Versuch schweizerischer Gedichte - Albrecht von Haller - E-Book

Versuch schweizerischer Gedichte E-Book

Albrecht von Haller

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Beschreibung

Als Dichter trat Haller vor allem durch seine 1732 erstmals erschienene Gedichtsammlung "Versuch Schweizerischer Gedichte" hervor, in der sich das berühmte Gedicht Die Alpen befand. Vorbildcharakter in der Literatur der Aufklärungsepoche erlangten außerdem seine philosophischen Lehrgedichte über religiöse, ethische und metaphysische Grundfragen der Zeit.

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Versuch Schweizerischer Gedichte

Albrecht von Haller

Inhalt:

Albrecht von Haller – Biografie und Bibliografie

1. Morgen-Gedanken

2. Sehnsucht nach dem Vaterlande

3. Ueber die Ehre.

4. Die Alpen

5. Gedanken über Vernunft, Aberglauben und Unglauben

6. Die Falschheit menschlicher Tugenden

7. Die Tugend

8. Doris

9. Die verdorbenen Sitten

10. Ueber eine Hochzeit

11. Der Mann nach der Welt

12. An Herrn D. Gessner, Jetzigen Prof. Math. und Physices und Canonic. Carolin. in Zürich

13. Gedanken bei einer Begebenheit

14. Ueber den Ursprung des Uebels

15. Zueignungs-Schrift an den Hochwohlgebornen gnädigen Herrn, Herrn Isaac Steiger, des Standes Bern Schultheißen

16. Beim Beilager des Hochwohlgebornen gnädigen Herrn Isaac Steiger, Herrn zu Almedingen, des Standes Bern Schultheißen, Mit der Hochwohlgebornen Frauen Elisabeth von Erlach, vermählten Lombach

17. Unvollkommenes Gedicht über die Ewigkeit1

18. Ueber Marianens anscheinende Besserung

19. Trauer-Ode, beim Absterben seiner geliebten Mariane1

20. Ueber eben Dieselbe

21. Ueber das Einweihungs-Fest der Göttingischen hohen Schule

22. An Se. Excellenz Herrn Gerlach Adolf v. Münchhausen, Sr. Königl. Majestät von Groß-Britannien und Churfürstl. Durchl. zu Braunschweig-Lüneburg hochbetrauten geheimden Rath, Groß-Vogt zu Celle und königl. hohen Repräsentanten. Bei der Einweihung der Georg-Augustus-Universität, unter fremden Namen

23. Antwort an Herrn Johann Jakob Bodmer, Professor und des Großen Raths zu Zürich

24. Ueber den Tod seiner zweiten Gemahlin, Elisabeth Bucher1

25. Einige Fabeln

26. Cantate, die in der allerhöchsten Gegenwart Sr. königl. Majestät Georg des Andern, Königs in Groß-Britannien, Frankreich und Irland, Beschützer des Glaubens, Herzogs zu Braunschweig und Lüneburg, des H.R. Reichs Erzschatzmeister und Churfürsten, in der Göttingischen Universitäts-Kirche mit Musik aufgeführet worden

27. Serenate, die gleichfalls bei dem höchst-erwünschten Dasein Georg des Andern, von einer Anzahl Göttingischer Studenten als ein unterthänigstes Zeichen der tiefsten Ehrfurcht aufgeführet wurde

28. Ueberschriften

29. Ueber den Tod der Frau Trillerin

30. Beim Tode der Wohlgebornen Frauen Johanna Maria Ayrerin, geborner Dornfeldin

31. Beim Absterben der weiland Wohlgebornen Frauen Katharinen Wilhelminen Eleonoren Darjesin, geborner Teichmeierin, im Namen seiner Gemahlin

Versuch Schweizerischer Gedichte, A. von Haller

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849638481

Dieses Werk bzw. Inhalt und Zusammenstellung steht unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz. Die Details der Lizenz und zu der Weiterverwertung dieses Werks finden Sie unter http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/. Der Inhalt und die Zusammenstellung oder Teile davon wurden der TextGrid-Datenbank entnommen, wo der Inhalt und die Zusammenstellung oder Teile davon ebenfalls unter voriger Lizenz verfügbar sind. Eine bereits bestehende Allgemeinfreiheit der Texte bleibt von der Lizensierung unberührt.

www.jazzybee-verlag.de

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Albrecht von Haller – Biografie und Bibliografie

Botaniker, Anatom, Physiolog, Arzt und Dichter, geb. 16. Okt. 1708 in Bern, gest. daselbst 12. Dez. 1777, studierte seit 1723 Medizin in Tübingen, seit 1725 in Leiden, erwarb daselbst 1727 die medizinische Doktorwürde, besuchte dann London und Paris, studierte in Basel Mathematik und praktizierte seit 1729 als Arzt in Bern, wo er seit 1734 anatomische Vorlesungen hielt und 1735 zum Stadtbibliothekar ernannt wurde. Während dieser Zeit bereiste er jährlich die Alpen behufs botanischer Forschungen, deren Resultat die »Enumeratio stirpium helveticarum« (Götting. 1742) war. Sein »Versuch schweizerischer Gedichte« (Bern 1732; neuer Abdruck in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«) erfreute sich des Beifalls Bodmers. 1736 ging er als Professor der Medizin, Anatomie, Botanik und Chirurgie nach Göttingen und gründete hier den Botanischen Garten und das Anatomische Theater mit einer Anstalt für anatomisches Zeichnen. Dabei erschienen Kommentare zu Boerhaaves Vorlesungen (Götting. 1739–44), das »Iter helveticum« (das. 1740), Boerhaaves »Methodus studii medici« (Amsterd. 1751, 2 Bde.) und seit 1742 für die von Wetstein in Amsterdam herausgegebene »Bibliothèque raisonnée« zahlreiche kritische Beiträge. Einen ausgebreiteten Ruf verschafften ihm damals besonders seine »Icones anatomicae« (Götting. 1743–50, 8 Hefte), seine »Primae lineae physiologiae« (das. 1747; 4. Aufl. von Wrisberg, das. 1780; deutsch, Berl. 1769; neue Aufl., als »Grundriß der Physiologie« umgearb. von Leveling, Erlang. 1796 u. ö., 2 Bde.), die später erweitert u. d. T.: »Elementa physiologiae corporis humani« (Laus. 1757–66, 8 Bde.) erschienen. 1750 übernahm H. den Vorsitz in dem von ihm gestifteten Kollegium der Wundärzte; 1751 ward auf seinen Vorschlag eine Entbindungsanstalt gegründet und die königliche Sozietät der Wissenschaften eröffnet, zu deren immerwährendem Präsidenten er ernannt wurde. Während dieser Zeit war er von Kaiser Franz I. geadelt, nach Oxford, Utrecht, Halle, Berlin und Petersburg berufen, vom König von England zum Staatsrat und Leibarzt ernannt und 1745 in den Großen Rat seiner Vaterstadt aufgenommen worden. 1753 legte er seine Ämter, mit Ausnahme der Präsidentschaft der königlichen Sozietät, nieder und kehrte nach Bern zurück, wo er als Ammann bald wieder eine bedeutende Tätigkeit entwickelte. Zum Mitgliede des akademischen Senats, bald darauf zum Direktor der Salzwerke zu Bex und Aigle, dann auch zum Mitgliede des Sanitätskollegiums, der ökonomischen Kommission etc. ernannt, verbesserte er die Einrichtung jener Salzwerke, gab der akademischen Schule zu Lausanne eine zweckmäßigere Einrichtung, veranlaßte neue medizinisch-polizeiliche Maßregeln und die Errichtung eines Waisenhauses in seiner Vaterstadt, vermittelte 1764 die Grenzstreitigkeiten zwischen Bern und Wallis und ordnete 1767 die kirchlichen Angelegenheiten des Waadtlandes. Gleichzeitig erschienen die »Bibliotheca botanica« (Zürich 1771–72, 2 Bde.); die »Bibliotheca anatomica« (das. 1774–77, 2 Bde.); die »Bibliotheca chirurgica« (Basel 1774–75, 2 Bde.); der Anfang der »Bibliotheca medicinae practicae« (das. 1776–87, 4 Bde.) und »De functionibus corporis humani praecipuarum partium« (Bern 1777–78, 4 Bde.). Auch fuhr er fort, die »Commentarii societatis Gottingensis«, für die er allein 1200 (!) Rezensionen geliefert haben soll, und andre Zeitschriften mit Abhandlungen zu bereichern. Die wichtigern Rezensionen erschienen in der »Sammlung kleiner Hallerscher Schriften« (2. Aufl., Bern 1772, 3 Bde.). – H. ist als Anatom und Physiolog der hauptsächliche Träger dieser Wissenschaften im 18. Jahrh. Seine zahlreichen Bereicherungen der Anatomie machte er in den »Opuscula anatomica minora« (Lauf. 1762 bis 1768, 3 Bde.) und den erwähnten »Icones anatomicae« bekannt. Die pathologische Anatomie behandelte er in seinen »Opuscula pathologica« (Laus. 1755); der Zootomie wurde durch seine Tierzergliederungen und der Entwickelungsgeschichte durch seine Beobachtungen über das bebrütete Ei der Weg gebahnt. In der Physiologie füllte er die Lücken in Harveys Lehre vom Blutumlauf aus und stellte über den Blutlauf in den feinsten Gefäßen Ansichten auf, die im wesentlichsten noch heute Geltung haben. Auch über den mechanischen und chemischen Teil der Atmung verbreitete er richtigere Ansichten in der Abhandlung »De respiratione experimenta anatomica« (Götting.1746 u. 1749), in den »Mémoires sur la respiration« sowie im 2. Bande der »Opera minora«.Er unterschied zuerst die drei Eigenschaften der Muskelfasern: Elastizität, das Vermögen, auf Nervenreize, und die Fähigkeit, auf mechanische und chemische Reize selbständig zu reagieren. Die letztere Eigenschaft nannte er Irritabilität, ein Begriff, auf den, indem man ihn verallgemeinernd auf Nerven, Schleimhäute, Drüsen etc. übertrug, in der Folge ganze pathologische Systeme gebaut worden sind. Auf dem Gebiet der Botanik gab er in einer Habilitationsschrift: »De methodico studio botanices absque praeceptore« (Götting. 1736), die Grundzüge zu einem natürlichen System, das sowohl auf den Habitus der Pflanzen und ihre natürliche Verwandtschaft als auf die Verhältnisse der Befruchtungswerkzeuge gegründet war. Über Linnés Leistungen gab er eine schonungslose Kritik unter dem Namen seines 15jährigen Sohnes Gottlieb Emanuel heraus: »Dubia ex Linnei fundamentis hausta« (Götting. 1751).

Als Dichter trug H. zu dem hohen Aufschwung, den die deutsche Poesie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. nahm, bedeutend bei. Seit der Herrschaft der schlesischen Dichter war H. der erste, welcher der Sprache Kraft und Kernhaftigkeit, der Poesie einen tiefern Gehalt verlieh. Am berühmtesten wurde er durch seine beschreibenden Lehrgedichte: »Die Alpen« (1729; Neudruck, mit einer Beilage und Kupfern, von Geifer, Bern 1902) und »Vom Ursprung des Übels« (1734), letzteres der Vorläufer der großen Masse von Lehrgedichten über das große Thema, mit dem sich damals die Philosophie abquälte. Doch ist er auch in der Lyrik hervorragend, namentlich in der Behandlung der Ode. Seine »Gedichte« (12. Aufl. von Wyß, Bern 1828; mit Biographie neu hrsg. von L. Hirzel, Frauenfeld 1882) wurden ins Französische, Italienische und Englische übersetzt. In spätern Jahren schrieb er politische Romane mit der besondern Absicht, nachzuweisen, daß es bei der Staatsverfassung eines Landes auf deren Handhabung, nicht auf die Form ankomme. Diese »Staatsromane« sind: »Usong« (Bern 1771; zuletzt das. 1778), »Alfred, König der Angelsachsen« (Götting. 1773) und »Fabius und Cato« (das. 1774), worin die absolute, die beschränkte und die aristokratisch-republikanische Staatsform behandelt wird. Hallers »Tagebuch seiner Beobachtungen über Schriftsteller und über sich selbst« wurde von Heinzmann (Bern 1787), die »Tagebücher seiner Reisen nach Deutschland, Holland und England 1723–1727« von Hirzel (Leipz. 1883) herausgegeben; aus Hirzels Nachlaß veröffentlichte H. Fischer den »Briefwechsel zwischen Albrecht v. H. und E. F. v. Gemmingen. Nebst dem Briefwechsel zwischen Gemmingen und Bodmer« (Stuttg., Liter. Verein, 1901). Vgl. Zimmermann, Das Leben des Herrn v. H. (Zürich 1775); Hermine Chavannes, Biographie d'Albert de H. (Laus. 1840, 2. Aufl., Par. 1845); Baggesen, H. als Christ und Apologet (Bern 1865); Henle in den »Göttinger Professoren« (Gotha 1872); Blösch, Hirzel u. a., Albrecht v. H., Denkschrift (Bern 1877); Frey, A. v. H. und seine Bedeutung für die deutsche Literatur (Leipz. 1879); Bodemann, Von und über A. v. H. (ungedruckte Briefe und Gedichte etc., Hannov. 1885); Bondi, Das Verhältnis von Hallers philosophischen Gedichten zur Philosophie seiner Zeit (Leipz. 1891); Widmann, A. v. Hallers Staatsromane (Biel 1893); O. v. Greyerz, Albrecht H. als Dichter (Dresd. 1902); Jenny, H. als Philosoph (Basel 1902).

1. Morgen-Gedanken

Den 25. Merz 1725.

Dieses kleine Gedicht ist das älteste unter denen, die ich der Erhaltung noch einigermaßen würdig gefunden habe. Es ist auch die Frucht einer einzigen Stunde und deswegen auch so unvollkommen, daß ich ein billiges bedenken getragen habe, es beizubehalten. Die Kenner werden deswegen und in Betracht des unreifen Alters des Verfassers es mit schonenden Augen ansehen.

Der Mond verbirget sich, der Nebel grauer Schleier

Deckt Luft und Erde nicht mehr zu;

Der Sterne Glanz erblasst, der Sonne reges Feuer

Stört alle Wesen aus der Ruh.

Der Himmel färbet sich mit Purpur und Saphiren,

Die frühe Morgen-Röthe lacht;1

Und vor der Rosen Glanz, die ihre Stirne zieren,

Entflieht das bleiche Heer der Nacht.

Durchs rothe Morgen-Thor der heitern Sternen-Bühne

Naht das verklärte Licht der Welt;

Die falben Wolken glühn von blitzendem Rubine,

Und brennend Gold bedeckt das Feld.

Die Rosen öffnen sich und spiegeln an der Sonne

Des kühlen Morgens Perlen-Thau;

Der Lilgen Ambra-Dampf belebt zu unsrer Wonne

Der zarten Blätter Atlas-grau.

Der wache Feld-Mann eilt mit singen in die Felder

Und treibt vergnügt den schweren Pflug;

Der Vögel rege Schaar erfüllet Luft und Wälder

Mit ihrer Stimm und frühem Flug.

O Schöpfer! was ich seh, sind deiner Allmacht Werke!

Du bist die Seele der Natur;

Der Sterne Lauf und Licht, der Sonne Glanz und Stärke

Sind deiner Hand Geschöpf und Spur.

Du steckst die Fackel an, die in dem Mond uns leuchtet,

Du giebst den Winden Flügel zu;

Du leihst der Nacht den Thau, womit sie uns befeuchtet,

Du theilst der Sterne Lauf und Ruh.

Du hast der Berge Stoff aus Thon und Staub gedrehet,

Der Schachten Erzt aus Sand geschmelzt;

Du hast das Firmament an seinen Ort erhöhet,

Der Wolken Kleid darum gewelzt.

Den Fisch, der Ströme bläst und mit dem Schwanze stürmet,

Hast du mit Adern ausgehölt;

Du hast den Elephant aus Erden aufgethürmet

Und seinen Knochen-Berg beseelt.

Des weiten Himmel-Raums saphirene Gewölber,

Gegründet auf den leeren Ort,

Der Gottheit große Stadt, begränzt nur durch sich selber,

Hob aus dem nichts dein einzig Wort.

Doch, dreimal großer Gott! es sind erschaffne Seelen

Für deine Thaten viel zu klein;

Sie sind unendlich groß, und wer sie will erzählen,

Muß, gleich wie du, ohn Ende sein!

O Unbegreiflicher! ich bleib in meinen Schranken,

Du, Sonne, blendst mein schwaches Licht;

Und wem der Himmel selbst sein Wesen hat zu danken,

Braucht eines Wurmes Lobspruch nicht.

Fußnoten

1 Der sechszehn und ein halbes Jahr noch nicht erreicht hatte.

2. Sehnsucht nach dem Vaterlande

1726.

Ich werde eine gleiche Schonung für dieses kleine Stücke suchen müssen, das in einer schwermüthigen Stunde auf meinen Reisen entstanden und vielleicht deswegen erhalten worden ist, weil es die Rührung des Herzens einigermaßen vorstellt.

Beliebter Wald! beliebter Kranz von Büschen,

Der Hasels Höh mit grünem Schatten schwärzt,1

Wann werd ich mich in deinem Schooß erfrischen,

Wo Philomel auf schwanken Zweigen scherzt?

Wann werd ich mich auf jenen Hügel legen,

Dem die Natur das Moos zum Teppich schenkt,

Wo alles ruht, wo Blätter nur sich regen,

Und jener Bach, der öde Wiesen tränkt?

Ach, Himmel! laß mich doch die Thäler grüßen,

Wo ich den Lenz des Lebens zugebracht,

Und in dem Wald bei kleinen Wassergüssen

Auf einen Reim für Silvien gedacht,

Wo schwaches Laub, belebt vom Westen-Winde,

Die matte Seel in sanfte Wehmuth bringt,

Und in dem Frost noch nie bestrahlter Gründe

Kein Leid mehr bleibt, das nicht die Stille zwingt.

Hier muß ich mich mit stätem Kummer schlagen,

Die Ruh ist mir ein unbekanntes Gut;

Mein Geist versinkt in immer neuen Plagen,

Ich weiß noch nicht, wie Ruh und Freude thut.

Entfernt vom Land, wo ich begann zu leben,

Von Eltern bloß, und fremd für jedermann,

Dem blinden Rath der Jugend übergeben,

Gefährlich frei, eh ich mich führen kann.

Bald schleicht ein Weh durch meine matten Glieder,

Das selbst den Trieb nach Ruhm und Wahrheit dämpft;

Bald fällt der Bau der schwachen Hoffnung nieder,

Die athemlos mit Gram und Ohnmacht kämpft;

Bald bricht die Flut den Schutt von mürben Dämmen,2

Womit der Tod an unsre Wälle schwimmt;

Bald will uns Mars mit Flammen überschwemmen,

Davon der Tacht schon in der Asche glimmt.

Doch nur getrost, es kann nicht immer währen!

Des Wetters Macht nimmt ab bei jedem Streich.

Vergangnes Leid muß Wohlsein fühlen lehren,

Wer nie gedarbt, ist ohne Freude reich.

Ja, ja, die Zeit trägt auf geschwinden Flügeln

Mein Unglück weg und meine Ruh heran;

Beliebte Luft auf väterlichen Hügeln,

Wer weiß, ob ich dich einst nicht schöpfen kann!

Ach, daß ich dich schon itzt besuchen könnte,

Beliebter Wald und angenehmes Feld!

Ach, daß das Glück die stille Lust mir gönnte,

Die sich bei euch in öder Ruh erhält!

Doch endlich kömmt, und kömmt vielleicht geschwinde,

Auf Sturm die Sonn und nach den Sorgen Ruh.

Ihr aber grünt indessen, holde Gründe,

Bis ich zu euch die letzte Reise thu!

Fußnoten

1 Landgut unweit Bern.

2 Da eben in Holland eine große Ueberschwemmung war und die Zeitläufe für sehr gefährlich angesehen wurden.

3. Ueber die Ehre.

 Als Herr D. Giller den Doctorhut annahm.

1728.

Die Freundschaft dieses liebreichen, ehrlichen und längst in die Ewigkeit versetzten Mannes machte einen großen Theil meiner Glückseligkeit in Leyden aus. Sie allein konnte meinen Widerwillen wider alles gratulieren bezwingen, und ich verließ meinen Vorsatz, niemals dergleichen Gelegenheits-Gedichte zu schreiben, um desto unbereuter, weil die reinste Liebe allein mich davon frei sprach.

Geschätztes nichts der eitlen Ehre!

Dir baut das Alterthum Altäre;

Du bist noch heut der Gott der Welt.

Bezaubrend Unding, Kost der Ohren,

Des Wahnes Tochter, Wunsch der Thoren,

Was hast du dann, das uns gefällt?

Du hast die Bürger güldner Zeiten

Gelehrt, ihr eigen Weh bereiten,

Des Blutes stolzes Recht erdacht;

Du hast, aus unterirdschen Grüften,

Die tolle Zier an unsern Hüften,

Das Schwert, zuerst an Tag gebracht.

Du lehrtest nach dem Rang der Fürsten

Der Menschen eitle Sinnen dürsten,

Den doch die Ruh auf ewig flieht:

Daß wir die Centner-Last der Würden

Auf allzuschwache Schultern bürden,

Ist, weil man dich beim Zepter sieht.

Du führest die geharnschten Schaaren

Durch die verachteten Gefahren

Mit Freuden ins gewisse Grab;

Dich nach dem Tode zu erhalten,

Bricht der geschwächte Sinn der Alten

Ihr sonst so theures Leben ab.

Dein Feuer füllt die grösten Geister,

Du lehrest Künst und machest Meister,

Durch dich erhält die Tugend sich;

Der Weise selbst folgt dir von fernen,

Sein starrer Blick sucht in den Sternen

Nicht ihren Wunder-Lauf, nur dich.

Ach, könnten doch der Menschen Augen

Dein Wesen einzusehen taugen,

Wie würdest du für sie so klein!

Verblendend Irrlicht der Gemüther,

Gerühmter Adel falscher Güter,

Wer dich gefunden, hascht nur Schein.

»O Jüngling,« rufte jener Weise,

»Was macht, daß deine Helden-Reise

Sich in Aurorens Bette wagt?

Du rennst in tausend bloße Säbel,

Nur daß am Tisch der Griechen Pöbel

Nach deinen Thaten müßig fragt.«1

So seid ihr Menschen mit einander!

An Muth ist keiner Alexander,

An Thorheit gehn ihm tausend für;

Ihr opfert eure besten Jahre,

Nur daß Europa bald erfahre,

Daß einer lebt, der heißt wie ihr.

Wie herrlich werd ich einst verwesen,

Wenn Leute nur mein Ende lesen

Bei den Erschlagnen obenan!

Wohl angebrachtes Blut der Helden,

Wann einmal die Kalender melden,

Was Wunderthaten sie gethan!

Zwar noch zu glücklich, wessen Wunden

Bei dem Gerüchte Platz gefunden,

Er hascht ihn doch, den edlen Traum!

Wie manchen, der sein kühnes Leben

Mit gleichem Muthe hingegeben,

Benennt die Todtenliste kaum!

Als aus des neuen Gottes Wunden

Das Blut entgieng, die Kräfte schwunden,

Wog Fama jeden Tropfen ab;

Allein das Werkzeug seiner Siege,

Die Mitgefährten seiner Kriege,

Verscharrt mit ihrem Ruhm ihr Grab.

Doch, ach, was haben sie verloren?

Das Leben in der Menschen Ohren

Geht nach dem Tod uns wenig an;

Achilles, dessen kühne Tugend

Ein Beispiel ist sieghafter Jugend,

Ist ja so todt als jedermann.

Baut, eitle Herrscher unterm Süden,

Die unzerstörbarn Pyramiden,

Gepflastert mit des Volkes Blut;

Doch wisst, daß, einst der Würmer Speise,

Man unterm Stein vom höchsten Preise

Nicht besser als im Rasen ruht.

Allein was kann uns auch im Leben

Der Nachruhm für Vergnügen geben?

Die Ruh wohnt bei der Ehre nie.

Sie wohnt in prächtigen Pallästen

Und hat selbst Könige zu Gästen,

Allein mit Rauche speiset sie.

Sagt: hat der gröste von den Kaisern,2

Bedeckt mit tausend Lorbeer-Reisern,

Nicht alles, was ihr wünschen könnt?

Doch schaut, ihr Sklaven eiteln Schimmers,

Doch ins Bezirk des innern Zimmers

Und sagt, ob ihr sein Glück euch gönnt?

Es klingt zwar herrlich in den Ohren:

»Zum Herrscher von der Welt geboren

Und größer noch von Würdigkeit!«

Allein der Glanz von zehen Kronen,

Die Majestät so vieler Thronen

Ist nur der Unruh Feier-Kleid.

Europens aufgebrachte Waffen

Hier von sich lehnen, dort bestrafen,

Am Steuer von der Erde sein,

Ein Heer gepresster Unterthanen

Hier schützen, dort zum Frieden mahnen,

Räumt wenig Ruh den Tagen ein.

Allein sein eigen Reich verwalten,

Staat, Kirch und Handelschaft erhalten,

Was Nutz und Ehre fodern, thun,

In Frieden seine Waffen schärfen,

Den Grund zum Glück der Nachwelt werfen,

Lässt auch zu Nacht ihn niemals ruhn.

Er schmachtet unter seiner Würde,

Ihr seht die Pracht, er fühlt die Bürde,

Ihr schlafet sicher, weil er wacht;

Zu selig, schnitte das Geschicke

Von seiner Hand die güldnen Stricke,

Womit es ihn zum Sklaven macht.

Wann aber erst mit Unglücks-Fällen

Des Fürsten Sorgen sich gesellen,

Wenn wider ihn das Schicksal ficht,

Wann um ihn Macht und Bosheit wittert

Und der bestürmte Thron erzittert,

Da zeigt der Zepter sein Gewicht.

Weh ihm, wann ihn sein Stolz verwöhnet!

Der größre Herr, der ihn belehnet,

Lehrt ihn, von wem die Krone sei;

Der Lorbeer schützt nicht vor dem Blitze,

Der Donner schlägt der Thürme Spitze,

Und Unfall wohnt Tyrannen bei.

Wie manchmal wird dem höchsten Haupte,

Das heut der Lorbeer noch umlaubte,

Des Abends kaum ein Sarg gewährt!

Wie oft muß Gift, aus Freundes Händen,

Des grösten Helden Leben enden,

Das tausend Degen nicht versehrt!

Das Muster aller Fürsten-Gaben

Muß neben sich ein Unthier haben,

Das eh verdient am Pfahl zu stehn.3

August, des Brutus Ueberwinder,

Sieht durch die Laster seiner Kinder

Sein Haus mit Spott zu Grunde gehn.

Zieh, Hannibal, vom heißen Calpe

Und Visos unerstiegner Alpe,4

Such in der Römer Blut den Ruhm!

Rom selbst scheut sich mit dir zu kriegen,

Doch bleibt dir einst von deinen Siegen

Nur Gift zum letzten Eigenthum!

Wann auch sich einst ein Liebling fände,

Mit dem das Glück sich fest verbände,

Blieb ihm kein Wunsch gleich unerfüllt;

Er wird von Sorgen drum nicht freier,

Die Ehrsucht ist ein ewig Feuer,

Das weder Zeit noch Ehre stillt.

Was man gewünscht, ist schon vergessen,

Eh man es einen Tag besessen,

Dem Wunsche folgt ein andrer nach;

Der Nachruhm selbst spornt unsre Sinnen,

Noch größre Thaten zu beginnen,

Und hält erworbnen Ruhm für Schmach.

Er fand an Ganges letztem Strande

Das Ziel der Thaten und der Lande,

Doch Philipps Sohn war noch nicht satt;

Die Welt hört auf mit seinen Siegen,

Er aber weint, weil, dort zu kriegen,

Der Himmel keine Brücke hat.

Ihr aber, deren Tugend-Lehre

Führt nach der reinsten Art der Ehre,

Lernt doch, wornach ihr lüstern seid!

Was hilft es euch, den Göttern gleichen,

Wann in der Bosheit finstern Sträuchen

Ein Weg ist zur Unsterblichkeit?

Der Nachruhm lobt nicht nur das gute;

Er schreibt die Zagheit bei dem Muthe,

Die Tugend bei den Lastern ein;

Er wieget nicht den Werth der Dinge,

Genug, daß ein Verrath gelinge,

Sein Meister wird unsterblich sein.

Wer hat des Habis Lob gegeben,5

Da man der Cäsarn mördrischs Leben

In tausend Büchern ewig findt?

Heißt Alexander nicht der Große,

Da in des nichts verlornem Schooße

Ung und Ascan begraben sind?6

Bekennt es, ihr homerschen Helden!

Was kann die Nachwelt von euch melden,

Als die beglückte Raserei?

Nehmt weg, daß ihr die Welt verheeret,

Geraubt, gemordt, gebrannt, zerstöret,

Was bleibt, das wissens würdig sei?

Allein, wann endlich schon die Ehre

Der Weg zu dem Vergnügen wäre,

Auch also lohnt sie nicht die Müh:

Man opfert ihr der Jahre Blüthe,

Die besten Kräfte vom Gemüthe,

Und nach dem Tod erlangt man sie.

Man steigt der wahren Ehr entgegen

Nur stufenweis, auf steilen Wegen,

Und zahlt mit Blute jeden Schritt;

Im Alter naht man sich der Spitze

Und glaubt sich endlich im Besitze,

Wann uns der Tod in Abgrund tritt.

Als dort im Kreise banger Helden

Die Aerzte Babels Sieger melden,

Daß er umsonst nach Rettung schaut,

Was helfen ihm die vielen Kronen?

Und daß, vom Schutt zerstörter Thronen,

Er lebend sich Altär erbaut?

Laß dein Arbela dich erquicken,

Wisch ab mit Lorbeern, die dich schmücken,

Den Schweiß des schmachtenden Gesichts;

Du siegtest nur, um schwer zu sterben,

Du raubst die Welt für fremde Erben,

Du hattest alles und wirst nichts!

Komm, schneller Cäsar, sieh und siege,

Es sei der Schauplatz deiner Kriege,

Die ganze Welt, dein Unterthan;

Doch Dolche sind, dich zu ermorden,

Vor Ewigkeit geschliffen worden,

Dawider nichts dich schützen kann!

O selig, wen sein gut Geschicke

Bewahrt vor großem Ruhm und Glücke,

Der, was die Welt erhebt, verlacht;

Der, frei vom Joche der Geschäfte,

Des Leibes und der Seele Kräfte

Zum Werkzeug stiller Tugend macht!7

Du, der die Anmuth frischer Jugend

Vermählest mit der reifen Tugend,

Was fehlet deiner Seligkeit?

Beglückter Giller, deine Tage

Sind frei von Sorg und feiger Klage,

Wie du von Ehrgeiz und von Neid!

Kein Kummer, deinen Stand zu bessern,

Kein eitler Bau von fernen Schlössern

Hat einen Reiz, der bei dir gilt;

Der Quell von stätigem Vergnügen

Ist nimmermehr bei dir versiegen,

Weil er aus deinem Herzen quillt!

Was soll dir dann mein Glückwunsch nutzen?

Mag ein Demant mit Glas sich putzen?

Schminkt sich mit Ruhm die Tugend an?

Genug, ich will dein Treuster leben,

Sie selbst, die Tugend, wird dir geben,

Was ich dir gutes wünschen kann!

Fußnoten

1 Alexander rief beim Uebergang des Hydaspes aus: wie vieler Mühe und Gefahr setze ich mich bloß, auf daß die Athenienser vorteilhaftig von mir sprechen sollen!

2 Karl der VI., dessen Glück damals am grösten war. An. 1728.

3 M. Antonius Philosophus und Faustina.

4 Nach des Mr. de St. Simon mühsamer Untersuchung.

5 König in Spanien, der lang und sehr löblich geherrschet und seinen Unterthanen den Ackerbau und andere Künste zuerst gewiesen hat, aber sonst wenig bekannt ist.

6

4. Die Alpen

1729.