Versehentlich verlobt - Mary Carter - E-Book
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Mary Carter

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Beschreibung

Gibt es etwas Verrückteres als die Liebe? Die schwungvolle Romance-Komödie »Versehentlich verlobt« von Mary Carter jetzt als eBook bei dotbooks. Eigentlich ist Clair eine gute Wahrsagerin – nur bei ihrer eigenen Zukunft liegt sie stets daneben: Sonst hätte sie der jungen Frau, die wegen ihrer Verlobung kalte Füße hat, sicher nicht dazu geraten, das Weite zu suchen. Aber so sitzt Clair plötzlich mit dem funkelnden Diamantring da … und der Visitenkarte des Mannes, dessen Eheglück sie soeben verhindert hat! Was tun? Clair beschließt, den Ring zurückzubringen. So landet sie auf dem mondänen Landsitz einer vermögenden Familie, wo die Vorbereitungen für die große Verlobungsparty auf Hochtouren laufen. Natürlich wäre es ein Skandal, müsste man den Gästen aus aller Welt nun die Wahrheit sagen! Bevor sie weiß, wie ihr geschieht, lässt Clair sich überreden, für kurze Zeit die Rolle der Braut zu spielen – und damit geht das Chaos erst richtig los … Ein potenzieller Ehemann, ein attraktiver Trauzeuge und eine sympathische Chaotin am Rande des Nervenzusammenbruchs: »Als würde man eine richtig gute Sitcom sehen – und spannend ist es noch dazu!« Publishers Weekly Jetzt als eBook kaufen und genießen: der humorvolle und rasant erzählte Liebesroman »Versehentlich verlobt« von Mary Carter. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 495

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Über dieses Buch:

Eigentlich ist Clair eine gute Wahrsagerin – nur bei ihrer eigenen Zukunft liegt sie stets daneben: Sonst hätte sie der jungen Frau, die wegen ihrer Verlobung kalte Füße hat, sicher nicht dazu geraten, das Weite zu suchen. Aber so sitzt Clair plötzlich mit dem funkelnden Diamantring da … und der Visitenkarte des Mannes, dessen Eheglück sie soeben verhindert hat! Was tun? Clair beschließt, den Ring zurückzubringen. So landet sie auf dem mondänen Landsitz einer vermögenden Familie, wo die Vorbereitungen für die große Verlobungsparty auf Hochtouren laufen. Natürlich wäre es ein Skandal, müsste man den Gästen aus aller Welt nun die Wahrheit sagen! Bevor sie weiß, wie ihr geschieht, lässt Clair sich überreden, für kurze Zeit die Rolle der Braut zu spielen – und damit geht das Chaos erst richtig los …

Über die Autorin:

Die amerikanische Romance-Autorin Mary Carter lebt in Chicago, wo sie entweder gerade an einem neuen, turbulenten Liebesroman schreibt oder ihr Wissen über gute Stories und starke Charaktere in Schreibkursen vermittelt.

Die Autorin im Internet: www.marycarterbooks.com

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eBook-Neuausgabe Juli 2019

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel Accidentally Enganged bei Kensington Books, New York

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2007 by Mary Carter. Published by Arrangement with Kensington Publishing, Corp., New York, NY 10018 USA.

Copyright © der deutschen Ausgabe 2009 bei Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Copyright © eBook-Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock/Eva Orlova und shutterstock/Mark S Johnson

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-791-2

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Mary Carter

Versehentlich verlobt

Roman

Aus dem Englischen von Nicole Friedrich

dotbooks.

Prolog

Die Geschichte nahm an jenem verhängnisvollen Abend ihren Lauf, als ich die erste Karte aufdeckte. Ich hatte mich für die Große Arkana entschieden. Es war ... der Narr.

Der grinsende Narr. Der Klassenclown. Jemand, der trotz Algenpest Austern isst. Jemand, der seinen Wagen tieferlegen lässt, obwohl er die kleinste aller kleinen Kisten fährt.

Bei den meisten Tarotkarten-Sets steht der Narr am Rande einer Klippe und achtet nicht darauf, was er tut. Er hängt seinen Tagträumen nach, starrt gedankenverloren in den Himmel oder geht im Geiste seine Einkaufsliste noch einmal durch, ohne zu merken, dass er Gefahr läuft, in den Tod zu stürzen.

Dabei war er ausreichend vorgewarnt.

Würde ein stinknormaler Mensch gemütlich einen Waldweg entlangschlendern und ohne eigenes Verschulden in die Tiefe stürzen und den Tod finden, wäre die allgemeine Trauer groß.

Vollkommen anders läge der Fall jedoch, wenn es genügend Warnhinweise gegeben hätte.

Wenn ihm sämtliche Waldbewohner entgegengelaufen wären, wenn eine Totenstille über dem Wald geschwebt hätte und er an einer überdimensionalen Leuchttafel mit dem Hinweis Achtung! Dieser Weg endet an einer einsturzgefährdeten Klippe vorbeigekommen wäre.

Aus und vorbei wäre es mit unserem Mitleid gewesen. Nicht umsonst heißt es: »Wer nicht hören will, muss fühlen.«

Zu meiner Entschuldigung (jeder Narr kann eine aus dem Ärmel zaubern) muss ich jedoch hinzufügen, dass ich felsenfest davon überzeugt war, die Karten nicht für mich selbst zu legen. Erst jetzt, da ich am Rande der besagten Klippe stehe und mich nur noch ein Schritt von dem tödlichen Sturz trennt, sehe ich so klar wie nie zuvor in meinem Leben.

Kapitel 1

Tägliches Horoskop – Fische: Heute wird Ihre Herzensgüte auf eine harte Probegestellt. Zeigen Sie Rückgrat, Fischefrau. In einer Hängematte findet man Ruhe, in einer Fußmatte nichts als Dreck ...

»Clair, bitte, tu mir den Gefallen. Nur dieses eine Mal. Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte.«

Wie zum Schutz zog ich die grüne Perlenhandtasche, in der meine Tarotkarten friedlich in ihrer Schatulle schlummerten, dichter zu mir. Wenn man es genau nahm, befand ich mich seit fünf Minuten im Urlaub.

»Warum machst du es nicht selbst?«, sagte ich, darum bemüht, möglichst gelassen und abgeklärt zu klingen. Dabei hätte ich nicht schlecht Lust, wie eine bockige Vierjährige den Aufstand zu proben und zu brüllen: »Ich will nach Hause, ich will nach Hause, ich will nach Hause.«

»Weil ich die Kundin kenne. Ich ... wir sind mal miteinander ausgegangen. Ich wollte ... sie ist ... das erklär ich dir ein anderes Mal, einverstanden?«, stammelte mein Freund und Kollege Brian und sah sich wie ein gehetztes Kaninchen um. Dann senkte er die Stimme und fügte mit einem rauen Flüstern hinzu: »Sie steht da drüben. Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte.«

Ich warf ihm einen Blick zu, als wäre ich eine Eidechse, die nur noch auf den richtigen Augenblick wartete, die lange rote Zunge hervorschnellen zu lassen, um ihre Beute in dem tödlichen Speichel zu ertränken. Das heißt, in gewisser Weise hatte ich Verständnis für ihn, schließlich ist es keine leichte Aufgabe, jemandem die Karten zu legen, den man näher kennt. Wie oft lagen mir Familie und Freunde in den Ohren, ich solle ihnen – natürlich unentgeltlich – die Karten legen, etwas, das ich äußerst ungern tue. Ich habe immer die Befürchtung, mein aktives Wissen über sie könnte das Ergebnis beeinflussen, ohne dass ich es merke.

Wie damals, als ich neun war und mein Bruder sich das Bein bei einem Motorradunfall brach. Die Karten sprachen von einer Phase der Ruhe und der Selbstprüfung, die vor ihm lag. Statt jedoch meine hellseherischen Fähigkeiten zu würdigen, hatte mein Bruder mich angestarrt, als wäre ich ein Happy Meal ohne Pommes und Gimmick. »Klasse, Clair. Mann, bist du talentiert. Gebrochenes Bein, Zeit der Ruhe. Was für eine Erkenntnis. Wenn du dich schon für die geborene Wahrsagerin hältst, warum hast du dann nicht einfach den Unfall vorhergesagt?«, zog er mich auf, während ich ihn sprachlos angaffte. »Wieso hast du dann nicht verhindert, dass ich mir das Scheißbein breche, du durchgeknallte Göre?«

Es ist schon eigenartig, was das Leben alles so für einen bereithält. Als ich ihm mit zwölf voraussagte, er werde bald sein linkes Auge verlieren, was aber nicht eintrat, machte er mich da zur Schnecke, weil ich komplett danebengelegen hatte? Nein, natürlich nicht.

»Komm schon, Clair. Springst du jetzt für mich ein oder nicht?«, riss der winselnde Brian mich aus den Erinnerungen. Im Grunde war uns beiden klar, dass ich früher oder später nachgeben würde. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Ich habe eben von Natur aus ein weiches Herz. Eine Eigenschaft, die meine drei Ex-Männer bestimmt bestätigen würden. Gegen den Anblick eines flehenden Mannes bin ich eben machtlos. Okay, Brian hatte gewonnen. Das hieß allerdings noch lange nicht, dass ich ihm diesen Gefallen ohne Gegenleistung tun würde.

»Angenommen, ich mache es – was aber noch lange nicht raus ist –, was bekomme ich dann im Gegenzug von dir?«, fragte ich ihn und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.

Mit einem Seufzer verschränkte Brian die Arme vor der Brust und versuchte, meinen Blick zu imitieren, während ich mein verzerrtes Spiegelbild in dem Löffel betrachtete, den er seit anderthalb Jahren um den Hals trug. Obwohl sein Adamsapfel bereits einen Grünstich hatte, weigerte Brian sich standhaft, ihn abzulegen. Es war sein erklärtes Ziel, den Löffel mit der puren Kraft seiner Gedanken so zu verbiegen, dass ein Knoten entstand. »Knöpf ihr einfach das Doppelte ab«, antwortete er und machte eine hektische Kopfbewegung Richtung Zelt. »Sie ist eine wandelnde Gucci-, Prada- und Chanel-Boutique.«

»Nein, das verstößt gegen meinen Ehrenkodex. Das würde ich selbst dann nicht tun, wenn sie mit Goldbarren behängt wäre«, entgegnete ich.

Brian seufzte abermals und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Trotz seiner stattlichen Größe gehörte er nicht zu den Männern, die man klassischerweise als attraktiv bezeichnet. Irgendwie verströmte er etwas Elfenhaftes. Sein gelocktes blondes Haar sah aus, als hätte er in eine Steckdose gefasst, seine Ohren erinnerten an Mr Spock, und seine Nase war stets leicht gerötet. Dem standen seine geheimnisvoll leuchtenden grünen Augen entgegen und seine charismatische Aura, der schon so manche Frau erlegen war. Vielleicht hatte sich jedoch auch nur herumgesprochen, dass die Natur ihn reich beschenkt hatte. Zumindest behauptete das meine Freundin Karen, die sich letztes Jahr in angetrunkenem Zustand nach meiner Geburtstagsfeier mit ihm im Treppenhaus vergnügt hatte.

»Du bist ein Schatz. Ehrlich. Zum Dank arrangier ich ein Date mit meinem Freund Scott für dich.«

»Brian!«, warnte ich ihn. Er wusste genau, dass ich kein gesteigertes Interesse daran hatte, mit Scott, John, Jeff, T-Bone, oder wie auch immer seine Freunde hießen, auszugehen. Als rehabilitierte Liebessüchtige stand ich dem Singlemarkt offiziell nicht mehr zur Verfügung.

»Okay, beruhig dich wieder. Wenn du mir aus der Patsche hilfst, verspreche ich dir, morgen mit dir den Stand zu tauschen.«

Wir befanden uns auf der Chicagoer Parapsychologischen Messe, die in der Turnhalle des Zentrums für Heilkünste stattfand, wo sich alles um Wahrsagerei, Akupunktur, Massage, Heilkräuter, Yoga und Müsli drehte. Ich hatte leider das Glück, den Stand direkt neben einem fanatischen Veganer erwischt zu haben, der sämtliche Wände seines Stands mit Fotos von blutigen Tierkadavern gepflastert hatte, was potenzielle Kunden zielsicher vergraulte.

Brian hatte es deutlich besser getroffen. Er durfte sich gegenüber einem Stand präsentieren, der handgemachtes, zartschmelzendes Nougat verkaufte. Mit anderen Worten: Er konnte sich vor Kundschaft kaum retten.

Ich wusste sein Angebot zu schätzen, dennoch musste ich es ausschlagen. »Morgen bin ich gar nicht mehr hier«, erklärte ich ihm.

»Was soll das heißen, du bist nicht hier?«

»Ich trete meine Pilgerreise an«, sagte ich mit stolzgeschwellter Brust. Seit nunmehr drei Jahren, genau genommen seit meiner letzten Scheidung, setze ich mich einmal im Jahr ins Auto und lasse mich von der Straße und dem Schicksal treiben, um den Kopf freizubekommen. Meine Pilgerfahrt, wie ich sie liebevoll nenne, war mir mit das Wichtigste auf der Welt und meine Vorfreude immer riesig. Vor allem dieses Mal.

»Wer wird dich vertreten?«, wollte Brian wissen, dessen Stimme plötzlich hoch und brüchig klang, so als befände er sich im Stimmbruch. Dann begann er, an seinem Löffel zu nesteln. »Jetzt sag bloß nicht Dame Diaphannie. Du weißt genau, dass ich mit Doppel-D nicht arbeiten kann.«

In dem Wissen, dass mich nun eine von Brians berühmt-berüchtigten Hasstiraden über Dame Diaphannie erwartete, ließ ich die Hand in meine Tasche gleiten und berührte den vergoldeten Umschlag, den ich seit einer geschlagenen Woche wie eine tickende Zeitbombe mit mir herumtrug. Ed, mein dritter Ex – derjenige, der für immer sein sollte –,heiratete wieder, und Alexis, seine fünfundzwanzigjährige Ballerina-Braut, hatte es sich nicht nehmen lassen, mich zur Hochzeit einzuladen. Wenn ich in der Stadt blieb, lief ich Gefahr, dort tatsächlich aufzukreuzen und im Rahmen eines Toasts herauszuposaunen, dass Ed eigentlich mir die ewige Liebe geschworen hatte. Und wie er an einem verregneten Freitagnachmittag in seiner Arbeitskleidung auf unserer Veranda gestanden und mir erklärt hatte, dass er seine Freiheit zurückbrauche. Dass er wirklich alles versucht habe, mich zu lieben, wie ich es verdient hatte, aber dass er nun mal nicht für die Ehe gemacht sei. Und dass er von ganzem Herzen hoffe, ich könne ihm irgendwann verzeihen.

Oh ja, ich brauchte diese Pilgerfahrt. Mehr denn je. Meine geistige Gesundheit stand auf dem Spiel.

»Diese dämliche Kuh mischt sich immer in meine Deutungen ein und korrigiert mich«, schimpfte Brian noch immer wie ein Rohrspatz.

»Ich weiß ...«

»Das letzte Mal hat sie doch tatsächlich über den Vorhang hinweggebrüllt: Glauben Sie ihm kein Wort, Schätzchen. Er treibt es nämlich mit Ihrer Schwester!«

»Sie weiß manchmal eben nicht, was sie tut«, sagte ich, während vor meinem geistigen Auge Bilder von farbenprächtigen Turbanen, selbstklebenden Rubinimitaten und brennenden Sandelholzräucherstäbchen vorbeizogen. Dame Diaphannie war bekannt dafür, dass sie kein Blatt vor den Mund nahm, gerne fluchte, täglich zwei Packungen Zigarillos rauchte und während ihrer Sitzungen die Augen so heftig verdrehte, dass die Kunden Angst hatten, sie könnte jeden Moment einen Schlaganfall erleiden.

Ehe ich wusste, was ich tat, zog ich die Einladung aus der Tasche und wedelte damit vor Brians Gesicht herum. »Habe ich schon erwähnt, dass Ed wieder heiratet?«

»Ungefähr siebzehn Mal«, antwortete er und sah besorgt zu seinem Stand hinüber.

Entsetzt über sein ausbleibendes Mitleid, blies ich im Geiste schwarzen Rauch auf seine Aura – wie ein manisch-depressives Zimmermädchen, das Staub auf den Möbeln verteilt, statt ihn wegzuwischen.

»Leg ihr die Karten, Clair. Ich weiß doch, wie dringend du das Geld gebrauchen kannst.«

Jetzt hatte er mich. Mit einem dumpfen Gefühl in der Magengrube dachte ich an den Stapel Mahnungen, der täglich wuchs. »Na gut«, gab ich mich geschlagen und ließ die Tasche mit einem satten Geräusch auf den Tisch meines Standes plumpsen. »Dann wollen wir es mal schnell hinter uns bringen.«

Ich war gerade dabei, die Karten zutage zu befördern, als Brian mir die Hände auf die Schultern legte und mich zu sich umdrehte. »Äh ... Clair?«

»Ja?«, antwortete ich, leicht erschrocken über den plötzlichen Ernst in seiner Stimme.

»Rachel ist ... nun ... sie ist eher der sensible Typ. Sie ist ... leicht erregbar,um es mit deinen Worten zu sagen.«

»Ich werde es schon überleben«, erwiderte ich.

»Versteh mich jetzt bitte nicht falsch, aber meine Sorge gilt ausnahmsweise nicht dir. Sondern ihr. Sie ist so extrem ... erregbar.«

»Leicht erregbar, extrem erregbar. Ich hab's kapiert, Brian. Keine Sperenzchen, ich lege ihr nur schnell die Karten. Aye, aye, Sir.«

»Das ist meine Clair. Trotzdem, sei vorsichtig, ja?«

»Darauf kannst du wetten«, sagte ich.

Clair, die Anführerin der Narrengemeinde.

Kapitel 2

Tägliches Horoskop – Fische: Kopf hoch, es kommt noch schlimmer.

Mein erster Eindruck von Rachel Morgan besagte, dass sie große Schmerzen litt. Sie erinnerte mich an einen Pudel, der gerade gebadet worden war und nun sein Herrchen mit großen Augen und wedelndem Schwänzchen anflehte, er möge ihn in ein wärmendes Handtuch wickeln. Ließ man ihre leidvolle Miene jedoch außer Acht, war sie eine umwerfend schöne Frau und sah aus, als käme sie gerade vom Haar-Stylisten, der ihr blondes Haar zu einem perfekten Bob geföhnt hatte. Ihre Augen waren blauer als die Ägäis, und ihr sanft gebräunter Körper ließ vermuten, dass sie einen persönlichen Yoga-Trainer engagiert hatte, während ich mich wie eine vollschlanke Zigeunerin fühlte. Die passenden hellbraunen Korkenzieherlocken, grünen Augen und den leicht olivfarbenen Teint hatte ich ja.

Im Gegensatz zu mir war Rachel Morgan eine Superbarbie. Aber das war noch nicht alles, sie versprühte außerdem etwas höchst Liebenswürdiges. Obwohl ich sie nicht kannte, verspürte ich das Bedürfnis, ihre Hand zu nehmen, ihre beste Freundin zu werden und ihr zu sagen, dass alles gut werden würde.

Komplett anders lag der Fall bei Rachels Begleiterin Susan. Ihre Aura war so dunkel wie ihr Haar, und sie funkelte mich an, als hätte sie ein rostiges Taschenmesser in der Hand, mit dem sie mich jeden Moment abstechen wollte. Wenn Rachel ein begossener Pudel war, dann hatte Susan Ähnlichkeit mit einem Dobermann, der seit Tagen nichts zwischen die Fangzähne bekommen hatte.

»Bitte setzen Sie sich«, sagte ich betont freundlich und deutete auf die beiden Stühle auf der anderen Seite des Tisches. Susan und Rachel nahmen Platz und gafften erst die Karten an, die ich in der Zwischenzeit mit dem Gesicht nach unten auf den gelben Schal meiner Großmutter gelegt hatte, und dann mich, als wäre ich ein exotisches Tier. Um meine geheimnisvolle Aura nicht zu zerstören, unterdrückte ich das Kichern, das in mir aufstieg.

Ein Tarotkarten-Set besteht aus siebenundachtzig Karten, die in die Große und die Kleine Arkana unterteilt sind. »Arkana« stammt von dem lateinischen Wort »arcanus«, das so viel wie geschlossen oder geheim bedeutet. Die Trumpfkarten, auch »Große Arkana« genannt, setzen sich aus zweiundzwanzig durchnummerierten Karten zusammen. Jede von ihnen trägt ein Bild, das ein Verhalten, eine Handlung oder ein mögliches zukünftiges Geschehen zeigt. Die einzige unnummerierte Karte ist Der Narr – er trägt die Null.

Die »Kleine Arkana« hingegen besteht aus sechsundfünfzig Karten, unterteilt in vier Farben mit je vierzehn Karten: Schwerter, Kelche, Münzen und Stäbe. Das sind jedoch nur die Eckdaten, denn es gibt Hunderte von Kartendecks, und professionelle Kartenleger schaffen sich im Laufe der Zeit eine wahre Vielfalt von Ausführungen an.

Da mir Rachel auf Anhieb sympathisch war, entschied ich spontan, meine Lieblingskarten zu befragen, das Set, das ich von meiner Großmutter geerbt hatte und das ich zu Rate zog, wenn ich selbst mal einen Rat benötigte.

Wie zwei verängstigte Labormäuse saßen Rachel und Susan vor mir und sahen mir dabei zu, wie ich die Karten ausbreitete.

»Wenn ich richtig informiert bin, soll ich Ihnen die Karten legen«, sagte ich an Rachel gewandt.

Die junge Frau nickte wortlos, was ich sehr begrüßte. Es gibt nämlich nichts Schlimmeres als eine Plaudertasche als Kundin. Ich mischte die Karten und bat Rachel, sie von links nach rechts in drei Stapel zu teilen. Ihre Hände zitterten, als sie meiner Bitte nachkam. Dann forderte ich sie auf, die Stapel aufeinanderzulegen, wieder von links nach rechts. Gerade als ich nach der obersten Karte greifen wollte, schoss Susans Hand nach vorne. »Moment. Ich muss Sie erst noch bezahlen. Wir hatten doch ausgemacht, dass ich zahle, nicht wahr?«

Ich wollte ihr gerade erklären, dass wir den finanziellen Teil auch später erledigen konnten, als sie aufstand, um den Tisch lief und mich in die hintere Ecke des Zeltes zog.

»Da gibt es etwas, das Sie unbedingt wissen sollten«, sagte sie mit gesenkter Stimme.

Ich warf einen Blick auf Rachel, die den überdimensionalen Diamantring an ihrem Ringfinger musterte. »Sie steht kurz vor der Hochzeit und hat kalte Füße bekommen«, sagte ich. Für gewöhnlich bediene ich mich nicht solch billiger Tricks, aber ich wollte die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen. Dafür gab es eine Menge Gründe, angefangen damit, dass mein Blutzuckerspiegel im Keller war, ich mir nichts sehnlicher wünschte, als nach Hause zu fahren, um die letzten Vorbereitungen für meine Pilgerfahrt zu treffen, bis hin zu der Tatsache, dass ich die Person vor mir nicht ausstehen konnte. Susan sackte die Kinnlade herunter, als wäre ihr Unterkiefer lose. Ihr Blick schoss zu Rachel, deren Hände artig zusammengefaltet auf dem Schoß lagen, um den Verlobungsring zu verdecken. »Gut geraten«, sagte sie, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. »Sie heiratet meinen Bruder Jack und ...«

»Halt«, fiel ich ihr ins Wort. »Je weniger ich weiß, desto besser.«

»Sie verstehen nicht. Die Karten müssen ihr eine positive Zukunft voraussagen.«

»Ich habe keinen Einfluss darauf, was die Karten verkünden. Aber seien Sie unbesorgt, selbst wenn das Ergebnis nicht ganz, sagen wir, vielversprechend ausfällt, hat sie jederzeit die Chance, es durch ihr Handeln zu beeinflussen.«

»Jetzt hören Sie mir mal gut zu«, zischte Susan. »Rachel steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Letzte Woche hatte sie einen seltsamen Traum und ist seitdem nicht mehr wiederzuerkennen«, fuhr sie fort und riss die Arme in die Höhe. »Seit geschlagenen zwei Jahren planen wir diese Hochzeit. Es werden an die zweihundert VIP-Gäste kommen, wir haben Chicagos besten Eisskulpturenkünstler und die renommiertesten Köche von der Ostküste verpflichtet.«

»Verstehe«, sagte ich. »Aber ...«

»Ganz zu schweigen von den dreizehn Brautjungfern, die sich sprichwörtlich den Hintern abgehungert haben, um in die maßgeschneiderten Kleider zu passen, dem drei Meter hohen Dom-Perignon-Brunnen, der Hochzeitstorte, die so filigran verziert ist, dass es einer Schande gleichkommt, sie anzuschneiden, und den exotischen Blumenarrangements, gegen die der Garten Eden ein Haufen Unkraut ist.« Susan machte einen winzigen Schritt auf mich zu. Ihr Atem roch nach kaltem, scharfem Pfefferminz, und die Worte sickerten ihr wie Flüssigbeton aus dem Mund. »Rachel Morgan wird in zwei Wochen meinen Bruder heiraten, und wenn Sie auch nur ein einziges negatives Wort über die Hochzeit verlieren, werde ich Ihnen das Leben zur Hölle machen. Haben Sie mich verstanden?«

»Ich bin ja nicht taub«, brummte ich.

»Prima«, entgegnete Susan und hielt mir zwei gebügelte Hundertdollarnoten unter die Nase.

Ohne die Scheine anzunehmen, drehte ich mich um und ging zurück zu Rachel, die die Beine übereinandergeschlagen hatte und mit ihrem schlanken Fuß so schnell wippte, als wäre er ein Presslufthammer.

»Ich bin untröstlich«, sagte ich mit dem ermutigendsten Lächeln, das ich zustande brachte, »ich kann Ihnen leider doch nicht helfen.« Mit diesen Worten machte ich mich daran, die Karten einzusammeln, und wollte sie gerade in die Schatulle zurücklegen, als Rachel aufsprang.

»Warum nicht? Haben Sie etwa schlimme Neuigkeiten für mich, ist es das? Oh mein Gott, Sie haben schlechte Schwingungen empfangen.«

»Nein, nein, nein. Nichts dergleichen«, versuchte ich sie zu beruhigen. »Es ist nur schon sehr spät, und mir ist gerade eingefallen, dass ich noch einen wichtigen Termin habe und jetzt ...«

»Was hast du ihr erzählt?«, fuhr Rachel Susan an, ehe sie mich wieder ins Visier nahm. »Was hat sie Ihnen gesagt?«

»Sie müssen wissen, dass Kartenlegen nicht für jedermann das Richtige ist«, erklärte ich ihr. »Ich brauche nur einen Blick auf Sie zu werfen und weiß, dass Ihre Erwartungen viel zu hoch sind.« Mit ernster Miene sah ich ihr in die Augen.

Regungslos erwiderte Rachel meinen Blick.

»Ich bin nicht die richtige Anlaufstelle für die Antworten, nach denen Sie suchen«, sagte ich, begleitet von einer theatralischen Handbewegung und einem leichten Augenrollen. Als Rachel anfing zu schluchzen, drückte ich sie in den Stuhl, setzte mich neben sie und nahm ihre Hand. »Vielleicht hilft es, wenn wir uns ein wenig unterhalten«, schlug ich vor. »Ihre zukünftige Schwägerin erwähnte, dass Sie in zwei Wochen heiraten wollen. Das kann etwas höchst Befremdliches sein. Vor Ihnen sitzt eine wahre Expertin auf diesem Gebiet. Ich kann drei gescheiterte Ehen verbuchen.«

»Na prima, dann sind Sie ja genau die Richtige, um Ratschläge in Ehefragen zu erteilen«, fauchte Susan. »Komm, Rachel, lass uns gehen.«

»Sie waren dreimal verheiratet?«, fragte Rachel entsetzt.

»Ja«, sagte ich. »Aber das erste Mal zählt im Grunde nicht, weil ich viel zu jung war, und das zweite Mal war in Las Vegas. Genau genommen könnte man sagen, ich war erst anderthalb Mal verheiratet, wenn's hochkommt.«

»Rachel, wir verschwenden hier nur unsere Zeit«, drängte Susan.

»Haben Sie denn ... ich meine ... hatten Sie vorher Zweifel?«

»Ob ich Zweifel hatte?«, wiederholte ich. »Gütiger Gott, ja. Es gab da diese Stimme in meinem Kopf, müssen Sie wissen.« Meine einzige Entschuldigung dafür, dass ich munter drauflosplapperte, war Rachels verständnisvolles Nicken. »Die Ehe ist eine gigantische Verpflichtung«, hob ich an. »Ich war damals viel zu impulsiv. Sie können sich nicht vorstellen, was man alles ...«

»Miss«, unterbrach Susan mich ungeduldig.

»Und dann die vielen Kleinigkeiten, die man nach und nach über den anderen herausfindet«, fuhr ich fort.

Susan war dazu übergegangen, Rachel aus dem Stuhl zu zerren, aber ich tat, als bemerkte ich es nicht. »Man denkt, man kennt den anderen, doch dann – peng – findet man heraus, dass der Mann, an dessen Seite man alt werden will, sich bei Vollmond die Zehennägel schwarz lackiert. Oder dass er es hasst, wie Sie Tee trinken – als gäbe es offizielle Richtlinien! Oder er schläft plötzlich nicht mehr mit Ihnen, weil Sie eine Bluse getragen haben, die ihn an seine Mutter erinnert hat.«

»An seine Mutter«, wiederholte Rachel so leise, dass ich sie kaum verstand.

»Miss«, wiederholte Susan, die jetzt fast brüllte.

»Glauben Sie mir, es wird Tage geben, an denen können Sie es nicht ausstehen, wie er aussieht, wie er riecht, wie er redet und selbst wie er atmet.«Obwohl Rachel dasaß, als wäre sie aus Stein gemeißelt, konnte ich beim besten Willen nicht aufhören. »Das Schlimmste ist allerdings, wenn Sie tief in Ihrem Innern spüren, dass es dem Mann, der geschworen hat, Sie auf immer und ewig zu lieben, auch nicht anders geht.«

»Miss. Ihr Verhalten ist höchst unprofessionell«, polterte Susan nun los, und ich konnte ihr noch nicht mal widersprechen. Die Geschichte mit Ed hatte mich völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Außerdem schwirrten mir noch immer die blutigen Tierfotos im Kopf herum, und auf einmal sah ich Bilder vor mir, auf denen Ed und seine Ballerina blutverschmiert auf einer Weide lagen. Ich schüttelte mich innerlich. Eigentlich bin ich nicht gewalttätig. Fische sind bescheiden, freundlich und friedfertig.

»Wie hieß noch mal die junge Frau, die ihre Eltern so brutal abgeschlachtet hat?«, fragte ich Rachel und Susan, woraufhin sie entsetzt von mir abwichen. Oh Gott, ich war wirklich urlaubsreif und sollte mich in nächster Zeit tunlichst von Menschen fernhalten. Trotzdem wurmte es mich, dass mir der Name nicht einfallen wollte. »Es tut mir leid«, sagte ich an Rachel gewandt. »Das war in der Tat unprofessionell. Wir sollten da weitermachen, wo wir aufgehört haben, einverstanden? Mal sehen, was die Karten für Sie bereithalten.«

»Susan, würde es dir etwas ausmachen, vor dem Zelt auf mich zu warten?«, sagte Rachel. »Ich würde Clair gerne unter vier Augen sprechen.«

Ihre Schwägerin in spe schüttelte den Kopf und hielt meinen Blick gefangen.

»Susan, bitte. Ich bräuchte jetzt dringend etwas Privatsphäre«, ließ Rachel nicht locker.

Nach kurzem Zögern gab Susan schließlich ihren Widerstand auf. »Na gut. Aber ich warte direkt vor dem Eingang.«

»Die Sache ist die«, sagte ich, nachdem wir alleine waren, »Susan meinte, Sie würden in letzter Zeit schlecht träumen. Vielleicht sollten wir uns auf eine Traumanalyse einigen.« Rachel Morgan straffte die Schultern, legte die Hände mit den Handflächen nach unten auf den Tisch und sah mir in die Augen. »Teilen Sie einfach die Karten aus«, sagte sie, als wären wir in Las Vegas und säßen an einem Black-Jack-Tisch.

»Ich dachte, Sie wollten reden ...«

»Nein. Ich habe genug gehört. Ich möchte einfach nur, dass Sie mir die Karten legen und mit sehr lauter Stimme – so dass Susan Sie hören kann – verkünden, dass ich den größten Fehler meines Lebens begehe, wenn ich Jack Heron heirate.«

»Wow«, sagte ich, »tut mir leid, wenn ich ...«

»Machen Sie einfach.«

»Nur weil meine Ehen in die Hose gegangen sind, heißt das doch noch lange nicht, dass ...«

»Bitte«, sagte Rachel mit flehendem Unterton. »Helfen Sie mir da raus.«

»Verzeihen Sie«, antwortete ich. »Ich kann das nicht, mein Berufsethos verbietet es mir. Es ist nur so, dass mein dritter Ex-Mann dieses Wochenende erneut heiratet, und ausgerechnet eine dämliche Barbiepuppe.« Ich hatte keine Ahnung, wieso ich ihr das erzählte, aber jetzt war es ohnehin zu spät.

Wie eine Viper, die zum Angriff übergeht, schoss Rachels Hand vor und landete auf meinem Kartenstapel. »Teilen Sie die Karten aus«, zischte sie, »und raten Sie mir davon ab, Jack zu heiraten.«

»Bitte nicht berühren«, knirschte ich. »Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Die Karten lassen sich ohnehin nicht beeinflussen.«

Rachel nahm ihre Hand vom Stapel, ließ sie aber vorsichtshalber auf meiner Hälfte des Tisches. Ein paar Sekunden lang funkelten wir uns an und trugen einen Machtkampf aus, bis ich ihre Hand nahm und sie auf ihre Hälfte des Tisches schob. »Lizzie Borden«, rief ich. »Lizzie Borden hat sich eine Axt geschnappt und vierzig Mal auf ihre Eltern eingeschlagen.« Rachel sah mich an, als wäre ich aus der Irrenanstalt ausgebrochen. »Mir ist nur gerade wieder der Name eingefallen«, sagte ich schnell.

»Ich hätte da auch einen für Sie«, zischte sie. »Erinnern Sie sich an die Selbstmordbraut?« Ihre Stimme war mit einem Mal zum Fürchten tonlos.

Ich musste schlucken und hätte am liebsten meine Siebensachen gepackt und das Weite gesucht, aber wie so oft gewann meine Neugierde die Oberhand. Wir sahen uns einige Sekunden wortlos an, ehe ich kaum merklich nickte, damit sie weitersprach.

»Wenn Sie mir nicht aus der Patsche helfen, werde ich als Selbstmordbraut in die Annalen eingehen. Ich werde mich in meinem Brautkleid von Vera Wang vor zweihundert geschniegelten Gästen und meinem vollkommen ahnungslosen Verlobten erschießen. Just, wenn alle gespannt darauf erwarten, dass ich ja sage, werde ich mir den Pistolenlauf in den Mund stecken und Ihren Namen aussprechen.«

»Wie bitte?«, rief ich und schnappte nach Luft. Hatte ich mich verhört?

»Ich weiß auch schon, was ich sagen werde«, fuhr Rachel fort und schielte auf meine Visitenkarte, die ich auf den Tisch gelegt hatte. »Mein Blut wird für immer an Clair Ivars Händen kleben.« Mit einem zuckersüßen Lächeln, das ihre perfekten, strahlend weißen Zähne enthüllte, lehnte sie sich nach vorne, um ihre kleine, melodramatische Geschichte zu Ende zu bringen. »Und dann«, säuselte sie, als säßen wir bei unserer ersten Verabredung, »werde ich abdrücken und mir eine Kugel in den Kopf jagen.«

Für den Bruchteil eines Augenblicks spielte ich mit dem Gedanken, sie zu fragen, wie sie mit der Pistole im Mund sprechen wolle, behielt es allerdings für mich.

Da saßen wir also: die Hellseherin und die Schwarzseherin und starrten einander in die Augen, in der Hoffnung, die andere möge zuerst wegsehen, während über unseren Köpfen rote, pulsierende Energie zuckte.

»Sie brauchen professionelle Hilfe«, sagte ich so ruhig wie möglich.

»Nein, ich brauche eine Kartenlegerin, die mir einen Gefallen tut«, antwortete sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Eine, die mir klipp und klar sagt, ich solle Jack Heron nicht heiraten.«Ihre Stimme klang mit jedem Wort panischer. »Und das so laut, dass der Eispickel da draußen es mitbekommt. Capisce?«

Ich hielt den Atem an und ging im Geiste meine Optionen durch. Wie hatte Brian es formuliert? Sie war ... leicht erregbar?Wenn ich diesen Kerl in die Finger bekam, würde ich Hackfleisch aus ihm machen.

Jetzt war guter Rat teuer. Am liebsten hätte ich Rachel erklärt, dass niemand, der bei klarem Verstand war, mich und die Karten dafür verantwortlich machen würde, wenn sie sich während ihrer Trauung das Leben nahm.

Vielleicht wäre es das Beste, wenn ich sie hinauswarf und dem Eisklotz vor dem Zelt von der Drohung erzählte. Susan würde mir doch glauben, oder?

Nach einer langwierigen Diskussion mit mir selbst legte ich Rachel schließlich doch die Karten. Allerdings tat ich es nicht für sie, sondern für Jack Heron, der mit Sicherheit etwas Besseres als dieses psychische Wrack verdient hatte.

Ganz ruhig, Clair, du hast schon Schlimmeres als das hier überstanden, dachte ich bei mir, während ich einen flüchtigen Blick zum Zelteingang warf und die erste Karte umdrehte. Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, was die Karte zeigte. Ich erwähnte es bereits.

Es war Der Narr.

Kapitel 3

Tägliches Horoskop – Fische: Der einen ist sie die beste Freundin, der anderen die ärgste Feindin.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Rachel, während wir wie gebannt auf den Narren starrten.

Ich hatte mich für eine altertümliche Methode der Kelten entschieden, bei der zehn Karten mit dem Gesicht nach unten in der Form eines keltischen Kreuzes gelegt werden.

»Diese Karte steht stellvertretend für Sie«, antwortete ich vorsichtig.

Sie gab mir mit einer Geste zu verstehen, dass ich lauter sprechen sollte.

»Der Narr steht stellvertretend für eine Person, die dabei ist, eine große Dummheit zu begehen«, sagte ich etwas lauter. Rachel hielt die Daumen in die Höhe, um sich zu bedanken, woraufhin ich ihr einen bitterbösen Blick zuwarf. Ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn man meine Sitzungen in irgendeiner Form unterbricht.

»Dann wollen wir mal sehen, was die anderen Karten mitzuteilen haben. Aufgrund des Narren lässt sich jedoch erahnen, dass Sie sich in einem Zustand hochgradiger Verwirrung befinden und Ihre nächsten Handlungen gut überdenken sollten«, sagte ich und deckte den Magier auf

»Warum liegt der verkehrt herum?«, fragte Rachel.

»Er steht auf dem Kopf«, erklärte ich ihr. »Das verändert die Bedeutung der Karte.« Ich musterte sie eingehend, ehe ich weitersprach. »Sie versuchen, Ihre Umwelt zu kontrollieren«, sagte ich. »Man könnte fast sagen, dass Sie versuchen, alles so zu manipulieren, wie es Ihnen in den Kram passt.«

»Weiter«, forderte Rachel mich auf.

»Die nächste Karte wird uns die Hürden aufzeigen, mit denen Sie es in Ihrer jetzigen Lage zu tun haben«, ließ ich verlauten, obwohl ich nicht schlecht Lust hatte, ihr an die Gurgel zu springen.

Rachel lehnte sich nach vorne. Sie war derart auf die Karten fixiert, dass sie nicht mitbekam, wie Susan sich zurück ins Zelt schlich und in der Ecke postierte.

Ich drehte Den Teufel um.

»Meine zukünftige Schwiegermutter«, keuchte Rachel.

»Genau genommen repräsentiert Der Teufel lediglich den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse«, erklärte ich ihr.

»Sag ich doch. Hier geht es um Madeline Heron, die weibliche Version des Teufels.«

»Rachel!«, rief Susan, woraufhin Rachel kreidebleich wurde, als sie merkte, dass ihre Schwägerin in spe wieder im Zelt war.

»Entschuldige, aber deine Mutter ist ... schwierig, dickköpfig und ... teuflisch«, presste sie hervor wie ein Ballon, aus dem die Luft entwich.

»Blödsinn. Sie ist nichts weiter als eine toughe Geschäftsfrau«, sagte Susan und nahm wieder neben Rachel Platz.

»Was genau macht sie denn?«, erkundigte ich mich. Für gewöhnlich verkneife ich mir diese Art Smalltalk, aber in diesem besonderen Fall hoffte ich auf eine Möglichkeit, doch noch dem Lügenkomplott zu entkommen, zu dem Rachel mich gezwungen hatte.

»Meiner Familie gehört eine der weltbesten Winzereien«, verkündete Susan mit stolzgeschwellter Brust. »Bestimmt sagt Ihnen Heron Cellars etwas. Seit neuestem vermarktet mein Bruder auch Wodka. Schon mal etwas von Heron Wodka gehört?«

Da ich mit dem Namen beim besten Willen nichts anfangen konnte, schüttelte ich den Kopf.

»Das ist nur ein vorläufiger Name«, erklärte Susan. »Jack hat einen Namenswettbewerb ins Leben gerufen.«

»Ich liebe Wodka«, sagte ich, und dieses Mal schwoll mir die Brust vor Stolz an. Ich bin ungelogen eine Expertin auf dem Gebiet. Es geht nichts über einen kältegefilterten Wodka. »Unser Anwesen befindet sich im Shawnee National Forest«, fuhr Susan unbeeindruckt fort.

Ehe sie jedoch weiter ausholen konnte und die Familienchronik herunterbetete, drehte ich die nächste Karte um. Der Page der Schwerter. »Seien Sie auf der Hut, Rachel«, sagte ich geheimnisvoll. »Ein Feind ist Ihnen dicht auf den Fersen. Er oder sie könnte Ihnen ein Bein stellen, um Sie daran zu hindern, Ihre Ziele zu erreichen.«

»Ein Feind?«, wisperte Rachel effekthascherisch. Sie blickte zu Susan, die mit dem Kopf schüttelte.

Ich spürte, dass die Kundin noch nicht ganz zufrieden war mit meiner Leistung, und drehte die nächste Karte um. Die Vier der Kelche.

Das war der Moment, in dem ich mein Berufsethos in den Wind schlug. Weil ich wollte, dass die beiden endlich aus meinem Leben verschwanden, damit ich nach Hause konnte. Normalerweise bedeutet die Vier der Kelche eine »freundliche« Warnung und weist darauf hin, dass die Person, der die Karten gelegt werden, ihrem Glück im Weg steht. In diesem speziellen Fall deutete ich die Karte jedoch spontan um und stieß einen bühnenreifen Seufzer aus.

Susan und Rachel lehnten sich gespannt nach vorne.

»Wir haben es hier mit einer ernstzunehmenden Warnung zu tun«, erklärte ich mit dunkler Stimme. »Es besteht kein Zweifel. Die Dinge sind nicht im Gleichgewicht, und das kann gefährlich werden.«

»Ach du meine Güte«, keuchte Rachel, die sich wie auf Kommando eine Träne abpresste.

»Alles Humbug«, sagte Susan verächtlich. »Tu nicht so dramatisch.«

»Als Nächstes wollen wir uns ansehen, was hinter Ihnen liegt«, sagte ich und deckte die Zwei der Kelche auf

Susan verrenkte sich den Hals, um hinter sich zu blicken. »Ich spreche von Rachels Vergangenheit«, sagte ich und bemerkte, wie Susan errötete. »Die Karte symbolisiert Liebe, Heirat.« Um dieser Posse endlich ein Ende zu bereiten, hätte ich die Karte als Vorbereitungen für die Hochzeit interpretieren können, aber an diesem Abend war ohnehin nichts, wie es sein sollte. Ich warf Rachel einen flüchtigen Blick zu. Sie nickte unauffällig.

»Es tut mir schrecklich leid«, sagte ich mit gespielter Besorgnis. »Diese Karte ist der untrügliche Beweis dafür, dass Ihre Beziehung und die damit verbundene Liebe und Heirat der Vergangenheit angehören.«

Rachel schlug die Hände vor den Mund. »Ich wusste es!«, rief sie.

»Das ist doch lächerlich«, empörte sich Susan und sprang auf »Nehmen Sie das auf der Stelle zurück.«

»Kommen wir jetzt zu Ihrer Zukunft«, sagte ich, ohne Susan Beachtung zu schenken, und deckte Die Welt auf Eine ausgesprochen positive Karte, ein Symbol dafür, dass die eigenen Ziele zum Greifen nahe sind. »O nein«, rief ich. »Das ist ja entsetzlich. Rachel, ich bin untröstlich. Schon wieder eine Warnung. So etwas ist mir mein Lebtag noch nicht untergekommen. Es wäre eine Katastrophe, wenn Sie die Ehe eingingen«, sagte ich mit unheilvoller Stimme.

»Nein«, keuchte Rachel und begann so herzzerreißend zu weinen, dass ich einen Moment lang glaubte, sie würde echte Tränen vergießen.

»Merkst du denn gar nicht, was hier gespielt wird?«, blaffte Susan sie an. »Sie bindet dir einen Bären auf. Lass uns verschwinden.«

Es mag Schicksal oder Glück gewesen sein, ich weiß es nicht, doch als ich die nächste Karte aufdeckte, gaffte uns Der Tod an. Eigentlich verheißt dieses Symbol lediglich, dass das Leben der betreffenden Person eine jähe Wendung nehmen wird. Nur in den wenigsten Fällen verkündet sie den physischen Tod. Genau das schlachtete ich jetzt aus.

»Schlimmer hätte es gar nicht kommen können«, sagte ich mit erstickter Stimme und erhob mich schwankend. »Hören Sie mir gut zu«, fuhr ich dann fort. »Sie dürfen Jack Heron unter gar keinen Umständen heiraten. Falls doch, werden Sie es bitterlich bereuen – und mit Ihrem Leben bezahlen«, flüsterte ich angestrengt und hielt die Karte gut sichtbar in die Höhe. »Genau wie in meinen Träumen«, flüsterte Rachel. »Haargenau so. Ich kann es nicht tun. Ich kann Jack nicht heiraten.«

»Nichts als billige Taschenspielertricks«, keifte Susan. »Hörst du mir eigentlich zu? Diese Frau ist keine Hellseherin, sie ist eine Scharlatanin.«

»Moment mal«, sagte ich. »Ich bin keine Scharlatanin. Eine Scharlatanin hätte sich die zweihundert Dollar unter den Nagel gerissen, die Sie mir dafür geboten haben, dass die Karten Rachel zur Heirat raten.«

»Was?«, kreischte Rachel und funkelte Susan an. »Wie konntest du bloß? Du wusstest genau, wie wichtig es mir war, die Wahrheit zu erfahren.«

»Die Wahrheit? Das nennst du die Wahrheit? Lügen, alles Lügen! Die da betrügt dich doch!«

»Ich betrüge niemanden«, verteidigte ich mich empört. »Wissen Sie was, vergessen Sie die fünfundzwanzig Dollar. Ich wünsche Ihnen beiden noch einen schönen Tag.«

Doch Susan war gerade erst in Fahrt gekommen. »Wenn Sie wirklich hellsehen können, warum beweisen Sie es dann nicht?«, stichelte sie. Ihre schwarzen Augen glühten wie heiße Kohlen. »Sagen Sie mir eine Sache, die Sie unmöglich wissen können.«

»Das ist nicht ...«, begann ich.

»Nur eine Sache.«

»Nein, ich werde nicht ...«

Ene, mene, miste ...

»Sie sind eine Trickbetrügerin.«

... es rappelt in der Kiste ...

»Suchen sich unschuldige Menschen und ...«

Ene, mene, meck ...

»Sie sind eine Schwindlerin, ein Freak.«

... und du liegst im Dreck!

»Es stimmt, Ihr Ehemann treibt es mit dem Kindermädchen«, platzte es aus mir heraus. »Sie wissen es seit Monaten, haben aber nicht den Mumm, ihn damit zu konfrontieren, aus Angst, er könnte Sie verlassen.«

Susan taumelte rückwärts, als hätte ich ihr einen Stoß versetzt. Sofort meldete sich mein schlechtes Gewissen. »Susan«, sagte ich betreten und streckte die Hand nach ihr aus. Doch es war bereits zu spät.

Susan stürmte wie eine Furie aus dem Zelt.

Fassungslos starrte Rachel mich an. »Harold ist ein schleimiger Bursche«, flüsterte sie. »Er hat mich auch schon angegraben. Aber das Kindermädchen? Das hätte ich nicht gedacht.« Sie hielt kurz inne. »Woher haben Sie davon gewusst?«, fragte sie ganz leise.

Statt ihr zu antworten, eilte ich Susan hinterher, wurde jedoch nur vom stillen, glänzenden Turnhallenboden und menschenleeren Zelten begrüßt. Außer mir war nur eine untersetzte ältere Frau anwesend, die selbstgemachte Kräuterseifen verkaufte. Sie saß auf ihrem Klappstuhl aus Aluminium, machte einen Buckel, als wollte sie ein C nachahmen, und befingerte ein Stück Zitronenseife. Sie blickte zu mir herüber und schüttelte abfällig den Kopf, weil sie vermutlich alles mit angehört hatte.

Als Rachel mir auf die Schulter tippte, erlitt ich fast einen Herzinfarkt.

»Was haben die Karten tatsächlich gesagt?«, wollte sie wissen. »Über mich und Jack?«

»Sie sagten ... ich habe nicht ... Sie wollten doch ...«, stammelte ich, als hätte ich zu tief ins Glas geblickt.

»Sie müssen es mir sagen«, flehte Rachel mich an. »Tue ich das Richtige?«

Ich ging in Gedanken noch einmal die Karten durch. Im Grunde deutete alles auf eine passable Ehe hin. Na gut, eine Bilderbuch-Ehe. Nur, welche Rolle spielte das, wenn diese Frau sich nichts sehnlicher wünschte, als die Beziehung zu beenden? Sie hatte nicht mehr alle Tassen im Schrank. Jemand musste schließlich an ihren armen Verlobten denken.

»Ja«, antwortete ich schließlich mit überkreuzten Fingern hinter dem Rücken. »Sie tun das Richtige.«

Einen Moment lang starrte sie mich ausdruckslos an, dann nickte sie. Ehe ich jedoch ergründen konnte, ob die Tränen in ihren Augen echt waren oder ob sich lediglich der gewienerte Turnhallenboden darin spiegelte, hatte sie auf dem Absatz kehrtgemacht.

Schuldbewusst schlich ich zurück ins Zelt und begann meine Sachen zusammenzuräumen. Ich konnte nicht glauben, dass ich mich auf diese Farce tatsächlich eingelassen hatte. Zum Glück war der Spuk vorbei. Morgen war ein neuer Tag. Morgen würde ich Chicago und alles andere hinter mir lassen. Bei dem Gedanken an meine bevorstehende Reise besserte sich meine Laune schlagartig.

Erst jetzt bemerkte ich den kleinen Gegenstand, der am Rande des Tisches lag. Ich riss die Augen auf und beugte mich nach vorne. Es war, als würde ich von einem seltenen Insekt in den Bann gezogen. Ich konnte nicht anders, musste es von ganz Nahem sehen.

Vor mir lag ein funkelnder Dreikaräter. Rachels Verlobungsring.

Kapitel 4

Tägliches Horoskop – Fische: Das Licht am Ende des Tunnels ist soeben erloschen.

Den Ring fest im Visier, atmete ich tief durch und bekämpfte den Impuls, ihn vom Tisch zu fegen. Als würde ich Steine auf dem Wasser hüpfen lassen. Obwohl ich dreimal verheiratet war, hatte nur Ed, Ehemann Numero tres, mir einen Diamanten geschenkt. Bei Numero uno war ich gerade mal achtzehn, und wir trugen Stimmungsringe. Als ich fünfundzwanzig war, ließen Numero dos und ich uns das Symbol für Unendlichkeit um die Mittelfinger tätowieren. Als ich das nächste Mal nullte – ich war in der Zwischenzeit älter und weiser geworden –, sagte ich Numero Wir-sagen-unserer-Liebe-niemals-adiós geradeheraus, dass ich mir einen Diamantring wünschte.

Leider drückte ich mich nicht präzise genug aus.

Ich hätte darauf bestehen sollen, dass der Diamant mit dem bloßen Auge zu erkennen war. Allerdings darf ich nicht vergessen, dass wir kaum Geld hatten und Ed es gut gemeint hatte. Wenn man den Stein im richtigen Winkel und je nach Lichteinfall mit zusammengekniffenen Augen (und mit Hilfe einer Lupe) betrachtete, wirkte er deutlich größer und glitzerte sogar.

»Stimmt was mit deinen Augen nicht?«, hatte Ed mich irgendwann gefragt.

»Nein, aber ich weiß jetzt, wie man den Stein zum Funkeln bringt«, hatte ich geantwortet und ihm die Hand entgegengestreckt. »Hier. versuch's auch mal.«

»Hol das Messer, wir kommen sonst zu spät«, hatte er stattdessen entgegnet. Das Ganze hatte sich an dem Wochenende zugetragen, an dem er mich dazu überredet hatte, vier Tage lang mit ihm in den Wäldern von West Virginia zu verbringen. Das Überlebenstraining war eine Art »faire« Gegenleistung dafür, dass er mich zu dem Ehevorbereitungskurs begleitet hatte, auf dem ich bestanden hatte.

Es war der reinste Höllentrip. Meine neuen Wanderschuhe bescherten mir unzählige Blasen, ich hatte keinen Sport-BH dabei, und einer von uns hatte den Rucksack mit dem Proviant oder, wie Ed ihn gerne nannte, den Futtersack zu Hause stehenlassen. Hier ein Tipp: Ich war es nicht.

Ich war für die beiden Flaschen Wodka verantwortlich, die schwer in meinem Rucksack lagen und ständig aneinanderklirrten, während ich versuchte, nicht über die oberirdischen Wurzeln uralter Ulmen zu stolpern. Doch statt dass mein Zukünftiger mir beistand und sich Gedanken machte, wie er seine Verlobte aus der Unterzuckerung holen konnte, ignorierte er mich einfach. Ed war viel zu sehr damit beschäftigt, im Schweinsgalopp durch den Wald zu hasten und wie bescheuert mit seinem Supermann-Messer auf die Vegetation einzuhacken, damit sie den Weg freigab. Nach vier langen Stunden und einigen Schlucken billigen Wodkas war ich überzeugt davon, dass Ed mich in die Wildnis gelockt hatte, um mich zu töten.

Ich wollte gerade eine Spur aus Brotkrumen streuen, als mir wieder einfiel, dass wir ja gar keinen Proviant dabeihatten. Obwohl Ed stets beteuerte, dass ich nicht fett sei, fand er insgeheim wahrscheinlich doch, dass ich zu viel auf den Rippen hatte, und hatte deshalb den Futtersack vergessen. Er wollte mich systematisch aushungern.

Den Rest dieses grauenhaften, sexfreien Ausflugs will ich lieber für mich behalten. Nur so viel: Wir bekamen uns mächtig in die Haare und fuhren am nächsten Morgen zurück. Erst im Auto stellte ich fest, dass mein Ring verschwunden war. Ed war wortlos weitergefahren. So war das also mit dem einzigen Diamanten, den ich je besessen habe.

Rachels Ring war ein Traum, und als Gollums Stimme Mein Schatz in meinem Kopf zischte, zuckte ich kräftig zusammen. Entsetzt blickte ich auf meine zitternden Hände. So sehr wünschten sie sich, dass ich ihn anzog. Keine Frau, die noch alle Tassen im Schrank hat, würde diesen Ring einer Fremden überlassen,dachte ich.

Mit einer schnellen Bewegung beförderte ich ihn in das kleine Säckchen, in dem ich meine Kristalle aufbewahrte, und legte es vorsichtig in meine Handtasche. Wie viel der Stein wohl wert war? Sicher mehr, als ich in einem Jahr – ach was, in einem Jahrzehnt – verdiente. Bevor ich mich entschied, was ich mit dem Ring tat, musste ich ihn sicher nach Hause bringen. Beim Einsteigen in den Bus mied ich jeglichen Blickkontakt. Vermutlich sah man mir an, dass ich etwas Wertvolles bei mir trug. Hoffentlich konnten die anderen Fahrgäste nicht die Hitzewallungen spüren, die von meiner Handtasche ausgingen.

Ich lebe in einer Wohnung im vierzehnten Stock Downtown Chicago. Das Appartement ist klein, aber ich mag es wegen des Parketts, des gemauerten Kamins und des Rundbogens zur Küche, von der aus ich sogar den Sears Tower sehen kann. Dafür muss ich mich lediglich mit dem gesamten Oberkörper aus dem Fenster lehnen und den Kopf so weit wie möglich nach links drehen. Am meisten mochte ich jedoch, dass die Miete einigermaßen bezahlbar war. Während die meisten Kartenlegerinnen den Job nur nebenberuflich ausüben, kann ich davon leben. Allerdings nur, weil ich auf Kabelfernsehen und einen Hochgeschwindigkeitszugang zum Internet verzichte, keine SMS schreibe, meine Mailbox deaktiviert habe und so gut wie nie shoppen gehe. Ich kaufe ausschließlich beim Discounter und in Second-Hand-Läden und esse so gut wie niemals auswärts. Mag sein, dass ich ein eher eintöniges Leben führe, aber ich lebe meinen Traum.

Eine Weile habe ich in meiner Wohnung die Karten gelegt. Bis eine meiner Kundinnen zur Stalkerin mutiert ist. Seitdem trenne ich Arbeit und Privates. Trotz meiner Gabe, wie meine Großmutter sie immer nannte, kann ich weder die Lottozahlen vorhersagen noch bestätigen, dass Elvis noch lebt. Und wenn es darum geht, meine eigene Zukunft vorherzusagen, war ich auf beiden Augen blind – vor allem beim Thema Liebe. Das erklärt auch meine drei gescheiterten Ehen.

Genug der Gefühlsduseleien, es war endlich so weit, die letzten Reisevorbereitungen zu treffen. Mittlerweile war ich überzeugt davon, dass Rachel bald ihre Meinung ändern würde und mich anrief, damit ich ihr den Ring zurückgeben konnte. Zwar hatte sie Jack Herons Adresse auf die Rückseite einer meiner Visitenkarten geschrieben – zusammen mit den Worten Bitte zurückgeben an –,aber das hieß noch lange nicht, dass ich mich auch danach richten musste, oder?

Wenn sie nicht binnen der nächsten Stunde anrief, würde ich mir von Brian ihre Nummer geben lassen.

Endlich erreichte der Bus meine Haltestelle. Ich konnte es kaum noch erwarten, mir die schwarze Reisetasche zu schnappen, sie mit Kleidern für eine Woche zu füllen und den Drehpfeil einzupacken, mit dessen Hilfe ich die Reiserichtung ermittele. Ich mache nie im Voraus Hotelreservierungen, weil ich gar nicht weiß, wohin es mich verschlägt. Der rote Plastikpfeil ist auf einer runden Pappscheibe angebracht, die in vier farbige Viertel eingeteilt ist: Gelb, Rot, Blau und Grün. Ich habe jeder Farbe eine Himmelsrichtung zugewiesen. Das Ganze läuft dann so ab: Ich nehme eine Straßenkarte, setze den Drehpfeil auf Chicago und breche in die Richtung auf, in die der Pfeil zeigt. Die erste Etappe rangiert zwischen drei und acht Stunden Autofahrt. Sobald ich die entsprechende Richtung eingeschlagen habe, kann ich anhalten, wo ich will, und abbiegen, wann immer es sich »richtig« anfühlt. Da ich passionierte Busfahrerin bin, nehme ich für diese Gelegenheit stets einen Mietwagen.

Nicht alles im Leben ist vorherbestimmt – und mehr als alle anderen muss ich regelmäßig daran erinnert werden. Eine Woche voller neuer Entdeckungen und Einsamkeit war genau nach meinem Geschmack. Ich konnte es kaum abwarten herauszufinden, wohin mich meine Reise dieses Mal führte.

Just in dem Moment tauchte der Drehpfeil vor meinem geistigen Auge auf. Ich versuchte, ihn zu drehen, doch er rührte sich nicht. Auch ein weiterer Versuch scheiterte. Während ich die fünf Blocks zu meiner Wohnung lief, setzte ich alles daran, dieser Vision keine Beachtung zu schenken. Das ist keine Warnung. Sollte der Drehpfeil nicht funktionieren, nehme ich einfach eine Flasche, das geht genauso gut.

Mit großen Schritten sprang ich die Eingangstreppe hinauf und fuhr in den vierzehnten Stock. Urlaub! Endlich Urlaub! Eine Woche ohne Handy, ohne Nachrichten, ohne Kunden, die darauf brannten, Neuigkeiten zu den Themen Liebe, Ruhm oder Geld zu erfahren. Eine Woche, in der ich nicht wie ein Schwamm die Gefühle meiner Kunden aufsog. Eine Woche ohne Dame Diaphannie, die mir Zigarillorauch ins Gesicht pustete, und ohne Brian, der an seinem Löffel herumfingerte. Eine Woche, die mir allein gehörte.

Wieder erschien mir der Drehpfeil im Geiste, wieder weigerte sich das rote Plastikteil, sich zu bewegen. Doch mir blieb keine Zeit, diese zweite Vision zu analysieren. Ich hatte ein viel dringenderes Problem. Vor meiner Wohnungstür saß die Stalkerin.

Kapitel 5

Tägliches Horoskop – Fische: Selbst für den Weg in die Hölle sollte man einen Snack einpacken.

Meine persönliche Stalkerin saß im Schneidersitz vor meiner Tür. Mit anderen Worten, ich würde meinen Plan, mich aus dem kneifenden Bügel-BH zu befreien und den Drehpfeil zu suchen, vorerst auf Eis legen müssen.

»Clair, endlich!«, begrüßte Terri mich, entwirrte ihre muskulösen Beine und sprang auf, als ich auf sie zuschritt.

Ich versuchte erst gar nicht, den Seufzer zurückzuhalten, der in die Freiheit drängte.

Terri war vor einem Dreivierteljahr das erste Mal bei mir gewesen. Sie hatte im Internet gelesen, dass ich zu Hause Karten legte, und vierzig Minuten, nachdem ich ihr per E-Mail geantwortet hatte, vor meiner Tür gestanden. Sie war zweiundzwanzig, hatte stacheliges mahagonifarbenes Haar, mehr Tattoos als Haut und war fast am ganzen Körper gepierct. Es kam einem Wunder gleich, dass die massive metallische Energie meine Arbeit nicht behinderte.

Vollkommen aufgelöst hatte sie vor mir gesessen. Sie hatte ihren Führerschein verlegt oder verloren und sollte in der darauffolgenden Woche eine Stelle als Aushilfsfahrerin antreten. Ich war ihre letzte Hoffnung.

Während ich ihr die Karten legte, tauchte das Bild eines Handschuhfachs vor meinem geistigen Auge auf. Es war jedoch nicht ihr Wagen. Es saß jemand anderes am Steuer. Ich wollte ihr gerade mitteilen, dass sich ihr Führerschein in einem fremden Auto befinde, als ich merkte, dass auf dem Handschuhfach ein Lichtbildausweis klebte und das Auto gelb war.

»Sind Sie vor kurzem Taxi gefahren?«, fragte ich.

»Ja, um zu Ihnen zu kommen«, antwortete sie.

»Nein. Vorher irgendwann.«

Sie rümpfte die Nase und kramte in ihrem Gedächtnis. »Ich fahre ständig Taxi.«

»Auf jeden Fall haben Sie Ihren Führerschein in einem Taxi verloren.«

»Das können Sie in den Karten lesen?«

Ich zögerte. Nein, die Karten hatten nichts damit zu tun. Tarot ist der Versuch, das eigene Bewusstsein auszutricksen, indem man ihm erlaubt, sich auf die Karten zu konzentrieren, damit das Unterbewusstsein an die Oberfläche aufsteigen und frei reden kann. Um es bildlich zu sagen: Das Bewusstsein ist wie ein weinender Säugling, den man mit einem Schnuller zum Schweigen bringt, damit man in Ruhe nachdenken kann.

Falls das Unterbewusstsein mal nichts zu berichten hat, kann man sich noch immer auf die Bedeutung der Karten konzentrieren. Eine Fähigkeit, die ausschließlich auf gutem Erinnerungsvermögen basiert und nichts mit hellseherischen Fähigkeiten zu tun hat. Es gibt eine Vielzahl von Kartenlegern, zu denen das Unterbewusstsein nie spricht, während andere – wie ich – die Energie des Kunden anzapfen und Momente wahrhaftiger Intuition erleben. Aber ich hatte keine Lust, ihr das zu erklären.

»Das ist die Botschaft, die ich empfange«, hatte ich nur geantwortet.

»Aber welches Taxi? Wie lautet der Name des Fahrers?«

»Das kann ich beim besten Willen nicht sagen. Ich schlage vor, wir machen weiter und sehen, ob ich noch mehr Informationen erhalte, einverstanden?«

Als ich die nächste Karte umdrehte, blitzten kaugummikauende Zwillinge in meinem Geiste auf.

»Es war das Taxi, das Sie zum Baseballspiel nach Wrigley's Field gebracht hat«, sagte ich.

Terri sackte der Kiefer herab. »Jetzt müssen Sie sich nur noch daran erinnern, an welchem Abend das war.«

»Letzten Mittwoch.«

»Rufen Sie die Taxizentrale an. Mit ein wenig Glück liegt Ihr Führerschein dort.«

Sie hatte gleich von meinem Anschluss aus angerufen, auch wenn ich das eigentlich nicht wörtlich gemeint hatte. Als sich herausstellte, dass ihr Führerschein tatsächlich dort war, gab sie mir spontan hundert Dollar Trinkgeld.

Seitdem wurde ich sie nicht mehr los. Mindestens dreimal im Monat stand sie unangemeldet vor meiner Tür, egal ob Tag oder Nacht. Und jedes Mal hatte sie andere Probleme. Mit wem soll ich ausgehen? Wie sollte mein nächster Karriereschritt aussehen? Was kann ich tun, damit meine Mutter mich in Ruhe lässt? Macht es mich zu einem lesbischen Transvestiten, wenn ich von Männern mit langen Haaren und rasierten Beinen träume? Bin ich schwanger? Ist mein Bruder ein Serienmörder? Sollte ich mir einen Leguan kaufen?

Vor drei Wochen war mir dann der Kragen geplatzt, und ich hatte ihr erklärt, dass ich mich nur noch mit ihr träfe, wenn sie vorher einen Termin ausmachte. Plötzlich füllte sich der enge Hausflur mit Nebel. Dann erkannte ich einen Buchstaben. Es war ein W. »Wodka«, sagte ich, und Terri schrie so laut, dass mein Nachbar von gegenüber die Tür öffnete.

»Entschuldigen Sie, Mister Holland«, sagte ich und warf Terri einen vernichtenden Blick zu. Mit einem Kopfschütteln zog er sich in seine Wohnung zurück.

»Entschuldigen Sie«, äffte Terri mich nach, als ich meine Tür aufschloss. Ohne darauf zu warten, dass ich sie hereinbat, folgte sie mir.

»Sie müssen jetzt gehen«, sagte ich und lief in die Küche zu der kleinen Schublade, in der ich die Straßenkarten und den Drehpfeil aufbewahrte.

»Aber Sie wussten doch, dass ich komme«, antwortete Terri und folgte mir wie ein dressierter Hund.

»Ich wusste es nicht. Ich weiß nie, wann Sie auftauchen.«

»Wenn Sie ...«

Ich schoss herum und legte Terri den Finger auf die gepiercten Lippen. »Wenn Sie jetzt sagen: ›Wenn Sie eine echte Hellseherin sind, hätten Sie gewusst, dass ich komme‹, dann schwöre ich bei Gott und allen anderen Kräften des Universums, dass ich Sie mit bloßen Händen erwürge.«

Terri sah mich aus weit aufgerissenen Augen an und nickte. »Schon gut, schon gut«, erwiderte sie voller Bewunderung. »Genau das wollte ich gerade sagen. Sie sind doch nicht so schlecht.«

»Ich habe Ihnen doch erklärt, dass Sie nicht unangemeldet vor meiner Tür auftauchen sollen. Ich wohne hier, schon vergessen?«

»Aber Sie haben doch Wodka gesagt«, entgegnete sie, ohne auf meine Worte einzugehen, und hielt mir eine herausgerissene Seite aus einer Zeitschrift unter die Nase. »Sehen Sie mal. Wodka.«

Ich drehte mich wieder um und riss die Schublade auf: Pfannenwender, Zuckertütchen, Flaschenverschlüsse, eine entwertete Kinokarte für Memento. Wurde mal wieder Zeit, die Schublade zu entrümpeln. Wo waren denn nur die Karte und der verdammte Drehpfeil?

»Clair! Ich muss gewinnen!«

»Ich höre Ihnen nicht zu und werde auch nicht fragen, was Sie gewinnen müssen. Ich habe Wichtigeres zu tun.«

»Schon gut, beruhigen Sie sich wieder.«

»Gehen Sie jetzt bitte.«

Ich stapfte ins Schlafzimmer und durchsuchte den Nachttisch, als wäre ich ein Dieb auf der Suche nach wertvollem Schmuck. Nichts außer einer Handvoll Tampons und der blauen Kladde, in die ich meine Träume schreiben will.

Der Drehpfeil musste doch irgendwo sein. Ich suchte weiter. Margaret Atwoods Der Report der Magd, Das Tibetanische Totenbuch,ein alter Zimtkaugummi, eine Schere, ein Liebesbrief von Charles (Ex-Numero dos). Noch eine Schublade, die dringend aufgeräumt werden musste. Keine Karte, kein Drehpfeil.

»Sehen Sie denn nicht, Terri?«, sagte ich und bewegte die Arme auf und ab, als wollte ich einen unsichtbaren Basketball auf dem Boden aufprallen lassen. »Ich suche etwas.«

Terri stand an meinem Bett und spielte mit einer gegelten Strähne.

»Ich habe etwas verloren«, schrie ich so laut, dass sie in der Bewegung erstarrte. »Ich habe nicht immer eine Antwort auf alles!« Mir war klar, dass Terri nichts dafür konnte, aber ich hatte einen hundsmiserablen Tag hinter mir. Die Angst, den Drehpfeil nicht zu finden, raubte mir den letzten Rest Verstand, den ich noch hatte.

»Aber ...«

»Und wissen Sie was?« Ich holte tief Luft, während sie den Atem anhielt. »Es ist mir egal, ob Sie sich noch ein Tattoo stechen lassen, sich die Haare lila färben oder Ihren Cousin zweiten Grades heiraten.«

»Dritten Grades, wenn schon.«

»Fliegen Sie nach Thailand, lassen Sie sich das Fett an den Unterschenkeln absaugen, oder legen Sie sich einen weiteren Leguan zu. Aber machen Sie, dass Sie von hier fortkommen!« Ich beendete meinen Wutausbruch, indem ich mich auf den Boden fallen ließ wie eine Marionette, die ihren Auftritt absolviert hatte, und die Suche unter meinem Bett fortsetzte.

»Was suchen Sie eigentlich?«, säuselte Terri, als wäre nichts gewesen. »Wie wär's, wenn ich Ihnen beim Suchen helfe und Sie mir im Gegenzug sagen, wie ich den Wettbewerb gewinne.«

»Ich höre Ihnen nicht zu. Ich höre Ihnen nicht zu. Ich höre Ihnen nicht zu«, erwiderte ich und wartete darauf, dass meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten.

»Es geht darum, einen Namen für den Wodka zu finden und ein passendes Logo zu entwickeln«, hörte ich Terri sagen. »Dem Gewinner winken zehntausend Kröten, ist das nicht toll?« Sie klatschte vor Freude in die Hände. »Sie haben selbst behauptet, ich sei künstlerisch begabt.«

»So, habe ich das?«, entgegnete ich und kam mir vor wie nach einer geglückten Augenoperation, als ich endlich sehen konnte, was sich unter dem Bett angesammelt hatte. Wollmäuse, ein Hammer (zur Selbstverteidigung und zum Aufhängen von Bildern), eine herrenlose Socke, die Taschenbuchausgabe von Schokolade zum Frühstück und eine halbvolle Packung Kondome. Mann, muss das lange her sein, dass ich hier unten aufgeräumt habe. Mit wem hatte ich eigentlich das letzte Mal Sex?

Charles, dachte ich mürrisch.

Letztes Jahr.

Weihnachten.

In einem seltenen Anfall von Sentimentalität hatte ich in seinen alten Liebesbriefen gestöbert. Dann hatte ich mir das Hochzeitsalbum angesehen und gedacht, es könne nicht schaden, wenn ich ihn anrief, um zu hören, wie es ihm ging. Das Ende der Geschichte: Ich flehte ihn an, vorbeizukommen, um mit mir zu schlafen. Charles ist aber auch ein Hammerkerl. Athletisch, gut bestückt, und küssen kann er wie ein junger Gott, ganz zu schweigen von seinen 1a-Qualitäten im Bett. Außerdem lacht er gern, drückt sich artikuliert aus, schmust gern und ... kifft gern. Das war damals auch der Grund, warum ich mich von ihm getrennt habe. Mir wurde schnell klar, dass sein »Hin und wieder rauche ich mal gern ein bisschen Gras« so viel bedeutete wie: »Ohne meine drei Joints am Tag bin ich kein richtiger Mensch.«