Vespasian: Das Blut des Bruders - Robert Fabbri - E-Book
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Vespasian: Das Blut des Bruders E-Book

Robert Fabbri

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Beschreibung

Das britische Bestseller-Epos über das Leben des Kaisers Vespasian geht weiter! Exakt recherchierte Historie und packende Action bieten besten Stoff für Serienleser sowie Fans von Bernard Cornwell und David Gilman. 45 A. D.: Vespasians Bruder Sabinus wurde von Druiden gefangen genommen, den gefürchteten Dienern der Geister und Dämonen Britanniens. Vespasian muss Sabinus vor dem Opfertod retten – und zugleich den Kampf gegen seinen alten Feind Caratacus fortsetzen, der die Eroberung der Insel durch List und Niedertracht verhindert. Nachrichten aus Rom verheißen nichts Gutes: Am wenigsten Kontrolle über das Reich hat der unbeholfene Kaiser Claudius selbst, der die Menge durch blutrünstige Spiele bei Laune hält. Seine unersättliche Gemahlin Messalina weiß ihn durch ihre Einflüsterungen zu lenken. Claudiusʼ drei Freigelassene ringen um die Macht, und kaum aus Britannien zurückgekehrt, wird Vespasian in ihre Intrigen hineingezogen …

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Robert Fabbri

Vespasian: Das Blut des Bruders

Historischer Roman

 

 

Aus dem Englischen von Anja Schünemann

 

Über dieses Buch

Das britische Bestseller-Epos über das Leben des Kaisers Vespasian geht weiter! Exakt recherchierte Historie und packende Action bieten besten Stoff für Serienleser sowie Fans von Bernard Cornwell und David Gilman.

 

45 A. D.: Vespasians Bruder Sabinus wurde von Druiden gefangen genommen, den gefürchteten Dienern der Geister und Dämonen Britanniens. Vespasian muss Sabinus vor dem Opfertod retten – und zugleich den Kampf gegen seinen alten Feind Caratacus fortsetzen, der die Eroberung der Insel durch List und Niedertracht verhindert.

 

Nachrichten aus Rom verheißen nichts Gutes: Am wenigsten Kontrolle über das Reich hat der unbeholfene Kaiser Claudius selbst, der die Menge durch blutrünstige Spiele bei Laune hält. Seine unersättliche Gemahlin Messalina weiß ihn durch ihre Einflüsterungen zu lenken. Claudiusʼ drei Freigelassene ringen um die Macht, und kaum aus Britannien zurückgekehrt, wird Vespasian in ihre Intrigen hineingezogen …

Vita

Robert Fabbri, geboren 1961, lebt in London und Berlin. Er arbeitete nach seinem Studium an der University of London 25 Jahre lang als Regieassistent und war an so unterschiedlichen Filmen beteiligt wie «Die Stunde der Patrioten», «Hellraiser», «Hornblower» und «Billy Elliot – I Will Dance». Aus Leidenschaft für antike Geschichte bemalte er 3 500 mazedonische, thrakische, galatische, römische und viele andere Zinnsoldaten – und begann schließlich zu schreiben. Mit seiner epischen historischen Romanserie «Vespasian» über das Leben des römischen Kaisers wurde Robert Fabbri in Großbritannien Bestsellerautor.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel «Vespasian. Masters of Rome» bei Corvus/Atlantic Books, Ltd., London.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juli 2019

Copyright © 2019 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Vespasian. Masters of Rome» Copyright © 2014 by Robert Fabbri

Karten © Peter Palm, Berlin

Redaktion Tobias Schumacher-Hernández

Karten © Peter Palm, Berlin

Covergestaltung HAUPTMANN & KOMPANIE Werbeagentur, Zürich, nach der Originalausgabe von Atlantic Books Ltd

Coverabbildung Illustrator: Tim Byrne

ISBN 978-3-644-40646-9

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Für meine lebenslangen Freunde: Jon Watson-Miller, Matthew Pinhey, Rupert White und Cris Grundy – Jungs, ich danke euch.

 

Und im Gedenken an Steve Le Butt, 1961–2013, der vor uns gen Westen gesegelt ist.

Prolog

Britannien, März A.D. 45

Der dichter werdende Nebel zwang die Turma aus zweiunddreißig Legionären, ihre Pferde zum Schritt zu bremsen. Das Schnauben der Tiere und das Klimpern des Zaumzeugs klangen gedämpft durch den Dunst, der die kleine Einheit umfing.

Titus Flavius Sabinus zog seinen feuchten Mantel fester um die Schultern und verfluchte im Stillen das elende Klima hier im Norden. Zugleich verfluchte er seinen direkten Vorgesetzten, General Aulus Plautius, den Oberbefehlshaber der römischen Invasionsstreitmacht in Britannien, weil dieser ihn unter solch widrigen Bedingungen zu einer Besprechung beordert hatte.

Der Befehl war völlig überraschend gekommen. Als der Bote, ein Tribun aus Plautius’ Stab, am Vorabend mit einem einheimischen Führer im Winterlager der XIIII Gemina am Mittellauf des Tamesis eingetroffen war, hatte Sabinus mit letzten Befehlen für die bevorstehende Feldzugsaison gerechnet. Warum sollte Plautius von ihm verlangen, fast achtzig Meilen nach Süden zu reiten, um ihn im Winterquartier der II Augusta zu treffen, der Legion seines Bruders Vespasian? Es erschien seltsam, nachdem die Legati aller vier Legionen erst vor einem Monat im Hauptquartier ihres Generals in Camulodunum zusammengekommen waren.

Natürlich konnte der Tribun ihm nicht den Grund für dieses außerordentliche Treffen verraten. Er war ein junger Mann von nicht einmal zwanzig Jahren, den Sabinus seit der Invasion vor zwei Jahren kannte. Sabinus erinnerte sich an die vier Jahre, die er selbst in diesem Rang in Pannonien und Africa gedient hatte. Seine Oberbefehlshaber hatten ihm kaum jemals Einzelheiten anvertraut. Ein Tribun mit schmalen Streifen aus dem Ritterstand war der rangniederste Offizier, und von ihm wurde erwartet, zu lernen und fraglos zu gehorchen. Jedenfalls trug das eingerollte Dokument, das der junge Mann überbrachte, Plautius’ persönliches Siegel, also blieb Sabinus nichts anderes übrig, als sich fluchend dreinzufügen. Plautius war ein Mann, der Säumigkeit und Ungehorsam nicht duldete.

Widerstrebend überließ Sabinus das Kommando über die XIIII Gemina seinem neu eingetroffenen obersten Tribun Gaius Petronius Arbiter und ritt im Morgengrauen mit einer Eskorte, dem Boten und seinem Führer gen Süden. Es versprach, ein frostiger, aber klarer Tag zu werden. Erst als sie am frühen Nachmittag hinauf auf die Ebene ritten, die sie jetzt überquerten, begann sich der Nebel zu senken.

Sabinus warf einen Blick auf den einheimischen Führer, einen rotgesichtigen Mann mittleren Alters, der zu seiner Rechten auf einem stämmigen Pony ritt. Die Witterung schien ihm nichts anzuhaben. «Kannst du dich bei diesem Nebel überhaupt noch orientieren?»

Der Brite nickte, dass sein langer Schnurrbart schaukelte. «Dies ist das Land meines Stammes, der Dobunner. Ich habe hier oben gejagt, seit ich reiten gelernt habe. Die Ebene ist ziemlich flach und eintönig, wir müssen uns nur in südlicher Richtung halten, mit leichtem Einschlag nach Westen, dann gelangen wir hinunter ins Territorium der Durotrigen hinter der römischen Frontlinie. Morgen Mittag erreichen wir das Lager der Legion an der Küste.»

Sabinus ging darüber hinweg, dass der Mann ihn nicht mit «Herr» angeredet oder sonst irgendwelche Achtung vor seinem Rang an den Tag gelegt hatte. Er wandte sich an den Tribun zu seiner Linken. «Traut Ihr seinen Fähigkeiten, Alienus?»

Alienus’ jugendliches Gesicht nahm einen respektvollen Ausdruck an. «Absolut, Herr. Er hat mich zu Eurem Lager geführt, ohne ein einziges Mal vom Weg abzukommen. Ich weiß wirklich nicht, wie ihm das gelingt.»

Sabinus musterte den jungen Mann kurz und entschied, dass seine Meinung nicht zählte. «Wir werden hier unser Nachtlager aufschlagen.»

Der Führer wandte sich erschrocken an Sabinus. «Wir können nicht draußen auf der Ebene schlafen.»

«Warum nicht? Eine feuchte Mulde ist so gut wie die andere.»

«Nicht hier. In dieser Gegend wandeln bei Nacht die verlorenen Seelen. Sie suchen nach einem Körper, von dem sie Besitz ergreifen können, um in diese Welt zurückzukehren.»

«Blödsinn!», versetzte Sabinus trotzig. Doch ihn beschlich ein leises Unbehagen, denn er hatte es vor seinem Aufbruch versäumt, seinem Schutzgott Mithras das passende Opfer zu bringen – im Lager der XIIII Gemina hatte es keinen geeigneten Stier gegeben. Stattdessen hatte er einen Widder geopfert, aber ihm war nicht recht wohl dabei gewesen.

Der Führer beharrte: «In einer bis zwei Stunden können wir die Ebene hinter uns lassen, und dann durchqueren wir einen Fluss. Die Toten werden uns nicht folgen, denn sie können über keine Gewässer queren.»

«Außerdem hat General Plautius ausdrücklich verlangt, dass wir bis morgen Mittag bei ihm sind», erinnerte Alienus ihn. «Wir müssen so lange weiterreiten, wie wir können, Herr.»

«Euch behagt wohl diese Geschichte von den verlorenen Seelen nicht, Tribun?»

Alienus ließ den Kopf hängen. «Nicht besonders, Herr.»

«Vielleicht wäre eine Begegnung mit ihnen Eurer Kühnheit ja förderlich.»

Alienus erwiderte nichts.

Sabinus warf einen Blick über die Schulter. Gerade konnte er das Ende ihrer kurzen Kolonne wieder schwach erkennen. Der Nebel schien sich ein wenig zu lichten. «Also gut, wir reiten weiter. Aber nicht aus Angst vor den Toten, sondern um pünktlich beim General zu sein.» In Wirklichkeit fürchtete der abergläubische Teil von Sabinus das Übernatürliche ebenso, wie sein praktischer Anteil Plautius’ Zorn fürchtete, wenn er den General warten ließ. Deshalb war er froh, seinen Befehl zurückziehen zu können, ohne das Gesicht zu verlieren. Niemand sollte denken, dass er an die zahlreichen Geschichten von Geistern glaubte, die angeblich diese fremde Insel bewohnten. Doch das Gerede von den verlorenen Seelen gefiel ihm nicht, und noch weniger gefiel ihm die Vorstellung, die Nacht in ihrem Reich zu verbringen. Während seiner Zeit in diesem nördlichen Land hatte er viele solche Geschichten gehört, genug, um zu glauben, dass wenigstens in manchen ein Körnchen Wahrheit steckte.

Seit vor achtzehn Monaten Camulodunum gefallen war und die Stämme im Südosten Britanniens kapituliert hatten, hatte Sabinus die XIIII Gemina und ihre Auxiliarkohorten stetig nach Westen und Norden geführt. Plautius hatte ihm befohlen, die zentrale Tieflandregion der Insel zu sichern, während die VIIII Hispana an der Ostküste hinaufmarschiert war und Vespasians II Augusta sich zwischen dem Tamesis und der Küste den Weg nach Westen erkämpft hatte. Die Legio XX war in Reserve gehalten worden, um das bereits eroberte Land zu sichern und die anderen Legionen zu unterstützen, falls sie in Bedrängnis gerieten.

Es war ein zähes Vorankommen gewesen, denn die Stämme hatten aus den Fehlern von Caratacus und seinem Bruder Togodumnus gelernt. Die beiden hatten die Legionen kurz nach der Landung in direktem Kampf zurückschlagen wollen, da sie zahlenmäßig überlegen waren – eine Taktik, die desaströs gescheitert war. In den zwei Tagen, in denen sie versucht hatten, den Vormarsch der Römer am Fluss Afon Cantiacii aufzuhalten, waren mehr als vierzigtausend ihrer Krieger gefallen, darunter auch Togodumnus. Das hatte die Entschlossenheit der Briten im südöstlichen Teil der Insel tief erschüttert, und die meisten hatten wenig später kapituliert. Nicht so Caratacus. Er war mit mehr als zwanzigtausend Kriegern nach Westen geflohen, und viele, die sich nicht der römischen Herrschaft beugen wollten, hatten sich ihm angeschlossen.

Eine leichte Brise kam auf und wehte in Böen von Osten nach Westen, sodass der Nebel vor ihnen zu wirbeln begann und es rechts von Sabinus aufklarte. Er richtete sich im Sattel auf, erleichtert, dass die Sicht besser wurde, wenn auch nur ein paar Dutzend Schritt weit in eine Richtung. Er murmelte ein Gebet zu Mithras, bat ihn, mit seinem Licht die Düsternis dieser nebligen Insel zu erhellen und ihm beizustehen … Da gewahrte Sabinus flüchtig etwas aus dem Augenwinkel, doch als er sich umschaute, war es verschwunden. Der Wind trieb den Nebel wieder über das Land, und ihm kamen Zweifel, ob er tatsächlich eine Bewegung gesehen hatte. Vielleicht war auch nur seine Phantasie angeregt durch die Schauergeschichten, die sich schwer wieder aus seinen Gedanken verbannen ließen. Hatte man sie einmal gehört, setzten sie sich fest.

Aus politischen Gründen hatte Plautius nördlich des Tamesis zwei Monate lang haltmachen und warten müssen, bis Kaiser Claudius kam und das Verdienst und den Ruhm für die Eroberung Camulodunums einheimste. Indessen hatte die XIIII Gemina westwärts entlang des Flusses die Gegend ausgekundschaftet. Und in dieser Zeit hatte Sabinus von seinen Offizieren die ersten Berichte über seltsame Erscheinungen und widernatürliche Vorfälle gehört: Ein Legionär war sterbend aufgefunden worden, gehäutet und dennoch in seiner Uniform. Seine letzten Worte waren gewesen, Dämonen hätten ihm die Haut von den Gliedern gefressen. Ein anderer hatte tot dagelegen, völlig blutleer, aber ohne eine Wunde am Körper oder eine Spur davon, dass der Lebenssaft in den Boden gesickert wäre. Immer wieder wurden geisterhafte Gestalten in langen Gewändern gesichtet, von denen ein übernatürliches Leuchten ausging, vor allem nahe der Grabhügel der Alten und der vielen Monumente aus Holz und Stein, die anscheinend ebenso wie die heiligen Haine Zentren der barbarischen Religion der Briten waren.

Anfangs hatte Sabinus diese Berichte der überschießenden Phantasie der abergläubischen Soldaten zugeschrieben. Doch dann, nach Claudius’ Abreise, hatte er im letzten Monat der Feldzugsaison seine Legion weiter landeinwärts geführt, und da hatte er selbst etwas empfunden, das er noch nirgendwo erlebt hatte. Er konnte es nicht recht beschreiben, es war, als wäre etwas Uraltes gegenwärtig. Dieses Gefühl und das körperlose Heulen und Schreien in der Nacht hatten ihn davon überzeugt, dass hier eine Macht wirkte, die er nicht begreifen konnte. Eine Macht, mit dem Land verbunden, in dem er ein Eindringling war, ganz gleich, wie stark das Licht seines Gottes Mithras ihn beschützte.

Im folgenden Jahr waren sie langsam weiter landeinwärts vorgedrungen, hatten eine Wallburg nach der anderen eingenommen und Überfälle auf ihre Versorgungslinien und Hinterhalte durch Caratacus’ Krieger abgewehrt. Je weiter sie kamen, desto stärker wurde sein Unbehagen, und so war er beinahe erleichtert, am Ende der Saison seine Legion wieder nach Süden zu führen, zu ihrem Winterquartier am Tamesis. Im vergangenen Monat, als die Legati in Camulodunum mit Plautius zusammentrafen, um den Feldzug der nächsten Saison zu planen, hatte er das Thema gegenüber Vespasian angesprochen, doch sein Bruder hatte seine Angst als Legionärsgarn abgetan. Allerdings hatte der Ausdruck seiner Augen bei Sabinus den Verdacht geweckt, dass er selbst ein ähnliches Unwohlsein empfand.

Sabinus versuchte, seine Besorgnis beiseitezuschieben, während die Kolonne langsam weiter über die mit Büscheln zähen Grases bewachsene Ebene ritt. Die Brise frischte auf und trieb den Nebel in Schwaden und Wirbeln bald da-, bald dorthin. Manchmal klarte es genügend auf, dass sie den Weg vor sich erkennen konnten, bis Augenblicke später die nächste Bö ihnen die Sicht wieder verschleierte.

Um sich von den abergläubischen Gedanken abzulenken, die die gespenstische Umgebung in ihm wachgerufen hatte, musterte Sabinus Alienus von der Seite. Er bemerkte dessen rote Wangen und die kurze Nase, und auch wenn das Gesicht des jungen Mannes recht schmal war, nahm Sabinus an, dass seine Familie keltisches Blut in sich tragen musste. Das hätte auch seinen Beinamen Alienus erklärt: Ausländer. Allerdings, so dachte Sabinus, auf welche Familie aus dem nördlichen oder auch dem mittleren Italien traf das nicht zu? Sein eigenes rundliches Gesicht und die knollige Nase konnte man auch nicht gerade als klassisch latinisch bezeichnen. «Stammt Eure Familie eigentlich aus dem Norden Italiens, Alienus?»

«Wie?» Der junge Tribun blinzelte, als tauchte er gerade aus einem Tagtraum auf. «Entschuldigung, Herr, was habt Ihr gesagt?»

Sabinus wiederholte die Frage.

«Nein, Herr, ich stamme von der Südküste Britanniens. Ich bin der Enkel von Verica, dem König der vereinigten Stämme der Atrebaten und Regner. Mein britannischer Name lautet ebenfalls Verica, nach meinem Großvater.»

Das überraschte Sabinus. «Euer Latein ist ausgezeichnet.»

«Danke, Herr. Mein Großvater floh vor fünf Jahren nach Rom, nachdem Caratacus ihn aus seinem Königreich vertrieben hatte, und nahm mich mit. Wie alle britannischen Prinzen im Süden hatte ich bereits eine gute Ausbildung in Latein erhalten, und so beherrschte ich die Sprache bald fließend.»

«Dann hat Claudius Euch die Bürgerrechte verliehen?»

«Ja, und er erhob mich in den Ritterstand. Ich nahm den Namen Tiberius Claudius an und fügte dann spaßeshalber den Beinamen Alienus hinzu. So wurde ich ein Römer, wie mein Großvater es wünschte. General Plautius nahm mich ihm zuliebe in seinen Stab auf, damit ich meine Laufbahn durch die Ämter beginnen und vielleicht sogar später einmal Senator werden kann. Ich wäre der erste Brite in diesem Amt.»

Sabinus nickte beifällig zu diesem durch und durch römischen Bestreben. «Ich habe Vericas Tod sehr bedauert. Er starb im vergangenen Monat, nicht wahr?»

«Er war alt und rechnete damit. Er starb ohne Reue. Immerhin hatte er sein Königreich wiedererlangt, war offiziell zum Klientelkönig Roms erklärt worden und hatte in seinem Neffen Cogidubnus einen starken Erben.»

«Warum hat er nicht seinen Sohn zum Erben ernannt?»

Alienus lächelte. «Er sagte, ich sei zu jung, das Volk würde mich nicht anerkennen. Ich verstehe das: Wie könnte ein Neunzehnjähriger ein Volk beherrschen, das ihn seit fünf Jahren nicht gesehen hat? Außerdem genießt Cogidubnus das Ansehen eines Mannes, der sich Rom widersetzte, ehe er unterworfen wurde. Ich hingegen stehe als einer da, der sich freiwillig den Legionen Roms angeschlossen hat.»

«Dann werdet Ihr also wieder nach Rom gehen, nachdem Ihr …» Ein stärkerer Windstoß vertrieb den Nebel um sie herum und enthüllte für einen Moment einen Grabhügel keine zehn Schritt zu ihrer Linken. Sabinus blieben die Worte im Halse stecken. Gleich darauf wehte die Brise den Dunst wieder vor das Grab, doch das Bild blieb in seinen Geist eingebrannt.

Düsteres Raunen und Murren ertönte aus der Kolonne hinter ihnen. Offenbar war er nicht der Einzige, der den unheilverheißenden Anblick bemerkt hatte. Als er sich umschaute, sah er, dass nicht wenige der Soldaten den Daumen in die rechte Faust geschlossen hatten und ausspuckten, um den bösen Blick abzuwehren. Decurio Atilius rief die Männer barsch zur Ordnung, doch der Schaden an ihrer ohnehin brüchigen Moral war angerichtet. Sie sahen sich ängstlich nach beiden Seiten um, umgeben vom sich lichtenden Nebel, und fragten sich offenbar, was er wohl als Nächstes freigeben würde. Von den Römern schien nur Alienus sich nicht daran zu stören, dass sie so dicht an dem Grabhügel vorbeiritten. Sabinus fand das seltsam, da der junge Mann doch eben noch einen natürlichen Widerwillen dagegen an den Tag gelegt hatte, sich zu lange in der Nähe der verlorenen Seelen aufzuhalten.

Wieder bewegte sich der Nebel vor ihnen, und Sabinus vergaß seinen Gedanken; sein Herz setzte einen Schlag aus. Auf ihrem Weg erschien das Bein eines Riesen, breit und massiv, als hätte das Ungeheuer einen großen Schritt auf sie zu gemacht und wäre in diesem Moment dort aufgestampft – nur dass kein Dröhnen zu hören gewesen war, kein Beben der Erde zu fühlen. Gleich darauf materialisierte sich das zweite Bein ebenso lautlos aus dem Dunst. Entsetzte Soldaten rissen an den Zügeln ihrer Pferde, sodass viele der Tiere stiegen und ihr Wiehern die Stille zerriss. Sabinus sah erschrocken hin. Jetzt wurde der Unterleib sichtbar, doch die Taille war noch immer im Nebel verborgen. Dann kam zu jeder Seite ein weiteres Bein zum Vorschein – wenigstens drei der Monster standen nebeneinander vor ihnen.

Sabinus zog sein Schwert und warf einen Blick über die Schulter. «Atilius, bildet zwei Linien. Bleibt dicht zusammen!», brüllte er dem Anführer seiner Eskorte zu, die zusehends in Panik geriet. Dann wandte er sich wieder der Bedrohung zu, und ihm stockte der Atem. Der Wind wurde stärker, mehr Beine erschienen zu beiden Seiten, und sie alle waren durch einen einzigen langen Unterkörper verbunden, der nicht aus Fleisch und Knochen bestand, sondern aus Stein, aus riesigen behauenen Steinplatten. Sabinus erkannte, dass er einen Steinkreis vor sich sah, den größten, den er je erblickt hatte.

Er bändigte sein Pferd und wollte sich dem einheimischen Führer zuwenden, doch der war verschwunden. «Scheiße! Alienus?» Auch der junge Tribun war nicht zu sehen. Hinter ihm gelang es dem Decurio, wieder ein wenig Ordnung in die Truppe zu bringen. Dann erspähte Sabinus zu seiner Linken zwei davongaloppierende Pferde. Während sie im Dunst verschwanden, materialisierten sich geisterhafte Gestalten, die bald sichtbar, bald unsichtbar auf ihn und seine Eskorte zukamen. Kaltes Grauen stieg in ihm auf – dieser Anblick war kein Hirngespinst. Er schaute in die andere Richtung. Dutzende weiterer unwirklicher Gestalten näherten sich, schemenhaft im wirbelnden Dunst, als schwebten sie über den nebelverhangenen Boden.

Sie waren umzingelt.

Als die ersten Schleudergeschosse von beiden Seiten die Turma trafen, empfand Sabinus wider alle Vernunft Erleichterung. Dies waren keine verlorenen Seelen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, die man bekämpfen und töten konnte.

Schreie ertönten, doch es waren tierische Laute, keine menschlichen. Die Schleuderer zielten tief, auf die Beine der Pferde. Sie waren nicht gekommen, um zu töten, sondern, um Gefangene zu machen.

«Atilius!», brüllte Sabinus und zeigte mit seinem Schwert nach Norden, in die Richtung, aus der sie gekommen waren. «Unsere einzige Chance ist, vereint zwischen ihnen durchzubrechen.»

Atilius schrie seinen Männern zu, kehrtzumachen. Die Turma mühte sich, inmitten des Geschosshagels, der von beiden Seiten auf sie einprasselte, eine Linie zu bilden. Fünf Rosse lagen bereits mit gebrochenen Knochen am Boden, und ihre Reiter versuchten schreiend, hinter einem ihrer Kameraden aufs Pferd zu steigen. Zwei weitere Tiere stürzten und schlugen wild mit den Hufen. Ein Soldat wurde abgeworfen, der zweite aber geriet unter sein Pferd. Er blieb reglos liegen, den Kopf unnatürlich verdreht. Der andere Mann kam zittrig wieder auf die Beine, wurde jedoch gleich darauf zurückgeschleudert. Mit einem Aufschrei fuchtelte er mit den Armen, bog den Rücken durch, und seine Knie knickten ein. Wo seine Nase gewesen war, klaffte ein blutiges Loch.

Sabinus trieb sein Pferd an. «Mir nach!» Trotz des unebenen Geländes wagte er es, im leichten Galopp zu reiten. Die überlebenden Soldaten folgten ihm und zogen ihre Spathae, die Schwerter der Kavallerie, um sich den Weg zwischen ihren Peinigern hindurch freizukämpfen, die kaum mehr fünfzig Schritt entfernt waren.

Eine weitere Salve Schleudergeschosse schlug in ihre Reihen ein, und sechs Pferde stürzten kopfüber zu Boden. Ihre Mäuler pflügten das Gras auf, als die zertrümmerten Vorderbeine unter ihnen einknickten. Vergebens flehten die Reiter ihre Kameraden an, sie nicht zurückzulassen.

Ein Geschoss pfiff an Sabinus’ Knie vorbei. Die Schleuderer zielten noch immer tief. Er trieb sein Pferd mit den Fersen an und schlug mit der Breitseite seines Schwertes fest auf das Hinterteil ein, sodass das Tier zu vollem Galopp beschleunigte. Die Schleuderer ergriffen die Flucht. Sabinus’ Herz raste, Hoffnung stieg in ihm auf. Doch gerade als er glaubte, sie könnten ihre Angreifer niederreiten, wuchs ein neues Grauen plötzlich aus dem Boden: Eine Doppelreihe aus Männern, die unsichtbar auf der Erde gekauert hatten und sich auf ein Knie aufrichteten. Jeder hielt einen langen Jagdspeer mit Eschenholzschaft, dessen Ende im Boden steckte und dessen blattförmige Eisenspitze auf die Brust eines der Pferde gerichtet war.

Der Turma blieb keine Zeit, zu reagieren, ehe sie in die Dornenhecke aus geschärftem Eisen hineinstürmte. Die Klingen zerschnitten die angespannten Muskeln der Pferde und durchschlugen knirschend ihre Knochen, um in die Brusthöhlen einzudringen und lebenswichtige Organe zu verletzen. Die gewaltigen Herzen pumpten mit äußerster Kraft, sodass das Blut aus den furchtbaren Wunden der aufgespießten Tiere nur so spritzte. Ihr Schwung trieb die Speerspitzen bis zu den eisernen Querstücken hinein.

Sabinus wurde durch den abrupten Halt vorwärts auf den Hals seines Tieres geworfen, und sein Helm mit dem roten Helmbusch flog über die feindliche Linie hinweg. Im nächsten Moment wurde er wieder zurückgeschleudert, da das verwundete Tier sich aufbäumte, schrill wiehernd vor Qual. Dabei riss es dem blutbespritzten Krieger den Speer aus den Händen und zerschmetterte dem Mann daneben mit seinen Hufen den Schädel.

Sabinus prallte mit solcher Wucht auf den Boden, dass ihm die Luft wegblieb. Er besaß gerade noch die Geistesgegenwart, sich zur Seite zu wälzen, ehe das Pferd erst aufs Hinterteil und dann auf den Rücken fiel. Die Beine des Tiers zuckten kraftlos in der Luft, als versuchte es noch im Sterben davonzugaloppieren.

Sabinus kam keuchend auf die Knie, da spürte er einen Schlag auf den Kopf und sah weißes Licht. Ehe er in Bewusstlosigkeit sank, wurde er sich noch der bitteren Ironie bewusst: Ein Spion, der sich als Römer ausgab und sich selbst «Alienus» nannte, hatte ihn in die Falle gelockt.

 

Ein Schrei brachte Sabinus wieder zu sich – ein Angstschrei, kein Schmerzensschrei. Er schlug die Augen auf, sah jedoch nichts als Grashalme. Er lag bäuchlings, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Sein Kopf hämmerte. Als der Schrei verstummte, hörte er leisen Sprechgesang.

Sabinus versuchte, sich herumzuwälzen, da krampfte sein Magen sich zusammen. Ein Schwall von Erbrochenem ergoss sich ins Gras. Es schmeckte sauer im Mund, und als ihm die Flüssigkeit auch aus der Nase lief, drehte ihm der Gestank erneut den Magen um.

Schnell und flach atmend, schaffte er es, sich auf den Rücken zu wälzen. Er spuckte aus, um den widerlichen Geschmack loszuwerden. Der Nebel hatte sich gelichtet, gerade ging die Sonne unter. Er hob den Kopf und erkannte, dass er in dem Steinkreis lag. Verschwommene Gestalten bewegten sich darin. Wieder erhob sich der Schrei und übertönte den Gesang. Eine der Gestalten hob einen Arm, hielt kurz inne und ließ ihn dann mit Wucht herabschnellen. Der Schrei brach abrupt ab, es folgten ein langgezogenes Röcheln und dann Stille.

Plötzlich spürte Sabinus, wie es kälter wurde. Jetzt, da er allmählich klarer sah, konnte er die Gestalten ausmachen. Sie waren schmutzig. Ihr verfilztes Haar fiel ihnen bis zur Mitte des Rückens, ihre zu Strähnen gezwirbelten Bärte waren ebenso lang. Jeder trug ein langärmeliges Gewand, das an der Taille gegürtet war und bis zu den Fußknöcheln reichte. Diese Kleidungsstücke mochten einmal weiß gewesen sein, doch jetzt sahen sie aus, als hätte sich darauf seit Jahren Schimmel ausgebreitet.

Sabinus zitterte und ließ den Kopf stöhnend wieder ins Gras sinken. Wenn er irgendetwas mehr fürchtete als die Geister dieser Insel, so waren es ihre Diener: die Druiden.

«Ihr seid also wach, Legatus», sagte eine bemerkenswert heitere Stimme.

Sabinus drehte den Kopf und sah Alienus, der auf ihn zukam. «Du mieser kleiner Verräter!»

«Aber nicht doch. Ein Verräter ist jemand, der sein eigenes Volk betrügt. Das könnt Ihr mir schwerlich vorwerfen, schließlich bin ich ein Prinz der Atrebaten.» Alienus ging neben ihm in die Hocke. «Nicht alle aus meinem Volk haben vor Rom das Knie gebeugt wie mein feiger Großvater oder mein ruhmsüchtiger Vetter, der mir mein Geburtsrecht gestohlen hat und jetzt statt meiner herrscht. Sie haben meinem Volk Schande bereitet. Caradoc – oder Caratacus, wie Ihr ihn nennt – mag der Feind meines Volkes gewesen sein, aber wenigstens leistet er Widerstand gegen die Invasoren. Er ist von unserem Blut und würde unsere Sitten und unsere Götter ehren. Deshalb sollten wir ihn dabei unterstützen, Euch ins Meer zurückzustoßen.»

«Damit Ihr weiter hier am Rand der Welt Eure kleinlichen Zankereien austragen könnt?»

«Für Euch mag diese Insel der Rand der Welt sein, aber für uns ist sie die ganze Welt, und bevor Ihr kamt, waren wir frei, unser Leben nach unseren eigenen Gesetzen und Gebräuchen einzurichten. Könnt Ihr uns einen Vorwurf machen, weil wir das beibehalten wollen?»

«Nein, aber Ihr seid wirklichkeitsfern.» Wieder zitterte Sabinus, seine Zehen waren schon gefroren. «Rom ist gekommen, um sich dauerhaft hier einzurichten, und bis Ihr das einseht, werdet Ihr noch viele Eurer Landsleute in den Tod führen.»

«Nicht jetzt, da wir Euch haben.»

«Wie meint Ihr das?»

«Heute ist die Frühjahrs-Tag-und-Nacht-Gleiche. Die wenigen Überlebenden Eurer Eskorte haben zu Ehren des Tages ihr Blut auf den Altären unserer Götter vergossen, Ihr jedoch nicht. Ihr seid derjenige, auf den wir es abgesehen hatten. Wir wussten, wenn wir Euch in die Falle locken wollten, musste es geschehen, ehe Ihr wieder auf Feldzug geht. Danach hättet Ihr nicht mehr geglaubt, dass Plautius Euch zu sich befiehlt.»

Eine tiefe Kälte kroch in Sabinus’ Beinen hoch, und seine Zähne begannen zu klappern. «Wie habt Ihr es angestellt, sein Siegel zu fälschen?»

«Das ist gar nicht so schwer, wenn man Zugang zu Dokumenten hat, auf denen das Siegel noch intakt ist. Ihr habt drei Monate, um dahinterzukommen.»

«Wozu? Warum tötet Ihr mich nicht gleich?»

«Oh, dazu seid Ihr zu kostbar. Es wäre eine Vergeudung. Die Druiden haben entschieden, ein römischer Legatus sei das mächtigste Opfer, das man den Göttern für Caratacus darbringen kann, um ihn für seinen Kampf zu stärken.» Alienus zog eine Augenbraue hoch und zeigte mit angedeutetem Lächeln auf Sabinus. «Dieser Legatus seid Ihr.» Dann wies er mit einer Kopfbewegung auf die Druiden, die in den goldenen Strahlen der untergehenden Sonne standen, welche durch zwei der Tore in dem Steinkreis genau auf den Altar fielen. «Und Myrddin, der Oberste ihres Ordens, der über diese Dinge Bescheid weiß, hat entschieden, der günstigste Tag für das Opfer sei die Sommersonnenwende und der beste Ort der Hain der heiligen Quellen.»

Sabinus schaute zu den Druiden hinüber, die ihren Gesang fortsetzten, und ihm wurde bewusst, dass die Sonnenstrahlen keine Wärme spendeten. Stattdessen ging von der Gruppe eine kalte, böse Macht aus, die wie ein frostiger Hauch in ihn eindrang. Alienus schien jedoch nichts davon zu spüren. Sabinus’ Gedanken wurden träge, er war nicht mehr in der Lage, Fragen zu stellen. Ihm war, als würden seine Augen von Reif überzogen. Mit einer letzten kraftlosen Anstrengung spuckte er dem Spion seinen nach Erbrochenem schmeckenden Speichel ins Gesicht. «Bis dahin bin ich nicht mehr hier. Mein Bruder wird kommen, um mich zu befreien.»

Alienus wischte sich mit dem Handrücken die Wange ab und lächelte freudlos. «Darüber braucht Ihr Euch keine Gedanken zu machen – Myrddin hat mir aufgetragen, dafür zu sorgen, dass er herkommt und seine dem Untergang geweihte Legion mitbringt. Ihr werdet mir sicher beipflichten, dass zwei Legati viel mächtiger sind als einer. Ein Brüderpaar wird das ideale Opfer sein, um der Streitmacht, die Caratacus gerade aufstellt, die Gunst der Götter zu sichern. Und Myrddin bekommt immer, was er will.»

Sabinus sah nur noch Weiß. Die Kälte ergriff von seinem Herzen Besitz. Er spürte, wie eine böse Macht ihn in die Bewusstlosigkeit hinabzog, und er schrie, bis seine Ohren taub wurden. Doch kein Laut kam über seine erstarrten Lippen.

Teil I

Britannien, Frühjahr A.D. 45

I

Vespasian verknotete seinen Kinnriemen, sodass die Wangenklappen eng anlagen. Er schüttelte den Kopf – der Helm saß fest. Zufrieden nickte er dem Sklaven zu, der ihm aufwartete, einem Mann Anfang zwanzig. Dieser trat vor, legte ihm einen schweren Mantel aus tiefroter Wolle um die Schultern und verschloss ihn mit einer bronzenen Spange in Form eines Steinbocks, dem Emblem der II Augusta. Vespasian war dankbar für das wärmende Kleidungsstück, denn die zwei Feuerbecken konnten die morgendliche Kälte nicht aus dem Zelt vertreiben. Er prüfte, ob sein Schwert locker in der Scheide steckte, dann wandte er sich an den Sklaven, der von seinem Werk zurücktrat. «Du kannst gehen, Hormus.»

Mit einer kurzen Verbeugung wandte Hormus sich ab und verschwand durch die Vorhänge, mit denen der Schlafbereich im hinteren Teil des Praetoriums abgeteilt war – das Hauptquartier der Legion im Herzen des Lagers, wo der Legatus der II Augusta wohnte.

Vespasian nahm seinen Becher mit angewärmtem Wein von einem niedrigen Tisch und ging zu seinem Schreibpult, auf dem ordentlich aufgestapelte Wachstafeln und Bündel eingerollter Schriftstücke lagen. Er setzte sich und klappte die Wachstafel mit der Nachricht auf, die ihm eine schlaflose Nacht bereitet hatte. Während er an seinem Morgentrunk nippte, las er sie mehrmals durch, einen gequälten Ausdruck auf dem rundlichen Gesicht, dann legte er die Wachstafel heftig wieder ab. «Hormus!»

«Ja, Herr?», antwortete der Sklave und eilte durch die Vorhänge herein.

«Schreibe Folgendes auf und schicke unverzüglich einen Boten damit los.»

Hormus setzte sich an sein kleineres Sekretärspult, nahm einen Stilus und eine frische Wachstafel und gab seinem Herrn mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass er bereit sei.

«An Gaius Petronius Arbiter, den obersten Tribun der Vierzehnten Gemina, von Titus Flavius Vespasianus, Legatus der Zweiten Augusta. Seid gegrüßt.

Mein Bruder, Titus Flavius Sabinus, ist um die Zeit der Frühjahrs-Tag-und-Nacht-Gleiche nicht im Lager der Zweiten Augusta erschienen, noch wurde hier überhaupt eine Besprechung zwischen General Plautius, mir selbst und meinem Bruder anberaumt. Ich weiß über Tribun Alienus Bescheid, er ist der Enkel des verstorbenen Verica vom Stamm der Atrebaten. Ich erinnere mich vage, ein paarmal mit ihm zu tun gehabt zu haben, als er während der letzten zwei Jahre in Plautius’ Stab diente, und ich habe keinen Anlass, an seiner Integrität zu zweifeln. Ebenso wenig habe ich allerdings einen Grund anzunehmen, dass er nicht noch immer auf der Seite der Rebellen stehen könnte. Wie kam er dazu, meinen Bruder zu einer Besprechung zu holen, die es nicht gab? Wenn Ihr Euch sicher seid, dass sie vor fünfzehn Tagen wirklich hierher aufgebrochen sind, so kann ich nur annehmen, dass Alienus in Wahrheit niemals einer der unseren war, sondern ein britannischer Spion. Demzufolge ist mein Bruder entweder in Gefangenschaft oder, die Götter mögen es verhüten, …» Vespasian hielt inne, unwillig, den Gedanken auszusprechen, der ihn die ganze Nacht gequält hatte, während er über Sabinus’ mögliches Schicksal gegrübelt hatte.

Sabinus, fast fünf Jahre älter als Vespasian, hatte ihn seine ganze Kindheit hindurch drangsaliert und als jungen Mann mit Verachtung behandelt. Doch in den letzten etwa zwölf Jahren war ihre Beziehung allmählich besser geworden und zu gegenseitigem Respekt gereift. Dass Vespasian seinem Bruder geholfen hatte, den verlorenen Adler der Legio XVII zu suchen, hatte die beiden Brüder schließlich so weit geeint, dass sie ohne ständige Zankereien miteinander umgehen konnten. Narcissus, der mächtige Freigelassene des Kaisers Claudius, hatte gedroht, Sabinus für seinen Anteil an der Ermordung Caligulas hinrichten zu lassen wie alle seine Mitverschwörer. Doch dank der Intervention von Narcissus’ Kollegen Pallas, einem alten Bekannten der Brüder, war Sabinus’ Beteiligung vertuscht und sein Leben verschont worden – unter der Bedingung, dass die Brüder den letzten noch verschollenen Adler zurückholten. Der war vor sechsunddreißig Jahren, im Jahr von Vespasians Geburt, im Teutoburger Wald verlorengegangen, wo der germanische Rebell Arminius drei Legionen vernichtend geschlagen hatte.

Die Rückführung des Adlers nach Rom war nicht ganz nach Plan verlaufen. Immerhin war er gefunden worden, und die Brüder standen wieder in der Gunst der eigentlichen Macht in Rom: nicht des Kaisers, sondern seiner Freigelassenen. Sabinus hatte sich eingestehen müssen, dass er seinem Bruder das Leben verdankte, und so beendete Vespasian nun schweren Herzens seinen Satz: «… tot.»

Er entließ den Sklaven mit einer Handbewegung, leerte seinen Weinbecher und betete im Stillen zu seinem Schutzgott Mars, Sabinus möge noch am Leben sein. Allerdings hatten die Briten keinen Grund, einen Gefangenen zu verschonen, denn sie wussten sehr wohl, dass Plautius nicht um das Leben seiner Männer verhandelte. Das Glimpflichste, was irgendjemand erhoffen konnte, war, als Sklave an die Stämme im Norden oder Westen verkauft zu werden, und das kam einem Tod gleich. Doch wenn es so war, bestand wenigstens noch eine Möglichkeit, Sabinus zu finden.

Vespasian wurde aus seinen Gedanken gerissen, als die beiden Wachen draußen vor dem Zelt geräuschvoll Haltung annahmen. Gleich darauf marschierte der Lagerpräfekt Maximus, der dritthöchste Offizier der Legion, forsch herein und grüßte zackig und so routiniert, wie es seinen fast dreißig Dienstjahren entsprach.

Vespasian erhob sich aus Respekt vor dem Mann, der ihm im Rang untergeordnet, an Erfahrung jedoch überlegen war. «Ja, Maximus?»

«Die Legion ist in Stellung, Herr! Wir erwarten Eure Befehle, falls die Verhandlungen nicht erfolgreich verlaufen sollten.»

«Redet Cogidubnus mit ihnen?»

«Sie haben sich geweigert, ihn und seine beiden Leibwachen in die Festung einzulassen, deshalb musste er vor dem Tor verhandeln. Er ist noch dort oben.»

«Gut, ich komme.»

 

Vespasian trat aus dem Tor des Lagers der II Augusta auf einer flachen Hügelkuppe, von wo der Hang sanft zu einem kleinen Fluss hin abfiel. Die Wachen am Tor hielten den Blick starr geradeaus gerichtet und präsentierten mit übertriebenem Aufstampfen ihre Waffen, als er vorbeiging.

Sein Primus Pilus Tatius, der ranghöchste Centurio der Legion, und Valens, sein Tribun mit breiten Streifen, warteten draußen zusammen mit den fünf Tribunen mit schmalen Streifen – Jünglinge um die zwanzig, die hier waren, um zu lernen. Eine Viertelmeile vor ihnen ragte eine weitere Anhöhe auf, rund wie ein riesiger Maulwurfshügel, dreihundert Fuß hoch und an der Basis eine halbe Meile im Durchmesser. Ein Streifen ebenen Geländes trennte sie vom umliegenden sanften Hügelland. Diese Anhöhe war wie geschaffen für einen stark befestigten Zufluchtsort, und in der Tat waren die Befestigungsanlagen eindrucksvoll. Am oberen Viertel des Hanges waren zwei breite Gräben ausgehoben, jeder zehn Fuß tief und mit im Feuer gehärteten Spießen bestückt. Das Gelände davor war steil und vollständig gerodet bis auf den abseitigen Westhang, wie Vespasian festgestellt hatte, als er bei seiner Ankunft darum herumgeritten war. Dieser Hang war zu steil für einen Angriff, und so hatte man das Gebüsch dort stehen lassen. Hinter dem inneren Graben war der Aushub zu einem steilen Wall festgestampft worden, auf dem eine Palisade aus dicken, doppelt mannshohen Baumstämmen errichtet war. Hunderte Krieger standen dort aufgereiht, und hinter ihnen, zwischen den Dutzenden runder Hütten auf der Kuppe, warteten noch zahlreiche weitere mit ihren Frauen und Kindern. Vespasian wusste aus leidvoller Erfahrung, dass auch viele von diesen mit Schleudern und Wurfspeeren zu töten verstanden.

Auf dem Abhang zwischen Vespasian und dieser Wallburg stand die II Augusta in zwei Treffen zu je fünf Kohorten. Reihe um Reihe eisengerüsteter schwerer Infanterie, deren polierte Helme golden in der eben aufgegangenen Sonne glänzten, standen reglos unter ihren Standarten, die im frostigen Wind flatterten. Vespasian hatte diesen Aufmarsch nicht etwa befohlen, weil er beabsichtigte, in voller Truppenstärke anzugreifen – aufgrund der Gräben wäre das nicht praktikabel gewesen, er hätte nur unnötig das Leben seiner Legionäre geopfert. Nein, den ersten Angriff würden die gallischen Auxiliarkohorten führen. Da sie keine römischen Bürger waren, zählte ihr Leben weniger. Der Aufmarsch sollte lediglich die Verteidiger einschüchtern und Cogidubnus, den neuen König von Roms Verbündeten, den vereinigten Stämmen der Atrebaten und Regner, bei seinen Verhandlungen mit dem Häuptling der Durotrigen unterstützen. Dieser Unterstamm war in der Wallburg eingeschlossen worden, als Vespasian in den ersten Tagen der neuen Feldzugsaison in einem Blitzmarsch landeinwärts nach Nordwesten vorgestoßen war.

Anlass für das Manöver war die Meldung eines britannischen Spions gewesen, der bei Cogidubnus im Sold stand. Er hatte berichtet, eine große Streitmacht versammle sich in der Festung, möglicherweise unter dem Kommando von Caratacus persönlich. Sie bereite sich auf einen Vorstoß nach Osten vor, hinter die Linie der vorrückenden II Augusta, um deren Versorgungslinien anzugreifen. So wäre die Legion gezwungen gewesen, umzukehren und sie abzuwehren, was ihren Frühjahrsfeldzug erheblich verzögert hätte.

Am vergangenen Abend war die Legion so plötzlich eingetroffen und hatte die Wallburg so schnell umzingelt, dass keiner der Briten mehr hatte fliehen können. Die es über die Palisade geschafft hatten, waren schnell von Vespasians batavischen Reitern getötet oder gefangen genommen worden. Diese Kavallerieeinheit war eigens dazu abgestellt worden, damit niemand entkam und Hilfe holte. Der Spion nahm an, dass sich innerhalb der Befestigungsanlagen mehr als viertausend Männer im wehrfähigen Alter befanden, und Gefangene, die unter Zuhilfenahme von Messern verhört wurden, hatten seine Schätzung bestätigt. Allerdings hatten sie alle bis zum Tod geleugnet, dass Caratacus anwesend war.

Jetzt wird Caratacus’ Plan nicht mehr aufgehen, dachte Vespasian mit einem selbstzufriedenen kleinen Lächeln. Die Angst um seinen Bruder schob er beiseite, um sich auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Vor vier Jahren, als er das Kommando über die II Augusta übernommen hatte, hätte ihn die Szene noch beeindruckt, die sich ihm hier bot. Inzwischen aber, nach zwei Jahren Feldzug in Britannien, hatte er sich an den Anblick gewöhnt. Er zählte im Kopf nach und kam zu dem Schluss, dass dies seine neunte Belagerung war.

Obwohl der Umfang der Wehranlagen fast eine Meile maß, gab es nur einen Eingang, und der lag hier vor Vespasian. Allerdings führte kein gerader Weg hinauf. Die Übergänge über die Gräben waren versetzt, sodass Angreifer gezwungen waren, einen Zickzackkurs einzuschlagen, wobei ihre Flanken dem Geschützhagel von den Kriegern auf den Wällen ausgesetzt sein würden. Viele der Gallier würden bei einem Frontalangriff ihr Leben lassen, noch ehe sie das Tor erreichten, und viele weitere würden bei dem Versuch sterben, es mit dem Aries, dem Rammbock, aufzubrechen. Dessen hölzernes Dach war mit nassem Leder überzogen zum Schutz vor den Feuerschalen, welche die Gegner zweifellos vom Wall hinunterwerfen würden.

Doch Vespasian hoffte, dass es gar nicht erst dazu kommen würde. Gerade sah er drei britannische Reiter ihre Pferde wenden und vom Tor fortreiten. Im selben Moment regte sich etwas auf der Palisade neben ihnen. Eine Gestalt sprang herab, rollte sich ab, kam behände wieder auf die Beine und rannte auf die drei Reiter zu. Einer verlangsamte sein Tempo, den vereinzelten Speeren trotzend, die vom Wall nach dem Flüchtigen geworfen wurden. Er lehnte sich zurück und streckte dem Mann die Hand entgegen. Der ergriff sie, und es gelang ihm, hinter dem Reiter aufs Pferd zu springen. Das verängstigte Tier stieg und hätte die beiden Männer beinahe abgeworfen, doch der Reiter riss an den Zügeln und trieb es an, im Galopp bergab seinen Kameraden nach, die bereits den Übergang über den äußeren Graben erreicht hatten.

Vespasian und seine Offiziere beobachteten schweigend, wie die Männer herangaloppierten. Ihnen war klar, dass die Kunde, die sie brachten, über ihr Schicksal an diesem Tag entscheiden würde.

Die Legionäre wurden unruhig, als die Reiter durch ihre Formation kamen, doch Centurionen und Optiones stellten mit barschen Befehlen die Ordnung wieder her.

«Ich glaube, die Jungs sehen Cogidubnus schon an, dass er keine guten Nachrichten bringt», murmelte Maximus.

Vespasian knurrte. «Natürlich bringt er keine guten Nachrichten. Wer würde aus einer Festung fliehen wollen, die kurz vor der Kapitulation steht?» Sein Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an, während die Reiter näher kamen und ihr Anblick Maximus’ Vermutung bestätigte. Doch er wusste auch: Dass die Briten in der Wallburg sich nicht ergeben wollten, konnte bedeuten, dass der Siegespreis umso größer wäre.

«Ihr Häuptling Drustan hat geschworen, dass sie kämpfen werden, bis auch das letzte Kind getötet ist», bestätigte Cogidubnus, während er sein Pferd zum Stehen brachte. Der Flüchtling, ein junger Mann mit langem, verfilztem Haar, spärlichen Bartstoppeln und einem schmalen, dreckverschmierten Gesicht, ließ sich vom Pferd gleiten. «Dabei habe ich ihnen ein Bündnis mit Rom in Aussicht gestellt und ihnen versprochen, dass sie nicht nur ihr Leben behalten, sondern auch das Recht, Waffen zu tragen.»

Vespasian versteifte sich. «Er ist dort drin, nicht wahr?»

Cogidubnus wechselte ein paar Worte in seiner eigenen Sprache mit dem Geretteten, nickte und antwortete: «Ja, Legatus, er ist dort drin. Mein Mittelsmann hier sagt, er ist vor zwei Tagen eingetroffen.»

Vespasian warf einen Blick auf den Spion, erstaunt, dass solch wertvolle Informationen aus einer so unwahrscheinlichen Quelle kommen konnten. Der Mann hielt den Kopf gesenkt. Mit seiner zerlumpten Kleidung wirkte er eher wie ein Sklave denn wie ein Krieger. «Und nun hofft er zu entkommen, während ein ganzer Unterstamm sich für ihn opfert.»

«Es scheint so.»

Vespasian wandte sich an seine Offiziere. «Meine Herren, ich will, dass vor dem Angriff das gesamte Gelände umstellt wird. Niemand darf durch unsere Linien schlüpfen. Ich habe das Gefühl, dass wir durch unseren schnellen Vorstoß Caratacus in die Enge getrieben haben.»

 

Nach weniger als einer halben Stunde war die II Augusta neu in Stellung gebracht. Jede Kohorte hatte sich in vier Reihen zu je einhundertzwanzig Mann formiert. Schweigend umringten sie die Anhöhe, damit niemand entkommen konnte. Vespasian schaute den Hang hinauf, über die Köpfe der ersten Kohorte hinweg zu der Stelle, wo drei gallische Auxiliarkohorten zu je achthundert Mann in Formation standen, die Schilde erhoben zum Schutz vor den Schleudergeschossen der Verteidiger auf der Mauer nur hundert Schritt entfernt. An der Spitze der mittleren Kohorte erhob sich dunkel das Dach des Rammbocks, umgeben von der Centurie, der die große Ehre zuteilwurde, den Angriff anzuführen. Links vor ihr standen die achthundert Bogenschützen der Hamaner Auxiliarkohorte und zu ihrer Rechten die sechzig Ballistae, die Bolzengeschütze der Legion.

Vespasian beruhigte sein Pferd, dann ließ er den rechten Arm fallen. Der Cornicen neben ihm blies einen einzigen tiefen, dröhnenden Ton auf seinem gewundenen Horn in der Form des Buchstabens G. Gleichzeitig hielt bei jeder Ballista ein Soldat eine brennende Fackel an die ölgetränkte Watte, die um die Spitzen ihrer drei Fuß langen hölzernen Bolzen gewickelt war, und die Hamaner zündeten an kleinen Feuern entlang ihrer Linie die Pfeile an. Bogensehnen summten, die Geschütze krachten, und Hunderte brennender Geschosse flogen durch die Luft und hinterließen Spuren aus schwarzem Rauch wie in den Himmel gepflügte Furchen.

Der Angriff hatte begonnen.

Die erste Salve ging über die Palisade hinweg und schlug in die Wände aus Flechtwerk mit Lehmbewurf und in die Strohdächer der zahlreichen Hütten dahinter ein. Die Schreie Verwundeter zeugten davon, dass nicht nur Gebäude getroffen wurden. Während die Hamaner von ihren starken Recurvebogen aus Holz und Horn eine zweite Salve lösten, sah Vespasian befriedigt die ersten dünnen Rauchfähnchen aus der Wallburg aufsteigen. Die Hamaner ließen noch sechs weitere Salven los, ehe die Bolzengeschütze wieder bereit waren. Inzwischen hatten sich die Spuren der Brandpfeile mit dem dichter werdenden Qualm von den Hütten zu einer grauen Rauchwolke vereinigt, die über der Anhöhe hing. Flammen züngelten jetzt aus den Gebäuden und warfen von unten einen tief orangefarbenen Schein auf die Wolke. Das Feuer griff um sich; hier und dort trübten außerdem Dampfschwaden die Luft, da die in der Wallburg Eingeschlossenen versuchten, die Brände zu löschen. Ihre Rufe schollen zur II Augusta hinunter. Von den Kriegern auf dem Wall – noch unbehelligt von den Pfeilen, die über ihre Köpfe hinwegflogen – prasselten weiter Schleudergeschosse auf die Schilde der gallischen Kohorten ein, jedoch ohne größeren Schaden anzurichten.

Ein junger Tribun kam im Galopp den Hang herunter auf Vespasian zu.

«Sind die Gallier bereit, Vibius?», fragte Vespasian, als der Jüngling sein Pferd anhielt und grüßte.

«Jawohl, Herr. An die beiden unterstützenden Kohorten wurden Sturmleitern ausgegeben, wie Ihr befohlen habt.»

«Und Valens’ Ablenkmanöver?»

«Ja, Herr, er hat genügend Bohlen, um den ersten Graben zu überbrücken.»

«Reitet wieder zu ihm hinunter und richtet ihm aus, er soll nicht warten, bis die gallischen Auxiliartruppen das Tor erreicht haben. Ich will, dass er sich sofort in Marsch setzt, um so viele Briten wie möglich davon abzulenken, die Brände zu bekämpfen. Verstanden?»

«Jawohl, Herr!» Mit einem flüchtigen Gruß wendete Vibius sein Pferd und galoppierte unter einer weiteren Salve Brandpfeile davon.

Vespasian warf einen Seitenblick zu Maximus, der neben ihm auf einem Pferd saß, und gestattete sich ein freudiges Grinsen. «Zeit, die Mauern für unsere galanten Gallier freizuräumen.» Er nickte dem Cornicen zu. «Auf das zweite Ziel.»

Diesmal blies der Mann zwei kürzere Töne. Sofort zielten die Hamaner tiefer und lösten Pfeil um Pfeil auf die Krieger auf der Palisade. Die Männer an den Ballistae richteten ihre Geschütze ebenfalls neu aus. Als die ersten Bolzen in die von Rauch umwölkte Palisade einschlugen, waren darauf bereits keine Gegner mehr zu sehen. Sie waren in Deckung gegangen. Solange die Situation es nicht zwingend erforderte, wollen sie nicht ihr Leben riskieren – ihnen allen war klar, dass dies sehr bald der Fall sein würde.

Dass die Gegner von den Mauern verschwanden, war das vereinbarte Signal für die Präfekten der gallischen Auxiliarkohorten, und zum ersten Mal an diesem Tag erhob sich Gebrüll aus den Reihen der römischen Streitmacht. Die erste Kohorte marschierte los, den steilen Hang hinauf zu dem Übergang über den ersten Graben. Die erste Centurie schob und zog den Rammbock in ihrer Mitte. Wenige Glückliche mühten sich im Schutz des Daches ab, die Übrigen zogen von vorn an den zwei Seilen, den seitlichen Stangen oder schoben von hinten. Die zweite Centurie ging voran, um etwas Deckung zu geben, andere scharten sich um ihre Kameraden, die das schwere Gerät bewegten, und schützten sie von der Seite mit ihren Schilden. Von oben kamen keine Geschosse, da die Hamaner weiter die Wehranlagen unter Beschuss hielten. Die zwei unterstützenden Kohorten liefen rechts und links voraus, überwanden rasch den äußeren Graben und fächerten sich dann zwischen diesem und dem inneren Graben zu beiden Seiten des Tores auf. Tief hinter ihre Schilde geduckt, die Sturmleitern vor sich auf dem Boden, warteten sie auf ihre Kameraden mit dem Rammbock. Dessen massive Holzräder an mit Gänsefett geschmierten Achsen rumpelten bergauf und gewannen allmählich an Schwung, während sich das Gerät dem ersten Hindernis näherte.

Auf diesen Moment hatten die Briten gewartet: Der Übergang über den Graben, nur vierzig Schritt vor der Palisade, verlief schräg nach links und war nur sechs Fuß breit, sodass ein Fuhrwerk gerade eben darüberfahren konnte. Der Rammbock war über Nacht eigens umgebaut worden, damit seine Räder eng genug standen, doch für die Männer, die an den seitlichen Stangen zogen, und vor allem für die schützenden Schildträger blieb kein Platz. Die führende zweite Centurie überwand den Graben zuerst, formierte sich dahinter in zwei Reihen, eine kniend, eine stehend, und bildete einen Schildwall. Als die Belagerungsmaschine folgte, waren die Männer zu beiden Seiten gezwungen, sich zurückfallen zu lassen und zu warten. Der Rammbock verlor an Schwung, und die Soldaten, die ihn bewegten, büßten ihre Deckung ein. Augenblicklich erschienen Hunderte Köpfe über der Palisade, Arme schwangen lederne Schleudern. Zahlreiche Männer stürzten, von befiederten Pfeilen durchbohrt, rücklings in die Flammen. Den meisten gelang es jedoch, die Schleuder dreimal herumzuschwingen und das Geschoss loszulassen, ehe sie sich wieder duckten, um nachzuladen. Ein Hagel von Geschossen schnellte auf die Auxiliartruppe hinunter. Viele prallten vom schützenden Schildwall der zweiten Centurie ab, aber es schlugen noch genug in die erste Centurie ein, sodass Männer mit zertrümmerten Gliedmaßen und zerschmetterten Gesichtern zu Boden gingen. Doch ihre Kameraden rückten weiter vor. Es wäre eine unerträgliche Schande gewesen, vor den Augen der gesamten Legion die Flucht zu ergreifen. Ein paar Soldaten aus der zweiten Centurie rannten zurück, um die Toten und Verletzten, die dem Rammbock im Weg lagen, wegzuräumen und die frei gewordenen Plätze an den Seilen zu besetzen. Nachfolgende Soldaten schoben von hinten, und der Rammbock gewann wieder an Tempo.

Eine weitere Salve Bolzen pfiff über die Köpfe der schwer arbeitenden Centurien hinweg, durchbohrte Krieger, die mit neugeladenen Schleudern wieder auf der Palisade erschienen, und brachte sie zu Fall. Doch die noch standen, im dichter werdenden Rauch nur noch schemenhaft auszumachen, trotzten dem beständigen Pfeilhagel der Hamaner und ließen die Schleudern über ihren Köpfen kreisen. Rasch erreichten sie den nötigen Schwung für eine weitere tödliche Salve, und wieder gingen Soldaten zu Boden, manche unter gellenden Schreien, andere lautlos. Wieder wurde der Rammbock langsamer. Aber die hinteren Räder waren jetzt über den Graben, und die nachfolgenden Männer mit den Schilden konnten wieder aufholen.

Alle Gefolgsleute Vespasians, die diese Leistung verfolgt hatten, brachen in gewaltigen Jubel aus. Vespasian selbst hatte das Gefühl, nach langer Zeit endlich wieder atmen zu können. Mit einem Blick nach links zur Südseite der Anhöhe stellte er fest, dass Vibius seine Nachricht überbracht hatte. Valens hatte sich mit der zweiten, dritten und vierten Kohorte in Bewegung gesetzt, die jetzt zu acht Mann breiten Kolonnen formiert waren. Vor jeder Einheit waren lange Bohlen über den ersten Graben gelegt worden, und Pioniere waren vorsichtig die steilen Wände hinuntergeklettert, um zwischen den Spießen senkrechte Stützen für die provisorischen Brücken aufzurichten.

Zufrieden, dass sein Stellvertreter mit aller gebotenen Eile zu Werke ging, richtete Vespasian seine Aufmerksamkeit wieder auf die Anhöhe, die jetzt in Rauchwolken gehüllt war. Er konnte nur noch undeutlich erkennen, wie der Rammbock nach rechts manövriert wurde, zum Übergang über den inneren Graben zwanzig Schritt vor dem Tor. Die zweite Centurie hatte ihn bereits überquert und war wie zuvor in Stellung gegangen, um die Kameraden so gut wie möglich gegen Schleudergeschosse und Wurfspeere abzuschirmen. Jedoch waren ihre Bemühungen aufgrund des steileren Winkels so dicht vor der Palisade nicht mehr sonderlich wirksam, sodass vor Vespasians Augen zwei der Männer an den Seilen getroffen wurden. Der Rammbock bewegte sich weiter, seine Vorderräder waren jetzt halb über den Graben. Die Hamaner und Artilleristen schossen weiter Salve um Salve ab. Allerdings konnten sie nicht mehr genau zielen, denn die Gestalten auf der Palisade verschwanden zeitweilig völlig im Rauch. Die beiden unterstützenden gallischen Kohorten hielten sich hinter ihren Schilden zu beiden Seiten des Tores bereit und hatten die Leitern schon senkrecht aufgerichtet.

Vespasian schaute auf den Cornicen hinunter. «Erste Kohorte vorrücken!»

Eine Folge aus drei aufsteigenden Tönen dröhnte aus dem bronzenen Instrument. Vespasian sah, wie die Standarten der fünf doppelt starken Centurien seiner Elitekohorte abgesenkt wurden, dann marschierte auf Befehl ihrer Centurionen und Optiones eine nach der anderen los, auf den Übergang über den ersten Graben zu. Jetzt kam es darauf an, das Tor aufzubrechen, damit diese erprobten Krieger eindringen konnten.

Doch in diesem Moment geschah die Katastrophe.

Durch den wirbelnden Rauch war undeutlich auszumachen, dass der Rammbock sich nach rechts neigte. Vespasian spannte sich an. Als ein Windstoß ihm für Momente bessere Sicht verschaffte, sah er, wie die Erde unter dem rechten hinteren Rad bröckelte und es über die Kante rutschte. Das Dach krachte auf die Hinterachse, durch die Schräglage schwang der darin aufgehängte Rammbock nach rechts und schlug viele der Soldaten im Inneren des Gehäuses bewusstlos. Zugleich neigte sich die ganze Konstruktion durch den Schwung noch stärker. Zwei oder drei beschleunigte Herzschläge lang stand das Gerät schwankend auf der Kippe, während Männer an die linke Seite eilten und sich in der Hoffnung daranhängten, durch ihr Gewicht irgendwie das Unvermeidliche abzuwenden.

Doch wie immer geschah das Unvermeidliche.

Das Dach des Rammbocks neigte sich langsam, dann immer schneller, bis es mit einem Krach, der selbst über den Kampflärm hinweg zu hören war, auf die Spieße in dem Graben stürzte. Holz splitterte, die Männer im Inneren wurden mitgerissen und von den gehärteten Spitzen durchbohrt. Für einen Moment stand das vordere Ende senkrecht, dann kippte es hintenüber und verschwand der Länge nach im Graben.

Vespasian trieb sein Pferd an. «Maximus! Bleibt hier und erteilt die Befehle. Sorgt dafür, dass der Angriff weiter vorangeht, und sagt den Hamanern und der Artillerie, sie sollen auf die Mauer oberhalb des Rammbocks zielen.»

Nachdem er das Kommando dem erfahrensten Mann aus seiner Truppe übertragen hatte, ritt Vespasian im Galopp den Hang hinauf, gefolgt von der Turma berittener Legionäre, die als seine Leibgarde fungierte. Er überholte die erste Kohorte der Legion am halben Berg, dann saß er ab und rannte weiter durch die Rauchschwaden. Seine Eskorte tat es ihm gleich. Den Schild hoch erhoben, lief er an den acht verbliebenen Centurien der gallischen Kohorte vorbei, die innegehalten hatten, unsicher, wie es nun weitergehen sollte, da der Rammbock außer Gefecht war.

Vespasian erreichte den inneren Graben im Schatten des Tores. «Wo ist Euer Präfekt?», fragte er den Centurio der dritten Centurie der Auxiliartruppe, der sich mit seinen Männern zum Schutz vor Geschossen ebenfalls hinter die Schilde duckte.

Der Mann wies mit einer Kopfbewegung zum Graben. «Dort unten, Herr. Er versucht, Ordnung in das Chaos zu bringen.»

«Nehmt Eure Centurie und folgt mir. Ich will, dass Ihr Euch in Testudo vor dem Graben formiert und Euch bereit macht, den Rammbock herauszuziehen.»

«Jawohl, Herr!» Das Gesicht des schlachtenerprobten Centurios verhärtete sich und nahm einen entschlossenen Ausdruck an. Er war sichtlich froh, in all der Verwirrung einen klaren Befehl zu erhalten.

Vespasian rannte geduckt, während ein Geschoss nach dem anderen seinen Schild traf. Durch seinen roten Mantel und den hohen Helmbusch aus Rosshaar gab er ein auffälliges Ziel ab. Hinter sich hörte er die Befehle des Centurios, der seine Männer in Marsch setzte. Am Graben angekommen, schaute Vespasian hinunter. Das zwanzig Fuß lange Dach lag umgedreht in Trümmern, von angespitzten Pfählen durchbohrt. Manche der Pfählen ragten blutig aus Leichen heraus, einer hatte einen Schädel durchstoßen. Dazwischen arbeiteten die Überlebenden der ersten Centurie sich fieberhaft zu dem Rammbock vor oder kümmerten sich um die Verwundeten, während die zweite Centurie sich nach Kräften bemühte, den Kameraden Deckung zu geben. Allerdings war die Palisade über ihnen so stark unter Beschuss von den Bogenschützen und der Artillerie, dass nur sehr wenige Briten sich aus der Deckung wagten, um einen Schuss zu versuchen. Dennoch scharten sich drei Männer seiner Eskorte um Vespasian und schützten ihn mit ihren Schilden.

«Präfekt!», rief Vespasian, als er inmitten des Gemetzels den Befehlshaber der Kohorte entdeckte. «Schneidet den Rammbock los und stemmt ihn zu den Männern dort oben hinauf.» Er zeigte auf die dritte Centurie, die jetzt in Testudo stand, in der Schildkrötenformation: Die Soldaten der Auxiliartruppe bildeten mit ihren ovalen Schilden über sich, vorn und seitlich ein geschlossenes Gehäuse aus lederbezogenem Holz, in dem sie einigermaßen sicher waren. «Vergesst im Augenblick die Verwundeten. Wir müssen das Tor aufbrechen, ehe der Angriff ins Stocken gerät.»

Der Präfekt bestätigte den Befehl und schrie seinen Männern zu, sie sollten die Seile durchtrennen, mit denen der Rammbock unter dem Dach aufgehängt war.

Vespasian wandte sich zwei Mann seiner Eskorte zu, die hinter ihm kauerten. «Lauft zu den unterstützenden Kohorten am Wall und sagt ihnen, sobald der Rammbock aus dem Graben gehoben wird, sollen sie beginnen, die Palisade zu stürmen.»

Die beiden Soldaten salutierten, wechselten einen besorgten Blick und liefen davon. Unten im Graben war inzwischen ein großer Teil des schützenden Leders von dem Holzgerüst geschnitten, sodass der Rammbock deutlich zu sehen war. Gerade wurden die letzten paar Seile durchtrennt, und der Präfekt hatte alle seine unverletzten Männer in Stellung gebracht, um den gewaltigen Baumstamm, mit einem Durchmesser von fast zwei Fuß anzuheben. Manche fassten ihn an den Haken, an denen die Seile befestigt gewesen waren, andere griffen darunter. Das letzte Seil wurde am Rammbock belassen und nur von dem Dach gelöst. Ein Soldat der Auxiliartruppe warf das lose Ende zum Centurio der dritten Centurie hinauf, der es in die Formation seiner Männer weiterreichte.

«Hoch, ihr Hurensöhne!», brüllte der Präfekt.

Vespasian nahm sich im Stillen vor, diesen Präfekten in seinem Bericht an Plautius zu erwähnen.

Der Rammbock hob sich vom Boden. Wurfspeere schnellten in immer größerer Zahl von oben herunter, da den Verteidigern klarwurde, was im Gange war; die Schilde der zweiten Centurie bebten von den Einschlägen.

Der Rammbock wurde auf Schulterhöhe gewuchtet, und das Seil spannte sich. Die Männer in der Mitte der Schildkrötenformation ließen ihre Schilde sinken und machten sich bereit, die Last zu übernehmen. Vespasian spähte an seinem Schild vorbei zur Oberkante der Palisade. Dort trotzten noch immer Männer den Salven der Hamaner und der Artillerie, um die Operation zu stören, die – sofern erfolgreich – so sicher ihren Tod bedeuten würde wie ein Pfeil ins Auge. Während er hinschaute, wurden zwei Briten von befiederten Schäften zurückgeworfen. Sofort nahmen zwei andere ihre Plätze ein, so verzweifelt versuchten die Verteidiger zu verhindern, dass der Rammbock zum Einsatz kam.

Die Männer der Auxiliartruppe stemmten den Aries über Kopf hoch und begannen, ihn Fuß um Fuß in die Testudo hineinzuschieben. Indessen wurde der Speerhagel noch heftiger und streckte drei Männer des Arbeitstrupps nieder. Der Präfekt eilte hinzu, um selbst mit anzupacken, und trieb seine Männer mit gebrüllten Befehlen zu größerer Eile an.

Vespasian hielt die Luft an. Es lag nicht in seiner Macht, den Fortgang zu beschleunigen. Die Männer arbeiteten bereits so schnell wie irgend möglich, und es hätte keinen Unterschied gemacht, wenn er sie auch noch angeschrien hätte. Er wappnete sich für das, was er tun musste, sobald der Rammbock wieder oben war – es würde die Erfolgsaussichten erheblich steigern, wenn er in vorderster Front mitkämpfte und die Gefahr mit seinen Männern teilte. In diesem Moment wünschte er sehnlichst, sein alter Freund Magnus, der wackere Kämpfer, möge jetzt schützend an seiner rechten Seite stehen und nicht tausend Meilen entfernt in Rom weilen.

Ein Ruck durchfuhr den Rammbock, und ein gellender Schrei übertönte den Tumult.

«Zieht das verdammte Ding aus seiner Hand!», brüllte der Präfekt.

Der Wurfspeer, der sich durch die Hand eines Soldaten in das Holz gebohrt hatte, wurde mit einem Ruck herausgerissen. Der Mann fiel auf die Knie und umklammerte seine blutende Hand, während seine Kameraden den Aries die letzten paar Fuß aus dem Graben und in die Schildkröte schoben. Die Briten konzentrierten ihren Beschuss jetzt auf die Formation, die nur teilweise von Schilden geschützt war, da der Rammbock durch ihre Mitte weitergereicht wurde.

Vespasian rannte nach vorn und nahm neben dem Centurio am Kopf des Aries Aufstellung. Mit einer Hand packte er einen Haken, während er sich mit der anderen seinen Schild über den Kopf hielt. «Jetzt kehrt und auf das Tor zu!»

Der Centurio schrie das Kommando, und die Centurie drehte sich um neunzig Grad, während noch immer Wurfspeere auf ihr hölzernes Dach einprasselten. Mit raschen Blicken zu beiden Seiten stellte Vespasian fest, dass die zwei unterstützenden Kohorten gerade mit ihren langen Sturmleitern in den inneren Graben stiegen und damit einen Teil der Verteidiger von dem Rammbock ablenkten. Er wechselte einen Blick grimmiger Entschlossenheit mit dem Centurio und nickte knapp.

«Im Laufschritt marsch!», schrie der Centurio.

Mit dem Aries in ihrer Mitte trabten die Soldaten der Auxiliartruppe los, gefolgt vom Rest der Kohorte. Binnen weniger angestrengter Herzschläge legten sie die letzten zwanzig Schritt bergauf bis zum Tor zurück und schmetterten den Rammbock dagegen. Die Torflügel bebten, doch es entstand kein sichtbarer Schaden.

«Auf mein Kommando Schwung holen!», rief Vespasian. «Und los!»

Die Männer ließen den Aries zurückschwingen und rammten ihn dann mit aller Kraft erneut gegen das Tor, während ihre Kameraden ihr Möglichstes taten, um sie mit ihren Schilden vor dem unablässigen Beschuss zu schützen. Wieder erzitterten die Torflügel, und die Soldaten holten noch einmal Schwung.

Doch dann geschah das, wovor Vespasian gegraut hatte und wovon ihm doch klar gewesen war, dass sie es irgendwie durchstehen mussten: Tontöpfe voller glimmender Kohlen krachten auf das Dach aus Schilden nieder, zersprangen in scharfkantige Scherben und ergossen ihren glutheißen Inhalt auf die Männer darunter. Vespasian unterdrückte einen Schmerzensschrei, als eine Kohle auf seinen Handrücken fiel. Er musste sich eisern beherrschen, um nicht den Haken am Rammbock loszulassen, während der glühende Klumpen hinunterrollte und versengte Haut und den Gestank verbrannten Fleisches hinterließ. Schreie von allen Seiten zeugten von der Wirksamkeit dieser neuen Waffe, doch trotz allem wurde der Rammbock wieder gegen das Tor geschmettert, dann noch einmal.

Jetzt tat sich zwischen den Torflügeln ein Spalt auf, durch den Licht drang. Vespasian schöpfte Hoffnung. «Durchhalten, Jungs!»