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Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Zwei Herzen hatten sich nach einem Vierteljahrhundert wiedergefunden. Die alte Liebe war wieder aufgeblüht, und sowohl Inge Schönfelder als auch Tobias Weinert fühlten sie wie im siebten Himmel der Glückseligkeit. Inge lud ihre Tochter, deren Verlobten Armin sowie Tobias und den Pfarrer zu einem Mittagessen in den Biergarten des Hotels ein. Sie schilderte noch einmal bis ins Detail, wie es zu ihrem Unfall auf dem Klettersteig gekommen war, und nahm es Tobias nicht übel, als dieser, noch nachträglich erschüttert, sagte: »Das war leichtsinnig und geradezu unverantwortlich von dir, Inge, den schmalen Pfad ohne Sicherung zu überqueren. Ich hoff' doch, dass dir das eine Lehre war. Ich hab' Blut und Wasser geschwitzt, als mich der Herr Pfarrer informiert hat, dass du auf dem Berg vermisst wirst. Ein weiteres Mal darfst du mir keinen solchen Schrecken mehr einjagen.« »Nie wieder«, gelobte Inge mit schuldbewusst gesenktem Blick. Wie zum Schwur legte sie die rechte Hand flach auf die Brust. »Ich weiß ja selber, dass ich leichtfertig gehandelt hab'. Und ich dank' meinem Herrgott, dass der Unfall so glimpflich ausgegangen ist.« »Der Dank gebührt Susanne Reisinger«, gab Sebastian zu verstehen. »Wenn sie net so schnell geschaltet hätt', wär vielleicht erst nach Einbruch der Nacht eine Rettungsaktion durchgeführt worden, und dann hätt's wahrscheinlich weniger gut ausgeschaut.« »Bei der Susi werd' ich mich noch bedanken«, versicherte Inge. Sie hatte sich ein Schnitzel nach Wiener Art bestellt und hatte Mühe, mit dem gebrochenen linken Arm beim Schneiden die Gabel zu halten. Also zerkleinerte Julia für sie das panierte Stück Fleisch, und Inge konnte die Gabel in die rechte Hand nehmen. Tobias wusste seit dem Vortag, dass er Julias Vater war.
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Seitenzahl: 133
Zwei Herzen hatten sich nach einem Vierteljahrhundert wiedergefunden. Die alte Liebe war wieder aufgeblüht, und sowohl Inge Schönfelder als auch Tobias Weinert fühlten sie wie im siebten Himmel der Glückseligkeit.
Inge lud ihre Tochter, deren Verlobten Armin sowie Tobias und den Pfarrer zu einem Mittagessen in den Biergarten des Hotels ein. Sie schilderte noch einmal bis ins Detail, wie es zu ihrem Unfall auf dem Klettersteig gekommen war, und nahm es Tobias nicht übel, als dieser, noch nachträglich erschüttert, sagte: »Das war leichtsinnig und geradezu unverantwortlich von dir, Inge, den schmalen Pfad ohne Sicherung zu überqueren. Ich hoff’ doch, dass dir das eine Lehre war. Ich hab’ Blut und Wasser geschwitzt, als mich der Herr Pfarrer informiert hat, dass du auf dem Berg vermisst wirst. Ein weiteres Mal darfst du mir keinen solchen Schrecken mehr einjagen.«
»Nie wieder«, gelobte Inge mit schuldbewusst gesenktem Blick. Wie zum Schwur legte sie die rechte Hand flach auf die Brust. »Ich weiß ja selber, dass ich leichtfertig gehandelt hab’. Und ich dank’ meinem Herrgott, dass der Unfall so glimpflich ausgegangen ist.«
»Der Dank gebührt Susanne Reisinger«, gab Sebastian zu verstehen. »Wenn sie net so schnell geschaltet hätt’, wär vielleicht erst nach Einbruch der Nacht eine Rettungsaktion durchgeführt worden, und dann hätt’s wahrscheinlich weniger gut ausgeschaut.«
»Bei der Susi werd’ ich mich noch bedanken«, versicherte Inge. Sie hatte sich ein Schnitzel nach Wiener Art bestellt und hatte Mühe, mit dem gebrochenen linken Arm beim Schneiden die Gabel zu halten. Also zerkleinerte Julia für sie das panierte Stück Fleisch, und Inge konnte die Gabel in die rechte Hand nehmen.
Tobias wusste seit dem Vortag, dass er Julias Vater war. Immer wieder beobachtete er verstohlen das Gesicht der Vierundzwanzigjährigen. Je öfter er es studierte, desto mehr kam er zu dem Schluss, dass eine Ähnlichkeit mit ihm tatsächlich vorhanden war.
Julia hingegen war ahnungslos. Noch. Inge gegenüber hatte der Bergpfarrer darauf gedrängt, dass sie ihre Tochter so bald wie möglich darüber in Kenntnis setzen solle, wer tatsächlich ihr Vater war. Er war es auch, der Tobias über dessen Vaterschaft aufgeklärt hatte, nachdem ihn Inge darum gebeten hatte. Julia in das Geheimnis einzuweihen, fühlte er sich jedoch nicht berufen.
»Der Armin fährt morgen nach München zurück«, sagte Julia, nachdem sie ihren leeren Teller mit dem Besteck zurückgeschoben hatte. »Ich kann gern noch ein paar Tage bleiben, Mama, um dir ein bissel zur Hand zu gehen. Mit dem Gips am Arm bist du wahrscheinlich mehr gehandicapt, als du dir das im Moment vorstellen kannst.«
»Ich glaub’, das ist net nötig«, erklärte Inge. »Dennoch vielen Dank für das liebe Angebot. Wenn ich Hilfe nötig hab’, wend’ ich mich, solang’ ich noch im Hotel wohn’, an die Susi oder eine ihrer Schwestern. Die sind alle ausgesprochen nett und hilfsbereit.«
»Du hast aber nix dagegen, wenn wir am Wochenende wieder herkommen?«, erkundigte sich Julia lächelnd. »Wir wollen doch ein bissel teilhaben an eurem – hm, jungen alten Glück.«
»Wir würden uns freuen, wenn ihr kommen würdet«, antwortete Inge und richtete den Blick auf Tobias. »Wir können uns ja irgendeine Unternehmung einfallen lassen. Bei dem Wetter, das zurzeit hier im Wachnertal herrscht, wär’s ja direkt sündhaft, sich in die Stube zu hocken und sich vor dem Fernseher oder mit irgendeinem anderen Krimskrams die Zeit zu vertreiben.«
»Da gibts einiges, was wir unternehmen können«, bestätigte Tobias. »Wir werden uns auf etwas einigen, denk’ ich.«
»Ich freu’ mich schon«, sagte Inge und schaute den Pfarrer an.
Sebastian glaubte, auf dem Grund ihrer Augen Verunsicherung erkennen zu können. Und er konnte sich den Grund dafür denken. Inge fürchtete den Moment, da sie Julia beichten musste, dass nicht Adalbert Schönfelder, sondern Tobias Weinert ihr leiblicher Vater war. Sie konnte nicht abschätzen, wie Julia auf diese Eröffnung reagieren würde.
Es war ein geradezu Hilfe suchender Blick, mit dem Inge den Pfarrer ansah. Er hatte ihr gegenüber aber keinen Zweifel offengelassen, dass sie in dieser Angelegenheit selber gefordert war, und in gewisser Hinsicht auch Tobias, der inzwischen ja die Wahrheit kannte und alles andere als ein unbeteiligter Dritter war.
Nach dem Mittagessen kehrte Sebastian ins Pfarrhaus zurück. Am späten Nachmittag rief ihn Inge an. »Vor einer halben Stunde haben sich die Julia und der Armin verabschiedet«, sagte sie.
»Und, weiß die Julia Bescheid?«, erkundigte sich Sebastian, glaubte aber zu wissen, wie die Antwort lautete.»Nein. Ich hab’ net den Mut aufgebracht, es ihr zu sagen.«
Des Pfarrers Ahnung war zur Gewissheit geworden. »Haben Sie mit dem Tobias darüber gesprochen?«, fragte er.
»Natürlich«, antwortete Inge. »Er sitzt neben mir. Wir wissen beide, dass wir net umhinkommen, der Julia reinen Wein einzuschenken. Der Tobias meint, dass wir es auch gar net auf die lange Bank schieben sollten.«
»Der Meinung bin ich auch«, erklärte Sebastian. »Aber darüber haben wir bereits gesprochen. Sie müssen einfach über ihren Schatten springen, Inge.«
»Der Tobias hat für das kommende Wochenende, wenn die Julia und ihr Verlobter uns besuchen kommen, den Vorschlag gemacht, mit ihnen eine Wanderung zur Kandereralm zu unternehmen. Er selbst will sich von der Gemeinde eine Ausnahmegenehmigung besorgen, damit er mit seinem Auto die für den öffentlichen Verkehr gesperrte Wirtschaftsstraße benutzen kann.«
»Das ist eine sehr gute Idee«, lobte Sebastian. »Der Thurecker-Franz oben wird sich freuen, denn er kennt Sie ganz sicher noch von früher. – Auf dem Weg zur Alm wär’s doch eine gute Gelegenheit, die Julia langsam an die Tatsachen heranzuführen. Sie müssen natürlich ganz vorsichtig und behutsam vorgehen. Es ist ja schon viel wert, dass das Madel den Tobias als Ihren neuen Lebensgefährten akzeptiert. Ein hohes Maß an Sympathie zwischen den beiden ist, wenn ich mich net irr’, vorhanden. Das macht es schon viel einfacher. – Ihr werdet ein paar Stunden unterwegs sein, und Sie haben genügend Zeit, die Julia so schonend wie möglich auf die Wahrheit vorzubereiten. Wenn S’ dann das Gefühl haben, dass ihre Tochter in der Lage ist, den Tatsachen sachlich ins Auge zu sehen, dann verraten S’ ihr in aller Ruhe, worauf sie ein Recht hat, es zu erfahren.«
»Ich müsst’ es dann allerdings ohne Tobias’ Schützenhilfe machen«, wandte Inge ein.
»Das ist vielleicht gar net mal so schlecht«, bemerkte Sebastian. »Immerhin weiß er ja selbst erst seit gestern, dass er Julias Vater ist. Nach außen hin hat er es vielleicht verarbeitet, ob’s tief in ihm drin auch schon so richtig angekommen ist, ist fraglich. Wahrscheinlich wirds im Moment sogar von der Glückseligkeit überlagert, nachdem er weiß, dass Sie ihn genauso lieben wie er Sie. Alles andere ist für ihn möglicherweise momentan nebensächlich. Euer Glück wird allerdings erst perfekt sein, wenn auch Julia die Wahrheit kennt.«
»Sie wird die Wahrheit erfahren«, versicherte Inge, und es klang ausgesprochen entschlossen.
*
»Die Inge hat wieder net den Mut aufgebracht, es der Julia zu sagen«, berichtete Sebastian seiner Haushälterin nach dem Gespräch mit Inge.
»Es ist halt alles net so einfach für sie«, erwiderte die äußerst einfühlsame Sophie Tappert. »Ich kann mich sehr gut in die Lage der Inge versetzen. Für ihre Tochter wird eine Welt einstürzen, wenn sie erfahren muss, dass der Mann, den sie ihr Leben lang Papa genannt hat, gar net ihr leiblicher Vater ist.« Sophie zog die Mundwinkel nach unten und wiegte leicht den Kopf, dann ergriff sie noch einmal das Wort und verlieh ihren Zweifeln Ausdruck: »Ob die Julia den Tobias als ihren Vater akzeptiert, ist net gewiss. Wenn net, dann akzeptiert sie ihn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch net als den Lebensgefährten ihrer Mutter, oder …« Sophies Stimme sank ein wenig herab. »… sie bricht sogar mit ihr und will mit beiden nix mehr zu tun haben«, vollendete sie schließlich.
»Das wär’ in diesem Fall das Worst-Case-Szenario schlechthin«, stieß Sebastian hervor.
»Gott bewahre, Hochwürden«, entfuhr es Sophie. »Ich will den Teufel net an die Wand malen. Aber ausschließen kann man in einem solchen Fall nix.«
»Sie haben ja recht«, murmelte der Bergpfarrer. Dann erzählte er Sophie von Tobias’ Plan, selbst mit dem Auto auf der Wirtschaftsstraße zur Alm hinaufzufahren, während die beiden Frauen wandern sollten. »Julias Verlobter wird mit dem Tobias fahren müssen, denn er braucht jemand, der die Schranke am Beginn der Straße aufsperrt und öffnet und sie wieder schließt.«
»Mutter und Tochter werden also allein die Tour machen«, konstatierte Sophie. »Ausreichend Gelegenheit für die Inge, das Madel auf die Wahrheit vorzubereiten. Ich hätt’ sogar eine Idee, wie die Inge herausfinden könnt’, wie ihre Tochter reagieren wird.«
»So, wie denn?«, erkundigte sich Sebastian interessiert.
»Indem sie der Julia die ganze Angelegenheit so darstellt, als würd’ sie die Geschichte eines Dritten erzählen«, erklärte die Haushälterin. »Wenn ich richtig informiert bin, dann haben die Inge und ihr Mann, der Adalbert Schönfelder, nie über Inges Vergangenheit gesprochen. Daher vermut’ ich, dass die Julia keine Ahnung hat, dass ihre Mutter vor fünfundzwanzig Jahren regelrecht vor ihrem Vater aus dem Wachnertal geflohen und es ihr anschließend in München gar net gut ergangen ist.«
»Ich weiß net, ob die Julia die Geschichte ihrer Mutter kennt«, musste Sebastian zugeben. »Wahrscheinlich net. Die Julia ist in einem wohlbehüteten Elternhaus aufgewachsen und hat nie finanzielle Not oder sonst irgendwelche Sorgen kennengelernt. Sie hat eigentlich, seit sie denken kann, auf der Sonnenseite des Lebens gestanden. Daher glaub’ ich auch net, dass die Inge sie mit ihrer wenig erfreulichen Vergangenheit belastet hat.«
»Sie brauchen ja die Inge nur zu fragen, Hochwürden. Warum gehen S’ eigentlich net mit auf die Kandereralm? Sie haben doch Ihre eigene Tour, fernab vom offiziellen Wanderweg, und ich vermut’, dass weder die Inge noch die Julia was dagegen haben, wenn S’ die beiden hinaufbegleiten. Sie könnten die Inge sogar in ihrem Bemühen unterstützen, wenn’s drum geht, das Madel ein bissel aus der Reserve zu locken.«
Versonnen musterte der Pfarrer seine Haushälterin, nickte nach einer Weile und sagte dann: »Das wär’ wirklich zu überlegen, Frau Tappert. Ich bin fast davon überzeugt, dass sich die Inge sicherer fühlen wird, wenn sie weiß, dass sie jemand an der Seite hat, der gegebenenfalls schlichtend eingreifen kann.«
»Dann machen S’ der Inge doch einfach das Angebot, Hochwürden«, empfahl Sophie. »Sie sagt gewiss net Nein.«
Zwei Minuten später hatte Sebastian die Dreiundvierzigjährige an der Strippe. »Ich bin’s noch einmal, Frau Schönfelder …«
»Bitte, Herr Pfarrer, sagen S’ Inge zu mir. Meinetwegen auch Du. Es hat mir irgendwie gutgetan, als Sie mich neulich so vertraut angesprochen haben.«
»Das war, als ich mich in der Rolle des Seelsorgers gesehen hab’«, versetzte Sebastian.
»Als solcher treten S’ bei mir eigentlich immer auf«, gab Inge zu bedenken. »Als Freund und Seelsorger. Ich hab’ Ihnen schon viel zu verdanken.«
»Du bist mir nix schuldig, Inge«, antwortete Sebastian, der das Angebot, sie mit dem vertrauten Du anzusprechen, gerne annahm. »Es wär’ mir recht, wenn du in mir mehr den Freund als den Seelsorger sehen würdest.«
»Gerne«, versicherte Inge.
»Okay. Meine Haushälterin hat mich auf die Idee gebracht, dich und deine Tochter auf die Kandereralm zu begleiten. Ich geh’ seit vielen Jahren mit den Leuten, die ich hinaufführ’, eine eigene Route. Das heißt, ich nehm’ net den ausgeschilderten Wanderweg, denn der bietet bei weitem net die Naturschönheiten wie die Tour, die ich dir anbieten will. Außerdem hat mich die Frau Tappert auf eine Idee gebracht, wie du Julias Reaktion auf die Eröffnung, dass der Tobias ihr leiblicher Vater ist, testen könntest.«
»Jetzt machen S’ mich aber neugierig, Herr Pfarrer«, erwiderte Inge gespannt.
»Ich will dich net unnötig auf die Folter spannen. Also, pass’ auf …«
Er begann zu sprechen. Inge hörte nur zu. »Und Sie meinen, das funktioniert?«, fragte sie, nachdem er geendet hatte.
»Man könnte zumindest ansatzweise herausfinden, welche Meinung dein Madel zu einer solchen Konstellation vertritt«, antwortete Sebastian.
»Wie auch immer«, sagte Inge. »Es wird mir im Endeffekt nix anderes übrig bleiben, als sie endlich mit der Wahrheit zu bedienen.«
»Das ist richtig«, pflichtete Sebastian bei. »Aber ihre Reaktion auf die Geschichte einer ihr Fremden kann richtungsweisend sein. Ich halte die Julia für sehr empathisch und schätze, dass sie Verständnis für die junge Frau in der Geschichte, die wir ihr erzählen, aufbringt. Wenn sie schließlich erfährt, dass es deine und damit auch ihre eigene Geschichte ist, die wir ihr aufgetischt haben, bleibt es vielleicht bei ihrer verständnisvollen Haltung.«
»Den Versuch ists auf jeden Fall wert«, murmelte Inge nach kurzer Überlegung, brachte aber sogleich auch ihre Bedenken zum Ausdruck: »Ich mach’ mir große Sorgen, Herr Pfarrer, denn ich kenn’ meine Tochter und vermute, dass sie mir heftige Vorwürfe machen wird.«
»Die ganze Situation ist für keinen von euch einfach«, antwortete der Pfarrer. »Das gilt sowohl für dich als auch für dein Madel, und natürlich auch für den Tobias. Weiß die Julia überhaupt, was damals der Grund für dich war, St. Johann zu verlassen, und wie es dir in der darauffolgenden Zeit in München ergangen ist?«
»Nur, dass ich damals mit meinem Vater gebrochen hab’, weil das Leben mit ihm für mich nimmer erträglich war. Allzu tiefe Einblicke hat die Julia net. Dass der Tobias und ich früher mal ein Paar waren – darüber hab’ ich bis jetzt nie mit ihr gesprochen. Sie hat auch keine Ahnung, unter welchen Umständen der Adalbert und ich ein Paar geworden sind. Mein Mann und ich haben nämlich schon vor unserer Hochzeit beschlossen, unter meine Vergangenheit einen Schlussstrich zu ziehen und sie niemals mehr zu thematisieren. – Jetzt scheint sie mich allerdings einzuholen.«
»Es wird nix so heiß gegessen, wie’s gekocht wird«, versetzte Sebastian. »Was hältst du von meinem Vorschlag, Inge? Nimmst du mein Angebot an, dich und die Julia auf meiner Route hinauf zur Kandereralm zu führen? Ich bin dir net bös’, wenn du’s ablehnst.«
»Nein, im Gegenteil, ich freu’ mich.«
»Darf ich dir eine Frage stellen, Inge?«, fragte Sebastian.
»Natürlich, Herr Pfarrer, immer.«
»Habt ihr schon über eine gemeinsame Zukunft gesprochen, der Tobias und du?«
»Ja. Ich werd’ morgen den Wiedermann-Roland anrufen und ihn bitten, mein Haus behindertengerecht umzugestalten.«
»Oha«, stieß Sebastian lachend hervor, »das geht aber schnell bei euch.«
»Wir waren uns damals, ehe ich das Wachnertal verlassen hab’, einig, dass wir zusammen alt werden wollten«, erwiderte Inge. »Diesen Entschluss werden wir nun in die Tat umsetzen. Wir sind zwar älter geworden, aber wir sind noch net alt, sodass wir unsere Absicht von damals immer noch verwirklichen können.«
»Das freut mich für euch«, sagte Sebastian, und es kam von Herzen, ebenso wie der Wunsch, den er seinen Worten anschloss: »Ich wünsch’ dir und dem Tobias alles Glück der Erde.«
»Danke, Herr Pfarrer. Ich sag’ Ihnen Bescheid, sobald ich mit der Julia den Vorschlag besprochen hab’, am Wochenende die Wanderung zur Kandereralm zu unternehmen. Falls sie nämlich keine Lust haben sollt’, dann fällt die Tour ins Wasser.«
»Was sehr, sehr schade wär’«, versetzte Sebastian.
*
Julia war von dem Vorschlag begeistert. Sie und ihr Verlobter kamen schon am Freitagnachmittag nach St. Johann.
Inge vermittelte ihrer Tochter das Angebot Pfarrer Trenkers, sich aus einem Fundus bergtauglicher Kleidung, der sich im Laufe der Zeit im Pfarrhaus angesammelt hatte, zu bedienen, falls sie nicht über adäquate Wanderbekleidung verfügte.
Armin Reichardt mit entsprechender Outdoor-Bekleidung zu versorgen war nicht nötig, denn er sollte mit Tobias in dessen Auto fahren, um die Schranke der Wirtschaftsstraße, die sie dem öffentlichen Verkehr unzugänglich machte, zu bedienen.
Die beiden suchten noch am Freitagabend das Pfarrhaus auf. Sebastian begrüßte sie und lud sie ein, sich ein wenig zu ihm ins Wohnzimmer zu setzen. »Möchten S’ was trinken?«, fragte er. »Ein Glaserl Wein vielleicht, oder …«, er schaute Armin an, »… eine Halbe Bier?«
»Ein Seidel Bier …«, erwiderte Armin grinsend, »… da sag’ ich net Nein.«
»Und Sie, Julia?«, wandte sich Sebastian an die Vierundzwanzigjährige. »Ich hätt’ einen vorzüglichen Roten aus Spanien. Mögen S’ ein Viertel?«
»Gern«, antwortete Julia und lachte. »Der beste Wein ist der, den wir mit Freunden trinken«, zitierte sie.
»Gegen eine gute Freundschaft ist niemals etwas einzuwenden«, erwiderte der Pfarrer.
Sophie, die das Wohnzimmer noch nicht verlassen hatte, sagte: »Dann hol’ ich mal ein Bier und ein Flascherl Roten.«