen, und der hochgeborene Herr schlug dem niedriggeborenen Knechte ins Gesicht, daß das unedle Blut hervorschoß, und stieß ihn noch obendrein die Terrasse hinab. Ich war damals zehn Jahr' jünger, und warf den edlen Grafen sogleich ebenfalls die Terrasse hinab – es war mein bester Freund, und er brach ein Bein. Als ich ihn nach seiner Genesung wiedersah – er hinkte nur noch ein bißchen – war er doch noch immer von seinem Adelsstolze nicht kuriert und behauptete frischweg: der Adel sei als Vermittler zwischen Volk und König eingesetzt, nach dem Beispiele Gottes, der zwischen sich und den Menschen die Engel gesetzt hat, die seinem Throne zunächst stehen, gleichsam ein Adel des Himmels. Holder Engel, antwortete ich, gehe mal einige Schritte auf und ab – Er tat es – und der Vergleich hinkte.

Ebenso hinkend ist ein Vergleich, den der Graf Moltke in derselben Beziehung mitteilt. Um seine Weise durch ein Beispiel zu zeigen, will ich seine eignen Worte hersetzen: »Der Versuch, den Adel aufzuheben, in welchem sich die flüchtige Achtung zu einer dauernden Gestalt verkörpert, würde den Menschen isolieren, würde ihn auf eine unsichere Höhe erheben, der es an den nötigen Bindungsmitteln an die untergeordnete Menge fehlt, würde ihn mit Werkzeugen seiner Willkür umgeben, wodurch, wie sich dieses im Oriente so oft gezeigt, die Existenz des Herrschers in eine gefahrvolle Lage gerät. Burke nennt den Adel das korinthische Kapital wohlgeordneter Staaten, und daß hierin nicht bloß eine rednerische Figur zu suchen, dafür bürgt der erhabene Geist dieses außerordentlichen Mannes, dessen ganzes Leben dem Dienste einer vernünftigen Freiheit gewidmet war.«

Durch dasselbe Beispiel ließe sich zeigen, wie der edle Graf durch Halbkenntnisse getäuscht wird. Burken nämlich gebührt keineswegs das Lob, das er ihm spendet; denn ihm fehlt jene Consistency, welche die Engländer für die erste Tugend eines Staatsmannes halten. Burke besaß nur rhetorische Talente, womit er in der zweiten Hälfte seines Lebens die liberalen Grundsätze bekämpfte, denen er in der ersten Hälfte gehuldigt hatte. Ob er durch diesen Gesinnungswechsel die Gunst der Großen erkriechen wolle, ob Sheridan's liberale Triumphe in St. Stephan aus Depit und Eifersucht ihn bestimmten, als dessen Gegner jene mittelalterliche Vergangenheit zu verfechten, die ein ergiebigeres Feld für romantische Schilderungen und rednerische Figuren darbot, ob er ein Schurke oder ein Narr war, das weiß ich nicht. Aber ich glaube, daß es immer verdächtig ist, wenn man zu Gunsten der regierenden Gewalt seine Ansichten wechselt, und daß man dann immer ein schlechter Gewährsmann bleibt. Ein Mann, der nicht in diesem Falle ist, sagt einst: »Die Adligen sind nicht die Stützen, sondern die Karyatiden des Thrones.« Ich denke, dieser Vergleich ist richtiger als der von dem Kapitel einer korinthischen Säule. Überhaupt, wir wollen letzteren so viel als möglich abweisen; es könnten sonst einige wohlbekannte Kapitalisten den kapitalen Einfall bekommen, sich anstatt des Adels als korinthisches Kapital der Staatssäulen zu erheben. Und das wäre gar der allerwiderwärtigste Anblick.

Doch ich berühre hier einen Punkt, der erst in einer späteren Schrift beleuchtet werden soll; der besondere, praktische Teil der Streitfrage über den Adel mag alsdann ebenfalls seine gehörige Erörterung finden. Denn, wie ich schon oben angedeutet, gegenwärtige Schrift befaßt sich nur mit dem Grundsätzlichen, sie bestreitet Rechtsansprüche, und sie zeigt mir, wie der Adel im Widerspruch ist mit der Vernunft, der Zeit und mit sich selbst. Der besondere praktische Teil betrifft aber jene siegreichen Anmaßungen und faktischen Usurpationen des Adels, wodurch er das Heil der Völker so sehr bedroht und täglich mehr und mehr untergräbt. Ja, es scheint mir, als glaube der Adel selbst nicht an seine eignen Prätensionen, und schwatze sie bloß hin als Köder für bürgerliche Polemik, die sich damit beschäftigen möge, damit ihre Aufmerksamkeit und Kraft abgeleitet werde von der Hauptsache. Diese besteht nicht in der Institution des Adels als solchen, nicht in bestimmten Privilegien, nicht in Fron-, Handdienst-, Gerichts- und anderen Gerechtigkeiten und allerlei herkömmlichen Realbefreiungen; die Hauptsache besteht vielmehr in dem unsichtbaren Bündnisse aller derjenigen, die soundsoviel' Ahnen aufzuweisen haben, und die stillschweigend die Übereinkunft getroffen haben, sich aller leitenden Macht der Staaten zu bemächtigen, indem sie, gemeinschaftlich die bürgerlichen Rotüriers zurückdrängend, fast alle höhere Offizierstellen und durchaus alle Gesandtschaftsposten an sich bringen. Solchermaßen können sie die Völker durch ihre untergebenen Soldaten in Respekt halten und durch diplomatische Verhetzungskünste zwingen, gegen einander zu fechten, wenn sie die Fessel der Aristokratie abschütteln oder zu diesem Zwecke fraternisierend sich verbünden möchten.

Seit dem Beginn der französischen Revolution steht solcherweise der Adel auf Kriegsfuß gegen die Völker, und kämpfte öffentlich oder geheim gegen das Prinzip der Freiheit und Gleichheit und dessen Vertreter, die Franzosen. Der englische Adel, der durch Rechte und Besitztümer der mächtigste war, wurde Bannerführer der europäischen Aristokratie, und John Bull bezahlte dieses Ehrenamt mit seinen besten Guineen und siegte sich bankerott. Während des Friedens, der nach jenem kläglichen Sieg erfolgte, führte Östreich das noble Banner, und besorgte die Adelsinteressen, und auf jedem feigen Verträglein, das gegen den Liberalismus geschlossen wurde, prangt obenan der wohlbekannte Siegellack, und, wie ihr unglücklicher Anführer, wurden auch die Völker selber in strengem Gewahrsam gehalten, ganz Europa wurde ein Sankt Helena und Metternich war dessen Hudson Lowe. Aber nur an dem sterblichen Leib der Revolution konnte man sich rächen, nur jene menschgewordene Revolution, die mit Stiefel und Sporen und bespritzt mit Schlachtfeldblut zu einer kaiserlichen Blondine ins Bett gestiegen und die weißen Laken von Habsburg befleckt hatte, nur jene Revolution konnte man an einem Magenkrebse sterben lassen; der Geist der Revolution ist jedoch unsterblich und liegt nicht unter den Trauerweiden von Longwood, und in dem großen Wochenbette des Ende Juli wurde die Revolution wiedergeboren, nicht als einzelner Mensch, sondern als ganzes Volk, und in dieser Volkwerdung spottet sie des Kerkermeisters, der vor Schrecken das Schlüsselbund aus den Händen fallen läßt. Welche Verlegenheit für den Adel! Er hat sich freilich in der langen Friedenszeit etwas erholt von den früheren Anstrengungen, und er hat seitdem als stärkende Kur täglich Eselsmilch getrunken, und zwar von der Eselin des Papstes; doch fehlt es ihm immer noch an hinlänglichen Kräften zu einem neuen Kampfe. Der englische Bull kann jetzt am wenigsten den Feinden die Spitze bieten, wie früherhin; denn der ist am meisten erschöpft, und durch das beständige Ministerwechselfieber fühlt er sich matt in allen Gliedern, und es ist ihm eine Radikalkur, wo nicht gar die Hungerkur, verordnet, und das infizierte Irland soll ihm noch obendrein amputiert werden. Östreich fühlt sich ebenfalls nicht heroisch aufgelegt, den Agamemnon des Adels gegen Frankreich zu spielen; Staberle zieht nicht gern die Kriegsuniform an und weiß sehr gut, daß seine Parapluies nicht gegen Kugelregen schützen, und dabei schrecken ihn auch jetzt die Ungarn mit ihren grimmigen Schnurrbärten, und in Italien muß er vor jedem enthusiastischen Zitronenbaum eine Schildwache stellen, und zu Hause muß er Erzherzoginnen zeugen, um im Notfall das Ungetüm der Revolution damit abzuspeisen – »Das bringt ein Viech um«, sagte Staberle.